Turi.Edition #23, Agenda 2025

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Agenda 2025: Projekte. Pläne. Utopien.

Die Buchreihe Turi.Edition

Die Buchreihe Turi.Edition ist das Freundemagazin der 10.000 wichtigsten Kommunikationsprofis aus Medien, Wirtschaft und Politik. 2016 wurde die Edition mit dem Bayerischen Printmedienpreis ausgezeichnet.

Die Edition ist Teil eines Netzwerkes, das Peter Turi gegründet hat.

Unter turi.one/edition kannst du die Turi.Edition kostenlos bestellen, unter turi.one/sunday den Inspirationsletter Turi.Sunday. Unter turi2.de findest du einen kostenlosen Newsdienst und das Promi-Verzeichnis turi2.de/koepfe

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ENTWICKELT FÜR UNTERNEHMEN Business AI

»Es wächst hienieden Brot genug Für alle Menschenkinder, Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust, Und Zuckererbsen nicht minder.

Ja, Zuckererbsen für jedermann, Sobald die Schoten platzen! Den Himmel überlassen wir Den Engeln und den Spatzen.«

Inspiration für die Kommunikationsgesellschaft Ausgabe 23

Verlag Turi GmbH, Idsteiner Straße 52, 65193 Wiesbaden

editon@turi.one turi.one/edition

Gründer, Herausgeber Peter Turi

Publisher Heike Turi

Chefredakteurin

Anne-Nikolin Hagemann

Textchefin Tatjana Kerschbaumer

Gestaltung Uwe C. Beyer

Fotochef Johannes Arlt

Fotos und Videos

Ian Ehm, Selina Pfrüner, Holger Talinski, Marcel Schwickerath

Archiv-Fotos dpa/picture alliance

Mediadaten turi.one/edition

Abonnements turi.one/abo

Druck Schleunung, Marktheidenfeld, schleunung.com

Lithografie Freihafen studios, freihafen.de

turi.one/sunday – der Inspirationsletter

I have a dream

Wenn ich meine Augen schließe, um zu träumen, dann sehe ich Streit und Streik, Krise und Krieg. Es gibt aber auch Zuversicht: Ich sehe kluge Köpfe, die mit uns in der Turi.Edition ihre Träume teilen. Diese Träume sind voller Hoffnung und machen Mut. Denn nur wer den Mut zum Träumen hat, hat die Kraft zu kämpfen.

Die Idee geht der Wirklichkeit voran; die Vision meines Berufslebens ist bessere Kommunikation. Ich habe den Newsdienst turi2 losgelassen, um jetzt mit Turi.One ein Inspirationsnetzwerk zu bauen.

Wir finden und verbinden inspirierende Menschen, Medien und Marken. Für eine bessere Kommunikation. Für eine vielleicht bessere Welt.

Herzlichst, Peter Turi

INTRO
Karl-Theodor zu Guttenberg Seite 16

INHALT

9 Intro 194 Outro

16 Karl-Theodor zu Guttenberg über zweite Chancen und übergroße Erwartungen

I have a Dream

34 Marion Horn

36 Marcel de Groot

37 Gabriele Hässig

39 Tristian Horx

40 Tijen Onaran

42 Franziska Fey

43 Florian Hager

44 Bascha Mika

46 Eva-Maria Bauch

47 Wladimir Kaminer

48 Düzen Tekkal

50 Rainer Esser

52 Stefan Hartung

54 Annemarie Paulsen

55 Dirk von Gehlen

56 Alev Doğan

58 Niddal Salah-Eldin

60 Reinhard Hild

61 Paul Remitz

62 Marie von den Benken

63 Matthias Daniel

65 Lina Timm

66 Anna Dushime

über Gott, Genozid und das Leichte in Schweren

I have a Dream

78 Kai Gniffke

81 Carla Hinrichs

82 Frank Dopheide

83 Kerstin Weng

84 Isabelle Gardt

86 Roland Tichy

88 Dörte Spengler-Ahrens

90 Henning Beck

91 Jörg Dittrich

92 Birgit Priemer

94 Myriam Karsch

97 Torsten Albig

98 Sigmund Gottlieb

100 Victoria Reichelt

Anna Dushime Seite 66
Jagoda Marinić Seite 146
Andreas Reckwitz Seite 180

102 Florian Schroeder

über Kabarett und Krisen

I have a Dream

114 Carline Mohr

116 Michael Schuld

118 Tanit Koch

119 Leif-Nissen Lundbæk

120 Maria Lorenz-Bokelberg

123 Tobias Lammert

123 Ralf Hape

124 Christiane Schulz

125 Damla Hekimoğlu

126 Hans-Jürgen Jakobs

128 Jessica von Bredow-Werndl

130 Andrea Wasmuth

131 Cawa Younosi

133 Ines Imdahl

134 Lilith van Amerongen

136 Christiane Goetz-Weimer

136 Wolfram Weimer

137 Carsten Knop

138 Sven Runge

140 Aylin Güler

142 Janett Zschunke

144 Nina Zimmermann

145 Eric Demuth

146 Jagoda Marinić

über Wandel und Wut

I have a Dream

156 Sven Plöger

158 Sarah Kübler

159 Stefan Sutor

160 Kerstin Niederauer-Kopf

162 Nils Minkmar

163 Michael Hallemann

164 Sebastian Matthes

167 Christian Hug

168 Jörg Jakob

170 Katrin Eigendorf

171 Maren Urner

172 Wigan Salazar

173 Thomas Koch

174 Kai Diekmann

175 Irène Kilubi

176 Catherin Anne Hiller

177 Katrin Wilkens

178 Brigitte Holzinger

180 Andreas Reckwitz

über Verlust und Fortschritt

Florian Schroeder Seite 102

Lebe fantastisch

Bude smart – wie fantastisch ist das denn?

Ob Haushaltsgeräte, Heim- und Gartenwerkzeuge, Smart Home Lösungen oder Heizungs- und Klimageräte – unsere Produkte machen wirklich jede Bude smart. Wir bei Bosch entwickeln ständig neue Technologien, damit du wie DIE FANTASTISCHEN VIER noch einfacher, smarter, gesünder und nachhaltiger leben kannst. bosch.com

»Ich war nicht der kleine verwöhnte Rotzlöffel aus dem Schloss«

Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg über zweite Chancen, seinen womöglich bipolaren Vater, seine Zeit als Kanzler in spe und sein Leben als Publizist, Podcaster und Privat-Investor

Von Peter Turi (Text) und Ian Ehm (Fotos)

Raus die Kunst: Karl-Theoder zu Guttenberg vorm Haus der Kunst in München. Dort sucht er Inspiration für Kolumnen, die auf LinkedIn und als Buch erscheinen

»Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich: nichts. Ich habe mir das Träumen im Wachzustand weitgehend abgewöhnt. Der Verzicht auf Illusionen schont meine Nerven und die meiner Umgebung«

Karl-Theodor zu Guttenberg heißt eigentlich Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Buhl-Freiherr von und zu Guttenberg – und lässt sich gern salopp KT nennen. Er ist 1971 geboren, wurde 2009 Wirtschafts-, dann Verteidigungsminister. 2011 trat er im Zuge der Plagiatsaffäre um seine Doktorarbeit zurück. 2018 erwarb zu Guttenberg einen rechtmäßigen Doktortitel an der Fakultät für Wirtschaft, Recht und Kunst der Southampton Business School mit einer Arbeit über „die Bedeutung des Korrespondenzbankwesens und seiner Anwendung in historischen Präzedenzfällen“

KT, du stammst aus einem Adelsgeschlecht. Die Freiherren und Reichsritter von und zu Guttenberg sitzen seit 1320 auf dem Burgschloss Guttenberg im Dörfchen Guttenberg bei Kulmbach in Oberfranken; die rund 500 Einwohner sind nicht mehr leibeigen. Warum lebt ein Franke in München? Mein Hauptwohnsitz ist tatsächlich Guttenberg, wo die Leibeigenschaft gottlob mit der Bauernbefreiung 1808 aufgehoben wurde. Was Oberfranken anbelangt, bin ich aber ein Leibeigener meines Herzens: Hier ist und bleibt meine Heimat.

Trotzdem lebst du auch in München. Warum nicht Berlin oder New York?

Als unersättlich Neugieriger, Bergfreund und ewig Rastloser liebe ich an München die kulturelle Vielfalt, die kurzen Wege zur Ski-Tour und die Nähe zum Flughafen. Die Kombination von allen drei Dingen wird in Berlin, Hamburg oder New York nicht geboten.

Was sind deine Lieblingsplätze in München? Wir sitzen gerade auf einem. Tatsächlich ist für mich eine Parkbank im Englischen Gartens der wahrscheinlich inspirierendste Arbeitsplatz der

Welt. Er lässt sowohl die Beobachtung als auch das Kontemplative zu. Ich liebe auch die Parkbänke in New York, Paris oder in Braunschweig. Über die öffentlichen Parks finde ich immer einen besonderen Zugang zu einer Stadt.

Der Guttenberg endet auf der Parkbank, ich sehe schon die Boulevard-Schlagzeilen vor mir.

Herrlich. Aber ich muss dich enttäuschen, Peter: Derzeit besteht keine Gefahr. Was mich an München noch fasziniert, sind die Theater und Bühnen dieser Stadt. Schon als Kind, da mein Vater Enoch – er war Dirigent – meinen Bruder und mich in alle Konzerthäuser mitgenommen hat. Seitdem interessieren mich die Dramen, die sich neben den Bühnen abspielen, noch mehr als diejenigen auf den Bühnen.

Wie meinst du das?

Musiker, Schauspieler, überhaupt Künstler sind sensible Menschen mit hoher emotionaler Schwingungsweite. Sie können von einem Moment zum anderen aus der Euphorie des rauschenden Applauses in die Tristesse der Einsamkeit rutschen. Ich habe das Janusköpfige wie das Depressive bei Kreativen oft erlebt.

Was ist dein Lieblingssatz auf Fränkisch?

Des eichendlich wieda wenicha – wörtlich: Dieses eigentlich wieder weniger. Das ist die härteste Form der Verneinung auf Fränkisch. Aber höflich verpackt und gesichtswahrend, wie es dem fränkischen Wesen entspricht.

Ein Franke, Markus Söder, sitzt hier gleich um die Ecke als bayerischer Ministerpräsident. Welcher fränkische Satz fällt dir zu ihm ein? (lacht) Der eichendlich wieda wenicha.

Dein Lieblingssatz in Sachen bayerischer Lebensphilosopie?

Das darfst du einen Franken nicht fragen. Seit wir Franken von Napoleon 1806 zwangsbajuwarisiert wurden, hadern wir mit der bayerischen Liberalität. Ich tue mich zum Beispiel schwer mit dem inflationär zitierten Leben und leben lassen. Nicht selten ist der Satz näher an der Utopie als an der Realität.

KT, hat jeder Mensch eine zweite Chance verdient?

Ja, sicher. Selbst Schwerverbrecher nach Verbüßung ihrer Strafe. Eine andere Sache ist der Umgang mit der zweiten Chance in Deutschland. Es ist der Kultur in unserem Land nicht fremd,

Menschen die zweite Chance schwer zu machen – durch eine gewisse Neigung zum Nachtreten, zur Häme, zum Neid und zur Schadenfreude. Das tut einer Gesellschaft nicht gut. Eher ist es eine Karikatur derselben.

Hast du die zweite Chance bekommen?

Wenn du die zweite Chance in der Politik meinst – ich habe mich mit voller Überzeugung dagegen entschieden, sie zu suchen. Lieber konzentriere ich mich auf die nächste erste Chance.

Was ist die nächste erste Chance, die du nutzen willst?

Die des Augenblicks, etwa die nächsten zwei Stunden die Chance eines guten Gesprächs mit dir. Und auf gar keinen Fall ein verträumtes Think big.

Als was möchtest du den Menschen im Gedächtnis bleiben?

Hoffentlich als liebevoller Mensch, Vater und Freund; mit allen meinen Schwächen. Weniger als Projektionsfläche für Frustrationen anderer. Das muss nicht sein.

Was soll auf deinem Grabstein stehen?

Hier ruht eine Projektionsfläche.

Sehr witzig. Im Ernst?

»Ich sehe dem Tod gelassen entgegen. Manchmal lächle ich, wenn ein gut gelebtes Leben sanft zu Ende gehen darf«

Der „wahrscheinlich inspirierendste Arbeitsplatz der Welt“: Karl-Theodor zu Guttenberg liebt die Parkbänke in Paris, New York, Braunschweig und im Englischen Garten. Ein Gegengift zum Hype der Minister-Jahre

Gern etwas ganz Karges oder mit einem Augenzwinkern, vielleicht: Nun schweigt er endlich. Das hätte etwas vorauseilend Tröstliches, weil es mir die Gewissheit gäbe, dass ich bis zu meinem Ableben in der Lage war, fröhlich zu formulieren und der Demenz ein Schnippchen zu schlagen.

Wie wäre: Hier liegen all’ meine Gebeine, Ich wünschte, es wär’n deine?

Nein, so ticke ich nicht. Dieser Wesenszug, auch Vergeltung, ist mir fremd.

Kennst du den: Ein Mann besucht das Grab seines verstorbenen Freundes.

Liest: Hier ruht Samuel Goldstein, ein liebender Vater und ein ehrlicher Kaufmann. Und murmelt: Armer Schmuel, haben sie dich mit zwei Wildfremden beerdigt. Ein wunderbarer Witz und ein sehr schönes Beispiel für jüdischen Humor. Diese feine Ironie, auch Selbstironie fehlt uns heute sehr.

Wie wäre für dich: Hier ruht Karl-Theodor von Guttenberg, ein akribischer Wissenschaftler und grundsolider Politiker?

Großartig. Ich werde aus dem Sarg heraus scheppernd über die Realsatire lachen. Der Satz deckt sich mit der Beobachtung, dass nirgends so gelogen wird wie bei Grabreden und auf Grabsteinen.

Kannst du über den Tod lachen?

Über den eigenen schon, ich sehe ihm jedenfalls gelassen entgegen. Was den Tod anderer angeht: natürlich nicht. Aber manch-

mal lächle ich, wenn ein gut gelebtes Leben sanft zu Ende gehen darf. Ich mag die Erzählung über den Brandner Kaspar von Franz von Kobell: Der Kaspar ergaunert sich beim Kartenspiel mit dem Tod ein paar zusätzliche Jahre auf Erden, fügt sich dann aber der himmlischen Ordnung, wonach jeder irgendwann sterben muss.

Möchtest du ewig leben? Um Gottes willen, nein! Ein Albtraum. Am schlimmsten wäre es, wenn du nach und nach alle geliebten Menschen verlierst. Aber ein Kartenspiel mit dem Boandlkramer, dem Tod im „Brandner Kaspar“, würde mich schon reizen.

Wie war deine Kindheit mit Schloss, ohne Riegel? Nicht dem Klischee entsprechend. Ich war nicht der kleine verwöhnte Rotzlöffel aus dem Schloss. Dafür sorgte mein Vater, wofür ich ihm dankbar bin. Wir waren angesichts seines Vagabundenlebens ständig unterwegs, haben zeitweise in einer Zweieinhalbzimmerwohnung bei Neubeuern gelebt, später in einem umgebauten Bauernhaus. In Neubeuern, wo mein Vater seinen Chor hatte, war er der Guttei und nicht Baron Guttenberg. Dort habe ich den größten Teil meiner Kindheit und Jugend verbracht, bin in Rosenheim zur Schule gegangen.

Dein Vater, Baron Enoch Freiherr von und zu Guttenberg, war ein bisschen aus der Art geschlagen, ein bekannter Dirigent und ein früher und entschiedener Streiter für Naturschutz.

»Menschen

haben Dinge auf mich projiziert und in mich hineingelesen, die ich nicht erfüllen konnte. Das hat eine Flughöhe geschaffen, die einfach krank war«

»Ich habe mich in den Mahlstrom der Aufmerksamkeit ziehen lassen. Das Wechselspiel der Eitelkeiten zwischen Medien und Politik ist verführerisch«

Wieviel Papa steckt in dir?

Als Pianist bei weitem nicht genug, um darauf eine Karriere zu bauen. Als Natur- und Umweltschützer hatte er in vielen Prognosen recht. Aber ich konnte ihm nie folgen in seiner apodiktischen Haltung, dass morgen die Welt untergeht, weil der Mensch unfähig ist, sie zu schützen. Mein Vater war ein zutiefst in der Wolle gefärbter Apokalyptiker. Wenn er vor Konzerten und dem verdatterten Publikum erstmal 15 Minuten gegen die Umweltzerstörung wetterte, hat mich das als junger Mensch zuweilen peinlich berührt. Später nicht mehr.

Enoch hatte eine bipolare Störung. Das würde ich so hart nicht sagen. In meinen Augen war er wohl nahe an der bipolaren Störung. Auf jeden Fall hatte er psychische Probleme und Depressionen. Genau weiß ich es nicht, denn er hat sich nie behandeln lassen – auch nicht gegen die Depressionen. Er hatte Angst, seine Kreativität zu verlieren. Er war, und das meine ich jetzt durchaus liebevoll, ein Crazy Dude.

Ein verrückter Kerl?

Im Bayerischen würde man sagen: a wuida Hund. Er war in allen Dingen maßlos: Er konnte maßlos lieben, er konnte maßlos feiern; er verband eine große Liebenswürdigkeit mit vollkommener Unberechenbarkeit. Gleichzeitig hatte er eine Passion für Themen, die ihn bren-

nen ließ bis an den Punkt, an dem andere längst die Asche aufkehren. Das ist faszinierend – aber für Kinder, die mit ihrem Vater ohne jedes Regulativ aufwachsen, nicht immer leicht zu ertragen.

Deine Mutter Christiane, geborene Gräfin von und zu Eltz, war im Alltag nicht präsent, weil früh geschieden von deinem Vater. Wären du und dein Bruder Philipp Franz besser bei der Mutter aufgewachsen?

Meine Mutter hat sich sehr bemüht um meinen Bruder und mich, aber sie war gezwungen, es aus der Distanz zu tun. Sie musste uns nach der Trennung praktisch verlassen, diese Entscheidung haben die Eltern meiner Eltern gemeinsam getroffen. Heutzutage undenkbar. Und in der Rückschau vollkommen irre und absurd. Das war Ausdruck eines verqueren dynastischen Denkens, wonach der 29. Freiherr zu Guttenberg den 30. erzieht, also mich.

War dein Vater ein Patriarch?

Partiell. Aber mein Großvater, Karl Theodor, der CSU-Politiker und Staatssekretär bei Bundeskanzler Kiesinger, war noch ein echter Patriarch. Es war der letzte Wunsch meines sterbenden Großvaters, dass mein Vater und meine Mutter heiraten. Mein Vater Enoch hat sehr unter seinem Vater gelitten und unter dessen Leistungsdruck. Den hat er bis zu seinem Lebensende mit

Theater im Marstall, Bühnen-Eingang: KarlTheodor zu Guttenberg an einer der vielen Bühnen, hinter denen er die Welt entdeckte als ältester Sohn des Dirigenten Enoch zu Guttenberg

sich herumgeschleppt. Und weitergegeben.

An deinen Bruder und dich.

Durchaus. Allerdings auf eine seltsame Weise. Er hat seine Phasen auf Schloss Guttenberg mit übersteigertem Traditionsbewusstsein unerbittlich gelebt. Draußen in der Welt führte er hingegen das wilde Leben eines Künstlers und Bohemiens. Für mich war dieses Leben im Widerspruch eher bizarr.

Krass.

Mein Vater genügte als Künstler in den Augen seines Vaters nicht den familiären Erwartungen. Weil mein Großvater schon früh mit 51 starb, hat er die großen Erfolge seines Sohnes als Dirigent nicht mehr miterlebt. Auch dass Enoch das marode Familienunternehmen saniert

hat und dabei viel mehr Geschick bewiesen hat als sein Vater, hat Karl Theodor nicht mehr erlebt.

Warum marode?

Als mein Großvater starb, hat mein Vater zu seiner vollkommenen Überraschung kein großes Vermögen, sondern Millionenschulden geerbt. Der Großvater hatte sich hauptsächlich um Politik gekümmert und beim Vermögen auf die falschen Berater gesetzt. Mein Vater hat dann mit guter Menschenkenntnis die richtigen Leute eingebunden und einige kluge Entscheidungen getroffen. Zusammen mit zwei visionären Köpfen hat er unter anderem aus einem veralteten Kurhaus Bad Neustadt den damals größten privaten Klinikkonzern Deutschlands, die RhönKlinikum AG, gemacht.

Zu deinem väterlichen Erbe gehört wohl die Disposition zur Depression. Du warst ein Jahr in Behandlung und siehst dich heute als geheilt und nicht mehr gefährdet. Warst du schon als Wirtschafts- und Verteidigungs-Minister depressiv?

Laut späterer Diagnose war ich das wohl, ja.

Wird das Thema Depression in den Medien ausreichend behandelt?

Noch nicht mit der nötigen substanziellen Tiefe. Oftmals zu sehr – und nicht selten effektheischend – an den Einzelfällen orientiert. Statt dem Umstand Rechnung tragend, dass es sich um eine Volkskrankheit vieler Millionen Betroffener mit unzureichenden Behandlungstrukturen handelt.

Auf die Frage nach einem Comeback in der Politik antwortest du stets: Einmal versemmelt reicht. Warum eigentlich?

Weil ich es ohne Koketterie so meine.

Ein Streber warst du nie. Das Studium der Rechtswissenschaft hast du 1999 mit der Ersten Juristischen Staatsprüfung und der Note „Befriedigend“ abgeschlossen. Stimmt. Streber fand ich früher ziemlich doof. Hat sich relativiert. Die Note ist in Bayern übrigens immer noch ein Prädikatsexamen und fällt nicht vom Himmel. Zudem hatte ich nebenbei Verantwortung für das Familienunternehmen wahrzunehmen. Aber wurscht, letztlich hat es gereicht fürs Examen.

Notar hättest du damit nicht werden können. Bundeskanzler schon. Stand beides nicht auf meiner Wunschliste.

Für manche Medien warst du zum Ende der Nullerjahre der Kanzler der Herzen. Das hatte etwas von einer Manie, hast du dich anstecken lassen?

Ich habe mich in den Mahlstrom der Aufmerksamkeit ziehen lassen. Das Wechselspiel der Eitelkeiten zwischen Medien und Politik ist verführerisch. Dabei habe ich mich auf manches eingelassen, das ich heute sehr kritisch sehe. Und ich bin auch fröhlich in Fallen getappt, die einige Journalisten mir gestellt haben. Aber natürlich ist Politik ein Aufmerksamkeitsgeschäft. Entgegen der Außenwahrnehmung habe ich mich

»Es gibt viele Politiker, bei denen ich mich schon wundere, wie breitbeinig und selbstbewusst sie daherkommen angesichts der Kompetenzen, die sie haben«

aber nie wirklich wohlgefühlt darin.

Welche Rolle spielten „Bunte“, „Bild“ und „Spiegel“? Die ihrer genügsamen Selbstanschauung und kommerziellen Maximierung. Und ich bin teilweise naiv darauf hereingefallen.

Hättest du dir Kanzler zugetraut?

Die Frage hat sich für mich nie gestellt. Das klingt jetzt wie eine Standardausflucht. Aber ich ging nicht in die Politik, um Kanzler zu werden.

Aber wenn so viele im Umfeld sagen: Das ist er, unser nächster Kanzler. Macht das nichts mit dir?

Ich habe Angst bekommen vor dieser Projektion; und ich habe mich wirklich für hochgradig überschätzt gehalten. Es gibt viele Politiker, bei denen ich mich schon wundere, wie breitbeinig und selbstbewusst sie daherkommen angesichts der Kompetenzen, die sie haben.

Hast du dich schon als Minister überschätzt gefühlt?

Nein, dem Amt als Wirtschafts- und später Verteidigungsminister war ich intellektuell sicher gewachsen. Aber ich war dem politischen Geschäft, das sich damals hart und heute noch viel härter

gestaltet, körperlich und seelisch nicht gewachsen. Menschen haben Dinge auf mich projiziert und in mich hineingelesen, die ich nicht erfüllen konnte. Das hat eine Flughöhe geschaffen, die einfach krank war.

Dann kam die Plagiatsaffäre um deine Doktorarbeit. Was hast du falsch gemacht?

Alles. Vielleicht habe ich auch deswegen noch eine zweite geschrieben.

Was denkst du: Sind die heutigen Politiker den Anforderungen an sie gewachsen?

Die ehrliche Antwort lautet wohl: nein. Das liegt auch an vollkommen übersteigerten Erwartungen. Ich sehe niemanden in einer Spitzenposition, der selbst mit der notwendigen Substanz diesen genügen könnte. Der Mensch kann noch so begabt sein – weder die Zeit noch die Struktur des Politikgeschäftes lassen das zu. Die Medien haben daran eine Mitschuld, der Mensch mit seinen natürlichen Begrenzungen wird gar nicht mehr in den Blick genommen. Im Zweifel arbeiten Journalisten schon an der lustvollen Beschreibung des Scheiterns. Das wird für Politiker zu einer erheblichen Last, die sich bleischwer auf ihre Schultern legt. Und das macht sie nicht handlungsfähiger.

Ist das Land noch regierbar?

Es müssen sich in den Grundlagen des politischen Handelns Dinge fundamental ändern. Sonst gleiten wir sehenden Auges in Zustände, wie wir sie momentan noch mit einem leichten Schaudern in den USA beobachten. Fragt sich nur, ob dieses System mitsamt den Parteienstrukturen überhaupt reformierbar ist.

Wie meinst du das?

Es braucht wohl eine Zwischengeneration an Politikern, die notwendige Reformen vornimmt mit dem Bewusstsein, dafür womöglich von dankbaren Nachfolgern aus dem Amt gejagt zu werden. So ein bisschen die Agenda 2010 und Schröder auf Steroiden.

Also Realpolitik ohne Rücksicht auf die eigene Karriere?

Nennen wir es: uneigennützige Politik mit Rücksicht auf das Land und künftige Generationen.

Wäre das eine Aufgabe für dich?

Muss ich den Satz mit der Semmel noch einmal wiederholen?

Was genau bist du heute? Bei Wikipedia steht immer noch: Politiker und Lobbyist.

Bullshit – excuse my French. Es scheint beim

vermeintlich neutralen Wikipedia Menschen zu geben, die verhindern, dass Fehler korrigiert werden. Die Aussagen sind falsch. Mein Rücktritt ist 14 Jahre her. Ich bin heute unternehmerisch und publizistisch tätig. Letzteres unter anderem als Filmemacher, Buchautor und Podcaster.

Warum Podcasts?

Der Reiz am Podcasten liegt darin, die Kraft des Dialogs auf eine neue, digitale Bühne zu heben. Ein Podcast lässt es zu, jenseits gehetzter Schlagzeilen zu denken und zu sprechen. Ich war im Anfang auch zweifelnd, ob sich Podcasts durchsetzen würden. Aber heute kann ich sagen, dass sie eine der positivsten neuen Plattformen der Digitalisierung sind.

Warum mit Gregor Gysi?

Als ich 2021 aus den USA zurückkam, spürte ich, dass sich in den zehn Jahren meiner Abwesenheit etwas verändert hatte in Deutschland: die Tonalität der Gesellschaft im Gespräch mit sich selbst. Da waren plötzlich jede Menge Gift, Ablehnung, Gereiztheit und Filterblasen. Ich habe dieses Land kaum wiedererkannt. Hierzu wollten wir ein Gegenangebot schaffen in der neuen, alten Kultur des gesitteten Streitgesprächs. Versöhnlichkeit, Austausch und

Differenziertheit als eine Gesprächskultur über alle politischen Gegensätze hinweg, deshalb mit Gregor Gysi. Der Linke und der Freiherr sind sich jetzt aber öfter einig, als wir vorher dachten.

Woran liegt’s? Wahrscheinlich an unserem schlechten, opportunistischen Charakter (lacht).

Was willst du noch geschrieben, gesprochen, dokumentiert haben, bevor du in Rente gehst? Ich will nie in Rente gehen, sondern so lange arbeiten, wie es nur eben geht.

Was willst du geschrieben, gesprochen, dokumentiert haben, bevor du stirbst?

Gewiss mehr als mir der bereits genannte Boandlkramer letztlich zugestehen wird. Aber grundsätzlich richtet sich meine Neu-

gierde auf Facetten unserer Welt und Gesellschaft, die sich einer atemlosen Momentaufnahme entziehen.

Die US-KongressAbgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez trug 2021 bei der wohltätigen Met-Gala ein Kleid mit der Aufschrift „Tax the Rich“. Fühltest du dich angesprochen?

Als deutscher Steuerbürger? Kaum. Im Übrigen fühle ich mich von undifferenzierten Schlagworten linker wie rechter Populisten, egal ob AOC oder Trump, selten angesprochen. Am Grundsatz, vermögende Menschen zu besteuern, ist freilich nichts auszusetzen.

Was hältst du vom Gedanken, dass Superreiche mehr zum Gemeinwohl beitragen sollten? Das ist mir zu pauschal. Es gibt sogenannte Superreiche, die außerordentlich

viel zum Traum eines Gemeinwohls beitragen. Packen sollte man sich jene, die sich darum drücken.

Wie wäre eine Erbschaftssteuer von 25 Prozent auf alle Vermögen über zehn Millionen?

Auch hier ist mir der Pinselstrich zu breit. Wenn das Vermögen im Wesentlichen aus Betriebsvermögen besteht, sollte es vernünftige Abstufungen geben. Man kann unseren Mittelstand auch eleganter killen.

Marlene Engelhorn hat 25 Millionen Euro und damit 90 Prozent ihres BASF-Erbes über einen Bürgerrat an 77 Organisationen verschenkt. Eine gute Idee? Für sie vermutlich durchaus. Andere gründen ein Unternehmen und schaffen Arbeitsplätze. Wer bin ich, über diese sehr unterschiedlichen Entscheidungen zu urteilen.

Wenn du die Augen schließt und positiv träumst. Was siehst du dann?

Nichts. Ich habe mir das Träumen im Wachzustand weitgehend abgewöhnt. Der Verzicht auf Illusionen schont meine Nerven und die meiner Umgebung.

Wenn du die Augen aufmachst. Was siehst du dann?

Die neutrale Schönheit der Gegenwart. Sie kann per se weder negativ noch positiv sein. Dafür sorgen erst unsere Gedanken.

Was gibt dir Hoffnung?

Die letzten Sonnenstrahlen auf dieser Parkbank. Die Parkbank mag verwittern. Die Sonnenstrahlen kehren indes zurück. Ähnlich verhält es sich mit dem Menschlichen im Menschen. Hoffentlich. Jetzt habe ich doch noch ein wenig geträumt.

»Der Reiz am Podcasten liegt darin, die Kraft des Dialogs auf eine neue, digitale Bühne zu heben. Es lässt es zu, jenseits gehetzter Schlagzeilen zu denken und zu sprechen«
»Wir müssen Enttäuschungen hinnehmen. Aber wir dürfen nie die Hoffnung aufgeben«
Martin Luther King

I have a dream

77 Träumer mit Visionen für die Zukunft der Kommunikationsgesellschaft

Marion Horn arbeitet seit 2001 für „Bild“, 2013 wird sie Chefredakteurin der „Bild am Sonntag“. Seit 2023 steht sie als Vorsitzende der Chefredaktionen an der Spitze der „Bild“ –und für Turi sogar auf dem Tisch

»Wenn ich über mich selbst lese, ich sei ‚hart, aber herzlich‘ muss ich mich fast übergeben«

01 Marion Horn steht bei „Bild“ als Chefin ihren Mann und träumt von aggressiverem Journalismus

Manchmal sehe ich meine Enkelin an und beobachte fast fassungslos, mit welcher Radikalität sie sich das Wort erkämpft – selbst in einer Runde lauter Erwachsener. Wie sehr ihr klar ist: Wo ich bin, ist richtig. Das hätte ich mich als Mädchen nie getraut. Und wenn ich dieses unerschrockene Wesen so erlebe, vergesse ich kurz, wie weit wir noch immer von Chancengleichheit für Mädchen und Jungen entfernt sind, für Frauen und Männer. Dass die Amis 2024 einen „Grab them by the pussy“-Mann zu ihrem Präsidenten gewählt haben.

Wenn ich über mich selbst lese, ich sei „hart, aber herzlich“, muss ich mich fast übergeben. Da fehlen noch die Begriffe „Powerfrau“ und „die Blondine“ und wir sind in den 60er Jahren. Nur noch getoppt von Artikeln eines Mediendienstes, dessen Geschäftsmodell „Bild dissen“ ist und der nicht müde wird, den größten Dreck über mich und meinen Kolleginnen auszukübeln, Hauptsache die Abos stimmen.

Die Horn muss sich gerade melden – denken Sie das auch, wenn Sie hier lesen, dass ich von einer besseren Welt träume? Von einer Welt, in der wir uns wieder in der Sache streiten, weil der Absender egal ist. Von einer Welt, in der wir die andere Meinung nicht wegschreien, nur weil sie nicht ins eigene emotionale Gitterbettchen passt. Ich drehe jedes Mal fast durch, wenn mir beziehungsweise der „Bild“ in der digitalen Filterblase X unterstellt wird, wir würden die Grünen hassen oder stünden verlässlich an der Seite der FDP. Oder dass wir Medien schuld seien, wenn die AfD wächst. Vielleicht können sich das viele Kritiker schlicht nicht vorstellen, aber wir arbeiten wirklich unabhängig. Und wir mögen Menschen.

Kluger Journalismus bekommt selten Applaus. Natürlich nicht. Aber kluger Journalismus wie ich ihn verstehe, traut sich, sich un-

beliebt zu machen. Davon wünsche ich mir so viel mehr. Wenn die AfD in Bayern über Remigration schwadroniert, kann man durchdrehen und Petitionen unterschreiben. Oder man kann, und das wünsche ich mir, das Thema mal auf die Fakten herunterbrechen und die richtigen Fragen stellen:

Was ist falsch daran, als Gesellschaft entscheiden zu wollen, wen man im eigenen Land aufnehmen möchte und wen nicht? Dass illegale Migration abgestellt werden muss, dass rausfliegen soll, wer hier Straftaten begeht: Das sagen inzwischen alle, die Grünen, die Schwarzen, die Roten und die Gelben.

Was die AfD anders macht: Die trauen sich, auch über Konsequenzen zu sprechen. Ist diese Partei trotzdem unappetitlich und unwählbar, solange sie Höckes in ihren Reihen duldet? Natürlich. Aber ich wünsche mir, dass die wählbaren Parteien aufhören zu greinen und sich endlich um die Probleme der Bürger kümmern. Ja, auch um die Probleme der Bürger, die Frauen sind. Und weniger um die, die sich als Frauen „lesen“.

Auch ein funktionierendes Bildungssystem ist wirklich nicht zu viel verlangt. Ebenso wenig wie innere und äußere Sicherheit und genug Wohnungsbau, damit man eine Wohnung findet.

Journalismus sollte nicht konstruktiver werden, wie es jetzt so viele fordern, sondern aggressiver – im Sinne von „leidenschaftlich um die Sache streiten“. Eben mehr „Bild“ wagen. Wir dürfen Politiker, Wirtschaftsgrößen und Gewerkschaften nicht mit ihren Worthülsen entkommen lassen. Sondern müssen immer wieder fragen: Was heißt das jetzt konkret? Das kann man sich bei Markus Lanz sehr schön abgucken. Dann wächst auch das Vertrauen in uns Journalisten wieder. Natürlich auch in die Journalisten, die Frauen sind und die auch so aussehen.

Marcel de Groot ist begeisterter Fotograf. Beim Blick durch die Linse findet der CEO von Vodafone Deutschland seinen inneren Fokus

»Wir brauchen ein Software-Update für unsere Köpfe«

02 Marcel de Groot ist Chef von Vodafone Deutschland und träumt von einem Europa, das wieder an sich glaubt

Ich träume von einem Europa, das unerschütterlich zusammensteht. Das stolz auf seine Werte und Errungenschaften ist, weil uns wieder auf unsere Stärken besinnen. Ich wünsche mir, dass wir in ein paar Jahren auf die 2020er Jahre zurückschauen und sagen können: Gut, dass wir damals nicht aufgegeben haben. Gut, dass wir zusammengehalten und Europas Vielfalt verteidigt haben. Ich bin Niederländer. Und Europäer. Europa ist ein grandioses Projekt. Ich wohne mit meiner Familie in der Nähe von Amsterdam und arbeite als Deutschland-CEO im globalen Vodafone-Konzern. Für dieses Unternehmen war ich schon

in Irland tätig und habe dort gemeinsam mit meiner Frau und meinen Kindern gelebt. Mein Sohn und meine Tochter sind dort zur Schule gegangen. Sie haben Freunde gefunden und das kleine Ein-Mal-Eins gelernt. Das Leben in Irland war aufregend anders, aber es fußte auf denselben europäischen Werten.

Die Realität zeigt aber auch: Die Herausforderungen in und für Europa sind groß. Stagnation in der Wirtschaft. Krieg auf unserem Kontinent. Die Nachrichten, die uns in diesen Monaten erreichen, machen nachdenklich. Zuversicht ertränken wir in Zynismus, Selbstvertrauen ersticken wir in Spott. Wir lieben es, uns selbst zu kritisieren, haben aber

verlernt, uns zu loben. Wir suchen vergeblich nach dem Wörterbuch, das Herausforderungen in Chancen übersetzt. Ich sehe viele starke Meinungen, aber kaum noch Bereitschaft zu Kompromissen. Wenn Europa auch in Zukunft funktionieren soll, müssen wir jetzt etwas ändern. Die gute Nachricht: Das ist möglich – wenn wir uns trauen, die Perspektive zu wechseln und unser inneres Objektiv auch für unsere Stärken zu schärfen.

Das Wichtigste, was ich meinen Kindern täglich mit auf den Weg gebe: Schaut nach vorne, auf das, was kommt. Mit dem entsprechenden Weitwinkel. Denn die Zukunft gehört denen, die an sie glauben.

Foto: Julia Meyer/Vodafone

Europa ist genau dieser Blick nach vorne zuletzt abhandengekommen. Wir schauen gerne in den Rückspiegel, aber nur noch selten durch die Frontscheibe. Dabei ist diese so viel größer. Wir brauchen ein Software-Update für unsere Köpfe, müssen wieder Mut und Optimismus auf unsere Festplatte aufspielen. Damit wir wieder an uns und unsere Zukunft glauben. Nur so kann sie auch eine erfolgreiche werden. Europa ist nicht krank, sondern erkältet. Wir müssen es jetzt möglichst schnell wieder fit machen.

Streiten tut gut und ist wichtig. Für jede Beziehung, für jede Familie – und für jede Gemeinschaft. Auch für Europa. Wo gestritten wird, gibt es oft eine gute Lösung. Weil man ausspricht, was man denkt, sich mit Schwächen der eigenen Positionen auseinandersetzt und Kompromisse macht. Aber Streiten funktioniert nur dann, wenn wir auch wirklich eine Lösung finden wollen. Die unterschiedlichen Meinungen und Perspektiven waren lange unsere große Stärke in Europa. Zuletzt sind wir egozentrisch geworden. Ob Energiewende oder das Verbrenner-Aus: Bei vielen großen Fragen beharren wir alle stur auf unserer Meinung. Wir beenden Diskussionen ohne Konsens, um anschließend unsere Fäuste in den Hosentaschen zu ballen. Wir müssen dringend wieder lernen, zu streiten – und einander zu verzeihen. Wir brauchen wieder Offenheit für die Argumente der anderen, statt uns von vornherein dagegen zu verschließen. Denn unsere Vielfalt kann unser größter Vorteil im Wettbewerb um die globalen Spitzenplätze sein. Machen wir jetzt den Anfang. Beginnen wir, die Schalter in unseren Köpfen umzulegen. Treffen wir mutige Entscheidungen, weil wir sie uns zutrauen. Streiten wir mit dem Ziel, uns zu versöhnen und einen gemeinsamen Weg einzuschlagen. Stehen wir ein für ein vielfältiges Europa. Damit wir in ein paar Jahren sagen können: Gut, dass wir begonnen haben, Europa wieder stark zu machen.

03

Gabriele Hässig

kommuniziert für Procter & Gamble und träumt vom Kampf gegen den Klimawandel

Wenn ich die Augen schließe und mir die Zukunft vorstelle, sehe ich eine Welt, in der Klarheit und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen. Eine Welt, in der wir nicht nur die Herausforderungen des Klimawandels erkannt und verstanden haben, sondern auch entschlossen handeln, um sie gemeinsam zu bewältigen. Ich habe also Mut zur Utopie. Worauf basiert dieser Mut?

Zum einen wurde ich während einer Reise nach Grönland Zeugin der dramatischen Veränderungen, die der Klimawandel mit sich bringt. Der EqiGletscher, ein beeindruckendes Naturphänomen, schmilzt mit einer Geschwindigkeit, die ich mir zuvor nicht hatte vorstellen können. Früher knackte dieser gigantische Eisblock zweimal am Tag – heute ununterbrochen. Die Geräusche des Schmelzens werde ich nie vergessen.

Zum anderen bestärkt mich besonders eines unserer Projekte bei Procter & Gamble: Unsere Initiative #Wirdrehenrunter zeigt – in Zusammenarbeit mit dem WWF Deutschland und Ariel – wie kleine Veränderungen im Alltag große Auswirkungen haben können. Mit dem Ziel, die Waschtemperatur in Deutschland bis 2025 um 3°C zu senken, sind wir losgelaufen. Die Daten zeigen: Wir machen Fortschritte. Bis heute haben viele Menschen, die kalt waschen, über 115.000 Tonnen CO2 eingespart. Das ist ein Beweis dafür, dass gesellschaftliche Verhaltensänderung möglich ist, wenn den Menschen bessere Lösungen angeboten werden. Denn Kaltwaschen spart nicht nur Energie und damit CO2-Emissionen, sondern auch Geld – und lässt Wäsche länger schön aussehen. Außerdem wird die Wäsche mit modernen

Waschmitteln, die über kaltwaschaktive Formulierungen verfügen, richtig sauber. Unsere Strategie bei P&G ist es, ökologische Nachhaltigkeit tief in unsere Geschäftsprozesse zu integrieren und bessere, nachhaltigere Leistungen anzubieten. Wir setzen auf innovative Verpackungslösungen, reduzieren unseren CO2-Fußabdruck und arbeiten eng mit Partnern zusammen, um eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft zu schaffen. Für die Dekade bis 2030 wollen wir klimaneutral arbeiten, bis 2040 NetZero erreichen.

Diese Ziele sind ehrgeizig, aber notwendig. Die Zukunft ist nicht in Stein gemeißelt. Mit einem klaren Blick und klugem Handeln können wir eine gute Zukunft gestalten. Lassen Sie uns gemeinsam hinschauen, einander offen zuhören und mit Zuversicht nach vorne blicken und handeln. Dicke Bretter, die wir da bohren müssen? Gewiss. Aber warum sollte uns das davon abhalten, loszulegen?

Gabriele Hässig ist Geschäftsführerin Kommunikation und Nachhaltigkeit für Procter & Gamble DACH

»Was du tust, macht einen Unterschied, und du musst entscheiden, welche Art von Unterschied du machen willst«
Jane Goodall

04 Tristan Horx ist der Sunnyboy unter den Zukunftsforschern und träumt von wütendem Optimismus

Ist das Glas halb voll oder halb leer? Sorry, ich hab es zerschlagen. Ich habe es satt: Die Gretchenfrage der Moderne – Wie hast du’s mit der Zukunft? –kategorisiert uns in Optimisten und Pessimisten. Ich will aber weder das eine noch das andere sein. Die „Good Vibes only“-Bewegung, bei der das eigene „Mindset“ (diesen Begriff kann ich nicht mehr hören) positiv sein muss, egal wie schrecklich die Lage: stehen geblieben. Der funktionale Pessimismus, bei dem man alles schlecht sieht, weil man dann nicht enttäuscht werden kann: schon viel zu Mainstream. Ich wünsche mir einen neuen, einen wütenden Optimismus. Das grundlegende Problem ist, dass wir uns gerade in einer – vorsichtig gesagt – schwierigen Phase der Menschheit befinden. Zum ersten Mal gehen viele Indikatoren wie Lebenserwartung, Todeszahlen durch Kriege und Wirtschaftswachstum ins Negative. Vor 9/11 war die Welt irgendwie noch heil, Mauerfall, liberale Demokratie ersetzen Autokraten, die Wirtschaft boomte. Das Internet versprach, uns alle zu verbinden. Friede, Freude, Eierkuchen: Fortschritt, soweit wir blicken konnten. Die tolle Zeit des Aufschwungs scheint nun zu Ende, und es tut weh. Vor allem die junge Generation wundert sich, was aus all den Versprechen geworden ist. Wir befinden uns in einer Omnikrise, in der sich die Gefahren gegenseitig verstärken und potenzieren: Kriege befeuern Wirtschaftskrisen; die führen zu Panik und Zwietracht. Die Vereinsamung der Gesellschaft führt zur Diskursunfähigkeit. In unserem an Profit orientiertem digitalen sozialen Raum hat das den gesellschaftlichen Diskurs in eine Ekelhaftigkeit verwandelt, die mich zum Kotzen bringt. Natürlich stürzen sich jetzt die Apokalyptiker auf die Lage, versuchen daraus Profit zu ziehen. Im Grunde eine monetarisierte Form des Pessimismus – follow the mo-

»Es ist so einfach und vor allem dankbar, alles schlecht zu reden«

ney. Jammern ist eine Spitzensportart im deutschsprachigen Raum. Alle finden es geil, sich darüber zu beschweren, wie schrecklich alles ist. Die Social-Media-Konzerne verstärken diesen Diskurs, beuten ihn aus und werden stinkreich. Alles gut im Abendland.

NEIN! Da mache ich nicht mehr mit. Es gilt, dem ewigen Jammern etwas entgegenzusetzen. Die Versuche, einen neuen Optimismus zu finden, haben entweder in Selbsthilfe-Gurus oder einem medialen Totalschaden gemündet. Der Weltuntergang ist in einer Aufmerksamkeitsökonomie, die auf Erregung basiert, einfach zu sexy. Aufzuzei-

Tristan Horx widmet sich als Speaker und Autor der Zukunft. Statt des süßen Gifts des Pessimismus schlürft er lieber Kirsch-Bananensaft

gen, was alles möglich ist und wie weit wir es schon geschafft haben, ist eine Form des zivilen Ungehorsams geworden.

Wir brauchen dringend einen neuen Optimismus – einen WÜTENDEN. Einen Optimismus, der etwas aushält. Der sich nicht bei jeder Gelegenheit verunsichern lässt. Der nicht jedes Weltuntergangsgerücht nachplappert und dadurch verstärkt, sondern dagegen ankämpft. Es ist einfach und vor allem dankbar, alles schlecht zu reden. Denn es zieht einen selbst aus der Verantwortung, daran irgendetwas zu verändern. Die Pessimisten haben es viel einfacher – genau deswegen sollten wir uns gegen sie wehren. Weigern wir uns, gemeinsam, das süße Gift der kollektiven Weltuntergangspropheten zu schlürfen. Und setzen wir auf etwas, das uns weiterbringt: aufgeklärte Zuversicht.

05 Tijen Onaran ist Netzwerkerin und Unternehmerin und träumt von der Kraft der Worte

Seit einem Dienstag im November träume ich von Worten mit Wirkung. Die verbinden, Mut machen, Halt geben. Die herausstechen aus dem Grundrauschen der Kommunikationsgesellschaft und die Kraft haben, ein Leben zu verändern.

Dienstag, 19. November 2024. Obwohl die Woche noch nicht alt ist, bin ich abgehetzt und abgenervt. Von mir selbst und von der Gesamtsituation. Die Ampelkoalition gibt Neuwahlen bekannt, die Wirtschaft kämpft an allen Ecken und Enden. Ich merke, wie ich kurz davor bin, mich in Selbstmitleid und „Alles ist doof“-Arien zu verlieren.

Da spricht mich eine junge Frau an: „Entschuldigung, bist du nicht Tijen?“ Ich nicke. Und sie beginnt, ihre Geschichte zu erzählen. Wie sie den Mut entwickelt hat, eine Ausbildung zur technischen Assistenz zu machen. Alle hätten ihr abgeraten. Ihre Familie hätte sich wegen ihrer

beruflichen Pläne von ihr abgewandt. Sie hätte den Ausbildungsplatz fast abgesagt, weil niemand so recht an sie glauben wollte.

Dann ist sie über mich gestolpert, in einem Podcast. Uns würde auch der Aspekt verbinden, dass sie ebenfalls türkische Migrationsgeschichte hat. Ich merke, wie ich mit den Tränen kämpfe. Denn da steht eine junge Frau vor mir, die erzählt, dass ein bloßes Podcast-Interview ihr den Mut gegeben hat, ihre Ziele zu verfolgen. Alles andere – meine eigenen Herausforderungen, meine Genervtheit, mein hoher Anspruch an mich selbst – erscheint mir dagegen auf einmal so klein.

Die junge Frau öffnet ihr Notizbuch und zeigt mir zwei Sätze, die ich gesagt habe und die sie sich aufgeschrieben hat: „Was du nicht veränderst, wählst du“ und „Hab den Mut, Du selbst zu sein!“ Ich sehe ihr Strahlen, ihre Lebensenergie, ihre Motivation.

Tijen Onaran, Investorin und Kommunikations-Profi, sitzt bei Vox in der „Höhle der Löwen“ und talkt für den „Focus“ mit Politik- und Wirtschaftsgrößen über Mut

Da spüre ich es wieder: Worte zeigen Wirkung. Sie schaffen Hoffnung und geben Halt in unsicheren Zeiten. Wir in der Kommunikationsbranche, die wir den Einfluss und die Möglichkeiten haben, Menschen zu erreichen mit jedem Wort, das wir schreiben oder sagen, können anderen Mut machen. Für 2025 wünsche ich mir von uns allen, dass wir uns der Macht des Wortes wieder bewusst werden: ob in schnellen Social Media Posts, längeren Streitgesprächen, Präsentationen oder am Familientisch. Vor dem Hintergrund einer neuen politischen Weltordnung, Neuwahlen in Deutschland und eines Diskurses, den es auch auszuhalten gilt in unserer Gesellschaft, appelliere ich an unser aller Diskursfähigkeit.

Jeder und jede von uns kann sich fragen: Welcher Satz hat mein Leben verändert? Und: Mit welchem Satz werde ich das Leben von anderen verändern?

