unclesally*s magazine
Februar 2011 / Ausgabe 163
www.sallys.net
"Ich kam gut klar mit den Waldorf-Lehrern." (Mike Ness/Social Distortion)
BEATSTEAKS Cold War Kids /...Trail Of Dead / White Lies Anna Calvi / Mogwai / Joan As Police Woman Gang Of Four / Iron & Wine / Im Test: Get Up Kids
Spezial
MIKE NESS EIN MANN, EIN WORT
KINO
Im Interview: Jeff Bridges
Noch was: KINO / COMIX / COMPUTERSPIELE / DIE BESTEN PLATTEN / HÖRSPIELE / BÜCHER / DVDs
unclesally*s magazine
INHALT
No.163 – Februar 2011
INHALT/EDITORIAL
Seite 3
EDITORIAl 666
Na, habt ihr sie erkannt? Zum inzwischen sechsten Mal zieren die Beatsteaks zu ihrem mittlerweile sechsten Studioalbum unseren Titel – echt wahr. Beides.
Foto: Erik Weiss
Musik: Seite 38
Kino: Seite 52
SOCIAL DISTORTION
JEff Bridges
Was Social Distortion so besonders macht? Das ist einfach: Sie haben mit Mike Ness einen Frontmann, der diesen Titel auch verdient. Ein bewegtes Leben: Vom Knast zum Eigenheim, vom ziellosen Loser zum liebenden Familienvater und Ehemann. Ewiger Begleiter ist allein der Punk in seinem Herzen.
Mit seinen 61 Jahren ist er vielleicht nicht mehr der jüngste Hüpfer in der Traumfabrik, dafür ist ER momentan gleich mit zwei Filmen am Start. In „Tron: Legacy“ trifft er auf alte Bekannte, in „True Grit“, ja, irgendwie auch. Wir haben der Stoner-Ikone ein paar Zeilen mehr gewidmet, er hat es sich verdient.
04-07 Starter
Three Chord Society/ The Blackout Argument 33 Poster: Beatsteaks 35 Poster: Das Vollplaybacktheater 37 Iron & Wine/ Esben And The Witch/ Teitur 38 Social Distortion 42 Mogwai/ The Twilight Singers
04 Fu Manchu/ Robyn 06 Abby 07 60 Sekunden mit Rocko Schamoni
08-12 Musik Stories I
08 Cold War Kids 09 Hercules And Love Affair 10 Kaizers Orchestra/ Anna Calvi 11 White Lies 12 Funeral Party/ Joan As Police Woman
43 Reiseführer: Brighton
13 Auf der Couch mit Roger Miret
44 Im Test: Get Up Kids
Der Sänger von Agnostic Front und Roger Miret AndBen The Disasters gehört noch zu der Sorte MenFoto: Wolf schen, deren Ganzkörper-Tattoos über einen längeren Zeitraum als sechs Monate gewachsen sind. Lest mal, was der alte Mann zu erzählen hat.
14 Titel
Wenn Erwachsenwerden so geht wie bei den Beatsteaks, dann her damit. Doch entgegen aller Spekulationen haben sich die Berliner auch auf ihrer neuen Platte „Boombox“ nicht von ihrem jungenhaften Charme verabschiedet und weiterhin genügend Flausen im Kopf, um euch was davon abzugeben. Wir trafen nicht nur die Band, sondern auch langjährige Begleiter und Freunde der Jungs zum Gespräch.
22-28 Platten
Kann man ja nie genug haben...
29 Mixtape
Gang Of Four sind schon länger in der Musikwelt unterwegs, als viele von euch auf diesem Planeten weilen. Wenn die sagen, dass etwas hörenswert ist, dann hat das wirklich Wert, ne?!
30-32 Musik Stories II
30 ...And You Will Know Us By The Trail Of Dead 32 Moddi/ Times Of Grace/ Imaginary Cities/
Das altehrwürdige Seebad an der Küste Englands und ihr knutschend in der Geisterbahn - dann vielleicht mit British Sea Power.
Als wir die „Boombox“ öffnen wollten, kamen Michael Jackson, Elton John, David Bowie, Ozzy Osbourne und Flavor Flav herausgepurzelt. Immer für eine Überraschung gut, die Jungs – aber es ist ja Februar und damit in Teilen der Republik Narrenzeit. Warum der Spaß so wichtig ist und wie man ihn behält, damit am Ende wieder einmal großartige elf Songs dabei herauskommen, lest ihr in unserer sechsseitigen Titelgeschichte. Das waren jetzt schon drei Sechsen, wir haben aber noch mal drei im Heft versteckt. Unter allen, die sie finden, verlosen wir einen Sechserträger (verlosung@sallys.net). Ha, ha. Lachen ist schließlich gesund, also haben wir euch noch ein Making Of des Fotoshootings sowie ein Poster ins Heft gepackt. Doch der Februar hat noch mehr zu bieten: Punkrocker unter sich: Flo und Mike Ness hatten sich eine Menge zu erzählen – auch Lustiges. ...And You Will Know Us By The Trail Of Dead haben ebenfalls den Spaß für sich entdeckt und wer unseren Test zu „Regeln und Gesetzen“ mit den Get Up Kids ohne ein Schmunzeln durchspielen kann, der sollte beim Lesen unseres Redaktionscomics und Yessica Yetis Screenshot wenigstens einmal innerlich gelächelt haben. Nicht? Dann haben wir hier noch etwas für die ganz harten Fälle in den Tiefen unseres Archivs gefunden:
„There Are Rules“ heißt die neue Platte der Get Up Kids, und wir haben mal geprüft, wie gut sich die Herren mit Regeln und Gesetzen wirklich auskennen. Da können sie im Grunde nicht gewinnen, oder?
46-49 Auf Tour
Auch wenn ihr momentan noch mitten im imaginären Wintertiefschlaf stecken solltet, gilt selbiges nicht für den Kartenvorverkauf. Der läuft. Ihr solltet demnach auch die langfristige Konzertplanung nicht aus den Augen lassen.
50 In The Mix 51-59 Kino
51 127 Hours (Interview mit Danny Boyle) 52 Jeff Bridges im Interview 54 3 Fragen an... 55 Another Year/ The King’s Speech/ Hereafter 56 I Killed My Mother/ Picco 57 Shortcuts 58 Kino DVDs
62-66 Der Rest
60 Games 62 Comics 63 Hör-/Bücher 64 Kreuzworträtsel 65 Redaktionscomic 66 Vorschau/ Impressum/ Screenshots
Jede Menge Lachfalten mit dieser Ausgabe wünscht euer unclesally*s
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Neuigkeiten Heute auf: Afrikaans
Sterwendes en geskendes (Tote und Verletzte) CAPTAIN BEEFHEART
Don Van Vliet, Mastermind hinter der ebenso legendären wie einflussreichen AvantgardeTruppe Captain Beefheart & His Magic Band, verstarb im Alter von 69 Jahren an den Folgen von Multipler Sklerose.
KINGS OF LEON
Sechs Menschen kamen ins Krankenhaus, als der Tourbus von Kings Of Leon und mit ihm die Ladezone der Londoner O2 Arena in Flammen aufgingen. Das Konzert wurde vertagt.
NO USE FOR A NAME
Die Bauchspeicheldrüsenentzündung von Bassist Matt Riddle samt resultierenden Operationen sorgte für die Absage der No Use For A Name-US-Konzertreise.
Separaat en pouses (Trennungen und Pausen) HASTE THE DAY
Das dieser Tage erscheinende Album „Computers And Blues“ von Mike Skinner wird das letzte unter dem Projektnamen The Streets sein. Skinner hätte The Streets am liebsten schon vorher an den Nagel gehängt, musste aber seinen Plattenvertrag über fünf Alben erfüllen.
Lidmaatskapverandering (Mitgliederwechsel) GLASVEGAS
Schlagzeugerin Caroline McKay kündigte dem Bandalltag bei Glasvegas und wurde durch eine Dame namens Joanna Löfgren ersetzt. Die im Vorfeld gestellten Anforderungen an das neue Mitglied sind zu 100% erfüllt: Weiblich und schwedisch. Momentan arbeiten Glasvegas an einem Album, das bis zur Jahresmitte veröffentlicht werden soll.
JANE’S ADDICTION
Ex-Guns N’Roses-Ganzkörper-Tattoo Duff McKagan übergibt seinen Bass bei Jane’s Addiction an TV On The Radio’s Dave Sitek. Unterschiedliche Ansichten über die künstlerische Ausrichtung gaben den Ausschlag für den Wechsel.
Nuwe projekte en weersiens (Neue Projekte und Wiedervereinigungen)
Foto: Rankin
Im Anschluss an die laufende Tour legen Haste The Day ihre Instrumente nieder. Fünf Alben und zehn Jahre nach Gründung löst sich die Band auf.
THE STREETS
Fu Manchu Darf’s ein bisschen mehr sein? Fu Manchu verheißt Bedeutungsvolles. Ob nun als ewiger Roman-Charakter, der vergeblich versucht, die Weltherrschaft an sich zu reißen, oder eben als gleichnamige Stoner-Rock-Kapelle. Wobei Letzteren eher weniger an globaler Macht gelegen ist. Allerdings kann auch den langlebigen Heavy-Surf-Rockern ein klein wenig mehr Ruhm nicht schaden. Daher machen die vier verblieben Fu Manchus im Zuge ihrer Europatournee auch hierzulande für ein paar Konzerte Halt. Anfang März blasen sie ein wenig Wüstensand durch die deutsche Heide und beweisen, dass die Abnutzungserscheinungen nach zehn Studioalben und etlichen Mitgliederwechseln noch so ziemlich gegen Null tendieren.
AUF TOUR 12.3. Hamburg - Knust *** 13.3. Berlin - C-Club *** 18.3. Rostock - Mau Club *** 30.3. München - 59to1 *** 31.3. Wiesbaden - Schlachthof *** 1.4. Köln - Luxor
BIOHAZARD
Die reformierten Biohazard arbeiten seit nunmehr sechs Jahren an ihrem neuen Album. Das Werk soll uns den Frühling verzaubern.
BLUR
Telekom Street Gigs 2011 Saisonbeginn mit Robyn
Bei der feierlichen Eröffnung des neuen Telekom Street Gigs-Jahres wird niemand Geringeres als die aktuelle Königin des Elektro-Pop auftreten. Am 15. März spielt Robyn einen exklusiven Gig im TV-Studio 5 in Hamburg, wo sonst zum Beispiel die „Sesamstraße“ aufgezeichnet wird. Wer Robyn zu diesem speziellen Anlass und somit noch vor der offiziellen Tournee zu ihrer „Body Talk“-Albumtrilogie live erleben möchte, der bewerbe sich bitte unter telekom-streetgigs.de für Tickets. Gleiches Spiel wie immer: Die Karten gibt es nicht zu kaufen, sondern ausschließlich bis zum 10. März zu gewinnen zwei davon übrigens auch auf sallys.net Es fängt gut an, das neue Telekom Street Gigs-Jahr. Aber die Erwartungen sind groß, schließlich fanden die Konzerte der Street Gigs-Vergangenheit schon unter anderem in einer Kletterhalle (Madsen), im ehemaligen Berliner DDR-Funkhaus (Fettes Brot) oder auf dem Parkdeck der Koelnmesse (Phoenix) statt. Weiter so. Telekom Street Gigs mit Robyn * 15.3. Hamburg - TV-Studio 5 Tickets unter: telekom-streetgigs.de
Gerüchten zufolge beginnen Blur dieser Tage mit den Aufnahmen zu einer neuen Platte, die gegen Ende des Jahres veröffentlicht werden könnte. Es wäre die erste seit dem 2003er „Think Tank“.
THE BOTTLETOP BAND
In der Bottletop Band treffen sich Leute wie Super Furry Animals-Frontmann Gruff Rhys, Drew McConnell von den Babyshambles, Carl Barât (Libertines/Dirty Pretty Things) und Matt Helders von den Arctic Monkeys. Das Besondere: Die Mitglieder dieser Gruppierung spielen in wechselnder Besetzung Songs ein, deren Erlöse an eine Organisation zur Förderung von Arbeitsplätzen und Bildung in Afrika, Brasilien und Großbritannien fließen.
THE FLAMING LIPS
Ein frischer Song pro Monat soll in diesem Jahr das Flaming Lips’sche Studio verlassen, in akustischer sowie in audiovisueller Form als filmische Aufnahme der Aufnahmesession. Am Ende steht ein Film über den Produktionsprozess, der im Winter seine Vollendung findet.
GIL SCOTT-HERON & JAMIE SMITH
The XX-Mitglied Jamie Smith und Musiker und Dichter Gil Scott-Heron veröffentlichen dieser Tage „We’re New Here“, ein gemeinsames Album mit „urban electronic music“. Scott-Heron
gilt als einer der Wegbereiter von HipHop und Rap („The Revolution Will Not Be Televised“, 1969), der sich Anfang der Achtzigerjahre weitestgehend aus dem Musikgeschäft zurückgezogen hatte. Basis für die Zusammenarbeit stellt Scott-Herons 2010er Comeback-Album „I’m New Here“ dar.
KYUSS
Die unter dem Namen Kyuss Lives! zu drei Vierteln wieder vereinten Kyuss planen, im Anschluss an die laufende Tour ein neues Album aufzunehmen. Ex-Gitarrist Josh Homme (Them Crooked Vultures, Queens Of The Stone Age) sei nicht zur Reunion eingeladen worden, da man sicher sei, dass dieser nicht zur Teilnahme bereit wäre, so Frontmann John Garcia.
THURSTON MOORE & BECK
Sonic Youth-Kopf Thurston Moore spielte in Becks Homestudio ein neues Album ein, mit dessen Unterstützung an Gitarre, Mikro und Mischpult. Wann „Benediction“ erscheinen wird, bleibt noch offen.
NO DOUBT
Gwen Stefani reformiert No Doubt. Ein Nachfolger des zehn Jahre alten Werkes „Rock Steady“ wird dieser Tage aufgenommen.
SCREECHING WEASEL
1986 gegründet, setzen Screeching Weasel 2011 zur elften Wiedervereinigung der Bandgeschichte an. Zuletzt hatte sich die Truppe 2001 getrennt, für dieses Jahr steht ein neues Album auf der To-Do-Liste, Platte Nummer Zwölf.
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Das TUT GUT
Heute mit: SCHULE OHNE RASSISMUS
THE GASLIGHT ANTHEM
Die Aufnahmen zum fünften Album von Taking Back Sunday sind abgeschlossen. Im Frühling soll das erste Werk in Originalbesetzung seit etwa zehn Jahren erscheinen.
LYKKE LI
„When You’re Through Thinking, Say Yes“ kommt im März auf unsere Plattenteller.
Schwedische Töne kommen im März zu uns herüber, wenn Lykke Li ihr neues Album live und per Tonträger vorstellt.
NOAH AND THE WHALE
Im März erscheint mit „Last Night On Earth“ das dritte Werk der Briten Noah And The Whale.
Patenonkel Otto trifft Nagel auf den Kopf. SOR/SMC klingt lässig, aber noch lässiger ist, was es ist! Schule ohne Rassismus/ Schule mit Courage ist ein Projekt von und für SchülerInnen, die gegen Diskriminierung, Mobbing, Ausgrenzung, Homophobie und Rassismus vorgehen. Rund 500.000 Kinder und Jugendliche in der Bundesrepublik besuchen eine „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Mehr als 840 Schulen gehören diesem Netzwerk an. Damit ist SOR/SMC das größte Schulnetzwerk in Deutschland. Der Titel SOR ist kein Preis und keine Auszeichnung. Das Messingschild an der Schulpforte mit dem SOR/SMC-Logo ist eher eine selbst auferlegte Verpflichtung, aufzustehen, wenn es nötig ist und Courage zu zeigen, wenn gegen Schwule gehetzt, gegen Ausländer getreten oder geschickt manipuliert und gemobbt wird. Eine Schule, die diesen Titel trägt, ist Teil eines Netzwerkes, das sagt: Wir übernehmen Verantwortung für das Klima an unserer Schule.
TAKING BACK SUNDAY
Die Arbeit an der kommenden Platte hat begonnen. Gerüchte besagen, dass sie von den Dire Straits beeinflusst sei. Im Juni werden Brian Fallon & Co. drei Deutschland-Konzerte im Vorprogramm der wiedervereinigten Blink-182 bestreiten.
YELLOWCARD
Film en televisie (Film und Fernsehen) FOO FIGHTERS
PANIC! AT THE DISCO
„Vices & Virtues“ dürfen für den März erwartet werden.
Elf Regisseure suchen die Foo Fighters, um jeweils einen Song des kommenden Albums filmisch zu interpretieren. Auf http://thisvideosucks.foofighters.com darf jeder - in den Staaten lebende - seine Bewerbung samt Referenzmaterial einreichen.
QUEENS OF THE STONE AGE
TRENT REZNOR
Ein Nachfolger des 2007er Werks „Era Vulgaris“ ist in Arbeit. Frontmann Josh Homme will sich wieder mehr um die Band kümmern, nachdem in letzter Zeit eher sein Projekt Them Crooked Vultures im Fokus stand.
THE SOUNDS
„Something To Die For“ soll Ende März erscheinen. Ob dieses Album seinem Namen entspricht?
THE STROKES
Im März ist das vierte Studioalbum der Strokes zu erwarten. Das Geheimnis, wie der Nachfolger des 2005er „First Impressions Of Earth“ heißen wird, bleibt noch ungelüftet.
THE SUBWAYS
Seit Ende des letzten Jahres arbeiten The Subways im Studio an ihrem neuen Album, dem dritten der achtjährigen Bandgeschichte.
Hat sich eine Schule erfolgreich um den Titel “Schule ohne Rassismus“ beworben, geht’s auf die Suche nach einem Paten, der sie unterstützt, um das Projekt publik zu machen. Gerne genommen - aber schwer zu bekommen: Personen aus dem öffentlichen Leben, aus Kunst, Politik, Medien oder Sport oder das gute und auch noch nicht so alt aussehende unclesally*s! Die einzige “Schule mit Courage“, deren Pate wirklich ein prominenter Onkel ist, ist die Otto-Nagel-Schule in Berlin Biesdorf, und dieser Onkel sind wir!
Nachdem Trent Reznor bereits für David Finchers Film „The Social Network“ den Soundtrack produziert hat, setzen die beiden ihre Zusammenarbeit nun fort. „The Girl With The Dragon Tattoo“, Finchers US-Remake von „Verblendung“, wird Reznor musikalisch untermalen. Der Film mit Daniel Craig und Rooney Mara soll Ende 2011 in die Kinos kommen.
EMINEM
Mit „Random Acts of Violence“ soll Eminem laut NY Magazine vor die Kamera zurückkehren. Sein Schauspieldebüt gab der Musiker 2002 in dem Film „8 Mile“.
PETE DOHERTY
Der Libertines-Sänger dreht derzeit im französischen Bourg-en-Bresse seinen ersten Film. „Confession d’un enfant du siecle“ basiert auf dem gleichnamigen autobiographischen Roman von Alfred de Musset und wird Doherty in der Rolle des Protagonisten Octave zeigen.
DAS GUTE GESCHÄFT IN DIESEM MONAT ist:
Ihr wollt auch etwas tun? Ihr habt Lust, euch an eurer Schule gegen Rassismus und Ausgrenzung zu engagieren? Dann geht auf Schule-Ohne-Rasissmus.org, macht euch schlau und bewerbt euch. Mehr zum Thema: schule-ohne-rasissmus.org THE SHINS
Gitarrist und Bassist Dave Hernandez steigt nebenberuflich als festes Mitglied bei The Intelligence ein. Sowohl bei der Tour als auch auf dem kommenden Album der Garagen-Punk-Band wird er in Erscheinung treten. Zusätzlich bleibt Hernandez Frontmann bei Little Cuts und kann sicher nicht über mangelnde Beschäftigungsmöglichkeiten klagen.
SYSTEM OF A DOWN
Die im Jahr 2005 begonnene unbefristete Pause von System Of A Down ist im Sommer offiziell beendet. Eine Reihe von Festival- und ArenaKonzerten in Europa bringt die Band wieder zusammen. Wie es nach den Auftritten weiter geht, lassen System Of A Down offen.
VELVET REVOLVER
Nach dem Ausstieg von Frontmann Scott Weiland (Stone Temple Pilots) kehrte bei Velvet Revolver eine Ruhe ein, die in Kürze beendet sein dürfte. Die vier verbliebenen Mitglieder Slash, Duff McKagan, Dave Kushner und Matt Sorum proben mit verschiedenen potenziellen Sängern und wollen sich alsbald für einen Kandidaten entscheiden, um das nächste Bandkapitel aufzuschlagen.
Langspeelplate (Platten)
ARCTIC MONKEYS
Die Arctic Monkeys spiegeln sich dieser Tage in einer Studioscheibe in L.A., um dem Nachfolger von „Humbug“ aufzunehmen. Ab der Jahresmitte darf mit einem Ergebnis gerechnet werden.
DEATH CAB FOR CUTIE
Mit „Codes And Keys“ ist das siebte Studioalbum von Death Cab For Cutie im Kasten. Der Frühling wird es in die Läden bringen.
ELBOW
„Build A Rocket Boys!“ ist das fünfte Werk der britischen Band Elbow. Ab dem 15. April ist es zu haben.
FOO FIGHTERS
Mit Album Nummer Sieben ist das neue Werk der Foo Fighters gerade fertig, erzählt Dave Grohl. Es sei in seiner Garage komplett analog, ohne den Einsatz von Computern aufgenommen worden. Produziert hat das Werk Butch Vig, jener Kollege, der Grohl bereits bei den Aufnahmen von Nirvanas „Nevermind“ gegenüber saß.
Hier die Termine für drei Stunden Rock/Punk/Alternative Radio im UNCLESALLY*S NIGHTFLIGHT mit Flo im Februar, jeweils ab 0.00 Uhr (natürlich LIVE auf allen Frequenzen von Fritz und auf fritz.de, dort auch im Anschluss 24/7 als Loopstream!): Vom 3. auf den 4.2. & 17. auf 18.2. - um Mitternacht!
Bar 23
Lychener Straße 23 10437 Berlin
„Welche Bar rutscht nicht sofort in die Top-Rangliste aller Bars, wenn sie einen mit Freigetränken empfängt?! Als wir das erste Mal die Bar 23 be-traten, war genau das erfreulicher Weise der Fall. Ein Freund von uns arbeitete dort damals an der Theke, und auch wenn er das heute nicht mehr macht, lässt sich dennoch sagen, dass die Bar immer noch ein wunderbarer Ort ist, um ein bis fünf Feierabend-Bier zu trinken und mit dem einen oder anderen Freund den Abend ein- oder ausklingen zu lassen. Bar 23, Abby feiert dich!“
EMPFOHLEN VON:
ABBY
Abby kommen eigentlich aus einer Gegend, in der es kein Hochdeutsch gibt, wo junge Leute aber lernen können, wie man gute Pop-Songs schreibt. Genau das hat dieses Indie-Pop-Quintett getan und es damit in seiner jungen Karriere immerhin schon bis auf die Bühne des tollen Iceland AirwavesFestivals geschafft. Heimat: searchingforabby.com Auch gut: „Welcome Home“ – die neue EP von Abby
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60 SEKUNDEN mit:
ROCKO SCHAMONI
Er ist Musiker, Labelchef, Entertainer, Clubbesitzer - und Autor. Als solcher hat Rocko Schamoni 2007 mit seinem Roman „Sternstunden der Bedeutungslosigkeit“ den Hamburger Michael Sonntag zum Leben erweckt und schickt seinen Protagonisten auch in seinem neuen Werk „Tag der geschlossenen Tür“ durch den aberwitzigen Parcours der alltäglichen Nichtigkeiten. Wir haben uns gefragt, wie es um den Autor selbst bestellt ist. Ein Status-Check-Up im Schnelldurchlauf. Das letzte Mal im Urlaub gelangweilt habe ich mich... Ich fahre in den Urlaub, um mich endlich mal wieder zu langweilen.Ich langweile mich immer im Urlaub, ausgiebig und gerne. Mein Lieblingsmitglied einer königlichen Familie... Alle königlichen Familien gehören gefangen genommen und weggesperrt auf irgendeine Luxusinsel, auf dass die Menschen sie endlich vergessen können. Das letzte Mal zu viel getrunken habe ich... ...Samstag.
Das letzte Mal auf einer Party gelangweilt habe ich mich... Ich langweile mich nie auf Partys, Partys sind purer Stress, da gibt’s leider keine Langeweile. Mein soziales Horrorszenario in Bezug auf einen steckengebliebenen Fahrstuhl... ...mit Veronica Ferres und ihrem Mann. Wenn ich mal ein paar Tage das Haustier eines Prominenten sein könnte, wäre ich gern... ...ein Floh am Hals von Napoleon Bonaparte. Ich ekle mich vor... ...Politikern. Das letzte Buch, das ich gelesen habe... ...“Der Fürst“ von Machiavelli. Zuletzt für einen Witz geschämt habe ich mich... ...am Samstag auf der Schauspielhausbühne, mir fällt der Witz nicht mehr ein, so schlecht war er. Ein Film, für den ich gern die Musik schreiben würde, sollte davon handeln... …wie ein Mann einen Ozean trockenlegt, weil ihm seine Taschenuhr hineingefallen ist.
Das Erwachsenwerden auf dem Land hat mich insofern geprägt, als dass... …man auf dem Land alles selbst erfinden muss, dort gibt es nichts außer der eigenen Erfindungsgabe. Der schönste Satz, der je geschrieben wurde: Der ist geheim und ich würde ihn nie verraten! Heimat: rockoschamoni.de Foto: Dorle Bahlburg Auch gut: „Tag der geschlossenen Tür“ - der neue Roman von Rocko Schamoni
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MUSIK STORIES
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Cold War Kids Näher am Menschen
Demnächst im Stadion: Cold War Kids aus Long Beach, Kalifornien.
Mit dem neuen Album ’Mine Is Yours’ rückt das einst so niedlich verschrobene Indie-Kollektiv der Cold War Kids aus der eigens gegrabenen Nerd-Nische plötzlich ganz nahe an den Thron der Kings Of Leon. So was passiert nicht aus Versehen.
