Festschrift für Martin Rennert

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JOACHIM SAUTER CHRONOS_AI, 2019 Machine-learning generated images

Joachim Sauter ist seit 1991 Professor für Kunst und Gestaltung mit digitalen Medien an der Universität der Künste Berlin.




FESTSCHRIFT FÜR MARTIN RENNERT

Universität der Künste Berlin, 2019



JOACHIM SAUTER ÓLAFUR ELÍASSON BURKHARD SCHMITZ, CHRISTOPH GENGNAGEL, KORA KIMPEL, ULRIKE HENTSCHEL, NORBERT PALZ, THOMAS DÜLLO HENNING WAGENBRETH GREGORY CUMINS MICHAEL MÜLLER ALEXANDRA RANNER PETER-ANDRÉ ALT VALÉRIE FAVRE CHRISTIAN THOMSEN JÖRG STEINBACH BURKHARD HELD KARL MAX EINHÄUPL CARLA DELFOS ANNA ANDERS KLAUS-DIETER LEHMANN BERND KOBERLING GENSHAGENER KREIS E. JÜRGEN ZÖLLNER AI WEIWEI


ÓLAFUR ELÍASSON THE PRESENT NEEDS TO BE GUIDED BY THE FUTURE, 2019 Indian ink on paper, 30 ∑ 42 cm

Ólafur Elíasson war Einstein-Gastprofessor an der Universität der Künste Berlin und gründete dort 2009 das Institut für Raumexperimente.




BURKHARD SCHMITZ, CHRISTOPH GENGNAGEL, KORA KIMPEL, ULRIKE HENTSCHEL, NORBERT PALZ, THOMAS DÜLLO IN WALKED VP1 DIE VIZEPRÄSIDENTEN ALS WEGGEFÄHRTEN VON MARTIN RENNERT

„In Walked Bud“ – das ist eine Komposition des Jazzpianisten Thelonious Monk von 1948. Sie ist seinem ein paar Jahre jüngeren Kollegen und Schützling Bud Powell gewidmet, dem vermeintlich größeren Virtuosen, der aber labiler als Monk und drogensüchtig war. Als Powell bei einer Razzia verhaftet werden sollte, springt Monk ein und geht statt Powell für sechzig Tage ins Gefängnis. Mit der Konsequenz, dass er seine Nachtclub-­ Lizenz verliert. Nachzulesen im H. J. Schaals Buch über Jazz-Standards, auch über musikalische Details. Martin ­Rennert schätzt solche Episoden, auch die Details. In privatem Rahmen oder bei kleineren Sitzungen in seinem Büro am Einsteinufer erzählt er selbst pointierte und signifikante Anekdoten, die einen kleinen Stachel haben – nicht nur aus der Welt der Musik. „In Walked Bud“ jedenfalls begreift sich als Hommage an Bud Powell, sobald er die Bühne oder ein Musikstück erklimmt. Wir borgen uns diesen Titel und variieren ihn. „In Walked VP1“. Die Ersten Vizepräsidenten (VP1) von Martin Rennert als seine Weggefährten an der UdK Berlin. Schönhauser Allee, beim gegenwärtigen VP1, Norbert Palz. Ein schöner frühherbstlicher Sonntagnachmittag in seiner großzügigen Altbauwohnung. Die Fenster offen, die U2 donnert immer wieder vorbei. Norbert Palz hat eine lange Tafel locker in der Mitte des Raums arrangiert. Teller, Stühle, Tassen diverser Farben und Formate ­bevölkern den Tisch. Gebäck, Kuchen, Kaffee, Wasser. Definitiv kein Gremientagungstisch. Fast ein bisschen südfranzösisch, unverkrampft, mit Tupfern von Berlin-Pop-Barock. Und die Vizepräsidenten seit Martin ­Rennerts Präsidentschaft 2006 werden in den nächsten drei Stunden irgendwann in loser Reihenfolge ein­ treffen. Wir veranstalten hier ja keine Podiumsdiskussion, aber auch keine Interviewrunde. Wir dachten an ein Gespräch. Man kommt, man geht. Allenfalls eine zarte Moderation für die Themenwechsel. Zwei Leitgedanken hatten wir zuvor kommuniziert: Was passierte Prägendes in der eigenen Zeit als VP? Wie sieht man die Zukunft der UdK? Also los. Als Erster stößt Burkhard Schmitz zu uns. Bekannt für sein phänomenales Gedächtnis für Institutionengeschichte, geht er sofort zurück in die Zeit wichtiger Strukturwandel an der UdK, die auch helfen sollten, die Wagenburgsituation des Nachkriegs-Berlin und ihrer Bildungsinstitutionen aufzubrechen. SCHMITZ Martin Rennert hatte mich bei einem Italiener in der Knesebeckstraße eingeladen. Ich hörte später von anderen, dass solche Gesprächsessen eine seiner Spezialitäten sind. Und dort fragte er mich dann, ob ich den Ersten Vizepräsidenten, also den VP1, machen würde. Und in einer solchen Situation sagt man sich: Okay, man macht es möglicherweise selbst nicht so gut, aber andere machen es vielleicht noch schlechter. Wir kannten uns bereits, waren einander wohl auch sympathisch. Bereits Jahre vorher steckte ich in einer Strukturdebatte. Also vor der Aufgabe, aus 11 Fachbereichen 4 Fakultäten zu machen. Auslöser für diesen Strukturwandel war unter 9

anderem, dass es in der Stadt zweimal Architektur gab, an der UdK und an der TU. Der damalige Senat wollte das


geändert sehen und einen der Studiengänge verbannen. So wurde es turbulent. Es gab ­Solidaritätsbekundungen. Man ging in Positur wie auf Goyas berühmten Gemälde „Erschießung des ­Aufständischen“. Mit offenem ­weißem Hemd und der Geste, dann solle doch der Senat uns alle gleich mit erschießen. Aber die richtige Intention des Senats war ja: Er wollte die UdK zu klareren Strukturen bewegen und zugleich das Verhältnis von Künstlern und Wissenschaftlern strukturell verbessern. Ich stand ja irgendwie dazwischen. Als Leiter der Entwicklungs- und Planungskommission (EPK) kam ich dann aus dieser Nummer nicht mehr raus. Und am Ende, da stand eine neue Struktur: die UdK mit den vier Fakultäten Bildende Kunst, Gestaltung, Musik und Darstellende Kunst. ­Wissenschaftler, Künstlerinnen, Gestalter in den jeweiligen Fakultäten durchmischt. DÜLLO Haben diese Durchmischung und der Strukturwandel mit nun vier Fakultäten ein anderes Klima ­erzeugt und Klarheiten geschaffen? SCHMITZ Aus dem Nebeneinander wurde immerhin eine Situation, in der man sich gestritten und dann auch Gemeinsamkeiten gesucht hat. Und in der Tat, es entstand ein ganz anderes Wir-Gefühl innerhalb dieser Fakultäten und auch innerhalb der UdK, ohne dass man sich immer einig war. Es wurde lebhafter und interessanter. Etwas, was Rennert immer wollte. DÜLLO Dennoch gibt es ja bis heute, und zwar in vielen Bereichen von Gesellschaft und Bildung, so eine Zwei-Welten-Theorie. In unserem Fall: zwischen einer technisch- und anwendungsorientierten Welt und einer Welt der Künste, aber auch diejenige zwischen Künsten und Wissenschaften. Wie erlebt man das als VP und Entwicklungs- und Planungsleiter? SCHMITZ Das schien mir immer ein Problem weniger der Musiker oder Bildhauer zu sein, sondern derer, die irgendwo dazwischen waren. Und diese tektonische Wucht des Dazwischen, das ist noch nicht zu Ende. Es klingelt. Ulrike Hentschel kommt rein. Wir ermuntern sie, sich zu stärken und einfach einzuklinken. Und schon sitzt Ulrike unter uns. DÜLLO Wir sprechen als gemeinsamem Nenner der UdK viel von Inter- und Transdisziplinarität oder von ­Hybridkonstruktionen. Manchmal hatte ich in den letzten Jahren den Verdacht, die spezifische Zwei-Welten-­

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Situation der UdK ist durch die Gruppierung in Hybrid-Willige und Nicht-Hybrid-Willige geprägt. Und den allzu ­Hybrid-Willigen wird nicht selten vorgehalten: Passt auf, jeder operiert zunächst von seinem Heimathafen aus, mit seinen Methoden, seinen disziplinären Haltungen. Man kann erst Free-Jazz spielen, wenn man seine ­Standards kann. Ist der Gegensatz so krass? Oder kann man die Rollen auch wechseln von hybrid zu nicht-hybrid und vice versa? SCHMITZ Das ist eher auch ein gesellschaftliches Problem. Ich habe – früher – im Vergleich zu der Entwicklung mit unzähligen politischen Gruppierungen eher das angelsächsische System favorisiert, das Mehrheitswahlrecht. Also: zwei Parteien. Die einen wollen, dass es so bleibt. Die anderen finden, das soll man ändern. 19 Parteien unter 5 Prozent, wie von Helmut Schmidt prognostiziert, damit kommt man wohl auch nicht weiter. DÜLLO Noch eine Beobachtung: Um die Künste und die Wissenschaften in eine produktive Bewegung miteinander zu bekommen, klafft manchmal etwas gerade dann auseinander, sobald es um den Anspruch von Top-­ Leistungen, von Exzellenzen geht. Es stimmt sicherlich, an der UdK, da wird Top-Kunst produziert, Top-Musik, Top-Gestaltung, bisweilen auch Top-Wissenschaft. Wenn es aber um die Kombinatorik zwischen Kunst und Wissenschaft geht, dann geschieht so etwas eher in spielerischen, situativen, experimentellen Kollisionen und Formaten. Das passiert in der Regel auf B-Niveau, nicht auf A-Niveau. Vielleicht ist das auch erst so möglich. Einspruch? PALZ Aber das Eingeständnis der eigenen Instabilität ist gerade auch Teil des Erfolges. Ein guter Architekt ist immer auch Amateur. SCHMITZ Amateur kommt ja auch von „amare“, etwas lieben. HENTSCHEL Ich verstehe eine solche – potenziell exzellente – Kombination auch nicht als Verschmelzung. Dann bin ich nicht eine Verfechterin für das Hybride. Aber im Sinne der Transdisziplinarität, in der man ­unabhängig voneinander zur Exzellenz gelangt, dann bin ich dafür. Aber es ist eine Frage der Kommunikation, wo zwar die Gesetzmäßigkeiten des Kunst- oder des Wissenschaftssystems erhalten bleiben, aber beide ­Systeme in ­Kommunikation miteinander treten. In dieser Weise wäre dann Transdisziplinarität die Begegnung an einem dritten Ort oder in einem dritten Feld, wo man auch in Tandems, als Wissenschaftlerin oder als

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­Künstler, zusammen auftritt. So habe ich Rennerts Idee immer verstanden, auch für das Graduiertenkolleg und die ­Graduiertenschule. Das ist längst nicht so verwirklicht, wie er sich das wahrscheinlich ersonnen hatte. Die Herausforderung bleibt. DÜLLO Zur Rolle als VP. Brachten euch solche Herausforderungen wie der Strukturwandel an die Grenzen der eigenen Beweglichkeit? SCHMITZ Meine Grenze hatte ich erreicht bei dem Versuch, einen von der UdK betriebenen Masterstudiengang in China einzurichten. Das war schwierig und politisch delikat. Es gab große politische Widerstände. Ja, da habe ich Grenzen des Machbaren und der Verständigung gespürt. Auch Grenzen in der Belastbarkeit durchs Reisen. Auch der Präsident, Martin Rennert, hat über Jahre des Dauerreisens Belastungsgrenzen spüren müssen. Wir reden schon über 45 Minuten, keiner isst Gebäck. Bei einer Gremiensitzung wären die Keksteller längst leer, dabei hat Norbert Palz so lecker aufgetischt. Die meisten haben bisher nur Wasser getrunken. Jetzt läuft der Kaffee ein und durchfiltert angenehm die Nachmittagsluft. Und nun auch an Ulrike Hentschel die Frage nach einer prägenden politisch-gesellschaftlichen Entwicklung in ihrer Amtszeit. HENTSCHEL Im Sommer 2015, gleich zu Beginn meiner Amtsperiode, begann ja die Immigrationsbewegung – mit noch völlig offenen Auswirkungen. Das hatte mit meiner Fachausrichtung als Theaterpädagogin zunächst ja nichts tun. Aber Rennert, und das ist sehr typisch für ihn, und mir wurde schnell klar, dass wir als Universität der Künste uns hier positionieren sollten und mussten. Es gab dann einen Brief von Rennert an die Kollegenschaft, der zu einer solchen Positionierung ermutigte. PALZ Diese Art eines gesellschaftspolitischen Stellung-nehmen-Müssens, das erlebt man bei Rennert immer wieder. Ich erinnere nur an seinen klaren Brief in Richtung Rotary Club Tiergarten, der präsidial von Thilo ­Sarrazin geführt wird. Als Präsident, der auch einen Migrationshintergrund hat, könne er nicht aus der Hand von Sarrazin quasi als Bittsteller Geld für Stipendien empfangen. HENTSCHEL Deshalb auch das schnelle Reagieren auf die Immigrationsbewegung, und zwar nicht nur ­rhetorisch und mit Gesten. Rennert machte in diesem Zusammenhang klar, dass Kunst nicht ein Instrument der Rettung der Welt sei, aber die UdK als Institution in einer Stadt wie Berlin eine Verpflichtung habe, ­gesellschaftspolitisch

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HENNING WAGENBRETH O. T. 2019

Henning Wagenbreth ist seit 1994 Professor für Illustration an der Universität der Künste Berlin.