Foto: Andrea
Heinsohn

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06 Franziska Fey spielt für die DFL-Stiftung im Sturm und träumt von Teambuilding

Wenn ich die Augen schließe, sehe ich unsere Gesellschaft als Team. Als ein richtig gutes. Eines, das über sich hinauswächst, wenn es schwierig wird. Das auf Zusammenspiel setzt und an gemeinsamen Erfolg glaubt. Wir als Stiftung kommen aus dem Fußball. Im Sport besteht ein gutes Team aus Individuen mit unterschiedlichen Talenten, die nicht für sich allein kämpfen, sondern zusammen auf ein Ziel hinarbeiten. Das braucht Übung, Vertrauen, Kommunikation und Einsatz. Die Bereitschaft, sich auch mal zurückzunehmen, den Ball abzugeben, um im nächsten Moment wieder nach

vorne zu stürmen und Verantwortung zu übernehmen.

Ein gutes Team weiß um seine Stärken und lässt sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen, wenn es von Gegnern provoziert oder medial abgeschrieben wird. Ein gutes Team braucht keine Dauerharmonie. Es fordert sich gegenseitig heraus und weiß, was es sich zumuten kann.

Mich bewegt dabei die Frage, wie wir die Potenziale aus dem Sport für unsere Gesellschaft nutzen und als Team erfolgreich sein können. In Stiftungssprache übersetzt: Ich träume von collective impact und radical collaboration für eine bessere Zukunft. Davon, dass wir stärker zusammenwirken und uns fragen, wen wir eigentlich zu oft auf der Ersatzbank sitzen lassen. Etwa die große Gruppe junger Menschen, die im Dauerkrisenmodus aufwächst, sich häufig nicht gehört fühlt und deren Zukunftsvertrauen insgesamt gesunken ist. Fast ein Viertel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland ist von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Für Zusammenhalt und eine starke Demokratie bedarf es aber der Teilhabe aller.

In der DFL-Stiftung haben wir dieses Jahr ein Jugendgremium ins Leben gerufen, das inspiriert und begeistert. Jugendliche aus ganz Deutschland, die sich vorher nicht kannten, haben zunächst die Verantwortung übernommen, 250.000 Euro für Projekte zu vergeben,

»Für den Sport wie für unsere Demokratie gilt: Wer richtig gut sein will, muss trainieren«

die ihnen wichtig sind. Sie investierten dieses Geld in Initiativen, die ein aktives, gesundes Aufwachsen sowie den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern. Inzwischen beraten sie uns in unserer Arbeit und eröffnen uns neue Perspektiven.

Für den Sport wie für unsere Demokratie gilt aber auch: Wer richtig gut sein will, muss trainieren. Wir fördern daher bundesweit die politische Bildung Jugendlicher und vermitteln ein Verständnis für Teamgeist, Vielfalt und Respekt –offline und zunehmend online.

Auf Plattformen wie TikTok erreichen wir junge Menschen dort, wo sie sind. Dabei setzen wir auf Infotainment gepaart mit klaren Botschaften gegen Hass und für ein solidarisches Miteinander. Ein neues Spielfeld erfordert eine neue Taktik.

Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die insbesondere junge Menschen unterstützt, ihnen Verantwortung überträgt und sie konsequent an den Themen beteiligt, die ihre Zukunft bestimmen.

Also: Schließt mit mir die Augen. Gemeinsam können wir dieses Team sein und den Herausforderungen unserer Zeit mit der Zuversicht des Gelingens begegnen.

Franziska Fey ist Vorstandsvorsitzende der DFL-Stiftung. Die gemeinnützige Organisation der Deutschen Fußball Liga fördert soziale Projekte für Kinder und Jugendliche

Florian Hager führt die ARD in die Zukunft und träumt von irritierenden Begegnungen

07

Das mit dem „In-die-Glaskugel-Schauen“ ist nicht so mein Ding. Wenn ich die Augen schließe und mir die Zukunft vorstelle: weißes Rauschen. In dem Moment, der bei mir 2024 einem Blick in die Zukunft am nächsten kam, waren meine Augen weit geöffnet: Ja, auch ich hatte wieder einmal eine dieser VR-Brillen auf. Auch wenn ich nie und nimmer mit so einem Teil draußen rumlaufen würde. Aber: Wir neigen ja alle dazu, die kurzfristige Wirkung von Innovationen zu überschätzen und ihre langfristigen Folgen zu unterschätzen.

Das Ding funktioniert leider richtig gut. Nicht nur, indem es virtuelle Sinneseindrücke schafft, die das Gehirn als echt erlebt – das sieht man mir auf dem Foto ja an. Es verbindet diese auch mit weiteren Möglichkeiten der Mensch-Maschine-Schnittstelle, also mit Sprache und Gesten. In Zukunft geht das wohl auch ohne diesen Kühlschrank vor Augen, ganz einfach mit einer Kontaktlinse. Und die Bilder dazu werden fotorealistisch von einer KI generiert. Ob mein Gehirn dann im Nachhinein noch unterscheiden kann, was ich virtuell oder wirklich erlebt habe, wage ich zu bezweifeln.

Was mich aber nach dem Absetzen der Brille noch mehr beschäftigt hat: das Gefühl, in einer eigenen

»Die Menge an gut verpacktem, gefährlichem Schwachsinn aller Art wird zugeschnitten auf jeden Einzelnen und unendlich groß werden«

Welt gewesen zu sein – obwohl ich ja weiter aktiv Teil der echten war. Wenn dann noch der Heilige Gral von Medien und Marketing, die datenbasierte Personalisierung, hinzukommt: Dann schaffe ich mir in Zukunft vielleicht meine eigene Welt, meine eigene Realität im echten Leben.

Desinformation wird dann durch KI erst richtig zur Blüte kommen. Die Menge an gut verpacktem, gefährlichem Schwachsinn aller Art wird zugeschnitten auf jeden Einzelnen und unendlich groß werden. Was macht das mit unserer Gesellschaft? Wir tun uns ja jetzt schon schwer, mit immer komplexeren Herausforderungen umzugehen. Einfache Antworten gibt es nicht mehr, statt einem „entweder oder“ steht viel häufiger ein „sowohl als auch“. Das zu akzeptieren fällt schwer. Und es entspricht nicht der Logik der in Plattformen integrierten Algorithmen.

Wenn ich an die Zukunft denke, mache ich mir Sorgen ums Vertrauen: Studien zeigen, dass Menschen sich gegenseitig als immer egoistischer wahrnehmen und um den sozialen Zusammenhalt besorgt sind, während sie dies den anderen aber absprechen. Begegnungsorte wie Sportvereine, Marktplätze, öffentliche Schwimmbäder und durchmischte Wohnviertel verschwinden. Wir begegnen deshalb seltener Menschen, die uns „demokratisch irritieren“, wie der Soziologe Rainald Manthe das nennt. Die Folge ist wachsendes Misstrauen und das, was sein Kollege Hartmut Rosa eine Krise der „positiven Weltbeziehung“ nennen würde.

Wir sollten uns immer wieder daran erinnern, dass wir alle unterschiedliche Erfahrungen mitbringen. Dass Demokratie nicht bedeutet, dass jede und jeder mit allem einverstanden ist. In der Demokratie sind Entscheidungen immer eine Folge von Diskussionen, Kompromissen und Kooperationen. Wir müssen die Menschen in die Lage

Florian Hager ist Intendant des Hessischen Rundfunks und seit 2025 ARD-Vorsitzender. Trotz Virtueller Realität vor Augen glaubt er an analogen Austausch

versetzen, sich eine Meinung bilden zu können. Zum Nachdenken und Diskutieren anregen, gemeinsamen Gesprächsstoff anbieten, Brücken bauen. Wir müssen Orte sowohl im digitalen als auch im echten Leben verteidigen und neu schaffen, in denen sich Menschen informieren und austauschen können, ohne konsumieren oder bezahlen zu müssen – und sei es nur mit ihren persönlichen Daten.

Dafür braucht es künftig mehr denn je im Digitalen ein breites und attraktives Netzwerk von Verlagen, privaten und öffentlich-rechtlichen Medienhäusern. In einer Welt, in der ein Misserfolg als Scheitern, als Versagen, gesehen wird, fehlt uns oft der Mut, Neues auszuprobieren. Diesen Mut wünsche ich mir – für die Zukunft, aber eigentlich schon für die Gegenwart.

08 Bascha Mika ist eine der wichtigsten feministischen Stimmen

Deutschlands und träumt von Entführungen auf einsame Inseln

Niemand achtete auf die Tauben. Vögel wurden nicht überwacht. Eine kleine Schar hatte sich unbemerkt auf dem Dach des Präsidentenpalastes niedergelassen, entledigte sich ihres Tarngefieders und drang geschickt in das Gebäude ein. Der Präsident war dort, wohin ihn niemand begleitete. Irritiert schaute er auf die Handvoll kleiner Roboter, die ihn umzingelte. „Verdammt, was wollt ihr R2-D2-Komiker denn hier...“ Er wollte fluchen, kam aber nicht mehr dazu. Sanft und schnell verschnürten ihn die Maschinchen zu einem handlichen Paket. Kurz bevor die Betäubungsspritze zu wirken begann, hörte er ein Flüstern im Ohr: „Your body, our choice.“

Zehn Jahre lag die Wiederwahl von Donald Trump nun zurück. Angestachelt von seiner Propaganda hatte eine Welle von Hass und Gewalt die westlichen Länder überrollt. Opfer waren Mädchen, Frauen und die queere Community. Die Rechte von Frauen und Minderheiten wurden systematisch vernichtet. Autokratische und despotische Regime bedankten sich für die Unterstützung ihrer Misogynie. Was ein rechtsextremistischer Influencer nach Trumps Sieg gepostet hatte – „Your body, my choice!“ – avancierte weltweit zum Schlachtruf einer brutalisierten Männerherrschaft. Höhnisch wurde er jeder Frau entgegengeschleudert, die geprügelt, vergewaltigt, getötet wurde.

Das Frauennetzwerk aufzubauen war zwingend. Bei internationalen Konferenzen hatten IT-Expertinnen einen Pakt geschlossen, einen Plan entwickelt und eine Erklärung verfasst. Die kursierte seitdem im feministischen Darknet: „Manifest der Gesellschaft zur Rettung der

»Die Hölle, das waren die anderen«

Bascha Mika ist gelernte Bänkerin, war Chefredakteurin der „taz“ und der „Frankfurter Rundschau“ und ist heute feministische Publizistin

Männer“. Aktivistinnen aus allen Teilen der Welt hatten sich angeschlossen. Angst vor Verrat hatte niemand, keine Frau wurde mehr ernst genommen.

Die Mission: Alle, die für Unterdrückung und Frauenhass standen, aus ihren politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Spitzenämtern zu entfernen und durch feministische Akteurinnen ersetzen. Die Losung: „Your body, our choice!“

Inzwischen war ein Flugobjekt, das nicht vom Radar erfasst wurde, auf dem Dach des Präsidentenpalastes gelandet und nahm das Paket in Empfang. Im Palast saß nun ein Humanoide in Gestalt des ehemaligen Präsidenten. Er war darauf programmiert, die Regierungsarbeit

systematisch umzubauen und die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung umzusetzen, die die UN 2015 beschlossen hatte. Die Rechte von Frauen und Minderheiten waren dabei zentral. Sobald männliches Dominanzstreben im Bewusstsein der Bevölkerung zu etwas Lächerlichem wurde, würde der Humanoide verschwinden.

Viele Stunden und tausende Kilometer später wurde das Paket über einer Insel abgeworfen. Dort befand sich bereits eine erkleckliche Anzahl zwangsverschickter, testosterongeschädigter Schurken; Schurkinnen fehlten, aber einige würden sicher noch dazukommen. Jenseits ihrer Entmachtung war den Entführten nichts geschehen, doch auf der Insel gab es nur sie und von dort kein Entkommen. Die Hölle, das waren die anderen.

Hatten sie allen Ernstes geglaubt, Frauen beherrschen zu können? Was für eine dumme, dumme Idee.

HE HAD A DREAM.

1949 gründete Verleger Hans Holzmann die erste Wirtschaftszeitung für das bayerische Handwerk. Auflage: 200.000 Exemplare

507.459 verkaufteExemplare (IVW3/2024)

75 Jahre später ist die DHZ Deutschlands größte Wirtschaftszeitung für den Mittelstand Handwerk www.dhz.net

Beim Laufen finde ich die Zeit, den Blick in die Ferne zu richten und meine Gedanken schweifen zu lassen. Schritt für Schritt entfaltet sich vor mir eine neue Welt. Eine, in der Journalismus und Technologie eine Symbiose eingehen, die weit über das hinausgeht, was wir heute kennen. Künstliche Intelligenz war der erste Schritt – aber was kommt danach?

Die Art und Weise, wie wir Informationen suchen, verarbeiten und verbreiten, wird sich grundlegend verändern. Und es ist an uns, diese Veränderung aktiv zu gestalten.

Meine Vision? Eine Kommunikationsgesellschaft, in der Diversität nicht nur ein Schlagwort, sondern gelebte Realität ist. Ich träume von einem Journalismus, der lokal verwurzelt bleibt und dennoch die

Möglichkeiten neuer Technologien vollständig ausschöpft. Ein Journalismus, der über alle Kanäle hinweg zugänglich ist – sei es in der realen Welt, im Web3 oder in einer noch nicht erdachten, virtuellen Realität. Wir stehen vor der Aufgabe, nicht nur Inhalte zu liefern, sondern auch Räume zu schaffen, in denen sich Menschen sicher fühlen, ihre Meinungen zu äußern und ihre Perspektiven zu teilen.

Ein Projekt, das mir besonders am Herzen liegt, ist die Integration von KI und diversitätssensiblen Inhalten. Mithilfe intelligenter Technologien können wir nicht nur personalisierte Nachrichten anbieten, sondern verschiedenen Stimmen und Perspektiven Gehör verschaffen. Doch das ist nur der Anfang. Was wäre, wenn wir in naher Zukunft durch immersive

Formate, wie dem Metaverse, völlig neue Erlebnisräume für den Journalismus schaffen könnten? Wenn wir Nachrichten nicht nur lesen oder sehen, sondern sie erleben, fühlen und darin eintauchen können?

Wir müssen uns dabei nicht nur fragen, wie wir das technisch am besten umsetzen. Sondern wir müssen gleichzeitig auch sicherstellen, dass unsere Werte von Transparenz und Vielfalt in diesen neuen Räumen bewahrt bleiben. Wir stehen vor der Aufgabe, Vertrauen in eine zunehmend digitalisierte Welt zu schaffen – das ist die Herausforderung, aber auch die große Chance. Denn eines ist sicher: Die nächste große Transformation wird nicht von Maschinen allein getrieben, sondern von der Menschlichkeit und der Kreativität, die uns alle antreibt.

09 Eva-Maria Bauch bringt Medien auf Trab und träumt von Nachrichten zum Eintauchen

Eva-Maria Bauch ist CEO der Mediengruppe Oberfranken. Als Diplom-Informatikerin und Medienmanagerin bringt sie Technologie und Journalismus in Gleichschritt

10 Wladimir Kaminer erzählt Geschichten und träumte mal von einem Morgen, der nie kam

Die erste Hälfte meines Lebens habe ich, wie alle Einwohner der Sowjetunion, in der Zukunft verbracht. Das erklärte Ziel unseres Landes war der Aufbau einer kommunistischen Zukunft. Für die Gegenwart gab es nicht einmal einen Namen, offiziell galt die Gegenwart als Übergangszeit in die helle Zukunft, an deren Existenz niemand zweifeln durfte.

Aus der Sicht der marxistischen Dialektik war die kommunistische Zukunft nämlich historisch unausweichlich – ganz egal, wie die Übergangsmenschen agieren würden. Sie konnten natürlich versuchen, die Zeit auszubremsen oder umgekehrt zu beschleunigen. Doch am Ende sollte der Kommunismus sein. Deswegen wurden unsere Dissidenten, die an der Zukunft zweifelten und den Staat kritisierten, nur selten in den Knast und meistens in die Klapse gesteckt, in die Psychiatrie. Aus der Sicht des Staates konnte nur ein Verrückter an der Zukunft zweifeln. Und deswegen machten sich unsere Regierenden auch keine Sorgen, was die leeren Regale in den Lebensmittelläden betraf, das waren doch alles „vorübergehende Schwierigkeiten“. Das ganze Land befand sich auf einer Zeitreise ohne Halbpension unter dem Motto: „Volle Kraft voraus in die Zukunft, unterwegs wird nicht gegessen“. Meine Landsleute und ich haben diese Zukunft nie persönlich kennengelernt, wir kannten sie bloß aus sowjetischen Science-Fiction-Romanen und Propaganda-Filmen. Die Menschen auf

»Auf die Zukunft ist wirklich kein Verlass«

Wladimir Kaminer ist BestsellerAutor und Kolumnist. Spätestens seit seinem Debüt „Russendisko“ gilt er als Experte für Wodka – trinkt aber eigentlich lieber Wein

der Leinwand sahen stets sehr zufrieden aus, sie mussten sich keine Sorgen um ihre Existenz machen. Es waren glückliche Arbeitslose, die ihre ganze Zeit der kreativen Entfaltung der eigenen Persönlichkeit widmeten. Sie sangen, tanzten und lachten.

Überall in unserem Land, an jedem öffentlichen Gebäude, auf jeder Metro-Station hingen große Uhren, die uns zeigen sollten, dass es schnell voran geht. Diese Uhren zeigten unterschiedliche Zeiten. Die größte Uhr befand sich am Kremlturm und wurde jeden Abend als Hintergrund bei den Abendnachrichten gezeigt, in einer Nachrichtensendung, die „Die Zeit“ hieß. Im Radio folgte jede Stunde eine Zeitansage, die nicht weniger als fünf Minuten dauerte. Die Sowjetunion, genau wie das heutige Russland,

hatte elf Zeitzonen und nur einen Radiosender, die Zeit musste daher für verschiedene Gebiete extra angesagt werden.

Ich lebte in Moskau. Kurz vor 15 Uhr war ich mit der Schule fertig, konnte endlich meine Schuluniform ausziehen und den Ranzen in die Ecke schmeißen, der Höhepunkt des Tages! Jedes Mal, wenn ich kurz nach 15 Uhr nach Hause kam, hörte ich im Radio den Rest der Zeitansage. Eine Frauenstimme sagte mir, dass es auf Kamtschatka gerade Mitternacht war. Als Kind dachte ich, dort auf Kamtschatka ist immer Mitternacht. Ich war nie auf Kamtschatka. Kamtschatka war so weit weg wie Kommunismus. Aber diese Kindheitserinnerung ist für immer in meinem Kopf geblieben: Dass es ein solches Land gibt, Kamtschatka, ein Land der ewigen Mitternacht.

Die Zukunft, von der man uns erzählte, trat nie ein, der Morgen kam und kam nicht, heute scheint das Land für immer in einem nie enden wollendem Gestern stecken geblieben zu sein. Auf die Zukunft ist also wirklich kein Verlass.

11 Düzen Tekkal ist

Menschenrechtsaktivistin und träumt von Deutschland ohne German Angst

I»Deutschland schafft sich ab, wenn wir nicht auf Einwanderung und Diversität setzen«

ch träume von einem Deutschland als Einwanderungsland der Zukunft. Mit einem starken Sozialstaat und fairen Löhnen, von denen Menschen leben können! Ich habe ein Deutschland der Vielen vor Augen, in dem Möglichkeitsinseln für Menschen geschaffen werden, in dem Innovationen vorangetrieben werden, in dem Arbeit auch als identitätsstiftender Faktor im Leben von Menschen wertgeschätzt wird. Ein Deutschland, in dem wir uns nicht in Debatten der Zugehörigkeit und Kulturkämpfen verwickeln, die uns auseinanderdividieren. Mit unserer Initiative „GermanDream-Job“ möchten wir uns in 2025 weiter für einen Mentalitätswandel einsetzen und noch mehr dafür tun, dass Deutschland zu einem Sehnsuchtsort für Fachund Arbeitskräfte aus dem Ausland wird.

In der „FAZ“ meldete sich kürzlich der Arzt Cihan Celik zu Wort: „Für mich ist es unvorstellbar, in Ostdeutschland zu arbeiten.“ Er könne sich überall mit einer Praxis niederlassen, aber Gegenden, in denen er als „Pass-Deutscher“ beschimpft wird, kämen nicht in Frage. Und ich dachte: Genau! Warum auch? Wer lässt sich das gefallen? Was für Celik gilt, gilt auch für potenzielle Arbeitskräfte aus dem Ausland. Dort registriert man nicht nur den gesellschaftlichen Rechtsruck, sondern auch die überbordende Bürokratie und die Sprachhürde Deutsch. Mit Blick auf die demografische Entwicklung sollte uns das zu denken geben. Der Ökonom Marcel Fratzscher hat vorgerechnet: Bis 2035 werden etwa

Düzen Tekkal arbeitet als Journalistin, Kriegsreporterin und Filmemacherin, bevor sie die Hilfsorganisation Háwar.help und die Bildungsinitiative GermanDream gründet

fünf Millionen Menschen mehr in Rente gehen, als junge Arbeitskräfte nachkommen. Wer soll die Rente der Babyboomer bezahlen? Bleibt es bei der Schieflage, werden die Reallöhne sinken und die Lohnnebenkosten explodieren. Das heißt nichts weniger als: Deutschland schafft sich ab, wenn wir nicht auf Einwanderung und Diversität setzen. Allerdings müssen wir gerade feststellen: Kaum jemand hat mehr Lust auf Deutschland.

Selbst bei einer konservativen Rechnung werden pro Jahr mindestens 500.000 zusätzliche Arbeitskräfte aus dem Ausland und eine Einwanderung von knapp einer Million Menschen benötigt, um die Babyboomer-Lücke zu füllen. Selbst wenn all jene Eingewanderte, die bereits hier sind, in Arbeit kämen, würde das kaum helfen.

Ich bin sehr stolz, dass wir dieses Jahr mit „GermanDream-Job“ ein Stück Utopie in Berlin verwirklicht haben: Eine Messe, auf der wir Arbeitssuchende mit Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen zusammengebracht und uns über die Zukunft der Einwanderungsarbeitsgesellschaft ausgetauscht haben. Im Sommer ist außerdem der erste Jahrgang unserer Journalismus-Stipendiaten im Rahmen unserer Kooperation mit dem Berliner „Tagesspiegel“ gestartet: Drei jungen Leuten mit Einwanderungshintergrund und Marginalisierungserfahrungen ermöglichen wir ein Praktikum beim „Tagesspiegel“ und bei GermanDream. Außerdem haben wir damit begonnen, im Unternehmen L’Oréal Mitarbeitende zu Mentoren und Mentorinnen weiterzubilden. Sie sollen sich dem Thema Inklusion und Diversität innerhalb des Konzerns annehmen.

Das Deutschland der Vielen muss keine bloße Utopie bleiben. Ich wünsche mir mehr Mut statt der sprichwörtlichen „German Angst“, die uns lähmt. Gehen wir es an.

Rainer Esser arbeitet als promovierter Jurist zunächst für verschiedene juristische Fachtitel, bevor er 1999 Chef des Zeitverlags wird

12 Rainer Esser steuert den Zeitverlag und träumt vom Kaffeeklatsch mit Helmut Schmidt

Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“

Dass dieser Ausspruch Helmut Schmidts, den er selbst als „pampige Antwort auf eine dusselige Frage“ bezeichnete, ihm sein Leben lang nachhing, hat ihn ziemlich genervt: „Dieser Satz ist tausendfach zitiert worden. Einmal hätte genügt.“

Der Ärger ist nachvollziehbar. Denn natürlich war der Bundeskanzler a.D. und Herausgeber der „Zeit“ ein Mensch mit Visionen. Ein zukunftsorientierter Vordenker und Welterklärer. Einer, der sich nicht im Kleinklein der Parteipolitik verlor, sondern stets das große Ganze im Blick hatte. Einer, den man heute gerne fragen würde, was wir Medien tun können, um der zunehmenden Polarisierung, dem gefährlichen Auseinanderdriften unserer Gesellschaft etwas entgegenzusetzen.

Ich stelle mir vor, wie ich in Schmidts Büro auf dem Sofa sitze –eine Tasse in der Hand, halb Kaffee, halb Baileys – und mir den Lauf der Welt erklären lassen will. Nun sagen Sie schon, Herr Schmidt! Doch

je länger ich diese Szene vor Augen habe, desto klarer wird mir, dass mir der alte Staatsmann vermutlich gar nichts erklärt hätte. Im Gegenteil: Mit Fragen gelöchert hätte er mich. Zugehört hätte er mir. Von seinen Gesprächspartnern wollte Schmidt immer lernen, wollte ihre Sichtweise verstehen. Selbstverständlich nicht, ohne vehement zu widersprechen, wenn er anderer Meinung war.

Und das sind vielleicht die wichtigsten Dinge, die wir von Helmut Schmidt lernen können. Zuhören zu können, verstehen zu wollen und zugleich die eigene Position selbstbewusst zu vertreten. Denn die Fähigkeit zum echten Dialog scheint uns zunehmend verloren zu gehen. In den gesellschaftlichen Diskurs ist eine neue Härte eingezogen, eine Unerbittlichkeit, die nicht in Schmidts Sinne wäre. Verdächtigungen und Schuldzuweisungen, moralischer Furor und vorschnelle Verurteilung prägen die öffentliche Debatte.

In dieser Situation kommt uns Medien eine besondere Verantwortung zu. Wir haben die Ressourcen

für tiefgreifende Recherchen, wir haben vielfältige Kanäle, auf denen wir zum Denken anregen und zum Dialog einladen können. In meiner Vision der zukünftigen Kommunikationsgesellschaft gibt es ausschließlich Verlegerinnen und Intendanten, Chefredakteurinnen und Geschäftsführer, die sich dieser Verantwortung bewusst sind. Es gibt nur noch diejenigen Medienmacher, die ihre redaktionellen Produkte als Plattformen für den Austausch von Wissen, Informationen und Meinungen verstehen – und die den Mechanismen der Empörung, der Zuspitzung und Skandalisierung eine klare Absage erteilen.

In meiner Vision sind wir in der Lage, eine klare politische Haltung zu vertreten, ohne dabei Andersdenkende zu verteufeln. Wir sind eine Gesellschaft, die vielfältig ist, aber nicht zersplittert, moralisch, aber nicht moralisierend, streitlustig, aber nicht zerstritten.

„Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine.“ So lautet ein weiteres berühmtes Zitat von Helmut Schmidt. Und dieses kann man nicht häufig genug zitieren.

»Es ist nicht wichtig, woher du kommst. Es ist wichtig, wohin du gehst«
Ella Fitzgerald

13 Stefan Hartung

leitet den Bosch-Konzern und träumt von verständnisvollen Fahrzeugen

Wenn ich mir die Welt von Morgen backen könnte, würde ich ein großes Stück Freiheit und jede Menge Frieden in die Schüssel geben, natürlich Wohlstand und Technik fürs Leben, eine intakte Umwelt, einen Schuss Klugheit und eine Prise gute Laune. Vor allem aber reichlich Kommunikation. Denn eine gelungene Verständigung ist die Hefe, die jeden Fortschritt und jedes Miteinander überhaupt erst richtig aufgehen lässt. Ohne Austausch blieben wir im eigenen Brei kleben. Immerhin können wir uns, was die Entwicklung der Kommunikation angeht, nicht beschweren: Seit der Mensch vom Baum gestiegen ist, hat sich die Vermittlung von Nachrichten, Gefühlen, Befehlen und Bitten durchgehend verbessert. Aus Geschrei wurde Gesang, auf Rauchzeichen folgte Radio, der Bildschirm löste die Buschtrommel ab. Manche Inhalte sind über die Zeiten hinweg erstaunlich ähnlich geblieben: Die ältesten erhaltenen Schriftstücke aus Mesopotamien geben die Tabellen der städtischen Buchhaltung wieder. Keilschrift und Konzernbericht liegen also enger beieinander, als man annehmen würde.

Und noch eines hat sich kaum verändert: von Anfang an war bei jeder Form der Kommunikation (abgesehen von der reinen Stimme oder Geste) Technik im Spiel, ob Papyrus, Funkwellen oder elektrische Signale. Nur dank dieser Hilfsmittel können wir uns über Raum und Zeit hinweg verständigen. Dabei haben wir jedoch immer nur mittels Technik kommuniziert – aber nie wirklich mit der Technik. Hebel, Schalter oder Pedale bedient man, aber gute Zuhörer sind sie nicht.

Maschinen verbinden. Bei Bosch etwa arbeiten wir daran, unsere Sensoren und Fahrerassistenzsysteme noch stärker mit KI zu verknüpfen. Das Ziel: ein Fahrzeug, das sein Umfeld nicht nur besser „sehen“, sondern sogar – ansatzweise – verstehen kann.

Das wird den Weg zum automatisierten Fahren erheblich vorantreiben. Und irgendwann – Träumen ist an dieser Stelle ja ausdrücklich erlaubt – werden wir uns mit einem Buch ins Auto setzen und mit dem Fahrzeug so reden können, als ob ein Chauffeur am Steuer säße: „Bitte auf dem Nachhauseweg noch beim Blumenladen halten und etwas wärmer an den Füßen wäre auch ganz nett.“ Menüs mit 17 Unterebenen werden wir dann ähnlich schnell vergessen wie die Wählscheibe am Telefon.

Das Auto von Morgen wird aber nicht nur mit seinen Passagieren kommunizieren – sondern auch mit der Zukunft. Denn anders als ein Chauffeur weiß es, was hinter der nächsten Kurve kommt. Möglich macht das die Vernetzung ganzer Fahrzeugflotten, wie sie Bosch etwa mit dem „Road Hazard Service“ anbietet. Kritische Straßenbedingungen lassen sich so in Zusammenarbeit mit Wetterdiensten oder Straßenbetreibern präzise vorhersagen. Und die notwendigen Warnungen kommen in Echtzeit an, nicht erst über das Radio. Auch das gehört zur Zukunft der Kommunikation.

Stefan Hartung ist promovierter Maschinenbauer und arbeitet als Unternehmensberater, bevor er 2004 zu Bosch kommt. Seit 2022 ist er CEO der Robert Bosch GmbH Foto: Selina Pfrüner

Das wird nun, 5000 Jahre nach den Tontafeln, endlich anders. Die generative Künstliche Intelligenz wird den Dialog zwischen Mensch und Maschine auf eine neue Ebene heben – und damit auch das nächste Zeitalter der Kommunikation einläuten. KI hat bis vor kurzem vor allem den menschlichen Wahrnehmungsprozess nachgeahmt. Mit neuen Ansätzen aber können wir diesen Prozess nun viel besser mit der physikalischen Welt der

Und was für das Fahrzeug gilt, gilt auch für Heizungen oder Fernseher: Die Zeit der daumendicken Bedienungsanleitungen neigt sich ihrem Ende entgegen. Ich freue mich auf eine intelligente Technik, die uns den Alltag erleichtert, das Leben sicherer und komfortabler macht, uns immer mehr lästige Routineaufgaben abnimmt – und die wir kinderleicht eben nicht bedienen, sondern steuern werden. Denn damit bleibt uns mehr Zeit für den wirklich wichtigen Austausch: den mit der Familie und mit allen Menschen, die uns etwas bedeuten.

14 Annemarie Paulsen

postet aus dem Kuhstall und träumt von Social Media ohne Empörung

Annemarie Paulsen betreibt als studierte Landwirtin einen BioMilchviehhof in der Uckermark.

Ihre Videos werden bei Instagram und TikTok millionenfach geklickt

Morgens meine Gummistiefel anziehen, meine Arbeit machen und dabei mit der Natur wach werden: Das ist mein Lebensglück. Als Bäuerin wünsche ich mir, dass die Landwirtschaft den Krisen unserer Zeit und dem Klimawandel nachhaltig und resilient begegnet und so dafür sorgt, dass wir nie hungern müssen.

Ich bin aber nicht nur Bäuerin. Ich bin Frau, Ehefrau, Mutter. Und Influencerin. In jeder dieser Rollen sehen meine Visionen von der Zukunft anders aus.

Als Frau sehe ich, dass Frauen immer zusammenhalten werden. Wir leben die „Sisterhood“, unabhängig von Alter, Herkunft, Religion. Der Mut der Frauen in den Generationen vor uns gibt uns

die Freiheit, die zu sein, die wir sind, ungeschönt und unverschämt. Wir nehmen uns Raum und Zeit, lieben und vertrauen hemmungslos. „Ich treffe dich in 30 Jahren in Lissabon“, sage ich als Ehefrau zu meinem Mann. Die Kinder sind ausgezogen, der Hof ist übergeben. Und wir beide tanzen im Hafen, gealtert, gesund und noch immer unbändig neugierig aufeinander. Als Mutter wünsche ich mir, dass meine Kinder mich immer herausfordern. Meine Aufgabe wird sein, unsere Differenzen auszuhalten, an ihnen zu lernen und nie einen Zweifel meiner Liebe anzudeuten. Und als Influencerin wünsche ich mir, immer authentisch und ehrlich zu mir selbst zu bleiben. Damit ich als alte Oma meine Videos von früher meinen 100 Enkelkindern zeigen kann.

»TikTok, eine Plattform, die ich immer hart gefeiert habe, füttert mich mit Hass, in dem ich mich verliere«

In der Realität muss ich gestehen: Ich bin oft verbittert. Polemisch, polarisiert. Und darüber dann ebenso erschrocken wie mein Mann, der sich meine Tiraden anhört. TikTok, eine Plattform, die ich immer verteidigt und hart gefeiert habe für die unfassbar kreative Basis, füttert mich mit Hass, in dem ich mich verliere. Zeigt mir Videos mit einseitiger Darstellung, die mich sofort triggern. Ich lese Kommentare, steigere mich in eine Diskussion, mit einer Meinung so kurz und haltlos wie das Video dazu. Ich kategorisiere Menschen. Deine Kleidung, deine Nägel, deine Essgewohnheiten, deine Art zu reden: All das gibt mir ein Gefühl davon, wohin du gehörst.

Foto: Jürgen Todt

Rechts oder Links, Ost oder West, Stadt oder Land. Gut oder Schlecht. Es kotzt mich nur noch an. Ich will nicht so denken. Aber Social Media will das: Gruppenbildung, wir gegen die. Ausgewogenheit bekommt keine Aufmerksamkeit. Es muss knallen. Keiner interessiert sich für eine Schmuse-Meinung, je mehr Kommentare und Empörung, desto mehr Reichweite. Mobil machen. Aufstacheln. Gegenüberstellen statt zusammenführen.

Ich möchte meine Augen schließen und träumen. In meinem Traum gibt es immer noch Social Media. Und Videos, die polarisierende, überzogene und hasserfüllte Meinungen haben. Aber sie haben kaum noch Reichweite. Die Interaktionen bleiben aus, genauso wie die Empörung übers Gesagte. Auf den Social-Media-Plattformen der Zukunft wird jedes Video dank KI in eine Motivation-Kategorie eingeordnet. Zum Beispiel: „sucht Trost“, „will Angst erzeugen“, „hetzt auf“, „lügt, um zu polarisieren“.

Das hilft uns, unsere Gefühle beim Schauen einzuordnen: Empfinde ich gerade Hass, weil ich wirklich hasse, oder weil ich zum Hassen aufgefordert werde? Stimme ich dem Gesagtem zu oder denke ich darüber nochmal nach und informiere mich tiefer? Die MotivationsKategorien sind dann praktisch ein doppelter Schutz vor dir und den Gefühlen, die du in dich hineinlässt – oder eben nicht.

Und ich rede hier nicht nur von Jugendlichen, die man ja immer als sehr schutzbedürftig sieht in Sachen Social Media. Sondern ich rede auch von mir, der 32 Jahre alten Mutti, die dem Hass manchmal nicht entkommt. Wir alle wollen ja unseren eigenen Bias bestätigen, unsere Bubble ist unser Schutzraum, hier sind wir die Guten. Und dann taucht unter einem Video aus unserer Bubble die Motivationskategorie „lügt, um zu polarisieren“ auf. Entweder ich oute mich jetzt als jemand, der einer offensichtlichen Lüge glaubt. Oder ich fange an, Dinge differenzierter und aus anderen Blickwinkeln zu betrachten. Ich habe in der Social-Media-Welt der Zukunft die Wahl.

Dirk von Gehlen arbeitet seit 2000 für die „Süddeutsche Zeitung“, unter anderem als Leiter der Abteilung Social Media und Innovation. Seit 2022 ist er Director Think Tank am SZ-Institut

15 Dirk von Gehlen denkt hauptberuflich für die „SZ“ und träumt von Maskottchen

Wenn ich die Augen schließe, mir die Zukunft vorstelle und etwas wünsche, sehe ich: Maskottchen! Ich bin großer Fan von Maskottchen (auf dem Bild gemeinsam mit „Jude the cat“, dem Katzenmaskottchen des englischen Zweitliga-Klubs Queens Park Rangers) und wünsche mir, dass sie viel häufiger zum Einsatz kommen. Oberflächliche Menschen denken, Maskottchen seien infantil oder gar albern. Ich weiß, dass Maskottchen die personifizierte Erinnerung daran sind, dass Entwicklung nur gelingt, wenn wir

spielen. Egal, in welchem Kontext: Fortschritt und Innovation entstehen aus Spielfreude – und Maskottchen zeigen uns das. Ich beschäftige mich seit Jahren mit Innovation und Kreativität. Und vielleicht ist es ein Zufall, aber alle wirklich kreativen Menschen, die ich dabei kennengelernt habe, haben auch Humor. Die Fähigkeit, sich selbst und die jeweilige Situation zu reflektieren und sogar über sich selbst zu lachen, ist die Voraussetzung für neue Ideen. Zum Beispiel, indem man ein Foto mit einem Maskottchen macht und dann auch noch veröffentlicht.

16 Alev Doğan ist stellvertretende Chefredakteurin bei „The Pioneer“ und träumt von offenen Fenstern

Es ist ein kühner Traum – und einer, an dessen Realisierung ich selbst immer wieder scheitere. Aus Zeitnot, Gedankenlosigkeit, manchmal aus Arroganz. Seit ziemlich genau zehn Jahren suche ich nach Fenstern. Fenstern, durch die ich hineinblicke. Fenstern, die mir mein Gegenüber – manchmal unbeabsichtigt – anbietet. Durch diese Fenster will ich steigen. Sehen, wie sich andere eingerichtet haben in ihrer Gedankenwelt. Welche Stühle als Hoffnungen fußen auf welchem Erfahrungsteppich? Wie sind Angst und Trauer arrangiert? Welche Sehnsucht thront über dem Witz? Welche dunklen Ecken sehen wir erst, wenn wir durch das Fenster gestiegen sind?

Ich suche auch Fenster, durch die ich hinausblicke. Wenn mich das Gefühl beschleicht, dass wir es uns im Inneren unserer Annahmen allzu gemütlich gemacht haben, bemerke ich ein Drängen. Die Sehnsucht nach einer Aussicht. Ist es überall so warm wie hier drin? Ans Fenster treten, öffnen, Luft holen, rausschauen.

»Allein wir Journalisten werden die Demokratie nicht retten«

Seit ziemlich genau zehn Jahren bin ich hauptberuflich Journalistin. Ich weiß nicht einmal mehr, wie der Mann hieß, der uns Volontären an der Akademie für Publizistik in Hamburg sagte: Verpasst nicht die Fenster, die euch der Gesprächspartner anbietet und tretet durch sie hinein.

Das klingt nach einer allgemein gültigen Formel für gute Interviews. Aber erschreckend häufig sehen wir die Fenster nicht. Wie oft führen Journalisten Gespräche auf der Jagd nach Agenturmeldungen? Wie häufig geht es uns nicht um den anderen, sondern um uns? Darum, besonders schlau zu wirken oder unsere Sicht auf die Dinge bestätigt zu bekommen. Wir stecken so tief in unseren Gedankenräumen, dass wir weder Ausschau halten noch Einblick suchen.

Ich träume davon, dass Journalismus und Gesellschaft wieder nach Fenstern suchen. Im Journalismus ist es unsere Aufgabe, zu verstehen und Verstandenes zu transportieren. Weil kein Gespräch, das einem starren Fragenkatalog folgt, gut sein kann. Ja, es braucht Mut, sich von den ach so brillant vorbereiteten Fragen zu trennen und durch das Fenster zu treten. Ein simples „Warum eigentlich?“ kann ein dröges Gespräch auf einen Weg katapultieren, dessen Ende sich nicht erahnen lässt. Auf diesem Weg entsteht Näherung, Erkenntnisgewinn,

manchmal Wahrhaftigkeit. Das ist der Unterschied zwischen dem eingeübten Pingpong an Schlagzeilen-tauglichen Statements und politischen Phrasen – und einem echten Gespräch.

Um Erkenntnis zu gewinnen, müssen wir uns auch raus wagen. Es gilt nicht nur die Fenster BerlinMittes zu entdecken, sondern so viele wie möglich. Wer in Leitartikeln und auf Social Media über Elfenbeintürme schimpft, muss eben jene auch verlassen. Für 2025 plant unsere Redaktion erneut eine Bustour quer durchs Land, auf der wir in zehn Städte reisen. Mehr als 20.000 Menschen wollen wir vor Ort erreichen, unser Motto: Celebrating Democracy. Wenn wir sie nicht feiern, begraben sie die anderen. Ich will das Bild nicht schönreden: Allein wir Journalisten werden die Demokratie nicht retten. Wir alle müssen nach Fenstern suchen. Wir wären Narren, wenn wir uns der Schönheit, der Komplexität und den heillosen Widersprüchen verschließen, die da draußen sprießen. Die aufregendste Epoche des Westens war das Zeitalter der Aufklärung. Vielleicht ist es Zeit für eine zweite Aufklärung. Dieses Mal strahlt sie ein Licht der zwischenmenschlichen Erkenntnis aus – als Antwort auf Vereinzelung und Einsamkeit. Dem Siècle des Lumières könnte ein Siècle des Fenêtres folgen. Ohne Fenster kein Enlightment.

Alev Doğan hostet bei „The Pioneer“ als Vize-Chefredakteurin auch den Gesellschafts-Podcast „Der 8. Tag“

Foto: Markus C. Hurek

Niddal Salah-Eldin fragt sich, wer sie mal gewesen sein will. Und legt 2024 ihren Job als Vorständin und Leiterin des Ressorts Talent & Culture bei Axel Springer nieder

17 Niddal Salah-Eldin hat den Vorstand von Axel Springer verlassen und träumt davon, den Menschen im Sudan Zukunft zu schenken

Wenn ich die Augen schließe, kann ich sie gelegentlich sehen.

Diese große, alte Dame mit grauweißen Locken, funkelnden Augen und tiefen Lach- und Lebensfalten im Gesicht. Diese alte Dame bin ich.

Wer will ich mal gewesen sein?

Diese Frage habe ich mir Anfang 2024 gestellt. Und ich habe sie mir für die nächsten paar Jahre beantwortet. Ich engagiere mich künftig stärker für meine vom Krieg im Sudan betroffene Familie und auch darüber hinaus für Land und Leute. Dafür habe ich mein Vorstandsamt bei Axel Springer niedergelegt und das Unternehmen verlassen.

Auf dem vorläufigen Höhepunkt meiner Karriere übernehme ich jetzt also in einem anderen Lebensbereich mehr Verantwortung. Manchmal klopft das Schicksal an die Tür und wir müssen entscheiden, ob wir sie öffnen oder das Klopfen ignorieren.

Im Sudan, dem Land, in dem ich 1985 geboren wurde, herrscht derzeit mit Abstand die größte humanitäre Krise der Welt. Millionen Menschen sind unmittelbar vom Tod bedroht. Der Krieg lässt

sich mittlerweile leider nur noch mit Superlativen beschreiben. Das treibt mich seit seinem Ausbruch im April 2023 um. In den vergangenen Monaten hat sich die Lage abermals zugespitzt.

Für mich sind die Schreckenszahlen und Bilder nicht weit entfernt. Auch meine Angehörigen wurden vertrieben. Sie alle hatten Wünsche und Pläne fürs Leben, denen der Stecker gezogen wurde. Besonders das Schicksal der Kinder bewegt mich. Sie haben ihr Leben eigentlich noch vor sich. Sie verlieren nicht nur ihr Zuhause, sondern auch ihre Zukunft.

Ich spüre eine große Verpflichtung, mich für die Freiheit der nächsten Generation einzusetzen, sowohl im Sudan als auch in Deutschland. Eine Aktivistin bin ich nicht. Ich bin eine Top-Managerin, die in den nächsten Jahren den Fokus anders legt – auch, um das später nicht zu bereuen. Einen Krieg kann ich zwar nicht beenden, aber möglichst vielen Menschen helfen. So kann ich ein Stück Hoffnung und Zukunft zurückgeben.

Drei Kernbereiche sind mir besonders wichtig: Ich will meine erweiterte Familie nicht nur dabei

unterstützen, zu überleben, sondern auch dabei, Perspektiven in den Nachbarländern des Sudan zu finden. Zweitens: Ich will lokalen Grassroots-Initiativen helfen, die vor Ort als mobile Taskforces unterwegs sind. Und drittens: Ich will mit ausgewählten, großen Hilfsorganisationen zusammenarbeiten – zum Beispiel mit Unicef Deutschland. Neben humanitärer Unterstützung liegt mir Bildung besonders am Herzen. Wer helfen möchte, kann zum Beispiel an die Programme für den Sudan von Unicef, Ärzte ohne Grenzen, Save the Children und Plan International spenden.

Erfolg ist nicht nur, was auf der eigenen Visitenkarte steht. Echter Erfolg ist für mich, einen positiven Unterschied zu machen. Ich träume davon, Zehntausenden ein besseres Leben im Sudan oder in seinen afrikanischen Nachbarländern zu ermöglichen. Und davon, vor allem den Kindern und jungen Menschen Hoffnung und Zukunft zu schenken. Wenn mich die alte Dame in vielen Jahren fragen sollte: „Was haben wir damals gemacht, als unsere Heimat in Flammen stand?“ Dann werde ich ihr sagen: „Wir haben gehandelt.“

Foto:
Katja
Hentschel
»Alles, was an Großem in der Welt geschah, vollzog sich zuerst in der Fantasie«
Astrid Lindgren

Reinhard Hild ist Geschäftsführer bei MDR Media und träumt von Brücken und Bündnissen

Wie Martin Luther King schon sagte, I have a dream today: Dass unsere Medienlandschaft in Zukunft nicht mehr aus einzelnen Lagern besteht, sondern dass wir eine Brücke zwischen den öffentlich-rechtlichen und den privaten kommerziellen Medienanbietern schlagen.

Dass wir eine gemeinsame Mission teilen – die Menschen zu informieren, zu bilden und zu unterhalten. Dass die Zukunft unserer Medien nicht in den Händen weniger, sondern in der Zusammenarbeit vieler liegt, die verstehen,

dass die Freiheit der Medien eine gemeinsame Verantwortung für eine funktionierende Demokratie bedeutet.

Ich träume von lagerübergreifenden Bündnissen und Media-Plattformen, die frei von ideologischen Grenzen sind. Denn nur so kann eine gemeinsame pragmatische Zusammenarbeit von öffentlichrechtlichen und privaten Rundfunk- und Printanbietern zu besten Inhalten und maximaler Reichweite führen. Diese Allianz würde eine breite Plattform für Nachrichten, Bildung und Unterhaltung schaffen, die das Beste aus beiden Welten

Reinhard Hild wandert über dem Nebelmeer der Sächsischen Schweiz und vermarktet als Chef von MDR Media den Mitteldeutschen Rundfunk

»Wir sollten eine Brücke zwischen den öffentlich-rechtlichen und privaten Medienabietern schlagen«

vereint – journalistische Tiefe und kulturelle Vielfalt.

Öffentlich-rechtliche und private kommerzielle Medienanbieter sollten sich zu einer „Mediaallianz“ zusammenschließen, die gemeinsame, innovative Projekte fördert, den hiesigen Standort stärkt und große Reichweiten ermöglicht.

Damit die verfügbaren Reichweiten optimal monetarisiert werden können, gründen sich überall gemeinsame Vermarktungs- und Datenallianzen für mehr Marktmacht im international fragmentierten Medienumfeld. Denn erst durch die Bündelung zu einem großen

Inventarangebot kann durch Synergien etwa Kosteneffizienz entstehen. Das steigert auch die Transparenz für die werbungtreibenden Unternehmen.

Aktuell wird das Online-Inventar vor allem von Big-Tech-Plattformen bedient und monetarisiert. Es findet sich kein einziges vergleichbares, einheimisches Unternehmen am Markt. Diese polarisierende Übermacht der Big-Tech-Unternehmen

wird in meinem Traum durch mehr Wettbewerb und mehr Verantwortungsübernahme begrenzt – zum Beispiel mit der Haftung für strafbare Inhalte.

Genau hier setzt mein Traum an: Mit einem gemeinsamen Audiound Video-Buchungssystem hätten werbungtreibende Unternehmen mit nur einer Buchung und Bezahlung Zugang zu einem vielfältigen Inventar-Netzwerk von TV- und

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Paul

Remitz

DRadiostationen – sowohl öffentlichrechtlich als auch privat kommerziell. Die Nutzung von KI für Datenanalysen könnte sicherstellen, dass die Werbeplätze bestmöglichst verteilt werden – bezogen auf das Zielpublikum, die Reichweite und andere Faktoren. Mit der gemeinsamen Onlineplattform audioXchange von RMS und ARD Media ist schon heute der Grundstein dafür gelegt. Let’s start dreaming!

managt Marketing-Kommunikation und träumt von Unsterblichkeit

er Gedanke an die Zukunft erfüllt mich mit Angst und Hoffnung. Es gibt nicht nur eine Zukunft, es gibt viele Varianten von ihr. Ich denke oft an die Szene in „Matrix“, in der Neo vor der Wahl steht, die rote oder die blaue Pille zu nehmen. Mit der blauen Pille verändert sich nichts. Nimmt Neo jedoch die rote, erwacht er aus dem Matrix-Schlaf und kann die echte, furchtbare Welt mit eigenen Augen sehen. Daher habe ich eine blaue Utopie und eine rote Dystopie von Zukunft.