Kumpels von einst haben Familien, Unternehmen oder Kanzleien gegründet, den Komplettrückzug ins Privatleben inklusive. „Es schien“, so sagt Sänger Nathan Willett, „als wären wir die letzten Überlebenden einer ausgestorbenen Spezies, die letzten unserer Generation, deren Leben wenigstens noch einen Hauch von Risiko birgt.“
Glückliche Zufälle und spontane Geistesblitze auf der einen, bis ins Detail mit strenger Akribie durchgezogenes Selbstdiktat auf der anderen Seite: Die Cold War Kids verordneten sich für ’Mine Is Yours’ eine radikale Änderung der bandeigenen Road Map. Nach dem überraschenden Erfolg des Debütalbums ’Robbers & Cowards’ inklusive der Indie-Hymne ’Hang Me Up To Dry’ erntete der Nachfolger ’Loyalty To Loyalty’ durchwachsene Reaktionen, ein Umstand, der die Band nach der Tour zum Album zum Rückzug bewegt und zur Neujustierung ins heimische Long Beach verschlägt. Dort geht zunächst jeder der vier Freunde eigene Wege, um familiäre, freundschaftliche und Liebesbeziehungen wahlweise zu kitten, zu pflegen oder neu zu knüpfen. Nach fünf Jahren ausgiebigen Band- und Tourlebens sehen sich die Cold War Kids mit einem fast vollständig veränderten Umfeld konfrontiert: Die Trink- und Party-
Konfrontiert mit dem ihn umgebenden zwischenmenschlichen Glück und Unglück der Generation 30 Plus, tritt Willett ein in die Welt seiner Freunde, beobachtet deren Leben, vergleicht ihre Visionen und Träume mit den eigenen und taucht ab in seine Gedanken, in denen er das Erlebte analysiert, verarbeitet und in Songs wie ’Mine Is Yours’ oder Zeilen wie „I was sitting around like a Zombie, feeding my own face“ verwandelt: „In der Vergangenheit habe ich in Ermangelung persönlicher Erfahrungen wesentlich abstrakter und poetischer getextet, aber das reichte mir nicht mehr. Ich musste und wollte Geschichten erzählen, die etwas mit MIR zu tun haben, die MIR aus der Seele und dem Herz sprachen, und meine Bandkollegen haben diesen sehr persönlichen Wunsch abgesegnet.“ Die Songs, die der einstige Literaturstudent und Englischlehrer Willett mit seinen Insiderlyrics ausstatten durfte, behandeln aber
nicht nur das (Beziehungs-)Leben der anderen, sondern auch das eigene (’Chip The Charades’) oder das Verhältnis zu seiner Mutter, einer Psychotherapeutin (’Sensitive Son’). Den Soundtrack zu Willetts Reise ins Ich gestalteten die Cold War Kids – neben Nathan bestehend aus dem mit flinken Knopfaugen und riesigen Füßen gesegneten Bassisten Matt Maust, Gitarrist Jonnie Russell und Schlagzeuger Matt Aveiro – als opulentes und detailreiches Album, das in raren Momenten in der Tradition zum bandeigenen Trademark-Sound aus Blues, Rock, Americana, Soul und Weird-Folk steht, in Kombination mit Willetts sphärischen Vocals aber deutlich in die Breite geht. Offensichtlich haben sowohl Nashville als Geburtsort eines Großteils der Stücke als auch die Wahl von Jacquire King (Tom Waits, Modest Mouse, Kings Of Leon) nachhaltig auf den Sound der Cold War Kids abgefärbt, deren einst rougher und angenehm verspielter Klangpark heute deutlich geschliffener aus den Boxen rollt als je zuvor. Der Generation 30 Plus könnte das durchaus gefallen. Text: Flo Hayler Heimat: coldwarkids.com
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MUSIK STORIES
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Hercules And Love Affair
Es geht auch ohne Antony „Ich habe ihn nie gefragt, ob er noch einmal dabei sein will, denn er hat immer sehr deutlich gemacht, dass er dazu nicht bereit wäre.“ Wenn man Andrew Butler auf Antony Hegarty anspricht, klingt der kreative Kopf von Hercules And Love Affair ehrlich traurig. Auf dem ersten Album hatte der Antony And The Johnsons-Sänger seine unverwechselbare Stimme noch auf einigen Songs erklingen lassen und damit dem New Yorker Dance-Projekt einen ordentlichen Aufmerksamkeitsschub verpasst. Doch für den Nachfolger ‘Blue Songs’ musste Butler nun ohne seinen Freund und Mentor auskommen: „Er fand schon damals, dass er für einen Gastsänger zu viel Aufmerksamkeit auf sich zog und wollte, dass ich endlich selber flügge werde. Lieb gemeint, aber ich empfand das trotzdem als schmerzhaft.“ Der Schmerz ist auf ‘Blue Songs’ nicht zu überhören, etwa bei der betörenden Nummer ‘Blue Song’, mit der Butler sich erstmals selbst am Mikro versucht. Sein eigentlicher Platz ist allerdings nach wie vor an den Reglern von Mischpult und Synthesizer, so dass alle aufatmen können, die befürchtet hatten, Hercules’ Liebesaffäre mit dem Dancefloor sei beendet. Mehr noch als Disco stehen dieses
So sahen sie aus, die Achtziger: Hercules And Love Affair.
Mal House-Einflüsse im Vordergrund, wunderbar eklektisch gemischt mit Traummelodien, glamourösem Pop und besagter, durchaus sperriger Melancholie. Als Sänger neu dabei sind – neben Butlers langjähriger Wegbegleiterin Kim Ann Foxman sowie einem kurzen Gastspiel von Kele Okereke – der New Yorker Shaun Wright und die venezolanische Wahl-Berlinerin Aerea Negrot. Letztere ist mit ihrer markant-androgynen Stimme als Ersatz für Antony wie gemacht und nicht nur für den umwer-
fenden Opener ‘Painted Eyes’ verantwortlich. Vor allem aber ist sie, genau wie Shaun, viel mehr als nur Gast, wie Butler begeistert berichtet: „Die beiden gehören mittlerweile zu meiner Familie, nicht zuletzt weil sie – anders als Antony – auch auf Tour mit dabei sind. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es eine andere Band gibt, deren Mitglieder sich emotional so nah sind. Das ist für mich ein neues Gefühl – und ich liebe es.“ Text: Patrick Heidmann Heimat: inlovewithhercules.com
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MUSIK STORIES
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Passt schon, denn was Kaizers Orchestra planen, ist dieser Tage nichts Ungewöhnliches: Eine Albumtrilogie verteilt über zwei Jahre, lautet der Plan, und einen ähnlichen haben zuletzt unter anderem die Eels umgesetzt. Aktuell versuchen sich Badly Drawn Boy daran. In bester Gesellschaft sind sie also, die Jungs aus dem hohen Norden Europas: „Stimmt schon, aber von den ähnlichen Plänen der anderen Leuten wussten wir nichts“, bekräftigt Ottesens Kollege, Kontrabassist Øyvind Storesund. „Die Sache dreht sich bei uns vielmehr um ein Mädchen namens Violeta, und das kann man mit einer Platte allein nicht abhandeln.“
Waren in der Maske. Kaizers Orchestra aus Norwegen.
Kaizers Orchestra Aller guten Dinge sind drei
„Größenwahn my ass“ oder noch besser: „Wie Kaizers Orchestra aufs Mittelmaß pfeifen und mit ’Violeta Violeta’ Teil eins ihrer großangelegten Albumtrilogie ins Rennen schicken.“ Warum es ein Dreierpack sein muss, erklären die Jungs – einmal losgelassen – mehr als ausführlich. Ein Blick aus dem Fenster, kurz durch die frisch gestutzten Haare gefahren und schon geht sie los: Die offizielle Geschichtsstunde von und mit Kaizers Orchestra. Zu erzählen haben die wackeren Norweger eine Menge, und Sänger Janove Otte-
sen weiß auch gar nicht, wo er anfangen soll: „Ich glaube, uns haben die letzten zwei Jahre als Band unheimlich weiter gebracht und deswegen ist es Zeit für das offizielle Kaizers Opus Magnum – wir hoffen, ihr seid bereit dafür?“
Die Story zusammengefasst: Violetas Eltern lassen sich scheiden, die Mutter dreht durch, landet in psychiatrischer Behandlung und der Vater kidnappt aus Schuldgefühlen heraus die gemeinsame Tochter – um die Flucht und die Situation der verlassenen Mutter drehen sich alle drei Longplayer und darauf ist Ottesen stolz wie Oskar: „Es war schon immer ein Traum von mir“, erzählt er und schnappt sich einen Keks vom Tisch, „eine ganz große Geschichte mit vielen Irrungen und Wirrungen zu erzählen.“ Glückwunsch dazu – aber was passiert, wenn die Sache beim zweiten Teil keinen Spaß mehr macht? „Wir haben alles im Kasten und machen uns vielmehr Gedanken darüber, ob IHR in einem Jahr noch Bock darauf habt!“ Keine Sorge, zu solch tollem Indie-Rumpel-Rock und clever ausbalancierten Geschichten kann wirklich niemand nein sagen. Von der Band ganz zu schweigen. Text: Marcus Willfroth Heimat: kaizers.no
Anna Calvi
Schüchternheit aus Prinzip Zwei Herzen schlagen in Anna Calvis Brust: Eines, das sie als Sängerin fühlen lässt und ein anderes, das sie als Privatperson ausmacht. Mit ihrem selbstbetitelten Debütalbum lernen wir beide kennen – die schüchterne und die aufbrausende Seite der Newcomerin der Stunde. Man mag es kaum glauben, kann sich die Transformation nicht wirklich erklären und rätselt, ob gegenüber wirklich die Person sitzt, deren neues, erstes Album man eben noch gehört hat. „Emotionen auszuleben, geht für mich am besten über die Musik“, erklärt Anna Calvi, während sie sich an ihre Kaffeetasse klammert als sei der Becher ein tragendes Element. „Ich würde mich eher als zurückgezogen beschreiben, nachdenklich und ja, irgendwie auch als etwas scheu gegenüber fremden Menschen.“ Gut zu wissen, denn wer Anna Calvi im vergangenen Jahr im Vorprogramm von Grinderman gesehen hat, wird diesen Ausführungen kaum glauben schenken: Da legte die zarte besaitete Engländerin eine Performance an den Tag, die vor lauten, aufheulenden Gitarrenriffs nur so strotze. PJ Harvey habe endlich eine würdige Nachfolgerin gefunden, hieß es sofort, und die britische BBC nominierte Calvi postwendend für den „BBC Sound of 2011“-Award als beste Newcomerin. Mit 28 Jahren
Scheu aber oho: Anna Calvi.
scheint sie nun endlich angekommen: „Eine halbe Ewigkeit habe ich an meinem Debüt gearbeitet und nenn es, wie du willst: Dark-Wave, Bolero-Rock oder einfach Pop-Musik – hier drin steckt alles, was mich ausmacht, alle Emotionen und Gefühle“, erzählt sie verschüchtert drein blickend. Nicht nur Nick Cave, auch Ex-Roxy Music-Ikone Brian Eno ist begeistert von Calvi und protegiert die Dame aktuell wo es nur geht – Unrecht haben sie damit freilich nicht: ’Anna Calvi’, so der simple Titel des Debüts, ist ziemlich großes Kino, besitzt tatsächlich PJ-Harvey-Anleihen, störrische Tunes und
weltmusikalische Einflüsse. Kurzum: Talent, soweit das Auge reicht. „Ich weiß, dass ich abseits der Bühne nicht die extrovertierte Frau bin, die viele in mir vermuten würden. Was aber zählt, ist das, was mich mit meiner Musik verbindet.“ Womit wir das geklärt haben dürften: Anna Calvis kann beides sein: aufbrausend und ruhig zugleich. Text: Marcus Willfroth Foto: Emma Nathan Heimat: annacalvi.com
Leben nach dem Tod: White Lies.
White Lies
Und Jungen weinen doch...! Das ‘lebensbejahende‘ Geschunkel von Harry McVeign, Jack Lawrence-Brown und Charles Cave geht mit der aktuellen Single ‘Bigger Than Us’ und dem neuen Album ‘Ritual’ endlich in die zweite Runde. Die beiden ersteren der besagten Herrschaften erklären hier, was es mit der neuen Platte auf sich hat, warum ‘Toy Story 3‘ einer der emotionalsten Filme 2010 war und was Cola und Nikotin-Inhalatoren gemein haben. Anfang letzten Jahres haben sie mit dem Songwriting begonnen, kein Jahr später sitzen wir schon gemeinsam auf der Couch und reden darüber. Fünf arbeitsreiche, schnelle Wochen und die Songs stehen; sechs weitere und das Album ist im Kasten. Auf die Frage, warum sie es so eilig hatten, erklärt Jack ganz selbstverständlich: „Wir waren so lange auf Tour, dass wir uns einfach auf die Studiozeit und den kreativen Part unseres Musiker-Daseins gefreut haben. Wir wollten Tag und Nacht nichts anderes machen.“ Ehrgeizig und zielorientiert wie eh und je also. Und auch die Themen sind noch immer dieselben: Es geht um Emotionen, Religion, Frieden und Leidenschaft. Warum aber der Albumtitel ‘Ritual’? „Weil all diese Themen mit Ritualen zu tun haben. Dinge, die Teil unseres Alltags sind, die immer wieder nach den gleichen Mustern ablaufen“, erklärt Jack. Und zumindest Harry weiß von eigenen täglichen Gepflogenheiten zu berichten: „Ich brauche morgens auf jeden Fall meine Cola, um richtig wach zu werden, und kurz vor dem Zubettgehen meinen Nikotin-Inhalator, weil ich gerade versuche, das Rauchen aufzugeben.“ Gut, aber um noch mal auf das Thema Emotionen zurückzukommen: Wann war eigentlich das letzte
Mal, als die Jungs so richtig geweint haben? „Bei ‘Toy Story 3’“, platzt Harry heraus, und kontert meinen etwas verdutzten Blick mit folgendem Erklärungsversuch: „Ach, das verstehen Mädchen nicht, ist eher so ein Jungen-Ding. Immerhin ist es doch das Ende der Kindheit, wenn man sich von all seinen Spielsachen trennen muss.“ Jack scheint weniger gerührt, dafür umso amüsierter. Jedenfalls dauert es eine Weile, bis er antworten kann: „Ich weine im echten Leben fast nie. Aber erst letzte Nacht war ich immerhin kurz davor. In England war gerade Guy Fawkes Night und wir auf dem Weg nach Berlin. Als das Flugzeug abhob, konnte man deshalb über ganz London dieses Feuerwerk sehen, einfach atemberaubend.“ Harry versucht sich noch einmal zu rechtfertigen: „Aber eigentlich sind wir ganz harte Jungs, und von jetzt an weinen wir nie wieder.“ Ach, dürft ihr ruhig - wir finden das nämlich eigentlich ganz süß... (und das ist jetzt wahrscheinlich eher so ein Mädchen-Ding). Text: Stephanie Johne Foto: Ben Murphy Heimat: whitelies.com
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MUSIK STORIES
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Wahl-New Yorkerin nicht mit intimen Einblicken in ihr Privatleben. Das Visier stets geöffnet, singt sie im Kreise von Joan As Police Woman ohne große Mühen und Anstrengungen über ihr Inneres und das Gefühlschaos, das dort ohne Aussicht auf Kündigung des Mietverhältnisses zu wohnen scheint. „Mir ist durchaus bewusst, dass meine Platten manchmal zu ehrlich sind – aber andererseits: Wer nichts von sich preis gibt, dem wird die Welt nichts zurückgeben.“ Erklärt eine Frau, die gerade ihre Mutter verloren hat, laut eigener Aussage die Midlife-Crisis begrüßt und mehr miese Beziehungen hinter sich hat als ihr lieb sein dürften. Nachzuhören auf dem neuen, durch und durch fantastischen Album ‘The Deep Field‘.
Lieber ohne Uniform: Joan Wasser.
Joan As Police Woman Gefühlschaos bestens geordnet
Sie kann es nicht lassen. Selbst wenn Joan Wasser mit ihrem Projekt Joan As Police Woman gerne über Gott und die Welt singen würde: Auch das neue Album ‘The Deep Field‘ ist eine intime Beichte ihrer selbst. Und doch irgendwie anders. „Warte, bin gleich so weit“, bittet Joan Wasser um Geduld und neugierig versucht man zu erspähen, warum die sonst so robust auftretende Songwriterin das vor ihr befindliche Paket wie ein klei-
nes Kind bewundert: „Endlich, da ist es! So lange musste ich warten“, erklärt sie, ohne es vom Styropor zu befreien – es bleibt also ihr Geheimnis, was sich darin verbirgt. Ansonsten aber spart die
In unfassbar tollen Songs unternimmt sie eine Reise in die eigene Vergangenheit, stellt schlaue Gleichnisse zwischen sich und der Welt auf und findet am Ende irgendwie doch das berühmte Quäntchen Glück, das das Leben so angenehm macht. Gepaart mit Songerwriter-Pop und erstaunlich kräftigen Gesangspassagen ist dieses Werk der vorläufige Höhepunkt in der Karriere von Joan As Police Woman. „Danke“, grinst sie verlegen, „es ist schön, wenn Menschen meine Arbeit zu schätzen wissen. Wenn nicht, auch egal, deren Problem.“ Ist es dann nicht unklug von ihr, auch Kritikern gegenüber so offen und direkt zu sein? „Klar, ich spiele mit dem Feuer und muss deswegen bei Verrissen doppelt und dreifach einstecken. Anderseits: Du kannst es ohnehin nicht allen recht machen.“ Richtig, aber was ist nun in dem Paket? „Privatsache.“ Gerne doch. Text: Marcus Willfroth Heimat: joanaspolicewoman.com
Funeral Party Die Punks der Fliegen
Die Begräbnisfeier rückt im PunkGewand an, mit Chaos im Koffer und Tanzschuhen an den Füßen. Lieblingsbuch: „Herr der Fliegen“. Motto: Do It Yourself. Alles klar? „Ich habe ‘Herr der Fliegen’ gelesen und dachte, das ist ein cooles Konzept. Eine neue Kultur ohne Regeln, von Kindern erschaffen“, sinniert Sänger Chad Elliot. Klingt tiefgründig und komisch. Eine Dance-Punk-Band mit Friedhofs-Charme im Namen als die musikalischen Herren der Fliegen. Andererseits macht es Sinn. Vergleiche mit Kapellen wie The Rapture, At The Drive-In oder LCD Soundsystem gehen den fünf Jungs von Funeral Party nämlich gründlich auf die Nerven. Sie wollen auf eigenen Beinen stehen. „Wir wollen nicht mit irgendetwas verglichen werden. Wir bemühen uns sehr, unseren eigenen Sound zu finden.“ Die Verärgerung ist Chad deutlich anzumerken.
Rausch, Messerstechereien und der regelmäßige Besuch der Polizei.
Die Suche nach dem eigenen Sound präsentieren Funeral Party jetzt auf ihrem Debütwerk ‘The Golden Age Of Knowhere‘. An den Reglern drehte Lars Stalfors, bekannt durch die Arbeit mit The Mars Volta. Der hatte die Band bei einem ihrer Hinterhof-Konzerte entdeckt. Solche Auftritte waren der wöchentliche Wahnsinn in Whittier, der Heimat von Funeral Party. In dem tristen Vorort von Los Angeles brach mit den wilden Bühnenshows der Band das Chaos aus: Menschen im tanzwütigen
Mittlerweile sind aus den Hinterhöfen aber große Bühnen geworden. Touren mit 30 Seconds To Mars und ...And You Will Know Us By The Trail Of Dead oder Festivals wie Reading und Leeds stehen auf der Habenseite der Band. Das Erfolgsrezept ist ausgefallen. Der morbide Bandname ist gleichzeitig clevere Marketingtaktik. „Der Grund, warum wir ihn ausgesucht haben, war, die Hardcore- und Metal-Fans auszutricksen und zu unseren Konzerten zu locken. Die dachten, wir wären eine
Grabgesänge aus den Schluchten von Los Angeles: Funeral Party
Metal-Band“, sagt Frontmann Chad und muss selbst lachen. Mit Metallern und Hardcore-Fans im Rücken geht es nun auf zu neuen Ufern. Gitarrist James Torres hat bereits die Marschroute festgelegt. So groß wie die Beatles oder die Rolling Stones wolle man werden. Welchen Trick sich die Amis dafür wohl wieder einfallen lassen? Text: Johannes Musial Heimat: funeralpartymusic.com
FUNERAL PARTY LIVE: 19.2. Berlin - Magnet Club
MIT: AUF DER COUCH
?! ROGER MIRET
„Never trust a hardcore kid that has not listened to punk“ - schlaue Zitate fürs Rock‘n‘Roll-Poesiealbum müssen nicht zwingend von toten Nobelpreisträgern stammen, auch als Sänger einer Hardcore-Band kann man da einiges beitragen. Roger Miret ist als vielbeschäftigter Frontmann von Agnostic Front und seiner Zweitband, den Disasters, nicht nur der Silberrücken der gesamten NYHCSzene, sondern erweist sich im Interview als reflektierter und sympathischer Gesprächspartner, besonders, wenn es um persönliche Themen geht. Im kommenden September jähren sich zum 10. Mal die Anschläge auf das World Trade Center in New York. Du hast lange dort gelebt, ist dieser Tag etwas Besonderes für dich? In Hinsicht auf 9/11 eigentlich nicht. Natürlich ist es gut, vielen Menschen, die damals Angehörige verloren haben, eine Möglichkeit zum Gedenken zu geben. Der 11. September ist für mich aber in anderer Hinsicht ein wichtiger Tag. An diesem Tag ist vier Jahre vor den Anschlägen mein bester Freund Ray-Beez, der Sänger von Warzone, gestorben, und es ist wichtiger für mich, an diesem Tag an ihn zu denken. Wenn du nicht Sänger in einer HC-Band wärst, was würdest du stattdessen tun? Wahrscheinlich genau das, was ich jetzt auch tue. Ich bin Elektriker, ich liebe es, an Autos rumzuschrauben, am liebsten an meinem alten Chevy. Ich mag es einfach, mit meinen Händen zu arbeiten, damit kreativ zu sein. Warst du schon als Kind eine Bühnenpersönlichkeit? Ich war nie ein sehr lautes Kind, eher das Gegenteil. Ich war eigentlich sehr schüchtern und auch nicht sehr gesellig und habe mich nie so sehr in dem Mittelpunkt gestellt. Damit habe ich auch heute noch ein bisschen ein Problem. Dieses Rock-Star-Ding war nie wirklich meine Sache. Wie sehr unterscheidet sich denn dein Auftreten auf der Bühne von deinem normalen Leben? Ich weiß, dass ich ein sehr stiller Mensch bin. Ich denke, ich bin einfach eine ganz normale Person, wenn auch sehr zurückhaltend. Also gar nicht so verrückt und wild wie bei einem Konzert. Aber wenn ich da oben stehe, bin ich sehr aufgeregt. Ich mag das
wirklich sehr gern. Da fühle ich dann sehr viel Energie und Spannung in mir, weil ich dort ganz viel Druck auf eine gute Art und Weise ablassen kann. Du hast drei Kinder. Was ist für dich das Wichtigste, was du ihnen in ihrer Erziehung vermitteln willst? Das Wichtigste ist meiner Meinung nach, ihnen zu erklären, was du für richtig und falsch hältst. Und ihnen zu verstehen geben, dass sie ihr Leben auf ihre Weise leben können und dabei auch Fehler machen und Niederlagen einstecken dürfen, aber danach auch wieder aufstehen werden. Der letzte Song auf der neuen Disasters-Platte ist für meinen jüngsten Sohn und erklärt ziemlich genau, was ich meine. Gab es einen Zeitpunkt, an dem du dich innerhalb der Hardcore-Szene alt gefühlt hast? Ich fühle mich gar nicht so richtig alt. Natürlich kann ich mein Alter nicht verstecken, aber genau wie viele Leute bin ich mit dieser Art von Musik aufgewachsen und das ist nun mal meine Passion. Wenn du das, was du tust, wirklich liebst, dann fühlst du dich dabei nicht alt. Nur weil einige Leute sagen, dass Hardcore eine Sache der Jugend ist, stimmt das ja nicht. Und es ist ja nicht so, dass es einfach wäre, 20 oder 30 Jahre lang in einer Band Musik zu machen. Ich liebe es, Musik zu machen und damit will ich auch alt werden. Du wohnst jetzt in Arizona, hast aber lange in New York gelebt. Was ist jetzt für dich der größte Unterschied zu deinem neuen Wohnort? New York ist nun mal New York, eine aufregende, interessante Großstadt. Ich vermisse ein bisschen das Essen dort und die Möglichkeit, dass alles rund um die Uhr erhältlich ist. Aber das New York, aus dem ich weggezogen bin, ist nicht mehr das, in dem ich groß geworden bin. Mein New York ist das, was man aus Filmen wie „Taxi Driver“ kennt. Das New York von heute ist voll mit schicken Boutiquen und Modegeschäften. Das war für mich ein Grund wegzuziehen. In Arizona ist es einfacher, meine Kinder großzuziehen. Miete und Lebenshaltungskosten sind einfach billiger. Ich habe ein eigenes Haus, meine Kids haben im Garten einen Pool. In New York wäre das gar nicht möglich, da würden wir in einem winzigen Appartement wohnen. Text: Tim Kegler Heimat: thedisasters.com Auch gut: „Gotta Get Up Now“ – das neue Album von Roger Miret & The Disasters
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Solltet ihr in den vergangenen Wochen irgendwo gelesen oder den Eindruck bekommen haben, die Beatsteaks seien erwachsen geworden und dass jetzt Schluss sei mit Rock‘n‘Roll und lustig – vergesst es einfach gleich wieder. Die Beatsteaks sind und bleiben die Beatsteaks. Und das heißt eben auch: Es gibt keine Schublade - außer der eigenen. Den ersten Beweis liefern die fünf gleich frei Haus mit der Idee für unser Fotoshooting: Wie jetzt? Die wollen sich verkleiden? Michael? Ozzy? Elton? David? Flavor? Da des Menschen Wille ja bekanntlich sein Himmelreich ist und wir dieser Band ja irgendwie auch keinen Wunsch abschlagen können, trifft man sich Mitte Januar bei Schnittchen und Kaffee und mit jeder Menge guter Laune zum Fototermin. Während der Rest schon in der Maske sitzt, was in diesem Fall für jeden Beteiligten ordentlich Zeit in Anspruch nimmt, nutzen wir die Gelegenheit, Sänger Arnim ein paar Antworten zu entlocken. Wer hatte denn die Idee für dieses Fotoshooting ? Das geht eindeutig auf meine Kappe. Wir hatten neulich so eine Foto-Session, bei der wir sehr hochglanzmäßig gearbeitet haben. Das war auch cool, aber auch sehr langweilig. Wir hatten Lust, mal wieder so richtig abzuspacken. Warum also nicht mal aussehen wie unsere Jugendidole – wie jemand, der uns wirklich und das erste Mal mit seiner Musik umgehauen oder uns musikalisch geprägt hat. Bei dir war das Michael Jackson? Das „Thriller“-Video hat meine Welt total auf den Kopf gestellt. Meine Schwester ist ja Tänzerin, die hat mich damals vor den Fernseher gezerrt, damit ich mir das mal angucke. Ich war neun Jahre alt,
fand's total krass und durfte es nicht bis zu Ende gucken, weil ja dann diese Zombie-Nummer kommt. Aber von den Tanzszenen war ich schwer begeistert. Damals hielt ich sein Outfit für die coolste Klamotte, die ich jemals gesehen hatte. Ist es natürlich nicht, aber deshalb jetzt der Tribut. Peter ist mal als Ozzy Osbourne zu einer Faschingsveranstaltung gegangen und wir haben festgestellt, dass er ihm extrem ähnlich sieht. Es klopft und der Kopf von Bernd Stardust schiebt sich durch die Tür. Nach einer ersten Lachsalve folgt auch der goldene Rest von Ziggy Kurzke, der auf unfassbarem Schuhwerk erstaunlich sicher zu einer Zigarettenpause auf den Balkon unterwegs ist. Apropos Pause – dass die eigene Schublade auch etwas eng werden kann, zeigt sich 2008, als die Band nach einer ausgedehnten Tour beschließt, sich für ein Jahr von der musikalischen Bildfläche zu verabschieden. Was waren für dich die wichtigsten Gründe für die selbst verordnete Pause? Wir wirkten auf mich alle sehr müde. Wie nach einem Dauerlauf: Man hat zwar trainiert, aber trotzdem war es anstrengender, als man gedacht hatte. Dann konnten wir uns das nach fünf Platten auch ganz stumpf einfach mal leisten. Wir haben ein LiveAlbum gemacht, haben in der Wuhlheide gespielt,
ich konnte meinen Eltern eine Goldene Schallplatte an die Wand hängen, man respektiert uns, man mag uns, wir haben keinen Scheiß gebaut – da kann man schon mal durchschnaufen und einen kleinen Schritt zurück gehen. Wir brauchten die Pause auch, um das alles wieder wert schätzen zu können. Wenn du das alles abgearbeitet hast, dann kommst du auch mal in eine „So, jetzt ist auch mal gut mit Beatsteaks hier“Stimmung. Dann geht auch der Ton ein bisschen in die „ist doch scheißegal“-Richtung. Nein! Es ist eben nicht scheißegal. Wir brauchten eine Auszeit, um alle wieder festzustellen, dass die Band das Allergeilste ist. Du darfst nicht darauf scheißen, wenn du gerade mit dem anderen nicht kannst. Man muss es aus der Welt schaffen – das große Ganze ist einfach zu geil, um es für kleinlichen Quatsch aufs Spiel zu setzen. Während einer Tour gibt es Missverständnisse und mal will der eine nach links und der andere nach rechts. Manchmal ist man zu müde für einen Kompromiss und die Dinge stauen sich auf. „Das ganze Lied baut sich Sauerkeit auf - und dann PAAMM!“ - kennen wir ja. (* siehe Kasten) Was hast du während der Auszeit gemacht? Wenn ich so drüber nachdenke, habe ich unglaublich viel gegessen und wurde dicker. (lacht) In der Mitte des Jahres habe ich dann festgestellt, dass ich wohl mal wieder Sport machen sollte und habe angefangen zu boxen. Das fand ich super. Boxen ist ein toller Sport – wenn du nicht gerade den Türsteher als Sparrings-Partner erwischt, was mir ziemlich oft passiert ist, ist Boxen ein hervorragender Fitness-Sport. Hast du nicht Schiss, dass du dir einen Finger oder die Nase brichst, Blumenkohl-Ohren bekommst oder dich ernsthaft verletzt? Boxtraining fängt ja erst mal mit Konditionstraining an, ich habe es noch gar nicht bis zu einem richtigen Kampf geschafft und jetzt habe ich ja sowieso kaum
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noch Zeit. Ich habe nie richtig in einem Ring gestanden, sondern nur so Sparrings-mäßig geboxt. Das ist leichtes Boxen, da passiert dir eigentlich nichts. Außer, wie gesagt, du hast den Türsteher vor der Nase, der einfach nicht anders kann, der haut halt zu. (lacht) Einige waren ja auch während der Pause im Proberaum und haben schon sehr früh angefangen, die ersten Demos zu machen. Thomas zum Beispiel legte schon ganz früh im Sommer 2009 wieder los. Es war uns klar, dass wir auf jeden Fall versuchen, die letzte Platte mit einer neuen zu toppen - das stand nicht wirklich zur Disposition. Nicht? Wenn man die aktuellen Interviews mit euch so liest, hat man da schon einen etwas anderen Eindruck. Es wird ja klar thematisiert, dass es nicht so einfach war, alle wieder an Bord zu bekommen und es gab ja wohl auch den ein oder anderen, der sich ernsthafte Sorgen um den Fortbestand der Band gemacht hat... Ja, die gab es. Ist ein mögliches Ende mal an- und damit ausgesprochen worden, oder war das eher so eine unterschwellige Angst von einzelnen? Auf jeden Fall haben wir darüber gesprochen. Aber diese Gespräche sind nie besonders lang. Wenn man dann nämlich ganz ernsthaft die Frage stellt: „Willst du jetzt wirklich aufhören?“ ist die Antwort bei allen „Nee!“ - Na ja. Also dann! Was soll dann dieser Emo-Quatsch? Gab es ein offizielles Ende der Pause? Ja, Ende 2009 vor dem Benefiz-Konzert für Unicef im Magnet Club Berlin. Kurz davor haben wir gesagt, jetzt sind Proben, Anwesenheitspflicht und dann mal sehen, wohin es uns treibt. Was war für dich der Schlüsselmoment dafür, dass es jetzt in Richtung Album Nummer Sechs geht? Das war Anfang 2010, als alle fünf gesagt haben, wir proben jetzt wieder drei mal die Woche fünf Stunden und nehmen uns wieder Zeit für die Band. Musikalisch ging es für mich los, als ich das Demo zu „Under A Clear Blue Sky“ gehört habe. Da war irgendetwas drin, in das ich mich total verliebt habe. Trotzdem singt den Song Peter... Genau. Den Chorus singen wir ja zusammen, aber an den Strophen habe ich mir die Zähne ausgebissen. Peter saß irgendwann mit der Gitarre im Pro-
beraum und meinte nur „Ich weiß gar nicht, wo das Problem ist.“ und fängt an zu singen. Also ganz ähnlich wie einst bei „Hey Du“... Genau. Er singt einfach viel geiler in dieser entspannten Lage - obwohl wir dann noch einiges an Überzeugungsarbeit leisten mussten. Im Moment ist das mein Lieblingslied auf der Platte: geiler Text, typische Thomas Götz-Akkorde – ganz groß. Im Frühling 2010 ging es dann zunächst ins Studio… Wir waren den ganzen April im Chez Cherie-Studio und hatten erstmal unsere typische Mannschaft um uns geschart. Es war menschlich alles super und auch das Essen war hervorragend. Als wir dann aber von den Sommerfestivals zurück kamen und uns angehört haben, was unsere nächste Platte werden sollte, mussten wir feststellen, dass das so auf gar keinen Fall geht. Das war viel zu lasch und zu viel Stock im Arsch-Attitüde - das musste viel frecher und freier werden. Wir haben oft das Problem, dass wir im Studio zu schnell verkrampfen, weil wir bloß keine Fehler machen wollen und dann auch so spielen. Dann stellte sich die Frage: Wo bewegen wir uns, wo machen wir uns frei? Die Antwort lag auf der Hand: im Proberaum. Also los! Nehmen wir die sieben Songs, die wir schon aufgenommen hatten, mit ins Proberaum-Studio. Aus den Chez Cherie-Aufnahmen ist trotzdem ein Song übrig geblieben: „Access Adrenalin“, der ja auch für den weiteren Verlauf eine wesentliche Rolle spielen sollte. Er war zwischenzeitlich angefragt, um auf den Soundtrack zum Film „Twilight“ zu kommen... Das stimmt. Die wollten den Song aber unbedingt exklusiv und zwar für ein ganzes Jahr, wir wollten ihn aber auf unserer Platte haben. Also haben wir abgesagt. Diese Anfrage war aber mitverantwortlich dafür,
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dass der Song gleich an drei Mixer ging ... Wir haben uns bei dem Song ein tierisch geiles Ding geleistet und unsere Lieblingsmixer in der ganzen Welt gefragt. Von diesem Song hat Flood einen Mix gemacht, der Mann um Depeche Mode und Nine Inch Nails, Nick Launay in L.A. und Michael Hilbert hier in Berlin – auch ein genialer Mixer. Wir haben allen dreien den Song gegeben und keinerlei Vorgaben gemacht, sondern einfach darum gebeten, ihren ganz persönlichen Mix daraus zu machen. Alle drei haben voll geile Versionen abgeliefert, aber Nick war einfach am nächsten dran – so kam der Ball ins Rollen. Was hatte es mit dem Dresscode bei den Aufnahmen auf sich. Also wenn der „Trainer“, der dann ja wohl du bist, abends an alle eine SMS schickt: „Morgen bitte im Ska-Outfit auftauchen“? Das gehört dazu. So halten wir uns bei Laune. Wir können stundenlang damit verbringen, über Sachen zu reden, das bringt uns aber manchmal kein Stück weiter. Dann brauchen wir bandinterne Eisbrecher, die die Situation wieder auflockern – das ist einer davon. Genau wie wenn ich mir mal wieder zu viele Sorgen mache und Peter dann sagt, bleib mal ruhig, das wird schon alles gut. Gab es denn auch andere Outfit-Anordnungen? Na, es hieß auch mal „Oberkörper frei heute – ist eh zu warm!“ - aber diese Trojan-Ska-Session zu „Let's See“, die war echt geil. Wir haben uns kaputt gelacht, Peter mit Hütchen und Hosenträgern, Bernd sah aus wie früher, Torsti auch – wir mussten uns ja auch gar nicht groß verkleiden, wir haben das Zeug alle im Schrank. Trainer und Produzent sind wohl auch die Stichworte, wenn es um deine erweiterte Position in der Band geht...