STU DIO FÜ R V IRTUOSE UNSICHT BARKEIT

FAKU LTÄT EXT RAT ERREST RISCHE KU NST

PROFESSU R FÜ R SCHWARZMALEREI

INST ITUT FÜ R LU FT SCHLOSS-STAT IK

SEMINAR T HEORIE DES SCHAT T ENBOXENS

KLASSE FÜR GRÖSSENWAHN

PROFESSU R FÜR ANALOGE BLIT ZKUNST

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PROFESSU R FÜ R HOFFEN U ND SCHWEIGEN

PROFESSU R FÜ R SPEKULAT IV ES KLAV IERSPIEL

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INST ITUT FÜR V ERGEBLICHKEIT SFORSCHU NG

WINT ERAKA DEMIE FÜ R ZEIT REISEN

W ORKSHOP FÜ R KÜ NST LICHE DU MMHEIT



Position zu beziehen. Es wurden dann schnell eine AG gegründet, fakultäts- und statusgruppenübergreifend, und auf Programme, wie sie besonders der DAAD, die Senatsverwaltung für Wissenschaft und der europäische Sozialfond ausgeschrieben hatten, mit Anträgen reagiert. Davon laufen immer noch einige Programmbeteiligungen. Und es wurde eine Schnittstellen-Stelle eingerichtet, die Maßnahmen zur Internationalisierung koordiniert. Es gab wissenschaftspropädeutische Kurse in einzelnen Fächern für Migranten und Geflüchtete, aber auch Sprachkurse und das „Artist Training for Professionals“. DÜLLO Dies sind nun Beispiele für die Realisierung von Ideen und einer schnellen Umsetzung von ­gesellschaftspolitisch Notwendigem. Aber, das deutete sich in den Worten von Burkhard Schmitz anlässlich ­seiner Reisemissionen nach China oder Ulrike Hentschels Frustrationen bei den Schwierigkeiten der Trans­ disziplinaritätsumsetzung an, wie stark sind eure Ohnmachtserfahrungen im Doing als VP, wo die Idee größer als die Realisierung war? PALZ Dafür gibt es in der Regel keinen Schuldigen, keinen klaren Schuldigen. HENTSCHEL Ich würde nicht mal von Scheitern reden. Eher davon, dass es sich anders als das Gedachte ­entwickelt hat. DÜLLO Lasst uns einen Cut machen. Welche wünschenswerten und realisierbaren Entwicklungen könnt ihr euch für die UdK denken, an denen ihr auch schon mal gewerkelt habt? Gibt es ein Bild für eine nahe Zukunft, wo ihr sagen würdet, da würde ich auch mitmachen? Trotz einer gesamtgesellschaftlichen Gemengelage und einer geopolitischen Situation, die alles andere als rosig sind. SCHMITZ Noch mal im Rückblick. Das System UdK und damit in der Ära Rennert ist deutlich durchlässiger und flexibler geworden als zu Zeiten vor der Wende – noch als HdK. Und die kritische Größe, die man brauchte, hat auch geholfen, die Provinzialität, die Westberlin lange besaß, zu überschreiten. Diese Entprovinzialisierung und Entwagenburgisierung, das wäre auch für die Zukunft noch weiter zu betreiben. HENTSCHEL Ja, auch die Tendenz zu mehr Öffnung in die Gesellschaft, zu mehr Diversität, experimen­tellem Vorgehen, Internationalisierung, die streithafte Auseinandersetzung, all das sind Tugenden, die gewonnen ­wurden, aber weiter gepflegt und vorangetrieben werden sollten.

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Christoph Gengnagel betritt den Raum, begleitet von seinem Sohn. Auch er hört zunächst zu, freut sich über ­einen Kaffee. Sein Sohn verschmäht das Gebäck nicht, bekommt einen Saft. Gleichzeitig klingelt das ­Telefon. Kora Kimpel, die nicht in Berlin sein kann, wird als weitere Gesprächsteilnehmerin per Lautsprecher dazugeholt. GENGNAGEL Was wir aber, ich gehe jetzt von der Fakultät Gestaltung aus, trotz dieser Tendenz zur Öffnung und Durchlässigkeit, nicht vermieden haben, ist genau diese Falle der Wagenburgbildung, von der hier gesprochen wurde. Es ist zwar charmant, dass in guter/unguter Weise Berliner Tugenden praktiziert werden. Also: Es wird immer improvisiert, irgendetwas gebastelt, und manchmal kommt mit Glück etwas wirklich Spannendes und Neues raus. Aber dadurch wird unser Potenzial noch nicht ausgeschöpft. Und Rennert, das muss man ihm wirklich hoch anrechnen, hat das Problem mit der Wagenburg erkannt und versucht, auf seine Art dagegen anzugehen. Schritt für Schritt, manchmal auch in kleinen Schritten, aber Rennert hat Wirkungen erzeugt. Leider gab und gibt es immer wieder Gegenentwicklungen, auch struktureller Art, wo wir nicht als Gruppe agieren oder eine UdK-Identität des WIR hinreichend verkörpern. Auch nicht in unserer Kommunikationskultur, auch nicht in technischer Hinsicht. HENTSCHEL Ich habe Rennerts Idee der Freiheit der Künste und der Wissenschaften, und damit auch der UdK, immer so verstanden, und das sage ich aus einer Perspektive der nicht-angewandten Künste heraus, dass der Beitrag unserer Universität zu einer zukünftigen Gesellschaft darin besteht, was Derrida die „unbedingte Universität“ genannt hat. „Unbedingt“, das gefällt mir besser als das emphatische „frei“. Diese Unbedingtheit zu stärken, darin sehe ich eine Aufgabe für die Zukunft der UdK. Und im Falle der Künste geht es dann in der Regel nicht um ein direktes Eingreifen in zukünftige Formen der Gesellschaft, sondern eher darum, die bestehenden Widersprüche offenzulegen und sich über Zukunftsentwürfe zu streiten. KIMPEL Martin Rennert hat sich sehr dafür eingesetzt, und es ist auch sein Verdienst, dass die UdK heute in einem Atemzug mit den drei anderen Berliner Universitäten genannt wird. Das klappt nicht immer, war aber vor seiner Amtszeit undenkbar. Dass eine Kunsthochschule keine Außenseiterposition einnimmt, sondern sich einmischt und mitmischt bei den zentralen Fragen, das hat Martin Rennert immer sehr befür­wortet und sich ­dabei auch mehr Engagement der Professoren und Professorinnen gewünscht. Dass wir heute ein gutes ­Verhältnis zur TU haben, ist nicht so selbstverständlich, die Strukturen dort sind nach wie vor sehr anders. Ein Beispiel: Einer meiner ersten Termine als frisch gewählte VP1 war ein Treffen bei den Berliner­

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Wasserbetrieben für eine Projektkooperation. Während ich mein Fahrrad vor dem Gebäude anschloss, kam der VP1 der TU, der auch an diesem Termin beteiligt war, mit einer schwarzen Limousine mit Chauffeur vorgefahren. Rennert erzählte mir daraufhin, dass die UdK, als er Präsident wurde, auch noch einen Fuhrpark hatte, den er aber abgeschafft habe. GENGNAGEL Die Zusammenarbeit mit der TU begann ja mit dem Projekt zur „nachhaltigen Vitalisierung ­Berlin-Charlottenburgs“, kurz NAVI BC, aus dem der heutige Campus Charlottenburg hervorgegangen ist. Das hat auch viel dazu beigetragen, die Sichtbarkeit der UdK in der Stadt zu erhöhen. Auch als Veranstaltungsort. Es ist ein großes Verdienst von Martin Rennert, dass die UdK mittlerweile nicht nur als eine der vier Universitäten, sondern auch als ein Berliner Kulturort wahrgenommen wird. DÜLLO Ich möchte noch einmal etwas Generationsspezifisches einwerfen, selbst wenn so eine Generationszugehörigkeit soziologisch auch bestreitbar ist. Aber Martin Rennert ist Jahrgang 1954, Ulrike Hentschel und ich selbst auch. Burkhard Schmitz ist Baujahr 1957. Jetzt mal an die Jüngeren im Raum adressiert: Ticken wir 1954er und Co gesellschaftspolitisch, hochschulpädagogisch, kommunikativ, im Managen anders als ihr? Verkörpert Rennert in dieser Hinsicht einen bestimmten Stil und eine Haltung einer bestimmten Generation? SCHMITZ Also diese Essen, in einem anonymen Restaurant in der Knesebeckstraße oder der Fasanenstraße … ANONYM Jetzt mal so außerhalb des Protokolls, eher so Old-School-Restaurants … PALZ … Ja, genau. Das hat so etwas Privatdetektivisches. Als suche man eine Filmlocation, um eine Affäre zu drehen. Da geht man dorthin, wo einen niemand kennt. Aber das liegt sicherlich auch an der Rolle, als Präsident, der ja die Einzelkommunikation so sehr pflegt und wahrscheinlich auch permanent einen Druck spürt. Ein Mann für den Stuhlkreis jedenfalls, der alle reinruft und dann diskutiert, das ist Martin Rennert eher nicht. Sondern jemand, der etwas punktuell und in individuellen Situationen zu lösen versucht. GENGNAGEL Das hat halt auch seinen Preis, diese Kultur der an sich auch großartigen Eins-zu-eins-Situation und des Vier-Augen-Gesprächs. Aber zum Beispiel im Kontext des Senats, des AS, da konzentriert sich die ­Kommunikation bisweilen zu sehr auf eine Person. Ich bin da mehr die Konzeption der Gruppe gewohnt, weil die Komplexität eines Problems oder einer Sache Einzelne nur begrenzt lösen können oder so nur schwer eine

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kritische Masse erzeugt werden kann. Ob das generationsspezifisch ist, weiß ich jetzt nicht. Denn das gilt ja immer wieder für uns alle. KIMPEL Ich habe mich an der Vier-Augen-Kommunikation sehr gerieben und versucht, andere Kommunika­ tionsformen zu nutzen, z. B. auch Visualisierungen einzusetzen, Grafiken und Modelle zur Diskussion zu ­stellen, Workshop-Formate zu nutzen. Das benötigt aber von dem Kollegium deutlich mehr Zeit und Interesse – was man leider nicht immer erwarten kann –, und ich musste einsehen, dass es die Vier-Augen-Gespräche nicht ersetzt. Es stimmt, Martin Rennert verkörpert einen bestimmten Stil und eine Haltung, die vielleicht auch seiner Generation und der Emigration seiner Familie geschuldet ist, aber auch für künftige Generationen wünschenswert wäre – mich hat es immer sehr beeindruckt, wie weltoffen er ist und mit welcher Vehemenz er die Freiheit der Künste verteidigt. Das macht heute kaum noch jemand, man kommt sich da schnell pathetisch vor, weil ja alle für die Freiheit sind. Aber das stimmt nicht, und das hat seine Generation noch anders vor Augen. PALZ Andererseits, so aus der Perspektive als letzter VP-Weggefährte hier in der Runde, genieße ich immer wieder die wohltuende Art der Freiheit, Schwerpunkte selbstständig setzen zu können. Und auch das relativ große Vertrauen, das einem entgegengebracht wird. Rennert sitzt einem nicht im Genick und kontrolliert einen. DÜLLO Unterm Strich: Darf man sich eine Vizepräsidentin, einen Vizepräsidenten als glücklichen Menschen vorstellen – bei allem Verschleiß, bei allem Zerriebenwerden? SCHMITZ Das wird jeder anders beantworten. Ich jedenfalls habe viel Zeit im Flugzeug verbracht, habe schnell graue Haare bekommen und wusste manchmal, zum Beispiel in China, nachts nicht mehr, wo ich war. Die Doppelbelastung ist schon groß. Aber man lernt die UdK und so viele Leuten kennen, es entwickelt sich dabei durchaus eine emotionale Bindung zur UdK. Das Relativierendste ist vielleicht: das unendliche Miteinander-­ reden-Müssen, ohne dass es letztlich zum Handeln kommt. (Zustimmung von allen Seiten im Raum) KIMPEL Ich erinnere mich an meinen ersten Dezember im Amt. Weihnachten vor der Tür, ohnehin eine ­anstrengende Zeit im Jahr. Eines Morgens kam ich in mein Büro und fand den Tisch voll mit dicken Stapeln Unterschriftenordner vor mit Weihnachtsgrüßen, die ich unterschreiben sollte. Ich war den ganzen Tag damit beschäftigt und stellte fest, dass Rennert sogar persönliche Worte geschrieben hatte. Das fand ich das Anstren-