Variante blau: Es entsteht eine vernetzte Intelligenz, die das Potenzial hat, Organisationen in agile Strukturen zu wandeln. In dieser Zukunft setzen Unternehmen auf Technologien, die ein menschenähnliches Verständnis und Bewusstsein für ihre Umwelt entwickeln können. Das klassische Modell aus Anweisungen, Kontrolle und Bürokratie wird durch neuronale Netzwerke ersetzt, die gemeinschaftlichen Wert für alle schaffen. Der Mensch gewinnt die Freiheit, Strategien und Prozesse dynamisch anzupassen. In dieser utopischen Gesellschaft dienen Algorithmen nicht der Kontrolle, sondern der Selbstreflexion und Anregung zur persönlichen Entwicklung. Technologie wird zu einem Mittel der Entfaltung. Die Frage „Bin ich noch ich?“ verliert an Bedeutung, da Technologie Raum für authentische Selbstverwirklichung schafft. Die Endvision: Eine privilegierte Klasse transformiert ihr Bewusstsein in die Matrix des Cyberspace – und kann dort unabhängig von ihrem physischen Körper weiter existieren. Variante rot: Großkonzerne übernehmen die Gestaltung unserer Realität und schaffen parallele, manipulierte Welten. Staaten existieren nur noch als geografische Rauminformationen, ohne legislative, exekutive oder judikative Gewalt. Unser politisches und gesellschaftliches Leben wird durch Firmen geprägt, die technologische und biochemische Transformationen vorantreiben. Hochentwickelte KI entwickelt menschenähnliches Bewusstsein und Wissen, das von Organisationen genutzt wird, um kontrollierte und

Paul Remitz ist Deutschland-Chef der Omnicom Media Group

»Ich habe eine blaue Utopie und eine rote Dystopie von Zukunft«

konkurrierende Realitäten zu erschaffen. Gewaltenteilung und objektive Realität gehören der Vergangenheit an; nur die Schöpfer der neuen Wirklichkeiten können noch zwischen Fiktion und Realität unterscheiden. Durch neuronale Biochips, die nur der Elite vorbehalten sind, erreichen wenige Menschen ein höheres Bewusstsein und Intelligenz. Der Rest wird über künstliche Realitäten und Manipulation gelenkt. Die menschliche Identität ist nicht mehr individuell, sondern basiert auf der lebenslangen Zugehörigkeit zu einem Konzern. Ich befürchte, wir sind dieser dystopischen Vision näher, als wir uns eingestehen möchten.

20 Marie von den Benken ist Model, Autorin und Influencerin und träumt davon, dass Elon Musk das Interesse an X verliert

Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er den Kurznachrichtendienst Twitter in ein ungeheures Informationsungeziefer verwandelt. Stilistischer Coup: Text über Träume für die Kommunikationsgesellschaft mit einer dystopischen Metapher auf die einst wichtigste Digitalplattform für Nachrichten und gesellschaftliche Strömungen starten. Check.

Aber keine Sorge, wer mich kennt, weiß: Am Ende hängt alles zusammen. Mein Traum zum öffentlichen Debattierzustand ist nämlich direkt mit Twitter verknüpft. Twitter war für mich stets kreativer Rückzugsort, an dem Genies (und ich) einen geschützten Digitalraum für durchgeknallte Wortspiele und skurrile Phrenesien fanden. Aber dann kamen Journalisten, Promis, CEOs, Politiker, Klugscheißer, Rechtsextreme, Linksextreme, Rassisten, Antisemiten, Hyperwoke –- und als Krönung der Unbehaglichkeit auch noch Elon Musk.

Der hatte ziemlich viel Geld, noch mehr Ego, indiskutable Ansichten, ausgeprägtes Sendungsbewusstsein und offenbar zu viel Tagesfreizeit. Eine ungesunde, mitunter toxische, hier sogar demokratiegefährdende Mischung. Musk jedenfalls nahm sich ein trumpverseuchtes Herz und 44 Milliarden Dollar. Kaufte Twitter, nannte es X und feuerte die für Hatespeech-Eindämmung verantwortliche Abteilung. Seither lenkt er

Marie von den Benken wurde zu Zeiten, als X noch Twitter hieß, als @Regendelfin dort populär.

Von den Benken, selbst mit ModelHintergrund, kommentiert zudem regelmäßig das Format „Germany’s Next Topmodel“ bei der „FAZ“

Foto: Marina Rosa Weigl

X als Patron der Wissenschaftsfeindlichkeit mit Hang zu rechtspopulistischer Diskursmanipulation. Sollten Sie es bis hierher geschafft haben und jetzt möglicherweise denken „Ziemlich idiotischen Traum hat die Tante“: Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Mir bleiben ja noch ein paar Zeichen Platz. Alle bisherigen dienten lediglich als Bezugsrahmen.

Mein Traum kommt jetzt: Elon Musk hat einen für seinen Selbstwert essenziellen Sieg errungen: Trump ist Präsident. Die Weltordnung tendiert ins Faschistische, Amerika zum Protektionismus. Freiheit ist zum pseudo-libertär überfrachteten Denkkorridor verkommen, den ein Egozentriker definiert, dem verquere Autokraten näher sind als faktenbasierte Analysen. So weit, so schlecht. Aber wäre das für Musk nicht ein guter Zeitpunkt, sich selbstbesoffen einzureden, er habe es geschafft, Trump per X-Algorithmus zum Wahlsieger zu schwurbeln und dann beseelt vom eigenen Triumph das Interesse an X zu verlieren?

Bestimmt gibt es weitere Felder, auf denen er seine Magie einsetzen kann. Marslandung vielleicht oder die ganzen Gadgets aus „Zurück in die Zukunft II“.

Ich warte beispielsweise immer noch auf das Hoverboard, das Steven Spielberg schon für 2015 versprochen hatte. Parallel könnte Musk X wieder veräußern, die neuen Inhaber könnten es in Twitter rücktaufen, ein bisschen bei russischen Desinformationsbots durchfegen und den zum politischen Propagandaspielzeug für fragile Milliardäre verkommenen Kurznachrichtendienst in Goldene Zeiten zurücktransformieren.

Die Uhr muss auch nicht komplett auf null gesetzt werden. Nur Wortspiele, das wäre auch mir inzwischen zu seicht. Aber eine meinungspluralistische, manipulationsresistente, kritische, die politischen Entwicklungen mit aufmerksamer Distanz kommentierende Ideenplattform, auf der Charaktereigenschaften wie Debattenkultur wieder zur Serienausstattung gehören: Das würde ich mir schon wünschen.

21 Matthias Daniel gibt Journalisten

Lesestoff und träumt von Love Speech

Vielleicht wird ja gar nicht alles immer schlimmer. Hate Speech, Populismus, Hass, Fake, Beleidigung. Der Kampf um die Kommunikationshoheit wird mit harten Bandagen geführt. Aber: Wir sind nicht dazu verdammt, uns auf Ewigkeit zu beschimpfen und beschimpfen zu lassen. Zu provozieren und provoziert zu werden.

Man könnte ja auch einen optimistischen Blick in die Zukunft wagen. Warum? Ich habe eine zehnjährige Tochter, deren Medienkompetenz besser ist als die der meisten Twitter-User. Meine Tochter kann Signal bedienen und weiß, dass Whatsapp eigentlich erst ab 13 Jahren ist. Die Generation Alpha postet keine privaten Bilder auf Insta und kann Teams-Chats moderieren. Die Generation Alpha weiß, welche Gefahren von Algorithmen und KI ausgehen, und dass

es Mechanismen gibt, Fake und Manipulation zu erkennen.

Derweil versuchen die Eltern der Generation Alpha, eine ernsthafte Diskussion auf Twitter zu führen und posten das nächste Konferenz-Selfie auf LinkedIn. Die Aggrogesellschaft sind wir. Nach uns könnte es besser werden.

Ich kann mit dem Lamento über „die jungen Leute“ nichts anfangen. Die jungen Leute heute haben so viel mehr Skills als wir. Sie sind meist besser ausgebildet, sie sind smarter und empathischer als wir. Sie werden groß in einer Welt, die ihnen mit der Klimakrise ungefragt eine verdammt große Herausforderung vor die Tür gestellt hat. Diese jungen Leute wissen, wie man sich im Internet benimmt und aufeinander achtet. Es lebe die Kommunikationsgesellschaft: Nach Hate Speech kommt Love Speech. Seid schon mal nett zueinander!

Matthias Daniel ist Chefredakteur und Publisher des Magazins „journalist“
»Wir müssen die Zeit als Werkzeug benutzen – und nicht als Couch«
John F. Kennedy

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Lina Timm

gibt neuen Medienformaten Starthilfe und träumt vom Ausflug auf den Ponyhof

Es tut ziemlich gut, auf dem Ponyhof zu stehen. Dort ist egal, wer gerade Präsident der USA geworden ist, ob wir noch eine Regierung haben und welches Geschäftsmodell den Journalismus retten kann. Auf dem Ponyhof ist nur wichtig, ob die Pferde heute auf der Koppel waren und ob es genug Möhren gibt.

Vor dem Hoftor ist nichts einfach. Warum gewinnen verurteilte Straftäter Wahlen? Warum muss man eine Schuldenbremse unbedingt einhalten? Die Antworten sind so komplex, dass es auch mir als studierter, privilegierter Europäerin schwerfällt, den Überblick zu behalten. Wie geht es da erst Menschen, die sich nicht hauptberuflich mit Medien beschäftigen, sondern Regale einräumen, Dachstühle zimmern oder Patienten versorgen?

Wer ein Pferd putzt, kann nebenbei exzellent träumen – zum Beispiel von einer Gesellschaft, die umfassend informiert ist. In der guter Journalismus, der Pro und Contra abwägt und erklärt, alle Menschen erreicht. In der sie verstehen, was eine politische Entscheidung für ihre Zukunft bedeutet. Auf dem Ponyhof gibt es keine zwielichtigen Telegram-Kanäle, die Falschnachrichten von Trollfarmen weitertragen. Oder polternde Politiker, die denken, sie könnten Populismus mit mehr Populismus bekämpfen. Das Leben ist kein Ponyhof – außer man ist auf dem Ponyhof.

Draußen in der richtigen Welt haben Nachrichten einigen Menschen so schlechte Laune bereitet, dass sie sie bewusst abschalten. „News Avoidance“ heißt das Phänomen und wird leider völlig überschattet von der Debatte, wie viel Journalismus wir jetzt mit KI automatisieren können.

Ich träume davon, dass wir Produkte bauen, die es schön machen, Nachrichten zu lesen – auch wenn die Nachrichten selbst es nicht sind. Von einem Journalismus, der Menschen nicht überfordert, sondern

abholt. Vor dem die Menschen sich nicht in die einfachen Antworten der Desinformation flüchten. Ich wünsche mir Nachrichtenprodukte, die Menschen gern in ihrem Alltag haben wollen.

Der Weg zum Ziel ist leider auch nicht so klar definiert wie im Pferdesport. Während sich die Gesellschaft konstant verändert, sind die Lektionen einer Dressurprüfung dieselben wie vor 30 Jahren. Mein Pferd und ich üben gerade zum Beispiel die „Traversale“, dabei soll es gebogen seitlich-vorwärts galoppieren. Das ist schwer genug, aber wir üben einfach immer wieder genau diesen Bewegungsablauf – und irgendwann können wir ihn.

Für die Gesellschaft, von der ich träume, können wir nichts

üben. Wir wissen ja noch gar nicht, welche Lektion unser Ziel ist. Das ist der neue Schritt, den wir gehen müssen. Von der Medienwelt und der Gesellschaft von vor 30 Jahren ist so wenig übriggeblieben, dass wir erstmal das Ziel neu definieren müssen. Wie wollen wir leben? Wie wird die Gesellschaft sein?

Erst wenn wir diese Zukunftsvision haben, können wir die Nachrichtenprodukte dafür entwickeln. Den Weg dahin kann uns keiner erklären. Wir können ihn nur ausprobieren. Wenn wir wieder allzu lang im Trüben fischen, empfehle ich: Auf die persönliche Version des Ponyhofs fahren, den pinken Gute-Laune-Mantel überwerfen und Kraft tanken. Kraft, um die Träume umzusetzen.

Lina Timm leitet seit 2019 das Media Lab Bayern, eine Förder-Plattform für digitale Medien-Innovationen. Dem Wallach El Corazon hat sie seine Bildrechte mit Möhren abgekauft
»Menschlichkeit ist universell. Damit kriegst du jeden«

Anna Dushime hat einen Genozid überlebt und am Kneipentresen Nazis bekehrt. Heute sucht sie als Medien-Multitalent das Leichte im Schweren

Von Anne-Nikolin Hagemann

und

(Text)
Holger Talinski (Fotos)

Das Publikum in der Berliner Kneipe „Zum Hecht“ ist so bunt wie die Strickjacke von Stylistin Larissa. Hier treffen rund um die Uhr Kiez-Originale auf Touris, Partygänger auf Stammgäste. Am Nebentisch tagt und trinkt eine Burschenschaft

Anna Dushime wird 1988 in Kigali, Ruanda geboren. Mit fünf flieht sie vor dem Genozid an den Tutsi, bei dem ihr Vater getötet wird. Mit zehn kommt sie nach Deutschland. Sie studiert Marketing, arbeitet für Researchgate, Buzzfeed und die Kreativ-Agentur Stoyo. Heute ist Dushime Kreativdirektorin der Produktionsfirma Steinberger Silberstein, schreibt und podcastet. Außerdem hostet sie die satirische Quizshow „Browser Ballett Heimatquiz“. Mit dem TV-Talk „Der letzte Drink“ hat sie den GrimmePreis gewonnen

Wir treffen uns im „Hecht“, einer Berliner Kult-Kneipe, die rund um die Uhr geöffnet hat. Warum ist das für dich ein guter Ort, um über Träume zu reden? Das Offensichtliche zuerst: Alkohol lockert die Zunge. Man gibt hier vielleicht etwas von sich preis, wozu man in anderem Rahmen noch nicht bereit wäre. Genau das ist ja der Raum, in dem Träume existieren: sehr persönlich, aber eigentlich etwas, über das du gerne nachdenkst und sprichst – wenn du dich traust. Ich rede gerne über meine Träume und Pläne, auch dann schon, wenn sie noch weit weg von der Realität sind. Dann fühle ich eher die Verantwortung, sie umzusetzen. Mit Fremden fällt mir das leichter, das hat dann fast etwas Therapeutisches. In Kneipen wie diesen kommt man immer ins Gespräch mit Menschen, denen man sonst nie begegnen würde.

Du hast mal in einer Kneipe wie dieser gearbeitet, im „Bierdoktor“ in Moers. Ich habe gekellnert, stand hinter der Bar und habe am Ende der Schicht natürlich auch geputzt. Eine Schicht dauerte von 22 Uhr bis morgens um sechs. Es gab Schlägereien, ab und zu Messerstechereien, einmal einen Heiratsantrag.

Mit welchen Menschen bist du da ins Gespräch gekommen?

Die Gäste waren ganz unterschiedlich, so wie hier. Es sind auch ab und zu Nazis gekommen. Einer davon hat Silberschmuck verkauft und die NPD gewählt. Wegen der Familienwerte, hat er gesagt. Da sind mir mindestens vier Parteien eingefallen, die auch für Familie stehen, aber nicht so menschenfeindlich sind. Am Ende haben wir uns richtig lange unterhalten. Ich habe ihm hoffentlich Zugang zu Parteien gegeben, die keine Ausländer hassen. Und er hat mir eine seiner Ketten geschenkt.

Hast du die noch?

Nein, ich habe mich nicht getraut, die anzuziehen. Das klingt jetzt esoterisch: Ich hatte ein bisschen Angst, dass diese Kette irgendwas in sich trägt, das ich nicht haben will.

Was hast du aus der Zeit im „Bierdoktor“ gelernt?

Jeder, der mal in der Gastronomie oder im Einzelhandel gearbeitet hat, ist ausgerüstet mit allen Skills, die man zum Überleben braucht. Ich habe viel Rassismus erfahren, aber mich auch oft dagegen wehren können. Und durfte auch erleben, wie meine Kollegen oder mein Chef mich verteidigt haben. Die Arbeit hat mir Resilienz und Durchsetzungsvermögen beigebracht und dass auch unliebsame Aufgaben dazugehören. Das ist wie mit New York: If you can make it im Bierdoktor, you can make it anywhere.

Was wolltest du als Kind werden?

Ich wollte Rechtsanwältin werden. Viele, die Ähnliches erlebt haben wie ich, träumen wahrscheinlich davon, etwas Sinnstiftendes zu tun. Mit acht habe ich durch die Arbeit meiner Mutter mitbekommen, wie viele von denen, die den Genozid in Ruanda verübt und dabei Menschen nicht nur getötet, sondern auch vergewaltigt haben, vor dem Internationalen Strafgerichtshof standen. Währenddessen sind ihre Opfer reihenweise an Aids gestorben – die Täter wurden behandelt, damit sie am Leben waren für die Verhandlungen. Ich dachte, als Anwältin könnte ich solche Ungerechtigkeiten ausgleichen. Bis ich geschnallt habe, was Jura eigentlich ist – und das war mir zu schwer. Dann wollte ich Kriegsreporterin werden.

Wenn du heute journalistisch arbeitest: Wie viel von deiner Geschichte bringst du ein? Es ist immer eine Einzelfallprüfung. Bei Buzzfeed habe ich 2015 eine Geschichte gemacht über eine syrische Familie. Da kamen in mir Bilder davon wieder hoch, wie ich mit fünf mit meiner Familie während des Genozids in Ruanda auf der Flucht von einem Fremden aufgenommen wurde. Dann habe ich die Familie für ein paar Tage mit zu mir nach Hause genommen. Das ist journalistisch wahrscheinlich nicht

sauber – aber das war für mich so dermaßen zweitrangig. Ich würde immer wieder mein Herz entscheiden lassen, immer den Menschen journalistischen Standards vorziehen. Ich habe mich schon als Kind gefragt: Wie können Journalisten aus Krisengebieten berichten – und dann wieder gehen?

Ist neutraler Journalismus eine Utopie?

Ich halte ihn nicht mal für eine Utopie, weil ich Neutralität gar nicht erstrebenswert finde. Journalismus wird von Menschen gemacht für Menschen. Warum sollte man da die Menschlichkeit rausnehmen? Nicht jede Diskussion muss emotional geführt, nicht jede Geschichte emotionalisiert werden. Aber viele Geschichten sind nun mal emotional. Und wenn sie dann auch so erzählt sind, werden mir als Konsumentin plötzlich Themen wichtig, die mir vorher egal waren. Und darum geht es ja: aufzuklären und auf etwas hinzuweisen, was man sonst nicht mitbekommt.

Journalisten wird heute oft vorgeworfen, dass sie zu Aktivisten werden. Journalismus und Aktivismus sollte man natürlich trennen. Aber es wird in der Diskussion oft so getan, als ob es früher einen neutralen Journalismus gegeben hätte – das stimmt aber nicht. Man entscheidet sich immer für bestimmte Geschich-

»Wenn ich das Set zum ersten Mal betreten habe, wurde ich oft für die Maskenbildnerin gehalten, für die Stylistin oder die Putzfrau«

ten, mit bestimmten Objekten und Subjekten. Und immer auch dafür, Geschichten nicht oder nur auf eine bestimmte Art und Weise zu erzählen. Wer die Geschichten schreibt, entscheidet mit, was wir als Konsumenten für wichtig halten. Und jetzt, wo auch andere Stimmen als die üblichen zu Wort kommen, wird plötzlich über Neutralität diskutiert. Warum haben wir das nicht vorher gemacht?

Du hast in den verschiedensten Jobs in den Medien gearbeitet, vor und hinter der Kamera. Was hast du dabei über die Medienwelt gelernt? Es ist für mich auf jeden Fall leichter, vor der Kamera zu sein als dahinter. Ich habe großen Respekt vor all den Berufen, die es da gibt und die ganz oft gar nicht sichtbar gemacht werden. Wenn man sich mit den Leuten am Set unterhält statt mit den Stars, merkt man, was die für Knochenjobs machen. Als Creative Director in einer Werbeagentur war ich öfters bei Werbeshoots dabei, in denen meine Ideen und Konzepte umgesetzt wurden. Wenn ich das Set zum ersten Mal betreten habe, wurde ich oft für die Maskenbildnerin gehalten, für die Stylistin oder die Putzfrau.

Wie gehst du mit so etwas um?

Am Anfang habe ich versucht, mich besonders businessmäßig anzuziehen. Aber natürlich ist das falsch, ich muss gar nichts irgendwem beweisen. Wenn ich das Thema Rassismus ansprechen will, muss ich immer die Umstände bedenken: Wenn

der Tag zu Ende und alles im Kasten ist, kann ich ehrlicher sein und das böse R-Wort in den Mund nehmen. Aber am Anfang des Tages habe ich eher die Produktionssicherheit im Blick und stelle mein Bedürfnis, das zu klären, erstmal zurück. Denn natürlich hängt so ein Wort dann im Raum und verändert die Stimmung am Set.

Klingt anstrengend. Eigentlich bescheuert: Ich als Betroffene lege mir eine Strategie zurecht, manage meine Gefühle, überdenke alle möglichen Perspektiven. Und alle anderen machen weiter, als ob nichts wäre. Ich werde aber immer besser darin, so etwas anzusprechen – vor allem, wenn es nicht um mich, sondern um jemand anderen geht. Aber eigentlich ist das auch ein bisschen traurig, weil es heißt, es passiert immer noch zu oft.

Hast du das Gefühl, dass sich da was ändert?

Auf jeden Fall. Bei aller berechtigter Skepsis ist es wichtig, mal raus zu zoomen und zu schauen, wo wir noch vor zehn Jahren waren. Als Diversität noch nicht in aller Munde und es noch nicht normal war, dass man in der Werbung auch Menschen sieht, die nicht weiß und blond sind. Was wir damals in der Agentur mit Kunden für Diskussionen geführt haben! Darüber, ob die Kinder in der Kampagne wirklich dunkle Haare haben dürfen. Da kriege ich heute noch Gänsehaut. Das ist inzwischen anders – aber ich hoffe, nicht nur oberflächlich. Es reicht nicht, als kleines Pflaster ein schwarzes Kind in die Werbung oder eines

mit Behinderung in einen Film zu packen. Man muss all die Abläufe, Positionen und Entscheidungen im Hintergrund hinterfragen und diversifizieren.

Fällt dir ein Projekt ein, das das richtig gut macht?

Die großartige ARD-Serie „Schwarze Früchte“ ist eine Produktion, die aus queeren People of Colour besteht. Das halte ich für einen historischen Moment. Wenn wir Diversität in alle Richtungen denken, bekommen wir dadurch bessere Produkte. Weil durch die unterschiedlichen Perspektiven viel mehr, viel reichhaltigere Geschichten entstehen.

Was möchtest du in 20 Jahren selbst verändert haben in der Medienwelt?

Ich würde gerne dazu beigetragen haben, dass mehr Leute gehört werden. Mich stört diese herablassende Formulierung, dass Menschen keine Stimme hätten. Jeder Mensch hat eine Stimme. Nur entscheiden wir uns, wann wir hinhören. Die Antirassismus-Bewegung und die Forschung dazu sind in Deutschland keine Neuerscheinungen, schwarze Menschen gibt es hier nicht erst seit den 90ern. Manche schwarzen Familien leben in fünfter Generation hier.

Lass uns über die kleinen Träume reden: über gute Ideen. Wie wird aus einer deiner Ideen ein fertiges Projekt? Es startet immer mit wirren Notizen in meiner Notes-App, zwischen Einkaufs- und To-Do-Listen: Bananen, Erdnüsse, Serien-Idee. Dann rede

ich mit meinen Schwestern darüber. Die eine ist Regisseurin und Filmemacherin, die andere Rapperin. Die verstehen mich am besten, da muss ich nicht viel übersetzen. Wenn es die Idee dann durch diese härteste Tür Deutschlands geschafft hat, spreche ich mit meinem Produzenten oder anderen Freunden, die in dem Bereich arbeiten, darüber.

Was ist der größte Feind guter Ideen?

Pedanterie. Es ist wichtig, sauber und detailliert zu arbeiten. Aber im Frühstadium eine Idee zu zerpflücken, ist das Allerschlimmste.

Ist Skepsis typisch deutsch?

Meiner Erfahrung nach ist Deutschland leider wenig mutig, was Neues angeht. Uns Deutschen ist die Sicherheit wichtig. Hier muss man gleichzeitig mit einer Idee einen Proof of Concept mitbringen, also den Beweis, dass sie in der Praxis funktioniert. Aber das heißt ja auch, dass jemand anderes schon mal das Gleiche gemacht hat. Und so kann ja nichts Neues entstehen.

Haben es Kreative in der Unterhaltung leichter als im Journalismus?

Ja, Unterhaltung ist eine Leinwand, die freier zu bemalen ist. Aber ich hoffe auch, dass wir uns im journalistischen Bereich verabschieden von falsch verstandenen Standards und verschachtelten Sätzen. Oft gilt ja noch: Je mehr Passivkonstruktionen, je mehr Fachwörter, je komplizierter die Sätze, desto seriöser ein Text. Ich habe manchmal das

»Humor hilft mir, mit der Gegenwart klarzukommen.

Und mein Glaube hilft, keine Angst vor der Zukunft zu haben«

»Jeder, der mal in der Gastronomie oder im Einzelhandel gearbeitet hat, ist ausgerüstet mit allen Skills, die man zum Überleben braucht«

Gefühl, es wäre Absicht, eine sprachliche Mauer zu bauen, um sich zu differenzieren von denen, die nicht mit dem Deutschlandfunk und der „FAZ“ aufgewachsen sind. Ich versuche immer, einfach zu schreiben. Weil natürlich erstens TikTok mein Gehirn ruiniert hat. Und weil ich zweitens überzeugt bin: Erst wenn man es schafft, Komplexes einfach zu erklären, hat man es wirklich verstanden.

Was entgegnest du, wenn jemand sagt: Politik hat in der Unterhaltung nichts verloren?

Alles, was man authentisch rüberbringen kann,

hat seine Berechtigung. Und jedes Thema hat überall etwas verloren – wenn es zur Persönlichkeit des Absenders oder der Absenderin passt. Mein Zugang zu politischen Themen, gerade zu den harten wie Diskriminierung, Ungerechtigkeiten, Flucht, sind Unterhaltung und Humor. Das nimmt ihnen weder die Schwere noch den Ernst – es ist einfach eine andere Art, diese Themen anzusprechen. Ich halte nichts von Schubladen, in die man Genres sperrt.

Was verpassen Medien, die TikTok ignorieren? Jede neue Plattform, ob

TikTok oder eine andere, bedeutet eine neue Chance, Menschen zu erreichen und zu verstehen. Die Populisten haben das längst kapiert: Maximilian Krah geht ja total ab auf TikTok, der rechtsextreme Influencer Erik Ahrens ist der Kopf dahinter. Wenn man sich als Medienmacher eine grundsätzliche Neugier bewahrt, auf eine andere Sprache, auf andere Zugänge zu Themen, auf neue Formate, lernt man immer dazu. Und wird besser.

Was ist die wichtigste Regel, damit ein Inhalt in der Flut an Content nicht untergeht?

Schwierig, wenn ich nicht Clickbaiting sagen will... Nein, Spaß. Ich glaube an die alte Buzzfeed-Schule: Wenn du einen persönlichen Zugang zum Thema hast, kannst du es am besten vermitteln. Menschen hören gerne von anderen Menschen. Der Algorithmus funktioniert halt auch sehr gut: Ich sehe auf TikTok und Instagram Menschen, die eine ähnliche Realität haben wie ich. Und wenn so jemand dann sagt: Ich habe das beste Rouge für Dark Skin gefunden – dann bin ich hooked. Das funktioniert für Make-Up genauso wie für den Krieg im Sudan, der in der Berichterstat-

tung chronisch unterrepräsentiert ist: Wenn jemand eine Beziehung zu sich, dem Thema und dann damit auch zu mir herstellt, hat er mich.

Ist da nicht die Gefahr, dass es ein Thema gar nicht erst raus aus einer bestimmten Bubble schafft?

Das klingt jetzt wie ein Wand-Tattoo, aber: Menschlichkeit ist universell. Damit kriegst du jeden. Ich zum Beispiel habe als Kind in Ruanda gerne „Derrick“ geguckt,

diese Krimiserie aus den 70ern. Die lief da seltsamerweise im Fernsehen, sogar auf Deutsch. Und da habe ich als kleines Mädchen eine Verbindung gefühlt zu diesem alten Polizeiinspektor aus München, der nicht nur räumlich 10.000 Kilometer weit weg von mir war. Weil wir beide Menschen sind und es in der Serie um menschliche Themen ging. Auch der „Bild“-Leser wird meine Menschlichkeit anerkennen, wenn man ihm nicht jeden Tag sagt, dass ich

das Problem in Deutschland bin. Die Medien trauen ihrem Publikum echt wenig zu – das finde ich herablassend. Die Gesellschaft ist längst weiter als das, was wir schreiben, kreieren und herstellen.

Bei welchen Themen zum Beispiel?

Bei Rassismus, bei LGBTThemen. Die meisten haben kein Problem mit Diversität. Sie sind neugierig oder finden das vielleicht ein bisschen komisch, was von ihrer Lebensrealität abweicht.

Es gibt natürlich die Homophoben, die Rassisten, die man nicht mehr überzeugen wird. Aber ich glaube, dass der Großteil der Gesellschaft so ein bisschen schwankt, sich nicht so sicher ist. Und wenn dann die Desinformations-Maschine loslegt, zieht sie die halt auf die falsche Seite.

Was wünscht du dir da von den Medien?

Andere Narrative. Man muss nicht nur positive Geschichten über Geflüchtete bringen oder schwar-

ze Menschen heroisieren. Man sollte die Menschen aber in all ihren Facetten darstellen. Wir sprechen Menschen ihre Menschlichkeit ab, wenn wir sie nur eindimensional zeigen. Chimamanda Ngozi Adichie, eine nigerianische Schriftstellerin, nennt das Danger of a Single Story. Von weißen Menschen gibt es sehr viele verschiedene Erzählungen. Sie können cholerisch sein, nett, fürsorglich –alles, was dir einfällt. Von marginalisierten Menschen gibt es oft nur eine Erzählung. Wenn man die immer wiederholt, entstehen in den Köpfen Stereotype. Um die abzubauen, könnten wir einfach die Realität abbilden. Ich gucke auf TikTok oder Instagram so gerne, wie andere Menschen kochen oder ihre Feiertage feiern. Ich finde es nice, wenn in den Läden, in denen ich meine Weihnachtsdeko kaufe, auch Deko für die Feste anderer Religionen verkauft wird. Niemand nimmt mir meinen christlichen Glauben weg, weil es bei Karstadt einen Ramadan-Kalender gibt.

Fehlt uns die Neugier aufeinander?

In unseren Feeds haben wir eigens für uns kuratierte Inhalte. In unseren selbst gebauten Echokammern klopfen wir uns gegenseitig auf die Schultern und halten das für Austausch. Ich lebe und arbeite in Charlottenburg, viele meiner Freunde machen irgendwas mit Medien.

Was für eine Ahnung habe ich denn von Deutschland, wenn ich den ganzen Tag nur mit solchen Leuten unterwegs bin? Ich muss Zug fahren, ich muss Bus fahren, ich muss mich mit Menschen auf der Straße unterhalten. Mit den Menschen hier in der Kneipe. Wenn ich davon ausgehe, was ich auf meinen Bildschirmen sehe, habe ich so einen pessimistischen Blick auf die Welt. Und wenn ich dann rausgehe, bin ich überrascht, wie freundlich die Leute sind. Sogar in Berlin.

Auf den Bildschirmen sehen wir Krisen, Kriege, Klimakatastrophe. Wie schaffst du es, dass dir die Hoffnung nicht verloren geht?

Das habe ich von meiner Mutter. Sie hat immer gesagt, dass sie nicht verstehen konnte, wie Bäume und Blumen einfach so weiter blühen können, nachdem unser Vater umgebracht wurde, nachdem ihre Eltern umgebracht wurden und all diese anderen Menschen. Aber dann hat sie kapiert: Das Leben geht immer weiter. Und es ist gut, dass die Bäume und Blumen uns daran erinnern. Wenn man so etwas Schlimmes erlebt hat wie einen Genozid, denkt man: Was könnte Schlimmeres kommen? Wenn ich damit fertig geworden bin, werde ich mit ein paar Rassisten in Berlin auch fertig.

Du bleibst Optimistin? Mal so, mal so. Ich bin

aber auch total oft frustriert und traurig. Dann frage ich mich, ob wir schon so einen Punkt erreicht haben, von dem wir nicht mehr zurück können. Ob wir jetzt einfach einmal durchspielen müssen, dass die Welt populistischer, rassistischer und unangenehmer wird, um zu erkennen, dass das falsch ist – und dann umzukehren und alles anders zu machen. Natürlich vorausgesetzt, wir überleben das Ganze.

Wie hilft dir dein Humor?

Auch den habe ich von meiner Mutter. Selbst wenn ich an den Genozid denke, erinnere ich mich an Momente, in denen wir miteinander gelacht haben. Es gibt in jeder Tragödie immer irgendwas Lustiges. Humor ist für mich keine Taktik, um Probleme oder Krisen auszublenden. Im Gegenteil: Er macht es leichter, hinzuschauen und sich damit auseinanderzusetzen. Das Prinzip verfolgen wir auch beim „Browser Ballett Heimatquiz“, in dem Promis einschätzen müssen, welche absurden Fakten zu gesellschaftlichen Kontroversen tatsächlich stimmen. Ein Beispiel: Rund um die Aufarbeitung des NSU-Skandals wurden in den Behörden Akten geschreddert – das war als Operation Konfetti bekannt. Das ist an Zynismus kaum zu überbieten.

Du trägst ein Kreuz um den Hals, dein Stiefvater

war Pfarrer. Wie hilft dir der Glaube?

Humor und Glaube sind für mich die absolute Gewinner-Kombi. Humor hilft, mit der Gegenwart klarzukommen. Und mein Glaube hilft, keine Angst vor der Zukunft zu haben: Ich fühle mich zu jeder Zeit getragen. Egal was kommt, Gott macht schon. Ob man mich deswegen naiv nennt, ist mir egal.

Als du zehn warst, ist deine Mutter mit euch der Liebe wegen nach Deutschland gezogen. Für welchen Traum würdest du neu anfangen?

Um nach Ruanda zurück zu gehen. Das hat einen traurigen Hintergrund: Als diese sogenannten Remigrationspläne bekannt geworden sind, habe ich mich gefragt, was mit uns passiert, wenn die Faschisten regieren. Meine Familie hat über Generationen hinweg erlebt, wo es hinführt, wegen konstruierter ethnischer Differenzen marginalisiert zu werden. Seitdem überlege ich zweimal, welche Pläne ich mache, welche Investitionen ich tätige – denn was ist, wenn wir enteignet werden? Seitdem überlege ich, wo ich neu anfangen würde, wenn ich müsste. Und da würde ich nach Ruanda ziehen. Ich will nicht nach Dänemark oder Portugal oder Nigeria – sondern schön dahin, wo ich mich auskenne. Da setze ich auf Sicherheit. Typisch deutsch eben.

»Egal was kommt, Gott macht schon. Ob man mich deswegen naiv nennt, ist mir egal«

kicker hat eine crossmediale

Markenreichweite von 6.374.000 Nutzern pro Woche.

Etwa genauso viele Menschen spielen in Deutschland regelmäßig Lotto.

Quellen: b4p 2023II/Institut für Demoskopie Allensbach

Kai Gniffke ist Intendant des Südwestrundfunks und hatte 2022 bis 2024 den Vorsitz in der ARD. 2025 gibt er ab an Nachfolger Florian Hager

23 Kai Gniffke wird als ARD-Kapitän ausgewechselt und träumt von öffentlich-rechtlichem Ballbesitz

E»Gegen ein hartes Match habe ich nichts. Aber es muss das Fair Play gelten«

iner meiner Lieblingsorte ist das Fußballstadion. Das war schon als Kind so. Wäre ich nicht Journalist geworden, dann Fußballprofi. Vielleicht aber liegen beide Leidenschaften sogar näher beieinander, als man denkt? Im Stadion finde ich Werte, die ich mir auch für die ARD wünsche: Gemeinschaftsgefühl und Begeisterung, Fairness und Teamgeist, klare Regeln, eine moderne Spielstrategie. Es ist Zeit für mehr öffentlichrechtlichen Ballbesitz in der digitalen Welt. Unsere Demokratie steht unter Beschuss; wir in der ARD müssen ins Gegenpressing gehen. Ich wünsche mir eine ARD, die klare Kante gegen Wahrheitspfuscher und Fake-News zeigt. Respekt und Transparenz statt Hass und Hetze. Es braucht demokratischen Diskurs und Vielstimmigkeit – nicht Polarisierung und vergiftete Diskussionen. Darauf ist unsere Mannschaftsaufstellung ausgerichtet: taktisch klug, hinten sicher stehen und dann die Umschaltmomente nutzen. Wir zeigen die ungeschminkte Wirklichkeit. Und zwar präzise, belastbar und nach überprüfbaren Standards. Wir sind an der Quelle und selbst eine verlässliche Quelle. Die neue ARD öffnet sich, lädt zum Gespräch, ist bereit für Dialog und Kritik. Das schafft Vertrauen.

Ich fühle die Verantwortung gerade auch für die junge Generation. Die setzt sich nicht um 20 Uhr vor den Fernseher (sofern sie überhaupt einen hat), um die Tagesschau einzuschalten. Junge Menschen suchen verlässliche Informationen auf Social Media. Bei Tiktok, Instagram und Snapchat findet ihre politische Sozialisation statt, dort sehen sie Vorbilder ihrer Lebenswirklichkeit. Wollen wir das Feld den undurchsichtigen Algorithmen großer Tech-Konzerne überlassen, die Nutzende binden, indem sie den Emotionsregler auf Anschlag drehen? Die mit verbalen Pyros

zündeln und brüllende Hooligans mit Aufmerksamkeit belohnen?

Wir sind ganz gut aufgestellt: Auf Instagram ist die „Tagesschau“ mit 5,4 Millionen Followern das erfolgreichste Nachrichtenangebot Europas. Auf TikTok sind es 1,5 Millionen. Und auf Twitch sind wir mit dem neuem Format „tagesschau together“ furios gestartet: Knapp drei Stunden Hintergründe zu Nachrichten und Dialog mit den Nutzenden. Aber da ist noch mehr drin.

Die alte ARD hat den Aufbruch gewagt, indem sie sich selbst aufgebrochen hat. Wir haben sie nach der schwersten Krise ihrer Geschichte umgekrempelt. Wir sind eine 75 Jahre alte Traditionsmarke, gegründet als demokratischer Gegenentwurf zum totalitären Propagandasender der Nationalsozialisten, haben viele Menschen seit Generationen begleitet. Aber diese ARD musste sich häuten, musste moderner, zeitgemäßer, digitaler werden. Wir haben die zwiegenähten Baumwolltrikots abgelegt und uns mit High-Tech ausgestattet.

Die neue ARD gehört im Bereich Streaming in die Champions League. Gemeinsam mit dem ZDF können wir der Nukleus sein für eine Medienlandschaft, die nicht auf einem Rasen spielt, der von Tech-Konzernen gemäht worden ist. Ich träume von einem Stadion, das wir gemeinsam mit den kommerziellen Medienanbietern bauen. Ein großes, transparentes, eines, wo alle Menschen und alle Meinungen willkommen sind, wo wir Fangesänge anstimmen und La-Ola-Wellen lostreten. Wettbewerber sollten dort inhaltlich konkurrieren, nicht technisch. Gegen ein hartes Match habe ich nichts. Aber es muss das Fair Play gelten. Eine tollkühne Vision? Vielleicht. Es braucht Mut, das Richtige für die Gesellschaft zu tun, wenn es sich nicht gleich wirtschaftlich auszahlt. Aber dafür gibt es den öffentlichen-rechtlichen Rundfunk.

»Imagine all the people livin’ life in peace...«
John Lennon

24 Carla Hinrichs ist Teil der Letzten Generation und träumt von Miteinander

Ich sitze auf dem Tempelhofer Feld in Berlin. Einen kurzen Moment möchte ich frei sein von der düsteren Aussicht, die meine Zukunft prägt: Den beängstigenden wissenschaftlichen Fakten und dem Wissen, dass eine Katastrophe, die größer kaum sein könnte, vor der Tür steh: die Klimakrise. Beim Schreiben in meinem Tagebuch fange ich an zu träumen. Von einer Welt des Miteinanders.

In einer Welt des Miteinanders haben wir das endlose Streben nach Mehr und Macht abgelegt und begegnen uns auf Augenhöhe. Zusammen bauen wir eine Gesellschaft, die die Schwächsten trägt und die Stärksten in den Arm nimmt. Wir wachsen über uns hinaus, erkennen den Konflikt als Potential und erschließen neue Wege einer echten Demokratie. In einer echten Demokratie treffen wir Entscheidungen gemeinsam. Wir haben uns befreit von den Interessen der Lobbys, Parteien und Superreichen. Wir haben uns befreit aus dem Zwang der Leistungsgesellschaft, gebaut auf Ausbeutung und Zerstörung. Wir leben in Einheit mit dem, was uns umgibt.

»Zusammen bauen wir eine Gesellschaft, die die Schwächsten trägt und die Stärksten in den Arm nimmt«

Carla Hinrichs ist Klimaschutzaktivistin und eine der Sprecherinnen der Aktionsgruppe „Letzte Generation“. 2024 kandidiert Hinrichs neben anderen Mitgliedern bei der Europawahl; die Wählergruppe erzielt aber keinen Sitz

In einer Welt des Miteinanders kenne ich meine Nachbarn, ich weiß, wer sich um mich bewegt und atmet, ich kenne ihre Träume und Bedürfnisse. Gesellschaftsräte bringen im Kleinen und Großen die Menschen zusammen und schaffen Räume der verbindenden Lösungsfindung. Die Demokratie steht auf neuen Füßen. Unser Protest hat ihren wahren Kern zum Vorschein gebracht und sie revolutioniert: Entschieden wird von Bürger*innen für Bürger:innen, orientiert an dem, was wir brauchen.

Doch die düstere Wahrheit lässt sich bei einem ehrlichen Blick in die Zukunft kaum unterdrücken. Wir können uns nicht ganz befreien von den zerstörerischen Fehlern unserer Vorfahren: Die sich selbst

verstärkende Erhitzung unseres Planeten haben jene besiegelt, die der Gier nach immer mehr nicht standhalten konnten. Doch in der Welt des Miteinanders wissen wir, wie wir den Krisen begegnen. Wir sind vorbereitet und haben gelernt, friedlich und fürsorglich zu reagieren, statt in Kriegen um Nahrung auseinanderzubrechen.

Und wie kommen wir dahin? Wir protestieren! Wir stellen uns in den Weg, blockieren und unterbrechen, was uns Richtung Abgrund treibt. Wir blicken mutig ins Auge der Zerstörung und nehmen uns, was uns gehört: eine gerechte und sichere Zukunft für alle. Wir verweigern den Gehorsam einer Welt der Leistung bis ins Burnout. Wir befreien uns aus dem alten System und machen uns an die Arbeit für

eine Welt des Miteinanders. Wir kündigen unsere Jobs und steigen den Unis und Schulen aufs Dach, die versagen, uns für eine Welt des Miteinanders auszubilden, sondern uns zum Teil des zerstörerischen Wachstums machen wollen. Wir streben nicht nach Geld und Macht, sondern fragen uns: Was brauchen wir? Wir übernehmen Verantwortung und erarbeiten uns ein Leben nach den Bedürfnissen der Gemeinschaft. Wir werden nicht die letzte Generation mit friedlicher Kindheit sein. Sondern die erste, die aufsteht, um das Richtige zu tun. Wir fangen jetzt an, das zu tun, was wir in Zukunft umso mehr brauchen: Mit offenem Herzen begegnen wir dem, was kommt. Wir lassen nicht zu, dass es noch schlimmer wird. Und schaffen so die Welt des Miteinanders.

25 Frank Dopheide

ist Kreativunternehmer und träumt von endlosen Weiten

Frank Dopheide

arbeitet nicht bei der NASA, sondern berät als Gründer und Geschäftsführer der Agentur Human Unlimited Unternehmen zum Thema kreative Sinnhaftigkeit

(Marketingdeutsch: Purpose)

Ich arbeite an einer medizinischen Revolution, um massive Durchblutungsstörungen zu beheben – denn die rechte Gehirnhälfte des Menschen ist zunehmend unterversorgt. Die Gehirne arbeiten nur noch links und logisch. Ein weltweites Phänomen, das in den Chefetagen begann und in akuter Überrationalisierung mündet. Damit verliert die Menschheit ihren einzigartigen Wettbewerbsvorteil: ihre Kreativität.

Von den 8,4 Millionen unterschiedlichen Arten auf unserer Erde ist allein der Mensch in der Lage, sich selbst und die Welt nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Ideenreichtum und Vorstellungsvermögen haben uns zu den kreativsten Wesen des Universums gemacht.

Doch wir lassen diese Fähigkeit verkümmern.

Kreativität ist messbar, sagt die NASA. Sie hat den berühmten Genius Score entwickelt und erkannt: Niemand ist kreativer als Kinder im Vorschulalter. Ihr Score von 98 Prozent gilt in der Milchstraße als unschlagbar. Dann kommen die Kleinen in die Schule. Als Teenager bringen sie die Mittlere Reife und einen Genius Score von zwölf nach

»Die Menschen haben ihre Kreativität und ihren Verstand verloren«

Hause. Mit Anfang dreißig, wenn sie beginnen, Verantwortung in Firmen und Familien zu übernehmen, liegt ihr Score bei kaum messbaren zwei Prozent.

Die Menschen haben ihre Kreativität und ihren Verstand verloren. Heute muss sich jedes Unternehmen neu erfinden, hat aber keine Idee wie. Das ist das Problem.

Die Lösung: Die Logiker und Zahlendreher in den Chefsesseln müssen zuerst ran. Und genau da kommt mein Projekt für 2025 ins Spiel. „Heureka – die Kunst, Kreativität für sich arbeiten zu lassen“ ist ein Bootcamp für linksgesteuerte Managergehirne. Ein sechs Wochen langes Gehirnwäscheprogramm, das kreative Geister weckt. Denn: Auch Chefs haben eine rechte Gehirnhälfte, Kreativität kann trainiert werden. Und wenn die Logik mit ihrem Latein am Ende ist, hat die Kreativität immer noch eine Idee.

Wenn wir es schaffen, kollektiv die Kreativität zu wecken, stehen uns großartige Zeiten bevor: Politiker hätten eine Idee, wie die Zukunft aussehen könnte. Unternehmenslenker würden Erfindungen mehr lieben als Effizienzschrauben. In der Schule wären Musik und Kunst so wichtig wie Kopfrechnen. All unsere Sinne würden aufblühen, wir sähen die Welt mit anderen Augen. Die künstliche Intelligenz wäre kein Wunder mehr, sondern eine Rechenmaschine, deren Welt allein aus Einsen und Nullen besteht. Niemand würde sich ohnmächtig fühlen, weil schon der kleine Mensch die Gestaltungskraft und den Glauben an sich selbst entdecken würde. McKinsey, BCG, Goldmann Sachs und Co. wären uncool, PowerpointCharts wahre Kunstwerke. Die Welt und das Leben würden an Schönheit und Herrlichkeit gewinnen. Die Zukunft beginnt mit einer Idee. Auch in den endlosen Weiten des Alls gilt das Gesetz, dass Logik einen nicht weiter als bis zum ersten Offizier bringt – sorry, Mr. Spock. Wenn die Crew, das Schiff oder unser Planet in Gefahr ist, kann allein der Mensch sie retten: Captain Kirks Wunderwaffe heißt Kreativität. Möge die Macht mit uns sein.

Kträumt von der Macht des Machens

ürzlich hörte ich einen Podcast mit der Trendforscherin Florence Gaub. Sie sagte sinngemäß: Je mehr man macht, desto optimistischer wird man. Das geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Doch leider ist Machen sehr selten geworden. Eher regiert das Wegducken, das Aussitzen. Dabei würde uns Optimismus gut tun, gerade in unserer Branche. Ich versuche deswegen, diese Haltung in den Inhalten von „Vogue“ und auch im Team zu platzieren. Machen statt meckern. Den eigenen Spielraum ausnutzen. Statt ewig über den schnellen Wandel und KI zu lamentieren, könnte man sich auch mal über die Möglichkeiten der Digitalisierung freuen, oder sich auf die nicht durch Technik zu ersetzende menschliche Empathie und Kreativität fokussieren. Statt über junge Menschen zu schimpfen, die angeblich alle nicht mehr arbeiten wollen, könnte man sich von ihnen

inspirieren lassen, die mentale Gesundheit wichtiger zu nehmen und sich nicht ins Burnout zu schuften. Ja, man kann sich aktuell über vieles aufregen, zurecht. Aber nein, das bringt uns nicht voran, weder in der Medienbranche, noch sonstwo. Im Gegenteil: Unproduktives Meckern lähmt.

Was wir jetzt brauchen, ist ein optimistischer Aktivismus. Wie wäre also: mehr Ausprobieren, mehr Vernetzung, mehr Verantwortung für junge Leute, mehr Austausch mit den Alten, mehr Enthusiasmus, mehr Ideen, mehr Progressivität, mehr Positivität, mehr Rausgehen, mehr Zuhören, mehr Ärmel-Hochkrempeln.

Etwas beeinflussen zu können, auch im Kleinen, stimmt nicht nur positiv. Es kann auch große Auswirkungen haben. In der „Vogue“ zitiert Zukunftsforscher Tristan Horx eine Theorie, die besagt, dass schon etwa 3,5 Prozent einer Gesellschaft durch ihren positiven Einfluss neue Normen schaffen können.

Ich glaube, genau jetzt wäre ein guter Zeitpunkt dafür, einfach mal zu machen.

Kerstin Weng ist eine der führenden Modejournalistinnen des Landes und seit 2022 Chefredaktuerin der deutschen „Vogue“

27 Isabelle Gardt ist Geschäftsführerin und Marketingchefin bei OMR und träumt von mehr Likes für Weltverbesserer*innen

Vorstandssitzungen mit 60 Prozent Frauenanteil sind Alltag in unseren DAXKonzernen. Deine Tochter zeigt offen ihre Wut, wenn sie in der Schule unfair behandelt wird. Dein Sohn weint vor seinen Freund*innen, weil er traurig ist. Es ist im Job und im Alltag egal, wen du liebst, woher du kommst und wie du aussiehst. Eine Utopie? Unerreichbar? Habe ich dich jetzt schon verloren? Vielleicht, weil dir das mit den Vorständinnen und wütenden Kindern nicht so wichtig ist? Vielleicht, weil dich das Gendersternchen nervt? Das ist okay. Aber lass mich dich trotzdem mitnehmen in meine ganz persönliche Utopie –vielleicht bekommst du dann auch Lust darauf.