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„Trainer, was ist los?“ Auch das war aber eine logische Entwicklung, etwas, das sich ergeben hat. Ich kann mich nicht Produzent nennen – ich habe einfach gemacht, was ich immer mache, bloß mit vollem Backup der Band und deshalb vielleicht mit einem anderen Bewusstsein. Und auch mit vollem Backup von Moses... Ja total. Moses ist immer mit uns. Die Bezeichnung „Trainer“ finde ich gut. Als ich der Band gesagt habe, dass ich glaube, dass einer von uns mit in die Produktions-Verantwortung muss, weil Moses (Schneider - Produzent der letzten Beatsteaks Alben) das nicht mehr alleine wuppen kann, habe ich gesagt, dass ich das machen würde. Trotzdem schießt die Band die Tore – ich kann auch nur aufstellen und eine Taktik vorgeben. Wenn wir
mit den Proben fertig waren, haben sich alle zu mir umgedreht und gefragt, was wir morgen machen. Es ging also eher um den organisatorischen Kram und darum, den Überblick zu behalten und dafür zu sorgen, dass sich alle wohl fühlen. Aber schon eher Klopp und nicht Magath? Auf jeden Fall. Torsti hat halt gerne mal gefragt:
Bei „Behavior“ hast du aber nicht mal die Demos gehört, warst zwei Tage mal nicht im Studio und schon war der Song fertig. Natürlich müssen es dann trotzdem alle super finden. In dem Moment, wo sie ihn mir das erste Mal vorgespielt haben, konntest du in lauter Bittefinddasdochgut-Gesichter gucken. Mir geht es ja genauso, wenn die anderen Gesänge von mir hören. Wenn etwas nicht gut gefunden wird, geht es in die
EINE FRAGE AN DIE BEATSTEAKS Journalisten stellen ja irgendwie doch immer dieselben Fragen, also baten wir im Vorfeld unseres Interviews Wegbegleiter, Kollegen und Freunde der Band, uns ihre ganz persönliche Frage an die Beatsteaks zu schicken. Hier lest ihr, was dabei herausgekommen ist. Man möge sich bitte immer wieder herzliches Lachen, Gekicher und Gepruste vorstellen – wer das nicht kann, für den haben wir einen kleinen Zusammenschnitt auf sally*s TV bereit gestellt. Pierre (Peter Fox)
„Wie macht ihr das mit der Lautstärke ? Ich war ja mal ein paar Stunden mit euch im Proberaum/ Studio und bemerkte: Sind sie zu laut, bist du zu weich.“ Torsten: Wir sind natürlich viel härter als Peter Fox, so fängt das ja schon mal an. Aber ich schütze mich mit Ohrstöpseln, das senkt die Lautstärke um 15 Dezibel ab – mehr Gehörschutz geht nicht. Peter: Ich schütze mich nicht. Thomas: Es ist definitiv zu laut und die Gitarristen sind schuld. Peter: Also ich finde es nicht zu laut. Torsten: Peter ist der einzige, der durchgehend ohne Schutz arbeitet, und ich frage mich wirklich, wie er das macht. Peter: Weil es eben NICHT zu laut ist. Bernd kann das bestätigen, dass Gitarrenverstärker erst ab einer bestimmten Lautstärke anfangen zu klingen.
Thomas: Wie eine Gitarre klingt, liegt an den Fingern, und wenn man es da nicht hat, muss man halt den Amp aufdrehen. Bernd nimmt nur Gehörschutz, damit er seine Gitarre noch lauter machen kann. Tim Böning (war der Tourmanager auf der ersten Tour mit Thumb/ arbeitet jetzt mit u.a. Bushido)
„Also ich kenne euch ja seit der ersten Tour, bin dann aber in den Abgründen des Deutsch-Rap heimisch geworden und habe mich immer gewundert, warum ihr statt Groupies und Gangbang immer nur Bier und Bubenstreiche gefeiert habt! Ärgert ihr euch heute, dass ihr vielleicht was verpasst habt?“ Peter: Also ich ärgere mich überhaupt nicht. Torsten: Aber gefragt habe ich mich das auch schon, warum das bei uns nie relevant war. Bitches und Backstage gab es bei uns einfach nicht. Wahrscheinlich liegt das daran, dass wir darauf nicht aus waren. Das ist
uns einfach nicht in den Kopf gekommen... Peter: Wenn er Bitches sagt, dann meint er ja Frauen, das ist diese Rap-Sprache... Torsten: Na, ich bin jetzt mit meinem Vokabular auf den Fragesteller eingegangen. Peter: Außerdem ist unser Bus einfach viel zu voll, diesen abgesperrten Busbereich, wo man das dann alles auch in die Tat umsetzen könnte, den gibt es bei uns einfach nicht. Torsten: Wir nehmen halt lieber Leute mit, die sich darum kümmern, dass wir auf der Bühne gut aussehen und gut klingen. Nicht wie die Rapper, denen das ja meistens egal ist – deshalb sind Rap-Konzerte ja auch meistens scheiße. Die Ärzte
„Liiiebste Beatsteaks, wann dürfen wir uns endlich für euren Blitzbesuch in der Wuhlheide revanchieren und mal bei euch als Überraschungsgäste auftreten? Liebe Grüße, eure Ärzte.“
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nächste Runde. Punkt. Aber man musste überhaupt nicht ständig da sein – die Band hat sich selbst aufgenommen. Die Reaktionen auf „Milk & Honey“ als erstes Lebenszeichen waren ja durchaus gemischt. Die einen feierten einen grandiosen Pop-Song ab, den anderen war es zu nah am Morrissey-Pop. Wenn man dann so ein Album im Rücken hat, will man das den Kritikern am liebsten sofort vor den Latz knallen oder lehnt man sich entspannt mit einem Lächeln zurück und denkt sich „Wartet ihr mal, bis ihr von uns ein bisschen „Behavior“ beigebracht bekommt.“? Ich lehne mich zurück und schmunzele, Peter bekommt da schneller Panik. Da sind wir sehr unterschiedlich, können uns so aber auch ganz gut gegenseitig beschützen. Auf der ersten Single lastet einfach ein unglaublicher Druck. Jetzt waren sie zwei Jahre nicht da und kommen zurück und trälThomas: Also, ich wüsste ja zwei Daten. Torsten: Das werden sie noch früh genug erfahren! Peter: Wir können das ja direkt über die Medien austragen. Torsten: Dann ist das mit der Überraschung aber so eine Sache. Peter: Wollen wir vielleicht gleich einen Terminvorschlag abdrucken lassen? Torsten: Also, sie sollen sich schon mal bereit machen. Vielleicht noch ein bisschen Üben vorher – wir waren ja auch total tight, damals in der Wuhlheide. Die sollen sich bitte mehr Mühe geben als wir. Peter: Wir haben uns Mühe gegeben, aber wir waren einfach übermotiviert. Jan Delay
„Warum habt ihr nie Zeit für mich?“ Torsten: Gute Frage. Weil wir immer so lange und so hart an unseren Platten arbeiten, dass für Feature-Geschichten nie wirklich genug Zeit ist. Wir haben mit uns selber einfach genug zu tun. Immer, wenn ich ihn treffe, fragt er mich das und es wird langsam zu einem Running-Gag. Peter: Ich glaube ja auch, dass wenn wir sagen würden “Jetze!”, dann wüssten wir gar nicht, was wir machen sollten, weil man immer nur über den Termin redet.
lern „this is a soooong“. Ich verstehe das total. Ihr habt dann ja auch eher das Problem, dass ihr fünf potentielle Single-Kandidaten auf dem Tisch habt... Stimmt. Aber für mich war das diesmal total klar. „Milk & Honey“ ist die erste Single, weil sie so anders ist und dabei so schön cool bleibt. Ich finde, wir machen was falsch, wenn wir nicht polarisie-
Kiki (KKT - zuständig für das Booking der Beatsteaks)
„Was ist für jeden von euch der ganz spezielle LiveMoment, der dir immer in Erinnerung bleiben wird? Nicht die offensichtlich beeindruckenden Erlebnisse, wie zum Beispiel das erste eigene Wuhlheide-Konzert, sondern mehr ein kleinerer Moment, der aber ähnlich emotional war.” Torsten: Wir haben mal in der kleinen Arena in Wien gespielt, ich hatte Geburtstag und musste aufs Surfbrett rauf, da habe ich erst mal gemerkt, wie hoch das ist. Die Leute stehen ja und die meisten sind auch größer als ein Dackel, wenn er Männchen macht, und dann nehmen die auch noch die Hände hoch und dann kommt ja noch die eigene Größe bis zu den Augen oben drauf. Das war schon sehr erhebend - im wahrsten Sinne des Wortes. Thomas: Im ColumbiaFritz, Ali war eigentlich schon aus der Band, kam aber mit Steffi noch mal auf die Bühne, um “48/49” und “Me Against The World” zu spielen. Peter: Da kann ich mich anschließen, das wäre auch mein Moment. Arnim: Die Zigarette nach unserem allerersten Konzert auf einem Abiball in Prenzlauer Berg mit Peter und Bernd. Bernd: Im AK47 in Düsseldorf vor fünf Leuten – da
ren - und zwar auch im eigenen Lager. Ich glaube, ich würde mich komisch fühlen, wenn so eine Entscheidung auf einmal allen gefallen würde. Kommen wir zu den Texten. Bei euch ist ja immer zuerst die Musik da und dann werden die passenden Worte gesucht. Ihr erzählt ja keine Geschichten, sondern es handelt sich eher um Zustandsbeschreibungen. habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass es überhaupt nicht darauf ankommt, wie viele Leute vor der Bühne stehen, sondern dass es auch mit fünf Leuten ein tierischer Spaß sein kann. Campino
„Arnim, hattest du jemals in deinem Leben in den zwei Stunden vor eurem Auftritt Sex hinter der Bühne? Ich nämlich nicht!“ Arnim: Ich auch nicht. Keine Chance – die Kraft brauche ich. Das geht gar nicht. Aber ich frage mal zurück: Hattest du jemals Sex in den zwei Stunden nach dem Auftritt? Ich ja. Tobert (Turbostaat)
„Mal ehrlich: die eigenen Ideale, im Traum zum Gespenst. Mein schlimmstes: Keiner kommt mehr zu den Konzerten der eigenen Band. Mutig wird stets behauptet, es ginge alles weiter wie bisher und zwar munter, eigentlich knebelt solche Angst. Welches Dogma beißt euch nachts in den Arsch, lässt euch nervös in den Rillen der Cordhosen kratzen? Halbleere Hallen, CD-Verkäufe, Chartplatzierungen?” Torsten: Wenn er sich die Frage selbst stellt, käme bestimmt eine Antwort dabei heraus, die wir alle sofort unterschreiben würden.
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Das wird gerade gemacht. (grinst)
Die Texte schreiben wir ja auch im Team, ganz ähnlich wie die Musik. Wenn ich sie singe und inhaltlich gar keinen Anteil daran hatte, dann mache ich es ihnen zum Teil schon ganz schön schwer, weil ich sie komplett verstehen muss. Ich frage dann Sachen, die wir in einem Interview nie beantworten würden und versuche der Sache, dem Gefühl, dem Zustand, bis auf den letzten und
tiefsten Grund zu gehen. Das ist gar nicht so einfach – Texte sind für mich so wichtig unwichtig – das ist ganz schwer zu beschreiben. Sie sind die leckere Kirsche auf dem Kuchen. Wenn es zusammen passt, dann ist alles gut.
Peter: Ich habe vor nichts von dem genannten Angst, sondern davor, dass man sich irgendwann nicht mehr versteht. Dass man sich auseinander lebt und es deswegen nicht mehr funktioniert. Noch schlimmer: Wenn man dann versucht, es trotzdem weiter zu machen. Ich hätte Schiss, etwas zu machen, was ich selbst nicht gut finde. Torsten: Also wenn das Wuhlheide-Konzert in den Knaack verlegt werden müsste, weil wir gerade mal 105 Karten verkauft hätten, wüsste ich nicht, ob wir dann gut gelaunt und munter auf der Bühne stehen würden. Aber ich glaube, so krass meint er das auch nicht. Nicht mehr so erfolgreich zu sein ist ja auch ein langsamer Prozess, an den man sich gewöhnen kann. Peter: Dann wird es wieder zum Hobby, aber das ist ja unabhängig vom Spaß, den man dabei hat. Wenn den jeder einzelne hat, dann kann ich das auch im Knaack machen. Dann muss man sich zwar von den großen Hallen verabschieden, aber vom Gefühl bleibt es doch dieselbe Kapelle. Wenn wir eine Band werden, die ich blöde finde, und man das nur noch wegen des Geldes macht, dann kann ich mir das nicht mehr vorstellen. Thomas: So wie Therapy? - einfach weitermachen und dann eben in den kleineren Clubs, das würde bei uns auch funktionieren. Also ich hätte Angst davor, miese Platten zu machen und es nicht mal zu merken. Das Gefühl habe ich manchmal
bei anderen Bands, dass die nicht merken, dass sie eine schlechte Platte gemacht haben und man weiß gar nicht, woran das liegt. Torsten: Meinst du, die merken das nicht? Vielleicht finden die das ja wirklich gut. Du fragst dich, wie man so was gut finden kann und schließt daraus, dass sie es nicht merken. Thomas: Dann droht mir aber ja vielleicht dieselbe Gefahr. Peter: Das ist so ähnlich, wie wenn dir die Haare ausfallen und du gar nicht merkst, wie du sie immer zu der einen Seite rüberkämmst. Irgendwann ist das total peinlich, du merkst es aber nicht, weil du es schon so lange machst.
Wird es ein T-Shirt geben, auf dem „I'm not gonna wear your shirt!“ steht?
Dendemann
„Ihr habt euer neues Album im eigenen Proberaum aufgenommen. Hat das den Ort für immer gesegnet oder auf ewig entweiht? Und wenn sowohl als auch, warum?“ Thomas: Ich fand es total geil nach all den Jahren, die wir in diesem Raum proben, jetzt endlich dort aufzunehmen und zu merken, dass es funktioniert. Das war ein total großartiges Gefühl. Mit Kirche hab ich nichts am Hut, deshalb kein Segen und keine Entweihung, aber wenn es einmal geklappt hat, heißt das noch nicht, dass man es immer wieder macht. Bernd: Es war auf jeden Fall längst überfällig.
„Boombox“ ist ja laut Farin Urlaub, der den Pressetext zur Platte verfasst hat, „eine junge schöne Frau mit Dreitagebart und einer AK47 über der Schulter“ - findest du diese Beschreibung passend? Ja, find ick jut. Ich empfinde uns ja immer noch als eine Outsider Band, die ihren ganz eigenen Stiefel macht. Wir versuchen gar nicht anders zu sein als der Rest – wir sind einfach so. Wir machen keine Top-40- oder Chart-Musik, wir machen unsere Songs, und die sind komischer Weise erfolgreich. Das verwundert uns immer noch. Wir sitzen oft im Proberaum und überlegen, ob das überhaupt jemand hören will. Was ich in dem Zusammenhang mit dem Albumtitel ja ganz lustig fand, ist, dass bei Nick Launay das Hören auf einer Boombox die letzte Hürde für den Achim Hilgert
Torsten: Das ist mein Basslehrer! Peter: Ich wollte gerade fragen, ob ich jetzt wieder so eine Wissenslücke habe. Irgend so ein Crack aus den Siebzigern und ich hab wieder keine Ahnung, wer das ist. Der erste Bassist von The Clash: Achim Hilgert. „Was ist Gesprächsthema Nr.1 auf Tour? Steuern oder Frauen?” Thomas: Bubenstreiche! Peter: Keins von beiden. Torsten: Also ich rede eher über Frauen als über Steuern. Man redet ja schon mal über seine eigene Frau und Freundin, oder auch mal über die, die man gerade durchs Busfenster sieht. Peter: Aber am meisten reden wir über das gerade gespielte Konzert. Wer hat den Einsatz heute versaut, wo war das Licht scheiße... Torsten: Ich wäre auch dafür, dass wir mehr über Steuern reden, wir reden nämlich eindeutig zu viel über unsere Konzerte. Mal so ein lockeres Steuergespräch, daraus kann man doch was Positives ziehen im Gegensatz zu: Du musst nicht ständig auf's Trittbrett gucken oder tanz' doch mal mehr oder hüpf' nicht so rum. Man redet eindeutig zu wenig über Steuern. Ali Rosswaag (Vorgänger von Torsten am Beatsteaks-Bass)
„Was würdet ihr tun, wenn es auf einmal eine Frau-
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Sound eines Songs war. Warum macht er das? Weil diese Dinger ja auf der ganzen Welt stehen und Menschen damit Musik hören. Wenn ein Song darauf gut klingt, dann ist er gut. Im Studio klingt jeder Scheiß super, auf 10.000 EuroBoxen hört sich alles nach Pink Floyd an – ist es aber noch lange nicht. Der Hardcore-Test ist der auf dem Rechner, durch die normalen Lautsprecher, nicht laut, und dann gucken, ob du alles hörst. Ein noch krasserer Tipp kam von Nick: Stell ein Radio leise, auf normale Zimmerlautstärke, und gehe in einen anderen Raum. Wenn du dann Schlagzeug und Gesang noch hörst, steht die Achse des Mixes. Inzwischen laufen die Vorbereitungen für die Konzerte auf Hochtouren? Das wird voll geil. Jetzt geben wir ja erst mal ein paar Radiokonzerte, auf denen wir die „Boombox“ komplett durchspielen, kein altes Lied. Das heißt aber auch, dass wir die Platte komplett und vor der Tour am Start haben - was auch noch nie so war - und werden dann ein komplettes Set drumherum bauen. Ich kann mir schon vorstellen, dass wir sieben, acht neue Stücke spielen, ein paar, die wir lange nicht gebracht haben und natürlich die Songs, die die Leute unbedingt hören wollen. Gibt es sonst noch Rituale, wie du dich auf die Tour und das Tourleben vorbereitest? Möglichst viel zu Hause zu sein, bei Freunden und mit der Familie. Sport machen. Mentale Vorbereitung ist für mich, den Ball so lang wie möglich flach zu halten. Wenn es dann losgeht, wird es verrückt. Ich kann ja nach Konzerten auch immer ganz schlecht schlafen und es fällt schwer, zur Ruhe zu kommen. Man muss einen Rhythmus finden, wenn man den hat, ist alles cool. Was wird live der schwierigste Song? Kann ich noch gar nicht genau sagen, im Proberaum lassen sie sich alle recht locker an, aber auf der Bühne wird das was komplett anderes. enquote geben würde? Also welche Musikerin würdet ihr an welches Instrument in die Band holen?“ Torsten: Ich würde Melissa Auf Der Maur als Bassistin vorschlagen. Peter: Also dann würde ich freiwillig gehen! Torsten: Aber die sieht doch super aus... Peter: Aber ditt is doch nicht allet. Torsten: Die kann auch super Bass spielen. Peter: Ich hole mir die Sängerin von Dover, aber ohne ihre aktuelle Show. Torsten: Aber dann musst du doch den besten Sänger der Welt entlassen... Peter: Das ist ja dann eh nicht mehr meine Band – ich meine, mit Melissa am Bass... Thomas: Frauenquote heißt doch nur, es ist eine Frau mit in der Band... Peter: Ach so, dann würde ich die Keyboard-Tante von den Queens Of The Stone Age holen – die Verrückte. Torsten: Ich wäre für die Schlagzeugerin von Prince oder die von Lenny Kravitz, wir könnten natürlich auch Sheila E. fragen Thomas: Nein, Kim Deal würde Backings singen – alle Backing-Chöre, das könnte man eigentlich schon mal ausprobieren. Winson
„Man sagt ja: Bands sind wie selbst ausgewählte Familien und die Beziehungen zu Bandmitgliedern ähneln
TITEL
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(*) Von 48/49 zu Boombox oder: Arnim zitiert hier folgenden Dialog mit Peter :„Ach kiek ma, ach kiek ma – das ganze Lied baut sich Sauerkeit auf. Also sitzt dir schon eine Laus quer in dem Moment wo ich sage, ich hab' dich nicht böse angeguckt und dann... PAMM!“. Festgehalten auf der allerersten Platte „48/49“, zu der sich bei genauerer, um nicht zu sagen pingeliger, Betrachtung noch weitere Parallelen finden lassen: „Behavior“ erinnert in Inhalt und Form an die berühmte „Barfrau“, Ska-Einflüsse gibt es schon in „Me Against The World“, „48/49“ ist der Song zur Band und ihren Mitgliedern (bei „Automatic“ übrigens vorgetragen von Torstens Tochter Toni), die Band ist zwischen den Songs zu hören, deren Titel handschriftlich auf dem Albumcover notiert sind. „So bunt wie wir sind, so nah sind wir auch an der Wiederholung“ kommentiert Arnim schmunzelnd. „Fest steht: Wir werden immer eine Rock-Band bleiben“. BEATSTEAKS: DIE DISKOGRAPHIE 1997 - 48/49 1999 - Launched 2001 - Living Targets 2004 - Smack Smash 2007 - Limbo. Messiah 2011 - Boombox
Ich glaube, die Dynamik von „Automatic“ hin zu bekommen wird nicht ganz so einfach. Das ist ja auch unser erster Fünf-Minuten Song, das könnte eine kleine Reise werden, aber auch die werden wir uns erspielen. Das werden sie, denn schließlich werden Beatsteaks-Platten vor allen Dingen gemacht, damit man endlich wieder über die Bühnen dieser Welt toben kann. Der Ruf, eine der besten Live-Bands zu sein, kommt schließlich nicht von ungefähr. Text: Caroline Frey Heimat: beatsteaks.com Fotografie & Composing: Tim Klöcker / 103prozent.de Styling: Alexandra Heckel / alexandraheckel.com Haare & Make/ Up: Arielle Troß / arielle-makeup.com Fotoassistent: Oliver Schümers Stylingassistentin: Constanze Eynck, Gute Fee: Birte Filmer Danke für die Federn an Blumen Müller/ blumenmueller.de
Liebesverhältnissen. Das bedeutet, dass es auch mal Krach geben muss. Habt ihr für euch (Beziehungs-) Regeln entdeckt, die ihr im täglichen Zusammenleben beachtet? Und gelten diese Regeln vielleicht sogar allgemein für Beziehungen, also auch für Paare?“ Peter: Eine Regel, die wir gelernt haben ist... Thomas: ...den anderen niemals ausreden lassen! Peter: ...mit negativer Kritik nicht direkt nach dem Konzert raus zu rücken, sondern zu warten, bis sich die Wogen geglättet haben und das Adrenalin wieder auf einem Normalpegel ist. Und ich merke, dass das zu Hause auch viel besser funktioniert. Wenn ich gerade sauer bin, dann gehe ich lieber erstmal auf den Balkon, rauch eine und versuche es dann später zu klären. Torsten: Man muss zwangsläufig lernen, zuzuhören – in der Band wie auch in einer Beziehung. Peter: Nee, muss man nicht, man muss lernen so zu tun, als ob man zuhört. Torsten: Das ist jetzt auf jeden Fall die coolere Antwort, aber die ehrliche ist, dass man zuhören muss, auch wenn es einem manchmal gegen den Strich geht. Thomas: Oder du sagst: Ja, genau. Claus Grabke
„Ich unterteile Musiker in zwei Kategorien, nämlich die, die Musik FÜR Menschen machen und die, die Musik GEGEN Menschen machen. Ich persönlich
TOURDATEN AUF DEN SEITEN 46 ff.
