hoch³ FORSCHEN #2/2021

Page 1

3

hoch

FORSCHEN Das Medium für Wissenschaft

Sommer 2021

Impressum Herausgeberin Die Präsidentin der TU Darmstadt Redaktion Stabsstelle Kommunikation und Medien der TU Darmstadt: Jörg Feuck (Leitung, V.i.S.d.P.) Ulrike Albrecht (Bildredaktion; Grafik Design) Titelbild Wie dieser Pfeilgiftfrosch (Oophaga slyvatica) von einem nachwachsenden Regenwald in Ecuador profitiert, ist eine der ungeklärten Fragen einer neuen DFG-Forschungsgruppe; Bild: Dr. Karsten Mody Druck Druckerei Petzold GmbH, Darmstadt gedruckt auf 100 g/m² PlanoScript, FSC-zertifiziert Auflage 5.000  Nächste Ausgabe 15. September 2021 Leserservice presse@tu-darmstadt.de ISSN 2196-1506

Möchten Sie die nächste Ausgabe der hoch3FORSCHEN gerne in digitaler Form erhalten? Dann senden Sie bitte eine E-Mail an presse@tu-darmstadt.de

_ 1 Akustikforschung: veränderte Geräusche und minimierter Lärm _ 2 Maschinenbau: Wärme weiterverwenden _ 3 Theoretische Quantenphysik: Mit Qubits wird höchste Rechenleistung möglich gemacht _ 4 Biologie: Regenerationsforschung im Regenwald

hoch3 FORSCHEN / Jahrgang 10 / Sommer 2021


Strom aus Nanokanälen Unsere Welt produziert rund um die Uhr Wärme – durch den Betrieb von Smartphones, Heizungen, Servern und Fabriken. Ein TU-Forschungsteam findet in der Nanotechnik eine Option, die Wärmemengen für Strom besser zu nutzen und einen Beitrag zu Nachhaltigkeit zu leisten. _ Von Boris Hänßler Jedes Mal, wenn wir ein YouTube-Video abspielen oder auch nur ein Wort googeln, entsteht in den weltweit verteilten Rechenzentren etwas Wärme. Ein Roboterarm, der in einer Fabrik Autoteile zusammenschweißt, produziert Wärme, ebenso ein Lkw – und natürlich unsere Körper. Diese Wärme trägt nur geringfügig zur Klimaerwärmung bei, aber sie ist zugleich Energie. Etwa 70 Prozent der Wärme, die von Menschen produziert wird, verschwindet ungenutzt im All. Während große industrielle Anlagen Hitze als Energiequelle nutzen, lohnt sich die Wandlung dieser Energie bei Temperaturen unter 100 Grad Celsius bislang nicht. Wärme in Strom umzuwandeln ist mit aktuellen Technologien ineffizient. Die seltenen, dafür notwendigen Materialien sind teuer und nicht umweltfreundlich.

zum anderen – in der Regel von warm zu kalt. Dabei entsteht ein elektromagnetisches Feld und somit eine elektrische Spannung. Je größer der Temperatur-unterschied ist, desto höher ist die Spannung, die produziert wird. „Solche thermoelektrischen Materialien haben jedoch keinen besonders hohen Wirkungsgrad“, sagt Steffen Hardt. „Das bedeutet, dass sie nur einen geringen Anteil der Wärme in elektrische Energie umwandeln können, was teilweise an prinzipiellen Beschränkungen der Physik liegt.“ Die Materialien seien zudem schwer herzustellen – teilweise durch eine aufwändige Atomlagenabscheidung. Für den breitbandigen Einsatz eignen sich solche Technologien nicht.

„Unsere Kombination könnte in eine neue hocheffiziente Technologie zur Nutzung von Abwärme geringer Güte mit enormer Wirkung münden.“

Informationen Fachgebiet Nano- und Mikrofluidik Prof. Dr. rer. nat. Steffen Hardt Telefon: 06151/16– 24274 E-Mail: hardt@nmf.tu-darmstadt.de www.nmf.tu-darmstadt.de/nmf/