Derzeit sind 25 Prozent der DAX-Vorständ*innen Frauen. Nur 19 Prozent der Gründer*innen sind Frauen. Und 44 Prozent der Frauen schrecken davor zurück, Karriere mit Kind zu machen. Das ist nicht die Welt, in der mein Kind aufwachsen soll. Da muss mehr gehen in Sachen Gleichberechtigung.

Zur Einordnung: Ich bin eine weiße cis-Frau, 33 Jahre alt, habe studiert und führe heute ein Unternehmen. Natürlich war nicht immer alles einfach und so geradlinig, wie sich das im Nachhinein anhört. Oft war ich als einzige Frau im Raum trotz harter Arbeit Vorurteilen und Unverständnis ausgesetzt. Aber es war für mich trotzdem leichter als für viele andere Menschen da draußen.

Mir meiner eigenen Privilegien bewusst zu werden und sie zu hinterfragen – das hat gedauert und ist eine tägliche Aufgabe. Es hat mir geholfen, meine Stimme für meine Vision einzusetzen. Neben den am Anfang angeschnittenen Punkten dreht sich meine Vision um die Medien- und Kommunikationsbranche. In der Werbung soll nicht mehr nur die perfekte, reiche, weiße Familie

Isabelle Gardt wird 2017 Head of Digital Products & Marketing bei den Online Marketing Rockstars. 2022 steigt sie zur Geschäftsführerin auf

»Kleine Schritte Richtung Utopie gehen – das geht nur zusammen«

gezeigt werden, in Magazinen soll es nicht mehr darum gehen, wer zu dick oder zu dünn ist. Die nächste Diät soll keine Zeile mehr wert sein. Und auf TikTok, X und Instagram sollen Menschenfeinde nicht mehr Likes und Shares bekommen als Personen, die wirklich an einer besseren Welt arbeiten.

Noch da? Dann hilf mit. Im Kleinen, in deinem Unternehmen, vernetz dich mit anderen, such dir Unterstützung. Auch Austausch ist wichtig, rund ums OMR Festival oder einfach so auf LinkedIn und Co. Denn wenn wir kleine Schritte Richtung Utopie gehen wollen –dann geht das nur zusammen.

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und in Zukunft.

Roland Tichy, Ex-Chefredakteur von „Impulse“ und „Wirtschaftswoche“, bringt heute eigene Publikationen mit teils umstrittenen Positionen heraus

28 Roland Tichy ist sendungsbewusster Zeilenschinder und träumt von glorreichen Zeiten

Es sind glorreiche Zeiten für Journalismus. Wir werfen die Ketten ab, die uns an Druckerpressen, Papierballen und jene gigantischen Dinosaurier in Form von Ü-Wagen gefesselt haben, die ARD und ZDF noch gelegentlich durch ihr Gebührenzahlerreich rollen lassen. Noch nie war Journalismus so schnell, so direkt, so nahe bei den Menschen. Hallo Leute, ehe ihr jetzt aufschreit. Ich kenne noch den Bleisatz. Jede Zeile fast unverrückbar, unkorrigierbar, die Setzer erhielten tarifvertraglich jeden Tag einen Liter Milch. Die Giftdämpfe des Bleis sollten damit weggespült werden. Kein Job für zeitgeistige Veganer. Wir kämpften um spätere Andruckstunden. Um Telefonzellen, damit wir eine Nachricht durchgeben konnten, und am anderen Ende verhunzte eine unwillige Stenotypistin den Text. Das Faxgerät frisst die Seiten und zerknüllt sie. Habt ihr schon mal solches Thermopapier gebügelt, das knittergrau herausquoll aus einer ruckelnden Maschine?

Schon mal einen Text redigiert mit Schere, Prittstift und Tippex? Nach der siebten Lage Papier war er nicht immer besser, nur gequälter. Schon mal eine simple Zahl oder einen Vornamen per Telefon erfragt oder den Spurt ins Archiv hingelegt? Vorbei. Danke, Google. In alten Zeiten haben Druck, Papier und Austräger 80 Prozent oder mehr Kosten der Zeitungsverlage verursacht. Wir Journalisten sind die Gewinner der technischen Revolution. Wir haben die Kuchenstücke für uns reserviert, die früher Setzer, Metteure, Grafiker, Drucker, Zeitungsjungen und Papierlieferanten erhielten. Der Verteilungskampf ging glatt an uns. Gelegentlich haben wir sie bedauert, pflichtgemäß und solidarisch weitergemacht. Jetzt frisst diese unermüdliche Fortschrittsmaschine sich an die heran, die an den alten Techniken und Strukturen festhängen. Hilft aber nix, das Jammern der DJVFunktionäre. Oder die Hoffnung darauf, dass die zertifizierten, vertrauenswürdigen Hinweisgeber,

sogenannte „Trusted Flagger“, als Spitzel und Zensoren der Machthaber die Papierwelt und Altverlage oder die langen, grauen Flure der Uraltfunkhäuser retten. Kollegen, das ist #futschi, wie ein Hashtag bei X lautet, der fallierende Firmen notiert auf der Sterbetafel untergegangener Unternehmen. Der Anteil der Kommunikation am Zeitkonto und materiellen Budget wächst seit vermutlich 2.000 Jahren unentwegt. Warum sollte unser Anteil zurückgehen? Er wird weiter wachsen, geradezu unvermeidlich. Alte Zeilenschinder wie ich geben jetzt den Internet-Nerd, mit Blog, Podcast und Video. Auf eigene Rechnung, es ist Gründerzeit für Journalisten. Ich muss nicht mehr auf eine Einladung von „Presseclub“ oder „Maischberger“ warten – selbst sendet der Mann. Deren Publikum ist jenseits jeder Altersgrenze. Die Jungen warten vor dem Studio. Und die Acht-Quadratmeter-Redaktionzellen oder eure Großraumbüros schaue ich mir nicht einmal von außen an. Ich bin raus. Follow me.

»Wer seine Zukunft bauen will, muss in der Gegenwart leben«
Antoine De Saint Exupéry

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Dörte Spengler-Ahrens

ist Kreativ-Ikone der Werbewirtschaft und träumt von Liebe

Wenn ich die Augen schließe, mir die Zukunft vorstelle und etwas wünsche, sehe ich mehr Positives als Negatives. Das ist natürlich Wunschdenken. Aber vielleicht hilft es, wenn alle positiv wünschen und denken. Wenn die Freude der Hoffnung Flügel verleiht. Wenn Lachen traurigen Situationen die Schwere nimmt. Wenn kleine gute Taten, random acts of kindness, ein großes, gutes Gefühl ergeben. Wenn Einsamkeit zu Gemeinsamkeit wird. Wenn Liebe das Leben bestimmt. Wenn das, was Menschen ausmacht, die Menschen wieder ausmacht.

Immer wenn Menschen gefragt werden, was das Wichtigste in ihrem Leben ist, sagen sie meist: ihre Familie. Das habe ich früher nicht verstanden, weil ich das Leben an sich spannender fand. Mit seinen Herausforderungen. Mit der Freude an der Arbeit. Mit dem Erfolg und Misserfolg im Beruf. Dann kam mit der Liebe ein großes Stück Glück dazu. Und mit der eigenen Familie noch eine ganz neue Dimension von Liebe und Glück. Deshalb sage ich heute: Das Wichtigste im Leben ist Lieben.

Wenn ich an die Zukunft der Gesellschaft denke, gibt mir folgender Satz Hoffnung: Nichts muss so kommen, wie man es befürchtet hat. Man kann vieles bewegen, indem man sich bewegt. Ein Beispiel: Die Angst, dass die schweigende Mehrheit in Deutschland heute rechts ist, hat die Menschen dazu bewegt, auf die Straße zu gehen – einfach um sprich-

»Nichts muss so kommen, wie man es befürchtet hat. Man kann vieles bewegen, indem man sich bewegt«

Dörte Spengler-Ahrens ist Präsidentin des Art Directors Club und nach beinahe 30 Jahren bei Jung von Matt „Non-Executive Creative Chairwoman“ der JvM-Gruppe

wörtlich zu demonstrieren, dass dem nicht so ist.

Es gibt die Chance, Dinge zu verändern. Durch Mut, Kraft und Kreativität. Wir als Kreative haben die Verantwortung, unsere Kreativität in den Dienst der anstehenden Aufgaben zu stellen. Denn Kreativität ist der einzige Weg, die Aufgaben unserer Zeit in Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft zu bewältigen. Kreativität ist der Ursprung alles Neuen. Kreativität ist die Voraussetzung für neues Denken, für neues Handeln, für jede Form von Innovation. Um gesellschaftliche, soziale, politische und ökologische Themen zu gestalten, zu beeinflussen und zu verändern. Deshalb lautet das Motto des Art Directors Club (ADC): „Change the world with creativity“.

Eine passende Arbeit dazu ist von „Laut gegen Nazis“ und der Werbeagentur Jung von Matt Spree: die Idee „Recht gegen Rechts“. Der Hintergrund: Rechtsnationale Gruppen besitzen in Deutschland eine große Einnahmequelle durch Merchandising; sie drucken Naziparolen in Kurzform auf T-Shirts und andere Artikel. „Laut gegen Nazis“ erwirbt nun die Rechte für die Nazikürzel, damit für jedes verkaufte Teil in Zukunft Abgaben oder Strafen fällig werden. Auf diesem Weg finanzieren die Rechten selbst wieder neue Aktionen gegen Rechts. Und mit jedem Euro können neue Rechte erworben werden.

Kreative können manchmal mit der Kraft ihrer Ideen die Welt also tatsächlich verändern. Lasst uns kreativ sein!

Henning Beck ist Neurowissenschaftler. Als Science Slammer und Autor von Kolumnen und Sachbüchern verpackt er wissenschaftliche Erkenntnisse in populäre Sprache

»Mit drei Klicks könnte man die Zerteilung des demokratischen Meinungsraums verhindern«

30 Henning Beck ist Erklär-Entertainer und träumt von Polit-Post-Regularien

Ich steige in mein Auto und schalte das Radio ein. Es sind diese kleinen Momente, in denen mir auffällt, was das größte Problem unserer Kommunikationswelt geworden ist: Wir zerteilen den Kulturraum in unendlich viele Einzelteile.

Achten Sie darauf, was Sie im Radio erwartet: die „größten Hits der 70er, 80er, 90er“ und „das Beste von heute“. Erstaunlich, dass wir praktisch jedes Jahrzehnt an seinem typischen Sound erkennen, doch

ab den 2000ern Musik zu einem phonetischen Brei verschwimmt. Oder kennen Sie den Klang der 2010er? Ende der 2000er kam das Streaming auf. Plötzlich hatte jeder Mensch seinen eigenen Sound auf den Ohren, eine generationenprägende Musikidentität konnte sich nicht mehr ausbilden. Es ist daher nicht erstaunlich, dass die Klimabewegung die erste Protestbewegung in Deutschland war, die praktisch ohne Protestlieder auskam. Jetzt bitte ich Sie: Über-

tragen Sie dieses „Verspotifyisieren“ auf alles andere. Auf Nachrichten, auf Politik, auf Kultur. Sie sehen das größte Dilemma unserer Zeit: Es gibt nicht „das Internet“. Es gibt dein Internet, dein Netflix, dein Google, dein Instagram. Und wer sich immer gefragt hat, warum Donald Trump so erratisch auftritt, findet hier die Antwort: Es gibt nicht „Donald Trump“. Es gibt „deinen Donald Trump“. Je kaleidoskopartiger er erscheint, desto größer seine digitale Anschlussfähigkeit.

Was haben wir über Angela Merkels „Neuland“-Metapher zum Internet gelacht. Heute lacht niemand mehr, weil wir langsam verstehen, dass Soziale Medien tatsächlich unsere Kommunikation zersetzen: Wir zerteilen den wichtigen Meinungsraum, bis man sich unversöhnlich gegenübersteht. Ein globaler Trend, der messbar ist: So ist in westlichen Demokratien Social Media ursächlich für die Schwächung demokratischer Strukturen.

Wir müssen diesen Informationsraum zurückgewinnen – und politische Viralität minimieren. Gleichzeitig darf man die Kommunikation von politischen Inhalten nicht gängeln. Zu hoffen, dass Menschen die nötige Kompetenz selbst entwickeln, erscheint mir naiv. Denn gerade gut gebildete Menschen sind die politisch intolerantesten und starrköpfigsten.

Vielleicht ist die Lösung eine technische. Als erstes muss der Like-Button für politische Postings weg. Wenn Facebook jede halbnackte weibliche Brustwarze zensieren kann, sollte es problemlos machbar sein, auch politische Inhalte so einzustellen, dass man sie nicht mehr liken kann.

Zweitens: Politische Posts sollten nicht mehr geteilt werden können. So vermeidet man, dass sich die Anhänger von politischen Meinungen fortwährend gegenseitig bestätigen. Und drittens: Politische Posts könnten digital gleichförmig verbreitet werden. Wenn man etwas auf TikTok postet, würde dieser Inhalt nicht konkret an passende Zielgruppen gesendet werden, sondern „gleichmäßig“ an zufällige Nutzer. So wie ein Radiosender auch gleichmäßig in alle Richtungen funkt.

Wohlgemerkt: Es wären nur politische Inhalte betroffen. Mit Schminkvideos, lustigen Choreografien oder Computerspiel-Tricks könnten die Digitalkonzerne weiter gutes Geld verdienen. Doch mit drei Klicks in den Kontrollzimmern der Digitalkonzerne könnte man die Zerteilung des demokratischen Meinungsraums verhindern.

31 Jörg Dittrich deckt Dächer und träumt von Nachwuchs fürs Handwerk

Schon mein Urgroßvater war Dachdeckermeister, ebenso mein Großvater und mein Vater. Der hat mich schon als Kind mit auf Baustellen genommen. Der Haken an der Sache: Viele Baustellen in Industriebetrieben hatten eine Zugangskontrolle mit Schranke. Kleine Kinder durften nicht rein. Deswegen versteckte mich mein Vater im Fußraum des Kleintransporters. Er zeigte dem Sicherheitsmann irgendeinen Arbeitsausweis und ich war mit großem Herzklopfen drin in einer Welt, die ein riesiges Abenteuer für mich war.

Die Gespräche auf der Baustelle, der Geruch von Bitumen, das Gefühl von Wärme und Kälte, der Regen auf der Haut, der Zusammenhalt der Handwerker, wenn sie gemeinsam anpackten oder beim Frühstück saßen – all das hat mich fasziniert. Bei diesen Besuchen begann mein Traum, selbst Handwerker zu werden und zum Team zu gehören.

Für mich hat sich dieser Traum erfüllt. Heute bin ich Dachdeckermeister und Handwerkspräsident. Und ich will, dass viele Kinder den Traum vom Handwerk träumen können. Aber das ist schwierig in einer Welt, in der junge Menschen zu selten mit Handwerk in Berührung kommen. Handwerkliche Bildungsinhalte und deren praktische Anwendung finden sich in kaum einem Lehrplan. Das hat Folgen. Die Schülerinnen und Schüler passen sich an – an eine Welt, in der es wichtig ist, die Photosynthese zu verstehen, das Verarbeiten des dadurch entstandenen Holzes aber nicht Teil des Unterrichts ist. So geht viel verloren: Der Sinn fürs Haptische, die Freude daran, etwas zu erschaffen. Dazu kommen die Stereotype eines Bildungssystems, das sich allein an Hochschulen und Universitäten orientiert.

Ich habe die Vorurteile selbst erfahren. Trotz guter Noten in der Schule habe ich mich gegen Abitur und Studium entschieden. Ich

Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, kann sich nicht mehr so leicht im Transporter verstecken wie als Kind

wollte Dachdecker werden. Meine Lehrer haben mit Unverständnis und Ablehnung reagiert. Mein Vater nicht. Er fragte: „Ist es denn Bedingung, Idiot zu sein, um Dachdecker zu werden?“

Ich will, dass Kinder das nicht mehr erleben müssen. Ich will, dass ihre Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen. Dass es egal ist, ob sie sich nach der Schule für Sartre oder SHK entscheiden. Dafür braucht es einen Kulturwandel in den Kultusministerien. Und es braucht einen Staat, dem die berufliche Bildung im wahrsten Sinne des Wortes etwas wert ist. Drei Milliarden Euro, um genau zu sein. Denn so hoch ist der Investitionsbedarf bei den Bildungsstätten des Handwerks.

Den sogenannten Framo-Transporter, in dessen Fußraum sich der kleine Jörg versteckt hatte, existiert immer noch in der Firma Dittrich. Außerdem lebt der Traum des Handwerks in mir und 5,6 Millionen Handwerkerinnen und Handwerkern. Wir sind viele, wir wollen noch mehr werden. Man wird ja wohl noch träumen dürfen.

32 Birgit Priemer berichtet über den Sound der Straße und träumt von Robotern am Steuer

Ist es die kahlköpfige Puppe neben mir, die – rein symbolisch betrachtet – meinen Traum einer nahtlos aufeinander abgestimmten Mobilitätskette erfüllen wird? Hilft dieser humanoide Roboter namens Kim als Vertreter künstlicher Intelligenz, dem nahe zu kommen, was wir uns schon vor zehn Jahren erhofft hatten: Unser Ziel zu erreichen, ohne im Stau zu stehen, weil alles vernetzt und der Verkehrsfluss automatisch gesteuert ist? Umweltfreundlich noch dazu?

Kim kommt aus Japan. Dort, wo der Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks durch die Lande prescht. Mobilität funktioniert im Land des Roboters besser als bei uns.

Kim ist ein Forschungsprojekt der Hochschule der Medien in Stuttgart. Mit Hilfe der Roboter soll ausgelotet werden, welche neuen Wege bei der multimodalen Mensch-MaschineAktion eingeschlagen werden können. KI kann soziale Gerechtigkeit stärken, weil viele Dinge, so auch Autos oder Fahrräder, günstiger produziert werden können. KI kann aber auch Arbeitsplätze nehmen. Ausgerechnet jetzt, wo doch in der

Automobilindustrie so viel auf dem Spiel steht.

Kim und Co können aber auch Leben retten: Etwa 1,3 Millionen Menschen kommen pro Jahr weltweit bei Verkehrsunfällen ums Leben. So viele wie bei sechs Flugzeugabstürzen eines Airbus 380 – pro Tag. In 95 Prozent aller Unfälle ist der Grund menschliches Versagen. Wenn wir also der KI das Steuer überlassen, dann sind wir sicherer unterwegs. Die schon lange angestrebte Vision Zero, also null Verkehrstote, erreichen wir nur mit KI.

MOIA, der Sammeltaxi-Dienst von VW, hat in Hamburg schon zehn Millionen Fahrgäste befördert. Am Steuer? Heute noch ein Busfahrer. Künftig ein Roboter. KI und Mensch bilden dann ein Ökosystem, kreieren ein neues Geschäftsmodell. Da liegt für die kriselnde Autoindustrie eine riesige Chance. In Oslo sollen bis 2030 rund 30.000 selbstfahrende Shuttle-Dienste unterwegs sein.

120 Milliarden Euro sind bislang weltweit in die Entwicklung selbstfahrender Autos geflossen. KI macht diese Projekte erst lebendig. Und lässt dabei Menschen am Leben. Bleibt dann klassischer Fahrspaß in

sportlichen Autos auf der Strecke? Möglicherweise – auf der Rennstrecke. Fahrspaß bedeutet aber auch ein Leben ohne Stau. KI verhindert künftig Verkehrschaos.

KI inspiriert mich als Journalistin und Mobilitäts-Expertin. Wenn ich Kim in die Augen schaue, sehe ich einen Freund. Einen, der meine Arbeit erleichtert und alles rund um meine eigene Customer Journey maßschneidert. KI hilft mir, mich viel direkter auf Leser und User einzustellen, mit ihnen zu interagieren und proaktiv festzustellen, welche Inhalte relevant sind. Zeitraubende Alltagsroutinen fallen weg.

Als Journalisten setzen wir KI künftig kreativ ein. Dass mein Kollege, Formel-1-Experte Michael Schmidt, dank KI nun Mandarin spricht, wenn er durch die Boxengasse läuft, ist nur ein Aspekt. KIInhalte werden das Netz fluten. Starke Marken bekommen so mehr Trust. Dazu zählt „Auto, Motor und Sport“. Unsere Inhalte können wir personalisierter ausspielen. Wir bleiben beim exzellenten Journalismus und berichten auch über den Einfluss von KI in der Mobilitätsszene. Und Kollege Roboter hilft mit.

Birgit Priemer ist Chefredakteurin von „Auto, Motor und Sport“. Künftig will sie mehr mit Kollegen wie Roboter Kim zusammenarbeiten

»Fantasie ist wichtiger als Wissen. Denn Wissen ist begrenzt«
Albert Einstein

33 Myriam Karsch verlegt den deutschen „Playboy“ und träumt von unpolitischer Nacktheit

Wenn ich mir etwas wünsche, dann das: Dass es niemanden mehr überrascht, dass ausgerechnet eine Frau ein Magazin herausbringt, in dem andere Frauen sich ausziehen. Weil endlich klar ist, dass sich Frauen nicht für Männer ausziehen, sondern für sich selbst. Und dass das wiederum nicht heißt, dass sie den männlichen Blick nicht schätzen. Sie zeigen sich aus eigener Stärke, weil sie Lust darauf haben. Weil sie sich selbst schön und interessant finden – und diese Schönheit mit anderen feiern möchten. Erst kürzlich sagte die Schauspielerin Gisa Zach: „Die Playboy-Bilder sind mein Ausdruck von: Sei, was und wer du sein willst, und tu, was immer du tun willst. Sie sollen Anstoß sein, sich von Mustern zu befreien, die vorschreiben, was sich angeblich schickt und was nicht.“ Schönheit, Nacktheit, Verletzlichkeit: Das alles ist heute politisch. Sobald jemand nackt ist, geht es um Macht. Selbstermächtigung, Verurteilung, Machtmissbrauch – es hat immer mit Macht zu tun. Ich wünsche mir, dass wir uns davon befreien und in Zukunft alle Körper akzeptieren können – ohne, dass sich einer über den anderen erheben, ohne, dass immer jemand gewinnen muss. Mein Wunsch richtet sich auch an Frauen: Vermeintliche Feministinnen, die Frauen dafür verurteilen, dass sie sich nackt fotografieren lassen, sind für mich keine Feministinnen. Eine Feministin schreibt anderen Frauen nicht vor, wie sie sich zu verhalten

haben – zumindest nicht in unserer demokratisch-westlichen Welt.

Vom Ruf nach Body-Neutralität halte ich nicht viel. Körper sind schön, aber warum sollten sie uns gleichgültig sein? Warum sollten wir die Schönheit nicht feiern dürfen? Der Mensch strebt von Natur aus nach Schönem. Das ist an sich nicht verwerflich. Und wer sagt überhaupt, was schön ist?

Ich wünsche mir, dass Schönheit individueller sein darf, weniger stereotyp – ohne dass man krampfhaft versuchen muss, immer alle Diversity-Vorschriften zu berücksichtigen. In meiner Utopie wäre es gar nicht nötig, Diversity zu fordern, weil sie selbstverständlich wäre. Schönheit ist ein Feuer in einem Menschen, das andere anzieht. Und jedes Feuer ist anders. Ich träume davon, dass wir Nacktheit und Schönheit feiern

»Schönheit ist ein Feuer in einem Menschen, das andere anzieht«

können, ohne dass es ein politisches Statement sein muss. Dafür kämpfe ich. Und bis wir so weit sind, werden wir im „Playboy“ weiterhin wichtige Debatten aufgreifen: Persönlichkeiten wie Transmodel Giuliana Farfalla oder die 66-jährige Désirée Nick porträtieren und diesen Frauen eine Stimme geben. Wir sind so lange laut, bis die Welt ein wenig leiser wird.

Myriam Karsch gründet 2019 mit Florian Boitin Kouneli Media und übernimmt die Publishing-Rechte der Marke Playboy im deutschsprachigen Raum

34 Torsten Albig trommelt für einen Tabak-Konzern und träumt davon, die Realität zu akzeptieren

Mein Traum ist so schlicht, dass ich mich fast schäme, ihn als visionär zu bezeichnen. Ich träume von einer Gesellschaft, die Streit als Chance sieht, dem besseren Argument zum Durchbruch zu verhelfen, statt nur die eigene Position zu verteidigen. Wir reden heute nur noch – aber wir hören nicht mehr zu. Wir werden lauter, um das Gegenüber zu übertönen, nicht damit alle uns hören können. Daten werden nicht mehr als Grundlage für Debatten genutzt –jedenfalls nicht, wenn sie unserer Position widersprechen könnten. Schon Klügere als ich (Ferdinand Lasalle) haben beschrieben, dass jede große politische Aktion im Aussprechen dessen besteht, was ist – und nicht nur dessen, was wir gerne hätten.

Ich habe meine jetzige Aufgabe mit dem Bild eines geliebten Menschen im Gedächtnis übernommen, der in seinen letzten Jahren schwer unter der Geißel Krebs leiden musste: meiner Mutter. Sie hat ihr Leben lang stark geraucht, obwohl ich und viele andere versucht haben, sie davon abzubringen. Sie hörte zwar immer wieder kurz auf, fing aber auch immer wieder an – wissend, was es mit ihr machen würde. In meinen letzten Berufsjahren wollte ich an einer Stelle wirksam

sein, an der man wirklich etwas im Kampf gegen Krebs erreichen kann. Ich wollte nicht nur Papier beschreiben oder schlaue politische Sätze sagen, sondern die Realität verändern. Das beginnt mit der Tatsache, dass Menschen sich gegen alle Vernunft Zigaretten anzünden – egal, was Politik, Söhne oder kluge Oberlehrer sich wünschen.

Deshalb bin ich zu einem Unternehmen gegangen, das Zigaretten verkauft. In eine Industrie, die vor Jahrzehnten noch über die Schädlichkeit von Zigaretten gelogen und Fakten verdreht hat. Aber zu einem Unternehmen, das zugehört hat, sich ändert und sich im letzten Jahrzehnt komplett neu erfunden hat.

In dem eine neue Generation von Menschen Antworten neu denkt. Antworten, die die Zigarette ins Museum bringen werden. Und durch die der Nikotinkonsum auf eine deutlich ungefährlichere Art erfolgen kann. Lernen am Beispiel Schweden: Nur noch knapp fünf Prozent der Schweden rauchen – während es fast 20 Prozent der Deutschen tun. Aber die Schweden haben nicht aufgehört, Nikotin zu konsumieren. Sie nutzen mindestens so viel davon wie wir, nur über ein anderes Produkt: Vor allem schwedische Männer nutzen Tabak- und Nikotinbeutel, die oral konsumiert – aber eben nicht mehr

angezündet – werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass schwedische Männer an Lungenkrebs erkranken, liegt um 40 Prozent niedriger als im europäischen Durchschnitt.

40 Prozent Realität. Echte Menschen, deren Leben nicht mehr so

»Die Zigarette wird im Museum enden«

enden muss wie das meiner Mutter. Krebs ist besiegbar, ohne Menschen umzuerziehen. Keine ideale Welt –aber eine viel bessere!

Vielleicht reicht die Kraft der Argumente nicht, Menschen wie meine Mutter vom Nikotinkonsum abzubringen. Aber wenn wir erreichen, dass diese Menschen trotz Konsum von Nikotin nicht an Krebs erkranken, weil sie eben keine Zigaretten mehr rauchen, wäre das ein unfassbarer Gewinn gegenüber dem Status quo – der jede Anstrengung rechtfertigt.

Sie beginnt damit, dass wir Realitäten akzeptieren, miteinander darüber reden, streiten und echte, pragmatische Lösungen dafür suchen. Ein Traum, für den ich arbeite.

Torsten Albig war schleswigholsteinischer Ministerpräsident für die SPD und ist heute deutscher Chef-Lobbyist für Philip Morris

35 Sigmund Gottlieb machte Bayerisches Fernsehen und träumt von deutscher Coolness

Das Kopfkino rast, besonders in den frühen Morgenstunden. Manchmal auch untertags, aber da bekommt man besser Struktur hinein und eine Idee, worauf es in Zukunft ankommt und worauf nicht.

Mit fortschreitenden Jahresringen wird für mich die Freiheit immer wichtiger. Es gefällt mir sehr, was George Orwell dazu eingefallen ist: „Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.“ Das habe ich 22 Jahre lang als Chefredakteur des Bayerischen Fernsehens getan. Und diese Freiheit koste ich jetzt noch mehr aus als früher. „Gottliebdirekt“ heißt ein Video-Kommentar, der auf den Online-Plattformen der IppenMediengruppe ausgespielt wird. Dort sage ich, was ich denke. Da schwimme ich gegen den Strom, da spitze ich zu, da provoziere ich, da stoße ich hoffentlich Diskussionen an. Denn darauf kommt es ja an, egal wohin die Technik uns treibt: den Menschen ein vielfältiges Meinungsangebot zu machen, die Dinge von allen Seiten zu betrachten. Mut zum klaren Standpunkt zu haben.

Früher habe ich mit viel Leidenschaft meine Meinung in den „Tagesthemen“-Kommentaren gesagt. Das war in der analogen Welt. Heute kommt „Gottliebdirekt“ digital daher und sucht sich neue Kanäle der Verbreitung, neue Wege zu den Menschen. Das ist gut so, aber entscheidend ist der Inhalt – auch noch in hundert Jahren. ExzellenzJournalismus lebt von der Qualität seiner besten Köpfe, KI hin, KI her. Das wird nie anders sein. Ein weiterer Gedanke lässt mich nicht los. Wenn ich über die Zukunft

Sigmund Gottlieb führt bis 2017 als Chefredakteur das Bayerische Fernsehen. Seit 2024 steht er als Videokolumnist für Ippen Media wieder vor der Kamera – meist akkurater frisiert als hier auf einer Reise nach Kairo

meiner Zunft nachdenke, stehen mir manchmal die Haare zu Berge: Die Welt ist schwierig, komplex, bedrohlich geworden. Immer mehr Menschen sind verunsichert und in wachsender Sorge. Ich finde, wir Journalisten haben die Möglichkeit, etwas Kraftvolles dagegen zu setzen: Erklärung, Erklärung, Erklärung! Dabei empfehle ich uns das Motto von Albert Einstein: „Sag es einfach, aber nicht zu einfach.“

Ich reise für mein Leben gern. Es gibt Orte der Sehnsucht und es gibt Teile der Welt, in denen ich niemals leben möchte. Neulich kam mir blitzartig ein Gedanke: Könnte es sein, dass viele AfD-Wähler (ich meine nicht die Unverbesserlichen, die Braunen in der Partei) die Zustände in Deutschland nur deshalb so miserabel finden, weil sie nie gesehen haben, wie es in anderen Regionen dieses Planeten aussieht? Der Urlaub auf Malle oder Mauritius jedenfalls taugt nicht zu einer solchen Erweiterung der eigenen Perspektive.

Ganz ehrlich, ich kann das deutsche Klagelied nicht mehr hören. Es

stimmt schon: Wenn die Deutschen Licht am Ende des Tunnels sehen, verlängern sie den Tunnel. Seit Jahren reden und schreiben wir in Deutschland über all das, was im Argen liegt. Ich selbst habe mit meinem Buch „So nicht“ ja auch in diese Kerbe geschlagen. Es war auch richtig und notwendig. Aber es reicht jetzt! Wir sind trotz allem ein vitales Land, in dem vieles funktioniert. In vielen Bereichen ist Deutschland Spitze, aber wir reden nicht mehr darüber. Man muss schon ziemlich verrückt sein, finde ich, wenn man das Gute verdrängt und das Schlechte überbetont. Doch die Deutschen schaffen das. Ich habe mir vorgenommen, dagegen etwas zu tun. Es ist mir danach, ein Projekt zu starten, das uns die Augen dafür öffnet, wie cool dieses Deutschland doch ist – trotz allem.

»Wenn ich über die Zukunft meiner Zunft nachdenke, stehen mir manchmal die Haare zu Berge«
Eine, die zu Hause hat
KIRSTEN LATOUR
Head of Media
MCM Klosterfrau

Victoria Reichelt arbeitet als Journalistin für öffentlich-rechtliche Formate wie „Deutschland3000“, „ZDFheute live“ und spricht mit ihrer Community auf TikTok und Instagram über Politik

36 Victoria Reichelt macht instatauglichen Journalismus für junge Menschen und träumt von mehr Offline-Debatten

Wenn ich die Augen schließe, träume ich von einer Gesellschaft, die ihre gesellschaftspolitischen Debatten wieder mehr analog und weniger online ausmacht. Ist das realistisch? Nein. Halte ich das trotzdem für erstrebenswert? Ja. Vor kurzem habe ich etwas getan, was ich eigentlich nie tue: Ich habe einen Kommentar bei Instagram geschrieben. Nach 32 Minuten habe ich ihn wieder gelöscht. Zu viele aufgebrachte Kommentare, zu viele User, die sich durch meinen Kommentar persönlich angegriffen fühlten. Darauf hatte ich, auf gut

deutsch gesagt, an diesem Tag einfach keinen Bock. Ich wurde wieder daran erinnert, warum ich als Journalistin, die online politische Debatten abbildet, so wenig Lust wie selten habe, mich selbst daran zu beteiligen. Der Ton ist zu aggressiv, der Austausch zu undifferenziert, in wenigen Zeichen oder Sekunden bleibt oft zu wenig Zeit, die Nuancen des Anderen wahrzunehmen. Dann habe ich darüber nachgedacht, wann ich zuletzt eine politische Debatte mit jemandem im echten Leben geführt habe, die die selbe Schärfe, den selben Dogmatismus, die selbe Überschätzung der eigenen Meinung innehatte. Er-

»Die meisten Gespräche über Politik und Gesellschaft laufen im echten Leben besser«

staunlicherweise ist das sehr selten der Fall. Meine Erfahrung ist, dass die meisten Gespräche über Politik und Gesellschaft im echten Leben, trotz Differenzen, meist respektvoller, nuancierter, fairer, kurzum: besser laufen. Und das auch mit Menschen, die politisch andere Ansichten haben als ich.

Mein Traum für die Zukunft, für 2025 ist es, meine eigenen politischen Debatten und Abhandlungen wieder mehr ins echte Leben zu verlagern. Das ist natürlich schwierig, wenn man als Journalistin vor allem online arbeitet. Ich glaube aber, dass wir nach den Erfahrungen und Erkenntnissen der letzten 20 Jahre weiterhin unterschätzen, wie weitreichend Social Media unsere Gesellschaften auch offline verändern wird. Es gibt am Markt stetig wachsende Player mit undurchsichtigen algorithmischen Regeln – einem davon wurde 2024 nicht zum ersten Mal unterstellt, die Radikalisierung junger Menschen voranzutreiben.

Ein zweiter Trump-Sieg, der nicht nur, aber auch durch „alternative Medien“ in den USA möglich wurde. Eine in Teilen rechtsextreme Partei, die Social Media besser für ihre Zwecke zu nutzen versteht als alle anderen. Haben Sie alles schon mal gehört? Kein Wunder, das ist ja auch keine neue Analyse. Und doch leiten wir gesamtgesellschaftlich so wenig daraus ab.

Deswegen: Lassen Sie das Handy mal zu Hause, sprechen Sie mal wieder mit ihrer Nachbarin – vielleicht merken Sie, dass viele Gräben nicht so tief sind, wie sie online oft scheinen.

»Ich möchte möglichst viele Leute mit meinem Wahnsinn infizieren“

Florian Schroeder ist der klügste unter den bekannten und der bekannteste unter den klugen Kabarettisten. Ein Gespräch über persönliche Pleiten, krasse Krisen und heilsamen Humor

Von Heike Turi (Text) und Holger Talinski (Fotos)

Bequem geht anders. Aber das wäre ohnehin nichts für Florian Schroeder – weder auf der Bühne noch hier im Hinterzimmer von Clärchens Ballhaus

Wir treffen uns in Clärchens Ballhaus. Als es 1913 eröffnet wurde, träumten die Berliner von einer glücklichen Zukunft. Bekommen haben sie zwei Weltkriege und Adolf Hitler. Wovon träumst du?

Ich träume von Weltfrieden! Das ist – ohne Ironie – vielleicht der unrealistischste Traum überhaupt. Ein etwas realistischerer Traum von mir wäre, dass die allgemeine Militarisierung des Diskurses gestoppt wird und vielleicht sogar wieder zurückgeht. Die politische Diskussion erscheint mir doch sehr aggressiv aufgeladen in den letzten Jahren.

Inwiefern?

Es ist ein Teufelskreis: Die Sprachlosigkeit gegenüber den Herausforderungen unserer Zeit führt zur Eskalation, die Eskalation verschärft die Sprachlosigkeit und immer so weiter. Wer eskaliert und emotionalisiert, verlässt das echte Gespräch. Jeder verdächtigt den anderen, sein Feind zu sein.

Wie kommt’s?

Unser Umgang mit Social Media ist infantil. Dieser Kommunikationskanal

ist in der Menschheitsgeschichte noch immer recht jung und sehr disruptiv und plötzlich über uns gekommen. Wir sind dieser Technik offenbar zu hilflos ausgeliefert. Die Macht der Algorithmen ist riesig: Sie bestimmen, was wir sehen und was wir hören. Und vor allem: wen wir sehen und wen wir hören. Im Moment habe ich den Eindruck, wir Menschen passen uns der Logik der Algorithmen an, ohne diese auch nur ansatzweise zu durchschauen. Die Algorithmen denken binär: schwarz oder weiß, an oder aus, Freund oder Feind. Wo bleibt da der Humanismus als Ideal und Basis unseres Zusammenlebens?

Hättest du 1913 in Clärchens Ballhaus gern mal mitgetanzt? Ich bin mir nicht sicher. 1913 ist das Geburtsjahr meiner Großmutter. Sie lebte dem Zeitgeist entsprechend recht angepasst, hat früh geheiratet und früh Kinder bekommen. Und sie stand unter der Knute ihres Mannes, hatte keinen Raum, um auszubrechen. Ihre Biografie hätte ich nicht leben wollen. Und da ich ein überaus schlechter

Florian Schroeder geboren 1979, wächst im Schwarzwald als Kind einer alleinerziehenden Mutter auf. Er studiert Germanistik und Philosophie in Freiburg, beginnt währenddessen seine Bühnenkarriere und sammelt Erfahrungen als Radio- und Fernsehmoderator. Für seine messerscharfe Analyse und punktgenaue Rhethorik erhält er zahlreiche Auszeichnungen. Ab Frühjahr 2025 ist er mit seinem neuen Bühnenprogramm „Endlich glücklich“ auf Tour

Florian Schroeder macht im maßgeschneiderten Anzug auch auf kleinster Bühne eine gute Figur

Tänzer bin, weiß ich auch nicht, ob ich mich in dieser Hinsicht meinen Mitmenschen damals hätte zumuten wollen.

Wären die Zwanziger deine Zeit gewesen?

Dahin würde ich tatsächlich gern eine Zeitreise unternehmen. Ich glaube zwar nicht, dass die 2020er Jahre wie die 1920er Jahre laufen. Aber wenn man sich wie ich damit beschäftigt, ist diese Zwischenkriegszeit schon sehr spannend.

Wen siehst du, wenn du in den Spiegel schaust?

Alle und Keinen. Friedrich Nietzsche schrieb als Untertitel unter den Zarathustra: ein Buch für Alle und Keinen. Das finde ich sehr schön. Ich nehme mich in selbstbewussten Stunden als Gesamtkunstwerk wahr. Und in weniger selbstbewussten als eine in sich gespaltene Figur, die unendlich viele Seiten hat und sich in diesen Möglichkeiten ziellos verlieren und verzetteln kann. Etwas alltäglicher formuliert: Wenn ich in den Spiegel gucke, dann sehe ich jemanden, der sich jeden Tag aufs Neue fragt: Was machst du aus diesem Tag?

Das leicht Bipolare liegt ja in der Natur vieler Künstler, denen eine klare Tagesstruktur fehlt. Tatsächlich sind meine Tage strukturierter als man wahrscheinlich glaubt. Ich habe bei Thomas Mann in seinen Tagebüchern gelesen, dass er fast schon beamtisch gelebt hat: Vormittags wurde gearbeitet, mittags wurde spazieren gegangen, dann wurden Katia die Briefe diktiert,

und abends wurden der gesamten Familie gegen deren Willen die neuen Texte vorgelesen.

Das habe ich ein bisschen anders in Erinnerung. Die Kinder von Thomas Mann mussten immer still sein: morgens weil er gearbeitet hat, mittags weil er geruht und abends weil er Besuch empfangen hat. Ganz so streng halte ich es nicht, weil mein Tag zum Glück ein bisschen bunter und vielfältiger ist als der der Familie Mann. Und abends hören meine Zuschauer auf Tour mir auch freiwillig zu! Zumindest habe ich bislang nichts Gegenteiliges gehört.

Deine Tournee ist ja der Wahnsinn. Allein zwischen dem 6. Dezember und dem 26. Januar stehen 22 Auftritte auf dem Tournee-Plan, von Wuppertal bis Leipzig. Was ist so schön daran, in Monheim am Rhein in der Aula am Berliner Ring aufzutreten?

Ich hatte nur Berliner Ring gelesen und dachte, ich trete in Berlin auf und habe so erst später erfahren, dass man mich nach Monheim geschickt hatte. Tatsächlich ist es mir relativ wurscht, wie groß oder klein eine Stadt ist. Solange die Hütte voll ist, fahre ich fast überall hin.

Was wolltest du als Kind werden?

Ganz am Anfang wollte ich Müllmann werden. Ich fand es irgendwie cool, diesen Leuten hinterherzugucken, wie sie den Müll wegräumen. Meine Mutter war ein bisschen schockiert, weil sie dachte, da sei doch noch ein

anderes Potenzial in mir. Dann wollte ich Polizist werden und danach dann Lokomotivführer.

Warum hat es dafür nicht gereicht?

Weil ich mit zehn Thomas Gottschalk werden wollte. „Wetten, dass ...?!“ war die einzige Sendung, die ich bei meiner Oma im Fernsehen gucken durfte. Ich habe die Show relativ schnell nachgespielt, ich als Moderator, Oma in der Rolle der Wettkandidaten und der Wettpaten. Mein erster wirklich ernst zu nehmender Berufswunsch war also: Unterhaltungsmoderator.

Das bist du ja auch geworden, irgendwie. Wann hast du gemerkt, dass du die Leute zum Lachen bringen kannst? So richtig in der Pubertät. Ich war eine Null im Sport, hatte Pickel und war dick – da brauchst du einen Rettungsring. Das war mein Humor. Ich hatte sonst nicht viel zu bieten, aber mein komisches Talent hat mich aus dieser Außenseiterposition rausgebracht. Ich habe Lehrer und Prominente parodiert – und das nicht nur auf dem Schulhof, sondern auch während des Unterrichts. Das unterscheidet ja den Klassenclown vom Pausenclown: Der Klassenclown geht in den Infight, das heißt er stört, er kommentiert, reagiert auf sein Gegenüber. Das ist das, was der Komiker auch tut, er geht rein und sorgt für die Konfrontation.

Das gibt heute die Diagnose ADHS. Stimmt. Heute steht man als Mensch in der Öffent-

»Ich nehme mich in selbstbewussten Stunden als Gesamtkunstwerk wahr. Und in weniger selbstbewussten als eine in sich gespaltene Figur«

Heike

im

Ballhaus in Berlin-Mitte. Im Tanzlokal aus der Kaiserzeit finden heute wieder Bälle, Konzerte und Tanzkurse statt

Florian Schroeder trifft
Turi
Spiegelsaal von Clärchens
»Die Tatsache, dass sich Menschen verletzt fühlen, ist zunächst kein Grund, einen Witz nicht zu machen«

lichkeit ohne Diagnose ganz schön nackt da. Ich habe ich mich auch schon gefragt: Welche Diagnose könnte zu mir passen, um mich im Markt besser zu positionieren? Beim Gesundheitscheck ist leider nichts rausgekommen.

Welcher war der bewegendste Moment deiner Karriere?

Wahrscheinlich mein erster Fernsehauftritt. Damals bei Harald Schmidts „Schmidteinander“. Ich war gerade mal 14 Jahre alt. Das war wie von null auf hundert, direkt vom Schulhof auf die riesige Fernsehbühne. Und in diesen Fernsehkosmos als Jugendlicher reinzukommen, als pummeliger Junge, der schon froh war, wenn die Mitschüler ihn nicht auslachten, sondern über ihn lachten – das war schon outstanding. So aufgeregt wie da war ich nie wieder.

Und was war der schlimmste Moment in deiner Karriere?

Der schlimmste Moment war, als ich mit zwanzig auf der Bühne des UfaKinos in Stuttgart stand und ausgebuht wurde. Ein entfernter Bekannter hatte mich zu einer Sneak Preview als Vorprogramm geladen. Ich war noch im Zivildienst und dachte: Ja, jetzt geht es los. 700 Leute sitzen im Saal. Der Bekannte, der das Kino leitete, machte die Anmoderation, das Publikum grölte: Ausziehen! Ausziehen! Mein Bekannter moderierte mich an mit den Worten Hier kommt Udo Lindenberg. Damals machte ich nur Parodie; die 700 Leute, maximal besoffen, dachten aber, jetzt käme

wirklich Udo Lindenberg. Ich komme raus, der ganze Saal buht, eine Welle der Empörung schlägt mir entgegen. Wenn 700 Leute dich ausbuhen und auspfeifen – das hat eine Wucht, das glaubst du nicht. Nach zwei Sätzen konnte ich nichts mehr sagen. Ich habe den Notausgang gesehen und bin einfach rausgelaufen und habe mir vorgenommen: Du trittst nie wieder irgendwo auf.

Warum hast du es doch wieder getan?

Ich musste. Ich hatte mich angemeldet für den Kleinkunstpreis der Uni Freiburg, der vier Wochen später ausgerichtet wurde. Ich kam hin, machte meine zwanzig Minuten, und sie haben mich gefeiert. Anderes Publikum, andere Erwartungshaltung. Ich habe den Preis gewonnen und gedacht: Okay, so schlecht bin ich wohl doch nicht.

Dein Werkzeug ist der Humor. Was vermag Humor?

Distanz schaffen. Guter Humor heißt immer Abstand nehmen. Humor ist eine rationale Kraft. Robert Musil schreibt Witz kommt von Wissen. Man muss Witze verstehen, man muss Gags verstehen, man muss Zusammenhänge verstehen. Nur Menschen, die Abstand nehmen können, sind zum Humor fähig. Darum sind alle autoritären Machthaber und Menschen humorunfähig. Sie nehmen sich selbst zu ernst, haben eine zu große Mission. Trump zum Beispiel fühlte sich von Kamala Harris schwer gepiesackt, als sie über ihn lachte.

Musil schreibt weiter: Der Witzige ist immer vorwitzig; er setzt sich über die gegebenen Grenzen hinweg, an denen der voll Fühlende haltmacht. Da wir heute in einer Zeit sind, in der Gefühle über allem zu stehen scheinen – vor allem über dem Argument – ist der Humor auch von dieser Seite unter Druck geraten.

Brauchen wir mehr Humor in der Gesellschaft? Wir brauchen viel mehr Humor. Und: Wir brauchen viel mehr Abstand. Wir leben heute in einer Gefühlsdiktatur. Der Satz der Gegenwart ist: Ich fühle es nicht. Dieser Satz hat positive Konnotationen, ich weiß. Aber dieses Ersticken in Gefühlsduselei, dass dauernd jeder glaubt, im Recht zu sein, nur weil er etwas fühlt, halte ich für problematisch. Das Argument steht über dem Gefühl. Sonst können wir einpacken.

Lässt du dich von einer woken Gesellschaft einengen?

Nein, ich lasse mich nicht eingrenzen. Die Aufgabe des Satirikers ist, genau wie die des Journalisten oder des Wissenschaftlers, präzise zu schreiben, präzise zu argumentieren, präzise zu denken. Die Tatsache, dass sich Menschen verletzt fühlen, ist zunächst kein Grund, einen Witz nicht zu machen. Es sei denn, man muss selbstkritisch feststellen, dass man einen Gag gemacht hat über Menschen, die es nicht verdient haben. Oder dass man in einer Weise über Menschen gesprochen hat, in der sie es nicht verdient haben.

Wann verlierst du den Humor?

Bei schlimmen Schicksalsschlägen, die Menschen erleiden; wo es tragisch und dramatisch wird, ziehe ich mich als öffentliche Figur zurück. Es wäre unethisch und würde auch keinen Sinn haben, sich nur um der Provokation willen über Menschen lustig zu machen, denen Schlimmes passiert ist.

Viele Menschen fühlen sich von der Nachrichtenlage überfordert und schalten ab. Du nicht?

Im Gegenteil: Ich bin Nachrichtenjunkie, denn ich bin durch meine Arbeit zur Auseinandersetzung mit Themen gezwungen, für die ich sonst vielleicht zu bequem wäre. Das trainiert meinen Geist. Im nächsten Schritt versuche ich, aus den Themen Pointen zu generieren. Der Humor ist für mich also eine Möglichkeit, mich mit der Welt auseinanderzusetzen und ihr sowohl näher zu kommen als auch ferner zu bleiben.

Was treibt dich an?

Bei Hegel heißt es: Philosophie ist die eigene Zeit in Gedanken erfasst. Ich habe daraus gemacht: Humor ist die eigene Zeit in Pointen erfasst. Mich treibt an, die Welt zu verstehen und Fragen zu stellen, die andere im besten Fall noch nicht gestellt haben. Für mich ist es am schönsten, wenn nach der Show Leute sagen: Krass, so habe ich das Thema noch nie gesehen. Ich kann wenig damit anfangen, wenn Satire und Kunst vorhersehbar sind. Ich finde es viel erfrischender, wenn man immer wieder neu

aufs Weltgeschehen blickt. Wie so ein Vogel, der von Baum zu Baum fliegt und feststellt: Von hier ist die Perspektive aber eine andere.

Bist du als Satiriker auch Journalist?

Ich stehe an der Grenze zwischen Satire und Journalismus. Meine Arbeitsweise ist eine journalistische, aber ich bin kein investigativer Journalist. Das ist eine eigene Disziplin, auf die ich angewiesen bleibe. Ich kann aus dem, was andere recherchieren, etwas Unterhaltsames machen. Das können Journalisten meist nicht, weil sie nur selten satirische Pointen in ihre Texte schreiben können.