gehöre, auf Grund vieler Kindheitstraumata und vor allen Dingen einer unsagbar schlechten Schulzeit, mit zur letzteren Kategorie. Ich beziehe meine Inspiration also eher aus dem Grundverständnis, nicht verstanden worden zu sein. Wie sieht´s mit euch aus?“ Torsten: Man macht doch Musik erstmal für sich selbst, also macht man doch Musik für Menschen – wir sind ja nun mal Menschen. Peter: Also ich muss nicht loswerden, dass ich missverstanden worden bin. Thomas: Auf jeden Fall für einen selbst, also für einen Menschen. Peter: Und auf den Konzerten ist es doch aus so, dass man sich mit den Leuten freut und nicht, dass man sagt, die anderen sind scheiße. Torsten: Aber es gibt auch Songs gegen was: gegen Idioten, gegen Ignoranten. Peter: Ich würde mal zusammenfassen: Wir machen diese Unterteilung nicht. Torsten: Super Fragen! (zu Peter) Was wäre denn deine Frage an die Beatsteaks? Peter: Na, ditt ist ja ma wieda een HammaScheibchen jeworden und ihr scheint ditt ja so ausm Ärmel zu schütteln – is dem so? Fliegt euch ditt so zu oder klaut ihr bewusst? (Pause) Na, nun antworte doch mal bitte...
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AUF ACHSE
unclesally*s magazine
auf achse...
IST WIE ES WURDE, WAS ES
Wir sagen DANKE für eine fantasische Arbeit bei: Tim, Birte und Oli für die Fotos, Alex und Constanze für ein sagenhaftes Styling, Arielle für die perfekte Maske und allen zusammen für den Riesenspaß!
Um aus fünf Beatsteaks Elton, Michael, Ozzy, Flavor und David werden zu lassen, braucht man nicht nur eine gut gelaunte und geduldige Band, viel Zeit und eine gute Vorbereitung, sondern vor allem auch ein spitzenTeam drumrum.
Während David Bowies Haarpracht schon die richtige Farbe hat, bekommt Peter seine - und erblasst. Arielle bespricht mit einem zwar schon bartlosen, aber noch unwissenden Arnim die ersten Details seiner Verwandlung...
Fotograf Tim und sein Assistent Oli bauen noch schnell eine “Boombox“ in den Flur.
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AUF ACHSE
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...und schickt ihn zunächst zum Umziehen. Hier wie dort steckt die Liebe im Detail.
Ob weisse Socken, Totenkopf, Sternenhose, Glitzerschuh, Fledermaus- und Dollarring - Stylistin Alex hat an wirklich alles gedacht! Doch Arnim ahnt...
...was auch ihm noch bevorsteht und hier wohl nicht weiter kommentiert werden muss.
Elton John hingegen muss feststellen, dass das Leben als Federvieh gar nicht so einfach ist: man hat immer Fusseln im Essen und komische Rapper stehen auf bunte Vögel! Die Originale scheinen abzufärben...
...während David Bowie mit der Kamera flirtet, als hätte er noch nie etwas anderes getan.
Nach einem ersten Ergebnis-check am Rechner, geht es zur Freude einiger Autofahrer und Passanten raus an die frische Neuköllner Luft. Das Ergebnis findet ihr als Poster mitten im Heft.
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PLATTEN/10 GEBOTE
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DIE 10 GEBOTE
...And You Will Know Us By The Trail Of Dead Tao Of The Dead
Adele 21
Anna Calvi Anna Calvi
Bright Eyes The People’s Key
British Sea Power Valhalla Dancehall
Deerhoof Deerhoof Vs. Evil
Gang Of Four Content
The Go! Team Rolling Blackouts
Moddi Floriography
PJ Harvey Let England Shake
(Superball/EMI) Nun also Prog, oder doch nicht?! Da werden im Vorfeld Namen wie Pink Floyd oder gar Rush in die Runde gehauen, um dann mit ihrem siebten Studioalbum das wohl unverkopfteste, spontanste Stück Musik der Bandgeschichte abzuliefern. Keine Opern also, auch wenn der fünfteilige letzte Song das Gesamtvolumen noch mal amtlich aufpumpt. Bereits der Vorgänger „Century Of Self“ schaffte es, den Schlussstrich unter dem MajorKapitel vom Scheitern zur kreativen Befreiung umzudeuten und wirkte fast wie ein Destillat des Band-Oeuvres. Nur der Bombast hatte unter der Rückkehr zum trockenen Sonic Youth-Noise und den rumpelnden Punk-Abfahrten gehörig zu leiden. Angeblich in nur zehn Tagen und mit komplett neuer Besetzung eingespielt, schließt „Tao Of The Dead“ exakt dort an. Hier ein sturer Kraut-Beat, da ein paar Analog-Synthies - fertig! Wenn das Prog sein soll, waren Trail Of Dead das immer schon. Text: Thomas Müller
(Polyvinyl/Cargo) Deerhoof gibt’s seit Mitte der Neunziger, seit etwa zehn Jahren veröffentlichen sie Platten von einzigartiger, beinahe unfassbarer Qualität; voller Spiel- und Experimentierfreude - und im Endergebnis immer mit einer guten Portion Hits, zumindest für alle, die nicht sofort lange Zähne machen angesichts der Kombination aus quirligem Rubato-Riff-Rock und der eigenwilligen Stimme von Satomi Matsuzaki. Auch das neueste Werk mit dem Hoffnung stiftenden Titel ist eine Herausforderung, jedoch keine Enttäuschung. Tendenziell etwas melancholischer und zurückhaltender als gewohnt, geht das Quartett aber auch diesmal wieder mit einer Mischung aus großem Wissen und noch größerer Neugier zu Werke und erschafft im Spannungsfeld dazwischen diese wunderlichen, so sperrigen wie eingängigen Pop-Songs, die trotz aufblitzender Vertrautheitsmomente immer noch in ihrer Gesamtsumme so klingen wie keine andere Band sonst. Das Böse sollte sich warm anziehen! Text: Torsten Hempelt
(XL/Beggars/Indigo) Nach zwei Jahren hochartifiziellem Gaga-Pop auf allen Kanälen ergreifen die aus dem Scheinwerferlicht geschubsten großen Sängerinnen der Zunft nach und nach wieder die Stimme. Die neue Platte von Duffy ist ein Volltreffer, kürzlich hat gar Amy Winehouse erstmals neue Songs präsentiert. Nun also das zweite Album von Adele, analog zum Debüt „19“ konsequent biografisch „21“ getauft. Geschichten mutmaßlicher Reifung kann man sich dabei bedenkenlos schenken, die Wucht der Tracks steht für sich. Das Songwriting ist dabei zwar nicht immer so rund wie bei der ersten Single „Rolling In The Deep“ oder dem grandiosen „I’ll Be Waiting“ (für das sich Beyoncé ein Bein ausreißen würde) - was das Re-Do von „Lovesong“ als schwüle Flachlegnummer mit dem einstmals seelenwunden Robert Smith angerichtet hätte, wollen wir gar nicht wissen. Adeles gewaltige Stimme bringt die Wände zum Wackeln! Text: Friedrich Reip
(Grönland/Rough Trade) Sie haben sich Zeit gelassen. Bereits vor fünf, sechs Jahren wäre die Musikwelt für diese Platte bereit gewesen: Gerade weil Franz Ferdinand-Sänger Alex Kapranos immer wieder betonte, welch großen Einfluss Gang Of Four auf ihn ausüben, wäre „Content“ wohl damals schon einer Offenbarung gleichgekommen. Doch die angebeteten Idole ließen sich nicht stressen, warteten ab und machen erst jetzt das große Fass auf - und was für eins. Das zeigt bereits der erste Track auf „Content“ mit dem vielsagenden Titel „She Said ’You Made A Thing Of Me’“: Kantige Riffs, verklausulierter Post-Punk und ein Gesang, der einem förmlich ins Gesicht springt, verwenden Gang Of Four so stürmisch wie zu ihren Anfangstagen Ende der Siebziger. Musikalisch über jeden Zweifel erhaben, werden Franz Ferdinand erneut staunen, denn das hier ist perfekter Indie-Rock, der intelligenteste unserer Zeit. Mindestens. Text: Marcus Willfroth
(Domino/Good To Go) Die Aufmerksamkeit und Neugierde der Öffentlichkeit steigt natürlich ins Unermessliche, wenn man bereits vor dem Erscheinen seines Debütalbums von Szene-Größen wie Nick Cave oder auch Brian Eno geadelt wird. Im Falle von Anna Calvi werden sich Freunde von PJ Harvey und Beth Gibbons spätestens beim zweiten Durchlauf ihres beeindruckenden Erstlingswerks den Huldigungen der oben erwähnten Heroen anschließen. Die Londonerin überzeugt mit innovativem Gitarrenspiel, einer minimalistischen Instrumentierung und einer Stimme, die mit ihrer voluminösen Laszivität nahezu jeder Emotion die nötige Authentizität verleiht. Hier fusionieren Indie, Pop, Flamenco und Folk zu einem unverkennbaren und grandiosen Gesamtwerk. Text: Kai Butterweck
(Memphis Industries/PIAS/Rough Trade) So richtig überraschend ist das, was The Go! Team musikalisch fabrizieren, nach drei Alben natürlich nicht mehr, aber, ach, es klopft so freundlich mit einem großen Schaumgummi-Boxhandschuh auf die Hirnrinde, dass das folgende Schleudertrauma zu einem süßen Rausch wird. Geschmack ist eben doch alles, und so kann man Team-Kapitän Ian Parton - nachdem man sich von „Rolling Blackouts“ schön hat weich klopfen lassen - erneut nur zu seiner offensichtlich fantastischen Plattensammlung gratulieren. Wer aus Funk, Punk, HipHop und Indie-Hits wie „Buy Nothing Day“ zusammenbasteln kann, muss ein guter Mensch sein. The Go! Team bleiben auch auf „Rolling Blackouts“ eine akustische Wundertüte, eine kleine Cousine, die dich mit klebrigen Fingern aufs Trampolin zieht und nicht wieder gehen lässt, bis dir vom Hüpfen die Ohren klingeln. Angenehm durchgeknallt. Text: Timo Richard
(Polydor/Universal) Jedes Jahr ein neues Album, jedes Jahr Höchstform. Wie Conor Oberst diese Meisterleistung auf Solopfaden und im Kreise seiner Bright Eyes regelmäßig vollbringt, wird ewig sein Geheimnis bleiben - und doch schafft er es mit „The People’s Key“ erneut, einen Meilenstein sondergleichen abzuliefern. Eine Rückkehr zu den ruppigen Wurzeln der Bright Eyes ist die Platte geworden: Aufgenommen und eingespielt mit Stammproduzent Mike Mogis, präsentiert sich die Band nach dem schwärmerischen „Cassadaga“ von ihrer rauen Seite und streut immer wieder Emo-Riffs zwischen lieblichen Americana und traditionellen Folk. Inhaltlich lässt Oberst das Feld des Spiritualismus diesmal unangetastet und fragt eher danach, warum wir hier sind und was die Welt im Inneren zusammenhält. So überzogen es klingen mag, aber „The People’s Key“ wird als bestes Album des Jahres 2011 in die Geschichte eingehen. Text: Marcus Willfroth
(Propeller/Soulfood) 500.000 Euro bekommt der Norweger Moddi zur Förderung seiner Musikkarriere von A-ha ausgezahlt. Die Altmeister hatten im vergangen Jahr ein Stipendium ausgeschrieben und neben drei anderen Bands darf sich auch Pål ’Moddi’ Knutsen über die monetäre Unterstützung freuen. Dass er musikalisch jedoch auch bestens allein zurecht kommt, bewies er 2010 bereits mit seiner EP „Rubbles“. Acht neue Songs sollen dies weiter belegen – und sie erfüllen die hohen Erwartungen mühelos. „Floriography“ ist sensibel, bewegend aber auch speziell und anspruchsvoll. Geige, Akkordeon, Klavier und Gitarre arrangiert Moddi dynamisch, gleichzeitig aber auch schüchtern und zurückhaltend, so dass seine Musik in ihrer Erhabenheit über weite Strecken an die der Isländer Sigur Rós erinnert. Nicht die schlechteste Referenz. Text: Kati Weilhammer
(Rough Trade/Beggars/Indigo) Die unfassbare Größe dieser Band war bereits auf dem Debüt „The Decline Of British Sea Power“ zu spüren. Zur Entfaltung kam sie allerdings erst mit dem letzten, dritten Werk „Do You Like Rock Music?“, auf dem alle Hemmungen über Bord geworfen wurden und die Schöpfer mit einem Sound-Verständnis irgendwo zwischen U2 und Echo & The Bunnymen auftrumpften. Freilich steckt auch hinter dem neuen Album der British Sea Power ein Mammut-gleiches Konzept: Frontmann Yan mag es halt mehrdimensional, und selbst wenn „Valhalla Dancehall“ im Zuge dessen etwas putzig den Geist der Geschichte anhand wilder, alles und nichts bedeutender Lyrics einzufangen versucht, sind es die punktgenauen Riffs, die sacht gestreuten Balladen und das irre Gespür für vielschichtige RockMusik, die diese Combo einmal mehr überlebensgroß wirken lassen. Ein Meisterwerk - ohne Übertreibung: Jetzt dabei sein. Text: Marcus Willfroth
(Island/Universal) Schütteln ist nur der Anfang - was PJ Harvey auf ihrem neuen Album sonst noch so mit England vorhat, deutet eigentlich mehr auf ihre bevorstehende Ausbürgerung hin. Idylle ist ja noch nie ihr Ding gewesen, aber so explizit unpatriotisch ging es auch noch nicht zu bei der Dame, die inzwischen auch schon so einige Rollenwechsel hinter sich hat. Ihre Inkarnation diesmal: die Hexe mit der Mädchenstimme, die unschöne Beobachtungen in die Worte von Kriegspoeten kleidet und dem Menschengeschlecht lächelnd die Freundschaft kündigt. Perfiderweise hat sich das noch nie hübscher angehört als auf dieser Platte, deren Texte Gedichten ähneln und deren Musik so anmutig geworden ist, dass einem der unterlegte Marschrhythmus erst beim zweiten Hören auffällt. Kein Wunder, denn „Let England Shake“ klingt auch noch frisch wie Minze. Text: Michael Haacken
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PLATTEN/OFFENBARUNG
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DIE OFFENBARUNG Beatsteaks BOOMBOX (Warner)
Nein, Arnim Teutoburg-Weiß hat seinen letzten Urlaub nicht mit Trent Reznor auf Jamaika verbracht, Bernd Kurtzke war nicht bei Lux Interior am Grab und Thomas Götz fährt zwar Vespa, hat aber trotzdem keinen Madness-Patch am Parka. Woher auch immer die das neue Album begleitenden OffbeatEinflüsse und die sternförmig ausbrechenden Klang-Gewitter stammen mögen, eines steht wieder einmal fest: Die einzig gültige Referenz für den Sound der Beatsteaks sind die Beatsteaks selbst. Auch auf ihrem Post-Pausen-Brot „Boombox“ parken die fünf eine angenehm abwechslungsreiche Hit-Sammlung, mit ausreichend Frischfutter für Mädchen, hungrige Ragga-Muffins und Punks. Größte Errungenschaften des Probierkollektivs sind neben brav am heimischen Keyboard geübten Piano-Partituren und schicken Surf- und Pet-Sounds
vor allem das noch immer heftige Umgarnen von Gitarre, Bass und Schlagzeug, dem bekanntlich besten Trio der Welt. Zur vollen Blüte verhilft dem organisch umgepflügten Klanggarten allerdings Sänger Teutoburg-Weiß, dessen zart getoastete und fresh gereimten Gesangspflänzchen an einer stattlichen Tonleiter empor klettern können, ohne dabei abzuschmieren. Auch die traditionell ans Mikro gebetenen Kollegen Kurtzke und Baumann dürfen wieder mitsingen, wobei letzterer die Metamorphose zum akzentfreien Native-Speaker endgültig abgeschlossen haben dürfte. Willkommen also zu einer weiteren Saison im Beatsteaks-Camp, der definitiv schönsten Zeltstadt diesseits der Gleise. Text: Flo Hayler
1 hoffnungslos ** 2 üben ** 3 bemüht ** 4 egal ** 5 kann man machen ** 6 vorn dabei ** 7 gut ** 8 wichtig ** 9 grandios ** 10 Klassiker Abby Welcome Home
(Snowhite/Universal) Mädchennamen scheinen die fünf Jungs von Abby ganz besonders zu faszinieren. Davon zeugt nicht nur der Bandname selbst, sondern auch die häufige Verwendung des Namens „Evelyn“ in Songs wie beispielsweise „Welcome Home“ oder in - wie sollte es anders sein - „Evelyn“. Woher diese Obsession auf der lediglich fünf Songs umfassenden EP stammt, lässt sich allerdings nur vermuten. Textlich insgesamt eher belanglos und musikalisch back-to-the-roots des Indie-Pop, plätschert die Musik der Mannheimer Newcomer vielmehr vor sich hin, als im Ohr hängen zu bleiben. Vielleicht spielen Abby aber genau die richtige Hintergrundmusik, falls man im Sommer auf dem WG-Balkon mit einem Bier in der Hand und den Füßen auf dem Campingtisch entspannen möchte. Die Frage, ob sie das Next Big Thing werden könnten, kann man jedoch getrost verneinen. 5 Text: Franziska Schuh
Akron/Family S/T II: The Cosmic Birth And Journey Of Shinju TNT
(Dead Oceans/Cargo) Das multiinstrumentale Trio haut schon im den Reigen eröffnenden „Silly Bears“ alles in die Waagschale: Ein treibendes und vor Kraft strotzendes Schlagzeug, schneidende Gitarrenlinien, mehrstimmige Gesangspassagen - ein Wirrwarr aus Spuren, und das alles im Indie-Gewand. Zugleich aber im Folk fußend und mit experimentellen Einlagen. In diesem Spannungsfeld wird sich die Akron-Familie auch die folgenden 40 Minuten aufhalten: Im zarten „Island“ stehen Feldaufnahmen, leichtes Gitarrengezupfe und Synthflächen im Vordergrund und schon drei Lieder später weiß man bei „Another Sky“ gar nicht wohin mit all der überschüssigen Energie. So verfranzen sich Akron/Family zwangsläufig, da der Fokus fehlt oder eine übergeordnetes Motiv, das die Unmenge an phantastischen Ideen zusammen hält. Schon das Etikett, der kryptische Albumtitel, zeigt im Endeffekt das einzige große Manko auf. 7 Text: Volker Bernhard
Anajo Drei
(Tapete/Indigo) Alle guten Dinge sind drei! Das haben sich auch die drei Jungs von Anajo gesagt und nun ihre dritte Platte simpel „Drei“ genannt. Bei der ersten Single
„Mädchenmusik“ geben sie nicht nur überraschend viel Gas, sondern setzen sich auch sehr gelungen und unterhaltsam über die Klischees hinweg, die den Indie-Poppern anhaften. „Decke Auf Den Kopf“ eröffnet das Album ziemlich kraftvoll und mit „Schattenkabinett“ wird es dann sogar irgendwie politisch. Aber leider fällt der Großteil des Albums hinter den geweckten Erwartungen zurück. Stücke wie „Halt Mich Fest“, „Kleine Lügen“, „Sommer“ oder „Mann Im Mond“ sind eben eher brave Gitarren-Pop-Songs über die Liebe, das Leben und den ganzen Rest. Mädchenmusik eben. 5 Text: Holger Muster
The Blackout Argument Detention
(Redfield/Alive) Den Boysetsfire-Vergleich werden The Blackout Argument wohl nie loswerden - seit die Band Ende 2005 gegründet wurde, muss sie sich immer wieder anhören, wie die deutsche Antwort auf die Newark-Legende zu klingen. Und mit „Detention“ wird das kaum aufhören, da auch die Entwicklung beider Kapellen vergleichbar ist - schließlich schlagen die Münchener mit dem neuen Album jetzt einen ähnlichen Weg ein wie die vermeintlichen Vorbilder in späteren Jahren: Etwas reduziertes Tempo, ein paar Moshparts und Aggro-Momente weniger, dafür deutlich mehr Rock, Melodie und Parthos, ohne dass die Hitausbeute darunter leiden würde. Bei den Live-Shows darf man also zukünftig mehr Zeit mit Singen und weniger im Pit verbringen. Das schont die Knochen bei gleichbleibend hohem Glückshormon-Ausstoß. Vorbildlich. 7 Text: Tito Wiesner
The Boxer Rebellion The Cold Still
(Absentee/ADA/Warner) Wenn man diese Band zum ersten Mal hört, fragt man sich, wie man bislang ohne ihre Musik leben konnte. Nun ist ihr drittes Album auf dem Markt und unweigerlich drängt sich die Frage auf, was denn bloß mit The Boxer Rebellion passiert ist. Nach dem Vorgänger „Union“, der epischer kaum sein konnte, zeigen sie sich nun von ihrer unterschwellig depressiven Seite. Fast scheint es,
als hätte man zu lang Trübsal geblasen und an Leichtigkeit verloren. Was nicht zu verwechseln ist mit leichter Kost, und dennoch mangelt es diesem Album an Tiefe und es berührt viel weniger als der Vorgänger. Natürlich ist das Nörgeln auf hohem Niveau, denn, wie sollte es bei diesen Musikern auch anders sein, „The Cold Still“ ist dennoch ein durchgängig gut hörbares Album geworden, bei dem jedoch das Besondere irgendwo auf dem Weg verloren ging. 6 Text: Sarah Gulinski
Cloud Nothings Cloud Nothings
(Wichita/Cooperative/ Universal) Von 100 auf, naja, 1 in Windeseile. Auf ihren ersten Singles und EPs, kürzlich gebündelt in der Compilation „Turning On“, hatten Cloud Nothings fehlende Mehrschichtigkeit im Sound noch mit flottem und authentischem Songwriting und viel Frische wettgemacht. Auf dem selbstbetitelten Longplayer-Debüt der Band aus Cleveland geht nun aber alles schief. Die elf neuen Songs lärmen und leiern in einer penetrant-aggressiven Monotonie gänzlich fantasielos vor sich hin, dass die Nerven schnell blank liegen, ehe sie säuberlich Track für Track abgeschossen werden, bis man sich am Ende der Platte endgültig stumpf und unglücklich fühlt. Selten war die Stille danach so wohltuend. 1 Text: Friedrich Reip
Codes In The Clouds As The Spirit Wanes
(Erased Tapes/Indigo) Wer eine Band zusammentrommeln möchte, hat es beim Sängerposten immer am Schwersten. Entweder sind die Kandidaten zu schüchtern oder zu schlecht, manchmal auch beides. Ob die Briten Codes In The Clouds das gleiche Problem hatten? Instrumenteller Post-Rock ist ja so eine spezielle Sache. Mogwai zum Beispiel verbinden ihn mit viel Experimentierfreude und sphärischer Größe. Wenn man eher spartanisch vorgeht wie Codes In The Clouds und im Grunde die Besetzung für eine typische Indie-Rock-Band stellt, dann wird daraus manchmal eine Art Wartesaal-Post-Rock. Man wartet auf Worte, die niemals gesungen werden. Trotzdem: So ein regennasser, blass verwaschener Sound ist manchmal nicht das Schlechteste, was einem passieren kann. 6 Text: Gordon Gernand
Cold War Kids Mine Is Yours
(Downtown/Cooperative/ Universal) Die große Qualität der Cold War Kids war es bisher, muffige, stumpfe, fast kammermusikalische Intimität zu erzeugen. Auf „Mine Is Yours“ haben sie sich allerdings für die Stadion-Rock-Produktion entschieden. Was als Widerspruch erscheint, funktioniert streckenweise erstaunlich gut - kein Wunder, mit Jacquire King saß hier jener Herr an den Reglern, der aus den bärtigen Kings Of Leon eine glatt rasierte Stadion-Band gemacht hat. In den besten Momenten können Cold War Kids das volle Epik-Programm abrufen („Bulldozer“), große Refrains rauspusten („Mine Is Yours“) und im nächsten Moment wieder arty-intensiv wirken. Wenn die Schere zwischen Lied und Format allerdings zu weit auseinander klafft, fehlen den Cold War Kids die Eier, über die U2-Gitarren auch völlig unironisch „Your Sex Is On Fire“ zu singen. Muss noch zusammenwachsen. 6 Text: Timo Richard
Crystal Fighters Star Of Love
(Different/PIAS/Rough Trade) Seltsam, überall wo Crystal drauf steht, muss wohl auch eine gute Prise Elektro drin sein. Ähnlich wie ihre SemiNamensvetter von den Crystal Castles legen auch die Crystal Fighters ihre Basis auf Beats, allerdings würde es viel zu kurz greifen, wenn man die Basken darauf reduzieren wollte. „Star Of Love“ ist nicht nur ein fast schon psychedelischer Titel, sondern lässt eine Menge Platz für Experimente, die in ihrer Gesamtheit eher an Animal Collective erinnern. Baskischer Folk als Reminiszenz an den Großvater wird hier genauso reingemixt wie ganz süßliche Achtziger-Synthies, und ab und an grätscht sogar eine verzerrte Metal-Gitarre rein. An Geistesblitzen mangelt es den Crystal Fighters keinesfalls. Im Gegenteil, ihr überbordender Ideenreichtum könnte zum Problem werden. Nämlich dann, wenn die Crystal Fighters sich über die Länge eines ganzen Albums in ihrer eigenen Stilvielfalt verzetteln. 6 Text: Tim Kegler
The C-Types Devil On 45
(Hazelwood/Rough Trade) Quentin Tarantino, wo steckst du, wenn man dich braucht? Wobei: Schon nach wenigen Minuten wird klar, dass The C-Tapes ihre Arbeit so gut gemacht haben, dass man auf die vor-
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gefertigten Bewegtbilder des „Pulp Fiction“-Machers getrost verzichten kann. Dank schnellem Blues, trashigem Tango und Surf-Rock-Twangs projiziert ihr Langspieldebüt von allein groteske Bilder auf die innere Leinwand: Tote Exfrauen, Kunstblut, schwere Luft und große Wagen. Allerdings funktioniert „Devil On 45“ auch abseits der Klischees von breiten Koteletten und Flammenshirts und ist am Ende ein formidables Stück Musik, gerade weil es wie aus einem Guss in die selbstgebaute Filmkulisse ziehen kann, aber auch ganz gut ohne auskommt. 6 Text: Katja Taft
Cut Copy Zonoscope
(Modular/Rough Trade) Auch wenn „Zonoscope“ eines der am sehnlichsten erwarteten Alben sein dürfte und Cut Copy darauf genug Qualität abliefern, um am Jahresende in einigen Bestenlisten aufzutauchen - eigentlich ist dieses Album eine Zumutung. Es ist ein Mucker-Album, das so oder so ähnlich auch von musikalischen Tranquilizern wie Men At Work oder den Dire Straits hätte produziert werden können, wenn man denen die Sache mit den Beats erklärt hätte. Es ist die Indie-chice-Ausrede für Menschen in der Blüte ihrer Jahre, synthieschmalzige, unaufgeregte Altherrenmusik ohne Biss zu „genießen“. Da hilft auch der 15-minütige quasi Rave namens „Sun God“ als Albumcloser nicht. „Zonoscope“ ist keine schlechte Platte, es besteht für Menschen unter 40 nur keine Notwendigkeit, sie zu hören. 5 Text: Timo Richard
Dead Confederate Sugar