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GREGORY CUMINS STUDY, 2019 Acryl auf Aluminium, 20 ∑ 30 cm

Gregory Cumins ist Maler und seit 2014 Professor an der Universität der Künste Berlin. Er leitet die Fachklasse Lehramt an Grundschulen mit dem vertieften Fach Bildende Kunst.




gendste, dass man auf das Amt ja nicht vorbereitet werden kann und damit fast täglich in neue Situationen ­geworfen wird, von deren Existenz man vorher nicht mal etwas ahnte. DÜLLO Wie sehen eure Wünsche für den Präsidenten aus für seine Zeit nach der UdK? PALZ UND GENGNAGEL UNISONO Auf jeden Fall und von ganzem Herzen: einen Ort, an dem er seine ­Mission oder Vision, denn so etwas hat er unstrittig, wo er dieser Sache Raum und Platz verschafft. Dieser Impuls hat Martin Rennert in seiner ganzen Präsidentenzeit nie verlassen. Und dafür wünscht man ihm eine weitere, eine andere Plattform. HENTSCHEL Und das gilt auch für sein gesellschaftspolitisches Engagement, sein geschichtsbewusstes Denken über Bildung und Zukunft. Dafür wünsche ich ihm einen Wirkungsort. Auch deshalb, weil dort seine berechtigte Besorgnis, die er über viele Entwicklungen hegt, produktiv werden kann. PALZ Umgekehrt erlebt man immer wieder seine Begeisterungsfähigkeit und Neugier. Letztens hatten wir diese Begegnung mit einem 90-jährigen Berliner Künstler, mit Ben Wagin, eine sehr eigenwillige Person. Wagin hat ein unglaubliches Areal am Gleisdreieck, und da hat er Martin Rennert rumgeführt, und Rennert kam dann zu mir und sagte: „Ah, wir müssen noch reden, ich habe ein paar Ideen, was wir jetzt da machen können mit dem.“ Solche Momente der Kreativität und Ideen erzeugt er immer wieder, er kann ja wirklich auch Sachen entwickeln. KIMPEL Das stimmt, seine Begeisterungsfähigkeit für die Künste und sein Interesse für ihre Menschen und seine eigene gedankliche Beweglichkeit und Kreativität sind beeindruckend, ich bin mir sicher, dass er dafür weitere Wirkungsorte finden wird bzw. sicher schon gefunden hat. SCHMITZ Er ist ein Kosmopolit mit einem Fähigkeitspaket, das nach einer nächsten Anwendung ruft … DÜLLO … irgendwo, wo es hinreichend Kaffeehäuser für seine Art des Denkens und Schreibens gibt. Kaffeehäuser, wo so leckeres Gebäck nicht so wenig angerührt wird wie hier bei dir, Norbert. Ich danke dir für diesen Ort, die Gastfreundlichkeit, und euch allen für dieses Gespräch – mit den besten Wünschen für Martin Rennerts Zukunft.

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Postskriptum: Am nächsten Tag las ich in Claude Lévis-Strauss’ Buch „Traurige Tropen“ (1978, im Original 1955, S. 304– 306), wo er über seine Reiseerfahrungen und seine ethnografischen Erkundungen über indigene Gruppen am ­Amazonas berichtet. An dieser Stelle macht Lévi-Strauss ein paar Bemerkungen darüber, was einen guten ­(Indianer-)Häuptling ausmache. Und Lévi-Strauss führt aus: Eine Gruppe, die sich mithilfe ihres Häuptlings als Gruppe konstituiert, tut dies nicht „als Folge des Bedürfnisses nach einer zentralen Autorität“, sondern das „persönliche Prestige sowie die Fähigkeit, Vertrauen zu erwecken“, seien in den von Lévi-Strauss beobachteten Indianer-­Gesellschaften „die Grundlagen der Macht“ – „Wir müssen sogleich hinzufügen, dass sich der Häuptling bei ­seinen vielfachen Funktionen weder auf eine präzise Macht noch auf eine öffentlich anerkannte Autorität ­stützen kann. Die Macht beruht einzig auf der Zustimmung, und aus dieser Zustimmung bezieht er seine Legitimation […] Wie erfüllt der Häuptling diese Pflichten? Das erste und wichtigste Instrument der Macht ist seine Groß­zügigkeit.“ Da musste ich an Martin Rennert denken.

Burkhard Schmitz, Professor für Entwerfen von interaktiven Systemen, VP1 2006–2008 Christoph Gengnagel, Professor für Konstruktives Entwerfen und Tragwerkslehre, VP1 2008–2012 Kora Kimpel, Professorin für New Media/Interface- und Interactiondesign, VP1 2012–2015 Ulrike Hentschel, Professorin für Theaterpädagogik, VP1 2015–2017 Norbert Palz, Professor für Entwerfen und Digitale Medien, VP1 seit 2018 Moderation/Text: Thomas Düllo, Professor für Verbale Kommunikation/Text, Dekan Fakultät Gestaltung 2015–2019

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MICHAEL MÜLLER SEELE UND GESICHT UNSERER STADT

Wie beschreibt man eine Einrichtung, deren Name eigentlich bereits alles sagt? Die größte ihrer Art ist sie, ­könnte man sagen, ihre reiche Tradition betonen und mehr noch ihren besonderen Zukunftsanspruch zitieren. Sie als einzigartig in Deutschland und als international tonangebend würdigen, das könnte und sollte man allemal. Ihr Fächerspektrum und ihren Innovationsgeist in Lehre und Forschung herausstellen. Es wäre alles wahr und richtig und doch griffe diese Charakterisierung zu kurz. Man würde dieser Einrichtung und ihren Mit­gliedern nicht gerecht werden und auch nicht der Bedeutung, die sie für unsere Stadt und darüber hinaus haben. Würde nicht ihrer besonderen Bedeutung gerecht werden in einer Zeit, die von Verunsicherung und vom Auseinanderdriften unserer Gesellschaft geprägt ist. In einer Zeit, die dringende Antworten erfordert, gerade von den Künsten und von der Wissenschaft. Universität, Künste, Berlin – ein Dreiklang, der vielleicht deutlicher als andere Namen hiesiger akademischer Einrichtungen dafür steht, was unsere Stadt ausmacht. Wissenschaft, Kunst und Kultur sind die tragenden Säulen und markanten Wesenszüge Berlins. Sie geben der Stadt ihre Seele und nach außen ein Gesicht, lassen sie bis in den entferntesten Winkel zu einem vielbeschworenen Sehnsuchts- und zunehmend auch Zufluchtsort werden. Im Marketingdeutsch „the place to be“, nicht nur für die Welt der Kultur und die der Forschung und Lehre. Die Universität der Künste ist sozusagen der Inbegriff Berlins. Hier bilden das Akademische und das Künstlerische eine Einheit, begegnen sich auf Augenhöhe und werden auf diese Weise zu einer unverzichtbaren Stimme in einer Stadt, die für Freiheit, Weltoffenheit und Toleranz steht. In einer Stadt, die diese Ideale leben, hochhalten und inzwischen auch wieder verteidigen muss. 70 Jahre nach der Verkündung des Grundgesetzes und 30 Jahre nach dem Fall der Mauer müssen wir uns heute in einem vereinten Berlin, in einem vereinten Deutschland wieder mit Entschlossenheit den Kräften entgegenstellen, die unsere demokratische Gesellschaft aushöhlen, die ihr den mühsam errungenen Frieden und ihre Freiheit rauben wollen. Eine Momentaufnahme, die dies auf schmerzliche Weise verdeutlicht: Neunter November, 2018. Hunderte ­Gäste haben sich im Konzertsaal der Universität der Künste Berlin versammelt, um am 80. Jahrestag der ­Novemberpogrome gemeinsam der Opfer des verbrecherischen Naziregimes zu gedenken. Mit einem Konzert für die Nationen, das seit 2001 Tradition hat an der Universität der Künste Berlin und das Musikerinnen und Musiker verschiedener Nationalitäten auf beeindruckende Weise vereint, sie im Symphonieorchester der Hochschule zusammen erklingen lässt. Die „Wiederbelebung der Toten“ des israelischen Komponisten Noam Sheriff werden sie an dem Abend gemeinsam aufführen. Zuvor ist es an den Rednern, die Rolle zu unterstreichen, die der Wissenschaft und den Künsten in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus von damals und seinen heutigen Erscheinungsbildern zukommt. Als ich in meinem Beitrag erkläre, ein von Rechtsextremen für gerade diesen Abend geplanter Aufmarsch in Berlin sei vom Innensenator verboten worden, brandet im Saal ein Applaus der Erleichterung auf. Sekunden darauf dann die Ernüchterung, denn ein Gerichtsbeschluss ­kippte

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ALEXANDRA RANNER WAND, 2018

Alexandra Ranner ist seit 2007 Professorin f체r Plastische und r채umliche Darstellung im Studiengang Architektur an der Universit채t der K체nste Berlin.




das Verbot, wie ich in meiner Rede weiter ausführen muss. In der Stadt, von der aus der Zivilisationsbruch ausging, marschieren also 80 Jahre nach den Novemberpogromen wieder die Rechtsextremen und nutzen die demo­kratisch verbürgte Versammlungsfreiheit für ihre vergiftete Propaganda. Oft juristisch korrekt, für jede Demokratin und jeden Demokraten aber immer unerträglich. Die Erkenntnis dieses Abends wiederholt sich immer wieder: Um uns dem wachsenden rechten Rand effektiv entgegenzustellen, wird es mehr denn je darauf ­ankommen, Wissenschaft, Kunst und Kultur als unabdingbare Grundlage für eine wehrhafte Demokratie nachhaltig zu stärken. Nicht nur in unserer eigenen Stadt, sondern auch und insbesondere außerhalb der urbanen Zentren. Das ist zweifelsohne eine Aufgabe der Politik, für die sie aber Partnerinnen und Partner braucht. „Künste sind mächtig“, sagt Martin Rennert in einer Tagesspiegel-Beilage der Universität der Künste Berlin im Sommer 2015. „Wir sind ein Ort der Künste, der Ausbildung, des forschenden Denkens, aber gerade deswegen auch politischer Akteur, der sich zu Wort melden und im Interesse nicht nur unserer Studierenden und Disziplinen, sondern auch in jenem der sie tragenden Gesellschaft Allianzen bilden und wirken muss.“ Er hat recht. Aber auch die Künste, die Wissenschaft und ihre Orte geraten unter Druck derer, die in ihnen ein störendes ­Element sehen, weil sie eben unverzichtbar sind für die Fähigkeit unserer Gesellschaft zur kritischen Reflexion und zur Auflehnung gegen Populismus, Hetze und Nationalismus. „Wirksam zu sein und zu bleiben in einer Zeit, in der die Künste mehr und mehr als Beiwerk, als Angebot für wenige, nicht als konstitutiv für die Zivilisation gesehen werden, bindet viel Kraft und Konzentration bei Studierenden, Lehrenden, Verwaltenden“, schreibt Rennert gut drei Jahre später. Damit erinnert er uns daran, dass wir als Gesellschaft eine Verpflichtung gegenüber der Kunst und der Wissenschaft haben. Die Kraft, die sie benötigen, um ihren gesellschaftlichen Auftrag zu erfüllen, kann sich nur entfalten, wenn wir ihre Freiheit und ihre geschützten Räume sichern und zugleich dafür Sorge tragen, dass sie einen Platz mitten in unserer Gesellschaft haben und diese mitgestalten und verändern können. Dass sie eben nicht als Privileg für wenige missverstanden und verunglimpft werden, sondern als integraler Bestandteil im Leben von uns allen erfahrbar sind. „Vernetzung in und mit der Stadt“ heißt dann auch passend dazu eine Kapitelüberschrift in der gedruckten Zukunftsvision „UdK 2030“. Sich mit dem eigenen Wirken der Stadtgesellschaft noch weiter zu öffnen, die physischen Grenzen und auch die gefühlten aufzuweichen, lautet darin der Anspruch der Universität der Künste Berlin. Neue Orte der Begegnung zu suchen und neue Formen der Kommunikation zu erschaffen. Nicht lediglich Einblicke zu gewähren, sondern die Stimmen der Stadt einzubeziehen, einen echten Dialog zu ermöglichen, ihn immer wieder einzufordern und ihn, wenn nötig, zu forcieren. Oder um es wieder mit Rennerts Worten zu sagen, muss die Universität der Künste, müssen ihre Mitglieder „aus den Häusern, Ateliers und Hörsälen auf die Straße treten, mitten in die Gesellschaft, die wir mitgestalten wollen und müssen, um uns allen Demagogen und der Welle aus Lügen, Hass und Xenophobie entgegenzustellen“. Und ergänzend füge ich hinzu: Dies müssen wir gemeinsam immer wieder und fortwährend tun, denn wir dürfen nichts für gegeben halten, angesichts der vermeintlichen Gewissheiten, die reihum eine nach der anderen fallen. An dieser Stelle nun also doch die Verortung und Einordnung der Universität der Künste Berlin, aus der sich ihre besondere Rolle und Wirkmächtigkeit ableitet: 4000 studentische Stimmen und Hunderte derer, die lehren, forschen oder beides organisieren. Verteilt auf 21 Standorte in ganz Berlin unter dem Dach von Europas größter 21