Bringt uns Haltungsjournalismus weiter?

In meiner journalistischen Ausbildung habe ich gelernt, dass der höchste Wert des Journalisten seine Unabhängigkeit ist. Also Unkorrumpierbarkeit, Distanz, Infragestellung auch der eigenen Grundüberzeugungen. Deswegen übe ich eine gewisse Zurückhaltung bei der Frage, ob mich aktivistischer Journalismus begeistert. Ich bin da eher skeptisch. Zugleich sollte jede Generation die Chance haben, das Handwerk neu zu verstehen und für ihre Weltwahrnehmung auszulegen.

Hast du ein Vorbild?

In meiner Jugend war Harald Schmidt prägend. Gleichzeitig habe ich die amerikanischen Late Night Shows inhaliert. David Letterman war für mich ein Unterhaltungsgott. Auf Premiere lief seine Sendung damals jeden Abend unverschlüsselt. Ich habe sie auf VHS-Kassette aufgenommen, um

mir genau anzugucken: Wie baut er einen Stand Up? Wie erzählt er Gags? Meine Faszination für US-Fernsehen und für USUnterhaltung ist bis heute geblieben. Diese Gleichzeitigkeit von Ernsthaftigkeit und Leichtigkeit ist wunderbar. Ein Format, das man in Deutschland leider liegengelassen hat, obwohl es ein Publikum dafür durchaus gibt.

Was hältst du von Dieter Nuhr?

Er hat eine unbesetzte Stelle im Satirezirkus erfolgreich besetzt – nämlich die des liberal-konservativ sprechenden Komikers. Ich finde es sehr lustig, dass Komiker immer zu Kollegen befragt werden. Josef Hader hat das in einem Programm einmal schön zusammengefast, als er sagte: Die fragen doch ihren Zahnarzt auch nicht, wie der Kollege bohrt.

Du parodierst gern Markus Lanz, nicht gerade freundlich. Magst du ihn nicht?

Ich schätze ihn als Moderator und als Mensch sehr. Er ist einer der integersten und sympathischsten Fernsehkollegen, die ich kenne. Das meine ich völlig unironisch. Und gerade weil ein großer Respekt da ist, parodiere ich ihn so gern und so leidenschaftlich. Mir wurde auch gefeedbackt, wie man heute in der nach allen Seiten offenen Kommunikationswelt so sagt, dass Markus Lanz und ich uns nicht ganz unähnlich sind und dass es gewisse physiognomische Überschneidungen gibt.

Ihr seid beide Anzugträger. Richtig. Und die Anzüge

»Ich

habe lange damit gehadert, dass ich zu einer Art Zwischengeneration gehöre – zu alt für Fridays for Future, zu jung für die Boomer«

sind auch nicht ganz unähnlich. Schmale Krawatten, Slim Fit-Hemden, enge Anzüge. Morgen vielleicht schon bei Boston Consulting, man weiß es nicht genau. Ich gucke mir bei ihm häufig Farbkombinationen ab, die ich mir allein nicht zugetraut hätte.

Dich gibt es live, linear und digital. Du stehst auf der Bühne, bist im TV, im Radio, in Podcasts, schreibst Bücher, postest auf Instagram, Facebook und Youtube. Warum?

Weil alle Kanäle unterschiedliche Möglichkeiten der Darstellung eröffnen. Und weil ich zu all diesen Medien emotional einen Zugang habe. Ein fertiges Buch vor sich liegen zu haben und zu wissen, das habe ich geschrieben – das ist einfach ein erhebendes Gefühl. Wer schreibt, der bleibt. Da bin ich strukturkonservativ. Das wertet den Stand Up nicht ab. Der Stand Up bietet eine

ganz andere Möglichkeit, vor Publikum zu stehen und mit dem Publikum in einem Flow zu sein. Die Leute zu hören, wie sie lachen, wie sie applaudieren, das ist wunderschön. Das ist die unmittelbarste Erfahrung. Im Fernsehen wiederum gibt es Möglichkeiten, die nur mit diesem Medium erzählbar sind, durch Einspieler zum Beispiel. Social Media macht es möglich, dass ich unmittelbar und am selben Tag aktuell reagieren und kommunizieren kann.

Welche Erfahrungen machst du mit Social Media?

Es gibt unendlich viel Hass da draußen, es gibt unendlich viel Müll in den Reactions. Ich gucke mir das völlig gelassen an, ich nehme das als Rauschen wahr, das mal lauter ist und mal leiser. Insgesamt finde ich dramatisch, was auf X passiert. Seit Elon Musk übernommen hat, halte

ich X für eine Drecksschleuder an Fake News, in der sich kaum noch unterscheiden lässt, was Propaganda ist und was nicht. An Elon Musk lässt sich auch auf dramatische Weise beobachten, wie Rechte alte progressive Themen gekapert haben. Wer heute Meinungsfreiheit sagt, meint häufig Rassismus. Da ist für die eigentliche Bedeutung dieses Grundrechts ein Armutszeugnis.

Du bist 45 Jahre alt. Kannst du die Boomer verstehen? Verstehen? Ja. Ich fühle mich aber nicht als Teil von ihnen. Ich gucke sie mir als Phänomen an, genau wie ich mir natürlich mit großem Interesse die 20- bis 30-Jährigen als Phänomen angucke. Ich habe lange damit gehadert, dass ich zu einer Art Zwischengeneration gehöre. Also zu alt für Fridays for Future und zu jung für die Boomer. Zu jung, um alles scheiße zu

»Dieses Ersticken in Gefühlsduselei, dass dauernd jeder glaubt, im Recht zu sein, nur weil er etwas fühlt, halte ich für problematisch«

finden, was die nachfolgende Generation macht, aber auch zu alt, um ein Teil davon zu sein. Dieses Großwerden in einer Art Zwischengeneration birgt das Risiko, unter die Räder der Geschichte zu geraten. Es birgt aber auch die Chance, einen wachen, möglichst undogmatischen, vielleicht auch freieren Blick auf die eigene Zeit zu haben.

Also hast du keine Identitätskrise?

Im Gegenteil. Meine bisher größten Identitätskrisen hatte ich in den Pubertätsjahren und künstlerisch in den ersten Jahren so bis 30. Als ich selber nicht wusste, was ich wirklich will und das Gefühl hatte, ich bin auf einer ewigen Suche.

Welchen Sinn gibst du deinem Leben?

Der Sinn meines Lebens besteht für mich darin, möglichst viele Leute mit meinem Wahnsinn zu infizieren.

Die Idee geht der Wirklichkeit voran

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Carline Mohr ist Journalistin und Kommunikationsberaterin und träumt von radikalem Willen zum Dialog

Noch nie in der Geschichte der Menschheit wurde so viel kommuniziert wie heute. Und bei jedem Blick aufs Smartphone werden wir konfrontiert mit Hass und Hetze. Das ist anstrengend, manchmal auch frustrierend. Es gibt Leute, die fordern als Konsequenz, man solle beispielsweise TikTok verbieten. Das halte ich für Unsinn. Es ist der sinnlose Kampf gegen ein Symptom.

Die Princeton University hat 2016 in einer Studie untersucht, was den sogenannten Flugkoller auslöst, auch „Air rage“ genannt. Das Ergebnis: Weder die Enge des Raumes noch das schlechte Essen oder unfreundliches Flugpersonal sind entscheidend für die gereizte Stimmung an Bord. Stattdessen fanden die Forscher und Forscherinnen heraus, dass aggressive Ausbrüche wahrscheinlicher sind, wenn es für alle sichtbar eine erste und zweite Klasse gibt. Das Wissenschaftsteam konnte außerdem nachweisen, dass es die Stimmung um das Zwölffache verschlechtert, wenn die Passagiere der zweiten Klasse auf dem Weg zu ihren Plätzen durch die erste Klasse gehen. Und dort mit eigenen Augen sehen, wie entspannt ihre Reise sein könnte. Der Kommunikationswissenschaftler Bernhard Pörksen schlägt vor, diese Studie als Parabel für die vernetzte Welt zu begreifen.

Wir sind permanent online und vergleichen uns mit anderen, sobald wir Instagram, Facebook oder LinkedIn öffnen. Wir vergleichen unser Aussehen, unseren Status, unser Glück. Und wir vergleichen uns nicht nur mit den Nachbarn, sondern mit der ganzen Welt. Das muss schlechte Laune auslösen. An die Stelle des „Air Rage“ tritt die „Information Rage“. So nennt Pörksen die permanente Gereiztheit und Aggression, ausgelöst durch Überinformation und unmittelbare Vergleichbarkeit.

Das Problem sind also nicht (nur) die Plattformen. Um die Rolle der Kommunikationsgesellschaft in dieser

Parabel zu verstehen, müssen wir den Blick auf die gewaltigste Veränderung richten, die die vernetzte Kommunikation mit sich gebracht hat: die redaktionelle Gesellschaft, in der jeder nicht nur Empfänger, sondern auch Sender ist. Und alle möchten auch wie Sender, also wie Redakteure, behandelt werden. Auf Augenhöhe. Mit dem nötigen Respekt vor ihren Themen.

Politikerinnen können nicht mehr einfach ihre Botschaften über die Bürgerinnen und Bürger ergießen, ohne zuzuhören oder Entscheidungen transparent zu erklären. Journalistinnen können nicht mehr einfach ihre Inhalte nach draußen senden, ohne die Leser in ihre Berichterstattung miteinzubeziehen. Und Unternehmen müssen ihre Kommunikation entlang einer gesellschaftspolitischen Haltung entwickeln, die ernst nimmt, was potenzielle Kunden gerade umtreibt

Die redaktionelle Gesellschaft hat Auswirkungen darauf, wie Menschen im echten Leben behandelt werden möchten. Unser Alltag ist ein einziges großes Gespräch geworden. Und genau so müssen wir miteinander umgehen. Mit echtem Interesse an anderen Meinungen, mit der Bereitschaft zum Dialog auf Augenhöhe, mit der Offenheit, auch mal die Perspektive zu wechseln.

Genau an dieser Stelle landen wir wieder im Flugzeug. Das grundlegende Problem löst sich nicht, indem man der Economy einen Gratiskaffee spendiert. Es löst sich nicht, wenn man Plattformen einfach verbietet. Vermutlich löst nicht einmal die beste No-Hate-Kampagne aller Zeiten das Problem.

Von einer künftigen Kommunikationsgesellschaft wünsche ich mir, dass sie dazu beiträgt, große Wahrheiten offenzulegen. Ich wünsche mir den Mut, weniger zu senden und mehr zuzuhören. Ich wünsche mir den radikalen Willen zum Dialog. Nur so bekommen wir die Chance, echte Probleme zu lösen – und nicht nur deren Symptome.

Foto: Anne Hufnagl

»Wir vergleichen uns nicht nur mit unseren Nachbarn, sondern mit der ganzen Welt«

Carline Mohr hat sich 2024 als Kommunikationsberaterin selbstständig gemacht. Zuvor arbeitete für den „Spiegel“, die SPD und „Business Insider“

Michael

»Technik muss ein Leben voller Möglichkeiten schaffen«
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Michael Schuld entwirft Marketing-Strategien für Media-Märkte und träumt davon, Mensch und Maschine zusammenzubringen

Ich weiß nicht, ob ich auf dieser Welt noch richtig bin.“ So fasste meine Schwiegermutter einmal den Umgang mit Technik in unserer Gesellschaft zusammen. Sie fühlt sich abgehängt, überholt, zurückgelassen. Durch ihre Aussage ist mir einmal mehr klar geworden: Technologie muss für Inklusion stehen. Technik muss ein Leben voller Möglichkeiten schaffen. Bei MediaMarktSaturn spiegeln wir das auch in unserem Unternehmenspurpose wider: Technik besser erleben – für ein Leben voller Möglichkeiten. Das ist der gesellschaftliche Auftrag, den wir für unsere Kundinnen und Kunden Wirklichkeit werden lassen. Bei MediaMarktSaturn wollen wir Mensch und Technologie zusammenbringen und auf diese Weise Experience Champion werden. Zu oft werden technische Dystopien erzählt. Daran glauben wir nicht –und dafür stehen wir auch ein. Mit Mut und Haltung wollen wir gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, wenn technische Entwicklungen immer schneller werden. Und wir haben, was es dafür braucht:

Starke Marken schaffen beim Verbraucher Vertrauen, Verständnis für gesellschaftliche Veränderungen und vertreten wichtige Werte. Wir wollen für die Chancen stehen, die Technologie für uns bereithält.

Deswegen setzen wir auf maximale Kundenzentrierung, um für jeden die passende Lösung zu finden. Um unsere Kunden noch weiter in den Fokus zu rücken, wollen wir auch unsere Kundenansprache weiter stärken: Wir werden unsere Daten so verwenden, dass eine individuelle und personalisierte Ansprache noch effizienter möglich ist. Dabei wird uns auch Künstliche Intelligenz unterstützen: Damit können wir unsere Kunden in Echtzeit adressieren und diese Ansprache auch zukunftsgerichtet anpassen Wir glauben, dass Künstliche Intelligenz nicht das Ende der Kreativität bedeutet, sondern dass sie der Beginn von noch mehr Möglichkeiten ist. Denn wenn Mensch und Maschine im Marketing zusammenkommen, wird etwas Fantastisches entstehen. Auch wenn uns diese Entwicklung noch fremd ist, birgt

sie mehr Chancen als Risiken. Ein Beispiel: Wir haben bei MediaMarktSaturn in unseren elf Ländern ein umfassendes Audiobranding ausgerollt. Die Bestandteile sind so konzipiert, dass sie sich durch KI an den jeweiligen Clip anpassen lassen. Außerdem geben wir unserer Marke eine Stimme. Wir haben dafür ein Casting durchgeführt, in dem alle Mitarbeitenden Stimmproben einreichen können. Die ausgewählten Stimmen werden nun im Tonstudio professionell aufgenommen. Aus all den Stimmen generieren wir dann mit Hilfe von KI eine einzigartige Markenstimme, die unsere größte Stärke widerspiegelt: unser Team

All das zeigt: Wir haben heute so viele technische Möglichkeiten wie noch nie. Und genau damit können wir noch besser auf die Wünsche unserer Kunden eingehen. Gleichzeitig gab es noch nie so viele Optionen, unsere Markenwerte zu kommunizieren. Und es ist unsere Pflicht, die Menschen mitzunehmen. Deswegen ist es auch ein Traum, heute im Marketing zu arbeiten.

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Tanit Koch wird 2016 die erste Chefredakteurin der „Bild“. Sie bleibt bis Februar 2018, bevor sie im Frühjahr 2019 den Nachrichtensender n-tv leitet. Mittlerweile ist sie Autorin beim „Focus“

39 Tanit Koch war „Bild“-Chefredakteurin, ist Autorin beim „Focus“ und träumt von einig Party in Schwarz-Rot-Gold

Wildfremde Menschen in Moonwashed-Jeans, die sich nachts auf offener Straße jubelnd in die Arme fallen. Hausbewohner, die vom Fenster aus Passanten zum Freibier zu sich hoch bitten. TrabiStau am Übergang dessen, was bald keine Grenze mehr sein würde. Meine Mutter und meine Großmutter, die eine in Berlin geboren, die andere dort aufgewachsen, ungläubig staunend vorm Fernseher in Bonn, wo erst Freudentränen fließen, dann Champagner, dann wieder Freudentränen und noch mehr Champagner...

Ich bekomme immer noch jedes Mal Gänsehaut, wenn ich Bilder der friedlichen Novemberrevolution 1989 sehe. Lässt sich so ein schönster Moment wiederholen? Denn das war er: der singulär schönste Augenblick der deutschen Geschichte. Nein, Superlative lassen sich nicht vervielfältigen. Das ist der Nachteil der Einzigartigkeit.

Wenn ich mir dennoch einen Wunsch erfüllen könnte, bevor die Kutsche sich wieder in einen Kürbis

zurückverwandelt, dann wäre es, dass wir Mauerfall und Wiedervereinigung endlich so feiern, wie es dieses deutsch-deutsche Märchen verdient. Ob Einheits- oder Freiheitsfeiertag, Hauptsache: feiern. Nicht nur staatstragend „begehen“.

Das ist der Traum. Party schwarz-rot-gold! Feuerwerk! Kirmes! Ausnahmezustand!

Die Realität weicht, sagen wir mal, ein klein wenig davon ab, wie die Homepage des Bundesrats verrät: „Seit dem 3. Oktober 1991 wird der ‘Tag der Deutschen Einheit’ jeweils in dem Land gefeiert, welches die Bundesratspräsidentschaft innehat. Der Bundesrat präsentiert sich dort stets mit einem eigenen attraktiven Informations- und Unterhaltungsprogramm.“

Kann man nicht erfinden. Da fällt einem schon ein landeseigener schönster Moment in den Schoß (jenseits von 54, 74, 90, 14), und dann beschließt man eine rotierende Festivität im Bundesrats-Turnus?

Um fair zu bleiben: Anfang der 90er wollten die handelnden Personen es den skeptischen europäi-

schen Nachbarn wahrscheinlich nicht so reinreiben, was selbst die DDR-Hymne als „Deutschland einig Vaterland“ beschrieb. In den Jahren darauf waren die Feierbiester inmitten von Einheitsfrust und Existenzangst auch eher rar gesät. Doch genauso, wie es immer Gründe gibt, lieber ins Bett zu gehen, gilt das auch für das Gegenteil.

Und nebenbei: Der 14. Juli 1789 und seine Folgen waren auch nicht für jeden einzelnen Franzosen uneingeschränkt toll. Aber gerade weil in Deutschland 1989 ausnahmsweise mal kein Blut floss, müssen wir nicht wie in Frankreich 101 Jahre warten, um ein Volksfest zu etablieren. Die USA haben den 4th of July, die Schweizer den 1. August, die Niederländer den Koningsdag – und im 35. Jahr der deutschen Einheit könnten wir doch auch mal mit der Deutschland-Party anfangen. Bundesweit.

Wir mögen sehr „ungleich vereint“ sein, wie der Soziologe Steffen Mau sagt. Doch mindestens einmal im Jahr sollten wir feiern, dass uns mehr eint, als uns trennt.

40 Leif-Nissen Lundbæk ist Chef des KI-Unternehmens Xayn und

träumt von Europas Führungsrolle bei Künstlicher Intelligenz

Schließe ich die Augen, sehe ich einen Wirbelwind an Möglichkeiten und Herausforderungen, die vor uns liegen. Das KI-Zeitalter ist da. Als KI-Nerd bin ich begeistert über die immensen Fortschritte, die allein in den letzten Monaten möglich waren. Als Mensch und Vater frage ich mich manchmal, ob unsere Gesellschaft den neuen Herausforderungen gewachsen ist.

Schließe ich die Augen und wünsche mir etwas für unsere Zukunft... dann dies: Europa spielt eine führende, wenn nicht sogar die führende Rolle im globalen KIWettrennen – und hat neben dem „Höher, Schneller, Weiter“ auch ein konkretes Ziel vor Augen. Warum das Ganze? Nur wer vorne mit dabei ist, kann bestimmen, wo die Reise hingeht, kann bestimmen, in was für einer Welt wir und unsere Kinder in zehn, zwanzig, fünfzig Jahren leben werden. Was heißt das konkret? Europa fokussiert sich auf seine Stärken. Anstatt immer größere KI-Modelle zu bauen, die immer mehr Energie benötigen, zu riesigen Datenkraken

mutieren und einen oberflächigen One-Size-Fits-All-Ansatz verfolgen, konzentrieren wir uns auf spitze KI-Anwendungsfälle mit spezialisierten Modellen. So schaffen wir echten Mehrwert.

Politik und Wirtschaft hören auf, sich über vermeintlich hinderlichen Datenschutz zu beschweren und gehen stattdessen Probleme an. Das Stichwort lautet: „Creative Constraints“. Ja, wir haben in Europa weniger Daten und mehr Beschränkungen – dann müssen wir eben smartere Technologien bauen, statt nur Geld und Daten auf Probleme zu werfen. Als jemand, der selbst KI entwickelt, sage ich: Das geht. Wir müssen nur wollen. Wir haben das mit Europas erster souveräner Rechts-KI Noxtua gezeigt.

Gerade in diesen politischen sehr unruhigen Zeiten sollten wir uns getreu dem EU-Motto „United by Diversity“ zusammenschließen, um leistungsfähige, souveräne KI mit europäischen Werten wie Transparenz, Nachhaltigkeit und Datenschutz zu entwickeln.

In meinem Traum nutzen wir bestehende und neue Techno-

»Dann müssen wir eben smartere Technologien bauen, statt nur Geld und Daten auf Probleme zu werfen«

logien, um die vor uns liegenden gewaltigen Transformationen zu bewältigen: die Erhaltung der menschlichen Lebensgrundlage, für Deutschland speziell der demographische Wandel, die Digitalisierung der Verwaltung, die Investitionen in Infrastruktur und Bildung und – die Wehrhaftigkeit und Verteidigung unserer Demokratie. Ja, Demokratie ist manchmal „messy“, langwierig, ermüdend und teils unglaublich frustrierend. Ja, Europas Geschichte ist kompliziert, erschreckend und schuldbeladen – aber es ist und bleibt ein wahnsinniges Friedensprojekt. Vielleicht ist es vermessen, aber vielleicht auch angemessen, Europas Erfolg mit dem Erfolg von europäischer KI zu verknüpfen: „Seid umschlungen, Millionen!“

Leif-Nissen Lundbæk ist CEO und Co-Founder des KIUnternehmens Xayn, das Europas erste souveräne Rechts-KI Noxtua entwickelt

41 Maria Lorenz-Bokelberg produziert Podcasts und träumt sich 100 Jahre in die Zukunft

Berlin, November 2125. Für ihre Ausgabe „Vor 100 Jahren“ sammelt die Turi.Edition verschiedene Perspektiven auf das Jahr 2025. Für meinen Teil dieser Beitragsreihe habe ich einige Aspekte dieser Zeit recherchiert und war fasziniert. Man soll Realitäten einer bestimmten Zeit an den Werten ebendieser messen –und nicht an den heutigen. Aber es ist schön zu sehen, dass sich einige Dinge verändert haben.

Zum Beispiel gab es die Verhütungs-Pille nur für Frauen, sie war teuer und ungesund. Häufige Nebenwirkungen waren Depressionen, Bluthochdruck, erhöhtes Krebsrisiko und, als wäre das nicht genug, sexuelle Unlust – ist das schon Sabotage oder noch Ironie? Damals gab es die Pille bereits seit über 60 Jahren und kaum Bestrebungen, sie zu verbessern. Klingt für mich, als wäre neben der Schwangerschaft auch die Gleichberechtigung verhütet worden. Vermeintliche Frauenmedikamente wurden generell weniger erforscht und weiterentwickelt. Als wären Frauen nicht so wichtig. Es gab die Pille nicht mal in verschiedenen Geschmäckern. Ich mag Kirsche am liebsten. Befremdlich auch die Tatsache, dass 2024 Schwangere vor die Wahl gestellt wurden: Karriere oder Kinder? Bei zweiterem mussten sie oft stillschweigend jahrelange Karrierelücken hinnehmen, falls sie überhaupt noch eine Karriere hatten. Es gab weder Babyräume an jedem Büro noch standardmäßiges

Supportpersonal. Damals bekamen Menschen eine strikte ArbeitsStruktur vorgegeben, in der Regel 40 Stunden pro Woche, ein fester Zeitrahmen, ein fixer Ort mit einem Tisch, Toilette und höchstens einer Tischtennisplatte als Zugeständnis. Und wenn das nicht funktionierte, musste die Person dem Arbeitsplatz fernbleiben, bis sie wieder in dessen Struktur passte. Aus heutiger Sicht unbegreiflich, wie viele talentierte Menschen man sich so hat entwischen lassen. Out-of-the-Box-Lö-

Player, wenn Bildung nicht oberste Priorität hat?

Unvorstellbar, in einer Welt zu leben, in der Kinder nicht genau in dem gefördert werden, was sie wollen, worin sie gut und leidenschaftlich sind. In dem die Menschen, die das aus ihnen herauskitzeln und sie formen, nicht dementsprechend gefördert und beschützt werden. Die Hoffnung, dass sich hier und da ein Kind allein gegen den Strom nach oben fightet und für uns alle etwas Neues erfindet, uns anführt oder

»Unvorstellbar, in einer Welt zu leben, in der Kinder nicht genau in dem gefördert werden, was sie wollen, worin sie gut und leidenschaftlich sind«

sungsskills einer Alleinerziehenden? Unbezahlbar! Auch das klingt wieder so, als hätte das System damit vor allem Frauen gebremst. Andererseits würde man damit die Hälfte der klugen Köpfe nach Hause schicken. Das macht ökonomisch überhaupt keinen Sinn.

Auch das Schulsystem von 2024 ist heute kaum nachvollziehbar. Wenn ich das richtig recherchiert habe, wurde dort oft zuallererst gekürzt. Lehren war damals nicht der zweitbestbezahlte Beruf der Welt. Wie kann man sich weiterentwickeln als Land (damals gab es noch Länder, andere Geschichte, irres Zeug!), als Gesellschaft, als globaler

Maria Lorenz-Bokelberg ist seit 2013 selbstständige PodcastProduzentin. 2018 gründet sie mit Frida Morische die Firma Pool Artists, die unter anderem Podcasts für Zeit Online konzipiert und umsetzt

das schönste Buch schreibt, wenn sich eine unterbezahlte Person um 30 Schülerinnen kümmert – die grenzt an Realitätsverlust. Eine Gesellschaft, die Wissen und Lernen nicht liebt und das – auch finanziell – nicht fördert und emotional vererbt, ist keine, die gut zu- und miteinander ist.

Am Ende meiner Recherche fühlte es sich an, als wären die Menschen in 2024 sehr erschöpft gewesen. Ich wünschte, ich könnte ihnen diese Ausgabe schicken. Vielleicht würde es sie ermutigen, zu wissen, was innerhalb eines Menschenlebens verändert wurde – als endlich alle mitgemacht haben.

»Denken ist die Arbeit des Intellekts, Träumen sein Vergnügen«
Victor Hugo

Tobias Lammert und Ralf Hape, Geschäftsführer und CEO der Werbezeitenvermarkters ARD Media, wagen eine Branchen-Blick in die Glaskugel

42+43 Tobias Lammert und Ralf Hape vermarkten Werbeplätze und träumen vom Schritthalten

Wenn wir als Verantwortliche für die Vermarktung von TV und Audio in die Zukunft schauen, sehen wir Positives und Herausforderungen für die Branche. Um mit dem Positiven anzufangen: Die Zukunft der Medienlandschaft wird nicht nur digitaler, sondern intelligenter. In einer Welt, in der künstliche Intelligenz zunehmend stärker wird, werden sich die Nutzungsmuster der Medien weiter verändern – und mit ihnen die Art, wie wir kommunizieren.

Technologien bieten uns die Möglichkeit, Konsumentinnen und Konsumenten in genau den Momenten abzuholen, die für sie relevant sind. Wir stehen an einem Punkt, an dem nicht mehr nur die Reichweite zählt, sondern der gezielte, wirkungsvolle Kontakt. Werbetreibende werden nicht mehr allein nach dem richtigen Umfeld suchen, sondern auf die spezifischen Nutzungssituationen und Lebenswelten der Menschen eingehen können. In diesen Mikromomenten, in denen die Aufmerksamkeit besonders

hoch ist, entfalten Botschaften ihre maximale Wirkung. Künstliche Intelligenz wird Prozesse revolutionieren, indem sie hilft, präziser und flexibler auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen. Der Schlüssel liegt darin, das richtige Zusammenspiel von Inhalten, Zeit und Ort zu finden – immer orientiert an den Lebensrealitäten der Nutzer. In Zukunft wird erfolgreich, wer es versteht, Technologie und Menschlichkeit miteinander zu verbinden. Kurz: Es wartet eine Medienwelt, die sich dynamisch und intelligent weiterentwickelt und es ermöglicht, Werbung so relevant wie nie zuvor zu gestalten.

Wir sehen, wenn wir in die Zukunft schauen, eine große Gefahr: Dass die Qualitätsmedien in Deutschland mit dem Entwicklungstempo bei Digitalisierung, KI und Personalisierung nicht schritthalten. Die technologische Entwicklung und eigene Initiativen für Deutschland und Europa brauchen also viel stärker unseren Fokus – für die Verbreitung von Inhalten, aber auch für die zurückhaltende und zugleich

wirkungsvolle Verbreitung und Vermarktung von Werbung.

Das ist unser Kerngeschäft. Zum Public Value eines mischfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks muss es auch gehören, neben den Menschen auch der Markenkommunikation einen digital angeschlossenen Safe Space zu bieten. Deshalb hat übrigens die Mediathek genauso wenig ein Privileg der Werbefreiheit wie der ARD-Vorabend.

Wenn wir uns etwas wünschen, dann dies: Die Medienpolitik ist aufgerufen, den Markenstandort Deutschland zu entwickeln. Wir dürfen nicht den Anschluss verlieren. Dazu braucht es mehr Zusammenarbeit und nicht mehr die starre Konkurrenzdenke der Vergangenheit.

Zusammen mit den Privaten können wir uns im Werbemarkt einen neuen Wettbewerbsvorteil erarbeiten, der die Identität der Öffentlich-Rechtlichen und die wirtschaftlichen Interessen der Privaten berücksichtigt. Dann wird KI im dualen System zum Kürzel für Kollaborative Intelligenz.

44 Christiane Schulz setzt auf Vertrauen als Währung und träumt von guten Nachrichten für Deutschland

Als ich Sonntagmorgen die Zeitung in der Sonne lese, sticht mir diese Headline ins Auge: „Führende Wirtschaftsinstitute prognostizieren fünf Prozent Wirtschaftswachstum!“

Eine weitere erfreuliche Auswirkung des „Vertrauenspakts“, den Politik, Unternehmen, NGOs und Medien 2025 geschlossen haben.

Die Institutionen folgten den Erkenntnissen aus dem Edelman Trust Barometer (ETB) von 2024, welches ein neues Paradoxon im Herzen der Gesellschaft offenbarte: Innovationen verstärken Vertrauensprobleme in Deutschland und führen zu weiterer gesellschaftlicher Instabilität sowie politischer Polarisierung. Dabei sind sie Voraussetzung und Treiber für Wohlstand.

Nach den ersten Wahlerfolgen der rechten Parteien im Osten folgten die etablierten Parteien dem Rat des ETB und arbeiteten enger mit den anderen Institutionen zusammen. Der Vertrauenspakt wurde geschlossen. Er sah vor, dass Unternehmen ihre Kompetenzen zur Vorbereitung von politischen Entscheidungen einbringen, damit Innovation effektiver reguliert werden können. Der Fokus des Paktes lag auf klaren Botschaften, mehr Transparenz und einer ausgewogenen und ehrlichen Darstellung der Auswirkungen von Entscheidungen für die Bürger*innen.

Es wurde außerdem ein Investitionsprogramm ins Leben gerufen, das Innovationen zugunsten der Biodiversität förderte. Grundlage dafür war die Erkenntnis, dass es ohne Natur zukünftig kaum Wirtschaftswachstum geben würde.

Christiane Schulz ist die deutsche CEO der Kommunikationsagentur Edelman, die einmal jährlich das Trust Barometer veröffentlicht: eine Studie zum Vertrauen der Gesellschaft in Regierungen, Unternehmen und Medien

»Jeder kann sich jeden Tag einbringen und einen Beitrag dazu leisten, das Vertrauen in Deutschland zu steigern. Es geht ganz einfach: Action earns trust!«

Dieses Programm wurde zum Vorreiter auf der ganzen Welt. Es entstand ein komplett neuer Industrie- und Servicezweig in Deutschland, der die massiven Herausforderungen im Klimawandel direkt adressierte und half, sie weltweit anzugehen. Diese bahnbrechende Entwicklung kam vor allem durch die deutschlandweite Akzeptanz für den Einsatz von KI zustande, die durch eine flächendeckende, bürgernahe Kommunikation ermöglicht wurde, die von allen Institutionen gemeinsam ausging. Besonders die Medien waren sich ihrer Verantwortung bewusst. Auf diesem Fundament entstand in Deutschland ein neuer Start-up-Schwerpunkt, der bereits nach kurzer Zeit schon zu drei neuen Einhörnern führte. Führende Beratungsunternehmen prognostizieren überproportionales Wachstum für die nächsten Jahrzehnte.

Die Entschlossenheit, mit der Politik, Unternehmen, NGOs und Medien handelten, setzte eine Welle von Vertrauen in Deutschland frei, die sich wie ein Dominoeffekt auf alle Bereiche der Gesellschaft auswirkte.

Plötzlich kribbelt es in meiner Nase und ich wache vom Sonnenlicht geblendet langsam auf. Leider war ich über meiner Lektüre der schlechten Nachrichten kurz eingedöst und hatte wohl geträumt. Vielleicht stehen wir ja kurz vor einem echten Wandel. Bald wird unser Edelman Trust Barometer 2025 veröffentlicht. Vielleicht agieren alle Institutionen ja diesmal auf Basis der Erkenntnisse.

Ich wünsche uns allen Mut, alte Denk- und Handlungsmuster zu verlassen. Ich bin überzeugt, dass wir in Deutschland intelligent und kompetent genug sind, diesen Weg zu gehen und unsere Zukunft gemeinsam positiv zu gestalten. Jeder kann sich jeden Tag einbringen und einen Beitrag dazu leisten, das Vertrauen in Deutschland zu steigern. Es geht ganz einfach: Action earns trust! Let’s do it!

45 Damla Hekimoğlu moderiert News und träumt von einem virtuellen Faktenfreund

Es ist 19 Uhr, es regnet. Fahrrad kommt nicht infrage – ich bestelle ein autonomes E-Taxi. Habe mich schon daran gewöhnt, mit dem KI-Avatar im Auto zu sprechen, statt mit dem Taxifahrer. Die Gespräche von damals fehlen mir trotzdem. Der KITaxifahrer-Avatar lacht zwar auch – aber es berührt mich nicht. Dabei liebe ich technologische Innovationen eigentlich: zum Beispiel, dass ich Führerschein und Personalausweis endlich digital auf dem Handy vorzeigen kann. Während wir an der Alster entlangfahren, denke ich an Deutschland 2024 zurück.

Es war das Jahr der Krisen und Kriege. Desinformation und Propaganda waren Teil unseres Lebens. Man sagt nicht umsonst: Die Wahrheit stirbt im Krieg zuerst. 2024 war auch geprägt von der Angst vor KI. Damals hatten die Sozialen Medien die Deutungs- und Informationshoheit. Kommerzielle oder politisch gesteuerte Filterblasen und Algorithmen bestimmten, was in die Feeds gelangte. Dort wurde der Grundstein für das Weltbild und die Wahlentscheidung gelegt. „Wenn wir diesen Raum aufgeben, überlassen wir ihn der Desinformation“, dachte ich damals oft. Der Gedanke, die Demokratie zu verlieren, schnürte mir die Kehle zu.

Jetzt aber leben wir in einer Zeit, in der Technologie sehr weit fortgeschritten ist. Ich finde nicht alles gut – doch die Horrorszenarien rund um KI sind zum Glück auch nicht eingetreten. Wie leben heute in einer Welt, in der Desinformation keinen Raum mehr hat. In einer Gesellschaft, in der jede und jeder Einzelne über das Wissen verfügt, Nachrichten von Desinformation, Fake News und Propaganda zu unterscheiden. Dank futr. futr ist eine digitale, dreidimensionale Verbindung von virtueller und erweiterter Realität – ganz ohne Brille oder App. futr ist eine Art KI-Avatar. Sobald jemand im öffentlichen Raum etwas sagt, kann

man den Avatar wie ein Pop-up kommen und das Gesagte auf Fakten checken lassen. Auch wenn ich in SocialMedia, Metaverse, Fernsehen oder Print unterwegs bin – meinen personalisierten, lebensgroßen Faktenfreund kann ich jederzeit erscheinen lassen. Auf charmante Weise bringt er mir Fakten näher, in verständlicher Sprache, ohne zu langweilen – so, wie man eben mit Freunden spricht. Beim Gespräch am Küchentisch ist futr aber nicht dabei. Privates bleibt privat. Diese Welt entstand nicht über Nacht, sondern durch das Engagement von Journalistenkolleginnen und -kollegen, Plattformen und einer aktiven Zivilgesellschaft – im

Damla Hekimoğlu präsentiert die „Tagesschau“ in der ARD und engagiert sich für die Förderung von Lese- und Medienkompetenz bei jungen Menschen

Bewusstsein, dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist. Deutschland 2035 ist so, wie ich es mir 2024 erträumt hatte: eine Gesellschaft, in der jeder Mensch die Fähigkeit hat, Wahrheit zu erkennen. Der Schutz vor Desinformation ist nicht mehr nur Aufgabe von Institutionen oder Plattformen, sondern kollektive Verantwortung. Damals haben mich Kolleginnen und Freunde belächelt für meine Utopie. „Du hoffnungslose Optimistin“, sagten sie. Ich bin froh, dass es dennoch genauso gekommen ist.

46 Hans-Jürgen

Jakobs

schreibt und spricht über Politik, Wirtschaft und Medien und träumt von der Entflechtung der Kraken

Es vergeht kein Tag, ohne dass die Macht weniger großer Internetkonzerne eine Rolle spielt. Immer wieder beschäftigen ihre Monopole Gerichte, Politiker und NGOs. Es ist offensichtlich, wie weit das aus aus Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft bestehende Quintett spätkapitalistischer Herrschaftsausübung gekommen ist.

In einem schönen Traum würde sich für solchen Monopolismus eine „Weltinnenpolitik ohne Weltregierung“ interessieren, wie sie der Philosoph Jürgen Habermas vor vielen Jahren vorgeschlagen hat. Sie würde alle nationalen Regierungen – wie etwa derzeit in den USA oder auch in der Bundesrepublik – bestätigen, ermutigen und anleiten, die

in wenigen Dekaden entstandenen krakenhaften Gebilde zu entflechten und aufzulösen. Im Bewusstsein, dass Kapitalismus ohne Wettbewerb undenkbar ist, dass ein Unternehmen nie der ganze Markt sein darf, und dass gerade Medien und Kommunikation Vielfalt benötigen – keinesfalls überdimensionierte „Machtkörper“, vor denen der Ökonom Walter Eucken in der Gründerzeit der Bundesrepublik zu Recht immer wieder gewarnt hat. Eine solche Weltinnenpolitik beträfe alle fünf Giganten, da ihr Geschäftsmodell unisono daraus besteht, aus einem Monopol mehrere zu machen, die Übermacht also zu potenzieren. In der besten aller Traumwelten bekämen Firmen wie Instagram und WhatsApp, Chrome und

Hans-Jürgen Jakobs ist studierter Volkswirt und leitete als Chefredakteur das „Handelsblatt“. Heute arbeitet er als Podcaster und freier Autor

»Meinungsfreiheit darf kein Privileg von 20 superreichen Menschen sein«

YouTube, Amazon oder LinkedIn neue Eigentümer. Ein internationales Tribunal könnte überall über jene Missbrauchshandlungen und Alltagsfolgen diskutieren, die in etlichen Büchern und Prozessunterlagen beschrieben worden sind. In jenem Ausmaß, in dem Gestalten wie Elon Musk oder Peter Thiel Einfluss auf die Politik nehmen, müssten sich auch Philosophen, Schriftsteller und Wissenschaftler mit dem Silicon Valley beschäftigen. Meinungsfreiheit darf kein Privileg von 20 superreichen Menschen sein, die glauben, sie hätten den Code für die Zukunft gefunden.

Es ist leicht eine Liga der Geschädigten vorstellbar, deren Miglieder sich über Monopolpraktiken unterhalten, die ganze Länder in amerikanisch beherrschte Datenkolonien verwandelt haben. Zur Erbauung empfehlen sich die Geschädigten Literatur wie das Buch „Big Tech muss weg“ des deutschen Wissenschaftlers Martin Andree. Und natürlich müsste sich eine deutschlandweite Boykottbewegung anschließen: Nicht nur der FC St. Pauli, sondern auch der FC Bayern München oder Robert Habeck würden jenes Radikalisierungsmedium X verlassen, das einmal Twitter war. Und die Menschen würden wieder im Laden mit anderen Menschen reden, anstatt bei Amazon zu bestellen. Die digitale Welt ist nie alternativlos. Um Souveränität muss man sich allerdings bemühen.

Natürlich: Der Traum ist noch ein Traum. Aber bis er Realität ist, unterhalte ich mich gerne mit allen, die Wirtschaft lebendig und dezentral produktiv halten – unter anderem im Podcast „Schlaflose Nächte“ des Gründerzentrums UnternehmerTUM.

So wie Siemens im 19. Jahrhundert ein Startup war, brauchen wir jetzt Startups, aus denen einmal so etwas wie Siemens wird. Über den Podcast-Kopfhörer erklingt eine ferne Stimme: „Aber das, mein Freund, ist ein anderer Traum.“

Unkrankbar

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Jessica von Bredow-Werndl und ihr Pferd Dalera haben mehrfach Olympiagold im Dressurreiten gewonnen. Mit ihrem Bruder Benjamin betreibt von Bredow-Werndl den Ausbildungsund Dressurstall Gut Aubenhausen

»Visionen sind wertvoll –aber sie sind nur der Anfang«

Zusammenleben möglich sind. Mit unseren Trainingsprogrammen für Dressurreiter und -pferde im Aubenhausen Club sehe ich die Möglichkeit, über die Grenzen des Reitsports hinaus etwas zu bewegen. Jedes Training, das wir verbessern, jede Begegnung zwischen Mensch und Tier, die wir harmonischer gestalten, ist ein Schritt in Richtung einer respektvolleren Welt. Denn das Gleichgewicht, das wir im Sport anstreben, brauchen wir auch für das Leben: Gleichgewicht zwischen Körper und Geist, zwischen Mensch und Tier, zwischen Individuum und Gesellschaft.

47 Jessica von Bredow-Werndl

trainiert Pferde und Menschen und träumt von Gleichgewicht

Eigentlich sehe ich gerade so viel Schönes um mich herum: die Pferde, meine Familie und all die anderen Menschen mit ihrer Passion. Aber wenn ich die Augen einen Moment lang schließe, sehe ich, was noch möglich ist: eine Welt, in der nicht nur meine Familie, sondern unsere ganze Gesellschaft, zu der ich auch die Tiere zähle, respektvoll zusammenlebt. In dieser Welt finde ich weiterhin die Ruhe und den Raum, mit meinen Pferden meinen eigenen Weg zu gehen – freudvoll, liebevoll, Schritt für Schritt.

Für meine Familie und mich wünsche ich mir in der Zukunft vor allem eines: echte, ungestörte Zeit zusammen. Augenblicke, die wir mit kleinen Ritualen und großen Abenteuern füllen, Erinnerungen, die uns wie ein unsichtbares Band

zusammenhalten. Und natürlich Gesundheit, für meine Liebsten, für unsere Tiere und auch für mich. Denn Gesundheit gibt uns die Kraft, alles andere zu erschaffen und zu bewahren.

Für die Gesellschaft wünsche ich mir den Mut, Respekt neu zu entdecken – füreinander, für sich selbst und für jedes Lebewesen um uns herum. In einer Welt, in der der soziale Umgang durch die Anonymität der digitalen Medien brüchig geworden ist, wünsche ich mir ein echtes Miteinander. Wir verlieren uns zu oft in Kritik und Konkurrenz, statt gemeinsam zu wachsen. Ich träume von einer Gesellschaft, die erkennt, dass Frieden nicht von außen kommt, sondern in uns selbst beginnt, und dass nur durch Selbstreflexion und echten Respekt ein tieferes Verständnis und wahres

Der Weg ist nicht leicht. Doch genau in dieser Herausforderung liegt eine große Chance: Wenn wir es schaffen, tiefe Verbindungen zu schaffen, die Bestand haben und auf echten Werten basieren, können wir nicht nur den Reitsport, sondern auch die Gesellschaft als Ganzes positiv beeinflussen. Eine Gemeinschaft, die für dieselben Ideale brennt, ist die Basis für tiefgreifende Veränderung.

Meine Vision ist eine Welt, in der wir alle Verantwortung für uns selbst und unser Handeln übernehmen. Eine Welt, in der jeder Schritt, den wir mit unseren Pferden gehen, nicht nur ein sportlicher Erfolg, sondern ein Ausdruck von Menschlichkeit und Anerkennung ist.

Wenn ich die Augen schließe, sehe ich eine Zukunft voller Harmonie und Miteinander. Doch sobald ich sie wieder öffne, sehe ich die Chancen, diesen Traum zu verwirklichen. Visionen sind wertvoll – aber sie sind nur der Anfang. Wirklich lebendig werden sie, wenn wir uns mit offenen Augen und offenen Herzen aktiv auf den Weg machen.

»Ein Sieger ist ein Träumer, der niemals aufgibt«
Nelson Mandela

48 Andrea Wasmuth managt mächtige Medien und träumt von einer technologischen Herzkammer

Unsere Welt ist geprägt von Technologien, die alles durcheinander wirbeln. Und Europa droht, den Anschluss zu verlieren an die führenden Wirtschaftsnationen USA und China und von anderen, aufstrebenden Regionen überholt zu werden. Dabei erfüllt Europa alle Voraussetzungen, um innovativ und wettbewerbsfähig zu bleiben. Doch dafür müssen die wichtigen Akteure aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft ihre Stärken bündeln, Kooperationen eingehen und an gemeinsamen Zielen arbeiten.

Mein Traum ist es, dass unsere Initiative TECH by Handelsblatt die Plattform dafür schafft. Die TECH (Technology Experience Heilbronn) soll zur technologischen Herzkammer Europas werden. Eine Plattform für den Austausch über Europa als Innovationsstandort, auf der durch offene Diskussionen,

Münchner Sicherheitskonferenz für die Sicherheit steht, soll TECH das europäische Zentrum für Technologie und Innovation werden.

Kann das wahr werden? Ich sehe eine echte Chance, wenn sich die besten Köpfe Europas vernetzen. Wenn sie Wissen teilen und mutig neue Wege gehen. Dann können wir mit der TECH einen spürbaren Impuls setzen, den technologischen

»Europa droht, den Anschluss zu verlieren«

Fortschritt voranzutreiben und eine starke europäische Innovationslandschaft zu schaffen.

Andrea Wasmuth fliegt nach vier Jahren an der Spitze der Handelsblatt Media Group noch höher: 2025 übernimmt sie die Leitung der Gruppe Dieter von Holtzbrinck Medien, zu der „Handelsblatt“, „Tagesspiegel“ und „Zeit“ gehören

Vernetzung und Kollaboration der führenden europäischen Technologieexperten und -expertinnen echter Wandel entsteht. Auf der ein Rahmen für eine Infrastruktur geschaffen wird, die strategische europäische Schlüsseltechnologien fördert und die Resilienz gegenüber geopolitischen Herausforderungen stärkt. Kurz: ein Ort, an dem Zukunft gemacht wird.

Im Rahmen der TECH sollen Strategien für die nächsten Jahre definiert und konkrete Lösungen entwickelt werden. So wie Davos für die Weltwirtschaft und die

Doch ich weiß auch, dass diese Idee kein Selbstgänger ist. Es ist gut möglich, dass wichtige Partnerschaften und Projekte nicht zustande kommen, weil Einzelinteressen vor gemeinsamen Zielen stehen. Es kann auch gut sein, dass wir uns an der Idee, eine europäische Technologie-Plattform auf die Beine zu stellen, verheben.

Ohne den Mut, Neues zu wagen und alte Strukturen zu überwinden, bleibt TECH womöglich nur eine Plattform unter vielen, ohne die Kraft, wirklich etwas zu bewegen. Aber wir werden alles dafür tun, unsere Vision wahr werden zu lassen. Uns ist bewusst, dass ein solches Vorhaben nicht über Nacht und mit gutem Willen allein umgesetzt wird. Wir werden Zeit, Leidenschaft und Ressourcen investieren.

Wir haben starke Partner an unsere Seite. Und wir planen langfristig. Ein solcher Impuls braucht klare Visionen, Entschlossenheit. Und vor allem: die Bereitschaft zur Zusammenarbeit auf allen Ebenen.

Wenn uns das gelingt, kann TECH nicht nur Plattform sein, sondern Bewegung werden. Und so dazu beitragen, die technologische Zukunft Europas zu sichern.

49 Cawa Younosi ist der Vielfalt verpflichtet und träumt von einem Chor für Demokratie

Seit Martin Luther King vor mehr als 60 Jahren zu träumen wagte, hat sich in Sachen Gleichstellung weltweit viel getan – und doch so wenig. Wenn ich allein bedenke, wie viel Überzeugungsarbeit ich noch immer leisten muss, um auf ungenutzte Potenziale und fehlende Chancen für Menschen auf dem Arbeitsmarkt hinzuweisen, stelle ich fest: Das ist mehr als genug Arbeit für die nächsten 60 Jahre.

Träumen wir also weiter: Was wäre, wenn? Was wäre, wenn wir in einer Gesellschaft leben würden, die sich durch Respekt und Wertschätzung für die Einzigartigkeit jedes Menschen auszeichnet? In der soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit nicht nur Ideale, sondern gelebte Realität sind? In welcher Lage wären wir, auch wirtschaftlich betrachet, wenn sich Menschen sicher fühlen würden, weil sie vor Schubladendenken und Diskriminierung geschützt sind?

Ich denke: Wir wären stärker, nicht schwächer. Es gäbe nicht weniger, sondern mehr Freiheit –für Minderheiten ebenso wie für die Mehrheitsgesellschaft. Unsere

populistischer und nationalistischer Strömungen, die sich offen gegen marginalisierte Gruppen und diverse Lebensweisen richten – und die nicht trotzdem, sondern in Teilen gerade deshalb gewählt werden

Dazu müssen wir nicht mal ins Heimatland von Martin Luther King blicken. Auch in Deutschland überzeugt zunehmend das Versprechen der einfachen Antwort auf immer komplexere Fragen. Statt den mühsamen, aber erfolgversprechenden Weg zu gehen – der unweigerlich über die Einbindung der vielen Perspektiven und Lebensrealitäten führt – wird arm gegen noch ärmer ausgespielt. Noch ärmer gegen geflüchtet. Geflüchtet gegen die Unterstützung der Ukraine. Ein Zukunftsmodell ist das nicht.