(Kartel/Soulfood) Völlig losgelöst lassen sich Dead Confederate nicht betrachten. Die musikalische Sozialisation in den Neunzigerjahren durchzieht das zweite Album der Band wie ein roter Faden. Gitarrenverzerrte Soundwände, gefällige Melodien und Gesang, der an Billy Corgan oder J Mascis erinnert, lassen kaum Verhandlungsspielraum. Dennoch schrauben Dead Confederate mit „Sugar“ an einer eigenen musikalischen Zeitrechnung irgendwo zwischen Dinosaur Jr. und freiem Fall durch schweren, alternativen Gitarrenr-Rock. Mit dem abgespeckten „Run From The Gun“ haben die Fünf aus Athens, Georgia, zudem einen beinah obszön intensiven, heimlichen Hit auf ihrem Album platziert - beginnend mit der Zeile „I got mad at history“. Die Folgen sind vielversprechend. 6 Text: Kristin Sperling
Decemberists The King Is Dead
(Beggars/Indigo) Country ist gar nicht so, wie hier immer alle denken. Keine klischeetrunkene Schauermusik aus Cowboy-Land. Wahrer Country erdet die tieferen Dimensionen der Emotionen: Schmerz, Einsamkeit und der entschlossene Trotz gegenüber Schmerz und Einsamkeit. Melancholie für Menschen, die mit erhobenem Kopf durchs Leben gehen. Wer sich an die Klassiker (noch) nicht herantraut, kann es mit dem aktuellen Album der Decemberists versuchen. Die hatten schon immer eine Nähe zum Folk. Nun spielen sie ein ganzes Album lang nur
(Quality Hill Records/Soulfood) Drei Songs lang hält die Illusion. Drei Songs lang, vom eröffnenden „Tithe“ über das mitreißende „Regent’s Court“ bis zum schönen „Shatter Your Lungs“ kann man sich einreden, die Götter des Mid-Nineties-Emo, die Erschaffer unsterblicher Hymnen wie „Action & Action“ oder „Ten Minutes“, hätten es wieder geschafft. Hätten erneut den perfekten Mittelweg aus Melancholie und Euphorie, Herzschmerz und Lebensfreude gefunden, wenn auch diesmal mit etwas düsterem Unterton. Dann aber entpuppt sich das vermeintlich gelungene Comeback der Kansas-Legende als Fata Morgana - und „There Are Rules“ ergeht sich fast nur noch in krachiger, uninspirierter und konzeptloser Indie-Elektro-Frickelei. Man kann das progressiv, erwachsen, experimentell und mutig nennen. Oder man ist ehrlich und sagt, wie es wirklich ist: Belang- und konzeptlos nämlich. Und eine tragische Selbstdemontage des unangreifbar geglaubten Legendenstatus’. Text: Tito Wiesner
The Dreadnoughts Polka’s Not Dead
(Destiny/Broken Silence) Der Albumtitel verrät es bereits: The Dreadnoughts sind eine Folk-Polka/ Punk-Band. 2006 in Vancouver gegründet, gelingt es den Jungspunden im Gegensatz zu den Dienstälteren Dropkick Murphys oder auch Flogging Molly bei ihrem Folk-Punk noch den Spirit vom Street-Punk und die Schnelligkeit von Bands wie NOFX oder Pennywise perfekt mit einfließen zu lassen. Live sind The Dreadnoughts im Februar zusammen mit Talco zu erleben. 6 Text: Roland Köppel
Drive-By Truckers Go-Go Boots
(PIAS/Rough Trade) „Go-Go Boots“ ist das elfte Album der Drive-By Truckers und zugleich die kleine ruhige Schwester aus der Aufnahmesession des großartigen letzten Outputs „The Big To-Do“. 14 Geschichten entlang einer nächtlichen Fahrt durch die Weite der Südstaaten werden erzählt, begleitet von den traurigen Gestalten und ihren absurdalltäglichen Anekdoten zwischen Scheitern, Kleinkriminalität und unerfüllter Sehnsucht. In einer klassischen Kombination aus Country und Soul, wie es sie nur dort geben kann. Die Musik transportiert gleichermaßen die leidenschaftliche Liebe zum Leben, wie die Anstrengung, es zwischen zwei unterbezahlten Jobs in den nächsten Tag zu schaffen. Vielleicht ist das alles sehr klischeebeladen, jedoch bleiben die DriveBy Truckers dabei jederzeit so authentisch und diskret, dass „Go-Go Boots“ nur als berechtigter Bestandteil klassischer amerikanischer Musiktradition gewertet werden kann. 6 Text: Aiko Kempen
Earthship Exit Eden
Get Up Kids There Are Rules CONTRA
Country-Folk mit hochwertigen Songs. Für die, die den ebenso hochwertigen Rock der letzten Alben vermissen: Eine harte Probe. Für die, die offen sind für neues Altes: Eine Einladung - vielleicht die stilvollste und aufrichtigste in diesem Jahr. Wer sich aber nicht sofort in „Rise To Me“ verliebt, lässt es doch besser sein. Der muss unberührt und ungerührt bleiben. 7 Text: Gordon Gernand
Pro
Ein verhalltes „Das ist sehr gut. Das ist schlecht“, leitet das erste Album seit sechs Jahren der wieder genesenen Get Up Kids ein. Was folgt ist eher sehr gut, wenn auch sicher anders, als vom Großteil der treu ausharrenden Fangemeinde erwartet. Aber was bleibt einer Band, die seit „Something To Write Home About“ nach jedem Output mit der Enttäuschung der Fans zu kämpfen hatte? Sich locker machen wahrscheinlich. Und so ist „There Are Rules“ ein lockeres, manchmal düsteres, leicht autistisches Album geworden, auf dem die Get Up Kids redlich versuchen, ihr Talent unglaublich eingängige Power-Pop Songs zu schreiben, hinter einem Sounddesign zu verbergen, das offensichtlich einem sowjetischen Störsender nachempfunden wurde. Schaffen sie natürlich nicht. Songs wie „Regent’s Court“ oder „Automatic“ hätten sie auch per Kassettenrekorder in einer Waschmaschine aufnehmen können und sie wären immer noch brillant. Text: Timo Richard
(Pelagic/Cargo) An dieser Stelle kommt man nicht drum herum, The Ocean zu erwähnen. Denn in dem Bandkollektiv Earthship finden sich mit Staps und Oberg gleich zwei derer (Ex-) Mitglieder. Was das genaue Anliegen dieses Zusammenschlusses ist, wird nicht ganz klar, denn auch wenn es sich hier um eine frisch aus dem Ei gepellte Band handeln soll, klingen sie wie eine alteingesessene Formation. Im Vergleich zu The Ocean zeigt sich dieser Post-Metal-Abkömmling etwas reduzierter und mehr auf den Punkt, insgesamt handelt es sich hierbei dennoch um keine Neuerfindung des Rads. Gut ist das trotzdem, doch schon die Wahl des Bandnamens zeigt, dass die Abnabelung von der Mutterband ganz offensichtlich nicht geglückt ist. 6 Text: Sarah Gulinski
Esben And The Witch Violet Cries
(Matador/Beggars/Indigo) Esben And The Witch ist nicht nur der Titel eines dänischen Volksmärchens, seit 2008 ist es ebenfalls der Name einer Band aus Brighton. Während der Leser des Märchens beruhigt sein kann, dass Esben als jüngster von zwölf Brüdern schließlich
über die böse Hexe triumphiert, bleibt das Gefühl der Erleichterung beim Hören von „Violet Cries“ leider aus. Stattdessen bedrücken ungewöhnliche Töne. Wenn Sängerin Rachel Davies mit unterkühlter Stimme hoffnungslose Textfragmente haucht, die ebenso gut der expressionistischen Lyrik entliehen sein könnten, erinnern die hallenden Gitarren gleichzeitig daran, dass wir uns im Hier und Jetzt befinden und nicht zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Doch so beunruhigend das Genre Nightmare-Pop auch sein mag, es ist nicht minder faszinierend - fast so wie der Autounfall, bei dem man wegsehen möchte, es aber unerklärlicherweise nicht kann. 7 Text: Franziska Schuh
Francesco Wilking Die Zukunft Liegt Im Schlaf
(Tapete/Indigo) Während Bassist Jörg Holdinghausen bei Wir Sind Helden und Per Anders mitgemischt hat, nutzte Sänger Francesco Wilking die Pause bei Tele, um ein Soloalbum aufzunehmen. „Sag Sarah“ eröffnet das Werk recht melancholisch mit dem Geständnis, dass die besungene Beziehung keine Zukunft hat. „Martha“ schließt ähnlich ruhig daran an. Das Thema, dass die Liebe manchmal nicht Bestand hat, beschäftigt Wilking auf „Die Zukunft Liegt Im Schlaf“ noch des Öfteren, wie auch in der flotteren Single „Ein Film Über Uns“. Insgesamt klingt das Ganze rauer und weniger poliert als Tele. Und weniger aufregend - was durchaus auch positiv gemeint ist. Helden-Sängerin Judith Holofernes bezeichnet das Album übrigens als eine selbstgenügsame, zufriedene, freudige Platte. Spannender wird aber sein, wie es mit Tele anschließend weitergeht. 5 Text: Holger Muster
Funeral Party The Golden Age Of Knowhere
(Sony) Funeral Party, so darf man anhand ihres hippen unrasierten Aussehens, ihrer energetischen Live-Videos und den Vorschusslorbeeren ihres Debüts „The Golden Age Of Knowhere“ annehmen, dürften schon ungehört als der neueste heiße Scheiß aus Los Angeles durchgehen. Auch musikalisch bedienen sich die dreieinhalb männlichen Frühzwanziger dafür nicht an den falschesten Zutaten: „New York City Moves To The Sound Of L.A.“ hat schrammelige Gitarren, KuhglockenGeklimper und einen krächzenden Refrain, der Rest hat einen hastigen „Lieber heute als morgen“-Gestus Marke Hot Hot Heat trifft The Used trifft Kilians. Klingt langweilig? Klingt so, als gäbe da jemand den Kids, was sie wollen! 6 Text: Fabian Soethof
Fuzztones Preaching For The Perverted
(Stag-O-Lee/Glitterhouse) In Fuzz we trust! Wenn die Ramones schon ihr eigenes Museum haben, dann hätten die Fuzztones erst recht eins verdient. Da könnten sich die Gottväter of Garage-Punk dann auch glatt als eigene Exponate reinstellen. Seit über 30 Jahren ist Fuzzmaster Rudi Protrudi mit seiner Combo unterwegs und legt mit „Preaching For The Perverted“ sein erstes Studioalbum seit fünf Jahren vor - souverän gespielter Garage-Punk und Psychedelic-Rock. Natürlich wird eine Band wie die Fuzztones jetzt nicht plötzlich schräge Elektro-Musik machen, aber mit „Come To Me“ überrascht am Ende sogar ein eher ungewöhnliches, seltsames Klavierfragment. Da die Fuzztones sowieso seit Jahren für ausgedehnte Touren bekannt sind, dürfte auch der nächste Abstecher hierzulande schon eingeplant sein. 6 Text: Tim Kegler
unclesally*s magazine
Gruff Rhys Hotel Shampoo
(Turnstile/PIAS/Rough Trade) Für einen Scherz war Gruff Rhys schon immer zu haben: Als Chef der Super Furry Animals erkundete er von der harten Realität bis hin zu verwunschenen Märchenwelten so ziemlich jeden Winkel, der ein gutes Storytelling bietet, und natürlich will er diesem Ansatz auch auf Solopfaden gerecht werden. Nach einem komplett in walisischer Sprache aufgenommen Debüt und dem überraschend konventionellen Nachfolger, ist der dritte Anlauf wieder verschroben-schön geraten: „Hotel Shampoo“ präsentiert sich als Studie eines niemals endenden Tourlebens, ruft ehemalige Aufenthaltsorte ins Gedächtnis zurück und lässt den Dingen musikalisch freien Lauf. Von Sixties-Pop über Indie-Rock bis hin zu klassischem R’n’B bieten die Songs einen gewagten Rip-Off diverser Stilrichtungen. Manchmal zu viel des Guten, witzig aber so oder so. 5 Text: Marcus Willfroth
Hercules And Love Affair Blue Songs
(Moshi Moshi/Cooperative/Universal) Der Mythos lautet: Das zweite Album ist stets das schwerste, und Hercules And Love Affair sind genau an diesem Punkt angekommen. Sie müssen den vielen Lobhuldigen ihres Debüts gerecht werden und ihnen am besten gleich noch eins oben drauf setzen. „Blue Songs“ wagt zunächst keine unkontrollierten Experimente und orientiert sich am bereits erprobten Sound: Eingängige Disco-Samples und zackiger Elektro-Pop sind das Gebot der Stunde und werden durch erstaunlich ruhige Passagen verfeinert. Dabei ist allein die Coverversion vom Pet Shop Boys-Klassiker „It’s Alright“ jeden Hype wert. Wobei die eigenen Beiträge die Highlights setzen: Chefvorsteher Andrew Butler besitzt unumstritten ein Talent für sensible Tunes und meistert den zweiten Anlauf spielend leicht. Der Mythos hemmt hier niemanden, Hercules And Love Affair halten den Kurs. 8 Text: Marcus Willfroth
I Hate Our Freedom Seriously
(Arctic Rodeo/Alive) Wären I Hate Our Freedom eine Ruhrpott-Combo, man müsste es zur eindeutigen Einordnung ihres Debüts „Seriously“ mit Peter Thorwarths Kinoklassiker „Bang Boom Bang“ halten: „20 Minuten Hardcore, echte Gefühle!“ Weil I Hate Our Freedom aber aus Brooklyn stammen und sich ihre umtriebigen Mitglieder aus so legendären Szenegrößen wie Texas Is The Reason, Thursday, Garrison oder Milhouse rekrutieren,
darf man ruhig genauer hinhören. Dann entdeckt man erfrischend frei aufgespielten Emo-Core zwischen Sunny Day Real Estate und Rival Schools, der seine Wurzeln in den mittleren Neunzigern naturgemäß nicht verstecken kann - und mit „Seriously“ ein Debüt wie ein Spätwerk, einen knappen und kurzweiligen Schnellschuss vier erwachsener Jungs, die laut eigener Aussage „Dosenbier trinken und Rock-Musik machen“ und „nichts und niemanden verändern“ wollten. Mission erfüllt, und wer würde es ihnen vorwerfen wollen. 6 Text: Fabian Soethof
Imaginary Cities Hummingbird
(Grand Hotel van Cleef/ Finetunes) Obacht, der kanadische Chipmunk kommt! Die Stimme von Sängerin Marti Sarbit klingt nämlich laut Mitmusiker Rusty Matyas wie die eines eben solchen Streifenhörnchens. Aber wenn schon, dann wohl ein souliger und bluesiger Chipmunk. Denn das Duo bietet amtlichen Indie-Pop gepaart mit R’n‘B. Ein unkonventioneller Ansatz, der aber prima funktioniert. Das R und das B könnten sogar durchaus eine noch präsentere Rolle spielen. So wie im angenehm einfach arrangierten Song „Ride This Out“, der perfekt auf eine Amy WhinehousePlatte passen würde. Etwas mehr Mut wäre also nicht verkehrt gewesen. Die „Hummingbird“EP wirkt trotzdem frisch und macht Spaß. Die drei Songs auf der Kolibri-Platte vergehen auch tatsächlich wie im Flug. Die EP ist der Vorbote für das im Frühjahr erscheinende Album. Das darf man sich schon mal vormerken. 7 Text: Johannes Musial
Iron & Wine Kiss Each Other Clean
(4AD/Beggars/Indigo) Mehr als drei Jahre hat es gedauert, bis Sam Beam den Nachfolger von „The Shepard’s Dog“ fertig gestellt hat. Dafür darf man sich jetzt um so mehr über die zehn neuen Songs des bärtigen Kauzes aus Texas freuen. Wer aber denkt, eine klassische Iron & Wine-Platte zu hören zu bekommen, wird überrascht sein. Zwar knüpft „Kiss Each Other Clean“ an alte Iron & Wine-Songtraditionen an - wie zum Beispiel mit „Tree By The River“ - doch offenbaren sich bei genauerem Hinhören Jazz- und Blues-Einflüsse, die in Kombination mit den vertrauten Folk-Elementen für Iron & Wine-Verhältnisse ungewohnt klingen. Vielleicht ist der Zugang zu dem Album deshalb etwas schwieriger zu finden, hat man ihn sich aber verschafft, offenbart sich ungeahnte Schönheit. 7 Text: Kati Weilhammer
Joan as Police Woman The Deep Field
(PIAS/Rough Trade) Joan Wasser alias Joan As Police Woman ist jetzt 40, nimmt das aber nicht zum Anlass für eine Lebenskrise. Stattdessen erfreut sie uns mit einem dritten Album, das sich nicht weit von den Vorgängern entfernt, aber trotzdem oder gerade deshalb gut funktioniert. „The Deep Field“ balanciert geschickt zwischen Indie-Pop und Soul und ist dabei auf lässige, unverbrauchte Weise gefühlvoll. Das Album hat einige seiner stärksten Momente, wenn es richtig soulig wird: Bei „Human Condition“ wummert ein Prince-artiger Bass, und „Chemmie“ klingt nach Motown, ohne wie alle anderen zu klingen. 8 Text: Arne Lieb
Kaizers Orchestra Violeta Violeta (Vol.1)
(Petroleum/Rough Trade) Die Eels haben es vorgemacht und im vergangen Jahr mit „Tomorrow Morning“ ihre Album-Trilogie komplettiert. Kaizers Orchestra aus Norwegen stehen hingegen erst am Anfang und veröffentlichen mit „Violeta Violeta (Vol.1)“ Teil Eins ihres Tripels, das 2012 vollständig in den Plattenregalen stehen soll. Zunächst darf man sich aber mit den ersten zehn Songs vergnügen, die Indie-Rock, BalkanEinflüsse und norwegische Texte vereinen. Das Konzept dieser ungewöhnlichen Zusammensetzung hat sich in der Vergangenheit bereits mehrfach bewährt und wird es in Zukunft weiterhin tun. Auch, wenn die erste Singleauskopplung „Hjerteknuser“ für die sonst so laute, krachige und wilde Band diesmal überraschend sanft ausgefallen ist. 7 Text: Kati Weilhammer
Ludger Auf Eis
(Eigenvertrieb: ludger. bandcamp.com) „Kommt, wir machen mal was Absurdes: Wir gründen eine Punk-Band, in der jeder das Instrument spielt, das er nicht beherrscht.“ So in etwa muss Ludger entstanden sein. Hier findet man die eierlegende Wollmilchsau der Musikindustrie: Sänger Kevin Hamann (ClickClickDecker/Bratze) am Bass, Gitarrist Sergej Halosin (Juri Gagarin) am Schlagzeug, den ehemaligen PetersBassist Jörg Fuchs als Sänger und zu guter Letzt Schlagzeuger Rasmus Engler (Herrenmagazin)
PLATTEN
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an der Gitarre. Der gute alte Punk ist eben noch immer das, wo alles erlaubt ist. Ganz stilecht gibt es das Album AUSSCHLIESSLICH auf MC. Allen Neunziger-Geborenen sei gesagt, dass es sich hierbei um ein kleines Viereck mit Tonband handelt, auch Kassette genannt. Bester Punk in Kassierer-Manier auf dem sympathischsten Tonträger der Welt! 7 Text: Sarah Gulinski
Marianne Faithfull Horses and High Heels
(Naive/Indigo) Schicht um Schicht haben sich Alkohol, Nikotin und andere Exzesse im Laufe der Jahre auf Marianne Faithfulls einzigartige Stimme gelegt, mit der sie dunkel und unverwechselbar ihre Songs mehr spricht denn singt. Auch auf „Horses And High Heels“ steht sie ganz im Mittelpunkt, vor allem bei melancholisch-schönen Album-Highlights wie dem Elton John-Cover „Love Song“ oder dem famosen „Past Present Future“. Mitunter vermisst man unerschrockene, junge Mitstreiter wie Beck oder Patrick Wolf, die Faithfulls weise Grandezza mit Coolness konterkarieren; stattdessen klingen die schwächeren Stücke hier so bieder instrumentiert wie das Spätwerk der Stones. Aber wie gesagt: zur Not würde man sich von ihr auch das Telefonbuch vorlesen lassen. 6 Text: Patrick Heidmann
Middle Class Rut No Name No Color
(Bright Antenna/Warner) Middle Class Rut beweisen mit der Wahl ihres Debüttitels Selbstironie. Anders als die Phrase „No Name No Color“ suggeriert, befinden sich auf dem Album hauptsächlich Stücke der bereits veröffentlichten EPs „Red“, „Blue“ und „25 Years“. Der Collagen-Charakter (mit dem Cover-Artwork auf die Spitze getrieben) mindert den positiven Eindruck nicht im Geringsten. Neben alten Songs sind genug neu geschriebene Stücke auf „No Name No Color“ versammelt. Einige machen es sogar schwer zu glauben, dass Middle Class Rut einzig und allein aus den beiden Kaliforniern Zack Lopez und Sean Stockham besteht - „Busy Bein’ Born“ oder „Dead End“ wirken weit energiegeladener, als es die Songs einer zweiköpfigen Band sein dürften. Dank Middle Class Rut sind die Neunziger zurück – aber nicht der geschmacklose Teil, sondern der Part mit dem Sound der frühen Jane’s Addiction und der Wut von Filter oder Rage Against The Machine. 7 Text: Franziska Schuh
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MUSIK STORIES
Mogwai Hardcore Will Never Die, But You Will
(PIAS/Rough Trade) Hu, das Post-Rock-Monster von Loch Ness ist zurück. Hat sich eigentlich nicht viel geändert bei den fünf Herren aus Glasgow. Das Mogwai-Raumschiff zieht erhaben wie eh und je seine Runden. Auf zehn Songs werden, episch wie gewohnt, Soundflächen so groß wie Seen in den schottischen Highlands, zarte Melodien und verhuschte Gesangslinien aufgezogen. Mit beruhigender Gleichmäßigkeit findet sich hinter dem Hardcore-pathetischen Titel all das, was man von Mogwai und ihrem Art-Post-Rock spätestens seit dem Vorgänger „The Hawk Is Howling“ schon kannte und mittlerweile auch Epigonen wie Mono perfekt beherrschen. Ist das nun schlecht? Nein, eher beruhigend schön. Das musikgewordene Caspar-David-Friedrich-Gemälde quasi, für den Hardcore-Mogwai-Kenner ebenso geeignet wie für den Neueinsteiger. 6 Text: Tim Kegler
Nagel Was Kostet Die Welt
(Audiolith/Broken Silence) Nagel scheint schon seit langem eine Vorliebe für Hörspiele der klassischen Machart zu pflegen. Bereits auf der ersten Muff Potter-Veröffentlichung setzte er der heute fast vergessenen Kunst mit dem Stück „!!! (1-39)“ ein Denkmal. Auf der 10“-Veröffentlichung „Was Kostet Die Welt“ liest Nagel nun vier Textstellen aus seinem neuen, gleichnamigen Buch. Im Hintergrund hört man von ihm und dem ehemaligen Muff Potter-Produzenten und TomteBassisten Nikolai Potthoff komponierte Klangfetzen. Obendrauf gibt es eine Akustik-Version des New Order-Hits „Bizarre Love Triangle“. Nagel trägt seine Texte in harten, kantig in die Luft gestanzten Worten vor. Seine Stimme und die meist fahrige Hintergrund-Beschallung im Stile von Hörspiel-Detektiv-Musik lassen einen verzweifelt nach Halt suchen. „Was Kostet Die Welt“ ist ambitioniert - keine Frage - das Buch sollte man trotzdem lesen. 5 Text: Frédéric Schwilden
Navel NeoNoir
(Noisolution/Indigo) Grunge. So einfach kann das sein: Ein hart gespieltes Schlagzeug und größtenteils bretternde Saiteninstrumente, ein schönes Distortionpedal inklusive. Wir verkneifen uns besser den Vergleich zu gängigen Grunge-Referenzbands, dafür verweben Navel andere Stile - wie in dem Song „Acid Queen“ Garage und Blues - zu gekonnt in ihren Sound. In „It’s The Road That
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Makes The Song“ wird wohl den Punk-Wurzeln gehuldigt und „Black Days“ mündet nach verhaltenem Beginn in einem Kraftakt, der so ähnlich auch von Blackmail sein könnte - im besten Sinne. Das „Rockin’ In The Free World“-Cover geht in diesem Rahmen hingegen gar nicht. Natürlich stecken die drei Schweizer hier mit beiden Beinen und der Hüfte in den Neunzigern fest, überraschen kann folglich nicht viel. Aber die Darbietung ist recht überzeugend. 6 Text: Volker Bernhard
New Politics New Politics
(Sony) Die dänische Band mit amerikanischem Sound zeigt: Neu ist ein dehnbarer Begriff. Denn statt neuer Politik präsentiert die Band auf ihrem Debütalbum eingestaubte Ideen. Der Abspielknopf ist hier zugleich Zeitmaschine - zurück in die Neunziger. Beim Hören grüßt die Alternative-Rock-Szene mit Rage Against The Machine, Nirvana, Bloodhound Gang und Weezer. Die drei Jungs von New Politics sind zwar extra in die Indie-Hauptstadt New York übergesiedelt, der Einfluss zeigt sich aber nur stellenweise. Auch der sporadische Synthesizer vermag nicht die fehlende eigene Note und die dreiste Kopie zu überdecken. Wer das letzte Jahrzehnt Musikgeschichte verpasst hat, findet auf der CD aber Ohrwürmer und Tanzvorlagen wie die erste Single „Yeah Yeah Yeah“. 4 Text: Johannes Musial
Nichts Zeichen Auf Sturm
(Electrique Mud/Unique/ Alive) Punkrock, Kraftwerk, ‚Ata Tak’, New Wave, NDW. 1981 ist Düsseldorf die wichtigste Stadt der BRD! Als Nichts im Juni 1981 mit „Made in Eile“ einen deutschen New Wave Klassiker aus ihrem Proberaum auf die Straße schieben, ahnen sie nicht, dass sie mit diesem Bandnamen einmal ungooglebar sein werden. Es gibt kein Internet und die Band soll das www. auch niemals erleben. Nach einem weiteren Klassiker „Tango 2000“ und einem traurigen Nachzügler, lösen sich Nichts auf. Jetzt erblickt 30 Jahre später noch einmal ein Album der Band, das mittlerweile nicht mehr ganz so neonfarbende Licht der Welt. Bis auf Sänger und Gitarrist Michael Clauss sind Nichts neu. Keine Reunion. Eher eine Reanimation mit Prothesen. Trotzdem ist die Band nicht entstellt und trotz neuer Besatzung immer noch als das zu erkennen, was sie mal war. Leider ignorieren Nichts die letzten 30 Jahre Musikgeschichte und können auch nicht mehr so tun, als seinen sie 18 und voller Dosenbier. Damit ist „Zeichen auf Sturm“ nicht fresh genug für das Jahr 2011 und wäre auch nicht mehr frech genug für das Jahr 1981. So, wie Düsseldorf eben ist. 5 Text: Yessica Yeti
Pearl Jam Live On Ten Legs
(Monkey Wrench/Universal) Eigentlich sind Livealben ja eine Sache für die Fans. Im Falle von Pearl Jam aber verhält es sich, wie so vieles in der nunmehr Anlass gebenden 20-jährigen Bandgeschichte, anders: Die Live-Qualitäten einer der besten und beständigsten Rock-Kapellen der Welt sind hinreichend dokumentiert. Wer den Werdegang von Eddie Vedder und Co. über ihre neun Studioalben und 842 Auftritte mitverfolgt hat, kam um eines der sechs Live-Alben oder der seit 2000 mitgeschnittenen 314 offiziellen Bootlegs nicht herum. „Live On Ten Legs“ ist deshalb nicht mehr und nicht weniger als der offizielle Nachfolger zu „Live On Two Legs“ (1998), eine Hommage an die Crew und ein Geburtstagsständchen der Band an sich selbst. Klassiker („State Of Love And Trust“, „Jeremy“), Live-Raritäten („In Hiding“), Coversongs („Arms Aloft“, „Public Image“) dürften jeden von der Größe dieser Band überzeugen. Nur nicht die Fans, die kennen das ja alles schon. 6 Text: Fabian Soethof