und ältester Kunsthochschule, einer der wenigen Kunstuniversitäten der Welt. Ein Unikat, um das wir zu Recht


beneidet werden. Das sind zukünftige Lehrerinnen und Lehrer, die Theatermacherinnen und Bühnenbildner von morgen, Modedesigner und Musikerinnen, Architektinnen, Kommunikationsfachleute und Choreographen. Menschen, die unserer Stadt ihre Seele geben und nach außen ein Gesicht. Dass ihre Alma Mater heute zu den tragenden Säulen unserer Stadt zählt und zu den besten ihrer Art weltweit, das ist immer ein Verdienst von vielen. Dafür gebührt der Universität der Künste Berlin große Anerkennung und ihrem Präsidenten die Verneigung einer zutiefst dankbaren Stadt, die er mit seinem Wirken und seinem Einsatz für die Künste und die Wissenschaft über viele Jahre geprägt hat.

Michael Müller ist Regierender Bürgermeister von Berlin und Senator für Wissenschaft und Forschung.

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PETER-ANDRÉ ALT DAS ZUSAMMENSPIEL DER KUNSTWISSENSCHAFTEN MIT DER PRAXIS: AUFTRAG FÜR DIE ZUKUNFT

Die schönen Künste und die Literatur unterhalten eine historisch gewachsene, nicht ganz spannungsfreie Beziehung zueinander. Verschiedene Zeitalter definierten sie über jeweils Moden unterworfene Hierarchien, wobei zumeist eine systematische Abgrenzung fehlte. Für die wissenschaftliche Untersuchung der Künste wiederum gilt seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts, dass es zuweilen ein Miteinander der Disziplinen, häufig aber auch ein Gegeneinander gab. Die „wechselseitige Erhellung der Künste“, die Oskar Walzel 1917 als Forschungsprogramm postulierte, blieb lange Zeit ein Wunschbild. Auch in Zeiten vielfach geforderter Interdisziplinarität beschreibt sie ein Desiderat, kaum die Wirklichkeit an deutschen Universitäten und Hochschulen. Will man das schwierige Verhältnis der Künste verstehen, muss man einen kurzen Blick auf die Geschichte ihrer systematischen Unterscheidung werfen. Für die europäische Aufklärung war die Frage nach der Differenz von Malerei, Musik und Poesie ein wesentliches Element des ästhetischen Diskurses. Sie bildete nicht nur einen Gegenstand für die akademische Erörterung, sondern trieb auch die Praktiker selbst um. An der Diskussion über die Grenzen zwischen den Einzelkünsten beteiligten sich im 18. Jahrhundert neben anderen der Porträtmaler Jonathan Richardson, der Gartenarchitekt Joseph Spence, der Grafiker William Hogarth und der Dramatiker Gotthold Ephraim Lessing. Dabei unterschied man die artistischen Darstellungsformen nach Maßgabe der von ihnen verwendeten Ausdruckszeichen. Willkürliche Zeichen – vor allem Buchstaben, aber auch streng kodifizierte Symbole – regeln das Verhältnis zu dem, was sie meinen, über Konventionen, über gesellschaftliche Normen und Verabredungen. Daneben gibt es ‚natürliche‘ Zeichen, die zu der von ihnen dargestellten Sache eine Ähnlichkeitsbeziehung unterhalten. Sie artikulieren das Wesen dieser Sache bereits durch ihren besonderen Zeichencharakter, sodass man sie verstehen kann, ohne, wie im Fall der willkürlichen Zeichen, ihre Bedeutung aus den sie fundierenden kulturellen Normen und Konventionen ableiten zu müssen. Moses Mendelssohn arbeitet in seinen „Hauptgrundsätzen der schönen Künste und Wissenschaften“ (1757) mit den Vorgaben der Zeichentheorie, wenn er die artistischen Grundformen unterscheidet. Einer einführenden Erörterung der beiden wesentlichen Zeichentypen folgt die entsprechende Zuordnung: „Aus dieser Betrachtung fließet die erste Haupteintheilung des sinnlichen Ausdrucks, in schöne Künste und Wissenschaften (beaux arts & belles lettres). Die schönen Wissenschaften, worunter man gemeiniglich die Dichtkunst und Beredsamkeit verstehet, drücken die Gegenstände durch willkührliche Zeichen, durch vernehmliche Töne und Buchstaben aus.“ Anders verfahren die nichtsprachlichen Gattungen: „Diese bedienen sich vornehmlich der natürlichen Zeichen. Der Ausdruck in der Malerey, Bildhauerkunst, Baukunst, Musik und Tanzkunst setzet keine Willkür voraus, um verstanden zu werden; er bezieht sich sehr selten auf die Einwilligung der Menschen, diesen oder jenen Gegegenstand vielmehr so als anders zu bezeichnen. Daher muß sich eine jede Kunst mit dem Theile der natürlichen Zeichen begnügen, den sie sinnlich ausdrücken kann.“ 23


In seiner „Laokoon“-Abhandlung (1766) korrigiert Lessing diese These Mendelssohns. Er konzentriert sich auf den Unterschied zwischen Poesie und Malerei, den er nicht mehr über die Art der verwendeten Zeichen, ­sondern über deren jeweils besondere Verknüpfung erfasst. Während die Malerei und die Bildhauerei ihre Zeichen nach dem Prinzip der Koexistenz im Raum verbinden, organisiert die Literatur ihre Zeichen nach dem Prinzip der Konsekution in der Zeit. Wo die Malerei Tableaus bildet, schafft die Literatur Handlungsfolgen – das ist die grundständigste Differenzierung, die Lessing vornimmt. Sie hat bis tief ins 19. Jahrhundert wesentliche Konsequenzen für das Konzept des europäischen Realismus. Seine Romankunst folgt in vielen Punkten Lessings Ideal einer an Handlungen orientierten literarischen Darstellung. Auf der anderen Seite ist die Landschaftsmalerei der europäischen Romantik eng mit dem Modell des Tableaus verbunden, das der „Laokoon“ exponiert hatte. Lessings Unterscheidung hatte nicht nur akademische Bedeutung für die Kunstwissenschaften des 19. Jahrhunderts, sondern auch für die ästhetische Praxis der Zeit. Für aktuelle wissenschaftliche Diskurse sind die Definitionsbemühungen des 18. Jahrhunderts historisch. An sie zu erinnern ist jedoch nützlich, weil sie zeigen, dass das Verhältnis der Künste in der Aufklärung vorwiegend als Wettstreit im Zeichen von Differenzen gedacht wurde. Die deutsche Frühromantik, die von der Konvergenz der Künste träumte, bildete angesichts dieser Ausgangslage eine Ausnahme – ein Intermezzo im Zeichen der idealtypischen Vereinigung aller ästhetischen Formen zu einem Universalkunstwerk. Mögen seine Ausläufer praktisch bis zu Richard Wagner weitergewirkt haben, so blieb doch das Versprechen einer übergreifenden ­Perspektive, aus der die Künste anzusehen seien, für die Wissenschaften des 19. Jahrhunderts folgenlos. Der kunstwissenschaftliche akademische Betrieb hat sich bis heute – bewusst oder unbewusst – in den ­Bahnen Lessings und seiner strikten Unterscheidungsdoktrin bewegt. Jedenfalls sind für ihn die Abgrenzungen ­zwischen den Kunstsektoren wichtiger als ihre produktiven Bezüge. Oskar Walzels gedankenreiche Studie zur „wechselseitigen Erhellung der Künste“ blieb als Anknüpfung an die Idee der Romantik ein Zwischenspiel, ohne dass sie in Unterricht und Forschung unmittelbar nachwirkte. Erst die wachsende Forderung nach mehr interdisziplinärer Arbeit löste dann seit Ende der 1960er Jahre gerade in der deutschen und angloamerikanischen Literaturwissenschaft verstärkte Offenheit für die anderen Künste aus. In den Departments für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft wurden komparatistische Studien zur Literatur und Malerei oder Literatur und Musik angeregt. Heute stehen medienwissenschaftliche Vergleiche zwischen Literatur und Film oder Literatur und Fotografie hoch im Kurs. Das alles ist erfreulich, darf allerdings nicht davon ablenken, dass wir im Zusammenspiel zwischen Praxis und Theorie noch erheblichen Nachholbedarf haben. Denn die überwiegende Mehrzahl der Forschungsprojekte stützt sich auf die Kooperation der Kunstwissenschaften, ohne die Fächer einzubeziehen, die an künstlerischen Hochschulen und Universitäten versammelt sind. Genau dieses aber bleibt ein Desiderat der Forschung. Wer die wechselseitige Erhellung der Künste ernst nimmt –­ und das schließt auch ein Ernstnehmen ihrer Differenzen ein –, der ist auf die Kooperation mit den Vertretern der ästhetischen Praxis angewiesen. Gerade dort, wo es um Grundfragen der ästhetischen Wirkung geht, ist die unterschiedlich perspektivierte Untersuchung von Formen, Praktiken, Entstehungsbedingungen und ­Programmatiken der künstlerischen Arbeit unabdingbar. Hier genügt nicht die Sichtweise der Musiktheorie oder der Kunstgeschichte, der Philologie oder Architekturhistorie allein. Vielmehr bedarf es der Ergänzung aus der Position der Praxis, die Fragen von Komposition und Struktur, von Wirkungssteuerung und Genrewahl ­weitaus

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VALÉRIE FAVRE ALS EINE ABSTRAKTE KOMPOSITION AUF „EIN ZIMMER FÜR SICH ALLEIN“, 2019 Gouache auf säuerefreier Pappe und Siebdruck, 42 ∑ 29,7 cm

Valérie Favre ist seit 2006 Professorin für Malerei an der Universität der Künste Berlin.




­umfassender erörtern hilft. An der Universität der Künste Berlin bestand über viele Jahre ein ­Graduiertenkolleg zu Praxis und Theorie des künstlerischen Schaffensprozesses, das genau diese Lücke schloss. Hier kam es zu bemerkenswerten Synergien zwischen Produktions- und Rezeptionsästhetik, zu Einsichten in die Werkstatt der Künste, zu echtem Dialog zwischen Theorie und Praxis. Solche Modelleinrichtungen benötigen wir auch ­zukünftig in Forschung und Lehre, damit die Kunstwissenschaften auf einem möglichst breiten Fundament arbeiten können. Diese Forderung gilt auch für die Digitalisierung, die unsere Wissenschaften seit einigen Jahren massiv verändert hat. Digitale Forschungsmethoden helfen uns in den Kunstwissenschaften, gerade den Produktionsprozess besser und genauer zu erfassen und zu untersuchen. Digitalisierte Text-Korpora, Noten-Handschriften und ­Bilder erlauben es, Tiefenstrukturen zu analysieren, ohne dass die betreffenden Objekte in analoger Form ­vorliegen. Bei der Rekonstruktion von Entstehungsvorgängen helfen digitale Methoden enorm, weil sie Bezüge erschließen, die man beim bloßen Absuchen der Materialien mit dem Auge nicht erkennen würde. Aber auch hier gilt, dass das Zusammenspiel der Kunstwissenschaften und der Künste dringend geboten ist, will man ­moderne Forschungsmethoden optimal nutzen. Lessings altes „Laokoon“-Paradigma, das die Künste streng trennte, ist für die interdisziplinäre Forschung von heute sicher nicht mehr leitend, auch wenn es ästhetische Strukturen beschreibt, die im Kern weiterhin gelten. Für eine moderne kunstwissenschaftliche Forschung gilt die Forderung nach Interdisziplinarität, aber auch die Einsicht, dass die Verbindung mit der Praxis wichtige neue Impulse für das Verständnis ästhetischer Genealogien, Strukturen und Programme vermittelt. Gerade eine digital unterstützte Kunst-Forschung benötigt die konstruktive Begegnung zwischen Theorie und Praxis. Daran ist auch künftig zu arbeiten – ganz im Sinne der pluralistischen Programmatik, die Martin Rennert an der Berliner Universität der Künste über viele Jahrzehnte als Präsident und Hochschullehrer vorbildlich gefördert hat.