Wenn also eine neue Bundesregierung gewählt wird, steht für unsere Demokratie einiges auf dem Spiel. Und wir alle stehen vor Entscheidungen: Stecken wir zurück

»In der Praxis ist es aktuell oft schon ein Fortschritt, den Rückschritt zu verhindern«

Unternehmen wären innovativer und attraktiver für Fachkräfte. Es würde Aufschwung statt Abschwung entstehen. Wir wären als Marktwirtschaft und als Demokratie resilienter gegenüber dem Gegenmodell.

So viel zur Theorie. In der Praxis ist es aktuell oft schon ein Fortschritt, den Rückschritt zu verhindern. Die Idee der Vielfalt steht massiv unter Druck. Wir erleben einen erschreckenden Anstieg

oder erheben wir unsere Stimme für die Demokratie, jetzt erst recht? Bleiben es vereinzelte Stimmen oder gründen wir einen Chor?

Positionieren wir uns dabei nur nach außen, was fraglos wichtig ist – oder schaffen wir auch nach innen, in unseren Unternehmen und Organisationen, die nötigen Räume zur offenen Diskussion und zum Schutz derer, die mal wieder zum Sündenbock erkoren werden sollen?

Ich werde mich gemeinsam mit dem Verein Charta der Vielfalt weiter für die Stimmen marginalisierter Gruppen einsetzen. Nur gemeinsam können wir die erwartbaren politischen Debatten mitbestimmen. Und so begnüge ich mich für den Moment mit einer überschaubaren Vision: Gründen wir einen Chor. Es mögen sich uns möglichst viele anschließen, damit wir die Zukunft nicht mehr nur träumen, sondern aktiv mitgestalten.

Cawa Younosi ist Geschäftsführer der Arbeitgeberinitiative Charta der Vielfalt. Bis 2023 war er Personalchef der SAP in Deutschland

„Die Menschen dieser Welt müssen sich vereinigen, oder sie werden untergehen“
J. Robert Oppenheimer

50 Ines Imdahl erforscht Menschen und Märkte und träumt vom Warp-Antrieb für Über-50-Jährige

Wir schreiben das Jahr 2050. Dies sind die Abenteuer des rheingold salon, der mit seiner Besatzung angetreten ist, neue Welten zu erforschen, um das Miteinander der Generationen und das Leben der Über-50-Jährigen in eine andere Sphäre zu befördern.

Menschen über 50 machen inzwischen weit über 50 Prozent der Bevölkerung aus. Klischees und Vorurteile wurden gründlich widerlegt. Statt Reden zu schwingen und sich gegenseitig die Schuld zuzuweisen, ist es gelungen, endlich ins Handeln zu kommen. Aus dem Gegeneinander ist ein Miteinander der Generationen, der Geschlechter und letztlich der Nationen geworden –mit Warp-Antrieb.

Dieses neue Miteinander differenziert gleichzeitig die Potentiale der Einzelnen sehr genau. Früher wurden die Menschen zwischen 50 und 85 einfach in eine Gruppe zusammengepackt. Ab 50 war man in einer (Ziel-)Gruppe mit den eigenen Eltern. Die sogenannten „Silver-Liner“ waren plötzlich geschlechtlos und verschwanden aus der Öffentlichkeit. Bereits ab 50 kaum noch präsent in den Medien, wurden sie ab 60 von Gesellschaft wie Unternehmen in den Ruhestand versetzt.

„Lebens-Aufgabe“ hatte damals einen anderen Sinn. Man musste ab einem bestimmten Alter einen Großteil des Lebens aufgeben, ob man wollte oder nicht. Wurde als unbeweglich, technologiefern und irrelevant abgestempelt. Heute hat jeder seine persönlich sinnvolle Lebensaufgabe, die zur Gesamtgemeinschaft beiträgt. Und zur Lebensverlängerung. Die gesunde 100 ist keine Seltenheit mehr.

Massenweise kreative und innovative Impulse kommen aus der Gruppe Ü-50. „Wir sind die Zukunft“, sagt lachend eine Frau Mitte 50, als sie die Kommandobrücke unseres Raumschiffes betritt.

Innovation sprudelt aus allen Generationen. Ältere sorgen dafür,

Ines Imdahl ist Psychologin, Autorin und Gründerin des Marktforschungsinstituts rheingold salon

dass die Kenntnisse aus vergangenen Jahrhunderten miteinbezogen werden. Hand in Hand mit der Jugend, die nicht mehr abgetrennt vom Erwachsenenalltag lebt, sondern sich überall einbringt.

Das technologische und digitale Potential wird längst nicht mehr in kriegerische Auseinandersetzungen investiert, sondern in Wettbewerbe, die die Zukunft der Menschen noch attraktiver machen.

Genießen ist an die Stelle des schnellen Überkonsums getreten. Lebensbejahende statt zerstörerischer Umfelder sind selbstverständlich geworden. Körper, Geist und Seele der Menschen sollen einen befriedigenden Unterhalt erfahren. Ernährung, Bewegung, Musik, Kunst sowie viel innigerer Kontakt zu

anderen Menschen bilden die Basis. Die persönliche Bedeutsamkeit bleibt dabei ein Leben lang erhalten. Die höhere Lebenserwartung wird als persönliche und gemeinschaftliche Leistung angesehen.

„Wir sind nicht hier, um zu überleben“, erklärt ein älteres Teammitglied, „sondern um dem Leben zu besserem Gedeihen zu verhelfen“. Dazu müssen wir mutig das Potential der gesamten Menschheit heben.

Wir können nur zusammen mit den Über-50-Jährigen eine hoffnungsvolle Geschichte schreiben und durch die unendlichen Weiten der Zukunft navigieren. Kommen Sie an Bord. Denn: Die beste Art, die Zukunft vorherzusagen, ist, sie selbst zu kreieren.

51 Lilith van Amerongen

friert am Ende der Welt und träumt von Hoffnung

Klirrende Kälte beißt sich erbarmungslos in den kleinen Spalt zwischen Neoprenmaske und Skibrille. Der Wind heult durch die endlose antarktische Landschaft, während das einzige weitere Geräusch in meinem Kopf das Flattern meiner Kapuze ist, die ich mir tief ins Gesicht gezogen habe. In Situationen wie diesen frage auch ich mich, ob es das wert ist. Aber auf dem Spiel steht nichts weniger als unsere Zukunft. Ich reise zum Südpol für das Klima – und was macht ihr so?

Wenn ich Menschen zwischen ihrem Coffee to go und ihrer überquellenden Mailbox von meiner Expedition erzähle, fragen sie zuerst: „Warum?“ Alleine zum Südpol. 50 Tage, 90 Kilogramm im Schlitten, 1.130 Kilometer über das antarktische Plateau – den kältesten und

Lilith van Amerongen ist Klimaaktivistin auf dem Weg zum Südpol. Beim Sammeln von Aufmerksamkeit und Spenden für diese Mission hilft ihr die Serviceplan Group

zu Narrativen und entwickeln die Kraft, einen Wandel anzustoßen. Im Kampf gegen die Klimakrise ist Aufmerksamkeit mindestens genauso wichtig wie meine Ausrüstung und mein Wissen über das Überleben in den Polarregionen. Ich werde von Kommunikations-Profis unterstützt, die mir helfen, meiner Story die nötige Tragweite zu verleihen. Ich bekomme Medienbriefings, führe Interviews, lande in Podcasts und stehe vor der Kamera. Meine Botschaft trifft auf viel positive Rückmeldung. Das ermutigt mich – und ich hoffe, dass ich Menschen motiviere, sich für den Klimaschutz einzusetzen.

In einer im März 2023 durchgeführten Erhebung waren 74 Prozent der Befragten der Ansicht, dass die Welt in den kommenden Jahrzehnten nicht in der Lage sein wird, den Klimawandel wirksam zu bekämpfen. Doch wenn wir gedanklich in Dystopien hängen bleiben, hören wir auf, die Zukunft zu gestalten. Wir brauchen Handlungsoptionen, um unsere Machtlosigkeit zu transformieren. Ein bisschen selbstgemachte Utopie. Tausend kleine und größere Stories über Einsatz und Impact. Das ist die wahre Macht meiner Geschichte. Sie soll Hoffnung machen.

windigsten Ort auf dem Planeten. Die Antwort ist einfach. Weil ich etwas Konstruktives tun will. In der Antarktis werde ich Schneeproben für das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung sammeln, damit Wetter und Klimamodelle besser erklärt werden können. Ich gehe also buchstäblich bis ans Ende der Welt für den Klimaschutz.

Aber auch die inspirierendste Aktion bleibt in ihrer Wirkung begrenzt, wenn niemand von ihr erfährt. Erst durch öffentliche Aufmerksamkeit werden Geschichten

Wenn dieser Text Sie erreicht, ist ein Teil meiner Mission schon erfüllt. Der Rest liegt in Ihrer Hand. Haben Sie den Mut, sich Ihres eigenen Einflusses auf die Welt bewusst zu werden. Werden Sie Teil der Geschichte, wie wir die Zukunft verändert haben.

Und wenn Sie sich nicht sicher sind, ob es das wert ist, dann denken Sie an mich und den eisigen Wind in meiner Neoprenmaske. Denken Sie an die Anstrengungen Tausender. Denken Sie an eine Zukunft, in der Wälder nicht brennen und Städte nicht versinken. Denken Sie daran, dass Sie ein Teil des Wandels gewesen sein werden. Und glauben Sie mir: Ja, all das wird es wert gewesen sein.

»Wir entschieden uns, dem Weltuntergang mit lächelnder Tatkraft zu begegnen«

52+53 Christiane Goetz-Weimer und Wolfram Weimer

verlegen Wirtschaftstitel und träumen von lustvoller Heiterkeit

Das Verleger-Ehepaar

Weimer führt seit 2012 die von ihm gegründete Weimer Media Group, die unter anderem „The European“, „Börse am Sonntag“ und „Business Punk“ herausgibt

Der erste Weltuntergang, den wir überlebt haben, war das Ende vom „Rosaroten Panther“. Im November 1986 stellte das ZDF die Kult-Serie ein. Wir fielen in die tiefe Schlucht des Schluchzens, denn die Welt war natürlich schlagartig sinnentleert. Und als im gleichen Jahr der „Spiegel“ die Titelgeschichte „Die Klima-Katastrophe“ publizierte und den Kölner Dom im Meereswasser zeigte, denn Deutschland werde im steigenden Meeresspiegel bald versinken, stellten wir uns unmittelbar nach der Lektüre die FatalistenFrage: Müssen wir überhaupt noch-

mal in die Uni-Mensa und labbriges Cordon Bleu essen – oder besser gleich beim Asta den ApokalypseHungerstreik anmelden?

Da das Weltenende seit 1986 allseits abgemachte Sache schien, entschieden wir uns früh für lustvolle Heiterkeit auf der Zielgeraden der Existenz. Zumindest so lange noch Schokopudding im Kühlschrank des Verlages war, und knapp bevor der Atomkrieg, saurer Regen, Borkenkäfer, die Bevölkerungsexplosion, das Ozonloch, Tschernobyl, die Vogelgrippe, die Schweinegrippe, der Klimawandel oder Corona uns den Garaus machen würde.

Zwischenzeitich wurde auf Seite 17 unten links in der „FAZ“ das Waldsterben abgesagt und auch das Ozonloch ganz ohne Sperrfrist heimlich geschlossen. Aber dann kam ja das ultimative DoomsdayDing, der schwarze Schwan, der passgenau Super-GAU für uns: das Zeitungssterben. Unser Humor wurde einen Vorabend-Drink lang radikal auf die Probe gestellt. Wenn nämlich Zeitungen und Magazine sterben, wohin druckt man dann die letzte Todesanzeige der Zeitung? Wir saßen – wie jede Happy Hour – in Cocktail-Klamotten auf unserer blütenweißen Roof-Top-Bar, räsonierten mit 17 Eschatologen, tranken Portwein und waren verzweifelt, dass das Leben als Verleger nun mit einem Todesfall im Todesanzeigenparadoxon endet, oder philosophisch ins Absurde verstrudelt. Da entschieden wir uns endgültig, dem Weltuntergang mit lächelnder Tatkraft zu begegnen, das Ungesagte zum Eigentlichen zu erklären und das Absurde zum Programm zur Rettung unseres Verlegerjobs, der Medien, ja eigentlich der ganzen Welt zu machen. Es war lächerlich absurd, mitten in der ersten Verflachungs-Welle der Printkrise ein gedrucktes Intellektuellen-Magazin namens „Cicero“ zu gründen, in der Finanzkrise dann einen Börsenverlag zu kaufen (zum Lachen komisch), in der Kontaktverbots-Pandemie einen Ludwig-Erhard-Gipfel ganz groß aufzuziehen (was für eine Inzidenz!), und als die Großverlage sogar an monsterstarken Magazinen wie „Markt+Mittelstand“ oder „BusinessPunk“ verzweifelten, diese frohgemut zu übernehmen. Und jetzt, da die Oberschlau-KI alle Redaktionen überflüssig macht, stellen wir herzlich gerne kluge Journalisten ein. Und hey, wer noch Qualitätsmedien verkaufen will, bitte her damit. Denn wenn die Apokalyptiker und Kulturpessimisten uns herbsttrunken erzählen, dass der Qualitätsjournalismus den digitalen Bach runter gehe, dann bestaunen wir des Bachrands fallende Blätter und empfehlen uns Paulchens rosaroten Trost als Traum: „Heute ist nicht alle Tage, ich komm wieder, keine Frage.“

54 Carsten Knop gibt die „FAZ“ heraus und träumt von göttlichem Vertrauen

Die Stärke des Vertrauens liegt in der Bereitschaft, sich verletzlich zu zeigen. Doch wie können wir in einer digitalisierten Welt, die Misstrauen fördert, wieder echtes Vertrauen aufbauen?

Manchmal frage ich mich: Ob die Menschen wissen, wie unchristlich Protagonisten der AfD auftreten und handeln, wenn sie angeblich die Werte des Landes verteidigen? Ob man nicht doch kommunikativ entlarven könnte, wie wenig Interesse am allgemeinen Wohlergehen und wie viel am eigenen, persönlichen Vorteil dort wirklich herrscht? Ohne dass wir selbst wieder stärker christliche Werte in unserem Leben und in unserer Arbeit in den Vordergrund stellen, wird das wohl nicht

gelingen: Wollen wir es also wagen, einander zu vertrauen und Glauben zu schenken – um uns nicht von egoistischen Demagogen gegeneinander aufhetzen zu lassen, sondern im christlichen Streit und Miteinander Lösungen zu finden?

Wollen wir damit beginnen, etwas im öffentlichen Raum leider zunehmend Ungewöhnliches zu tun? Nämlich: vom christlichen Glauben sprechen. Neulich habe ich es einmal getan, die Resonanz war erstaunlich – positiv. Denn es steht etwas über allem: Es ist Gott, der uns als erster und letzter Vertrauen einräumt. „Von allen Seiten umgibt er dich und hält die Hand über dich“ heißt es in Psalm 139,5. Um (berechtigte) Gegenargumente gleich vorwegzunehmen: Man muss

Carsten Knop ist Herausgeber Rhein-Main und Digital der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Gegenwind von rechts bringt ihn zum Träumen – zumindest am Strand des Olympic National Park in Washington State

nicht Frömmigkeit heucheln. Man kann und muss der Kirche in vielen Belangen selbst maximal kritisch gegenüberstehen. Man muss sich aber auch bei alldem nicht ängstlich vergewissern, ob man Gott noch genehm ist: Wir schwimmen in seinem Vertrauen. Und weil das so ist, kann jeder, der sich dieses Vertrauens gewahr ist, es auch anderen schenken. Am Ende ist es sogar Glaube, den man schenkt. Worauf warten wir also?

Wenn ich dem Begriff „Vertrauen“ noch etwas länger folge, Schritt für Schritt, stellt sich heraus: Vertrauen zu schenken bedeutet, ein Risiko einzugehen, wozu immer weniger Menschen bereit zu sein scheinen. Man schweigt, hält aus, duckt sich weg, lässt andere reden. Vor allem aber hören wir einander nicht mehr zu. Es erfordert Mut, daran etwas zu ändern, sich verletzlich zu zeigen und die Kontrolle abzugeben. Doch genau in dieser Verletzlichkeit liegt die Stärke des Vertrauens. Und schon immer sind Menschen an dieser Aufgabe gescheitert.

Und nun revolutionieren obendrein technologische Fortschritte unsere Kommunikation – und haben neue Herausforderungen für das Vertrauen geschaffen: Soziale Medien und digitale Plattformen ermöglichen es, uns zu vernetzen, aber sie fördern auch Misstrauen und Unsicherheit.

Das Gegenmittel findet sich auch hier im Kleinen, in den täglichen Interaktionen mit den Menschen um uns herum. Konkret: Dafür muss ich nicht auf Insta „geliked“ oder auf Facebook (wer noch weiß, was das ist) zum „Freund“ werden.

Ein Anruf genügt. Ein Telefon zum Telefonieren nutzen, nicht zum Tippen: Probieren wir es aus. Auch auf diesem Weg entsteht tieferes Vertrauen.

Eine Gesellschaft, die auf Vertrauen basiert, ist widerstandsfähiger gegenüber Krisen und Herausforderungen. Sie ist in der Lage, Konflikte konstruktiv zu lösen und gemeinsam an einer besseren Zukunft zu arbeiten, ganz bestimmt. Ein Traum am Strand des Olympic National Park in Washington State muss das nicht bleiben.

»Wo bleibt das Irrationale des Menschen, wenn das Rationale der KI übernimmt?«
Sven

Runge ist Head of Research beim Marktforschungsinstitut YouGov

55 Sven

Runge will Märkte entschlüsseln und

träumt

von realen Fragen an echte Menschen

In einer Welt, die sich ständig verändert, gibt es für mich kaum etwas Spannenderes, als den Puls der Gesellschaft zu spüren. Dazu gehört für mich als Marktforscher auch, die Dynamiken von Märkten zu entschlüsseln. Die Markt- und Sozialforschung bietet Einblicke in das Verhalten von Menschen, Konsumtrends und gesellschaftliche Entwicklungen – dabei kommt man aktuell nicht mehr um das Thema Künstliche Intelligenz herum. Viele meiner Gedanken kreisen darum: Welche Auswirkungen wird KI nach der aktuellen Early-Adopter-Phase mittel- und langfristig auf die Marktforschung haben? Und wie können wir dabei das Wesentliche bewahren: den direkten Kontakt zu den Menschen?

In den vergangenen Jahren haben wir viel über Fake News diskutiert, aber wenig bis gar nicht über Fake Data. Bereits heute ist es ein technologisches Katz-und-Maus-Spiel, die Qualität von Umfragedaten sicherzustellen. Der Umgang mit Bots ist eine alltägliche Herausforderung in der Marktforschung. Was, wenn wir jetzt einmal den Spieß umdrehen? Und KI dafür nutzen, die Datenqualität sicherzustellen?

Dabei denke ich nicht nur an die Qualitätskontrolle vorhandener Daten, bei der wir dank KI bereits große Fortschritte gemacht haben und weitere Entwicklungssprünge erwarten dürfen. Verbesserungen sind auch an vielen anderen Stellen möglich: Insbesondere wird KI genutzt werden, um Befragungen interessanter und gezielter zu gestalten oder konversationelle Interviews zu führen. Eine Art Chatbot 2.0, der das Befragungserlebnis verbessert und uns wertvollere Insights liefert.

Oder wir setzen die Bots direkt so zielgerichtet ein, dass wir gar

keine Fragen mehr stellen müssen: Wir können KI-Modelle mit umfassenden, hochwertigen und verknüpften Befragungs- und Verhaltensdaten so trainieren, dass wir komplett synthetische Studien durchführen – Befragungen ohne Befragte.

In einer sich immer schneller drehenden Welt erwarten viele Marketeers, dass Fragestellungen mittels synthetischer Daten direkt beantwortet werden – ohne eine reale Umfrage. Die Frage nach der Qualität und Validität der Datengrundlage werden sich viele im Arbeitsalltag gar nicht mehr stellen.

In nicht allzu ferner Zukunft sehe ich geradezu eine Flut an KI-generierten Umfragen aus synthetischen Panels. Da synthetische Daten nur so gut sein können wie die realen, die ihnen zu Grunde liegen, können sie echte, qualitativ hochwertige Befragungsdaten aber immer nur ergänzen, nicht ersetzen.

Dabei beschäftigt mich die Frage: Wo bleibt das Irrationale des Menschen, wenn das Rationale der KI übernimmt? Ich gehe davon aus, dass wir zukünftig in einem Umfeld arbeiten werden, in dem es weniger, dafür aber gezieltere, tiefergehende Befragungen gibt. Und wir werden dabei an einen Punkt kommen, an dem jene Forschung den Unterschied macht, die von echten Menschen beantwortet wird.

Richtige, reale Befragungen können ein neues Qualitätsmerkmal und eine neue Währung in der internen und externen Kommunikation werden.

In den kommenden Jahren wird sich die Marktforschung stark verändern. Welche meiner Überlegungen dabei Realität werden, wird die Zukunft zeigen. Kritisches Denken und menschliches Handeln werden in jedem Fall unverzichtbar bleiben.

56 Aylin Güler tiktokt für die „FAZ“ und träumt von Wohlfühl-Netzwerken

Das gehört doch zu TikTok, das wird sich eh nie ändern: Sätze wie diesen höre ich immer wieder, wenn ich über Fake News, Mobbing, Gewalt und Hasskommentare in sozialen Netzwerken spreche. Ich könnte es mir nun einfach machen und sagen: Ja, so ist es! Oder ich könnte die Augen schließen und träumen.

Seit mehr als zweieinhalb Jahren ringe ich als Presenterin für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ jeden Tag um die richtigen und verständlichen Worte vor der Kamera, möchte junge Menschen mit gut recherchierten Inhalten erreichen. In meinen Träumen ist jedes Video ein viraler Hit.

Ich bin froh, dass wir 2024 nicht mehr darüber sprechen müssen,

halten. Das funktioniert am besten mit emotionalen oder aufsehenerregenden Inhalten. Und so hat sich TikTok schnell zu einem Ort entwickelt, an dem sich Fake News und Hatespeech ungehindert verbreiten. Datenschutz-Bedenken, Zensur, digitales Mobbing und Belästigung sind ebenfalls immer wieder im Gespräch. Auf TikTok sind Menschen Täter und Opfer zugleich. Und das Schlimmste für mich: Die Bandbreite des Problems ist nicht ansatzweise gelöst!

Deswegen träume ich am liebsten von sichereren Netzwerken, von Orten, an denen Journalistinnen und Journalisten garantieren können, dass die Jugend Zugang zu vertrauenswürdigen Quellen bekommt. Denn die Nachfrage ist da. Ja, nicht jedes gut recherchierte Video geht

»Ich wünsche mir, dass in Netzwerke investiert wird, in denen nicht jeder eine Plattform bekommt. Sondern nur diejenigen, die es gut meinen«

ob wir soziale Netzwerke nutzen sollen. Sondern nur darüber, wie und welche. In meiner Wunschzukunft kennen wir auch die Antwort auf diese Fragen.

Natürlich gehört es zu meiner Arbeit als Journalistin, mich Widerspruch auszusetzen und Kritik anzunehmen – vor allem auf sozialen Netzwerken, wo der Ton meist sehr hart und direkt ist. Und ich muss akzeptieren, wenn ein Video nicht die Aufmerksamkeit bekommt, die ich mir wünsche. Das frustriert, und ja, es nervt auch mal. Denn für mich bedeutet das, täglich einen Kampf um Aufmerksamkeit anzutreten.

Algorithmen sind nicht auf Meinungsvielfalt und Qualität des öffentlichen Diskurses ausgerichtet, sondern darauf, dich und mich möglichst lange auf der Plattform zu

heutzutage viral. Doch das Interesse für Politik und Gesellschaft ist auch beim jungen Publikum erkennbar vorhanden. Mein Video zum ExHurrikan Kirk hat auf TikTok fast drei Millionen Menschen erreicht. Und unsere Meldung „ansteckender Hautpilz verbreitet sich in Barbershops“ verzeichnet bis dato 3,4 Millionen Aufrufe auf Instagram. Von diesen Zahlen träumt der Online-Auftritt der „FAZ“ leider nur. Ich sehe das vielbeschworene Aussterben der Medien so also nicht. Dennoch wünsche ich mir Netzwerke, die von Medien noch besser genutzt werden können. Um mit der Gen Z erfolgreich zu interagieren, ist es für uns an der Zeit, das veraltete Regelwerk aufzugeben, sich auf die neuen Bedürfnisse einzustellen – und dabei mutig zu

sein: mutig genug, alte Strukturen aufzubrechen und neue Ressourcen und Kapazitäten an den richtigen Stellen zu schaffen. Mutig genug, Social-Media- und Video-Ressorts nicht mehr nur zu belächeln, sondern als integralen Pfeiler für die Entwicklung des Journalismus der Zukunft zu verstehen.

Ich möchte, dass Budgetkürzungen und Einstellungsstopps in diesen wichtigen Ressorts keine Rolle mehr spielen. Ich wünsche mir, dass auch sehr junge Journalistinnen und Journalisten die Chance bekommen, sich zu behaupten. Sie lernen von uns und wir von ihnen. Nur so können wir garantieren, dass ein Ort geschaffen wird, der junge Menschen anspricht.

Ich wünsche mir eine Plattform, auf der wir alle für jedes Problem eine Lösung finden – so unkompliziert wie möglich. In meinen Träumen ergreifen Plattformen auch endlich Maßnahmen, um die mentale Gesundheit ihrer Nutzerinnen und Nutzer zu unterstützen, beispielsweise durch Pausenfunktionen oder Algorithmen, die toxische Inhalte weniger verbreiten. Hier sollten alle europäischen Staaten enger zusammenarbeiten.

Ich wünsche mir, dass in Netzwerke investiert wird, in denen nicht jeder eine Plattform bekommt. Sondern nur diejenigen, die es gut meinen.Wie wäre es zum Beispiel, wenn es bestimme Themengebiete gibt, die konsumiert werden müssen, um die Plattform weiter nutzen zu können? Ich denke da an gut recherchierte Video-Inhalte, die zur Aufklärung dienen.

Ich weiß nicht, wie es meinen Journalisten-Kolleginnen und -Kollegen geht, aber ich möchte meinen Bildungsauftrag auch in den sozialen Netzwerken nicht vergessen. Denn in diesen Plattformen steckt die Zukunft des Journalismus. Und ich wünsche mir, dass das auch Medienhäuser endlich verstehen und akzeptieren.

Aylin Güler ist in der Online-Redaktion der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zuständig für „Vertical Storytelling“ und hat den TikTok-Account der „FAZ“ mit aufgebaut

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Janett Zschunke

koordiniert Kampagnen und träumt von Verantwortungsbewusstsein

Stell dir eine Welt vor, in der jede Entscheidung, die wir treffen, die Zukunft unserer Kinder verbessert.

Die Geburt meines Kindes hat mein Leben stark verändert. Als Mutter eines zweijährigen Sohnes empfinde ich eine tiefe Verantwortung für die Welt, in der er groß wird. Für mich zählt jeder noch so kleine Beitrag. So engagiere ich mich beispielsweise im Förderverein der Kita neben meinem Job als Geschäftsführerin einer Mediaagentur. Klar, das ist nicht immer einfach. Und einige sagen: „Warum machst du das auch noch?“ Aber für mich ist das selbstverständlich. Verantwortung zu tragen ist meine Leidenschaft und bereitet mit Freude – privat genauso wie im Job.

In meiner Rolle als Agentur-CEO ist es meine persönliche Motivation, diese Verantwortung auch in der Markenkommunikation für unsere Kunden zu leben. Kommunikation schafft Realitäten, formt Werte, kann Entscheidungen beeinflussen. Jeder Slogan, jede Botschaft und jede Kampagne haben die Kraft, Menschen zu bewegen. Lasst uns immer wieder den ethischen und gesellschaftlichen Auswirkungen unserer Arbeit bewusst werden. Mir ist es wichtig, unseren Kunden zu zeigen, wie sie ihre Mediaaktivitäten verantwortungsvoller gestalten können – für die Gesellschaft und die Umwelt.

So helfen wir ihnen zum Beispiel dabei, emissionsärmere Media Lösungen zu finden oder durch ihre Media-Investments glaubwürdige Media-Ökosysteme zu unterstützen. Außerdem schaffen wir ein Bewusstsein für Lieferantenvielfalt und -qualität, um Diversity, Equity und Inklusion zu fördern. Hier tragen wir eine Verantwortung zur Integration – je vielfältiger die Teams, desto besser die Ergebnisse. Wir alle möchten eine lebenswerte Zukunft. Also lasst uns unseren Teil dazu beitragen. Mein

großer Wunsch ist deshalb, dass wir alle jeden Tag die Verantwortung für das eigene Handeln spüren. Und zugleich sehen, welch positive Impulse wir für die Gesellschaft geben können.

Verantwortung ist unsere SuperPower. Ja, das mag banal klingen – ist aber wichtiger denn je. Daran möchte ich aktiv mitarbeiten, mit Herz und Überzeugung. Als Mensch, als Frau, als Mutter, als Chefin einer Mediaagentur.

Janett Zschunke ist Chefin der EssenceMediacom Germany, der größten Mediaagentur Deutschlands. Ihr Sohn ist zwei Jahre alt und noch nicht ganz so groß

»Es macht mehr Spaß, Pirat zu sein, als zur Marine zu gehen«
Steve Jobs
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Nina Zimmermann ordnet die Arbeitswelt und träumt von Veränderung

Nina Zimmermann ist CEO der Plattform kununu, auf der Menschen ihren Arbeitgeber bewerten können.

Als Expertin für Führungsund Unternehmenskultur reist sie durch die (Arbeits-) Welt – zum Beispiel nach Hongkong

Wir sind die Veränderung, die wir suchen“: Dieses Zitat von Barack Obama ist zeitlos – gerade dann, wenn wir vorausblicken möchten. Zukunft erfordert Gestaltung. Wenn ich mir die Zukunft vorstelle, wünsche ich mir eine Gesellschaft, die keine Angst vor Veränderung hat, sondern

Lust auf Neues und all die Chancen, die damit verbunden sind. Neugier ist der entscheidende Antrieb, selbst Veränderung anzutreiben. Im Umkehrschluss teile ich als zweifache Mutter die Sorge vieler Eltern, dass unsere Kinder in einer Welt groß werden, in der Veränderung als Bedrohung begriffen wird.

Wir stehen vor einer tiefgreifenden digitalen Neuordnung unseres Lebens. Die KI-Revolution wird es in einem Maße verändern, das wir noch nicht absehen können. Dadurch steigt der Handlungsdruck, künstliche Intelligenz in ein Regelwerk zu übertragen, das Ethik und Innovation übereinbringt – eine zweifellos schwierige Aufgabe. Davon wird die Arbeitswelt genauso beeinflusst wie von zahlreichen weiteren Megatrends: Gender Shift, Silver Society, Individualisierung, Konnektivität und Mobilität sind nur einige Beispiele.

Die Aussicht auf Veränderung macht vielen Angst. Schon jetzt erkennen wir als Folge daraus, dass überall auf der Welt Konflikte entstehen und demokratische Werte unter Druck geraten. Uns ist die Dialogfähigkeit abhandengekommen. Das geht zu Lasten von Meinungsvielfalt und konstruktivem Austausch. Die Gesellschaft individualisiert sich, ein Miteinander wird schwer.

In einem solchen Umfeld gedeiht Innovation selten – aber eine innovative Arbeitswelt ist Grundvoraussetzung für gesellschaftliche Veränderung. Denn es ist der Arbeitsort, an dem Menschen zusammenkommen. Für unsere Generation, aber natürlich auch für unsere Kinder und deren Kinder gilt das Wort Obamas mehr denn je: „Wir sind die Veränderung, die wir suchen.“

Viele sind gut darin, Probleme zu benennen – das ist wichtig, um sie zu lösen. Aber für die Zukunft braucht es Problemlöser*innen als Überzeugungstäter*innen. Überzeugung entsteht nur durch

Optimismus. Und dafür brauchen wir eine optimistische und zugewandte Führungskultur – in Gesellschaft und Arbeit. Gerade in Europa können wir es uns nicht mehr leisten, rückwärtsgewandt zu agieren und immer nur das Negative zu suchen. Wenn wir nicht mehr Enthusiasmus an den Tag legen, wird uns die mitreißende Geschwindigkeit, die zum Beispiel in Asien gelebt wird, überholen. Wer nicht dazulernen möchte, dem kann nicht ganz zu Unrecht Arroganz unterstellt werden – und die sollten wir uns auf keinen Fall vorwerfen lassen.

Gerade am Arbeitsplatz merken wir, dass eine empathische, emotionale und positiv psychologische Herangehensweise direkt zu mehr Innovation und dadurch zu Wachstum führt. Gerade in Europa müssen wir aufpassen, dass wir uns nicht durch zu viel Reglementierung und Bürokratie selbst die emotionale Intelligenz abschnüren und so den Anschluss an Unternehmen auf anderen Kontinenten verlieren, die dort schneller und agiler handeln.

Neben dieser Zugewandtheit muss die Welt der Zukunft einen Weg finden, in der die Balance zwischen digitalem Know-How und Kreativität stimmt. Wir brauchen ein Umfeld, in dem junge Menschen mit der Entwicklung neuer Technologien Schritt halten können. Gleichzeitig müssen sie aber auch außerhalb digitaler Welten ihre ganz eigene Kreativität ausleben dürfen, die nicht von Algorithmen oder Suchergebnissen, sondern von Spaß und vielleicht auch Albernheit getragen wird.

Denn nur aus diesem Geist entsteht letztlich Innovationskraft – denn Innovation will ja Neues schaffen. Das schafft die retrospektive KI (noch) nicht.

Für diesen schwierigen Spagat zwischen digitaler und analoger Welt brauchen wir eine optimistische Haltung im Umgang miteinander – eine, die den Dialog fördert. Gelingt das, ist mir um die Zukunft nicht bange.

Eric Demuths Krypto-Handelsplattform Bitpanda ist als Startup-Unicorn mehrere Milliarden US-Dollar wert

59 Eric Demuth hat ein Einhorn erschaffen und träumt von Fleisch ohne Tier

Wenn ich auf meinem Sofa liege und mit meiner Hündin Piccolina ein kleines Nickerchen halte, dann träume ich von einer Welt, in der Tiere nicht mehr für unsere Bequemlichkeit leiden müssen.

Trotz meiner kritischen Haltung gegenüber Massentierhaltung bin ich kein Veganer – Fleisch ist für mich heute ein Luxusgut, das bewussten Konsum verlangt. Jeder Bissen Fleisch erinnert daran, dass dafür ein Lebewesen sein Leben ließ. Keine beliebige Ware, sondern ein Lebewesen mit Empfindungen. Fleisch als Massenprodukt zu betrachten, ist verstörend und respektlos. Wir lernen viel zu wenig darüber in der Schule, wie intelligent und sensibel die sogenannten Nutztiere – ohnehin schon ein perverser Begriff – sind.

Die Zustände in Mastbetrieben sind erschütternd. Tiere verbringen ihr Leben auf Vollspaltböden,

eingepfercht und gestresst, ohne je ein artgerechtes Leben zu kennen. Wer ihre Panik auf dem Weg zur Schlachtung einmal gesehen hat, erkennt den Widerspruch: Wir wollen billiges Fleisch, aber blenden das Leid aus. Verpackungen mit fröhlichen Tieren im Supermarkt suggerieren Bequemlichkeit und verhindern das Auseinandersetzen mit der Wahrheit.

Dieses Problem allein durch Empathie lösen zu wollen, ist unrealistisch. Stattdessen brauchen wir technologische Alternativen wie Laborfleisch, das tierleidfrei, kontrolliert und in perfekter Qualität erzeugt wird. Menschen sind preisgetrieben, und genau dort liegt die Lösung: Nur wenn Laborfleisch günstiger und besser ist, wird es die konventionelle Fleischproduktion verdrängen. So ist es bei jeder Technologie.

Die Zukunft liegt in Innovationen, die ethische Alternativen schaffen und Wohlstand ohne Ausbeutung ermöglichen.

»Wenn du nicht aufpasst, übernimmt die Wut«

Zwischen Traum und Tatkraft: Publizistin und Podcasterin Jagoda Marini´c ist die sanfte Stimme der Vernunft im Gebrüll gesellschaftlicher Debatten – und weiß, wie radikaler Wandel trotz aller Widerstände gelingt

Von Anne-Nikolin Hagemann

und

(Text)
Selina Pfrüner (Fotos)

Wir treffen uns hier am Rhein, nahe des Mannheimer Hafens. Warum passt die Gegend zu dir? Weil sie das ist, was hier dem Meer am nächsten kommt. Meine Familie kommt vom Meer, aus Dalmatien. Wenn ich nicht dort bin, suche ich Flussgegenden. Das Wasser vor mir ist auf dem Weg irgendwo hin, kommt irgendwo her. Die Fragen nach dem Woher und dem Wohin helfen mir beim Denken.

Warum passt dieser Ort auch zum Thema Traum?

Beim Träumen bewegt man sich von der Realität fort – so, wie sich das Wasser immer bewegt. Mein Roman „Die Namenlose“ beginnt damit, dass die Hauptfigur am Fluss sitzt und darüber nachdenkt, was ihn vom Meer unterscheidet: Der Fluss hat seinen Reiz durch die stetige Vorwärtsbewegung. Das Meer durch die Weite und Tiefe. Und durch die Nichtigkeit, die man fühlt, wenn man sich selbst ins Verhältnis setzt zu etwas so Großem wie dem Ozean.

Deine Eltern sind aus Kroatien, damals Jugoslawien, nach Deutschland gekommen, weil sie sich hier ein besseres Leben erträumt haben. Du sprichst von ihnen als Pionieren. Was meinst du damit?

In öffentlichen Diskussionen sind Menschen wie meine Eltern ja meist die Gastarbeiter oder ein aufgehübschtes Ersatzwort dafür. Gleich welches Wort, es erzählt eigentlich nur etwas über die politischen Bedingungen der Zeit, in der sie gereist

sind – und nichts über sie. Pioniergeist bedeutet für mich, dass da Menschen ins Unbekannte aufgebrochen sind. Wie in diese US-amerikanischen Erzählung von Frontier: Man macht sich auf und erschließt sich Land. Meine Eltern kamen und erschlossen sich ein Leben.

Wo bist du Pionierin?

Ich kategorisiere mich sehr ungern. In mir leben aber der Mut und die Neugier meiner Eltern. Auch ihr Vertrauen, dass es funktioniert, wenn man etwas riskiert. Wobei sie da viel radikaler waren: Wenn ich heute irgendwo hinwill, kann ich vorher auf Google Maps die Straßen dort sichten. Meine Eltern sind aufgebrochen ins Unbekannte, oder sogar ins Dunkel-Gedachte – Deutschland war ja damals nicht unbedingt ein einladender Ort. Mich beeindruckt ihre Kraft, sich aus dem heraus zu meißeln, was ihr Leben gewesen wäre. Zu sagen: Ich bin Teil eines anderen Flusses. Das habe ich von ihnen: Dass ich immer schaue, wo sich etwas bewegt, wenn der Stillstand droht. Und dann versuche, selbst in Bewegung zu kommen.

Was hast du von deinen Eltern übers Träumen gelernt?

Meine Eltern sind Teil der Arbeiterklasse und damit notgedrungen auch sehr bodenständige Realisten. Sie sind keine verträumten Wohlstandsmenschen, die den Traum wie als Accessoire vor sich hertragen können. Sie träumen sich auch nicht weg in eine phantasievolle Geschichte. Sie sind existentiellere Träumer, die sich

fragen: Was will ich mit diesem einen Leben anfangen, wie träume ich es groß jenseits der schwierigen Ausgangslage?

Und du?

Ich habe durchaus auch die Seite der Wegträumerin: Wenn mir das Gegenwärtige nicht reicht, kann ich wunderbar in die Fantasie abgleiten. Aber ich fühle auch, dass ich nur ein Leben bekommen habe, von welcher Instanz auch immer. Und ich will wissen, was man in diesem Leben erleben kann. Der Traum ist ja im besten Fall die Vorstufe der Umsetzung: Weil es denkbar ist, könnte es machbar sein. Wer nicht träumen kann, gibt sich schnell mit dem zufrieden, was ihn umgibt.

Und Unzufriedenheit ist gut?

Ja. Sie hilft dabei, sich anzustrengen, an der Welt zu bauen. Der Zeitgeist tendiert dazu, alle Unzufriedenheiten, Macken und Verrücktheiten ganz schnell zu diagnostizieren und zum individuellen Problem zu erklären. Ich sehe darin aber Tatendrang: Da, wo es drückt, bewegst du dich. Macht man aus dieser Bewegung Energie, kreiert man vielleicht sogar Neues.

Als Leiterin des Interkulturellen Zentrums in Heidelberg hast du mit Behörden, Beamten und Bürokraten gearbeitet. Ist das eine so traumfeindliche Umgebung, wie ich sie mir vorstelle? Wäre der Traum eine Katze, würde er sich diese Umgebung eher nicht als kuscheligen Sonnenplatz aussuchen. Dann wieder stimmt das nur auf den

Jagoda Marinić geboren 1977 in Waiblingen bei Stuttgart, ist vieles: Schriftstellerin, Intellektuelle, Einwandererkind, Weltbürgerin. Sie prägt als Talkshowgast, in ihren Büchern und Kolumnen gesellschaftliche Debatten – und lässt sich dabei weder von Medien noch Publikum auf eine Rolle festlegen. Im Podcast „Freiheit Deluxe“ fragt Marinić Promis nach der Freiheit, in „Das Buch meines Lebens“ bei Arte nach lebensverändernder Literatur. Für „Apokalypse und Filterkaffee“ sortiert sie die Nachrichten. Zwischen 2012 und 2023 leitet sie im Auftrag der Stadtverwaltung das Interkulturelle Zentrum in Heidelberg und vernetzt Menschen, Vereine und NGOs. 2024 erscheint ihr Plädoyer für „Sanfte Radikalität –zwischen Hoffnung und Wandel“ in Buchform

»Wenn mir das Gegenwärtige nicht reicht, kann ich wunderbar in die Fantasie abgleiten«
»Das Wasser vor mir ist auf dem Weg irgendwo hin, kommt irgendwo her. Die Fragen nach dem Woher und dem Wohin helfen mir beim Denken«

ersten Blick. Denn auch in diesen Strukturen arbeiten ja am Ende Menschen. Auch da gibt es Momente, wo diese Menschen in Begeisterung geraten. Im ersten Moment habe ich aber so gedacht wie du: Die Statements, die Funktionsprinzipien von Behörden sind ja Gleichförmigkeit, Ordnung, Zuverlässigkeit, Stabilität. Da möchte man kein bunter Vogel sein.

Die Feindseligkeit gegen Träume sitzt ja tief in Deutschland. Ich denke an Helmut Schmidt: „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.“ Wir haben leider ein Misstrauen gegen die Kraft des

Menschen dazu auf, das Gewohnte zu verlassen: Der Exodus beschreibt auch die Überwindung einer menschlichen Urangst. Je plastischer und intensiver der Traum ist, dem du folgst, desto leichter fällt das. Denn dann gehst du ja schon fast in eine neue Realität, die du im Kopf vor Augen hast.

Was hast du als Gründerin des Interkulturellen Zentrums über dich selbst gelernt?

Schläge nicht so hart und ich komme ins selbstbestimmte Handeln.

Die Strategie beschreibst du als „Sanfte Radikalität“, so heißt auch dein aktuelles Buch. Wo bist du radikal?

Fiktionalen. Eine Skepsis, dass man sich nicht nur von der Wirklichkeit abwendet, sondern vor allem zu etwas Besserem hin. Das erstaunt mich immer: Das Misstrauen gegenüber dem Neuen und Unbekannten. Warum kann man sich nur so schwer vorstellen, dass es funktioniert?

Ja, warum eigentlich? Der Konflikt ist alt: Der Mensch ist gefangen in seiner Alltäglichkeit bis zum Tod, muss täglich für Nahrung sorgen, für ein Dach über dem Kopf. Im Alltag, im Vertrauten richten wir uns schnell ein. Aber schon die Bibelgeschichten fordern

Als ich dieses Projekt aufgebaut hatte, mit den Verwaltungen zu tun hatte, merkte ich: Wenn ich hier nicht als Wutbürgerin rauskommen möchte, muss mein Ich weiter werden. Ich muss schauen, wer gerade welche Reaktion von mir braucht, damit ich ihn einbeziehen oder gar überzeugen kann von meiner Idee. Ich muss niemanden hassen, niemand ist mir gegenüber per se feindselig. Da geht es auch ganz viel um Projektionen, die man sich gegenseitig zuschreibt: Du bist Beharrungskraft, ich bin Change, also sind wir Gegner.

Wie hast du es geschafft, keine Wutbürgerin zu werden?

Natürlich war ich wütend, wenn es zu langsam ging, wenn sich Hindernisse aufgetan haben. Aber: Wenn ich Hindernisse immer persönlich nehme, traue ich anderen nichts anderes mehr zu, als ein Hindernis zu sein. Die nötige Beharrlichkeit hatte ich schon, aber ich habe dazu noch diese Sanftmut asiatischer Kampfkünste gebraucht: Wenn ich auch mal ausweiche statt direkt in den harten Boxkampf zu gehen, treffen mich die

Ich kämpfe entschieden für meine Werte und die Grundrechte, die Menschen vor uns erkämpft haben. Ich halte unser Grundgesetz für ein radikales Regelwerk: Die Würde des Menschen ist unantastbar ist ein Gedanke, den es so vorher nicht gab, das radikale Gegenteil der Dunkelheiten zuvor. Jeder Mensch ist gleich viel wert – und das nach Jahrhunderten Feudalstaaten. Wir müssen uns klar werden, wie viel Radikalität Demokratien benötigt haben, um zu werden, was sie sind.

Wird Radikalität heute falsch verstanden?

Im Moment verwechseln viele Radikalität mit sich entladender Wut und vergessen die Vernunft. Sie denken, je wütender sie sind, desto legitimer ist ihre Position in den Diskurs-Kämpfen. Deswegen haben viele Menschen überhaupt keine Lust mehr, sich demokratisch zu beteiligen, weil sie diese Stimmung stört. Dann gehen sie lieber in eine Art BiedermeierPrivatismus. Wir sollten überlegen, wie wir ein einladendes DemokratieKlima für alle schaffen.

Wie hilft dir da die Sanftheit?

Mit Sanftheit meine ich, dass ich mir meine Fluidität bewahre: Ich entscheide, wann ich hart bin und wann weich. Ich richte mich nicht ein in einer

Opferidentität. Wenn ich sage: Hier bin ich als Tochter von Einwanderern nur Opfer – dann sehe ich die ganze Welt nur noch durch diese Brille. Reduziere die Großartigkeit dieses Lebens auf eine einzige Rolle, die mir in einem Land zugeschrieben worden ist, in das meine Eltern zufällig gekommen sind. Das wäre für mich lebensfeindlich. Für viele ist das aber normal geworden: Aus Angst vor der Vielfalt an Ichs, die diese Gegenwart uns bietet, flüchten wir uns immer wieder in eines davon, in eine Gruppe, wo alle exakt so denken wie wir. Und verhärten. Die anderen stören dann oft.

Aber tut Wut nicht auch manchmal gut?

Klar. Aber wenn du nicht aufpasst, übernimmt die Wut. Ich will ihn ihr nicht verharren. Wut macht dich nicht edler, macht dich nicht zum besseren Menschen, macht dich nicht wahrhaftiger. Sie ist ein Gefühl von vielen. Ein Kontrastmittel, das mir zeigt, wie krass die Missstände sind. Aber betrachte ich die Wut als Selbstzweck, schreie ich jetzt alle an, und sage ihnen, wie scheiße sie sind? Oder sehe ich die Wut als Seismograph, der mich genauer hingucken lässt?

Sage ich: „In Deutschland sind alle Rassisten“, schaffe ich Stereotype und verharre in dem, was ich erkannt habe – statt der Fluss zu werden und Dinge zu verändern.

Warum setzen trotzdem so viele auf die Wut als Motor für Wandel? Wut war lange Teil der Mittel und Rhetorik revolutionärer Bewegungen.

Der Feminismus und auch ethnische Minderheiten und Schwarze sagten zu Recht: Die wollen uns die Wut wegnehmen – aber wir haben Grund, wütend zu sein. Ich verlange viel, wenn ich sage: Die Wut ist nicht so heilig, wie du denkst, nur weil sie es im Lauf der Geschichte war. Die Wut der französischen Revolution war die Revolution der da unten gegen die da oben. Es gab klare Gegner: Du stellst eine Guillotine auf den Marktplatz und weißt genau, wen du zu köpfen hast.

Und heute?

Heute haben sich die Plattformen für Wut verändert, genauso wie die Gegner. Wut taugt nicht mehr als das emanzipatorische Instrument, das sie vor 200 Jahren war. Wenn ich sie in sozialen Netzwerken kanalisiere, zahle ich ein auf die Datengold-Maschinen des Silicon Valley, treibe den Algorithmus an, neue Wut zu kreieren. Wut ist heute nicht nur kapitalisierbar, als Clickbait, Headline oder Post. Sondern auch das zentrale Mittel rechtsextremer Kräfte, um Menschen zu mobilisieren.

Was macht Wut und Angst attraktiver als die Sanftheit im Kampf um Aufmerksamkeit?

Ich halte es für ein Gerücht, dass sie so viel attraktiver sind. Warum gibt es denn so viele Leute, die keine Lust mehr haben, Nachrichten zu konsumieren? Klar hat der Schock einen Wert als Clickbait, klar gucken die Leute, wie sich die Katastrophe entwickelt, wenn ich im Stundentakt Katastrophenmeldungen raushaue. Nur sind wir

jetzt so weit, dass eine kritische Menge sagt: Die Katastrophe interessiert mich nicht mehr. Und im zweiten Schritt: Ich glaube die Katastrophe nicht mehr – zum Beispiel beim Klimawandel. Wenn du den Feueralarm dauerhaft laufen lässt, wird er Normalität. Und keiner kommt und löscht.

Wie kommen wir raus aus diesem DauerAlarmmodus?