The Phoenix Foundation Buffalo
(Memphis Industries/ PIAS/Rough Trade) Zufriedenheit ist in den seltensten Fällen Motor sensationeller Musik. Das beweist auch The Phoenix Foundation mit ihrem vierten Studioalbum. Es ist der Band förmlich anzuhören, dass in ihrer neuseeländischen Heimat Wellington die glücklichsten Menschen der Welt leben. The Phoenix Foundation hat eine Platte geschaffen, die an Bedeutungslosigkeit Ihresgleichen sucht. Der Song, der dem Langspieler seinen Namen leiht, schafft es gerade so aus dem Einheits-GitarrenPop-Brei hervorzustechen. Alle anderen, die noch einfallslosere Titel wie beispielsweise „Orange & Mango“ oder „Bailey's Beach“ tragen, sind kaum voneinander zu unterscheiden. Man könnte mehr erwarten von einer Band, die sich nach der imaginären Forschungsorganisation benannt hat, in dessen Auftrag Mac Gyver stets unterwegs war. Letzterer hätte mit Kamm und Seidenpapier übrigens Mitreißenderes produzieren können. 4 Text: Franziska Schuh
Roger Miret & The Disasters Gotta Get Up Now
(People Like You/EMI) Aufstehen und kämpfen, immer zusammenhalten, Punkrock & Hardcore hoch leben und sich weder von korrupten Politikern noch von bösen Medien was vormachen lassen: Roger Miret singt in ebenso einfach
gehaltenen wie einprägsamen Zeilen seit Jahren von den gleichen Dingen; egal ob bei seiner Hauptband Agnostic Front oder seinem melodischen Soloprojekt. Während letzteres allerdings in der Anfangszeit noch etwas unter mangelndem Ohrwurmfaktor litt, hat „Gotta Get Up Now“ endlich das Potenzial, Konzertsäle und Irish Pubs nicht mehr nur zum Schunkeln, sondern auch zum leidenschaftlichen Mitgrölen zu bewegen. „Stand Up And Fight“, der Titeltrack und viele weitere Songs der vierten Disasters-Platte zitieren gekonnt alles von The Business über Stiff Little Finger bis The Clash und machen einfach Spaß. Also Bier greifen und mitsingen - die nächste Revolution kann man ja auch noch morgen starten. 7 Text: Tito Wiesner
Scheisse Minnelli The Fight Against Reality
(Destiny/Broken Silence) Der Bandname schockt wie Sau. Die wahre Qualität von Scheiße Minnelli besteht allerdings darin, 2011 eine Platte zu veröffentlichen, die so perfekt den Sound und die Idee des Achtziger-Oldschool-Hardcore rüberbringt, wie es heutzutage nicht mal mehr eine US-Band kann. Denn, ganz richtig: diese Band kommt aus Deutschland und veröffentlicht mit „The Fight Against Reality“ 16 Knaller-Songs mit Straightinto-your-face–Attitüde und Stories über Skaten, Alkohol, Religion, Selbstmord oder Serien-Killer - eben typisch für dieses Genre. Dazu haben noch Gastmusiker von Bands wie Attitude Adjustment, Terrorgruppe, The Bottrops und The T.C.H.I.K auf dem Album mitgewirkt, und das Ergebnis kann sich hören lassen. 6 Text: Roland Köppel
Seefeel Seefeel
(Warp/Rough Trade) Das letzte Album von Seefeel entstand Mitte der Neunziger, da ist es schwer anzuknüpfen - musikalisch und erfolgstechnisch - vermeintlicher Kultstatus hin oder her. Nicht gerade erleichternd kommt hinzu, dass in dieser Zeit Elektronika, Ambient und Dream-Pop auf nicht immer allzu inspirierte Art und Weise neu aufgekocht wurden und Innovation überwiegend in Langeweile umschlug. Überraschend ist das Ergebnis auch in diesem Fall nicht. Eine Fläche hier, eine dort, Feedback, Störgeräusche jeglicher Art, ein betont langsames Schlagzeug - sofern vorhanden - und natürlich immer eine Extraminute zum Entfalten der düsteren Stimmung. Oder zwei. Fokussiert ist anders, dabei sind die Sounds auf „Seefeel“ natürlich gut und geschmackvoll produziert. Aber auf dieser Spielwiese findet sich inzwischen schlicht kaum Neues mehr. 5 Text: Volker Bernhard
Smoke Mohawk The Dogs Are Turning Red
(Impeller/Soulfood) Hinter Smoke Mohawk verbergen sich illustre Mitglieder von ehemaligen Speerspitzen des aussterbenden Schweinerock-Genres wie Gluecifer, Madrugada und WE. Dementsprechend wird auf „The Dogs Are Turning Red“ zu Werke gegangen. Die elf Songs rocken zweifelsohne, wenngleich es an vielen Stellen an dem nötigem Rotz in Form von präsenter Distortion fehlt. So pendelt die Platte, beim Versuch aus den tragenden Elementen von vergangenen Helden wie The Hellacopters, The Who, oder auch The Kinks ein homogenes Paket zu schnüren, letztlich ein wenig hilflos umher. Weder Fleisch noch Fisch wäre sicherlich etwas übertrieben, aber in Anbetracht der prominenten Protagonisten, die sich hier zusammengerauft haben, hätte man durchaus etwas mehr erwarten können. 5 Text: Kai Butterweck
Social Distortion Hard Times And Nursery Rhymes
(Epitaph/SPV) Mike Ness’ Lieblingszitat stammt aus dem Muddy Waters-Song „Mannish Boy“: „I’m a man/ I’m a full grown man“. Genau davon singt er seit 1996 und seiner damaligen Veröffentlichung von „White Light, White Heat, White Trash“ ständig, mit einer ganz eigenen Mischung aus Inbrunst und Eifer, Zerknirschung und Abgeklärtheit. So auch auf dem aktuellem Album. Von Fehlern, die man macht und für die man gerade stehen muss. Vom Überlebenskampf und der Suche nach der letzten Ausfahrt. Seinem vergessenen Idol Hank Williams setzt er mit der Coverversion „Alone And Forsaken“ ein Denkmal. Der Punkrock von Social Distortion ist übrigens der gleiche wie damals. Gleich schön natürlich. Süße Melodien in brodelnder Gitarrenhitze. Hymnen auf das Seinen-Mann-Stehen. Eine grundanständige Rock-Platte. 7 Text: Gordon Gernand
Teitur Let The Dog Drive Home
(Arlo & Betty/Ear Music/ Edel) Der färöische Liedermacher Teitur Lassen wagt auf seinem vierten Album vorsichtige erste Schritte und beginnt „Let The Dog Drive Home“ mit einer Ballade. Zart und schüchtern, mit minimalistischer Instrumentierung und einem Gesang, der hin und wieder an US MainstreamR’n’B erinnert, ebnet „Feel Good“ langsam den Einstieg in die neuen Songs. Ein etwas unglücklicher Start, aber spätestens mit dem dritten Song „Freight Train“ ist die gewohnte Teitur-Erhabenheit wiederhergestellt. Da verzaubert er, wenn er singt: „I learned to walk in my fathers shoes, I loved my mother like big boys do“. Rhythmischer und temporeicher geht es dann bei dem Titelsong des Albums zu, einer Pop-Nummer mit beschwingtem Refrain. Auch wenn der Einstieg in „Let The Dog Drive Home“ schwer fällt, es lohnt sich, dranzubleiben. 6 Text: Kati Weilhammer
Thelma & Clyde White Line
(Karakosmetix/Rebeat) Elektro-Pop kann so simpel sein, Arme hoch und alle feiern mit. Doch es gibt natürlich auch die anspruchsvolle Variante - dargeboten von diesem norwegischen Duo. Sängerin Hanne Kolstø und Drum/Synth-Chef Trygve Tambs-Lyche wollen sich nicht entscheiden. Ihr Debütalbum „White Line“ vertont diverse Stimmungen des mensch-
lichen Erlebens und kombiniert dabei auf recht unvorhersehbare Weise kühle, elfenhafte Sounds und geradlinige Elektro-Beats zu einem um die Ecke gedachten Ganzen. Wer bei den ersten Tracks der Platte noch einen TripHop-Overkill fürchtet, wird bald verstehen, dass es sich dabei nur um ein Element ihres eigenwilligen Kunst-Pop handelt. Auf der Bühne geben sich die beiden extrovertiert und gern verkleidet. Wenig überraschend, diese Neigung hört man ihren Songs natürlich bereits an. 7 Text: Christine Stiller
Times Of Grace Hymn Of A Broken Man
(Roadrunner/Warner) Platten, die wie eine Killswitch Engage-Kopie klingen, gab es in den letzten Jahren wie Sand am Meer. Das Debüt von Times Of Grace ist trotzdem was Besonderes - das hier klingt nämlich nicht nur wie KSE, sondern da steckt auch eine gute Portion KSE drin. Verantwortlich für das Album sind nämlich vor allem Adam Dutkiewicz (KSE-Gitarrist und Kopf) sowie Jesse Leach, seinerseits erster KSE-Sänger, der vor dem großen Durchbruch allerdings von Howard Jones abgelöst wurde. Das Ergebnis ist der altbekannte Mosh-Melodie-Mix: Viel cleaner Gesang, viel Pathos, tolle Melodien und heftige Riffund Drum-Gewitter. Alles altbekannt. Aber von Leuten gemacht, die definitiv wissen, wie es geht, und die deswegen die beste Kopie seit langem sind. 7 Text: Tito Wiesner
Tim Neuhaus The Cabinet
(Grand Hotel Van Cleef/ Indigo) Wenn man sich ernsthaft fragt, wieso es Pommes, Käse und Wurst mit Gesichtern gibt, könnte man zu dem Schluss kommen, dass die Menschen tendenziell einsam sind und dieser kleine psychologische Trick glücklicher machen soll. Ähnlichen Effekt hat das Debütalbum von Tim Neuhaus, Songwriter und Komponist aus Berlin. Mit überschwänglich schnulzigen Metaphern müsste man jetzt eigentlich anfangen, um jene Platte treffend zu beschreiben. Jedoch versteckt sich hinter diesem zerbrechlichen Stück Musik mehr als das. In einem Gefühl zwischen positiver Dramatik und Melancholie suhlt man sich mit dem Herrn Neuhaus gern, wenn er in „As Life Found You“ Heulbojen-Musik macht, ohne Heulboje zu sein. Nahezu perfektes Erstlingswerk trifft es wohl ganz gut. 8 Text: Sarah Gulinski
The Twilight Singers Dynamite Steps
(Sub Pop/Cargo) Greg Dulli spielte früher mit den Afghan Whigs den glattesten, geschmeidigsten, gefälligsten Alternative-Pop überhaupt, der weder das Keyboard als mittragendes Instrument, noch den Soul als latenten Einfluss scheute. Mit dem Seitenprojekt The Twilight Singers ließ er es seit fast zehn Jahren noch ruhiger, noch poppiger angehen. Aber jetzt hat der Mann wohl wieder Lust auf eine Andeutung von Rock. Auf ein winziges Bisschen mehr Rock. Das hört man in Songs wie „On The Corner“, „Waves“ oder „Gunshots“. Im Gegensatz zum Vorgängeralbum klingt „Dynamite Steps“ schwärzer, rauchiger, abgründiger. Ob das am fortschreitenden Alter liegt? An der Vorahnung, dass alles einmal zu Ende geht? Egal. Es ist gut so. 6 Text: Gordon Gernand
White Lies Ritual
(Polydor/Universal) Von der anhaltenden neuen Post-Punk-Welle erwartete bis vor zwei Jahren keiner mehr etwas wirklich Nachhaltiges. Dann kamen die blutjungen White Lies aus London mit ihrem Debüt „To Lose My Life“, einer erhabenen Stimme und ei-
nem düsteren Gesamtkonzept daher - und damit die Joy Division-Vergleiche. „Ritual“ klingt mit seinen tiefen Basslinien, Synthesizersounds, HooklineGespür und TrademarkBombast immer noch wie die von 20-Jährigen interpretierten Achtziger, nur der Überraschungseffekt ist verschwunden. „Time for heartbreak, buckle up for loneliness“, brummt Sänger Harry McVeigh in gewohnter Manier. Rezeptionistische Abhilfe schaffte da neulich ein Kollege: „Die erinnern mich an Life Of Agony“ Ich: „Da muss man erstmal draufkommen!“ Er: „Ja, aber wenn er einmal da ist, wird man ihn nicht mehr los!“ 6 Text: Fabian Soethof
Wir Sind Helden Tausend Wirre Worte Lieblingslieder 2002-2010
(EMI) Bei Wir Sind Helden handelt es sich um eine der wenigen deutschen Ausnahme-Bands. Mit „Tausend Wirre Worte - Lieblingslieder 2002-2010“ legen sie ein umfassendes Zeugnis ihrer wahrlich fabelhaften Schaffenskraft zwischen Melancholie und mädchenhafter Verspieltheit vor. Zwei CDs, die eine vornehmlich mit unvergesslichen Singles wie „Guten Tag“ oder „Denkmal“, laut Bandangaben nach Stimmung und nicht chronologisch sortiert, gefüllt, die andere mit B-Seiten und obskuren Fremdsprachen-Versionen („Sâ Ltte Miyô“) beseelt, bilden das akustische Fundament. Obendrein liegt dem Box-Set noch eine DVD bei, ein 45-minütiges, heimeliges Heldendokumentationsvideo und acht Musik Clips, samt Making Of enthaltend. Heldenhaft! (-) Text: Frédéric Schwilden
FEIST Look At What The Light Did Now
(Polydor/Universal) Knapp vier Jahre ist es her, dass Feist mit ihrem Album „The Reminder“ eine Welle totaler Verzückung auslöste. Und nun, bitteschön, das Sahnehäubchen: Eine Dokumentation über den Entstehungsprozess und die Tour zu eben diesem Geniestreich. Neben der erfrischend gesprächigen Sängerin beeindruckt vor allem die akustische und visuelle Intensität: Von Aufnahmesessions in einer urigen Villa, im Takt wippenden Füßen und aufbrandendem Applaus. Und dann sind da ja noch Feists ultrasympathische Kollegen, die verträumt lächelnd von der Zusammenarbeit erzählen. Alles strotzt derart vor familiärer Stimmung und Kreativität, dass der Wunsch, doch auch ein bisschen mit Leslie Feist befreundet zu sein, praktisch unvermeidlich ist. Gelungen sind auch die Extras: Videos, Konzertmitschnitte, Kurzfilme sowie eine Bonus-CD mit Liveaufnahmen. Text: Isabel Ehrlich
Paul Weller Live & Find the Torch, Burn the Plants
(Universal) Diese sehenswerte Paul Weller-DVD enthält einen Auftritt in der ehrwürdigen Royal Albert Hall, in dem sich die Mod-Ikone ziemlich rockig durch Klassiker und Stücke seines aktuellen Albums “Wake Up The Nation” spielt. Bei zwei The Jam-Hits erhält er Unterstützung von Stereophonics-Frontmann Kelly Jones. Die akustische Seite des Ober-Brit-Poppers zeigt ein ebenfalls enthaltener Auftritt bei der BBC. Außerdem dabei ist eine Dokumentation, die sich Weller, seinem London und seiner Meinung zur Jugend von heute zu nähern versucht. Der Film von Musikvideo-Pionier Julian Temple gibt sich zwar bisweilen etwas anstrengend tiefsinnig, lohnt aber trotzdem. Text: Arne Lieb
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DEMODESASTER
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DEMODESASTER
HOT ANIMAL MACHINE
Henry Rollins ist der Clark Kent des Hardcore: Mal intellektueller Märchenonkel mit immanenter Gesellschaftskritik, dann wieder zugehackter Türstehertyp, der trotz Verzicht auf Alkohol, Tabak und andere Drogen mit Black Flag und der Rollins Band auf der Bühne austickte wie kaum ein anderer. Von Punk über Jazz-Fusion bis hin zu Spoken Word waren die Grenzen fließend. Anlässlich seines 50. Geburtstages am 13. Februar verneigen wir uns und haben darüber hinaus die hiesigen Bands dazu verpflichtet, dem Altmeister hübsche Motive für neue Tätowierungen zu spendieren. CHARLIE'S CHOICE CHARLIE'S CHOICE
Bei Ska, besonders wenn er aus Berlin kommt, erwarten wir eigentlich eine knarzige Platte voller Hauptstadtattitüde, eben typischen Partysound, der uns rauchige Spelunken und salzige T-Shirts riechen lässt. Charlie’s Choice haben diese Konvention umgangen oder besser: um Deutsch-Pop erweitert. Schwitzende Urbanität trifft sich hier mit der Sterilität von Rosenstolz. Klingt klinisch, funktioniert aber. Was sicher auch an der Sängerin Maria liegt, die mit ihrer untypischen glockenhellen Chanson-Stimme einen Kontrapunkt setzt, der die Band vom Einheitsbrei abhebt. „Das ist kitschig!“ singt Maria auf der Scheibe. Recht hat sie. Dennoch wirkt das Debüt des Achters dadurch erst eigenständig. Tattoo-Motiv: ein knallbunter Dreadlock-Chansonnier Heimat: myspace.com/charlieschoice
CHASE THE DRAGON TALES OF TRANSIT
Chase The Dragon tun gut. Mit Akustikgitarre, Klavier und zweistimmigem Gesang entwerfen die beiden Magdeburger perlende Pop-Songs, die sich aus Wehmut speisen. Ein Piano klöppelt sachte, zartes Gezupfe tröpfelt, kratziger Gesang schmachtet. Gemeinsam erhebt man sich Stück um Stück, um am Ende vom Bombast zu kosten. Trotz reduzierten Instrumentenfundus’ verstehen es CTD, vielschichtige und zugleich flüssig dahin schmelzende Arrangements hervorzuzaubern. Das läuft manchmal fast schon zu geschmiert. Doch wenn die zwei Drachenhäscher am Ende ihrer „Tales Of Transit“ zeigen, dass sie auch etwas vergnügter zu hüpfen verstehen, wischen sie diese Mäkelei locker vom Tisch. Eine tolle Platte. Tattoo-Motiv: eine Drachenträne Heimat: chasethedragon.de
GLADBECK CITY BOMBING UNSEEN TAPES
Gladbeck City Bombing machen bereits seit 2004 Musik. Wir haben davon bislang noch nichts mitbekommen. Aber da „Unseen Tapes“ laut Info ein Quasi-Best-Of darstellt, scheint es nicht der schlechteste Einstieg zu sein. Wir halten fest: Das Duo aus Hamburg schmeißt sich gern in schrille Schale und spielt dazu WaveElektro-Punk. Es setzt folglich bollernde Beats, summende Synthesizer und lakonischen Gesang. Dabei halten GCB den Stressfaktor in eher gemäßigten Zonen, was nicht zuletzt an den säuselnden Melodien liegt, die immer wieder durch die Lieder streifen. Zu echten Fans des Genres werden wir allerdings auch damit nicht. ’Audiolith’ und alle anderen sollten aber mal die Ohren spitzen. Tattoo-Motiv: eine Discokugel mit Irokesenschnitt Heimat: gladbeckcitybombing.org
I’M NOT A BAND ELECTROLIN
Kassandra Papak scheint zu viel Zeit zu haben. Und eine Menge Potenzial. Letztes Jahr hat sie erst zwei Platten ihrer Bands Parfum Brutal und Pirate Bride an uns gesandt, nun kocht schon wieder was Neues auf dem Herd. Und der frische Wurf hat es wieder in sich. Nach experimentellem IndiePop ist nun mit Mastermind Stephan Jung clubtauglicher Elektro made in Berlin angesagt. Ein bratzender Bass und verzerrte Synthesizer ringen im Disco-Clinch mit fragilen Geigenklängen um die Oberhand. Gewinnen tut nur der Hörer. Der nerdige Computersound erinnert schon fast an Low-Fi-Hymnen aus PacMan oder Super Mario, die Lust auf clubtaugliches Jump’n‘Jive inklusive. Tattoo-Motiv: ein PacMan im Discosuit Home: myspace.com/imnotabandmusic
KILLING TOFU EP
Dass man mit Anfang 20 schon ganz schön schrullig sein kann, beweisen Jim und Fiona von Killing Tofu. Die beiden können nicht besonders gut singen, eher nur schief plärren. Sie können nicht besonders gut Gitarre spielen, eher nur tüchtig schrammeln. Und trotzdem rockt das Duo aus Mönchengladbach, dass die Heide wackelt. Sie singen Lieder über das Fernsehprogramm, Konsum, Individualität und die Liebe. Ohne Parolen und Schmalz, sondern herrlich verschroben um die Ecke gedacht. Dazu rotzen sie griffigen Blues voll Seele, mit fuzzy Riffs und schlauen Breaks. Damit erinnern die Tofus, nun ja, an die White Stripes. Dass ihre Basslines künftig durch die Stadien hallen, wünschen wir ihnen aber nicht. Denn Killing Tofu hassen Fußball. Tattoo-Motiv: ein flambiertes Glas Soja-Milch Heimat: killingtofu.de Live: 5.2. Wegberg Beeck - Flachse
THE LOVESHAKES LUCKY ONES
Wir sehen das Artwork und den viel verheißenden Bandnamen - und prompt werden wir aufs Glatteis geführt. Denn The Loveshakes machen keine Gute-Laune-Shake-yaBooty-Musik. Ganz im Gegenteil. Eine sonore Tristesse haucht uns aus den Boxen entgegen und pendelt sich in ihrer Melancholie irgendwo zwischen den Pixies und Radiohead ein. Filigran und zerbrechlich surrt die Stimme von Sänger Renatus über schlichten Indie- und AntifolkArrangements. Klingt alles ziemlich fragil und nicht gerade euphorisch nach eitel Sonnenschein. Wer als Songwriter-Duo bei so viel melodramatischer Düsternis sein Album demnach ironischerweise „Lucky Ones“ nennt, beweist zumindest Humor, wenn auch schwarzen. Tattoo-Motiv: „Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt“ (Goethe) Heimat:: myspace.com/querusrenatus
STAND FAST CHALLENGES
Nanu? Wir dachten schon, das schwedische Pop-Duo Standfast hätte stilmäßig umgerüstet. Aber Denken ist bekanntlich Glückssache. Denn hier markiert ein Münsteraner Quintett selbigen Namens den harten Eisenfresser, dreht alle Amp-Regler nach rechts und knüppelt uns den Neuling „Challenges“ um die Ohren. Ein tightes Brett aus Post-New-SchoolHardcore, Respekt! Wuchtig und melodiös wird gleichermaßen geholzt, wie es das Genre eben abverlangt. Genau dort liegt aber auch der Knackpunkt. Auf Dauer verliert sich die Band leider im bekannten Standardrepertoire, und wir fühlen uns an Alexisonfire erinnert. Zwar machen Stand Fast aus ihrer Heldenverehrung keinen Hehl. Etwas mehr Eigenständigkeit hätte dem Songwriting aber dennoch gut getan. Tattoo-Motiv: ein Pitbull mit übergroßem Nietenhalsband Heimat: stand-fast.de Live: 4.2. Cuxhaven - Haus der Jugend
TRAGKRAFT 6T KRAFTPAKET
Nach vier Jahren Sendepause rummst es wieder im Karton. Denn Tragkraft 6T haben ein neues Album aufgenommen. Wie gehabt lassen die Frankfurter vom Main die Muskeln spielen und schießen uns nach „Inkraft“ und „Kraftstoff“ nun mit „Kraftpaket“ einen vor den Bug. Mit jedweder Art von Gesang haben sie es, abgesehen von eingestreuten Sprachsamples, immer noch nicht. Auch die Riffs sind nach wie vor kantig und düster, die Grooves imposant und doch vertrackt - klingt wie im Stahl- und Walzwerk, würden unsere Mütter sagen. Die Psychedelic-Einflüsse, die auf dem Vorgänger noch Hits wie „Von Vorne“ auszeichneten, haben T6T allerdings ein wenig zurückgeschraubt. Die Schellen, die „Kraftpaket“ verteilt, klatschen trotzdem ganz ordentlich. Tattoo-Motiv: eine Abrissbirne Heimat: tragkraft6t.de
Text: Roy Fabian, Maik Werther
SellaBand
Mit neuem Finanzierungskonzept zur neuen Platte Wie Public Enemy ihr neues Album finanziert haben? Nicht sie, sondern die Fans haben es. Die Crowdfunding-Plattform sellaband.de hat ihnen und vielen weiteren bekannten und nicht so bekannten Künstlern, ermöglicht, Geld für ihr Projekt zu sammeln. Hierbei investieren sogenannte „Believer“ in das neue Album, eine Tour, ein Video oder das Promotionbudget der Band und werden, sollte der benötigte Betrag zusammenkommen, später mit exklusiven Goodies wie Limited Edition CDs, Backstage-Pässen oder sogar einer Gewinnbeteiligung belohnt. Die Bands bleiben flexibel, arbeiten unabhängig von Labelvorgaben und behalten die kompletten Rechte an ihrer Musik. Dabei werden die Fans zu einem elementaren Teil des gesamten Projekts. Im Fall von Public Enemy haben mehr als 1.000 „Believer“ in die neue Platte investiert, so dass die benötigten 75.000 US-Dollar gesammelt werden konnten. Wer mehr über sellaband erfahren und aktiv werden möchte, der sollte mal bei sallys.net vorbeisurfen oder informiert sich einfach unter sellaband.de
WAS HÖREN EIGENTLICH... GANG OF FOUR
In den Nullerjahren war es für aufstrebende Indie-Bands mächtig cool, sich auf Gang Of Four zu berufen. Jetzt haben die Post-Punk-Heroen nach ewiger Abstinenz höchstpersönlich wieder ein Album gemacht, um ihr Revier zu markieren und die Rente aufzubessern. Andy Gill lässt vorher noch schnell die persönliche Palette Revue passieren. Weißt du noch, was der erste Song war, der dich dazu brachte, selbst eine Band zu gründen? Es fällt mir schwer, mich da auf einen einzelnen festzulegen. Ich nehme aber „Riot In Cell Block No. 9“ von Dr. Feelgood. Von allen Bands, die ich live gesehen habe, hatten gerade Dr. Feelgood einen maßgeblichen Einfluss auf mich. Sie waren anders als alles andere damals; sie waren so minimalistisch und mechanistisch. Das genaue Gegenteil dieses ganzen Hippie/Grateful Dead-Krams von vorher. Sie waren viel angriffslustiger und stilistisch auch wesentlich weiter vorne. Wenn es schon Hippie-Kram sein muss, welchen Song legt man da am ehesten auf? Oh, da gibt es einiges. „Dark Star“ von Grateful Dead ist ein fantastischer Song. Oder auch „Astral Weeks“ von Van Morrison. An Van Morrison muss man sich natürlich auch erst einmal gewöhnen, aber alle guten Dinge im Leben sind eben Geschmackssache. „Astral Weeks“ ist eine Platte, die diesen ganzen typischen R’n’B-Themen entfleucht und dich an einen seltsamen Ort irgendwo in der Vergangenheit mitnimmt. Könnte Belfast sein, könnte auch der Wilde Westen sein. Zu dieser Musik könnte man gut eine lange Straße durch einen Wald entlangfahren. Bei Grateful Dead ginge das nicht. Da würde man die Kurven verpassen. Zu welchem Song lernt man am besten tanzen? Es gibt einen Reggae-Musiker namens I-Roy, und der hat mal eine Coverversion von Cat Stevens’ „The First Cut Is The Deepest“ aufgenommen. Der Song an sich ist schon klasse, aber I-Roys Version ist auch noch sexy und cool obendrein. Mit welchem Song bringt man Leuten mit Musikgeschmack Reggae nah? Als Teenager habe ich mal Bob Marley im Londoner Lyceum gesehen, pünktlich zur Aufnahme seines Livealbums. Das war wohl 1975 und „Soul Rebel“ hat mich umgehauen. Eine Wahnsinnsmelodie, ein Wahnsinnsgroove. Groove und Rhythmus sind seitdem das Wichtigste für mich.