2

In Zukunft könnte sich das ändern. Erste Schritte in diese Richtung kommen von einer ungewöhnlichen Forschungsrichtung im Fachbereich Maschinenbau der TU Darmstadt: Professor Steffen Hardt und sein Team erforschen Transportphänomene in Fluiden auf der Nano- und Mikrometerskala – und zwar oft unabhängig davon, für welche Anwendung die Erkenntnisse relevant sein könnten. Den Forschenden geht es darum, Neuland zu betreten – zu verstehen, wie sich Gase und Flüssigkeiten in verschiedenen Zuständen und Umgebungen auf kleinen Skalen verhalten. Und eines der Phänomene, die die Forschenden beobachteten, erregt nun die Aufmerksamkeit der Energieforschung. Denn es birgt das Potenzial, in Zukunft effizienter als bisher aus geringen Temperaturdifferenzen Strom zu gewinnen – mit günstigeren und nachhaltigeren Materialien. Das von dem Team beobachtete Phänomen ähnelt einem bekannten Effekt: Wenn ein thermoelektrisches Material einem Temperaturgradienten ausgesetzt ist, fließen Elektronen von einem Ende

hoch3 FORSCHEN / Jahrgang 10 / Sommer 2021

Die Forschenden fanden nun auf der Basis von theoretischen Modellen heraus, dass in bestimmten Nanostrukturen mit sich überlappenden sogenannten elektrischen Doppelschichten unter Einwirkung eines Temperaturgradienten ein Ionenfluss entsteht. Derartige Nanokanäle haben einen Durchmesser von etwa 10 Nanometern. Sie sind somit kleiner als zum Beispiel Viren – das Corona-Virus misst etwa 100 Nanometer. Befindet sich in diesen Nanokanälen eine Salzlösung, bilden die Ionen, die sich in der Nähe der Wand befinden, eine geladene Schicht innerhalb der Flüssigkeit. Diese Schicht dehnt sich mit zunehmender Temperatur aus, wodurch eine Ionenbewegung entsteht, wenn das eine Ende des Röhrchens wärmer ist als das andere. Die Bewegung erzeugt ebenfalls ein elektrisches Feld. Die Spannung, die dabei entsteht, ist allerdings um ein Vielfaches höher als die beim sogenannten Ludwig-Soret-Effekt. Dieser beschreibt die Bewegung von Elektrolyten aufgrund eines Temperaturgradienten. Bevor sich dieser Umwandlungsprozess in Nanokanälen in Anwendungen nutzen lässt, stehen die Forschenden allerdings noch vor erheblichen Herausforderungen. Durch die Überlagerung unterschiedlicher Phänomene ist die Physik sehr komplex, und es ist noch unklar, wie Systeme mit optimierter Energie-


wandlungseffizienz gestaltet werden müssen. Außerdem ist es tendenziell schwierig, nach theoretischen Erkenntnissen maßgeschneiderte Nanostrukturen herzustellen.

Holmes schlug Hardt vor, die Forschungen gemeinsam voranzutreiben und sich um eine der gefragten EU-Horizon-Förderungen zu bewerben – mit großem Erfolg. Das Projekt mit dem Namen „Translate“ erhielt kürzlich eine Förderung über 3,5 Millionen Euro aus dem EU Horizon 2020-Programm „EIC Pathfinder Open“. Beteiligt sind auch die Universität Litauen und das spanische Unternehmen Cidete Ingenieros S.l., ein Spezialist für thermoelektrische Technologien. In „Translate“ geht es nun darum, zunächst einmal ein theoretisches Modell für die Ionen-Bewegung innerhalb des Nanokanals zu entwickeln. Dafür arbeiten die Wissenschaftler mit Computersimulationen. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den Vorgängen an den Wänden der Nanokanäle. Die Forschenden planen, nach und nach die Architektur der Kanäle als auch das verwendete Material zu optimieren. Außerdem soll das System nicht nur Energie umwandeln, sondern auch speichern. Das spätere Anwendungsspektrum hängt unter anderem davon ab, wie teuer die verwendeten Materialien und somit die Strukturen letzten Endes sind. In Frage kommen zum Beispiel Aluminium oder Silizium. An der Universität Maryland in den USA forscht man zudem an Cellulose-basiertem Material, das deutlich einfacher zu beschaffen und von der Umweltbilanz besser ist. Eine realistische Anwendung könnte zum Beispiel sein, die Abgaswärme

von Lkws in Strom für die Bordcomputer oder das Licht am Fahrzeug zu verwandeln. Das würde den Verbrauch von Treibstoff reduzieren. Das Potenzial solcher Forschungen ist jedoch auch den IT-Konzernen bewusst. Facebook betreibt in Odense zum Beispiel ein 50.000 Quadratmeter großes Rechenzentrum mit zwei Gebäuden. In solchen Rechenzentren kühlen Klimaanlagen die Server ab, um sie auf einer Temperatur von unter 30 Grad Celsius zu halten. Die heiße Luft geht oft in die Atmosphäre. Das Unternehmen hat sich kürzlich mit dem örtlichen Fernwärme-Anbieter Fjernvarme Fyn zusammengetan, um die von den Servern erzeugte Wärme an die Heizkörper der nahegelegenen Gemeinde weiterzuleiten. Gelänge es künftig, aus solchen Rechenzentrum auch noch Strom zu gewinnen, wäre dies ein wichtiger Beitrag zu einer nachhaltigen Energiegewinnung. _ Der Autor ist Technikjournalist.