Das ist die Frage. Denn erstens ertragen wir alle das nervlich nicht mehr. Zweitens können wir so nicht die Ideen verhandeln, die wir brauchen, um Probleme zu lösen. Ich glaube an eine Lösungslust: Lösungen faszinieren viele Menschen. Ich spüre das bei meinen Lesereisen mit „Sanfte Radikalität“: Ich hatte noch nie ein Buch, bei dem fast alle Lesungen ausverkauft waren, es gab noch nie so viele, die mir beim Signieren von sich erzählten. Und von ihren Träumen, an die sie wieder glauben wollen. Sie möchten an etwas festhalten, bei dem es nicht nur darum geht, wie schlecht alles ist. Daran, dass es Ideen gibt, wie es besser werden könnte.

Es gibt also eine Sehnsucht nach Hoffnung? Es gibt eine Sehnsucht danach, in Bewegung zu kommen. Das Versprechen von Dynamik kommt im Moment von rechten Kräften. Das reizt auch junge Menschen, denn natürlich wollen sie dahin, wo die Energie spürbar ist. Im Rest der Gesellschaft, in den linken und progressiven Gruppen herrscht Stagnation. Wir haben uns in den letzten Jahren zu sehr mit der

Wut aufeinander befasst, die uns spaltet: Wenn du nicht genderst wie ich, bist du nicht in meinem Feminismus. Wenn du nicht genauso denkst wie ich, haben wir nicht dieselben Ziele. Darüber haben wir verpasst, Lösungen zu suchen für die Lebensrealitäten vieler Menschen. Und in dieses Vakuum marschieren nun von Trump bis AfD autoritäre Kräfte ein und sagen: Wir machen das.

Wie bleibst du bei der Sanftheit, wenn du siehst, dass sich mediale Diskurse den Empörungsspiralen hingeben, dass wütende Narrative Publikum finden?

Ich kann sehr sanft und sehr kampflustig gleichzeitig sein, Sanftheit ist nicht Wehrlosigkeit. Ich möchte nicht, dass die Realität schwarzgemalt wird. Aber ich möchte mich auch nicht mein ganzes Leben damit beschäftigen, die Schwarzmalerei mit drei kleinen weißen Punkten zu beleben.

Was meinst du damit?

Ich habe Interviews gegeben, in denen ich nur zur AfD gefragt wurde –obwohl ich mich gerade auch mit ganz anderen Themen beschäftige. Begriffe wie Whataboutism, also den Vorwurf, andere Themen nur einzubringen, um abzulenken, finde ich an sich schon problematisch. Besonders dankbar für solche Begriffe sind aber Rechte und Rechtsextreme – weil die mich gerne festlegen wollen auf ein Thema. Aber ich will selbst priorisieren, worüber ich rede. Ich will nicht die ganze Zeit nur die Gegenrede halten auf Reden, die mir missfallen.

»Es

gibt eine Sehnsucht danach, in Bewegung zu kommen. Das Versprechen von Dynamik kommt aber im Moment von rechten Kräften«

Viel lieber möchte ich eigene Ideen anbieten.

Wie helfen dir die sozialen Medien dabei?

Ich kann mir – wie viele andere – dank der sozialen Medien eine Öffentlichkeit schaffen, die ich lebenswert finde. Ich kann über meine Kanäle, meine Formate, meine Bücher an der Welt bauen, Diskussionen fördern, die ich relevant finde, statt der Agenda anderer Leute nachzurennen. Ich kann die Wirklichkeit beschreiben, wie ich sie sehe.

Worüber denkst du nach, bevor du etwas veröffentlichst?

Ich frage mich: Welchen Impuls will ich in die Öffentlichkeit geben? Ich gehe immer davon aus, dass sich 80 Prozent der Menschen nicht per se

dafür interessieren: Sie haben vielleicht zehn Minuten am Tag, sich mit dem Thema Gesellschaft und Politik zu beschäftigen. Weil sie den Rest der Zeit ihre Familie ernähren, weil sie überleben müssen. Oder weil sie einfach an sich selbst denken wollen. Ich muss Inhalte also so anbieten, dass die sagen: Wenn ich ihr zuhöre, ist es für mein Leben ein Gewinn.

Kannst du diese Menschen überhaupt mit deinen Kanälen erreichen?

Ich glaube: ja. Ich finde öffentlich-rechtlichen Rundfunk sehr wichtig und auch, dass man mit dessen Strukturen zusammenarbeitet. Ich glaube aber, wir sind bei jüngeren Generationen schon so weit, dass wir sie eigentlich nicht mehr brauchen.

Weil man die heute durchaus auch alleine erreichen kann – vielleicht sogar leichter.

Gibt es Medien, mit denen du nicht zusammenarbeiten würdest? Viele Personen der Öffentlichkeit geben ja zum Beispiel der „Bild“ kein Interview – aber trotzdem erschließt du dir da ein anderes Publikum als mit Arte. Wenn ich über solche Dogmen nachdenke, sind ja schon drei Minuten meines Lebens für die Bildzeitung draufgegangen. Jemand von Penguin Books UK hat mal zu mir gesagt: Wenn du dein Buch in ein Cover packst, das nicht die Menschen anspricht, für die es etwas erzählt, ist es das falsche. Es ist wichtig, die eigenen Zielgruppen zu definie-

ren. Und die „Bild“ kann das heute auch nicht mehr besser als andere Printmedien, auch sie hat schwindende Leserzahlen. Diese Glorifizierung, dass die wüssten, wie es geht, ist ein gefährliches Stereotyp. Diese Zeiten sind längst vorbei, das wird digital entschieden, in Podcasts, YouTube und Social Media.

Wer hört dir zu, wer folgt dir?

Die unterschiedlichsten Menschen – auch solche, die die „Bild“ erreicht. Ich bekomme Post vom Studienrat, vom Oberstudienrat, aber auch vom Schul-Hausmeister: Einer schrieb mir einmal, dass er morgens, bevor die Schüler kommen, zum X-ten Mal mein Gespräch mit Slavoj Žižek bei „Freiheit Deluxe“ hört. Und

»Podcast ist das einzige Medium, das auf dem Höhepunkt der Überreizung die Möglichkeit gibt, sich länger auf etwas einzulassen«
»All diese Projektionen davon, wer die Empfänger sind, was sie wollen, was sie brauchen – eine Anmaßung«

das, obwohl das mit dem deutschen Voiceover nicht einfach ist, wie ich finde.

Trauen wir unserem Publikum zu wenig zu?

All diese Projektionen davon, wer die Empfänger sind, was sie wollen, was sie brauchen – eine Anmaßung. Aus den Statistiken wissen wir, wer wann was klickt, wer wann wie lang drin ist, wer wann weggeht. Da ist null Traum drin, nur noch Zahlen, denen man dann folgt. Peter Suhrkamp, der Gründer des Suhrkamp Verlags, hat mal sinngemäß gesagt: Wir müssen den Menschen die Bücher geben, von denen sie noch nicht wissen, dass sie sie brauchen. Wenn ich ständig Erhebungen mache und darauf reagiere, komme ich gar nicht an den Punkt, wo ich mich und die anderen überrasche.

Was magst du am Podcasten so sehr?

Podcast ist im Moment das beste Medium, wenn es ums Vermitteln von Inhalten geht. Es ist kein Zufall, dass wir damit zurückgekommen sind zum Lagerfeuer, zur Oral History, zum Zuhören und Erzählen. Diese Nähe und Vertrautheit lassen sich auch ausnutzen. Wie in den USA, wo riesige Polit-Influencer mit ihrer unqualifizierten Meinung Menschen prägen, weil eben dieses Vertrauen entsteht.

Warum hören wir heute wieder so gerne zu?

Weil das Visuelle überreizt ist. Es gibt kaum eine

visuelle Darbietung von Inhalten in TV oder Mediathek, jenseits von den groß vermarkteten Filmen und Serien, die die Leute noch interessiert. Man hat gar keine sinnvolle Filmsprache mehr für die Bildebene bei Nachrichten, Gesellschaft und Politik. Es ist uns langweilig geworden. Warum sollen wir noch jemandem dabei zuschauen, wie er einfach irgendwo steht und in ein Mikro spricht, wenn wir ganz andere Bilder von Betroffenen selbst im Netz sehen können?

Wir sind eben gewohnt, per Smartphone ständig durch eine Flut von Inhalten zu scrollen. Podcast funktioniert auch deswegen, weil die Leute nebenher andere Reize befrieden können. Die Bildebene der Nachrichten befriedigt sie nicht. Bei Podcasts kannst du zig Bilder angucken und gleichzeitig hören. Du kannst joggen, Rad fahren, aufräumen, hast Gesellschaft im Raum. Podcast ist das einzige Medium, das auf dem Höhepunkt der Überreizung noch die Möglichkeit gibt, sich länger auf etwas einzulassen und Themen zu folgen, die komplexer sind.

Also, überspitzt: Im Podcast muss man nicht zum Punkt kommen? Wenn ich vergleiche, wie ich früher für Radiobeiträge geredet habe, dieses Statement-Abgeben, wundere ich mich, dass das je funktioniert hat. Es ist eine unglaublich gute Entwicklung, nicht mehr

zu sagen: Pack alles, was du weißt, in drei sendbare Minuten. Sondern stattdessen: Ich will dich denken hören. Ich will die Überprüfbarkeit deiner Gedanken. Ich will dich mit anderen diskutieren hören. Ich habe da schon auch den Anspruch, Podcast und Bildung zusammenzubringen.

Also: weniger Unterhaltung, weniger auf Abrufzahlen schielen?

Unterhaltung ist nicht gleich Hörer. Und anspruchsvoll kann sehr unterhaltsam sein. Das können sie im anglosächsischen Raum besser, zum Beispiel in der Ezra-Klein-Show. Wenn wir ehrlich sind: Früher haben wir doch im Fernsehen ständig klugen Leuten zugeschaut, wie sie Dinge verhandeln, die wir nicht ganz verstanden haben. Und so gelernt.

Und heute?

Heute haben wir „Schlag den Raab“. Oder zehn andere Jungs, die sich im Fernsehen prügeln. Und halten das für Unterhaltung. Es ist so unfassbar langweilig. Klar fangen die damit zwei, drei Millionen Deutsche ab. Aber wir haben ja eine viel größere Öffentlichkeit aufgegeben in dieser Zeit. Diese vielen Millionen anderen, die da nicht zugucken: Die interessieren mich.

Leben wir gerade in guten Zeiten für Träumer?

Ich denke: Ich lebe und das ist gut. Wenn ich träumen will, dann träume ich. Und wenn die Zeit das

gerade nicht mag, ist das traurig. Wir sind ja alle nur noch am Optimieren: Wie leben, wie arbeiten wir besser? Ist es gut oder schlecht, zu träumen? Das Faszinierende am Kreativen, am Träumen ist ja gerade, dass in dieser Traumwelt genau danach niemand fragt. Das ist einfach eine Hirnaktivität, die in uns gelegt wurde. Die uns verbindet mit Menschen aus anderen Zeiten, Lebensbedingungen, Entwicklungsstadien. Irgendwann haben Menschen angefangen, Bilder auf Höhlenwände zu malen, um zu erzählen. Diesen Menschen sind wir noch immer näher, als wir denken. In jedem Fall näher als den Robotern, über die wir gerade so gerne reden. Träumen, Erzählen: Das ist Teil unseres Menschseins.

Die Frage wäre also eigentlich: Ist es eine gute Zeit, Mensch zu sein? Die Frage ist: Wie viel Raum lässt unsere Zeit menschlichen Qualitäten, die nicht kapitalisierbar und optimiert sind? Dem Wunder, dass wir existieren. Dem Wunder, dass wir miteinander sind. Ich sehe gerade so viele Panels über AI – ich wünschte, wir würden uns 50 Prozent davon für uns selbst nehmen und fragen: Was macht dich eigentlich menschlich? Warum fürchtest du so sehr, von einem Roboter ersetzt zu werden? Was ist das für eine Gesellschaft, in der wir von allen vor allem eines erwarten – zu funktionieren?

Sven Plöger ist Meteorologe und erklärt für die ARD seit 1999 das Wetter

60 Sven

Plöger beobachtet Wetter und Klima und träumt von rheinländischer Zuversicht

Ich bin Rheinländer, auch wenn ich seit fast 30 Jahren in Ulm lebe. Wir Rheinländer schauen grundsätzlich optimistisch in die Welt. Damit lebt es sich besser, als wenn man vorwiegend pessimistisch ist und damit stets negativ und übermäßig sorgenvoll. Aber ich bin kein naiver Rheinländer. Wenn man sich heute ernsthaft umschaut, sieht man auf dieser Welt vorwiegend Krisen. Krisen, die man nicht sequentiell abarbeiten kann, sondern die alle gleichzeitig

nach Lösungen rufen. Krisen, die unfassbar sind, wie der russische Angriffskrieg auf die Ukraine oder die Situation im Nahen Osten. Oder die Klima-Krise, die nur schleichend voranschreitet und durch immer extremere Wetterereignisse auf sich aufmerksam macht. Ereignisse, die mit viel Leid und hohen Kosten verbunden sind und die heute ziemlich genau so stattfinden, wie sie uns die Wissenschaft vor rund 40 Jahren bereits angekündigt hat. Als Meteorologe

beschäftigt mich der Klimawandel naturgemäß besonders.

Ist die Konsequenz nun, frustriert aufzugeben und zu sagen: „Das schaffen wir ja sowieso nicht“? Solche Gedanken kommen mir manchmal. Aber dann obsiegt der Rheinländer in mir, der sagt: Wenn ich so an Probleme herangehe – oder eben nicht herangehe – und wenn alle diesen Blick einnehmen: Dann wird das eine sich selbst erfüllende Prognose. Stellen Sie sich einfach vor, Sie treten bei den Olympischen

»Ich spüre, wie wichtig es ist, unsere Wünsche und die physikalische Realität in einem vernünftigen Gleichgewicht zu halten«

Spielen zum 100-Meter-Lauf an. Und sagen vor dem Start: „Also hier kann ich ganz sicher nicht gewinnen.“ Das macht Ihren Sieg quasi unmöglich. Außer, die anderen verlaufen sich alle – aber das ist nicht sehr wahrscheinlich, denn die 100-Meter-Strecke ist ja meist nicht besonders kompliziert. Also habe ich beschlossen, den Optimismus nicht zu verlieren und mich weiter darum zu kümmern, komplizierte Wissenschaft, eben Atmosphärenphysik, für jede und jeden zu übersetzen. Nicht als Aktivist, Ideologe oder Missionar. Sondern mit Haltung durch Unterhaltung. Das kann Menschen mitnehmen, wie ich auf vielen meiner Vorträge immer wieder merke. Und

vielleicht kommt dann auch bei meinen Zuhörerinnen und Zuhörern ein bisschen begründeter und nicht naiver Optimismus an. Dazu gehört auch, das Thema medial so aufzubereiten, dass es informiert und nicht erschreckt. In sehr kurzen Wetterberichten kann man das nur hin und wieder anteasen. Ich freue mich also, dass die ARD mir immer wieder mal die Möglichkeit bietet, mich in 45 Minuten langen Dokumentationen des Themas anzunehmen. Eine dieser Dokus führte mich nach Panama, wo Urwald, moderne Stadt und der für den weltweiten Handel so wichtige Panamakanal direkt nebeneinander liegen. Eine nach Grönland, wo die unfassbare Schönheit der

Natur und das immer schnellere Verschwinden des Eises gleichzeitig zu sehen sind. Eine andere ans Mittelmeer, einerseits Ziel für Urlauber, andererseits Wetterküche, die durch die rasche Erwärmung immer extremeres Wetter produziert.

Bei all dem spüre ich, wie wichtig es ist, unsere Wünsche und die physikalische Realität in einem vernünftigen Gleichgewicht zu halten. Leider gelingt uns das im Moment weltweit wenig bis gar nicht. Die Folgen machen mich zuweilen traurig, manchmal auch wütend.

Doch dann sehe ich wieder, dass wir Stellschrauben haben und Dinge in die Hand nehmen können. Und müssen. Und damit ist die Motivation wieder da.

61 Sarah Kübler macht Creator-Marketing und träumt beim Scheiße-Schippen von mehr Sportsgeist

Wenn ich ins Träumen komme, dann oft, während ich Scheiße schippe. Ich stehe in Gummistiefeln bei meinen Pferden im Stall. Es ist nach 23 Uhr, es regnet, es ist kalt. Unter der Jacke habe ich noch meinen schicken Blazer an. Vom Business-Dinner in den

Pferdestall, das kommt bei mir häufig vor. Joker, mein Turnierpferd, und Freddy, unser Fohlen, interessieren sich nicht für Kostendruck, Margen und Gehaltsgespräche. Sie möchten jetzt einen sauberen Stall und Futter. Also ran an den Mist. Ich setze mir die Kopfhörer auf und höre „Equity by Techcrunch“, einen

meiner Lieblingspodcasts, während ich Mistgabel um Mistgabel in die Schubkarre wuchte.

Mit wehendem Haar im Kleidchen in den Sonnenuntergang zu galoppieren, ist Pferderomantik. Die harte Arbeit dahinter, die Tierarzttermine, die langen Fahrten zu Turnieren, sind vielen erstmal nicht bewusst. Gleichzeitig liebe ich diesen Sport. Ich reite Reining, eine Western-Disziplin. Für Laien: Dressur in Hochgeschwindigkeit. Wer einmal versucht hat, gemeinsam mit einem Lebewesen mit eigenen Ideen und Vorstellungen sportlich erfolgreich zu sein, weiß: Dafür muss man zu hundert Prozent im Hier und Jetzt sein.

Das ist mir in der letzten Turnier-Saison nicht immer gelungen. Nicht nur das Pferdejahr war anstrengend. Auch das Agenturjahr hat mich gefordert. Als ich vor zehn Jahren mit meiner Social-MediaAgentur HitchOn angefangen habe, herrschte Aufbruchstimmung in der Branche. Da war alles neu, es wurde viel ausprobiert. Alle hatten richtig Bock, Marketing mit Creators neu zu denken.

Jetzt, zehn Jahre, später sind wir weit gekommen, professioneller geworden. Budgets sind gewachsen, aber auch Kostendruck. Harter Wettbewerb regiert den Alltag. Ich habe Verständnis für Unternehmen, die sparen wollen. Ich sehe die Creators, die nicht wie Litfaßsäulen behandelt werden, sondern für ihre Arbeit Wertschätzung und natürlich auch entsprechende Vergütung wollen. Fairer Umgang ist die Voraussetzung. Aber wie schaffen wir es, dass alle wirklich an einem Strang ziehen?

Sarah Kübler führt die von ihr gegründete Social-MediaAgentur HitchOn und tritt mit Pferd Joker bei Western-Turnieren an

Joker knabbert an meiner Mütze und weckt meine Aufmerksamkeit.

Vielleicht spürt er, dass ich mit meinen Gedanken schon wieder woanders bin. Ich schalte den Podcast ab. Fast fertig mit dem Ausmisten. Ich bin k.o., spüre meinen Rücken, bin verschwitzt. Gleichzeitig fühle ich mich besser. Mein Kopf ist klarer geworden. Ich weiß jetzt, was ich ändern möchte, wie meine Vision für die Zukunft aussieht.

Am erfolgreichsten sind Pferd und Reiterin, wenn beide das Gleiche wollen. Und genau das müssen wir in der Creator-Marketing-Branche schaffen: gemeinsam für ein Ziel arbeiten, statt in entgegengesetzte Richtungen zu galoppieren.

So, wie ich es gerade im Podcast gehört habe: Das Modell, dass Creators nicht mehr als „Lohnarbeiter“ gebucht, sondern mit virtuellen Anteilen wie die Mitarbeiter*innen

im Silicon Valley beteiligt werden, ist in den USA gang und gäbe. Media for Equity ist dort das Schlagwort. Statt mit Geld investieren Creators mit ihrer Reichweite in Companies und werden am langfristigen Erfolg beteiligt. So sind plötzlich alle Interessen gleichgerichtet.

In dem Moment bin ich sicher: Aus diesem Traum im Pferdestall wird meine nächste Geschäftsidee werden.

62 Stefan Sutor vernetzt die bayerisch-deutsche Medienlandschaft und träumt von journalismusfreundlichen Systemeinstellungen

Ich glaube, wir können uns gar nicht vorstellen, wie die Welt schon in zehn Jahren aussehen wird. Meine Vision ist es, das Verhältnis von Medien und Technologie neu zu justieren, um eine Medienlandschaft zu schaffen, in der sich unabhängige Angebote behaupten können.

Der Blick zurück zeigt, wie sehr Technologie die Medienwelt schon immer verändert hat. Kabel, Satellit, die Nutzung eines erweiterten Frequenzbereichs im UKW Band – das waren die neuen technischen Errungenschaften in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es war eine kleine Medienrevolution – auch für mich. Auf einmal gab es hunderte von TV-Kanälen und unzählige neue lokale und regionale Rundfunkangebote. Es entstanden tausende neue Arbeitsplätze. Ich selbst durfte damals die Entwicklung als Hörfunk-Referent bei der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien begleiten. In meiner Wahrnehmung konnten Politik und Regulierung diese neuen Medienwelten noch gestalten und austarieren. Das hat meine Überzeugung gefestigt, dass es durch Technologie und die richtigen Rahmenbedingungen möglich ist, eine vielfältigere Medienlandschaft zu schaffen. Ab den 1990er Jahren stellte das Internet die Medienwelt erneut auf den Kopf: Der Zugang zum

gesamten Wissen der Welt war ein unglaubliches Versprechen für die Nutzer. Und für Medienunternehmen die Riesenchance, mit neuen Diensten und Angeboten die Welt zu erobern – meist auf den Plattformen der großen Infrastrukturanbieter. Die Ernüchterung heute: Viele journalistische Medienangebote haben keine funktionierenden Erlösmodelle für die digitale Welt. Gleichzeitig ist das Netz ein Ort, an dem sich alle, auch dank KI, artikulieren können. Journalistisch informierende Medieninhalte – nicht nur auf lokaler und regionaler Ebene – werden zwangsläufig immer weniger. Die Folgen für Gesellschaft und Demokratie sind absehbar.

Umso mehr bin ich davon überzeugt, dass für die künftige Medienlandschaft das Verhältnis zwischen Medien und den dominierenden Technologie-Plattformen neu definiert werden muss. Gleichzeitig müssen sich die Medienangebote selbst mit KI neu erfinden. Ich glaube an eine Medienlandschaft, in der durch Technologie Raum für unabhängige und regionale Angebote geschaffen wird. Dafür müssen journalistische Medieninhalte in der digitalen Welt gesicherte Erlöse erzielen – und vor allem auch zu den Nutzenden gelangen. Suchergebnisse, Plattform-Algorithmen oder KI-generierte Antworten sollten daher automatisch und standard-

Stefan Sutor sitzt gern im Raum für Ideen der Medien Bayern GmbH, deren Chef er ist

mäßig einen Anteil journalistischer Medieninhalte enthalten: Journalismus durch „System-Voreinstellung“! Wie ist das erreichbar? Indem die Gesellschaft ein solches System einfordert. Wir müssen selbst bestimmen, welche Nachrichten wir gezeigt bekommen und was wir lesen wollen – gerade im KI-Zeitalter.

63 Kerstin Niederauer-Kopf zählt Zuschauer und träumt von unsichtbaren Helden

Wenn ich die Augen schließe und mir die Zukunft der Medien vorstelle, sehe ich eine Welt, in der Vielfalt, Innovation und Transparenz Hand in Hand gehen. Eine Mediengesellschaft, in der jede Stimme gehört wird und jedes Format, sei es groß oder klein, seinen Platz hat. Aber wie schaffen wir eine solche Welt?

Meine Vision dreht sich um Standards. Ja, das klingt im ersten Moment vielleicht nicht so aufregend. Aber: Standards sind die unsichtbaren Helden der Medienwelt. Ohne sie können wir keine Vergleichbarkeit schaffen. Sie sind der Schlüssel, um den Erfolg von Inhalten mess- und nachvollziehbar zu machen. Vor allem aber sorgen sie dafür, dass auch kleinere, lokale Angebote im Wettbewerb bestehen können – und das ist essentiell für die Demokratie. Medienvielfalt ist nichts Geringeres als der Spiegel einer pluralistischen Gesellschaft. Die Zukunft der Medienlandschaft wird jedoch nicht nur durch den technischen Fortschritt gestaltet. Sondern vor allem durch die Menschen, die die Technologien nutzen. Der technologische Wandel verändert radikal, wie wir Inhalte konsumieren. Streaming-Dienste, soziale Netzwerke und digitale Plattformen konkurrieren mit traditionellen Medien oder ergänzen sie. In dieser neuen Welt ist es wichtiger denn je, dass wir die Nutzung der Angebote transparent und neutral messen können. Unsere Aufgabe als AGF ist es, einen Teil des Medienmarktes durch verlässliche Daten vergleichbar zu machen und Innovationen zu fördern.

Doch das ist nur der Anfang. Denken Sie an eine Welt, in der jede Idee, jedes kreative Format – egal wie klein oder experimentell – die gleichen Chancen hat, entdeckt und finanziert zu werden. In der Medienunternehmen nicht nur mit ihren Konkurrenten, sondern auch mit neuen Technologien und kreativen Ansätzen wachsen.

Für die Zukunft bedeutet das konkret, dass wir uns als Branche immer wieder hinterfragen und bereit sein müssen, neue Wege zu gehen. Wir müssen mutig genug sein, unsere Arbeit weiterzuentwickeln. Aber auch flexibel genug, um auf die sich ständig wandelnden Bedürfnisse der Nutzer*innen einzugehen. Es geht nicht nur darum, welche Inhalte bereitgestellt werden, sondern darum, wie wir sicherstellen, dass sie die richtigen Menschen erreichen.

Und das ist der Punkt, an dem Standards und Daten zu Werkzeugen der Befähigung werden – nicht nur zur Kontrolle. Ich wünsche mir, dass der Markt an einer gemeinsamen Lösung für einen medienübergreifenden Standard arbeitet. Denn letztlich geht es darum, Menschen und Geschichten hinter den Zahlen zu sehen. Medienvielfalt bedeutet, dass jede Stimme zählt. Dass jede Perspektive und Information es wert ist, erzählt zu werden.

Am Ende dieses Traums steht eine Medienlandschaft, die nicht nur die Demokratie unterstützt, sondern sie in ihrer Vielfalt stärkt. Eine Gesellschaft, die auf Dialog, Respekt und Verständnis aufbaut, braucht Medien, die ihr dabei helfen, verlässliche Informationen zu verbreiten. Und wie heißt es so schön: Machen ist wie Wollen – nur krasser.

»Denken Sie an eine Welt, in der jede Idee, jedes kreative Format, die gleichen Chancen hat, entdeckt und finanziert zu werden«

Kerstin NiederauerKopf ist Chefin der AGF Videoforschung, die Daten zur Nutzung von Bewegtbild sammelt

www.umweltbewusstgedruckt.de

64 Nils Minkmar ist Journalist und Feuilletonist und träumt von deutsch-französischer Verständigung

In diesen Tagen geht irgendwo ein Kind zur Schule, das einmal Deutschland regieren wird.

Seine Eltern, Lehrer, Geschwister und Freunde wissen noch nichts davon und diese junge Person selbst logischerweise auch nicht. Mit welchen Empfindungen und Urteilen wird dieses Kind später mal auf das dann ferne Jahr 2025 zurückblicken? Wird es an eine Epoche des Aufbruchs denken, in der sich viele spannende Entwicklungen abzeichneten? Oder an zähe Jahre der Verleugnung, an verlorene Zeit?

Solche Gedankenübungen stelle ich regelmäßig an. Wir neigen dazu, unsere Gegenwart für die Ewigkeit zu halten. Obwohl wir es besser wissen, folgt unser Gefühl nicht der Erkenntnis. Es tut also ganz gut, den Muskel der Vorstellungskraft zu nutzen und zu stärken, um uns die Zukunft vor Augen zu führen und geistig beweglich zu bleiben.

Als ich ein Kind war, erzählte mir mein Großvater viel von der Zukunft. Alles würde besser werden: weniger Kriege, kürzere Reisezeiten, bessere Verpflegung und Arbeit, die nicht so körperlich belastend ist wie zu seiner Zeit. Er behielt mit allem recht. Vielleicht bin ich deswegen so ein unerschütterlicher Optimist.

Mein Großvater war Franzose und kämpfte im Zweiten Weltkrieg. Er erlebte noch die Annäherung der beiden Länder, die Hochzeit seiner Tochter mit einem Deutschen, die Gründung Europas, den Wegfall der Grenzen und die Einführung

»Es tut gut, den Muskel der Vorstellungskraft zu nutzen, um geistig beweglich zu bleiben«

einer gemeinsamen Währung. Das alles ist uns heute selbstverständlich. Aber es ist nur ein Teil des Wegs. Auf dem Gebiet der Medien herrschen – mit Ausnahme von arte – immer noch Zustände wie 1978. Jede winzige Landtagswahl beschäftigt die gesammelte Berliner Politszene mehr als die französische Parlamentswahl. Wann hat man eine französische Politikerin oder einen ihrer Kollegen in einer deutschen Talkshow gesehen? Umgekehrt ist es beinahe noch schlimmer: Das französische Publikum muss annehmen, dass in Deutschland die lange Hose noch nicht erfunden wurden und alle Männer mit 35 sterben. Denn es

Nils Minkmar hat einen deutschen Vater und eine französische Mutter. Der Historiker podcastet und schreibt, unter anderem in seinem Blog und Newsletter „Der siebte Tag“ und der „Süddeutschen Zeitung“

sieht und hört nur deutsche Fußballer. Es gab mal Angéla Merkel, aber den Bundeskanzler, der ihr folgte, würden die meisten nicht erkennen, wenn er vor ihnen stünde und sie, ein Mikro in der Hand, nach dem Namen des deutschen Bundeskanzlers fragen würde.

Beginnt im französischen Rundfunk ein Satz mit „En Allemagne“

zucke ich schon zusammen. Die Chance, dass der Rest des Satzes zutrifft, ist etwa fifty-fifty. Das stellt auch kein Problem dar, denn weder im Studio noch im Publikum möchte man das so ganz genau wissen. Was habe ich auf diesem Weg nicht alles über die Bundesrepublik erfahren?

Das bleibt nicht ohne Folgen. Eine Bekannte aus dem französischen Südwesten konnte ihr Erstaunen nicht verbergen, als ich ihr erklärte, dass hierzulande Krebsbehandlungen durchaus von der Versicherung erstattet werden. Sie hatte die Vorstellung von einer neoliberalen Hölle, in der man sich mit dicken Bündeln von Geldscheinen den Weg freikämpfen muss.

Deutschland ist weit weg – in der französischen Medienlandschaft. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass viele tolle Kolleginnen und Kollegen als Korrespondenten einen tollen Job machen und sich die Berichterstattung bedeutend verbessert hat. Aber so bleibt es eben ein Angebot im Auslandsteil der Medien, wo es doch die ganze Sichtweise auf die Nachrichtenlage prägen müsste. Ich vermute, dass sich das ändern wird und ändern muss. Mit dem Einsatz von KI lassen sich Beiträge blitzschnell und in tolerierbarer Qualität übersetzen. Die jungen Kolleginnen und Kollegen, die etwa an der Uni Mainz den Studiengang des Transnationalen Masters in Journalismus absolvieren, sind perfekt zweisprachig und brennen darauf, entsprechende Medienangebote zu entwickeln. Die reichen dann viel tiefer in die Provinzen, in die Kultur und die Lebenswelt des Nachbarlandes.

Es gibt schlicht keine Alternative zur deutsch-französischen Zusammenarbeit. Aber viel zu wenige Entscheidungsträgerinnen und interessierte Zeitgenossen sind darauf vorbereitet. So ein Angebot wird nicht auf Papier mit Frakturschrift daherkommen – ich sehe da eher ein schnelles, visuelles Format mit kurzen und witzigen Clips, höre Podcasts und Reels. Oder Formate, die ich noch gar nicht kenne. Mit denen ein jüngerer Mensch aber schon heute experimentiert, im Keller oder auf dem Dachboden.

65 Michael Hallemann

zählt Zielgruppen-Kontakte und träumt von vernetzten Daten

Ich träume davon, Befragungsdaten und Messdaten in Zukunft noch stärker zu vernetzen. Wenn uns das gelingt, wird die ganze Gesellschaft profitieren. Denn die gleichen Technologien, die wir heute in der Mediaforschung verwenden, könnten auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen großen Nutzen stiften und Verwaltung, Gesundheitswesen oder Sozialsystem optimieren.

Grundlage für meine Überlegung ist ein reales Projekt: Die best for planning (b4p) ist einerseits eine traditionelle MarktMedia-Studie – andererseits aber auch wie ein Forschungslabor, bei dem viele mitwirken und praxisorientiert mit den Daten arbeiten. Wie so oft entsteht an der Schnittstelle verschiedener Methoden etwas Neues mit höherem Nutzwert.

Wir verknüpfen unter anderem Befragungsdaten mit Daten aus dem Online-Tracking. Unsere Lizenznehmer verarbeiten die Erkenntnisse daraus vielfältig – vom Regionalmarketing bis hin zum Online-Targeting. Das Potential integrierter Daten aus

unterschiedlichen Quellen geht aber darüber weit hinaus. Insofern sind wir ganz vorn bei einer Entwicklung dabei, die unsere Gesellschaft verändern wird. KI wird das noch beschleunigen. b4p wird von der Gesellschaft für integrierte Kommunikationsforschung (GIK) herausgegeben, die seit über zehn Jahren Daten für Werbungtreibende, Agenturen, Vermarkter und Publisher liefert.

Die GIK bietet allen Medienangeboten eine Plattform mit universellen Zielgruppeninformationen und kann die (nicht immer) sozialen Netzwerke ein Stück weit aus ihren „walled gardens“ herausholen. Wir sortieren die Medien nicht in alt und neu, sondern zeigen, wo und mit welcher Intensität Kontakte mit welchen Zielgruppen entstehen. Für die Planung also höchst relevant und unverzichtbar. Heute und künftig.

Michael Hallemann ist Sprecher der Geschäftsführung der GIK für Gruner + Jahr / RTL Deutschland

ISebastian Matthes startet seine Karriere bei der „Wirtschaftswoche“, wird 2017 Digital-Chef beim „Handelsblatt“ und steigt 2022 zum Chefredakteur auf

66 Sebastian Matthes ist Chefredakteur des „Handelsblatts“ und träumt von KI, die den Journalismus besser macht

n meinem Traum erlebt unsere Branche die größte Revolution ihrer Geschichte, viel größer noch als nach der Erfindung des Internets. Es ist der Traum von einer Welt, in der KI den Journalismus besser macht. Mutiger, kreativer, relevanter.

Dafür brauchen Redaktionen eine klare Strategie – und den Willen, KI im Kerngeschäft zuzulassen. Natürlich wird KI so bald keine Texte schreiben, darin sind die Sprachmodelle immer noch erstaunlich schlecht. Aber beim „Handelsblatt“ wird KI schon bald jeden Schritt im journalistischen Alltag unterstützen – als Assistent, der beim Transkribieren ebenso hilft wie beim Analysieren von Nutzerbedürfnissen oder Sortieren von Daten.

Dafür braucht es Wissen darüber, was die Technik kann – und was nicht. Denn im Journalismus gilt: 90 Prozent richtig sind trotzdem 100 Prozent falsch. Daher bauen wir ein Editorial Lab aus Redakteuren, Daten-Spezialistinnen und Entwicklern. Sie sollen uns helfen, in diese neue Zeit zu kommen.

Unsere optische Redaktion arbeitet schon heute intensiv mit Tools wie DALL-E oder MidJourney, um

Coverseiten, Bilder oder Illustrationen zu generieren. Aber das ist nur der Anfang. Ich träume zum Beispiel von viel interaktiveren Möglichkeiten der Datenvisualisierung. Transkriptions-Tools wie unser angepasstes Whisper-Modell erlauben uns, Interviews schneller aufzuschreiben und komplexe Studien binnen Sekunden auszuwerten.

Unser Investigativ-Team arbeitet an KI-gestützten Datenbank-Tools, um Hunderte Gigabyte an Mails und anderen Informationen aus großen Recherchen schneller auszuwerten und Zusammenhänge offenzulegen.

KI wird auch in Konferenzen mit am virtuellen Tisch sitzen. Jeden Tag diskutieren wir: Welche Fragen haben die Menschen gerade an uns? Wann wollen sie kurze News, wann längere Analysen, wann hintergründige Longreads? Wie lautet der beste Dreh? Wir arbeiten an KI-Tools, die solche Fragen präzise beantworten. In unserem H_AI Co-Pilot finden sich Werkzeuge, die schon bald jeder Reporterin und jedem Reporter bei solchen Fragen zur Seite stehen: Unser „HandelsblattLeser-Lotse“ schlägt auf Basis von Nutzerbedürfnissen eine Textform für ein Thema vor. Das „Nachdreh-

Tool“ analysiert die Artikel-Performance und erkennt Potenziale für Weiterdrehs. Die Technik wird uns Headlines anbieten und die Texte optimal präsentieren, mit den passenden Links und Infografiken.

Bei alledem stehen wir ganz am Anfang. In ein paar Jahren aber werden solche Tools tief in unser Redaktionssystem integriert sein.

Den Kern der journalistischen Arbeit aber verändert KI kaum – im Gegenteil: Sie verschafft uns Zeit und Raum, diesen intensiver zu pflegen. Denn im Kern bedeutet Journalismus, hinter die Kulissen von Macht zu schauen, Orte zu besuchen, die normale Menschen nicht zu Gesicht bekommen und Fragen zu stellen, die noch nicht gestellt wurden. Auch in Zukunft steht immer eine journalistische Entscheidung im Zentrum unserer Arbeit. Wir werden niemals Sklaven der Technik sein.

Und ich habe noch einen Traum: Dass unsere Branche die Disruption durch KI nicht so lange unterschätzt, wie sie das Internet unterschätzt hat. Davon sollten wir aber nicht nur träumen – sondern die Chancen und Grenzen dieser Revolution austesten.

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Alles,was Männerlieben PlayboylesenSiewegenderInterviews.DerReportagen. DemNeuestenausLifestyle,Motor&Mobility.Undunsere Bildersind natürlichauchnichtzuverachten.Playboy –alsMagazinundaufallendigitalenKanälen.

»Große Gedanken brauchen nicht nur Flügel. Sondern auch ein Fahrgestell zum Landen«
Neil Armstrong

Christian Hug ist als Vice President DEI zuständig für Diversität, Gleichstellung und Inklusion bei Warner Bros. Discovery

»Unsere Gesellschaft kann nur dann funktionieren, wenn sich jeder angenommen fühlt, wie er ist«

67 Christian Hug sorgt für vielfältige Teams und träumt von starken Seelen

Für die Welt von morgen erträume ich mir eine Gemeinschaft von resilienten, mit sich selbst in Verbindung stehenden, zufriedenen Individuen, die eine ebenso vielfältige wie starke Einheit bilden. Ich wünsche mir, dass wir in der Lage sein werden, den Herausforderungen unserer Zeit, insbesondere den technologischen, selbstsicher zu begegnen.

Die fortschreitende Digitalisierung hat das Leben von uns allen verändert. Sie ist faszinierend, nützlich, anstrengend, unumkehrbar. Nimmt Besitz von uns allen und hat dabei eine ganz eigene Dynamik. Aber: Was macht das mit uns als Persönlichkeiten, was bedeutet das für unsere psychische Gesundheit?

Als Change Berater und Coach, als früherer HR-Chef und jetzt Verantwortlicher für Diversity, Equity und Inklusion in einem großen globalen Unternehmen habe ich Veränderungen stets mit positiver Haltung begleitet.

Was mich bei der digitalen Transformation jedoch nachdenklich

stimmt, ist der zunehmende Verlust der Intuition, des Wissens darüber, was uns guttut.

Der Wunsch nach Erfüllung und Selbstverwirklichung findet heute oft Ausdruck im Drang zum passiven Konsumieren, zur Selbstdarstellung, zum Sich-Vergleichen mit anderen. Das führt nachweislich zu mehr Stress, akuten Belastungsreaktionen oder gar Depression.

Meine Aufgabe sehe ich darin, den einzelnen Menschen zu stärken, ihm zu helfen, seine individuellen Qualitäten und Fähigkeiten zu entdecken und zu reaktivieren. Im Unternehmen haben wir das Thema „Mentale Gesundheit“ als einen bedeutenden Faktor für unsere Kultur identifiziert. Das psychische und damit auch physische Wohlergehen unserer Mitarbeiter*innen steht im Fokus zahlreicher Initiativen.

So haben wir Kolleg*innen zu Mental-Health-Ambassadors ausgebildet, die als erste Anlaufstelle bei Gesprächsbedarf bereitstehen und an weitere Hilfestellen weiterleiten. Wir arbeiten mit externen Gesund-

heitsunternehmen zusammen, nutzen den World Mental Health Day für Aktionen und bieten Workshops an, unter anderem zu den Themen Imposter-Syndrom, Seasonal Affective Disorder oder auch zu Neurodiversität.

Damit möchten wir dazu beitragen, dass die Kolleg*innen offener über ihre Belange reden. Darüber, was sie wirklich bewegt. Und wir möchten Verständnis schaffen –zum Beispiel dafür, dass es völlig in Ordnung ist, wenn es jemanden einmal emotional schlecht geht oder wenn jemand nicht die maximale Leistung bringt, weil akute Themen zusätzliche Belastung schaffen.

Mentale Gesundheit ist unsichtbar und daher oftmals schwer nachvollziehbar für Aussenstehende. Ich träume von einer Gesellschaft, in der offen und frei von Stigmata über seelische Belange geredet wird. Denn ich bin davon überzeugt, dass unsere Gesellschaft nur dann funktionieren kann, wenn sich jeder Einzelne so angenommen fühlt, wie er ist.

68 Jörg Jakob ist Spielmacher beim „Kicker“ und träumt von einer besseren Bundesliga

Endlich wieder Bundesliga!

Das Topspiel am Eröffnungswochenende der Saison 2030/31: Meister Mönchengladbach gegen Vorjahresmeister Frankfurt. Schön, dass nicht mehr immer dieselben die Schale holen! Das tut dem Sport gut. Viel hat sich verändert in den jüngsten Jahren, im Kern ist das Spiel jedoch dasselbe geblieben. Die Faszination Fußball ist ungebrochen. Das war das Ziel aller Bestrebungen im Klubfußball seit dem Gewinn des WM-Titels 2026. Heute, zwei Monate nach der Niederlage im Elfmeterschießen gegen England im World-Cup-Finale 2030, zählt die Bundesliga weiter zu den weltweit attraktivsten Sport-Ligen überhaupt. Weil sie mit der Zeit gegangen ist, auf ihrem speziellen Weg. Die Vereine, und damit ihre Mitglieder, entscheiden jetzt selbst, ob und wie sie Investoren einbinden. Den detaillierten Rahmen gibt eine kluge, präzise, strenge Regulierung vor. Schluss mit Ausnahmen, Schleichwegen und der Heuchelei über Tradition, Kultur und Geschäft! Dies stellt neben den Kontrollgremien für die 1. und 2. Liga zusätzlich eine unabhängige Aufsicht sicher, die so breit aufgestellt ist wie die 2020 gegründete „Taskforce Zukunft Profifußball“ der DFL.

Zugute kommen den Klubs die Reformen auf dem Transfermarkt, die weltweit greifen und die sogar Experten – bis auf mich natürlich – noch vor fünf Jahren selbst im Traum nicht für möglich gehalten hätten: Das Transferfenster schließt in Europa gleichzeitig, vor dem Saisonbeginn im Sommer. Eine Gehaltsobergrenze für die Aufgebote der einzelnen Klubs ist Teil verbesserter Financial-Fairplay-Regeln. Die sind leichter umsetzbar als früher, weil Verstöße endlich konsequent sanktioniert werden – auch wenn es um Big Player aus der Elite geht. National profitiert die Bundesliga von weiteren, eigenen Maßnahmen:

Jörg Jakob sitzt als Chefredakteur des Sportmagazins „Kicker“ auch öfter mal am Podcast-Mikro

Weil sie für Fans aus dem Umkreis von 150 Kilometern, insbesondere die jüngeren, immer ein vergünstigtes Kontingent von bis zu 20 000 Karten bereithält, sind die Arenen komplett und stimmungsvoll ausgelastet. Aber nicht nur damit werden die Bundesliga-Klubs ihrer gesellschaftlichen Bedeutung und Verantwortung in der Region gerecht. Sie agieren „glocal“, denken zwar global, handeln aber immer auch lokal. Das Erlebnis Fußball zieht die neuen wie die künftigen Genera-

tionen von Fans in stimmungsvolle Stadien frei von Pyrotechnik. Dort stehen das Spiel und die Ereignisse auf dem Feld für mindestens 90 Minuten absolut im Mittelpunkt – in der Kurve wie auf der Haupttribüne. Das lässt sich auch im Ausland fein vermarkten. Wie jetzt der Kick der Borussen gegen Frankfurt. Anpfiff! Es ist laut geworden. Ich muss wohl vor der Live-Übertragung des Liverpool-Spiels über dem iPad eingenickt sein. Aber: Ein schöner Traum ist es gewesen.

Hier erfährt die Kommunikationsgesellschaft, was den Journalismus bewegt:

Was haben Sie der Zielgruppe Journalist:innen* zu sagen? www.journalist.de/mediadaten

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Katrin Eigendorf

berichtet über Krisen und Kriege und träumt von menschlicher Verbindung

Ich habe gelernt, wie wichtig es ist, in Balance zu bleiben. Boule ist dafür perfekt, und es gehört zur Provence, meiner Lieblingsregion. Boule-Spielen hilft mir beim Nachdenken.

Was können wir eigentlich lernen von den Frauen in Afghanistan und Iran? Von den Ukrainern, von der belarussischen Opposition? In der Berichterstattung über Krisen und Kriege weltweit verengen wir den Blick, wenn wir Menschen nur als Opfer zeigen. In Frankreich hat uns Gisele Pelicot gezeigt, welche Kraft es hat, wenn eine Frau, der Grauenvolles angetan wurde, ihre Stimme erhebt.

Als Internationale Korrespondentin möchte ich von Unrecht berichten, aber auch vom Eintreten für Freiheit, für Demokratie, für die eigenen Rechte. Mir erscheint das gerade jetzt wichtiger denn je: In Deutschland und Europa wächst die Hilflosigkeit. Mit einem Gefühl der Lähmung erleben viele Menschen, dass die Angriffe auf Demokratie, Freiheit und Würde ein gefährliches Ausmaß angenommen haben. Wir brauchen jetzt Mut!

Wir Journalisten sind in der Verantwortung, Orientierung in Perspektiven zu bieten. Wir dürfen das Feld nicht denen überlassen, die Angst, Hass und Verwirrung

»Die Angriffe auf Demokratie, Freiheit und Würde haben ein gefährliches Ausmaß angenommen. Wir brauchen jetzt Mut!«

Katrin Eigendorf ordnet als Internationale Sonderkorrespondentin des ZDF die Krisen der Welt fürs TV-Publikum. Beim Ordnen ihrer Gedanken hilft ihr das Boule-Spiel

schüren. Wenn ein Elon Musk auf X seinen 200 Millionen Followern verkündet: „Ihr seid die Medien“ – dann ist das nicht nur falsch, sondern sollte uns wachrütteln. Dabei müssen wir uns aber auch fragen, warum wir so viele Menschen nicht mehr erreichen. In einer Welt, in der Lügen strategisch zur Desinformation eingesetzt werden und Tech Giganten Plattformen mit enormer Reichweite für ihre Ziele nutzen, müssen wir uns einerseits auf die journalistischen Grundprinzipien besinnen, aber auch Journalismus ein Stück weit neu denken. Anders als Bürgerjournalisten oder Influencer sind Journalisten der Wahrheit verpflichtet, müssen Informationen überprüfen. Wir müssen aber auch Haltung zeigen und Lügen als solche benennen. Es reicht nicht mehr, in den traditionellen Medien, die die Gegner der Demokratie als „Mainstream-Medien“ herabwürdigen, präsent zu sein. Deshalb arbeite ich im ZDF an einem Doku-Format, um Inhalte auf Social-Media-Plattformen wie TikTok und YouTube zu präsentieren: „Frontlines“, mit dem ich Kriegs- und Krisenberichterstattung anders zu erzählen versuche. Ein weiteres Medium der Zukunft ist für mich der Podcast. 2025 möchte ich mein eigenes Podcast-Format herausbringen und darin Geschichten von Menschen erzählen, die andere inspirieren.

Vor Ort zu sein, dorthin zu gehen, wo es manchmal auch gefährlich und schmerzhaft ist, ist weiterhin die Grundlage für Vertrauen des Publikums. Über einen Krieg kann man nicht aus dem Hotelzimmer oder vom Schreibtisch berichten.

Wir müssen uns aber immer auch darum bemühen, die menschliche Verbindung herzustellen. Zwischen dem Menschen, der zuhause am Fernseher sitzt und afghanischen Frauen, die um ihre Rechte kämpfen. Und klar machen: Was hat das mit mir, mit uns zu tun? Das unterscheidet unsere Berichte auch in Zukunft von KI-generierten Beiträgen.

Maren Urner schreibt Bestseller zum Thema Emotionen und lehrt als Professorin für Nachhaltige Transformation an der FH Münster

70 Maren Urner ist Neurowissenschaftlerin

und

träumt von einer emotional reifen Menschheit

Ich träume von einer Welt, nein, von einer Menschheit, die Gefühle nicht länger als Schwäche versteht, sondern als grundlegende Funktionsweise unserer Biologie und sämtlicher Entscheidungen anerkennt. Die nicht nur erforscht und verstanden hat, dass alles, was jeder Mensch in jedem Moment tut, immer durch ein Wirrwarr aus Gefühlslagen bestimmt ist, sondern sämtliche Strukturen genau darauf ausgelegt hat. Also von einer Menschheit, die einen emotional reifen Umgang mit sich selbst und anderen als wichtigstes und lebenslanges Ziel verstanden hat.

Ich träume von menschlichen Beziehungen, in denen nicht manipuliert, geschwiegen oder geschrien wird, sondern emotionale Bedürfnisse geäußert und berücksichtigt werden. Ich träume von Medienschaffenden, die das Ziel verfolgen, möglichst viele Menschen ehrlich

zu informieren und so zu guten Entscheidungen zu befähigen. Ich träume von Politiker*innen, die sich wertschätzend und verantwortungsvoll für ein besseres Zusammenleben einsetzen. Ich träume auch von einer Wirtschaft, die zum Ziel hat, menschliche Grundbedürfnisse möglichst nachhaltig zu erfüllen. Ich weiß, dass all das kein Traum bleiben muss. Weil das Wissen über unser Dasein als emotional-soziale Wesen vorhanden ist. Das Wissen darüber, dass die wichtigste Zutat für ein gesundes, glückliches Leben gute soziale Beziehungen sind. Und auch das Wissen darüber, dass emotional reife Menschen dazu in der Lage sind, solche Beziehungen zu führen. Was braucht es noch auf dem Weg vom Status quo zu meinem Traum? Genug Menschen, die sich laut und mutig dafür einsetzen, den Traum zur gelebten Realität werden zu lassen.