Prof. Dr. Peter-André Alt, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, war von 2010 bis 2018 Präsident der Freien Universität Berlin.

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CHRISTIAN THOMSEN BRÜCKENSCHLAG ZWISCHEN KUNST UND TECHNIK

Die von meinem geschätzten Kollegen Martin Rennert für viele Jahre erfolgreich geleitete Universität der Künste Berlin zählt zu den größten, vielseitigsten und traditionsreichsten künstlerischen Hochschulen der Welt. Ihr Selbstverständnis bezieht sie aus ihrem bedingungslosen Anspruch auf künstlerische Exzellenz in allen Disziplinen. Diese setzt sie aber auch systematisch in Relation zu allen kunstbezogenen Wissenschaften. Die UdK Berlin steht für eine künstlerische Ausbildung, in der die Künste in ihrer künstlerischen Praxis wie auch als Gegenstand ästhetischer Erfahrung Objekte wissenschaftlicher Forschung und kritischer ­R­e­fle­xion sind. Die Technische Universität Berlin, die sich ihren Campus im Herzen von Berlin mit dem der UdK Berlin teilt, ist eine moderne Forschungsuniversität und möchte Wissenschaft und Technik zum Nutzen der Gesellschaft ­weiterentwickeln. Die Mitglieder der Universität sind dem Prinzip der nachhaltigen Entwicklung verpflichtet, das den Erfordernissen der Gegenwart gerecht wird und nicht zu Lasten zukünftiger Generationen geht. ­Forschung und Lehre sind untrennbar miteinander verbunden. Seit 2019 ist die TU Berlin Partnerin in der ­Berlin ­University Alliance, dem Exzellenzverbund der Berliner Hochschulen. Auf den allerersten Blick mag die wissenschaftlich-künstlerische Ausrichtung der beiden großen Einrichtungen nicht zusammenpassen. Der historische Zufall habe sie auf einem Campus zusammengebracht, könnte man denken. Tatsächlich ist es aber viel mehr, was beide verbindet: Da ist zum Beispiel die wissenschaftliche und künstlerische Freiheit, die – vormals unantastbar – seit einigen Jahren in einigen Ländern wieder unter Beschuss steht und aktiv verteidigt werden will. UdK Berlin und TU Berlin stehen für diese Freiheit und haben dies z. B. durch Aufnahme von Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftlern aus Ländern, in den sie bedroht ist, ­eingesetzt. Sie haben das auch immer wieder zu gegebenen Anlässen thematisiert. Neben diesem gemeinsamen Einsatz für ideelle Werte der akademischen Welt haben die beiden Einrichtungen sich auch in konkreten Projekten gemeinsam hervorgetan. Der Grundstein der Kooperationen und der Nutzung von Synergien zwischen der TU Berlin und der UdK Berlin wurde 2010 mit der Initiative Campus Charlottenburg gelegt. Der Campus Charlottenburg ist eines der größten zusammenhängenden innerstädtischen Univer­ sitätsareale Europas und gehört gleichzeitig zu den vielfältigsten Wissenschafts-, Kunst- und Gestaltungsstandorten Deutschlands – eingebettet in die urbane Mitte der deutschen Hauptstadt. Im Rahmen des Campus Charlottenburg existiert die Hybrid Plattform, eine Projektplattform für transdisziplinäre Kooperationen in Lehre und Forschung. Initiiert von der Universität der Künste Berlin und der Technischen Universität Berlin geht es darum, ein Netzwerk und transdiziplinäres Projektlabor für die Grenzgänger und Querdenkerinnen des Campus zu schaffen. 26


Auf der Hybrid Plattform bilden die jeweiligen Spezifitäten der beiden Universitäten – künstlerisch-gestalterisch einerseits, technisch-naturwissenschaftlich andererseits – Ausgangspunkte für Kooperationsprojekte: Über die Grenzen der einzelnen Disziplinen und Universitäten hinaus forschen Teams an zukunftsträchtigen Themen und Fragestellungen. Das Berlin Open Lab startete dieses Jahr offiziell seinen Betrieb für neue Arten der Design-Forschung in den Shedhallen der UdK Berlin. Das Lab ist ein neuer Ort für die digitale Forschung an den Schnittstellen ­zwischen experimenteller Gestaltung, Architektur sowie Ingenieurskunst und ergänzt die enge Kooperation zwischen UdK Berlin und TU Berlin um eine weitere Ebene. Mit einem Labor für „Computational Fabrication“ und „­Wearable Computing“ sowie einem Studio für „Augmented and Virtual Reality“ öffnen sich die Türen für die Forschung der Zukunft. Mit der Unterstützung der Senatskanzlei – Wissenschaft und Forschung konnten die Shed­ hallen saniert werden und es wurde ein experimentelles Forschungslabor für die digitale Gesellschaft als ein ­inter­­diszi­plinäres Forschungsvorhaben der UdK Berlin und der TU Berlin etabliert. Es ist ein Ort für Disziplinen übergreifende Forschungsprojekte. Die produktive Zusammenarbeit von Kunst, Wissenschaft und Technik ermöglicht neue Formen des Entwerfens und Forschens im digitalen Zeitalter sowie eine erweiterte Form von akademischer Praxis, die künstlerische und wissenschaftliche Herangehensweisen verbindet. Es werden sich in diesem Rahmen neue Forschungsfragen entwickeln, und der Ort wird einen großen Mehrwert für unsere Studierenden darstellen. Der von UdK Berlin und TU Berlin gemeinsam gestellte Clusterantrag „Shaping Space“, der sich mit der ­Gestaltung von Raum aus künstlerischer und technischer Sicht befasst, wurde zwar nicht als Forschungscluster bewilligt, wird aber in einem anderen Format weiterverfolgt. Das Projekt ist eine intensive und neuartige – in Deutschland auch einzigartige – Zusammenarbeit auf wissenschaftlichem und künstlerischem Terrain. Die ­produktive Verbindung von Kunst, Wissenschaft und Technik ermöglicht eine umfassende technische ­Modellierung des Entwerfens im digitalen Zeitalter sowie die Entwicklung von innovativen Arbeitsverfahren und Produktionsprozessen. Die TU Berlin ist seit Kurzem im intensiven Austausch mit Science Gallery International, um der deutsche Partner in diesem Netzwerk zu werden. Science Gallery ist das weltweit einzige Universitätsnetzwerk, das sich der öffentlichen Auseinandersetzung mit Wissenschaft und Kunst widmet. Es vereint international führende Universitäten in der einzigartigen Mission, Kreativität und Entdeckung dort anzuregen, wo Wissenschaft und Kunst aufeinandertreffen. Wir hoffen sehr, dass wir, mit der UdK Berlin an unserer Seite, Teil dieses Netzwerkes werden und damit auch in Deutschland eine Science Gallery aufbauen können. Prof. Martin Rennert steht für all diese Werte, ist zukunftsweisend, neugierig, transdisziplinär, hat keine Angst vor dem Neuen. Er ist ein Macher, ein Visionär und ein Wegbereiter. Martin Rennert ist ein geschätzter Kollege, in meinen Augen ein Pionier, der die Brücke zwischen Kunst und Technik federführend mit vorangetrieben hat.

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Prof. Dr. Christian Thomsen ist seit 2014 Präsident der Technischen Universität Berlin.


JÖRG STEINBACH LIEBER MARTIN,

der heutige Tag markiert sicherlich einerseits einen Meilenstein in Deinem Leben, aber andererseits und vor allen Dingen auch einen Meilenstein für alle Kolleginnen und Kollegen wie mich, die wir Dein hochschulpolitisches Wirken in Berlin begleiten durften. Du hast uns in dieser Zeit Augenblicke geschenkt, die auf mich eine nachhaltige Wirkung hatten. Zwei möchte hier noch einmal mit Dir teilen. Ich lernte Dich in meiner Vize-Präsidentenzeit durch meinen ehemaligen TU Berlin Präsidenten Kurt Kutzler kennen. Er hatte es gerade geschafft, mit Deinem Vorgänger im Amt die beiden räumlichen Nachbarn auch in der Zusammenarbeit einander näher zu bringen. Künstler und Ingenieure schienen Familien ohne Schnittmengen zu sein, ein Irrtum, der heute korrigiert ist. Und da alle Zusammenarbeit, und das ist mein festes Credo, nicht ohne gemeinsame Vertrauensbasis der handelnden Menschen funktioniert, verband euch schon bald eine freundschaftliche Beziehung. Das Nebeneinander wurde zu einem Miteinander. Das war die Zeit, wo der Gedanke des Campus Charlottenburg geboren wurde. Ihr beide hattet eine gemeinsame Vision, die bis zum heutigen Tag Schritt für Schritt entwickelt wurde und noch immer wird. Unvergessen sind in diesem Zusammenhang die gemeinsam wechselseitig durchgeführten Tage der offenen Tür. Es war die Zeit, wo der Begriff des „industrial designs“ aufkam. Gesche Joost stellte fest, dass das Handy für die junge Generation die Form eines Kuschelkissens haben sollte, um beim Chatten darauf von Freundin oder Freund zu träumen. Und wir beide entwickelten die Idee gemeinsamer Studienmodule: CAD in Gruppen der Studierenden von UdK Berlin und TU Berlin, um zu vermitteln, dass Designoptimierung mit und ohne Berücksichtigung der Kundenakzeptanz zu völlig unterschiedlichen Produkten führt. Gelebte Interdisziplinarität zwischen Ingenieuren und Künstlern! Und das zeichnet Dich aus: Du kennst keine Schere im Kopf, Du lebst uns die ständige Erweiterung des persönlichen Horizontes vor und zeigst uns, welchen Gewinn man davon hat.

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BURKHARD HELD DRIVE ON, 2017 Acryl auf Leinwand, 135 ∑ 180 cm

Burkhard Held ist seit 1993 Professor für Malerei an der Universität der Künste Berlin.




Der berufliche Höhepunkt für mich aber war unsere gemeinsame Zeit in der Leitung der Berliner Hochschul­ rektorenkonferenz. Du hast mir ein uneingeschränktes Vertrauen entgegengebracht und mich mit absoluter ­Loyalität begleitet. Auch hier war persönliche Freundschaft, die bis heute hält, die Basis. Ich glaube, es hat nur selten in der Geschichte der Berliner Hochschulen eine solch geschlossene Beutegemeinschaft gegeben. Selbst den damaligen Staatssekretär Nevermann konnten wir dafür gewinnen, mit uns zusammen nur einen gemeinsamen Gegner zu definieren, den damaligen Finanzsenator Nussbaum. Bei aller Ernsthaftigkeit der Aufgabe, Du hast dafür gesorgt, dass es sogar Spaß gemacht hat. Taktisch geschickt setztest Du ab und zu mal Dein Bedürfnis ein, Deine Pfeife zu rauchen, um die Spannung wieder aus der Diskussion zu nehmen. Auch das ist unvergessen. Was macht Dich in all diesen Situationen aus? Du hast eine enorm in sich ruhende und ausgeglichene ­Persönlichkeit. Ich habe Dich nie laut oder aggressiv erlebt. Und das schwächt Dein Gegenüber. Du hast ein enormes Wissen, deshalb bist Du inhaltlich schwer angreifbar. Du hast Humor, und Du weißt ihn gut dosiert zum ­Guten der Sache einzusetzen. Und Du legst bei allem großen Wert auf Menschlichkeit, fairen und respektvollen ­Umgang. Lieber Martin, danke für die gemeinsame Zeit. Bleib gesund! Finde tolle neue Aufgaben für den Unruhezustand. Dein Jörg

Prof. Dr.-Ing. Jörg Steinbach war von 2010 bis 2014 Präsident der Technischen Universität Berlin, seit 2018 ist er Minister für Wirtschaft und Energie des Landes Brandenburg.