Professor Steffen Hardt vom Fachbereich Maschinenbau forscht an nachhaltigerer Energienutzung.

Prof. Hardt und sein Team forschen daran, dass zukünftig jegliche Abwärme, die durch Mensch und Maschine freigesetzt wird, energetisch weitergenutzt werden kann. Das Grundprinzip der Energiewandlung beruht dabei auf dem Transport von Ionen in Nanokanälen in einem Temperaturfeld.

Stromgewinnung aus Abwärme Beispiel: Server-Raum

Modell der Ionen-Bewegung

T1

Translate-Device:

nutzt Abwärme zur Stromerzeugung

Thermo-elektrische Spannung in den Nanokanälen Server

T2 T1 = T2

T1

T2

Kühlgerät

T1 > T2 warm

kalt

Geräte und Flächen geben Wärme noch ungenutzt ab.

Der gewonnene Strom aus der Flächen-Abwärme wird in den Stromkreis zurückgeführt und der gesamte Energieverbrauch sinkt.

Abbildung: Helga Jordan

Subhajit Biswas, ein Forscher in Holmes’ Gruppe, sagt: „Als wir auf die theoretische Abhandlung über die Umwandlung von Wärme in einer Elektrolytlösung in Confinement stießen, wurde uns klar, dass die Kombination dieses theoretischen Wissens mit dem Fachwissen am University College Cork in Bezug auf Materialien, Membranen und Energiewandlungstechnologien in eine neue hocheffiziente Technologie zur Nutzung von Abwärme geringer Güte mit enormer Wirkung münden könnte.“

Abbildung: Katrin Binner

„Der Startpunkt für unsere Forschungen in diesem Bereich waren rein theoretische und erkenntnisgetriebene Untersuchungen, durch die wir dieses Phänomen entdeckt haben“, sagt Hardt. „Aber es war für uns tatsächlich Neuland, und wir hatten zunächst keine Pläne, die Theorie in die Praxis umzusetzen. Uns fehlten dafür die experimentellen Möglichkeiten.“ Die notwendigen Nanokanäle kann sein Team am Institut nicht herstellen. Aber dann wurde Justin Holmes, Professor für Nanochemie und Leiter der Forschungsgruppe Materials Chemistry & Analysis Group (MCAG) am University College Cork in Irland, auf die Veröffentlichung der Darmstädter aufmerksam. Seine Gruppe hat die Ausstattung, genau solche Materialien zu entwickeln.


Neue Dimension der Quantenphysik Der Physiker Vladimir M. Stojanović fand über Umwege zur Forschung über Quantencomputer. Jetzt präsentiert er Ergebnisse, die dem Feld entscheidende Impulse geben könnten. _ Von Christian J. Meier Wenn es um eine ganz neue Art von Computer geht, sind exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gefragt. Vladimir M. Stojanović ist einer von ihnen. Der Physiker hat jüngst mehrere theoretische Arbeiten publiziert, die die Entwicklung von Quantencomputern und ihrer Anwendungen beschleunigen könnten. Schon in wenigen Jahren, glaubt er, könnten solche Rechner einige komplexe Aufgaben schneller lösen als die stärksten Supercomputer der Welt.

Diesem Gebiet näherte sich Stojanović erst nach seiner Doktorarbeit, auf seiner nächsten Station: der Universität Basel. Dort erforschte er die wichtigsten Grundbausteine von Quantencomputern, sogenannte Qubits. Sie sind für diese neue Art Rechner das, was Bits für herkömmliche Rechner sind. Doch während ein Bit jeweils nur eine der beiden Zahlen 0 oder 1 aufnehmen kann, speichert das Qubit beide Werte gleichzeitig. Verwirklichen lässt sich ein Qubit etwa durch ein neutrales Atom, das zwei Energieniveaus besitzt, ein Konzept, das Stojanović auf seiner nächsten Station, der renommierten Harvard University in Boston, USA, kennen lernte. Ein Atom kann in einer Überlagerung beider Energieniveaus existieren, also zwei Zustände simultan annehmen.

„Ich glaube, dass die Zukunft der Quantenrechner ist.“

Die Begabung von Stojanović zeigte sich früh. Als Schüler in seiner serbischen Heimat glänzte er nicht nur im Sport, sondern gewann auch Wettbewerbe in Mathematik und Physik. Sein Physikstudium schloss er mit Bestnote ab. Als Forscher ging Stojanović Umwege, fand aber gerade deshalb zu seinen frischen Ideen. Sein Feld ist die theoretische Physik, die sich mit der experimentellen Physik gegenseitig die Bälle zuspielt, nicht zuletzt, um neue Technologien zu entwickeln.