Wigan Salazar ist Experte für strategische Kommunikation und leitet die PR-Agentur MSL Deutschland

71 Wigan Salazar entwirft kluge KommunikationsStrategien und träumt von wildem Wandel

Wenn ich träume, träume ich wild. Und nicht immer positiv. In meinen Träumen wogt es immer hin und her, es gibt absurde Brüche, das Tempo ist hoch. Das passt gut zu dem, wie ich mir die Zukunft der Kommunikation vorstelle: als Dystopie, nicht als Utopie. Ich erzähle wahrscheinlich nichts Neues, wenn ich davon ausgehe, dass die Spaltung unserer Gesellschaft durch Desinformation, Fake News und die Entstehung von Bubbles noch weiter zunehmen dürfte. Medien dürfte weniger

also heute vertraut werden – falls jemand sie überhaupt konsumiert. Amerikanische Verhältnisse sind bei uns vorstellbar; von der Bedrohung durch Autokratien und Diktaturen möchte ich gar nicht erst reden.

Gleichzeitig bin ich aber ein positiv denkender Mensch und möchte mir den Optimismus nicht nehmen lassen. Ich bin davon überzeugt, dass wir als Menschen nicht nur träumen, sondern auch handeln. Und mit dem Handeln auch Veränderungen bewirken. Wir haben es gerade als Kommunikatoren selbst in der Hand, ob wir als Gesellschaft

weiter abdriften. Vor allem haben wir eine große Verantwortung. Kommen wir also zum positiven Teil meines Traums. Menschen werden auch weiterhin nach Informationen und nach Unterhaltung suchen. Die Medienlandschaft wird sich noch deutlicher verändern als

»Menschen werden sich quasi im Vorbeigehen informieren wollen«

es sich bereits abzeichnet. Der Boom der Podcasts, die in den USA ein richtig gutes Geschäftsmodell sind, zeigt die Richtung an. Die Menschen werden sich quasi im Vorbeigehen informieren wollen.

Überhaupt: Information. Die Eliten-Kommunikation, die die meisten von uns betreiben, wird eine hohe Relevanz behalten. Politische und wirtschaftliche Akteure brauchen sowohl in ihrem Beruf als auch für ihre Investitionsentscheidungen bessere Informationen und bessere Transparenz. Sehr zugespitzte Dienste wie Politico oder Table Media könnten eine noch stärkere Rolle spielen – und natürlich wird auch guter Wirtschaftsjournalismus sein Publikum finden. Entscheidend werden unternehmerische Impulse sein, die sicherstellen, dass für die Erstellung der Informationen ordentlich bezahlt wird – also für Recherche und Bewertung.

Der Blick in die Zukunft kommt natürlich nicht ohne Künstliche Intelligenz aus. Selbstverständlich wird KI den Medienkonsum verändern und vor allem ändern, wie wir Inhalte erstellen und aufbereiten. Eines wird die KI aber nicht schaffen: den „original content“ prägen. Also Skandale aufdecken oder fundierte Einordnungen zu Themen geben, die noch nicht in Medienform gegossen worden sind.

Für meinen Berufsstand der Kommunikationsberatung muss ein radikaler Wandel des Medienkonsums bis hin zu negativen Ausprägungen übrigens keine schlechte Nachricht sein – zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht. Je unübersichtlicher die Lage ist, desto mehr muss erklärt, eingeordnet und Orientierung geboten werden. Unser Kerngeschäft der Beratung wird also noch wertvoller werden. Dabei wird wichtig sein, dass wir Kommunikatoren ethische Standards hoch halten. Denn wir können täglich im Kleinen für Wahrhaftigkeit und für eine offene, robuste Debattenkultur kämpfen.

72 Thomas Koch ist ein Werbe-Urgestein und

träumt von glücklicher Dystopie

Wir schreiben das Jahr 2032. Werbung nervt nicht mehr. Es war ein langer Weg. Seit Aufkommen der Onlinewerbung stieg die Zahl der Werbebotschaften, mit der jeder Mensch jeden Tag konfrontiert wird, von 3.000 auf über 10.000. Es reichte den Leuten. Als 2024 berichtet wurde, dass die Werbung mitsamt ihrer digitalen Infrastruktur für vier Prozent der CO²-Emissionen weltweit verantwortlich ist, wurden Rufe nach Werbeverboten laut. Einem Krankenhaus würde man den Saft niemals abstellen, der Werbung liebend gerne. Die Gesellschaft diskutierte über die Einschränkung von SocialMedia-Plattformen, die die Gesundheit Jugendlicher gefährdeten und Sucht und Depressionen auslösten. Zu Verboten tendierte man, als klar wurde, dass diese Plattformen ausschließlich erfunden wurden, um Werbung zu transportieren. Nein, Werbung hatte kein Recht, derartigen Schaden anzurichten.

Die Werber gingen in Deckung. Vorbei die Zeiten, als man beim Flirt damit angab, in der Werbung zu arbeiten. Es musste etwas geschehen. Die Kreativen und Mediaplaner, die ihre Arbeit liebten, mussten die Werbung neu erfinden.

Das Wunder geschah 2028 am Max-Planck-Institut für multidisziplinäre Naturwissenschaften in Göttingen. Es gelang, Botschaften an menschliche Gehirne zu senden, die zuvor Zugang zu ausgewählten Informationen erteilt hatten.

Die Menschen empfangen seitdem nur Werbebotschaften, für die sie Interesse haben, Gefühle empfinden oder die sie ausdrücklich erbeten haben. Den Relevanz-Pegel stellt dabei das eigene Gehirn ein. Es ist wie eine Internet-Suche mithilfe von Wünschen und Träumen – ohne Google und Social Media. Es funktioniert ohne Umwege und Transportmechanismen, ohne Medien. Der Absender der Botschaft wird direkt mit den Gehirnen empfangsbereiter

Menschen verbunden. Ein Geniestreich: Die biologisch-neurowissenschaftliche Übertragung kommerzieller Angebote kostet weder fossile Energie noch umweltbelastende, mediale Infrastruktur.

Es funktioniert wie Gedankenübertragung. Im Vorfeld der

»Wir schreiben das Jahr 2032. Werbung nervt nicht mehr«

Media-Arbeit braucht es lediglich Insight-Generatoren. Sie scannen die Wünsche und Bedürfnisse der Mitmenschen – selbstredend solche, die zuvor permitted wurden.

Seither sparen wir jedes Jahr 25 Milliarden Euro an Werbeinvestitionen, jede Menge Streuverluste, wertvolle Energie und unseren Vier-Prozent-Anteil an der weltweiten Emission – und obendrein die tägliche Kritik an unserer nervtötenden Arbeit. Niemand ist genervt, alle sind glücklich. Und die Zukunft kann kommen.

Thomas Koch hat in rund 50 Jahren im Media-Business mehrere Agenturen gegründet – und einige Heilsversprechen kommen und gehen sehen

73 Kai Diekmann befeuert

die Storymachine und träumt von Tüfteln und Technik

»Andere Länder haben ein Silicon Valley, wir hingegen verlieren uns in paranoiden Visionen«

Ich stell’ mir vor, es ist Zukunft –und Deutschland ist ganz vorne mit dabei. Wow! Ich fahre ohne Stopp an roten Ampeln (längst überflüssig) im autonomen Taxi zu Storymachine in Berlin-Mitte. Die smarte Uhr am Handgelenk hat meinen 10-Kilometer-Lauf am frühen Morgen direkt an mein medizinisches Versorgungszentrum gemeldet: „Alles bestens, alle Werte im grünen Bereich – genieße den Tag!“ Und es fühlt sich gut an zu wissen, dass mir die Cola-Kisten im Laufe des Tages per Drohne direkt vor die Haustür geliefert werden. Plötzlich sind wir wieder das Land der Tüftler und Techniker, der Erfinder und Ingenieure. Wir sind Tech-Optimisten, keine Schlechtredner mehr. Auf einmal sehen wir überall Chancen, vielleicht Herausforderungen – aber nicht ständig

nur die Risiken. Technologie ist ein Versprechen, ein Fortschritt. Und keine Bedrohung mehr. Was für ein wunderbarer Traum...

Nun ja: Andere Länder haben ein Silicon Valley, wir hingegen verlieren uns in paranoiden Visionen und digitalen Dystopien. Wir fürchten uns: vor dem Missbrauch unserer Daten à la Stasi, vor Fake News auf Social Media, vor dem Verlust unserer Jobs durch KI-Roboter. Von allen digitalen Plattformen – sozusagen den Elektrizitäts- und Wasserwerken des 21. Jahrhunderts –, die heute unseren Alltag ganz selbstverständlich definieren, kommt keine einzige aus Europa. „USA innovates, China replicates, Europe regulates“: Die Angst vor Veränderung und einer unbekannten Zukunft lähmt uns. Dabei gilt doch: Wer sich nicht

verändert, wird verändert – und womöglich überflüssig.

Zum Glück wurde das Auto schon vor über 100 Jahren erfunden. Ich frage mich, ob eine solche Mobilitäts-Innovation im heutigen Deutschland überhaupt noch eine Chance auf Zulassung hätte, angesichts aller potentieller Risiken: Allein im Jahr 1970 gab es mehr als 20.000 Verkehrstote! Wenn es heute um KI geht, die alles verändernde Technologie des 21. Jahrhunderts, sind wir dabei, die Straßenverkehrsordnung zu schreiben, bevor überhaupt die ersten Autos gebaut sind.

Auch bei der Einführung der ersten Züge im 19. Jahrhundert gab es Ängste: Die hohe Geschwindigkeit des neuen Verkehrsmittels könne die Trommelfelle platzen lassen. Und 1928 verkündete die Schlagzeile der „New York Times“: „Der Marsch der Maschinen macht Hände arbeitslos!“

Die Wahrheit ist: Fast alle technologischen Revolutionen haben unser Leben verbessert. Vor 300 Jahren arbeiteten die meisten Menschen in der Landwirtschaft, konnten weder lesen noch schreiben und wurden selten älter als 40 Jahre. Heute haben wir Strom, fließendes Wasser und fliegen in Stunden über Kontinente. „Keine Technologie setzt sich durch, wenn das Leben dadurch schlechter wird“, bringt es Zukunftsforscher Sebastian Thrun auf den Punkt.

„Die Deutschen leben immer noch in einer komfortablen Gegenwart – mit einem Mittelstand, der die weltbesten Ventilatoren, Kugellager und Schrauben herstellt. And next?“, habe ich in einem amerikanischen Magazin gelesen. Die Antwort, die ich mir wünsche: Ambition! Leidenschaft! Mut! Neugier! Ehrgeiz! Hunger! Aufbruch! Risikobereitschaft! Und vor allem: Optimismus!

Damit nicht wahr wird, was der Gründer von Uber, Travis Kalanick, mir einmal gesagt hat: „Ihr Deutschen gebt erst auf, wenn ihr vom Fortschritt umzingelt seid.“

Kai Diekmann ist Co-Gründer der Social-Media-Agentur Storymachine und betitelt seine Memoiren mit der nur leicht angeberischen Zeile „Ich war BILD“

74 Irène Kilubi verbindet Generationen und träumt vom Ende der Altersgrenzen

Wenn ich die Augen schließe und mir die Zukunft vorstelle, sehe ich eine Welt, in der die Grenzen zwischen den Generationen verschwimmen. Und in der so eine Symphonie aus Erfahrung, Weisheit, Neugier und Innovation entsteht. Eine Welt, in der Menschen aller Altersgruppen nicht nur ihren Platz finden, sondern diesen gemeinsam neu erfinden. Jede Generation bringt ihre einzigartige Perspektive mit ein, zusammen formen sie ein lebendiges Mosaik, das unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft voranbringt. Ich träume von einer Zukunft, in der es nicht mehr um „Jung gegen Alt“ geht, sondern um ein Miteinander und Lernen voneinander. Stell dir ein Unternehmen vor, das von einem 60-jährigen Branchenveteranen und einer 25-jährigen digitalen Nomadin geleitet wird. Sie tauschen Ideen aus, inspirieren sich gegenseitig. So schaffen sie Lösungen, die vorher unvorstellbar schienen. Genau diese Synergie streben wir bei „Joint Generations“ an –eine Plattform, die Generationen

»Wir wollen das große gesellschaftliche Problem der isolierten Generationen lösen«

Irène Kilubi leitet die Initiative

„Joint Generations“, die Generationen miteinander ins Gespräch bringen soll. Dem Thema Altersgrenzen widmet sie sich auch in ihrem Buch

„Du bist mehr als eine Zahl“

nicht trennt, sondern verbindet. Durch Corporate Influencing ermöglichen wir es, durch authentische Stimmen aus den Unternehmen echte Geschichten von intergenerationaler Zusammenarbeit zu teilen und so die Mauern zwischen den Altersgruppen abzubauen.

Aber warum ist das so wichtig? In einer Gesellschaft, in der Altersdiskriminierung und Stereotype allgegenwärtig sind, verlieren wir Potential, das in jedem Menschen steckt, unabhängig von seinem Geburtsjahr. Studien zeigen, dass Unternehmen mit einer hohen Generationenvielfalt bis zu 35% produktiver sind und komplexe Probleme effizienter lösen. Sie bieten eine Umgebung, in der Kreativität und Innovation florieren, weil unterschiedliche Perspektiven aufeinandertreffen.

Die Vision von „Joint Generations“ ist radikal: Wir wollen das große gesellschaftliche Problem der isolierten Generationen lösen und den daraus resultierenden Wissensverlust umkehren. Unsere Plattform wird zur Brücke zwischen den Generationen – eine Brücke, die nicht nur Wissen teilt, sondern auch Innovation und Resilienz in Unternehmen stärkt.

Natürlich gibt es Herausforderungen: Vorurteile gegenüber jüngeren Mitarbeitenden, die oft als „unerfahren“ gelten. Oder solche gegenüber älteren, die als „veraltet“ abgestempelt werden. Diese zu überwinden, erfordert Mut und Engagement. Aber ich bin überzeugt, dass wir durch authentische Kommunikation und echte Geschichten eine Kultur des Respekts und Vertrauens aufbauen können.

Wenn ich die Augen wieder öffne, sehe ich eine Welt, in der Generationenvielfalt schon jetzt nicht nur ein Schlagwort ist, sondern gelebte Realität. Wenn wir jetzt noch die Kluft zwischen den Generationen überwinden, schaffen wir daraus in Zukunft eine nachhaltigere, innovativere und menschlichere Gesellschaft.

Catherin Anne Hiller ist Leiterin Strategic Marketing bei Funke und hat bei Madame Tussauds in London

Spiderman getroffen

75 Catherin Anne Hiller spinnt Marketing-Strategien und träumt von kluger Netz-Nutzung

Mit großer Macht kommt große Verantwortung: Ein Satz, der nicht nur Comic-Fans in den Bann zieht, sondern ein universelles Prinzip beschreibt. Peter Parker –besser bekannt als Spider-Man – hat diese Lektion auf die harte Tour gelernt. Seine Kräfte offenbarten ihm schnell: Macht ohne Verantwortung kann verheerend sein. Heute stehen

wir mit der kommunikativen Macht des digitalen Netzes vor einer ähnlichen Herausforderung. Wenn ich die Augen schließe, stelle ich mir eine Welt vor, in der wir das Netz auf den Kopf stellen und digitale Utopien über Dystopien siegen lassen. Doch wie bei SpiderMan gilt auch für uns: Eine Vision allein reicht nicht. Die digitalen Kommunikationswerkzeuge, die wir geschaffen haben – und in immer kürzeren Abständen weiter erschaffen –, sind wie Superkräfte: Sie tragen die Kraft, Welten zu verbinden, Ideen zu entfesseln und Grenzen zu überwinden. Gleichzeitig können sie spalten, manipulieren und zerstören. Ihre Magie ist verführerisch, doch sie birgt Licht und Schatten zugleich. Tatsächlich haben wir bereits in vielerlei Hinsicht einen

perfekten Nährboden für dystopische Entwicklungen bereitet. Das Netz greift gezielt nach unserer Zeit und Energie, verstrickt unsere Aufmerksamkeit in ein unaufhörliches Spiel um Klicks und Reize und fängt uns in klebrigen Fäden der Ablenkung. Es verspricht Verbindung, schafft aber oft Trennung. Statt Klarheit bringt die Informationsflut Orientierungslosigkeit. Wahrheit und Täuschung verschwimmen.

Die entscheidende Frage lautet: Werden wir die Werkzeuge, die wir geschaffen haben, so nutzen, dass sie dem Wohl unserer Gemeinschaft dienen –oder werden sie uns beherrschen und Zielen dienen, die unsere Vorstellungen von Gemeinschaft infrage stellen?

Mit großer Macht kommt große Verantwortung – eine Verantwortung, die wir nicht delegieren können. Der Kampf zwischen Utopie und Dystopie ist keine Zukunftsvision, sondern findet hier und jetzt statt. Werden wir diese Macht nutzen, um Utopien zu gestalten, oder geben wir Dystopien Raum?

Die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft zeigt uns: Wahre Superkräfte, um Utopien zu spinnen, liegen tief in uns selbst. Es sind:

Zusammenhalt: Kein Held und keine Heldin kämpft allein –große Herausforderungen lassen sich nur gemeinsam meistern.

Eigenverantwortung: Heldinnen und Helden handeln nach ihren Überzeugungen und genau dort, wo andere zögern – Verantwortung beginnt bei jedem Einzelnen.

Mut: Helden und Heldinnen wagen das Abenteuer des Unbekannten und hinterfragen den Status quo – auch dann, wenn es unbequem ist.

Jetzt liegt es an uns, unsere Superkräfte zu aktivieren und ein Netz zu spinnen, das nicht verfängt, sondern trägt. Ein Netz, das verbindet, statt zu trennen –und uns näher zusammenbringt, als wir es uns heute vorstellen können.

76 Katrin Wilkens ist freie Journalistin

und Beraterin und träumt von selbst geschriebenen Liebesbriefen

Wir werden in der Zukunft nur noch remote arbeiten. Langweilige Texte schreibt die KI. Originelle werden ein Menschen-echt-Siegel haben. Instagram ist out, Facebook erst recht. Helmut Markwort wird postum zu einer Ethik-Ikone: Fakten, Fakten, Fakten. Und immer an die Leser denken.

Die wichtigsten Ausbildungsschwerpunkt für Journalisten werden Quellenkunde und FactChecking sein. Das ist die Pflicht. Die Kür: Und wie kommen wir an die Lesenden? Schreiben lernt man in virtuellen Schreibstuben: Wer sich einloggt, kann das Land, das Thema, das Jahr, die Kollegen auswählen. Fantasie wird das neue Gold. Leider wird es auch virtuelle Interviewpartner geben. Eine KI wird antworten, wie Christian Lindner antworten würde.

Ähnlich wie die digitale Krankenkarte wird es eine digitale Schreibkarte geben: Alle jemals veröffentlichten Texte sind in einer Cloud gesammelt. Mit Hilfe eines personen-individuellen KI-Chatbots kann man Texte generieren, die besser sind, als die, die man selbst schreiben würde.

Nur Liebesbriefe muss man noch persönlich verfassen. Es wird eine Dating-Plattform geben, die keine Glückskekssprüche akzeptiert („Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum“), sondern nur in Echtzeit verfasste Mails.

Jeder bekommt gemäß Ausbildung und geleisteter Wochenarbeitszeit ein Fixgehalt. Zeitgleich zum Gehalt wird automatisch der aktuelle Rentenbescheid mitgeliefert. Verhandlungen über Geld gibt

Katrin Wilkens ist freie Journalistin und hilft mit ihrer Agentur i.do Müttern zurück in den Job

es nicht mehr. Das Gehalt ermittelt die KI. Care-Arbeit für Kinder oder kranke Angehörige wird staatlich gefördert: man legt ein Stundenkonto an, das man später selbstbestimmt aufbrauchen kann. Wer viel für andere getan hat, hat im Alter Anspruch auf bezahlte Pflege. Wer viel Geld verdient, aber wenig Familienzeit leistet, muss eigenständig finanziell vorsorgen.

Das Vollzeitmodell wird an die Lebenssituation angepasst. Wer Kinder hat oder kranke Angehörige pflegt, arbeitet mit 30 Stunden automatisch Vollzeit. Überforderung wird sozial geächtet. Alle fünf Jahre muss man einen Vorsorge-Check absolvieren, der Frühwarnsignale eines Burnouts erkennt.

Mütter werden genauso selbstverständlich arbeiten wie Väter. Die Beratungsbranche wird boomen. In einer Epoche, in der jeder alles sein kann, verlieren wir das wichtigste Gefühl für ein glückvolles Leben: Wir wissen nicht mehr, was wir können und was wir nicht können. Wir wissen nicht mehr, wer wir sind.

Es wird Authentizitäts-Therapeuten geben, die diese Lücke füllen. Identität wird ein verpflichtendes Schulfach werden.

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Brigitte Holzinger

hilft Menschen beim Schlafen und träumt vom Träumen für den Weltfrieden

Träume sind Gefühle und Gedanken in bewegten Bildern dargestellt. Ich habe also natürlich nicht nur einen Traum, sondern viele und jede Nacht andere. Mein Wunschtraum, meine Vision für die Zukunft aber ist eine Gesellschaft, die den Wert der Träume würdigt: Träumen für den Weltfrieden!

Wir haben eine große Sehnsucht nach unseren inneren Bewegtbildern. Manchmal denke ich, dass wir aus diesem Grund Film und Fernsehen erfunden haben. Träumen ist aber auch wie eine kleine Therapie: Psychisch Nicht-Verdautes möchte Aufmerksamkeit und wird in unseren Träumen bearbeitet.

Träume, die inspirieren und verzaubern, und Albträume, die uns auf etwas Wesentliches hinweisen, sind ein wesentlicher Teil unseres Schlafcoachings: Denn wer träumt, der schläft, um das Mindeste zu sagen. Aber nur der Träumer oder die Träumerin weiß, womit sich ihr Traum tatsächlich beschäftigt. Daher haben mein Team und ich die Technik „Dream Sense Memory“ und eine gleichnamige App entwickelt. Damit lernen wir nicht nur, unsere Träume zu erinnern und zu notieren, sondern auch, intuitiv zu erspüren, was sie in uns bewegen. Das führt uns auch zum luziden, also bewussten und steuerbaren Träumen. Ich selber bin eine der glühendsten Anwenderinnen. Was die versäumen, die sagen, sie träumten nicht! Bei vier oder fünf Stunden Schlaf ist eben auch keine Zeit dazu. Ich wünsche mir also eine Zukunft, in der wir alle endlich wieder schlafen und träumen können.

Denn Träume sind auch eines der besten Kommunikationsmittel. Nichts bringt uns so rasch einander näher, wie unsere Träume zu erzählen und von den Träumen anderer zu hören. Wir vermitteln dabei unsere innersten Gedanken und Seelenbewegungen. Wir offenbaren etwas, von dem wir selbst noch

nicht genau wissen, was es ist. Über den Dialog gelangen wir zu Ideen, womit sich unsere inneren Bilder beschäftigen – immer mit dem Risiko, es könnte etwas Peinliches sein. Träume preiszugeben ist also nie belanglos oder Small Talk – sondern Big Talk, der Vertrauen und Beziehung schafft. In Zukunft kommunizieren wir dabei möglicherweise auf Kanälen, von denen wir bisher nicht einmal zu träumen gewagt haben. Ich denke an telepathisches Träumen – und selbstverständlich an den Psychologen Carl Gustav Jung, der gar meinte, dass das Kollektiv in den Träumen miteinander verbunden ist. Ein visionärer Gedanke, der auch die KI-Forschung anregt: Die künstlichen neuronalen Netze sollen heute träumen lernen, damit

Brigitte Holzinger ist Psychotherapeutin und Autorin. Sie leitet das Institut für Bewusstseins- und Traumforschung in Wien. Dort kann man das von ihr entwickelte Schlafcoaching erlernen

die KI tatsächlich die Kreativität erobern kann.

Wie wir wohl miteinander umgehen würden, wenn wir von „Was für einen Blödsinn hab ich heute Nacht wieder geträumt“ zu „Welch großartige Kreationen habe ich mir heute Nacht geschenkt“ finden würden?

Wie wir zu unseren Träumen stehen, sagt viel darüber, wie wir zu uns selbst stehen. Wenn wir unsere Nachtfantasien und uns selbst schätzen lernen und ernst nehmen, könnte das auch auf den Umgang mit anderen und der Umwelt abfärben. Wir alle brauchen Träume. Um bessere Entscheidungen zu treffen, um gesund, lange und in Frieden miteinander zu leben. Daher ist Träumen ein politischer Akt tatsächlich gelebter Demokratie.

Foto:
Lukas
Beck

Der Podcast von

WORK HARD, PLAY HARD.

Und überall, wo es Podcasts gibt:

»Es gibt Indizien, dass sich eine Gesellschaft nicht komplett durchdigitalisieren lässt“

Star-Soziologe Andreas Reckwitz analysiert die Strukturkrise der Spätmoderne – und findet dabei zwischen Verlusteskalation und verlorenem Fortschrittsglauben auch die Hoffnung

Von Peter Turi (Text) und Marcel Schwickerath (Fotos)

»Das Fortschrittsnarrativ der Moderne hat sich als illusionär erwiesen. Es sind neben optimistischen Szenarien auch katastrophische Zukünfte möglich«

Andreas Reckwitz, Sie sind der klügste und einflussreichste Soziologe Deutschlands. Wissen Sie mehr über die Zukunft unserer Gesellschaft als ich?

Die Zukunft ist für uns alle ungewiss, auch die Soziologie kann die Zukunft nicht prognostizieren. Aber als Soziologe beschäftige ich mich mit den Strukturmerkmalen und Dynamiken unserer zeitgenössischen Gesellschaft, so dass ich meine, Szenarien entwickeln zu können über das, was möglicherweise auf uns zukommt.

Wie wird die Zukunft?

Augustinus meinte ja, die Zukunft kommt auf uns zu. Sie ist gewissermaßen schon fertig. Im Gegensatz dazu geht die moderne Gesellschaft davon aus, dass die Zukunft nicht determiniert ist. Die Zukunft ist grundsätzlich offen, im positiven wie im negativen Sinn. Das klassische Fortschrittsnarrativ der Moderne, wonach die feste Erwartung auf Verbesserung in der Zukunft besteht, hat sich mittlerweile als illusionär erwiesen. Es sind neben optimistischen Szenarien auch katastrophische Zukünfte möglich.

Wollen Sie die Zukunft beeinflussen oder nur beschreiben?

Hannah Arendt wurde in den 60er Jahren in einem Fernseh-Interview von Günter Gaus gefragt: „Wollen Sie wirken?“ Hannah Arendt hat geantwortet: „Herr Gaus, das ist eine sehr männliche Frage. Ich möchte verstehen.“ Auch ich möchte zunächst einmal verstehen. Ich möchte gesellschaftliche Zusammenhänge begreifen, die

ich noch nicht begriffen habe. Dieses Verstehenwollen treibt mich an. An das Verstehen und Durchdringen schließt sich das Vermitteln von Wissen an. Natürlich freue ich mich, wenn meine Bücher gelesen und rezipiert werden und hoffentlich vielen Menschen Denkanstöße liefern. Die Soziologie sollte sich nicht zurückziehen auf sich selbst.

Hört die Politik auf Sie? Olaf Scholz, Friedrich Merz und Robert Habeck sind bekennende Leser Ihrer Bücher. Ich bin da skeptisch. Es stimmt zwar, dass die genannten Politiker sich mitunter auf meine Bücher beziehen. Und ich habe durchaus den Eindruck, dass in den letzten Jahren die Politik in Deutschland offen ist für intellektuelle Impulse; das ist erfreulich und nicht selbstverständlich. Aber ich denke, dass in der Politik Kurzfristigkeit und Krisenmodus regieren und der Dringlichkeitsmodus längerfristige Perspektive nicht gerade fördert. Die Politik ist eben anders aufgebaut als die Wissenschaft.

Sie könnten also mit Kurt Tucholsky sagen: Ich habe Erfolg, aber keine Wirkung. Das würde ich nun nicht sagen, denn die potenziellen Leser sind ja nicht nur Politiker. Es gibt nach meiner Erfahrung erfreulich viele Menschen in verschiedensten Berufen, die unsere gesellschaftliche Wirklichkeit besser begreifen wollen. Wenn ich dort einen Impuls geben und einen Denkprozess anstoßen kann, ist das viel.

Wer ein Buch schreibt, muss dafür PR machen. Sie waren auf der Buchmesse, in Podcasts. Wird Professor Reckwitz für sein nächstes oder übernächstes Buch auf TikTok tanzen? Das kann ich mir nicht vorstellen. Das Format muss zu mir als Person passen. Die Podcasts, die ich gemacht habe, sehe ich übrigens nicht als PR für das Buch, sondern als eigenständiges Format der Wissensvermittlung. Ich finde Podcasts sind ein gutes Format, weil man Zeit hat, seine Gedanken im Gespräch zu entwickeln; 40 Minuten und mehr, manchmal auch mehrere Folgen. Das kommt mir sehr entgegen.

Auf der Buchmesse hat mir ein Verleger erzählt, dass eine Erwähnung im Podcast Lanz & Precht zehnmal so viele Abverkäufe bringt wie eine Besprechung in der „FAZ“. Erstaunlich und interessant. Offensichtlich haben sich die Gewichte verschoben und die klassischen Leitmedien verlieren an Einfluss gegenüber den digitalen Medien.

Diskurse zur gesellschaftlichen Entwicklung führen Soziologen, Philosophen und Historiker. Schauen Sie auf populäre Stimmen wie Yuval Harari und Richard David Precht?

Ich schaue in jedem Fall auch auf andere Fächer. Ich denke nicht, dass die Soziologie isoliert existieren kann. Die drängenden Fragen der Gegenwart halten sich nicht an die Grenzen von Disziplinen. Gerade Arbeiten von Historikern und Philosophen sind für mich sehr relevant.

Warum treffen wir uns gerade in der Nationalgalerie der Gegenwart im Hamburger Bahnhof in Berlin? Weil sie Kunst ab den 1960er Jahren zeigt, quasi die Kunst der Spätmoderne?

Ich bin 1999 nach Berlin gezogen, war von Anfang begeistert von diesem Ort und bin immer mal wieder hier. Er ist in einer Stadt, in der sich sehr, sehr viel verändert, für mich eine Art Fixpunkt; fast ein kontemplativer Ort. Einerseits ein Museum, andererseits mittendrin in der Stadt. Fast neben dem neuen Hauptbahnhof, und doch ein bisschen abgeschieden durch die Grünanlage, den Park. Es ist ein Refugium und eben noch nicht kommerzialisiert. Und als ehemaliger Bahnhof, der zur Kunsthalle geworden ist, auch typisch für die Spätmoderne.

Warum sagen Sie eigentlich immer Spätmoderne?

Das ist ein bisschen ein Verlegenheitsbegriff, und ich weiß, es klingt ein bisschen wie ein Abgesang auf die Moderne. Als ob jetzt das Ende der Moderne kommt.

Kurz vor Zuspätmoderne.

Das ist aber nicht gemeint. Ich beschreibe eine späte Moderne, die Moderne hat ja mittlerweile schon 250 Jahre auf dem Buckel hat. Sie begann mit der Industrialisierung, der Demokratisierung und der Aufklärung Ende des 18. Jahrhunderts. Die Moderne von heute ist aber nicht mehr die von 1900 oder 1950, mit den 70er und 80er Jahren kamen Globalisierung und Digitalisie-

rung, seitdem suchen wir nach neuen Begriffen.

Andere sagen Postmoderne.

Ja, Postmoderne oder postindustrielle Gesellschaft. Für mich ist Spätmoderne als späte Moderne erstmal eine Chiffre für diese bislang letzte Version der Moderne, in der wir immer noch leben. Was danach kommt, wissen wir nicht. Es kann sein, dass eine andere Version von Moderne kommt oder sogar mehrere andere Versionen von Moderne. Es kann aber auch sein, dass irgendwann die moderne Gesellschaft an ihr Ende gerät – katastrophisch oder wie auch immer. Und dass dann nachmoderne Sozialformen entstehen, die wir uns jetzt schlecht vorstellen können. Dystopische Romane oder Filme könnten hier Hinweise geben. Es ist mittlerweile denkmöglich geworden und bezeichnend für die Spätmoderne, dass auf die Moderne nicht eine utopische Supergesellschaft folgen könnte, sondern etwas NachmodernReduziertes.

Welchen Nutzen ziehen die Leser der Turi.Edition, also CEOs, Unternehmer, Kommunikationschefs, Marketingleiter und Chefredakteure, aus der Lektüre Ihrer Bücher „Verlust“ oder „Die Gesellschaft der Singularitäten“?

Darin finden sie in jedem Fall keine direkten Ratschläge für ihren Alltag in der Wirtschaft oder in den Medien. Aber die Lektüre liefert, denke ich, eine Art Mapping dessen, was sich in der Gesellschaft strukturell verändert. Eine Verortung des Wandels:

Der Leser kann Einzelphänomene besser einordnen, in den größeren Zusammenhang stellen und die langfristige Wandlungsdynamik dahinter besser verstehen.

Braucht die Gesellschaft Utopien?

Es ist geradezu ein Charakteristikum der modernen, westlichen Gesellschaft, dass sie sich Utopien hält: die technisch perfekte Zukunft, eine Zukunft im Wohlstand oder eine Zukunft des sozialen Ausgleichs. Vormoderne Gesellschaften waren nicht derart radikal zukunftsorientiert, ihr Bezugspunkt war eher die Vergangenheit. Der Bauer des Mittelalters erhoffte keinen Fortschritt, er konnte nur auf ein besseres Leben im Jenseits hoffen. Dagegen lebt die Moderne seit der Aufklärung von der Vorstellung der Geschichte als Verbesserungssequenz: Die Zukunft wird besser sein als die Gegenwart, so wie die Gegenwart besser ist als die Vergangenheit. In den letzten Jahrzehnten, in der Spätmoderne haben Utopien allerdings deutlich an Glaubwürdigkeit verloren. Positive Zukunftserwartungen sind sehr fragil geworden.

Keiner da in Utopia? Die Utopien sind nicht weg, sie haben nur viel von ihrer Kraft verloren. Es gibt durchaus gesellschaftliche Utopien wie den Technofuturismus als den Glauben, dass KI oder andere technologische Revolutionen, die aus dem Silicon Valley kommen, unsere Zukunft verbessern. Es gibt auf der anderen Seite des politischen Spektrums die Utopie der

Keine U-Bahn, sondern Kunst: Der Hamburger Bahnhof in Berlin, ein Lieblingsplatz des Gesellschaftsanalytikers Reckwitz, ist aus Trümmern zur Nationalgalerie der Gegenwart gewachsen. Die grünen Kacheln sind Nachbau, genau wie die Graffiti

Nachhaltigkeit. Es ist nur die Frage, ob diese Utopien auch wirklich von der Gesellschaft geteilt werden und sie uns realistische Leitlinien geben. Charakteristisch für die Spätmoderne scheint eher die Wahrnehmung von künftigen Grenzen: die Grenzen des Wachstums und die Grenzen der bisherigen Entwicklung.

Ich glaube weder an eine segensreiche KI noch an den perfekten ökologischen Umbau. Damit sind Sie nicht allein. Denn die Zukunftsskepsis, die in der Spätmoderne herrscht, ist ja nicht das Ergebnis einer intellektuellen Fortschrittskritik, wie es sie seit Rousseau gibt, sondern häufig genug ein Ergebnis der Wissenschaften. Denken wir daran, was die Klimawissenschaften sagen: Die Zukunft erscheint nicht mehr als lineare Höherentwicklung, sondern als enormes Risiko eines Kipp-Punktes, von dem aus es mit den Lebensbedingungen auf der Erde unerbittlich bergab gehen könnte. Auch zur gerade erst überstandenen Pandemie sagen die Virologen, dass so etwas wiederkommen kann, womöglich noch drastischer und tödlicher. Unsere Zukunft ist also zumindest fragil.

Was wurde aus unserer Sehnsucht nach Utopie?

Die Utopien sind gewandert, von der Gesellschaft zum Individuum. In der Spätmoderne geht es sehr stark um persönliche, private Utopien für ein gelungenes individuelles Leben. Ich nenne das die Subjektivierung des Fortschritts. Immer weniger Menschen glauben, dass die gesellschaftliche Zukunft besser sein wird; gleichzeitig haben die meisten relativ großes Vertrauen in ihre individuelle Zukunft.

Was bedeutet das für unser konkretes Leben?

Früher gab es wirkmächtige gesellschaftliche Utopien wie den Sozialismus oder Liberalismus. Heute gilt die subjektive, aber von der Gesellschaft selbst produzierte und gewollte Utopie des privaten Erfolgs, der Selbstverwirklichung und Selbstoptimierung. Ablesen können wir das auch am Aufblühen der Psycho- und RatgeberKultur in Büchern, Zeitschriften, Social Media.

Auf Ihrem neusten Buch steht groß das Wort „Verlust“. Wie kamen Sie auf das Thema?

Der Verlust ist ein Phänomen des Menschseins, denn schließlich verlieren wir alle am Ende alles, inklusive unseres Lebens. Zugleich ist der Verlust, obwohl von ihm mittlerweile so viel die Rede ist, soziologisch, also gesellschaftstheoretisch noch

gar nicht systematisch behandelt worden. In der Psychologie gibt es sehr viele Arbeiten, wie Verlust und Trauer individuell verarbeitet werden können. Mich interessieren aber das gesellschaftliche Phänomen Verlust und der Umgang damit. Gerade für die moderne Gesellschaft ist der Verlust ein besonderes Problem, weil sie im Kern fortschrittsorientiert ist, also in Verbesserungssequenzen denkt. Sie hat streng genommen keine kulturellen Skripts, um mit Verlusterfahrungen umzugehen.

Aber ist das Thema Verlust denn wirklich so neu? Noch leben Menschen, die den Zweiten Weltkrieg miterlebt haben.

Verluste begleiten die Moderne von Anfang an. Es gab im 20. Jahrhundert etwa massive Verlust- und Gewalterfahrung durch die beiden Weltkriege, durch Völkermord, Totalitarismus und Vertreibung. Nach 1945 wurde die Verlusterfahrung jedoch im Zaum gehalten, weil der Fortschrittsmotor brummte. Der Aufstieg zur Wohlstandsgesellschaft verdrängte viele Traumata, sorgte für das Unsichtbarmachen von Verlusten. Das funktioniert in der Spätmoderne nicht mehr so leicht. Unsere Verlusterfahrungen als Betroffene des Klimawandels oder als Modernisierungsverlierer lassen sich nur

begrenzt durch ein Fortschrittsnarrativ abfedern.

Zumal wir inzwischen in einer „Gesellschaft der Singularitäten“ leben, wie Sie geschrieben haben, in der gemeinschaftsstiftende Institutionen wie Kirche, Gewerkschaften und Familien an Bindungskraft verlieren.

Eine singularisierte Gesellschaft ist auch eine vulnerablere Gesellschaft, weil in ihr die Individuen empfindsamer und für Verluste sensibilisiert sind. Die spätmodernen Individuen haben zudem sehr hohe Ansprüche und Erwartungen an ihr Leben, sodass man leichter scheitern kann.

Auch der Wandel der Mediengesellschaft mutet den Menschen Verluste zu. Etwa wenn Liebgewonnenes wie die gedruckte Zeitung oder Zeitschrift nicht mehr gedruckt kommt oder nicht mehr in der gewohnten Qualität. Dahinter steckt die grundsätzliche Frage nach dem Ort des Analogen in der digitalisierten Kultur. Es gibt einige Indizien, dass sich eine Gesellschaft nicht komplett durchdigitalisieren lässt. Es bleibt offenbar der Wunsch, in bestimmten Bereichen eine analoge Kultur zu pflegen. Das sehen wir im Konsum, wo es beispielsweise den Kult um das Authentische gibt.

Andreas Reckwitz geboren 1970 in Witten, ist der Großmeister unter den Gesellschaftsanalytikern. In seinem Bestseller „Die Gesellschaft der Singularitäten“ beschreibt Reckwitz einen Kulturkapitalismus, in dem jeder Einzelne seine Talente zum Markte tragen muss. Im neuesten Werk „Verlust. Ein Grundproblem der Moderne“ zeigt er auf, wie Misstrauen in den Fortschritt und Angst vor Verlust zu Radikalisierung führen können

»Es

ist bezeichnend für die Spätmoderne, dass auf die Moderne nicht eine utopische Supergesellschaft folgen könnte, sondern etwas NachmodernReduziertes«

»Individuen neigen dazu, sich in Social Media perfekt selbst zu inszenieren – was bei anderen, die sich damit vergleichen, Scham oder Ressentiments hervorrufen kann«

Also Tische aus Holz oder eine Ernährung vom BioBauernhof. Ob das auch für bestimmte Medien in ihrem traditionellen, gedruckten Format gilt, wird man sehen. Der Buchmarkt ist ja weiterhin recht stark am gedruckten Exemplar orientiert.

Dürfen wir dies Nostalgie nennen?

Nostalgie ist ein sehr interessantes Phänomen der modernen Kultur von Anfang an. Das gab es schon seit den Romantikern mit ihrer Ruinenästhetik oder der Suche nach den Volksmärchen. Nostalgie ist bereits eine Form der Verlustverarbeitung. Bei der Nostalgie werden Verlusterfahrungen ästhetisch transformiert, sie sind dann nicht mehr rein negativ oder können sogar genossen werden. Das kann auch ein Geschäftsmodell werden, Stichwort: Nostalgie-Ökonomie. Da kann man einen luxuriösen Sitzplatz im Orient Express sehr teuer verkaufen.

Und für den kleinen Geldbeutel geht’s mit der Dampflok auf den Brocken.

Interessanterweise ist Nostalgie für viele relevant, obwohl sie die beschworene Vergangenheit selbst nie erlebt haben. Da werden zum Beispiel die 60er Jahre als ein interessantes Jahrzehnt inszeniert mit der Mode und der Musik von damals – für Leute, die noch keine 30 sind.

Sie nennen die Gesellschaft, die den Glauben an soziale Utopien verloren hat und auf individuelles Durchkämpfen

setzt, „die Gesellschaft der Singularitäten“. Braucht die Gesellschaft der Singularitäten noch Massenmedien wie „Wiesbadener Kurier“, „Stern“, ZDF und HR Info?

Singularisierung bedeutet die Orientierung am Besonderen und am vermeintlich Einzigartigen, Individuellen. Vorangetrieben wird die Singularisierung von zwei Motoren: der Ökonomie und der medialen Technologie. Die Ökonomie achtet auf die Suggestion von Einzigartigkeit bei Produkten und Dienstleistungen. Die Digitalisierung der Medientechnik bedeutet, dass auch die Kanäle, mit denen sich der Einzelne mit der Welt vermittelt, singularisiert werden. Das klassische BroadcastModell der Medien, wo viele Zuschauer wenige Kanäle schauen, ist abgelöst durch ein Modell, wo jeder seinen eigenen, nur für ihn zusammengestellten Kanal hat. Die klassischen Medien wirken da fast antiquiert, da sie so etwas wie das Allgemeine repräsentieren, indem sie die gleichen Nachrichten für alle verbreiten.

Ist die Marketingindustrie mit ihrer Werbung Opfer oder Treiber der Singularisierung?

Ich sehe sie als Treiber. Wobei die Singularisierung keine reine Marketingstrategie ist, sondern auch auf bestimmte Werte der Individuen reagiert und diese verstärkt. Der spätmoderne Konsument sucht Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung in Produkten, die nicht Standard sind, sondern authentisch. Das Ideal ist:

Ich möchte meine Persönlichkeit ausdrücken durch authentische und attraktive Dinge, die eben nicht von der Stange kommen. Das iPhone ist ein Massenprodukt, erscheint aber als Marke trotzdem singulär.

Wie verändern Verlustängste und Zukunftsangst das Konsumverhalten?

Das ist eine schwierige Frage. Ich sehe vor allem drei Möglichkeiten: Die erste wäre sicherlich Konsumzurückhaltung. Aus Angst vor der Zukunft wird weniger konsumiert. Das war in der ersten Phase von Corona so. Die zweite wäre so etwas wie Sicherheitskonsum, also beispielsweise verstärkte Nachfrage nach Versicherungen oder Solarzellen, um die individuelle Energieversorgung zu sichern. Der dritte Weg wäre eine Art Trotzstrategie: Wo die Zukunft unsicher ist, können wir den Hedonismus pflegen, als gäbe es kein Morgen. Bei den Urlaubsreisen scheint das der Fall zu sein.

Zu den geplatzten Fortschrittsversprechen gehört die Vorstellung, das Internet mache die Gesellschaft besser und partizipativer. Das Internet war ein Sehnsuchtsort des euphorischen Intermezzos der 90er und 00er Jahre. Doch die Vorstellung einer neuen Demokratie und einer erweiterten Partizipation ist mittlerweile durch kritischere Perspektiven abgelöst worden. Die sozialen Medien befördern gesellschaftliche Polarisierung und unterminieren die klassische politische

Öffentlichkeit „für alle“. Die einseitige Techno-Utopie hat in vielerlei Hinsicht an Glaubwürdigkeit eingebüßt.

Neil Postman schrieb 1985 in seinem Bestseller „Wir amüsieren uns zu Tode“: Problematisch am Fernsehen ist nicht, dass es uns unterhaltsame Themen präsentiert, problematisch ist, dass es jedes Thema als Unterhaltung präsentiert. Wie sehen Sie das für den Fernseh-Nachfolger Social Media?

Was Postman hier zum Ausdruck bringt, ist Marshall McLuhans Grundsatz The medium is the message. Das heißt: Es kommt gar nicht so sehr auf die Inhalte an, sondern das Medium selbst strukturiert gewissermaßen eine bestimmte Form der Wahrnehmung und Kommunikation. Was die sozialen Medien angeht, ist in dieser Hinsicht sicherlich ihre Kurzfristigkeit, ihre Orientierung an der Gegenwart, am Jetzt kennzeichnend: Was zählt, ist nur das Aktuelle, das, was gerade in diesem Moment passiert. Die sozialen Medien trainieren die Individuen in einer extremen Ausrichtung am Gegenwärtigen und verkürzen so ihre Aufmerksamkeitsspanne: Man erwartet entsprechend auch von jedem Moment etwas Neues.

Ist nicht ein Problem, dass Social Media absolut alles emotionalisiert? Das kommt noch hinzu: In den sozialen Medien wird schnell aufeinander geantwortet und Emotionen werden ungefiltert ausgedrückt. Die sozia-

»Die moderne Gesellschaft hat streng genommen keine kulturellen Skripts, um mit Verlusterfahrungen umzugehen«
»Menschen sind – ob alleine oder gemeinsam – in Krisensituationen dazu in der Lage, über sich hinauszuwachsen«

len Medien sind eine Emotionalisierungsmaschine.

Was wird aus einer Gesellschaft der Emotionen und der gefühlten Wahrheiten, wenn das Fühlen das Wissen ersetzt?

Man sollte sich klarmachen, dass es Gesellschaften ohne Emotionen gar nicht geben kann. Sie sind nicht per se schlecht. Auch die Wissenschaften können mit ihren Wahrheiten ja nur dann überzeugen, wenn ihnen wiederum mit einer bestimmten Emotion begegnet wird: nämlich Vertrauen. Die allermeisten Menschen können wissenschaftliche Erkenntnisse nicht im Detail nachvollziehen, aber solange man der Wissenschaft vertraut, kann diese wirken. Man sieht also, dass das Prob-

lem nicht unbedingt ein Zuviel an Emotionen, sondern ein gewisser Mangel an einer bestimmten Emotion ist, die jedoch für hochkomplexe moderne Gesellschaften essenziell ist: das Vertrauen in ihre Institutionen.

Sie schrieben im Juni im „Spiegel“, dass Social Media die „spätmodernen Asymmetrien“, verstärkt, weil dort die Reichen den Hass der zu kurz Gekommen schüren, indem sie ihr luxuriöses Leben zur Schau stellen. Haben Sie Feldforschung auf Instagram betrieben?

Das ist in jedem Fall ein weiteres Merkmal der sozialen Medien: Individuen neigen dazu, sich dort perfekt selbst zu inszenieren – was bei anderen, die sich damit vergleichen,

Scham oder Ressentiments hervorrufen kann. Wenn man in Social Media nur strahlende Gewinner in ihrem vermeintlich erfolgreichen Leben sieht, können sich andere leicht als Verlierer wahrnehmen.

Yuval Harari sieht –kurz gesagt – ziemlich schwarz für die Menschheit. Sehen Sie das auch so?

Nein, so pauschal nicht. Aber ich sehe, dass wir gegenwärtig an einem Scheidepunkt angekommen sind: Die westliche Moderne stößt an die Grenzen ihrer Expansion – Stichwort Klimawandel, geopolitische Konflikte, demografische Entwicklung. Und die populistischen Bewegungen liefern eine problematische Antwort.

Was gibt Ihnen Trost?

Mir persönlich gibt es Trost, wenn ich mich nicht zu sehr von aktuellen Entwicklungen mit den Besorgnissen, die damit verbunden sind, gefangen nehmen lasse. Wenn ich Distanz gewinne, indem ich mich auf Denk- und Erfahrungsweisen einlasse, die längerfristig gelten: das können Literatur, Film oder Musik sein oder die Theorie und Philosophie oder das Erleben der Natur.

Was macht Ihnen Hoffnung?

Menschen sind – ob alleine oder gemeinsam – gerade in Krisensituationen dazu in der Lage, über sich hinauszuwachsen und Erstaunliches zu leisten. Das gibt Hoffnung für die kommenden Herausforderungen.

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Turi zeichnet die LoveBrands ab sofort jedes Jahr im Sommer aus. Im Juli 2025 geht’s los mit einem kleinen, aber feinen Zeltival in München und der Turi.Edition #24 LoveBrands. Alles über das Turi-Engagement für LoveBrands findest du unter lovebrands.one

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