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KARL MAX EINHÄUPL LIEBER MARTIN,

es ist mir eine Ehre, dass mir als Freund und Kollege ein kleiner Beitrag in dieser Festschrift zu Ehren Deines Abschiedes ermöglicht wird. Wir hatten viele gemeinsame „Projekte“. Eines aber war Dir wie mir besonders wichtig. „Der Anfang war eine feine Verschiebung in der Grundeinstellung der Ärzte.“ Das war das Urteil von Leo ­Alexander, einem aus Deutschland vertriebenen Neurologen und Sachverständigen im Nürnberger Ärzte­­prozess, der die Verbrechen der deutschen medizinischen Forschung – auch unter Beteiligung von Wissenschaftlern der Charité – in der Zeit des Nationalsozialismus bewertete. Eine systematische, umfängliche und nach­­haltige ­Auseinandersetzung damit gab es in der Charité jedoch nicht. Das interdisziplinäre Projekt ­„GeDenkOrt.­Charité – Wissenschaft in Verantwortung“ entstand deshalb in Zusammenarbeit der Charité und der Universität der Künste Berlin, um Versäumnisse der Vergangenheit in der historischen Aufarbeitung der Rolle der Charité in der Zeit des Nationalsozialismus zu korrigieren. Ein gemeinsames Anliegen war es, mit der Einrichtung eines Gedenkortes – dem „GeDenkOrt.Charité“ – eine auch öffentlich wahrnehmbare Haltung zum Ausdruck zu ­bringen: Die universitäre Medizin sollte konkret darauf verpflichtet werden, sich in Forschung, Lehre und ­Krankenversorgung mit der nationalsozialistischen Geschichte der Charité auseinanderzusetzen. In Deutschland und insbesondere in Berlin sind der deutschen Vergangenheit zahlreiche Denkmäler gewidmet. Das Aufstellen eines weiteren Denkmals entsprach jedoch nicht dem gemeinsamen Anspruch, die Vergangenheit erfahrbar und lebendig zu machen. Es sollten nicht bloß die Erinnerungen versteinert werden, sondern vielmehr ein dynamisches Format entstehen, das die Geschichte an einem authentischen Ort viel intensiver vermitteln kann, eine Beziehungen zur Gegenwart und Zukunft herstellt und damit auch die in der modernen Medizin immanenten Gefährdungen thematisiert. Gemeinsam mit Künstlerinnen und Künstlern der Universität der Künste Berlin und Wissenschaftlern und ­Historikerinnen der Charité, wurde der Prozess des Gedenkens und Erinnerns verändert. Die Heraus­forderung lag vor allem darin, eine angemessene Form für die Aufarbeitung der Geschichte unter Einbeziehung der Kunst zu entwickeln. Es musste schließlich an eine Zeit erinnert werden, in der die Wissenschaft einen unbestreitbaren Beitrag zum Leid vieler, vieler Menschen geleistet hat. Bereits zu Beginn stand fest, dass eine trans­ parente und öffentliche Auseinandersetzung mit dem Kapitel der dunklen Charité-Geschichte überfällig ist. Der ­Stellenwert der Kunst für dieses Projekt war uns gemeinsam früh klar. Eine enge Beziehung zwischen Medizin und Kunst gibt es schon seit der Antike. Die medizinische Ausbildung beginnt mit dem Studium der Anatomie. Große Bildhauer und geniale Maler waren immer auch scharfsichtige Anatomen. Es war niemand geringeres als Leonardo da Vinci, der uns einen neuen, akkuraten Blick auf den menschlichen Körper schenkte. Schmerz und Krankheit haben in der Geschichte der Menschheit bis heute immer wieder zu künstlerischer Gestaltung angeregt. Kunst kann anders auf den Menschen sehen als die naturwissenschaftliche Medizin. Gesellschaftliche

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Normen ­werden durch einen faszinierten, voyeuristischen und fachlich distanzierten Blick auf das so ­genannte Andere und ­Abnorme plötzlich anders wahrgenommen. Ihre Mittel sind Ästhetisierung, Stigmatisierung, ­Verächtlichmachung oder mitunter Humor. Schon vor acht Jahren gab es eine Arbeit von Studierenden der Universität der Künste Berlin, die zentrale ­Fragen des menschlichen Leidens mit ihren Installationen am Charité Campus Mitte künstlerisch thematisierte. Sie sind im Rahmen eines Seminars von Wolfgang Knapp am Institut Kunst im Kontext entstanden. Ein weiteres Beispiel für die Zusammenarbeit beider Einrichtungen entstand erst vor wenigen Jahren. 2017 wurden in­ ­einem künstlerischen Wettbewerb über 30 Entwürfe bewertet. Daraus entstand der Erinnerungsweg auf dem historischen Gelände am Campus Mitte. Historisch einschlägige Orte auf dem Campus der Charité werden mit sechs Stelen gekennzeichnet. Die Kunstwerke sollen die Betrachtenden sinnlich-ästhetisch ansprechen, die dabei ­erzeugten Assoziationen das Blickfeld erweitern. Und sie sollen nicht bloß erinnern: Sie sollen die Abwege wissenschaftlichen Handelns spürbar machen. Das Projekt „REMEMBER“ stammt von den Künstlern Sharon Paz, Jürgen Salzmann und Karl-Heinz Stenz. Die Stelen besitzen einen Barcode, der durch eine App gelesen werden kann. Zwei fiktionale Charaktere, eine Krankenschwester und ein Hausmeister, begleiten die Betrachtenden auf ihrer Zeitreise. Die Botschaft wird dabei klar: Das Kunstprojekt „REMEMBER“ setzt ein Zeichen für eine verantwortungsvolle Wissenschaft vom Leben. Wolfgang Knapp sagt dazu: „Analoge und medizinisch-technische Bildproduktionen ermöglichen und fördern vertieftes Wissen in der Medizin und aktualisieren den künstlerischen Blick auf den menschlichen Körper. Neue audiovisuelle Formen der Verbildlichung in der künstlerischen Praxis und im Design erweitern die inhaltlichen Potenziale des künstlerischen und medizinischen Handelns.“ Der „Erinnerungsweg REMEMBER“ und die Ausstellung „Der Anfang war eine feine Verschiebung in der Grundeinstellung der Ärzte. Die Charité im Nationalsozialismus und die Gefährdungen der modernen Medizin“ stellen zusammen den „GeDenkOrt.Charité – Wissenschaft in Verantwortung“, den Beginn eines kontinuier­ lichen Erinnerungsprozesses dar und bilden ihren vorläufigen Höhepunkt. Die Kunst hat der Charité geholfen: zu verstehen, zu erinnern, zu vermitteln, den Opfern Würde zu geben, zu warnen – vor jedweder Verschiebung in der Grundeinstellung der Ärztinnen und Ärzte. Dir und der UdK Berlin dafür zu danken ist mir ein großes Anliegen. Karl

Prof. Dr. med. Karl Max Einhäupl war von 2008 bis 2019 Vorstandsvorsitzender der Charité Universitätsmedizin Berlin.

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CARLA DELFOS DEAR MARTIN,

we have known each other for almost 30 years and whenever we speak we talk about the present and the future, we hardly ever look back. But now, the moment you are leaving as President of the Universität der Künste Berlin, it is appropriate to – briefly – look back at what actually happened in those past years … I could write a book about our working years together, but well, since words for my contribution are limited, I will stick to those moments that immediately came into my mind when I started thinking about you and your work in the past years. You and I met in 1991 in the impressive house of the writer Rogier Martin du Gard in Sérigny in France. Do you remember this beautiful room were also André Gide spent a lot of time? And is it indeed a pipe I see in your hand, Martin … ?? … In that house we started talking and until this day we haven’t stopped. The moment we met, we recognised each other in our shared values, approaches and, most importantly, our ­shared sense of humour. At that moment you were travelling around the world as a successful musician, and Dean of the College of Music of the Universität der Künste Berlin, I had just founded the European League of Institutes of the Arts – ELIA in 1990. What impressed me most in our first meeting in Sérigny was your firm believe in art, artistic values and artistic development, doubtlessly your raison d’être. I am not very certain about many things in life, but I am certain that this belief has always been and will always be your starting point, in everything you do. How can I better express your views than quoting your own words that you wrote in your contribution to the ­publication celebrating ELIA’s tenth anniversary in the year 2000, you wrote: “The art of speech has proved to be the most valuable achievement in mankind’s struggle to overcome the elementary dangers to its existence: the capacity to exchange experience, to draw from wisdom outside oneself, to venture jointly to new shores real or imaginary. The speech of art has proved to be the most valuable achievement in that other large and ongoing struggle of the humankind: the fight to overcome prejudice and learn to bridge those differences of culture, creed, origin or conviction that all too easily can turn into real and lethal dangers to all on earth.” From 1991 onwards you were a member of ELIA’s Board, and in 1994 you invited the ELIA Biannual ­Conference “Taken at the flood – Art in our Times”, it is possible to enter the political discussion by artistic means to ­Berlin. Together with an international group of experts, we developed a provocative programme with invited ­speakers such as Cicely Berry, Kristin Linklater, and Griselda Pollock. We successfully hosted 670 delegates from 35 ­countries in the Fasanenstraße in Berlin. During that conference, you were elected President of ELIA.

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ANNA ANDERS INTRUDERS, 2016 Videoprojektion, 12:01 min.

Anna Anders ist seit 2005 Professorin f체r die Grundlagen der Gestaltung des bewegten Bildes, Studieng채nge Visuelle Kommunikation und Kunst und Medien an der Universit채t der K체nste Berlin.




Your work in ELIA has been invaluable and led towards structured international cooperation between Higher Arts Education Institutions and Universities in Europe. We developed and organised many activities, think tanks and projects, but I anticipate that what we both enjoyed most was discussing ideas and identifying themes. ­Content-driven themes, including addressing dynamic reciprocity between the art forms; forward looking views on the role of Higher Arts Education in our societies and the political role artists could play in times of turmoil and conflict. Of course, the titles for our activities were always yours … We actively lobbied to convey the importance of art and artists in our societies and regularly went to Brussels and visited National Governments in order to make a passionate plea for investing in the creative sector and for recognising the value of the arts. During the time you were ELIA President, the war in former Yugoslavia was happening, and we were concerned and involved through our regular contact with the Rector of the Conservatory in Sarajevo, who was grateful for our moral support. He wrote to us that the Conservatory opened its doors every evening for the citizens of ­Sarajevo, and students and teachers gave concerts for free. Every evening it was packed with people. He wrote that those concerts were crucial and gave people the strength to continue and he ended this letter stating: “If you are looking for hell, ask the artist where it is. If you can’t find the artist, You are already in hell.” (Awigdor Pawsner, 1773 / Dean Jokanovic Toumin, 1993) But we also organised Thematic Networks, financed by the European Commission, investigating opportunities for Higher Arts Education in the Bologna Process. These Thematic Networks did not particularly interest you, but you listened to my reasoning, you saw their importance and you made them possible. These Thematic Networks, by the way, proved to be very successful and gave an important contribution to structuring an innovative, ­inspiring and transparent Higher Arts Education sector in Europe. That is indeed also one of your – sympathetic – strengths, to support initiatives you personally are not particularly keen on. But if someone manages to convince you of its importance, you do make it possible. Another example was in 2003 when you invited ELIA to organise the very first European conference on Artistic Research in the Universität der Künste Berlin. Artistic Research is not a topic that makes you very enthusiastic, but you supported it nevertheless and it became an important and memorable event, the first European conference on Artistic Research with many to follow. You did not make a secret of your view on Artistic Research, as you made clear in your opening speech when you went back to your old friend Shakespeare and quoted: “Re-search the Castle, I am missing a Corpse …”

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Your priorities in your work with ELIA were developing content and influence policy-making. Let me just ­mention the masterclasses in Amsterdam with György Kurtág, Franco Donatoni, Mauricio Kagel and the ELIA Biennial Conference in 1996 in Lisbon “Reflections on the Human Face” with Peter Sellars and Marlene Dumas. These were the years you still performed and I was deeply moved by the concert you gave for us during that conference in Lisbon, so beautiful, so concentrated, so you! Another unforgettable project we developed was the symposium “Confrontation and Conflict – the Challenge to the Arts in Times of Human Turmoil,” that we organised in 1996. We had planned to organise this symposium in Zagreb, based in the region where the Yugoslavian war, that I previously mentioned, was going on. Local art schools in former Yugoslavia asked us to support them in this devastating situation by organising an event in their region, a way for European art schools to express their solidarity. But two months before the event the art school in Zagreb, where the symposium would have taken place, was bombed. One student, a dancer, was killed, many were injured. We decided to change the venue and to go to the nearest safe place and that was Graz, just over the border. We invited controversial speakers like György Konrád, Doron Rabinovici, Judith Herzberg … Because of the ­political tensions you and I spoke to the Mayor of Graz and he decided to give police protection during the whole symposium, delegates were not aware of this. Delegates from all over Europe participated and the exciting and moving part was that delegates from Serbia as well as Croatia participated. With many hesitations and big silences they slowly started talking to each other, thanks to the skilled leadership of György Konrád, what an achievement! It was an amazing, delicate, intense and beautiful event that will stay in the memory of every delegate present for the rest of their lives. Together we visited many cities and always, wherever we were, we made long walks and our walking and talking was effective and productive and of course we stopped at nice terraces for the much-needed pipe smoking ritual … “What makes these people tick” was the first question you asked when we started a new project in some European city, “what matters to them, why do we want to do this, what do we want to achieve?” Without answers to these questions you would not start working on a project. When you left as ELIA President in 1997 you stayed in the ELIA Board and even when you left the Board in 1999 you continued to stay involved in developing ELIA activities and, as written in the beginning, you and I never stopped talking, about work, books, politics, family, friends, films and we never stopped laughing …

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In 2006 you were elected President of the Universität der Künste Berlin. This fitted your ambition perfectly, to facilitate talented young people to develop their talent and to strengthen the university into the confident, ­visible and inspiring institution it is today. Dear Martin, here you are at another crossroad: bidding farewell to a proud, strong and dynamic Universität der Künste Berlin and with unknown adventures ahead of you. In Exeter, when you handed over the ELIA Presidency, you spoke the immortal words “Here I am, I came as a prince, but I left as a worm …” But of course you did not leave as a worm but as a highly respected Past President, as you do now from the ­Universität der Künste Berlin. Antonio Machado wrote, “Traveller, there is no path, The path is made by walking …” I am curious where your next steps will lead you, but I am convinced it will somehow be based on art, artistic values and artistic development, how can it not be? It has been such a pleasure working with you all these years and I trust we somehow will continue to do so. I would like to end this small contemplation as you would end it, Martin, with a Shakespeare quote: “All the world’s a stage, And all the men and women merely players; They have their exits and their entrances; And one man in his time plays many parts.” Jacques in William Shakespeare’s “As You Like It,” Act 2, Scene 7 Carla Delfos

Carla Delfos, Gründerin und bis 2017 Direktorin der European League of Institutes of the Arts – ELIA, ist Mitglied des Hochschulrats der Universität der Künste Berlin.