Informationen Arbeitsgruppe Theoretische Quantenphysik Dr. Vladimir M. Stojanović Telefon: 06151/16–20325 E-Mail: vladimir.stojanovic@ physik.tu-darmstadt.de www.iap.tu-darmstadt.de/tqp/ grp_stojanovic/index2.html

3

Zunächst, um 2003, forschte Stojanović an der TU Eindhoven/Niederlande. Dort untersuchte er den Transport elektrischer Ladungen in organischen Halbleitern. Diese sollen als „Plastikelektronik“ etwa für besonders günstige Solarzellen genutzt werden. „Doch dann wechselte ich mein Interesse“, sagt Stojanović. Er ging an die Carnegie Mellon University in den USA, die besonders stark in Informatikforschung ist. Stojanović indessen forschte nun in einem Gebiet der Physik, das für die Informationsverarbeitung der Zukunft entscheidend ist: die Quantenphysik. Er interessierte sich für so genannte Supraflüssigkeiten. Diese existieren bei tiefsten Temperaturen und zeigen bizarre Eigenschaften, die sie der Quantenphysik verdanken. So drehen sie sich etwa bei Rotation des Gefäßes nicht mit. Doch mit Quantencomputern hat das noch nicht viel zu tun.

hoch3 FORSCHEN / Jahrgang 10 / Sommer 2021

Mehrere Qubits halten sehr viele Zustände gleichzeitig, können also sehr viele Zahlen speichern. Statt Information immer nur schrittweise und nacheinander zu verarbeiten, was bei komplexen Aufgaben sehr lange dauern kann, soll ein Quantencomputer große Informationsmengen parallel und somit ohne Zeitverlust verarbeiten. An der TU Darmstadt widmet sich Stojanović in der Gruppe Theoretische Quantenphysik einer der größten Hürden auf den Weg zum Quantenrechner. Bevor sie gemeinsam rechnen können, müssen Qubits auf eine spezielle Art miteinander verknüpft werden. Physiker sprechen von „Verschränkung“. Viele verschränkte Atome kann man sich als eine Art Kollektiv vorstellen, wie ein „Superatom“. Das Problem: Die Zeit, die es braucht, um Qubits zu verschränken, wächst stark mit der Anzahl der Qubits. Eine Paradoxie: Mit Hilfe möglichst vieler Qubits will man ja eigentlich Rechenzeit sparen. Stojanović hatte eine Idee, wie sich ein spezieller Typ von Mehr-Qubit-Verschränkung, die sogenannte W-Typ-Verschränkung, sehr viel schneller herstellen ließe. Der Ansatz ist sehr einfach. Systeme aus vielen Teilchen haben mehrere Zustände unterschiedlicher Energie. Der Zustand mit der geringsten Energie heißt „Grundzustand“. Diesen strebt das System von selbst an. Stojanović fragte sich, ob es möglich


sei, einen Verbund aus Teilchen so zu entwerfen, dass sein Grundzustand gleichzeitig der angestrebte verschränkte Zustand ist. Auch wenn das System aus sehr vielen Teilchen bestünde, würde es seinen Grundzustand sehr schnell annehmen. Das Problem wäre gelöst. Die so erzielte Verschränkung wäre zudem stabil, wie bei einer Schaukel, die am tiefsten Punkt bleibt, solange man sie nicht schubst. „Die nächste Zutat stammte aus meiner Arbeit in Eindhoven“, sagt Stojanović. Dort untersuchte er zwar keine Qubits, aber Systeme, in denen ein frei bewegliches Teilchen mit vielen punktförmigen Oszillatoren wechselwirkt. Der Grundzustand des Systems hatte ähnliche Eigenschaften wie der verschränkte Qubit-Zustand, den der Physiker sich vorstellte. Zum Beispiel braucht man relativ viel Energie, um ihn in einen anderen Zustand zu überführen. „Wenn man diesen Grundzustand einmal erzeugt hat, ist er sehr stabil, da keine anderen Zustände mit ähnlicher Energie verfügbar sind“, nennt Stojanović einen Vorteil.

zu finden. „Sie werden helfen, schwierige Verkehrsprobleme zu lösen“, sagt Stojanović. Dazu gehöre etwa der Fahrplan der Bahn, mit seinen Tausenden von Verbindungen in einem komplexen Netz, die möglichst schnell und energiesparend abgewickelt werden sollen, mit möglichst guten Anschlüssen für Millionen von Fahrgästen. So könnte es kommen, dass Quantenrechner ein deutlich entspannteres Reisen ermöglichen. _ Der Autor ist Wissenschaftsjournalist und promovierter Physiker.