Was wäre die beste Punkrock-Platte für den aktuellen Nachwuchs? Ich habe letztes Jahr mit einer australischen Band gearbeitet, die mich da sehr inspiriert hat: I Heart Hiroshima. Sie haben eine Sängerin, die gleichzeitig Schlagzeug spielt. Die Songs sind richtig schön und ein bisschen punkig, aber am meisten Spaß macht es, eine Sängerin zu sehen, die nebenbei das Schlagzeug zusammenbolzt. Zu welchem Song könnte man eine Revolution starten? Oh, so was passiert nicht mit einem einzelnen Song. Aber wenn ich jetzt nicht gerade zu hochtrabend bin, würde ich sagen, dass ein Song wie „Ether“ schon deine Art zu denken beeinflussen könnte. Unser gesamtes Gang Of Four-Ouevre hat angeblich diese Eigenschaft. Unsere Musik kann einem zumindest dabei helfen, auf bestimmte Ideen zu kommen. Welcher Song sollte in der letzten Radiosendung auf der Welt gespielt werden? Das ist einfach: „These Boots Are Made For Walking“. Haha! Text: Michael Haacken Heimat: gangoffour.co.uk Auch gut: „Content“ – das neue Album von Gang Of Four
DAS MIXTAPE Dr. Feelgood „Riot In Cell Bock No. 9“ Grateful Dead – „Dark Star“ Van Morrison – „Astral Weeks“ Bob Marley – „Soul Rebel“ I-Roy – „The First Cut Is The Deepest“ I Heart Hiroshima – „Shakeytown“ Gang Of Four – „Ether“ Nancy Sinatra – „These Boots Are Made For Walking“
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MUSIK STORIES
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...And You Will Know Us By The Trail Of Dead Fun, Fun, Fun
Was ist denn jetzt los? Die Anger-Management Experten von ...And You Will Know Us By The Trail Of Dead veröffentlichen mit ‘Tao Of The Dead‘ ein neues Album und sind dabei weder deprimiert, frustriert noch ausgebrannt. Ist jetzt Schluss mit Kunst? Oberflächlich ist alles beim Alten. ‘Tao Of The Dead‘ trifft den Hörer mit der gewohnt monumentalen Wucht eines Trail Of Dead-Albums. Es ist ein monolithisches, zweigeteiltes Werk, das in einer über 15 Minuten andauernden epischen IndieProg-Rock Symphony namens ‘Strange News From Another Planet‘ kulminiert. Ein Album, das gemeinsam mit einer Kurzgeschichte und einem von Frontmann Conrad Keely gezeichneten Comic erscheinen wird. Ein Album, das den prunkvoll deprimierenden Namen ‘Tao Of The Dead‘ vollkommen zu Recht trägt – nachdenklich und wütend zugleich, melancholisch, energisch. Selbst die üblichen menschlichen Querelen, die sich im Vorfeld eines neuen Trail Of Dead-Opus’ üblicherweise abspielen – alles da. Trail Of Dead sind nur noch zu viert, seit Gitarrist Kevin Allen die Band verlassen hat. Aber dann ist da noch diese seltsame, andere Qualität, die so bisher auf keiner Langspielplatte der Band zu hören ist. Ein leises Brodeln unter der Oberfläche,
das im Falle der meisten Kapellen, auf deren Alben es zu spüren ist, die Ära der künstlerischen Belanglosigkeit einläutet: ZUFRIEDENHEIT! Tatsächlich wirken Conrad Keely und Jason Reece beim Interviewtermin vom Gift der Entspannung geradezu zerfressen, schlürfen heißen Mokka aus großen Tassen und lassen es sich gut gehen. Was ist nur aus den leidenden Künstlern geworden, die in ewiger Selbstfolter ihren eigenen Fehlern und Unzulänglichkeiten weltverändernde Alben abgerungen haben? Die für ihre Kunst auch mal auf der Straße schlafen und sich von trockenen Brotkanten ernähren, die sie den New Yorker Ratten im steten Überlebenskampf weggeschnappt haben? Nichts ist! Wie Conrad grinsend berichtet, ist nach 17 Jahren emotionalen Waterboardings offiziell Schluss mit Selbstzerfleischung: „Es war eine sehr bewusste Entscheidung, diesmal nicht
Spiral Jetty So ganz werden Trail Of Dead die Kunst nicht los. Auf ‘Tao Of The Dead‘ widmen sie sich ausgiebig der Spiral Jetty, einer spiralförmigen Mole, die der Land-Art-Künstler Robert Smithson 1970 mit Hilfe von schwerem Gerät in den Großen Salzsee in Utah gebaut hat. „Ich habe die Spirale zum ersten Mal in einem großen Fotoband gesehen und das Bild hat mich nicht mehr losgelassen“, erklärt Jason Reece die Themenwahl. „Diese Art, einen bleibenden Eindruck hinterlassen zu wollen, ist uns nicht fremd. Wir sind auch keine Band, die eine Single veröffentlicht, um vier Wochen im Rampenlicht zu stehen. Wir denken schon darüber nach, wie unsere Musik in der Zukunft wahrgenommen wird.“
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zu leiden. Ich habe in der Vergangenheit immer gedacht, dass es weh tun muss, ein Album zu machen, damit es auch gut ist. Das war ein großes Missverständnis meinerseits. Wir haben diesmal die Aufnahmen so stressfrei gestaltet, wie es überhaupt ging, alles reduziert. Wir haben in zehn Tagen alles eingeprügelt – sonst zerbrachen wir uns neun Monate lang die Köpfe. Auch an den Texten haben wir nicht mehr herum gefeilt als nötig. Ich wollte unbedingt raus aus unserer sehr unkomfortablen ’comfort zone’. Und am Ende hat es mir zum ersten Mal in meinem Leben wirklich Spaß gemacht, an einer Platte zu arbeiten.“ Bandkollege Jason Reece krümmt sich vor lachen: „Also ich hatte auch Spaß, als wir an unserer ersten Platte gearbeitet haben. Aber da hatte Conrad gerade eine schwere Beziehungskrise...“ „Eigentlich habe ich die immer“, bestätigt Keely, und lacht schon wieder. Frohsinn, Gesang und Tanz – sind das die neuen Trail Of Dead? Im Prinzip muss man sich um Conrad Keely und Jason Reece nicht sorgen. ‘Tao Of The Dead‘ bestätigt eindrucksvoll, dass ihre Band auch ohne zu leiden immer noch wütender und innovativer ist, als die meisten ihrer Arbeitskollegen es jemals sein werden. Auf die können die Trail Of Dead-Köpfe noch immer gepflegten Hass entwickeln: „Der Zustand der amerikanischen Pop-Kultur ist furchtbar! Total konservativ“, ereifert sich Conrad und wird von Jason assistiert: „Über Lady GaGa oder Rihanna braucht man sich nicht aufzuregen. Pop ist halt Pop. Aber all diese schlaffen, niedlichen IndieBands ohne Schneid und diese permanent brüllen-
Mehr Kunstprojekt als eine Band: Jason Reece & Conrad Keely (Trail Of Dead)
den Testosteron-Combos reproduzieren doch nur das ewig gleiche Rock-Schema. Wo ist da der Wille, auch mal eine Grenze zu überschreiten?“ Den müssen Trail Of Dead wohl weiter selbst aufbringen. Und vielleicht ist das auch Keelys und Reeces letzte Versicherung gegen überzogene Altersmilde. Die lassen sie vorerst nur gegen sich selbst walten. „Ir-
gendetwas Gutes muss es am Älterwerden ja geben. Wenn das ist, dass es mir leichter fällt, glücklich mit meiner Kunst zu sein, ist mir das sehr recht“, resümiert Conrad Keely. Sei es ihm gegönnt. Text: Timo Richard Fotos: Ben Garrett Heimat: trailofdead.com
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SPEED DATING
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SPEED DATING
Moddi
Imaginary Cities Suchen: Indie-Kids, die auch mal um die Ecke denken. Der erste Eindruck: Auch wenn ihr euch unter der modischen Aufmachung mit echten Gefühlen oft schwer tut, liebe Indie-Jungs, das hier muss doch auch mit der dicksten Fensterglasbrille schlichtweg Liebe auf den ersten Ton sein. Ein Kompliment: Vorsicht vor Voreingenommenheit: Wer von dem kanadischen Duo niedlichen Grübel-Folk-Rock erwartet, unter-
schätzt Sängerin Marti Sarbit und Kollegen Rusty Matyas. Die beiden überstrahlen ihre Date-Konkurrenz mit erfrischend viel Pop und Soul, eine willkommene Abwechslung zum gängigen Indie-Allerlei. Hochzeit oder kurze Affäre: Auch wenn es noch etwas früh ist, ein Verlobungsring aus dem Kaugummiautomaten sollte drin sein. Heimat: myspace.com/imaginarycitiesmusic/music Aktuelle EP: „Hummingbird“
Times Of Grace Suchen: Luft- und Feuerzeichen. Der erste Eindruck: Ist der Stammbaum. Das Duo setzt sich aus Adam Dutkiewicz (Killswitch Engage) und Jesse Leach (ehemals Killswitch Engage) zusammen. Beide vom gleichen Ast sozusagen. Darin bin ich eigen: Wenn wir hier schon Frauenmagazin spielen, können wir auch (astro)logisch argumentieren: Dieses Metal-Core-Geschnetz ist ja so gespalten wie die, die sich des Sternzeichens Zwilling erfreuen. Gerade noch schmusig geht in der nächsten Sekunde der Choleriker mit ihnen durch. Zum Zwilling passen: Wassermann, Waage, Löwe und Widder. Alle anderen bitte Finger weg! Hochzeit oder kurze Affäre: Das
Three Chord Society (Ver)suchen: Pop-Punk wiederzubeleben. Der erste Eindruck: Fall Out Boy – wie hieß der Song gleich? Darin bin ich eigen: Wir als DateExperten wissen: Die Erfolgsquote für Pop-Punks liegt sehr hoch. Junge, unverbrauchte Menschen suchen junge, unverbrauchte Menschen. Kein Sperrgepäck, kein Seelenmüll, der aus der Ex-Langzeitbeziehung mitgeschleppt wird. Wunderbar. Hochzeit oder kurze Affäre: Eine Mini-Hochzeit für eine Kurzehe vielleicht und dann in Vegas oder besser Disneyland, falls es das dort gibt. Heimat: myspace.com/threechordsociety Aktuelles Album: „Sanguinity“
Sucht: Den kühlen Kick der Schwermut Der erste Eindruck: Rausgewachsene Dauerwelle U-40? Mutig der Junge. Darin bin ich eigen: Pål Moddi Knutsen hat aber nicht nur etwas auf, sondern auch eine ganze Menge in seinem Kopf. Während andere versuchen, sich von melancholischen Gedanken fernzuhalten, lebt Moddi diese richtig aus – sogar am Akkordeon. Hochzeit oder kurze Affäre: Wir
Hobbypsychologen wissen: Künstlertypen haben es nicht leicht, die Partner dieser aber umso schwerer. Ständig dieses Rumgeflenne, ständig dieser Seelenstriptease. Bei aller Liebe, hier ist Selbstaufgabe gefragt oder taube Ohren, aber das wäre in diesem Fall ja kontraproduktiv. Heimat: myspace.com/moddimusikk Aktuelles Album: „Floriography“
The Blackout Argument
wird am Einzelfall entschieden: Siehe Horoskop – das stimmt immer! Heimat: timesofgraceband.com Aktuelles Album: „The Hymn Of A Broken Man“
Suchen: Nach einem attraktiveren Begriff als „Hardcore-Pop“. Der erste Eindruck: Hunde, die bellen, beißen angeblich nicht. Lasst euch also ruhig ein bisschen anschreien, wenig später wird schon wieder gekuschelt – okay, dann aber mit Zähnen. Das werden die Schwiegereltern sagen: Wie so oft können sie auch diese neue Errungenschaft nicht wirklich gutheißen. Dieses Mal werden sie jedoch, statt wohlwollend falsch zu grinsen, das auch mitteilen. Taub sind sie ja noch nicht. Hochzeit oder kurze Affäre: Um jetzt mal Mogwai zu zitieren: „Hardcore Will Never Die, But You Will.“ Also könntet ihr euch auch ohne
schlechtes Gewissen mit einem genrefernen Partner reproduzieren und alle wären glücklich. Heimat: myspace.com/theblackoutargument Aktuelles Album: „Detention“
Foto: Tim Klรถcker
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MUSIK STORIES
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IRON & WINE
Geigen und Trompeten
Sam Beam hat einen weiten Weg hinter sich. Aus dem Filmdozenten, der in seiner Freizeit minimalistische Akustik-Songs auf Banjo und geliehener Gitarre schrieb, ist ein musikalischer Eklektiker geworden. Wenig scheint vor dem freundlichen Mann mit Vollbart, der seinen Hochschuljob längst an den Nagel gehängt hat, sicher. Wie schon sein Vorgänger, ist auch das aktuelle Iron & Wine-Werk ‘Kiss Each Other Clean‘ ein vielfältiges Etwas, das die letzten Überreste des braven Singer/SongwriterEtiketts endgültig hinwegfegt. Hier ein FunkGroove mit Blechbläserverstärkung, da Flöten und afrikanische Percussions, dort ein Hauch Ambient-Sound. Gleichzeitig verbreiten schmachtende Harmonie-Chöre eine sommerliche RetroStimmung. „Es gibt mehr heitere, tanzbare Stücke“, findet auch der Meister. „Mich erinnerten einige der Lieder an die Sachen, die während meiner Jugend im Radio liefen: Fleetwood Mac oder Elton John. Also haben wir diese Richtung bewusst weiter verfolgt.“
„Wir“, das sind neben Sam Beam und Produzent Brian Deck diverse Musikerkollegen, die das ihre zum neuen Album beigesteuert haben. Die Aufnahmen in Chicago zogen sich in Etappen über ein ganzes Jahr. Als Vater von fünf Töchtern hat Beam, der mit seiner Familie in der Pampa nahe Austin, Texas, lebt, eben noch andere Verpflichtungen neben der Musik. Auf die Frage, welche Klangerkundungen für die Zukunft auf der Agenda stehen, lacht der Mittdreißiger. „Keine Ahnung, sind noch welche übrig? Ehrlich gesagt möchte ich nächstes Mal unbedingt Streicher dabei haben. Wir werden unser Ding einfach weiter voran treiben. Mal sehen, wo wir landen.“ Text: Nina Töllner Foto: Piper Ferguson Heimat: ironandwine.com
Esben And The Witch Hex Hex
Leicht verstört versucht man die Fetzen zu ordnen, die einem da entgegen geschmissen werden. Der undurchsichtige Sound von Esben And The Witch wechselt zwischen dem Minimalismus von The XX und der düsteren Zerrissenheit von Siouxsie And The Banshees. Easy Listening ist anders! Das aus Brighton stammende Trio Esben And The Witch um Sängerin Rachel Davies legt mit ’Violet Cries’ ein beachtliches, aber sehr dunkles Debüt hin. Die Einflüsse reichen von griechischer Mythologie (’Eumenides’), dänischen Märchen (der Bandname) bis hin zu medizinischen Phänomenen (’Argyria’). Trotzdem ist das Trio keine mit Nerds besetzte Selbsthilfegruppe verkappter Intellektueller. ’Violet Cries’ ist ein Manifest verzweifelter Romantik, eingebettet in elektronische Beats, fiebrige Feedback-Wände und ständige Dynamik-Wechsel, umhüllt von einem ganzheitlichen Konzept aus Klang und Ästhetik – das Cover inklusive: „Die Fotografie für das Art-Work entstand auf dem Weg nach Manchester“, erklärt Gi-
Teitur
Vogelfeder einer weit entfernten Galaxie
Teitur hat alle Zeit der Welt. Zumindest nach eigenem Ermessen spürt das Färöerer Songwriter-Talent keinen Druck und will mit der neuen Platte ‘Let The Dog Drive Home‘ seiner spielerischen Seite Ausdruck verleihen. Na dann, volle Kraft voraus. Ein ganzer Haufen Kostüme aus weißen Vogelfedern liegt im Büro seines Labels und Teitur Lassen sitzt ungerührt mittendrin. „Das sind nicht meine. Keine Ahnung, was die hier sollen“, erklärt er und rätselt trotzdem, was das Ganze bedeutet: „Vielleicht gibt es Leute, die glauben, diese Dinger würden meiner Bühnenshow gut tun?!“, fragt er in den Raum hinein und schüttelt sogleich den Kopf: Kann nicht sein – seit nunmehr 15 Jahren treibt er als schüchtern-sympathisch wirkender Multiinstrumentalist sein Unwesen, und dies meist auf Akustikgitarre, Schlagzeug und Klavier reduziert. Bislang, wohlgemerkt. Mit seinem neuen Album ‘Let The Dog Drive Home‘ wagt Teitur einen großen Schritt nach vorn und hat die darauf enthaltenen
Songs für seine Verhältnisse mit Streichern und Bläsern wuchtig arrangiert. „Als Gleichnis dient mir ein Fenster, aus dem du hinaus schaust und tausend verschiedene Dinge erblickst. Genau darum geht es auf ’Let The Dog Drive Home‘: sämtliche Szenarien musikalisch einzufangen. Und das ist mir ganz gut gelungen. Für mich sind Platten wie Momentaufnahmen – jetzt habe ich die nächste Etappe erreicht und darf vor der kommenden nicht zurückschrecken.“ Aber gerade weil es solchen Spaß macht, Teitur auf seiner Reise zu begleiten, sind die Vogelkostüme neben ihm irgendwie doch passend: Wer hoch hinaus will, dem wachsen Flügel. Text: Marcus Willfroth
Heimat: teitur.com
tarrist Daniel Copeman. „Wir fuhren quer durch das verschneite Königreich, und auf einmal sahen wir dieses Bild vor uns“ - Eiszapfen wie gefrorene Tränen, stumme Schreie der Natur, kalt und sehnsuchtsvoll. 2011 verheißt für Esben And The Witch den Durchbruch. Nachdem die düsteren Drei bereits bei der großen Jubiläums-Sause des Traditions-Labels ‘Matador‘ neben Indie-Heroen wie Pavement und Sonic Youth auftreten durften, wurden sie wenige Tager später sowohl für den Q-Award als „Next Big Thing“ als auch für die Sound-Of-2011-Liste der BBC nominiert. Die Kollegen sollte man also im Auge behalten. Text: Frédéric Schwilden Foto: Jonathan Hyde Heimat: esbenandthewitch.co.uk/
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MUSIK STORIES
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Mike Ness ist seit 31 Jahren Frontmann seiner Band Social Distortion, er ist ein Ex-Knacki und Ex-Junkie, ein ölverschmierter Hot Rod-Greaser, ein Spieler und Gambler, die Fleisch gewordene Inkarnation des Rebells, ein Oldschool-Punk und Knarren liebender Hobbyboxer. Mike Ness ist aber auch Vater zweier Söhne und Herrchen von vier stattlichen Hunden, langjähriger Vegetarier, ein treuer Ehemann, ein aufmerksamer Beobachter, erklärter Traditionalist und überzeugter Demokrat. Zwei Herzen wohnen also im tintendurchtränkten Torso dieses lebenden Denkmals, und selten schlugen sie so harmonisch im Takt wie heute. Es gibt sie nur in einer geringen Auflage, und wo sie auftauchen, hallt ein respektvolles Raunen durch den Saal: Jene, vom Leben auf der Überholspur gezeichnete Underdog-Ikonen, Stehaufmännchen und Legenden wie Lemmy Kilmister, Iggy Pop, Johnny Cash, Tom Waits oder meinetwegen Udo Lindenberg. Allesamt Typen, die sich das dreckige Speed der Gosse durch die Nase ziehen und billigen Fusel in den Rachen kippen mussten, weil sie sich den guten Shit nicht leisten konnten und weil ihnen das Schicksal nicht so wohl gesonnen war wie ihren edles Pulver sniefenden Genregenossen der Marke Keith Richards, Ozzy Osbourne, Dave Gahan oder meinetwegen Bill Kaulitz. Auch Mike Ness lebte eine Weile auf der Überholspur, nur ausgebremst von gelegentlichen Ausflügen in die städtische Justizvollzugsanstalt oder das Krankenhaus. Als Wegbereiter und Protagonist der L.A.Punk-Szene der frühen Achtziger um Bands wie Bad Religion, Youth Brigade, Fear, Adolescents oder eben Social Distortion trat Ness in so ziemlich jeden Klischeetopf, der sich am Wegesrand finden ließ: Scharmützel mit der Polizei und der Justiz gehörten genauso zum Alltag des 1962 geborenen Michael James Ness wie Drogen, Alkohol, Langeweile, kurze Affären und Gelegenheitsjobs. „Punk“, sagt er, „war in unseren Augen der perfekte Lebensentwurf. Er vermittelte uns die Illusion, dass für uns gesorgt war; dass es okay war, sich zu prügeln, zu stehlen und sich so non-konformistisch zu verhalten wie möglich, schließlich war man ein Outlaw, ein Gesetzloser, und damit frei. Heute weiß ich, dass diese Philosophie nicht mehr bereit hielt als einen Sack voll falscher Versprechen.“ Es sind aber nicht zuletzt jene Erfahrungen und die daraus gezogenen Schlüsse, in die Ness regelmäßig seine Stücke tunkt, sie mit einer Aura aus Nostalgie, Wehmut und väterlicher Weisheit überzieht und dabei stets klingt wie ein getretener, aber stolz und kampfbereit knurrender Hund. Ness’ Poesie des kleinen Mannes knüpfte in Kombination mit seinem nasalen Timbre und dem SD-Sound aus Punk, Rockabilly und Blues ein Identifikation stiftendes Netz, in dem sich weltweit eine generationsübergreifende Fanschar verfangen hat. Jener ist es auch egal, wenn zwischen zwei Alben ihrer Lieblingsband auch mal sechs, acht oder gar zehn Jahre vergehen. Schließlich weiß jeder Social Distortion-Anhänger, dass ihn Ness für seine Geduld reich belohnt: mit Hymnen für die Ewigkeit und Zeilen, die man sich guten Gewissens übers
Herz tätowieren lassen kann – falls da nach den SD-Klassikern ’Mommy’s Little Monster’, ’White Light, White Heat, White Trash’ oder ’Sex, Love And Rock’n’Roll’ überhaupt noch Platz ist. Mit dem neuen Album ’Hard Times And Nursery Rhymes’ hagelt es erneut eine stattliche Anzahl Lebensweisheiten aus dem Munde eines Mannes, der sich im Dachgeschoss seines neuen Hauses im heimischen Orange County sein eigenes Reich zum Dichten, Denken und dem Horten von obskurem Plunder gebaut hat: den ’Überman-Cave’! Hier, im von innen verriegelten Käfig des Hausherren, schrieb Mike Ness einen Großteil seiner sehnsuchtstrunkenen Oden an das gute Leben, an die Sonne Kaliforniens und - natürlich - an die Liebe. Der eine oder andere Song auf dem neuen Album dürfte den darbenden Social DistortionJüngern bereits persönlich begegnet sein, schließlich schleppen ihn Ness und Co. schon seit Jahren
„Punk vermittelte uns die Illusion, dass es okay war, sich zu prügeln, zu stehlen und sich so non-konformistisch zu verhalten wie möglich, schließlich war man ein Outlaw, ein Gesetzloser, und damit frei. Heute weiß ich, dass diese Philosophie nicht mehr bereit hielt als einen Sack voll falscher Versprechen.“ (Mike Ness) durch ihr Live-Programm. Stücke wie ’Can’t Take It With You’ oder ’Bakersfield’ haben es nach eingehender Qualitätskontrolle vom Boss aber dennoch auf ’Hard Times And Nursery Rhymes’ und damit auf ein Album geschafft, von dem sich noch zeigen müssen wird, ob es die zeitlose Klasse seiner Vorgänger erreicht. So aus der Hüfte und ohne den Songs die Chance geben zu können, bis ins Mark durchzusickern, ist ’Hard Times And Nursery Rhymes’ zwar unverkennbar Social Distortion, allerdings lassen Zeilen wie „I wake up, drink my coffee, put on my pants and comb my hair“ an gewohntem Tiefgang vermissen. Von Sound und Vibe schlagen die stets von hymnischen Chören getragenen und von offensiven Piano-Passagen begleiteten Midtempo-Rocker eine deutliche Brücke zu frühen SD-Werken wie ’Prison Bound’ und Songs wie ’Ball And Chain’, nur eben aus der
Perspektive eines Mannes, der heute lieber im Überman-Cave an einer dicken Havanna saugt als an einer hinter Gittern geschnorrten Selbstgedrehten. Wir trafen den mit einem schicken Gesichtsanker statt Knastträne verzierten Alt-Punk zum Gespräch und sind noch heute von seinem Talent beeindruckt, eine komplette Rolle Apfelkekse vernichten zu können, ohne dabei einen Schluck Wasser trinken zu müssen. Mike, wie sieht es denn aus in deinem ÜbermanCave? Hast du dir dein neues Kreativreich denn auch schick eingerichtet? Noch nicht wirklich, ich bin gerade erst mit dem Ausbau fertig geworden. Der Überman-Käfig ist einfach ein A-förmiger Raum unter dem Dach, in dem mein Siebziger-Mac steht, meine alte Stereoanlage und meine Akustikgitarre. Hier habe ich das Ambiente und die Ruhe, die ich brauche, um meine Texte zu schreiben. In Zukunft werde ich den Überman-Cave noch mit ein paar Gegenständen aus meinen Sammlungen aufhübschen; in erster Linie das Zeug, das meine Frau nicht im Haus haben will wegen der Kinder. Was wäre das denn? Deine Hot Rod-Karren doch sicher nicht. Nein, die stehen in einer Lagerhalle am Stadtrand. Ich denke, sie fände es nicht so gut, wenn ich meine Waffenkollektion im Haus aufbewahren würde. Das Haus, in dessen Garten vor einiger Zeit dein Chihuaha vom Nachbarshund totgebissen wurde, hast du aber verkauft, oder? Im Internet war der Wert eines deiner Anwesen mit 2,1 Millionen Dollar Verhandlungsbasis angegeben. Stimmt, das Haus habe ich verkauft. Meine erste Reaktion war: Ich gehe jetzt da rüber und knalle den Scheißköter von meinem Nachbarn über den Haufen. Aber gut, dass ich es nicht getan habe. Das hätte schließlich auch nichts mehr geändert. Aber der Mike Ness von vor 25 Jahren, der hätte doch sicher keine Sekunde gezögert?! Wahrscheinlich nicht. Aber der Mike Ness vor 25 Jahren war so ein Wicht, der hätte gegen den Hund wahrscheinlich den Kürzeren gezogen. Wären der alte und der junge Mike Ness denn gute Kumpels? Welche rebellischen Charaktereigenschaften hat sich der alte Mike bewahrt, die dem jungen sehr gefallen würden? Ich habe noch einige seltsame Spleens, die Waffen
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zum Beispiel. Allerdings ist das heute mehr ein gutes Konversationsthema als ein willkommenes Mittel zum Dampf ablassen. Meist gehe ich zum Jiu-Jitsu oder zum Boxen, um Aggression abzubauen. Nach einer Stunde im Ring bringt mich nichts mehr auf die Palme. Es kann mir ein noch so großer Idiot auf der Straße begegnen, es ist mir egal, denn ich weiß: Den härtesten Teil des Tages habe ich bereits hinter mir. Was aber nicht bedeutet, dass man sich vor mir nicht mehr in Acht nehmen muss. Ich kann immer noch explodieren – wenn ein paar ungünstige Faktoren zusammenkommen. Welches Ereignis hat deinen Perspektivwechsel denn eingeläutet? Kannst du dich an einen Moment erinnern, als dir bewusst wurde, dass du dringend etwas ändern musst? Mitte der Achtziger saß ich angekettet an irgendeinen anderen Loser im Polizeibus Richtung Knast, als uns diese Mittelklasse-Karre überholte. Darin saß eine Familie mit Hund, das Gummiboot war auf dem Dach festgeschnallt und im Kofferraum lag der Picknickkorb. Mein Kollege und ich machten uns lustig über die Spießer, aber insgeheim wusste ich, dass nicht diese Familie auf dem falschen Weg war, sondern ich. Also habe ich die Seite gewechselt. Wie sich dein geläutertes Bewusstsein auf deine Songs auswirkt, konnten die Fans bereits in Liedern wie „I Was Wrong“ oder „Live Before You Die“ nachvollziehen. Auch das neue Album klingt versöhnlich, aus jeder Rille perlt die Harmonie. Wie kommt das? Das mag daran liegen, dass nicht nur mein Leben, sondern auch das meines Umfelds in ruhigeren Bahnen verläuft als früher. Ich mache ja im Grunde einen ähnlichen Job wie du: Ich beobachte die Menschen, lebe so vor mich hin, ziehe meine Schlüsse und anschließend berichte ich darüber. Das heißt, der Inhalt meiner Songs ist nicht immer autobiographisch, im Gegenteil: Vieles ist auch Fiktion, frei erfunden oder einfach gut observiert. Wenn man dem Album eine Stimmung geben müsste, wäre „entspannt“ sicher der passende Begriff. Alles fließt, es gibt kaum harte, schnelle oder weiche, langsame Extreme. Ich wollte ein warmes, ein opulentes Album machen. Deshalb haben wir auch alles analog und
oldschool aufgenommen, so wie in den Siebzigern. Aber ich bin der Meinung, dass die Reise durch das Album durchaus Gipfel, Täler und Stolpersteine bereit hält. Und überhaupt: Auch ein langsamer Song kann Hardcore sein, wenn er einen entsprechenden Text hat. Gibt es auch in deinem Leben noch Täler und Gipfel, die du erklimmen und durchschreiten musst? Klar, ständig. Meine Kids sind Teenager, das kann dich ganz schön fertig machen. Als Elternteil versuchst du deinen Nachwuchs so zu erziehen, dass er bloß nicht so endet wie du. Und plötzlich stellst du fest, dass du gnadenlos gescheitert bist.