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KLAUS-DIETER LEHMANN ALLES IST WECHSELWIRKUNG

Johann Wolfgang von Goethe hat immer wieder in seinen Schriften über das Eigene und das Fremde reflektiert. Er sagte: „Wir lernen die Menschen nicht kennen, wenn sie zu uns kommen; wir müssen zu ihnen gehen, um zu erfahren, wie es mit ihnen steht.“ Oder: „Die Existenzen fremder Menschen sind die besten Spiegel, worin wir die unsrige erkennen können.“ Die Zitate sprechen von der Erfahrung mit der Fremdheit und vom Nutzen der Wechselwirkung. Unser menschliches Zusammenleben ist letztlich eine kulturelle Leistung. Lange Zeit galt die Auffassung, Kultur sei ein „nice to have“, eine Spielwiese für Künstler und Intellektuelle. Doch ich bin der Auffassung: Zeitgenössische Literatur, Film, Performance, bildende Kunst oder Musik drücken politische, soziale und kulturelle Entwürfe aus, geben einen Eindruck von Hoffnungen und Ängsten. Kunst und Kultur sind eben nicht die Spielwiese für Künstler und Intellektuelle, sie sind ein essenzieller Teil der Gesellschaft, ihre Substanz. Die Auseinandersetzung von der Vielzahl der Perspektiven und der Austausch macht das Engagement für das Goethe-Institut, das weltweit tätige Kulturinstitut der Bundesrepublik Deutschland, dessen Aufgabe es ist, die Kenntnis der deutschen Sprache im Ausland zu stärken und die internationale kulturelle Zusammenarbeit zu pflegen, so wichtig. Als Präsident des Goethe-Instituts mit 157 Instituten in fast 100 Ländern bin ich so etwas wie ein Kulturbotschafter, der versucht, in beide Richtungen zu wirken – nach außen und nach innen. Innen und außen sind längst keine getrennten Welten mehr. Während es für das Goethe-Institut in den 1950er und 1960er Jahren darum ­gegangen ist, wieder Sympathie für ein neues Deutschland in der Welt zu wecken, und in den 1970er und 1980er Jahren die gesellschaftlichen Debatten und die Reflexion für ein selbstkritisches Deutschland eine wichtige Rolle spielten, war nach dem Mauerfall 1989 die Herausforderung, einer multipolaren Welt zu begegnen. Heute geht es verstärkt darum, in den zahlreichen Krisenregionen der Welt Frei- und Dialogräume verfügbar zu machen, Begegnungen zu ermöglichen, kulturellen Austausch und Koproduktionen zu initiieren, zivilgesellschaftliche Entwicklungen zu stärken und Infrastruktur für Kultur und Bildung zu etablieren. Die Diskursfähigkeit zieht sich dabei wie ein roter Faden durch die verschiedenen Phasen des Goethe-Instituts und auch die Erkenntnis, dass sich Kultur weder zum Wettbewerb der Systeme noch für eine Instrumentalisierung im Dienste der Hegemonie eignet. Kultur ist dann von gegenseitigem Gewinn, wenn sie sich öffnet, sich mitteilt, Kenntnis untereinander fördert, Wertschätzung von Vielfalt und die Gleichwertigkeit der Anderen zugrunde legt – dies auf der Grundlage von Freiheit der Kunst und der Wissenschaft. Dass weltweit verstärkt Freiräume und Rechte der Zivilgesellschaft eingeschränkt werden, ist leider kein ­neuer Befund – von neuer und dramatischer Qualität sind jedoch oft Ausmaß und Umfang. Angesichts dieser ­Entwicklungen sieht sich das Goethe-Institut zunehmend in der Verantwortung, seine Partner vor Ort zu unterstützen und international zu vernetzen sowie gemeinsam Programme zu entwickeln, die Freiräume bieten und

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BERND KOBERLING ERSCHEINUNG III, 2006 Acryl auf Kreidegrund auf Aluminium, 150 ∑ 150 cm

Bernd Koberling war bis 2007 Professor für Malerei an der Universität der Künste Berlin.




kulturelle Infrastrukturen stärken. Dazu gehören Austauschprogramme, Residenzprogramme, Koproduktionen und kulturelle Zusammenarbeit in Netzwerken. Es hat sich gezeigt, welch entscheidenden Beitrag kulturelle Beziehungen für das jeweilige Bild des Anderen beisteuern können, auch über politische Irritationen hinweg. Während die Politik sehr formalisierte Vorgehens­ weisen hat, die Wirtschaft ihre Interessen vertritt, kann die Kultur Prozesse anstoßen, bei denen Stillstand herrscht, Alternativen anbieten, wo Blockaden sind – einfach auch überraschend sein. Den kulturellen Dialog zu nutzen ist in Zeiten von Verwerfungen und Konflikten eine Chance, die genutzt werden sollte. Wir sehen Möglichkeiten des Verstehens und Verständigens durch Begegnungen und Austausch. Die Deutschen haben sich immer wieder in Grundsatzdebatten über ihre eigene Kultur geübt: Kulturnation, Nationalkultur, Leitkultur, kulturelle Identität, Willkommenskultur. Schon Kurt Tucholsky stellte in der „Weltbühne“ in den 1920er Jahren fest: „Nie geraten die Deutschen so außer sich, wie wenn sie zu sich kommen wollen.“ Aber inzwischen ist ein neues entspanntes Selbstbewusstsein zur eigenen Kultur entstanden. Eine Studie der Columbia University New York, bei der untersucht wurde, auf welchen Gebieten Länder am besten abschneiden, beurteilte die Qualität der Kunsthochschulen in Deutschland als ausgezeichnet. Das sehen offensichtlich auch viele Studierende aus dem Ausland so. Sie wählen dieses Land mit seiner vielfältigen Angebotssituation im Bereich der Lehre und Forschung bewusst aus. Aber was von außen so glanzvoll aussieht, im Vergleich zu anderen Ländern vielleicht auch besser da steht, hat strukturelle Schwächen in der kulturellen Bildung. Die künstlerischen Fächer werden in der schulischen Ausbildung immer stärker reduziert, Musik und Kunsterziehung werden gegenüber den naturwissenschaftlichen Fächern marginalisiert. Das hat ­negative Auswirkungen bei der Persönlichkeitsbildung, aber auch ganz unmittelbare Defizite beim musikalischen Nachwuchs selbst. Initiativen wie „Jedem Kind ein Instrument“ sind Rettungsversuche, um auf die Misere in der Ausbildung aufmerksam zu machen. Deutschland muss dringend in die kulturelle Bildung investieren. Es hat viel zu verlieren. Es geht bei diesem Thema eben nicht nur um die so genannten Landeskinder, es geht um die Menschen, die in Deutschland leben, studieren und arbeiten, sich für Deutschland temporär oder für immer entscheiden und sich kulturell positionieren. Deutschland ist nicht nur ein Zuwanderungsland von qualifizierten Fachkräften für die Industrie. 20 Millionen Menschen mit ausländischen Wurzeln leben in Deutschland: Gastarbeiter und deren Kinder, Spätaussiedler, Kriegsflüchtlinge, freiwillige und unfreiwillige Migranten. Es gibt unter den hier lebenden Migranten längst Musiker, Schriftsteller, Filmemacher und bildende Künstler nichtdeutscher Herkunft, die sich ganz selbstverständlich als Teil der deutschen Kultur verstehen. Die große Attraktivität, die Deutschland so anziehend macht, ist seine Offenheit, sind seine Gestaltungsmöglichkeiten. Es ist das Land, in dem die meisten internationalen Künstler leben und arbeiten. Die künstlerische Freiheit ist ein hohes Gut, ebenso die persönliche Freiheit. Sie sind das entscheidende Ferment. Berlin mit seiner kosmopolitischen Lebensform, seiner Diskurs­fähigkeit und seiner kulturellen Ausstrahlung tut ein Übriges, diese Auffassung noch zu steigern. Standpunkte zu teilen, das erfordert immer wieder aufs Neue, Gemeinsamkeiten zu beleben – und dabei nicht nur das Nützliche, sondern auch das Verständnis, die Empathie und den gegenseitigen Respekt in den Blick zu 37

nehmen. Emotionale Fragen benötigen emotionale Antworten.


Kunst und Kultur benötigen zudem Strukturen, um sichtbar zu sein und langfristig zu wirken. Der Aufbau kultureller Infrastrukturen, die den Künstlern nicht nur eine künstlerische, sondern auch eine ökonomische Zukunft geben, will das Goethe-Institut deshalb stärken. In den kommenden Jahren wird die Förderung der Kreativwirtschaft insofern eine immer größere Rolle für die Arbeit des Instituts einnehmen. Dafür ist auch die konsequente digitale Modernisierung der Sprach-, Bildungs- und Kulturarbeit erforderlich. Analoges und digitales Netz müssen zusammenwirken. Zugang zu Wissen stärkt die Eigenverantwortung und das Entstehen von Zukunftsentwürfen. Die Wege in der Arbeit des Goethe-Instituts wären nicht vollständig dargestellt, wenn wir nicht auch über die deutsche Sprache reden würden. 15,4 Millionen Menschen lernen die deutsche Sprache. Das Goethe-Institut ist der erste Ansprechpartner weltweit. Ein ungemein erfolgreiches Schulmodell ist die gemeinsame Initiative von Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA) und Goethe-Institut, Schulen – Partner für die Zukunft (PASCH). Inzwischen existieren etwa 1900 PASCH-Schulen in der Welt, von denen 700 vom Goethe-­Institut ­betreut werden. In den ausgewählten Qualitätsschulen des jeweiligen Landes werden deutsche Sprachabteilungen eingerichtet, die bis zur Hochschulreife führen, einheimische Lehrkräfte aus- und fortgebildet und die ­besten Schülerinnen und Schüler nach Deutschland in Sommercamps eingeladen. Auch das Mitdenken und Mitgestalten der Übergänge in eine universitäre Ausbildung ist Teil dieser Lernerbiografien. Die deutsche Sprache steht auch im Zentrum der Integration von Menschen, die Deutschland als neue Heimat gewählt haben, freiwillig oder gezwungenermaßen. Deutschland ist bereits seit Längerem Zuwanderungsland, und der Schlüssel zur Teilhabe ist die deutsche Sprache. Dies gilt übrigens auch für die Studierenden an den Kunsthochschulen. Natürlich ermöglichen gute Sprachkenntnisse zunächst einen persönlichen Zugang zum Gastland, zu kulturellen Möglichkeiten, zu Freundschaften, sie schaffen Bindungen. Das Goethe-Institut verfügt über wirkungsvolle Instrumente zur Sprachvermittlung, auch im digitalen Bereich. Durch die engen Kontakte zu den Herkunftsländern kennt es die kulturellen Mentalitäten, deren Kenntnis hilfreich für eine erfolgreiche Integration und einen tiefgreifenden Dialog ist. Der Anspruch der Internationalisierung der Universität der Künste Berlin, den Martin Rennert sehr klar formuliert hat, ist meiner Meinung nach deshalb sehr zu begrüßen. Ich halte nichts von der Diskussion, ob möglicherweise zu viel ausländische Studierende kommen, zumal etliche nach dem Studium das Land wieder verlassen. Es ist eine Bereicherung und ein gesunder Wettbewerb, der hier stattfindet. Die Studierenden nehmen viel von deutscher Kultur und Mentalität mit, von Sprache und Kontakten. Sie sind diejenigen, die zu potenziellen ­Partnern für uns werden. Umgekehrt gehen wir auch davon aus, dass unsere deutschen Studierenden in den Gastländern offen aufgenommen werden und zum kulturellen Dialog beitragen können.

Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann ist Präsident des Goethe-Instituts und Mitglied des Hochschulrats der Universität der Künste Berlin.

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GENSHAGENER KREIS LIEBER MARTIN, SEHR GEEHRTER HERR PROFESSOR RENNERT,

unsere heutige Gesellschaft braucht nichts so dringend wie den beständigen Mut zur Erneuerung und zur Veränderung, in der das kreative und innovative Wissen nicht nur zu wirtschaftlichen Erfolgen führt, sondern auch zum Aufbau und zum Erhalt einer funktionierenden Zivilgesellschaft. Um dies zu gewährleisten, gilt es Räume zu schaffen, in denen der freie Diskurs und die persönliche Begegnung über die Disziplinen hinweg möglich gemacht werden. Und es braucht Vorbilder, Vordenker und Gestalter, die – so wie der von Dir gern zitierte Brutus in Shakespeares „Julius Caesar“ – den richtigen Zeitpunkt zum Handeln erkennen: „There is a tide in the affairs of men. Which, taken at the flood, leads on to fortune; Omitted, all the voyage of their life Is bound in shallows and in miseries. On such a full sea are we now afloat, And we must take the current when it serves, Or lose our ventures.“ Act 4, Scene 3, 218–224 Unsere Idee, mit dem Genshagener Kreis ein Netzwerk junger Führungskräfte aus den Bereichen Wissenschaft, Wirtschaft, Kunst und Kultur für Berlin zu schaffen, hast Du ganz im Brutus’schen Sinne als Gründungsmitglied und stellvertretender Vorsitzender unseres Kuratoriums aus persönlicher Überzeugung proaktiv unterstützt und positiv begleitet. Als Präsident der Universität der Künste Berlin hast Du Dich dabei immer auch für die Notwendigkeit künstlerischer Interventionen stark gemacht, die durch neue Blickwinkel und überraschende Lösungen den Wandel fördern. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund Deiner eigenen Biografie hast Du immer wieder betont, wie wichtig es ist, gewohnte Denkmuster aufzubrechen und den Dialog über die Disziplinen hinweg zu fördern, um so zum Erhalt einer offenen Gesellschaft beizutragen. Du hast die „Genshagener Idee“ von Anfang an unterstützt, hast herausragende Teilnehmerinnen und Teilnehmer in das Programm „Berlin der Begegnung“ entsendet, warst Referent vor Ort auf Schloss Genshagen und bist den jungen „Genshagenern“ immer ein ­offener, neugieriger und kritischer Gesprächspartner. Unsere Gesellschaft braucht Vorbilder, Vordenker und Gestalter wie Dich, die die Gelegenheit beim Schopfe packen – möge Dir Kairos, der Gott der guten Gelegenheit, auch in Zukunft treu bleiben! Wir danken Dir im Namen aller Genshagener und wünschen Dir persönlich alles Gute!

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Prof. Dr. Detlev Ganten, Projektleiter, und Dr. Annette Welling, Geschäftsführerin, Genshagener Kreis


E. JÜRGEN ZÖLLNER

Bewusst wähle ich als ehemaliger Senator einen ungewöhnlichen Anfang für eine Festschrift. Ich beginne mit einigen Bemerkungen über mich, um deutlich und insbesondere glaubwürdig zu machen, warum aus meiner Sicht Martin ­Rennert ein hervorragender Präsident war und warum er mir persönlich heute noch so viel bedeutet. Meine gesamte berufliche Tätigkeit, als wissenschaftlicher Assistent, Professor, Präsident einer Universität und dann als Minister bzw. Senator über zwei Jahrzehnte für den Wissenschaftsbereich, habe ich in und für die ­Wissenschaft verbracht. Motivation und Antrieb war stets die Überzeugung, dass wir heute nicht in einer ­Wissens-, sondern in einer Wissenschaftsgesellschaft leben. Wissen war in der gesamten Menschheitsgeschichte immer von zentraler Bedeutung. Heute aber leben wir nicht mehr nur in einer Wissensgesellschaft, sondern in ­einer Wissenschaftsgesellschaft. Denn das durch Wissenschaft generierte Wissen hat für die Gesellschaft ­deshalb eine besondere Wertigkeit, weil es systematisch nach bestimmten Regeln generiert wird. Stichworte ­dafür sind: Hermeneutik, Reproduzierbarkeit, Falsifikation, Tatsachentreue. Dieses durch Wissenschaft ­generierte Wissen durchdringt alle Lebensbereiche, den persönlichen, den beruflichen und den gesellschaftlichen. Wissenschaft liefert auch einen entscheidenden Baustein dafür, dass Politik und Gesellschaft uns zukunfts­fähig machen ­können. Jede wissenschaftliche Erkenntnis ist stets beschränkt durch die subjektive Fragestellung und durch die angewandte Methode. Sie vermittelt keine endgültigen Wahrheiten. Denn es ist in der DNA der ­Wissenschaft verankert, ihre eigenen Erkenntnisse anzuzweifeln und gegebenenfalls zu revidieren. Wissenschaft kann uns darüber hinaus nie vermitteln, was sein soll. Denn wissenschaftliche Ergebnisse selbst sind wertfrei. Dies ist kein Widerspruch zu der Forderung, dass sich der Wissenschaftler an einem Wertegerüst orientieren muss, ­insbesondere in der Auswahl seiner Theorie, Fragestellungen und Methoden. Das Ergebnis ist dann aber weder gut noch schlecht, sondern nur richtig oder falsch. Nur die Kunst kann uns helfen, diese in der Wissenschaft selbst liegenden Beschränkungen aufzubrechen. Nur im Zusammenspiel zwischen Wissenschaft, dem Versuch eines objektiven Blicks auf die Welt, und der Kunst, mit dem bewusst subjektiven Herangehen an das Sein, haben wir die Chance, etwas mehr von dem zu erfassen, was wirklich ist, sein sollte, sein könnte. Wissenschaft und Kunst zu fördern, sie zueinander und zusammen zu bringen, ist also eine der wichtigsten Aufgaben, um ins Offene zu finden und weitere mögliche Welten zu entdecken. 2006 eröffnete sich nun die aus meiner Sicht einmalige Chance durch das Angebot Klaus Wowereits, in Berlin die Wissenschafts- und Kulturpolitik an dem dafür attraktivsten Platz in Deutschland zu verantworten. Leider scheiterte dies, da aufgrund der Verfassung von Berlin damals die Zahl der Ressorts eng begrenzt war. Ich musste anstelle der Kultur neben der Wissenschaft die Verantwortung für die Schule übernehmen. Glücklicherweise lernte ich dann den Präsidenten der Universität der Künste Berlin, Martin Rennert kennen. Sehr schnell kamen wir uns näher. Es sei an dieser Stelle zugegeben, dass dabei ein Laster, das wir beide teilen, sicher hilfreich war: Wir sind beide Pfeifenraucher. Bei Sitzungsunterbrechungen konnten die beiden „Ausgestoßenen“ sich ­wunderbar vertraulich und bald vertrauensvoll vor der Tür austauschen. In diesen persönlichen Gesprächen, aber auch in den dienstlichen Besprechungen entdeckte ich sehr schnell unsere tiefe Geistesverwandtschaft.­

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AI WEIWEI SELFIE, 2015

Martin is devoted to his work and had a significant impact on the school. As an artist and a musician, he has a deep understanding of the importance of a liberal practice in art. Over the years, I have had the privilege of taking part in several insightful discussions with him. When I held the position of Einstein Guest Professor, Martin visited one of my classes and gave my students a music lesson. This was so impressive and will remain in my memory. He is sincere and a person of great conviction. As the UdK president, Martin cared most about education. Upon his retirement, we will miss him and I hope he has a great start to his next endeavor.

Ai Weiwei war von 2015 bis 2018 Einstein-Gastprofessor an der Universität der Kßnste Berlin.




Es beeindruckte mich tief, wie er sich für die Belange der Kunst einsetzte. Als Präsident der Universität der Künste Berlin hat er Herausragendes geleistet und an vielen Stellen seines Wirkens gezeigt, dass er ein – stets leiser und bescheidener – Avantgardist ist, der Neues denkt und Räume weitet und verwandelt. Nur einige wesentliche Aspekte dafür möchte ich im Folgenden aufzeigen; sie stehen beispielhaft für viele andere: Es ist im Wesentlichen sein Verdienst, dass sich unter seiner Präsidentschaft die Arbeitsbedingungen an der­ UdK Berlin in einem nicht zu erwartenden Maße weiter verbessert haben. Die deutliche Steigerung des Hochschuletats ist dabei nur ein, wenn auch maßgeblicher Beleg. Dies bildet eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die UdK Berlin heute eine international führende Rolle in der Ausbildung der klassischen Künste einnimmt. Darüber hinaus ist es ganz entscheidend seinem Einsatz und seiner Kreativität zu verdanken, dass die UdK Berlin sich dem Schlüsselthema „digitale Welt“ wirklich offen ausgesetzt und sich kreativ auf den Weg in die Zukunft begeben hat. Die Eröffnung neuer Tätigkeitsfelder, seien es Open Labs oder die Forschung zur ­sozialen Akzeptanz der digitalen Medien sind Beispiele dafür. Dies wird in Zukunft stark an Bedeutung gewinnen, und die UdK Berlin hat hier für sich früh und erfolgreich die richtigen Weichen gestellt. Ein besonderes Verdienst Martin Rennerts ist es, eine Begegnung und eine Verzahnung von Kunst und Wissenschaft auf gleicher Augenhöhe erreicht zu haben. Ein entscheidender Schritt ist dabei die oben erwähnte Öffnung für das Schlüsselthema „digitale Welt“. Diese Augenhöhe konnte nur einer Persönlichkeit wie ihm gelingen: mit einem tiefen Verständnis für beide Seiten, klaren Zielvorstellungen, verständnisvoll im osmotischen Perspektivenwechsel zur anderen Seite – und dennoch durchsetzungsstark. Die Graduiertenschule der UdK Berlin, der gemeinsame Antrag mit einer Universität zur Exzellenzinitiative (wobei in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung ist, dass er am Ende doch nicht erfolgreich war) und die überaus erfolgreiche Partizipation an Programmen der Einstein Stiftung Berlin sind objektive Belege dafür und wesentlich auch sein Verdienst. Er war Ideengeber oder griff Ideen kreativ auf, er war Motor und Gestalter, und er war feinsinniger Vermittler. Dass die UdK Berlin verfolgten Künstlern helfen konnte und kann – bekanntestes Beispiel ist der in China ­verfolgte Künstler Ai Weiwei, den Rennert mit Unterstützung der Einstein Stiftung, deren Vorsitzender ich ­damals war, an die UdK Berlin berief –, ist nicht allein dem großen Gewicht der Universität, sondern wesentlich dem persönlichen Einsatz Martin Rennerts zu danken. Auch dies ist ein Beispiel für die unter Martin Rennerts Führung entwickelte Tiefenschärfe einer weit gedachten und konsequent mitmenschlich gelebten Verantwortungskultur der Universität der Künste Berlin. Ich kann nur hoffen, dass Berlin nach seinem Ausscheiden seine Fähigkeiten zum Wohle der Kunst und der Wissenschaften weiter zu nutzen versteht. Ich persönlich hoffe ganz egoistisch auf mehr Zeit für unsere persönlichen Begegnungen.

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. E. Jürgen Zöllner war von 2006 bis 2011 Senator für Bildung, Wissenschaft und 41

Forschung des Landes Berlin und maßgeblich an der Gründung der Einstein Stiftung Berlin beteiligt.


Impressum Herausgeber: Universität der Künste Berlin Idee, Konzept, Redaktion: Claudia Assmann, Marina Dafova, Norbert Palz Gestaltung + Fotos Gespräch: Marina Dafova Cover: Ausschnitt aus „Erscheinung III“ von Bernd Koberling, Repros: Marcus Schneider Foto Alexandra Ranner, „Wand“: Markus Bühler Foto Seite 17: Thomas Bohne Lektorat: Dr. Wanda Löwe Druck: Ruksaldruck GmbH & Co KG Papier: Munken Lynx + Rough Auflage: 150 Exemplare

© Verlag der Universität der Künste Berlin 2019 ISBN 978-3-89462-328-9 (Druck) ISBN 978-3-89462-330-2 (pdf) Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Einige der künstlerischen Arbeiten sind exklusiv für diesen Band entstanden.




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