Dr. Vladimir M. Stojanović forscht an der Entwicklung von Quantencomputern. Unterstützt wird er dabei vom Sonderforschungsbereich CROSSING.

Zwar sind die Ergebnisse von Stojanović́ theoretisch. Doch er achtete auf ihre experimentelle Umsetzbarkeit. „Alle Schritte lassen sich mit etablierten Labormethoden ausführen“, sagt er, dessen Forschung vom Sonderforschungsbereich CROSSING an der TU Darmstadt unterstützt wurde. Die Zeit, um die Qubits zu verschränken, würde damit nicht mehr von deren Anzahl abhängen: ein entscheidender Schritt hin zu großen, leistungsstarken Quantenrechnern. „Ein weiterer Vorteil ist, dass der Zustand äußerst robust ist“, sagt Stojanović. Er bleibe sogar dann erhalten, wenn einzelne Qubits verloren gehen, was in der Praxis durchaus vorkommt. „Ich glaube, dass das die Zukunft der Quantenrechner ist“, sagt Stojanović selbstbewusst. Derzeit sucht er nach Experimentalphysikern, die sein Konzept im Labor testen wollen. Er ist zuversichtlich, dass das geht. Die nützlichste Anwendung seines Designs sieht er bei so genannten Optimierungsproblemen, bei denen es darum geht, die bestmögliche aus einer Unzahl von Lösungsmöglichkeiten

Abbildung: Katrin Binner

Als nächstes übertrug der Physiker das Prinzip auf zwei verschiedene physikalische Systeme, die bereits routinemäßig in der Quantencomputerforschung verwendet werden. Bei einem bestehen die Qubits aus speziellen elektronischen Bauelementen, die bei sehr tiefen Temperaturen Strom verlustfrei leiten, so genannte Supraleiter. Beim anderen bilden Atome die Qubits. „Ich war sehr glücklich, denn diese Idee kam mir durch meine Erfahrung aus anderen Gebieten“, sagt Stojanović. „Es war also ein Vorteil, dass ich immer wieder Neues ausprobiert habe.“ Seine Ausdauer wurde letztlich belohnt. Das unter Physikern hoch angesehene Fachmagazin Physical Review Letters publizierte seine Arbeit. Das ist eine Auszeichnung, da dieses Journal nur selten Arbeiten einzelner Autoren veröffentlicht.

Publikationen: Stojanović, Vladimir M. (2021): Scalable W-type entanglement resource in neutral-atom arrays with Rydberg-dressed resonant dipole-dipole interaction. In: Physical Review A, 103 (2), APS Physics, ISSN 2469-9926, DOI: 10.1103/PhysRevA.103.022410 (2020): Bare-Excitation Ground State of a Spinless-Fermion–Boson Model and W-State Engineering in an Array of Superconducting Qubits and Resonators. In: Physical Review Letters, 124 (19), p. 190504. ISSN 0031-9007, DOI: 10.1103/PhysRevLett.124.190504 (2020): Entanglement-spectrum characterization of ground-state nonanalyticities in coupled excitation-phonon models. In: Physical Review B, 101 (13), American Physical Society, ISSN 2469-9950, DOI: 10.1103/PhysRevB.101.134301 Haase, Thorsten; Alber, Gernot; Stojanović, Vladimir M. (2021): Conversion from W to Greenberger-Horne-Zeilinger states in the Rydbergblockade regime of neutral-atom systems. In: Physical Review A, 103 (3), APS Physics, ISSN 2469-9926, DOI: 10.1103/PhysRevA.103.032427


Nicht ohne den Pfeilgiftfrosch Eine Forschungsgruppe um Professor Nico Blüthgen untersucht, wie die Natur einen zerstörten Regenwald zurückerobert. Einzelne Arten und deren Wechselwirkungen zeigen am Ende, wie gut die Regeneration gelungen ist. _ Von Hildegard Kaulen Stopp! Die schrille Färbung des Pfeilgiftfroschs zeigt seinen Feinden unmissverständlich an, dass er keine erfreuliche Beute sein wird. Sein Gift erhält er von den Ameisen oder Milben, die er selbst frisst. „Wenn wir im tropischen Regenwald Ecuadors auf den Pfeilgiftfrosch stoßen, wissen wir, dass wir es mit einem komplexen Ökosystem zu tun haben“, sagt Nico Blüthgen, Professor für Ökologische Netzwerke an der TU Darmstadt. „Diese Drohkulisse aus schriller Färbung und angeeignetem Gift steht für eine hochspezialisierte Räuber-Beute-Beziehung, die nur in einem komplexen und engmaschigen Ökosystem funktioniert. Und je komplexer ein solches System ist, desto widerstandsfähiger ist es auch. Und genau da wollen wir mit der natürlichen Regeneration verödeter Fläche hin.“

zu wenig von der Funktionalität eines Ökosystems, um es einfach wieder aufbauen zu können“, sagt Blüthgen. „Wir haben kein Drehbuch für die schnelle Reparatur. Wir müssen zudem besser verstehen, wie sich die Natur selbst regeneriert und was dabei passiert. Erst dann können wir gezielt eingreifen“, so Blüthgen weiter. „Wenn Sie mich also fragen, ob wir auf die Herausforderungen einer Renaturierung unseres Planeten vorbereitet sind, lautet meine Antwort: derzeit nein. Wir wissen einfach noch zu wenig.“ Aufforstung allein reicht Blüthgen nicht. Ihm geht es um die Wiederherstellung von Komplexität und damit um die Resilienz eines Ökosystems – auch gegenüber dem Klimawandel. Die Vereinten Nationen werden sich diesem Anliegen ebenfalls verstärkt annehmen und haben die nächsten zehn Jahre zur Dekade der „Ecosystem Restoration“ erklärt. Was haben Blüthgen und das internationale Team genau vor? Die Forschenden werden in den kommenden vier bis acht Jahren 62 Flächen im ChocóTieflandregenwald im Nordwesten Ecuadors untersuchen. Diese Flächen wurden eine Zeit lang als Weideland oder für den Kakaoanbau genutzt, dann aber aufgegeben. Einige dieser Flächen regenerieren schon seit zwanzig oder dreißig Jahren ohne äußeres Zutun, andere haben gerade erst damit begonnen. Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen werden wichtige Prozesse in den Blick nehmen: die Beziehungen zwischen Räuber und Beute, zwischen Bäumen und Bestäubern, zwischen Säugern, Samen und Dungkäfern und zwischen Ameisen, Termiten und Totholz – um nur einige zu nennen.

„Wir müssen besser verstehen, wie die sich die Natur selbst regeneriert und was dabei passiert.“

Blüthgen steht an der Spitze eines aus zwölf Universitäten und Stiftungen bestehenden Konsortiums, das wissen will, wie sich die Natur Brachflächen im Regenwald zurückerobert. Welche Arten treten zuerst wieder auf? Wie lange dauert die natürliche Regeneration? Wird die alte Artenvielfalt wieder erreicht? Werden alle komplexen Beziehungen wieder aufgenommen? Wie nahe kommt das neue Ökosystem an die Funktionalität des alten Ökosystems heran? Blüthgen und den Teammitgliedern geht es nicht um eine bloße Inventur, sondern um das Vermessen von Komplexität in den Tiefen des wieder aufkeimenden Regenwalds. Eigentlich ist das ein natürlicher Prozess, denn Flächen sind immer wieder durch Naturkatastrophen zerstört worden und haben sich erholt. Aber niemand weiß so genau, wie nahe sie dabei an die Ausgangssituation herangekommen sind. Heute ist jedoch vieles anders. Ökosysteme verschwinden in rasantem Tempo und in großen Kahlschlägen. In jeder Minute gehen im tropischen Regenwald Gebiete in der Größe von zehn Fußballfeldern verloren. Die Rate, mit der Lebewesen aussterben, hat sich in den vergangenen hundert Jahren verdreifacht. „Wir verstehen noch Informationen Fachbereich Biologie Prof. Dr. Nico Blüthgen Telefon: 06151/16–75411 E-Mail: bluethgen@bio.tu-darmstadt.de https://rb.gy/lbr1fc

4

hoch3 FORSCHEN / Jahrgang 10 / Sommer 2021

Gefördert wird die Forschungsgruppe „REASSEMBLY“ von der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Vor Ort wird das Konsortium von der gemeinnützigen Stiftung Fundación Jocotoco und zwei Universitäten des Landes unterstützt. Die Stiftung kauft seit 20 Jahren Flächen in der Region, die dann sich selbst überlassen werden. Ein Teil der Fördersumme wird auch in die Ausbildung von ecuadorianischen Studierenden und den Aufbau lokaler Strukturen fließen. Dass die Wahl auf Ecuador gefallen ist, hat verschiedene Gründe: „Die dortigen Bedingungen sind exzellent“, sagt Blüthgen. „Die Flächen liegen direkt neben einem Regenwald, der ein gutes Reservoir für den natürlichen Wiederaufbau bietet. Der Regenwald ist im Chocó-Tiefland zudem besonders produktiv. Alles wächst sehr schnell. Tiere sind reichlich vorhanden, die die Samen der Bäume wieder ausbreiten. Damit haben wir gute Chancen, innerhalb weniger Jahre auch tatsächlich viele unserer Fragen beantworten zu können. Durch den Blick auf die verschiedenen Regenerationszeiten, in denen sich die einzelnen Flächen befinden, können wir auch etwas über die Geschwindigkeit des Prozesses sagen.“


Abbildung: Katrin Binner

Auf ausgewählten Flächen in Ecuador regeneriert sich der Regenwald und wird dabei unter anderem von Professor Nico Blüthgen und seiner Arbeitsgruppe beobachtet.

Auf den unterschiedlich weit regenerierten Flächen sollen auch Störungsexperimente gemacht werden, um zu prüfen, wie stabil die neu entstandenen Netzwerke sind. Dazu werden die Forschenden den gesamten Boden in acht mal acht Meter großen Arealen freiräumen und nur die Bäume stehenlassen. Dann werden sie verfolgen, wie sich die Natur diese Areale zurückerobert. „Wir vermuten, dass dieser Prozess schneller verläuft, wenn die kleine Fläche zu einer Einheit gehört, deren natürliche Regeneration schon sehr weit fortgeschritten ist und nicht erst am Anfang steht“, sagt Blüthgen. „Bei diesen Experimenten schauen wir nicht allein auf die Komplexität des wiederaufkeimenden Ökosystems, sondern auf das Wechselspiel zwischen der jahrzehntelangen Regeneration mit seinen immer komplexer werdenden Netzwerken und der kurzfristigen Erholung kleinräumiger Störungen.“ Blüthgen und das Team sind sich der Tragweite ihrer Untersuchungen sehr bewusst. „Letztlich hängt unser eigenes Überleben vom Überleben der globalen Ökosysteme ab. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren, wenn wir die natürliche Regeneration gezielt stärken wollen.“ _ Die Autorin ist Wissenschaftsjournalistin und promovierte Biologin.

Bestäubung ist ein weiterer wichtiger Prozess. Um mehr darüber zu erfahren, werden Blüthgen und seine Forschungsgruppe Tiere in einer Lichtfalle fangen und die anhaftenden Pollen analysieren. Ein DNA-Test wird wieder Auskunft über die Identität der einzelnen Pollen geben. Daraus können die Wissenschaftler dann auf die Tiere schließen, die die jeweiligen Pflanzen bestäubt haben. Sie müssen dafür nicht in die Baumwipfel des Regenwalds klettern und sich dort umsehen. Sie finden die Antworten ganz einfach am Boden.

Abbildung: Arbeitsgruppe Blüthgen

Die Anwesenheit des Pfeilgiftfroschs ist für Blüthgen und das Team ein wichtiger Indikator für die Komplexität des zurückgekehrten Regenwalds. Ein weiterer Indikator sind Dungkäfer. Diese vergraben Kot und die darin enthaltenen Samenkörner, die dann auskeimen. Allerdings machen sich Dungkäfer nur über den Kot von Säugetieren her. Wenn es in einem Ökosystem viele Dungkäfer gibt, muss es auch ausreichend viele Säugetiere geben, die Samen mit ihrem Kot ausscheiden. Welche das tatsächlich sind, ermitteln die Wissenschaftler, indem sie die DNA aus den Mägen der Dungkäfer analysieren. Diese kann zum Beispiel von fruchtfressenden Brüll- oder Krallenaffen stammen, aber auch von einem Puma oder Jaguar. Letztere spielen vor allem nachts eine wichtige Rolle als Räuber. Die Mägen der Pfeilgiftfrösche werden auf die gleiche Weise analysiert werden. So lässt sich aus der gefundenen DNA ein ganzes Netzwerk an Räuber-Beute-Beziehungen ableiten, weil das Vorhandensein der einen Art immer auch das Vorhandensein anderer Arten voraussetzt.

Wie lange braucht der Regenwald bei seiner Regeneration von vorheriger landwirtschaftlicher Nutzung? Die Arbeitsgruppe um Prof. Blüthgen untersucht dabei das Zusammenspiel des gesamten Ökosystems.


Den richtigen Ton treffen Kooperation mit Partnern aus Industrie und Forschung neue Verfahren und Methoden entwickeln, mit denen sie die Entstehungs- und Ausbreitungsmechanismen des Schalls besser verstehen und die Akustik von Maschinen gezielt gestalten können.

Abbildung: Katrin Binner

Beispiel Automobilindustrie: Es ist sehr herausfordernd, akustische Eigenschaften in diesen komplexen maschinenbaulichen Systemen schon im Produktentstehungsprozess zielgenau einzustellen. Treten am fertigen Produkt-Prototyp störende Geräusche auf, werden zeit-, kosten- und masseintensive Nachbesserungen fällig. Gleichzeitig ist ein markenspezifisches Akustikerlebnis, das den Fahrenden vertraut ist, durchaus erwünscht und auch kaufentscheidend. Um diesem Spannungsverhältnis gerecht zu werden, „bauen wir auf eine möglichst frühe akustikgerechte Gestaltung, die am besten direkt an der Schallquelle ansetzt“, sagt Christian Adams, Wissenschaftler am Fachgebiet SAM.

Dr. Christian Adams und Sabina Benatti Camargo im neuen AkustikLabor der TU Darmstadt.

Wie kann man akustische Herausforderungen so meistern, dass unerwünschter Schall vermindert wird und gleichzeitig situativ eine gewünschte GeräuschKulisse entsteht? Forschende der TU Darmstadt arbeiten an neuen Methoden und Verfahren, um bei der Entwicklung von Maschinen akustische Eigenschaften mitzugestalten. _ Von Jutta Witte „Unsere neuen Labore sind ein echter Sprung für die Akustikforschung in der Rhein-Main-Region“, erklärt Tobias Melz, Professor für Systemzuverlässigkeit, Adaptronik und Maschinenakustik (SAM) an der TU Darmstadt und Leiter des Fraunhofer-Instituts für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit (LBF). Künftig laufen auf dem Campus Lichtwiese experimentelle Analysen an einzelnen Komponenten und kompletten Maschinen bis hin zu Fahrzeugen. Die Forschenden wollen in Informationen Fachgebiet Systemzuverlässigkeit, Adaptronik und Maschinenakustik SAM Prof. Dr.-Ing. Tobias Melz Telefon: 06151/16– 23510 E-Mail: info@sam.tu-darmstadt.de https://www.sam.tu-darmstadt.de

1

hoch3 FORSCHEN / Jahrgang 10 / Sommer 2021

Will man die Geräusche beeinflussen, sind drei physikalische Größen wichtig: Masse, Steifigkeit und Dämpfung. „Um Fahrzeugteile mit Blick auf diese Größen richtig auslegen zu können, brauchen wir einen vielseitigen Methodenkoffer“, sagt Adams. Denn nicht nur die Strukturen im Fahrzeug müssen richtig designt werden, sondern alle Wechselwirkungen sind zu berücksichtigen, die mit Material oder Fertigung zusammenhängen. Relevant wird dies zum Beispiel beim Thema Elektromobilität. Ein E-Motor ist leiser als ein Verbrenner, so dass unerwünschte Geräusche nicht mehr kaschiert werden. Zudem müssen E-Fahrzeuge mit Blick auf die Reichweite möglichst leicht sein. Leichtbau und akustikgerechte, schwingungsarme Lösungen stehen aber häufig im Widerspruch zueinander. „Das gilt es zu verstehen und frühzeitig zu antizipieren“, sagt Melz. Es braucht also innovative Methoden und Verfahren für ein vorausschauendes „akustikgerechtes Gestalten“. In den neuen Akustiklaboren „arbeiten wir in einem völlig störentkoppelten Bereich, das heißt wir fokussieren auf die Geräusche, die wir für ein bestimmtes Experiment brauchen und blenden alle anderen aus“, berichtet Adams. Im ersten Schritt betrachten die Forschenden den Körperschall. Wenn ein Auto gestartet wird, produziert der Motor Schwingungen, deren Energie sich in der Struktur des Fahrzeugs als Körperschall ausbreitet. An der Strukturoberfläche wird der Körperschall des Motors zum Beispiel als Luftschall in das Innere des Fahrzeugs abgestrahlt; der Insasse nimmt dies wahr. Die Kunst ist es, zu erreichen, dass im Innenraum möglichst kein störender Schall abgestrahlt wird und im Außenraum der Verkehrslärm die Umwelt nicht belastet. Um Körperschall- und Luftschall richtig auszutarieren, hat das TUTeam unter anderem zwei wirksame Hebel identifiziert. Der eine ist die Strukturintensität, eine Größe, die zeigt, wie sich die Energie des Körperschalls durch die Struktur ausbreitet. So wollen die Forschenden nachvollziehen, welchen Weg der Körperschall genau nimmt, um ihn dann gezielt zu steuern. Zweiter Ansatzpunkt ist die sogenannte Low-Tone-Verzahnung von Übersetzungsmechanismen. Hierbei werden die Zähne eines Getriebes geometrisch unregelmäßig angeordnet – ein Novum in den Ingenieurwissenschaften, das dafür sorgen soll, dass Körperschall sich auf viele Frequenzen gleichmäßig verteilt und unangenehme einzelne Töne sich weniger ausprägen. _ Die Autorin ist Wissenschaftsjournalistin und promovierte Historikerin.


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.