„Als Elternteil versuchst du deinen Nachwuchs so zu erziehen, dass er bloß nicht so endet wie du. Und plötzlich stellst du fest, dass du gnadenlos gescheitert bist.!“ (Mike Ness) Für deine Kinder ist es sicher nicht leicht, gegen einen Vater wie dich zu rebellieren, schließlich hast du selbst schon sämtliche Grenzen überschritten. Genau so ist es. Ich sage ihnen immer: Egal, was du versuchst, du kannst nicht gegen einen Rebellen rebellieren. Und das funktioniert? Zurzeit ist es schwierig. Der Große hat gerade die Highschool beendet und ich versuche ihn zu überreden, aufs College zu gehen, aber der ist mit seinem Kopf gerade ganz woanders - Mädchen, Musik, solche Dinge. Der Jüngere ist relativ pflegeleicht und frisch von der Waldorfschule auf eine reguläre Highschool gewechselt, was ich sehr schade finde. Ich kam gut klar mit den Waldorf-Lehrern. Gibt es denn Regeln oder Rituale, die du deinen Kindern mitgeben möchtest? Ist Mike Ness ein traditioneller Typ? Ich mag keine laute Musik zu Hause, das ist zum Beispiel eine Regel. Oder wenn einer der Jungs bei einem Freund übernachten will, möchte ich vorher mit dessen Eltern sprechen. In dieser Hinsicht bin ich streng und ein wenig konservativ, weil ich
Der österreichische Zoologe Konrad Lorenz sagte einst: „Der Bund mit einem treuen Hund ist so ewig, wie Bindungen zwischen Lebewesen dieser Erde überhaupt sein können.“ Mike Ness weiß das. Seine große Hundeliebe war allerdings sehr klein. Der Chihuahua gilt sogar als die kleinste Hunderasse der Welt. Ursprünglich kommen die zwischen einem und drei Kilo leichten Tiere mit den großen Augen aus Mexiko und sind nach dem nordmexikanischen Bundesstaat benannt, in dem die Rasse das erste Mal entdeckt wurde. Die gängigste Theorie besagt, dass die Hunde von den mexikanischen Opferhunden Techichis abstammen. Interessant ist, dass zwei
Tiere, die der Rasse optisch sehr ähnlich sind, bereits auf einem Fresko auftauchen, das Sandro Botticelli 1482 für die Sixtinische Kapelle in Rom gefertigt hat. Da das Bild entstanden ist, bevor Christoph Kolumbus die sogenannte „Neue Welt“ entdeckt hatte, ist davon auszugehen, dass Botticelli ein solches Exemplar nicht selbst gesehen haben kann. Die Tiere, die von ihrem Wesen her gemeinhin als robust, lernfähig und gutmütig gelten, werden heute als Familien-, Schoß- und Begleithund gehalten.
weiß, wohin es führen kann, wenn mir solche Dinge egal sind. Meine Eltern haben sich einen Scheiß dafür interessiert, wo ich die Nacht verbracht habe. Ich dagegen bemühe mich, meinen Jungs ein paar Manieren mit auf den Weg zu geben, die später hilfreich sein können: Dass man den Ladies die Tür aufhält oder seine Frau nicht betrügt. Letzteres müsste dir doch manchmal schwer fallen, vor allem auf Tour. Obwohl man schon den Eindruck bekommen könnte, dass du lieber 14 Mal in Folge im House Of Blues in Anaheim auftrittst, als in 14 verschiedenen Konzertsälen in 14 verschiedenen Städten. Du reist nicht so gerne, richtig? Sagen wir so: Auf Tour zu sein, ist sicher nicht gut für die Ehe, es macht Dinge schwieriger. Aber Social Distortion ist eine Band, für die Konzerte oberste Priorität haben. Und natürlich werden wir auch auf Tour gehen, aber in Maßen und immer im Einklang mit unserem Privatleben. Ich habe das Glück, einerseits meine Familie zu haben, und andererseits dieses verrückte Musikerleben führen zu dürfen – trotzdem bleibt immer noch genug Zeit, um an meinen Autos zu schrauben oder T-Shirts zu designen. Letzte Frage: Wann hatte Mike Ness seine beste Phase: In seinen Zwanzigern, den Dreißigern oder den Vierzigern? So dämlich das klingt, aber meine beste Zeit habe ich heute. Die Karriere von Social Distortion ist schon ein seltsames Phänomen. Wir hatten nie einen wirklichen Plan oder eine konkrete Vorstellung davon, wohin die Reise überhaupt gehen soll. Wir sind immer unserem Instinkt gefolgt. Dabei haben wir sicher einen Haufen falscher Entscheidungen getroffen und eine Menge Fehler gemacht, aber trotzdem hatten wir von Jahr zu Jahr mehr Fans. Ich glaube, es gibt keine andere Band, der in ihrer Karriere ähnliches widerfahren ist. Aber ich zerbreche mir über solche Dinge eigentlich nie den Kopf. Mein Job ist es, anständige Platten zu machen und jeden Abend 100% zu geben. Und so lange ich das kann, wird es für diese Band auch neue Fans geben. Text: Flo Hayler Foto: Erik Weiss Heimat: socialdistortion.com
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Mogwai
Wo ist das Problem? Barry Burns ist ein gelassener Typ. Als Kopf der britischen Mogwai scheint ihn nichts und niemand aus der Ruhe zu bringen – selbst wenn das neue Album seiner Band mit den lustigen Titel ’Hardcore Will Never Die, But You Will’ illegal im Netz landen würde, er hätte als letzter ein Problem damit. Die Bar ist geöffnet, eine Wagenladung schottisches Bier eingetroffen und Barry Burns strahlt bis über beide Ohren: „Als ich mit meiner Frau vor einem Jahr die fixe Idee hatte, in Berlin eine Kneipe zu eröffnen, hätte ich im Traum nicht daran gedacht, dass das so schnell klappt.“ Ja, richtig gehört: Der hauptberufliche Mogwai-Keyboarder ist unter die Barmänner gegangen und hat sich im Stadtteil Neukölln niedergelassen. Ein zweites Standbein kann nicht schaden, meint er und bekräftigt, dass niemand glauben sollte, man könne als rechtschaffener Indie-Musiker das Geld mit der Schubkarre zur Bank fahren.
Twilight Singers Scheitern als Chance
Greg Dulli wird wahrscheinlich niemals sonderlich erfolgreich oder wohlhabend sein, aber wenigstens wird er geliebt. Schon interessant, wie ein sich quer finanzierender Vollblutmusiker und Typ, der seine Poesie aus dem Pflaster der Straße speist, in seinen Songs stets den Kern und das Herz der Fans trifft. Das war schon so, als Dulli noch Frontmann der Afghan Whigs oder Sidekick von Mark Lanegan bei den Gutter Twins war, und das ist auch so bei seinem rochierenden Twilight Singers-Ensemble. Seit Jahrzehnten ist Dulli sowohl Instanz als auch heiliger Gral des düsteren Alternative-Rock, geerdet durch eine gut-bürgerliche Existenz, die er sich nach erfolgreich absolvierter Drogentherapie und als Betreiber dreier Bars und eines Mini-Hotels aufgebaut hat. Es hätte also schlimmer kommen können für ihn, oder, wie Dulli es ausdrückt: “Ich habe vor 18 Jahren damit aufgehört, mir Gedanken über meinen Status zu machen.“ Dennoch schmerzt es, wenn man die „informierte“ Fraktion der Indie- und Alternative-Rock schätzender Kids mit dem Namen Greg Dulli konfrontiert. In sieben von zehn Fällen erntet man dabei kaum mehr als einen fragenden Blick, woran sich auch mit dem neuen, vierten Album der Twilight Singers ’Dynamite Steps’ nichts wesentlich ändern dürfte. Was zeitlose Geniestreiche für den einen, ist vielen anderen schlicht zu verschroben oder eklektisch, denn: Dullis Songs sind fast durchweg gespickt mit ins Nirgendwo abdriftenden Piano-Passagen und dezent gesetzten Streicherarrangements, nur selten aus dem Koma geholt von Elektro-Schocks und wütend gerupften Gitarrenakkorden. Auf die einsame Suche nach neuen Düster-Hymnen begab sich der 46-Jährige im Falle des neuen Albums bevorzugt in die Abgeschiedenheit von New Orleans - neben Los Angeles Dullis Lebensmittelpunkt – und in die kalifornische Wüste um Joshua Tree. Dort ist es „schön friedlich“, erklärt der Mann mit spürbarem Fernweh in der Stimme und nicht ohne den Hinweis, dass „fast die Hälfte des neuen Albums“ auch genau dort entstanden ist. Unterstützt wurde Dulli für sein Album von diversen Gästen, darunter Ani DiFranco, Dullis gutem Freund Mark Lanegan oder Ex-The Verve-Gitarrist Nick McCabe. „Es ist ein Geschenk, wenn man die Stimmen von Mark oder von Ani in seinen Songs hören darf“, sagt Dulli. „Ich mag meinen Gesang nicht sonderlich. Mein größter Traum wäre es, ein Instrumentalalbum aufzunehmen. Manchmal ist die Musik Stimme genug.“ Der Weg zu dieser Erkenntnis war ein weiter. Dulli ist seit seinem elften Lebensjahr kreativ tätig – zunächst als kindlicher Comiczeichner, später als pubertierender Maler und anschließend als ambitionierter Fotograf – bis er eines Tages bei der Musik landete. Nach diesen Ausflügen in nahezu sämtliche kreative Gefilde ist er sich sowohl seiner Talente als auch künstlerischen Defizite mehr als bewusst. „Es ist beruhigend zu wissen, was man kann und was nicht. Ich finde es aber wichtig, alles einmal versucht zu haben. Schließlich muss man manchmal scheitern, um herauszufinden, worin man wirklich gut ist.“ Text: Flo Hayler
Heimat: thetwilightsingers.com
Foto: Erik Weiss
„Touren ist okay, da verdienst du noch ein bisschen mit. Ansonsten ist der Ofen ziemlich aus“, erklärt Burns und macht sich keine großen Hoffnungen, vom neuen Mogwai-Album ’Hardcore Will Never Die, But You Will‘ allzu viele Exemplare abzusetzen. „Illegal bekommst du die Songs doch sowieso, was soll also der ganze Stress“, fügt er hinzu und fast ist man geneigt zu fragen, ob es für ihn etwa okay sei, wenn die Platte ohne jede Bezahlung den Besitzer wechselt: „Toll ist das nicht, aber ehrlich gesagt: Wenn du eine schnelle Internetverbindung und Zeit genug hast, wo liegt das Problem? Mach es einfach.“ Einspruch, euer Ehren! Denn wenn man für etwas guten Gewissens bezahlen kann, dann für die neuen Ergüsse aus dem Hause Mogwai: Selten klang die NoiseRock-Band so aufgeräumt wie hier, vermengt E-Gitarren mit satten Drums und im Mittelteil wagt sich sogar Burns persönlich ans Mikro, nuschelt aber ziemlich unverständlichen Kram daher. „Witzige Geschichte: Die Lyrics auf der Platte sind Passagen aus meinem Mietvertrag für die Bar hier – durch den Vocoder-Effekt erkennt man das nicht. Wir fanden es total lustig.“ Humor haben sie also auch, diese Schotten. Und weil das Bier aus dem riesigen LKW endlich den Weg zum Zapfhahn findet, hebt sich Burns Laune erneut. Alles gehe seinen Gang, meint er und wirklich: Angesichts eines der besten Alben seiner Band und der baldigen Eröffnung der Kneipe, läuft die Sache wie geschmiert. Nur das mit den illegalen Downloads sollte er überdenken. Text: Marcus Willfroth Heimat: mogwai.co.uk
Foto: Steve Gullick
FÜHRER E IS E R L L O 'R 'N K C O R
Mit BRITISH SEA POWER nach BRIGHTON Händchenhalten auf dem Rummel, ein heimliches Bier am Pier, ein Eis mit eurer Liebsten auf der Strandpromenade – das schöne Seebad Brighton ist der ideale Ort für Teenage Kicks. Doch auch Erwachsene können hier ihren Spaß haben, wie Sänger Jan (Scott Wilkinson) als Ortskundiger verrät. Man muss nur darüber informiert sein, wen oder was man meiden sollte. Welche drei Gegenstände sollten in unserem Reisegepäck nicht fehlen? Ich empfehle dreimal Gummi: 1. Ein Gummiboot: Das Meer ist schön, aber selbst im Sommer ein wenig kalt. 2. Eine Gummipuppe: Wenn’s mit dem Date nicht klappt, außerdem kann man sich damit auf den zahlreichen Junggesellen/Junggesellinnen-Parties in der Stadt unter die Leute mischen. Einen Gummi zur Verhütung: In Brighton sind Chlamydien keine Unbekannten, wenn’s letztlich doch mit einem Date klappt, ist es besser, auf der sicheren Seite zu sein.
lustige Spiele. Die Bar wird von Matt geführt. Er spielt in der großartigen, aus Brighton stammenden Band Restlesslist.
Was macht Brighton besonders? Im Winter ist die Stadt ruhig, kalt und voll mit vielen interessanten Leuten. Im Sommer ist es wie Ibiza im Familienferienpark. Das ist okay, wenn man weiß, wo man sich verstecken kann. Generell sind die Leute in Brighton entspannt, egal, ob du ein Transvestit-Matrose oder eine GlamRock-Prinzessin bist. Außerdem gibt es viele junge Bands in der Stadt, die Menschen feiern gern und die Geschmäcker überlappen mit den einzelnen Genres wie Indie und Techno.
Welche Partygegend sollten wir besser meiden? Ich persönlich mache einen Bogen um West Street, wo viele betrunkene Leute auf der Straße herumlungern. Angeregt von Alkopops und all den Miniröcken versuchen sie sich gegenseitig zu begrapschen. Obwohl, es könnte schlimmer sein.
Deine Lieblingsbar? Hand In Hand (33 Upper St. James’s Street) ist der kleinste Pub in Brighton und der beste. Hier wird am Klavier gespielt und gemeinsam mitgesungen, es gibt eine Reggae-Nacht und viele
Wo können wir gute Konzerte sehen? Die Clubs The Hope (11 Queens Road) und The Prince Albert (48 Trafalgar Street) sind gut. Aber es gibt noch viele andere kleine anständige Clubs. Zugegeben, die letzte herausragende Show habe ich in keinem von ihnen gesehen, sondern im weit größeren Brighton Center bei den Pet Shop Boys.
sington Gardens) sind gut. Wo treffen wir die schönsten Menschen in Brighton? Bei unseren Shows – äh – vielleicht doch nicht. Am besten versucht ihr es bei den Beach Volleyball-Plätzen oder im Yachthafen, da treffen sich die Leute, um zu “swingen”. Kennst du dich mit shoppen aus? Nicht wirklich. Aber wenn ihr The Lanes, eine Gegend mit vielen kleinen Shops, entlang spaziert, wird sich schon etwas finden, zum Beispiel auch viel Vintage-Kram. Außerdem gibt es da nette Bäckereien und Restaurants. Welcher Ort ist besonders schön in Brighton? Es ist toll, die riesigen Schwärme der Stare am Abendhimmel zu beobachten, während man am Pier sitzt und ein, zwei Bier trinkt.
Ein nettes Café mit Seeblick und Eiscreme... ...die könnt ihr überhaupt nicht verfehlen. Passt aber gut auf das Eis auf. Die Möwen in Brighton sind sehr dreist und gefräßig. Ich mag sie, aber sie mögen auch euer Eis.
Und wo verbringen wir ein romantisches Date? Vielleicht geht ihr auf den Jahrmarkt am Brighton Pier mit seinem Glücksspiel-Imperium und den hübschen Karussells. Dann verschwindet ihr ab und an für ein bisschen Rumknutschen in die Geisterbahn...
Brightons bester Plattenladen? Rounder Records (19 Brighton Square) und Resident Music (28 Ken-
Text: Christine Stiller Heimat: britishseapower.co.uk Auch gut: „Valhalla Dancehall“ - das neue Album von British Sea Power
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TEST
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TEST
Matt: Wenn sie in der Europäischen Union nicht landen dürfen, kann es Kanada nicht sein. Tschechien auch nicht. Ich glaube, es ist Kirgisistan oder Kirgistan oder wie auch immer.
Korrekte Antwort: B
Frage 3 Welche „Versuchskaninchen“ beobachtete Gregor Mendel, um die nach ihm benannten Regeln der Vererbung von Merkmalen aufzustellen?
A Meerschweinchen B Schimmelpilze C Erbsen D Rotkehlchen Matt: Es sind die Erbsen. Er hat verschiedene äußere Merkmale wie Farbe und Oberflächenstruktur der Erbsen beobachtet. Ich arbeite selbst viel im Garten und pflege dort sozusagen das Andenken an Herrn Mendels Werk, auch wenn mein Rosenkohl in diesem Jahr etwas klein geraten ist. Das erinnert mich daran, dass ich noch nachlesen wollte, wann man Rosenkohl ernten muss...
Korrekte Antwort: C
Frage 4 Wie ist der heute populäre Wortlaut von Murphy’s Gesetz?
A Alles was schief gehen kann,
wird schief gehen
desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass ein Vergleich mit den Nazis oder Hitler darin auftaucht
B Situation normal: all fucked up C Toast landet immer auf der Butterseite D Je länger eine Online-Diskussion dauert,
The Get Up Kids
Im Regeln und Gesetze–Test „There Are Rules“ heißt die neue Langspielplatte aus dem Hause Get Up Kids. Schlappe sechs Jahre, eine Bandtrennung, eine Reunion und diverse Biere haben die Könige des Emo-Power-Pop gebraucht, um sich auf verbindliche Regeln für einen konstanten Bandfrieden zu einigen und endlich wieder das zu tun, was sie am besten können. Grund genug für uns, Frontmann Matthew Pryor durch einen wahnwitzigen Quiz-Parcours zum Thema Gesetzestreue zu jagen. Wie immer stehen ihm ein 50/50- und ein Telefonjoker zur Verfügung.
Frage 1 Welche Band hatte mit „Breaking The Law“ im Jahr 1980 einen Hit?
A Deep Purple B Pink Floyd C Judas Priest D The Doors Matt: Muss ich die Antworten abwarten? Judas Priest!
Korrekte Antwort: C
Frage 2 In welchem Land haben „Golden Rule Airlines“, gegen die in der EU eine „Betriebsuntersagung“ erlassen wurde, ihren Hauptsitz?
A Kanada B Kirgisistan C Tschechien D Libanon
Matt: A! Und Murphy’s Law ist eine HardcoreBand aus New York. Die Tage, an denen du mit Murphy’s Law zu tun hast – und damit meine ich nicht die Band – sind die fiesesten, wenn du in einer Band spielst. Erst fällt der Bus auseinander, dann kommst du zu spät, die Instrumente gehen kaputt und am Ende kommt mit ziemlicher Sicherheit die Polizei. Also A.
Korrekte Antwort: A
Frage 5 In welchem amerikanischen Bundesstaat war es fast 22 Jahre verboten, Weihnachten zu feiern, weil es als „schändlich vor Gott und anstößig für viele Mitmenschen“ angesehen wurde?
A Massachusetts B Texas C Kansas D Nashville Matt: (Ohne die Antworten abzuwarten) Das wäre typisch Massachusetts!
Frage 6
schwimmen gehen, weil ich Tattoos habe und andere Badegäste sich davon beleidigt fühlen könnten. Deshalb glaube ich, dass es die Knochen sind, weil es die Begründung ist, die am wenigsten mit Essen zu tun hat.
In eurer Heimatstadt Lawrence, Kansas, ist es nicht illegal...
Korrekte Antwort: B
Korrekte Antwort: A
A ...einen Esel zur Entenjagd zu benutzen B ...auch tagsüber als Hühnerdieb zu arbeiten
C ...eine Biene unter dem Hut zu tragen D ...einen Mülleimer sexuell zu belästigen Matt: Das sind Gesetze in Lawrence? Ich könnte mir vorstellen, dass die sexuelle Belästigung eines Mülleimers hier unter Strafe steht. Lawrence ist eine College-Stadt und es ist wahrscheinlich, dass es Zwischenfälle mit besoffenen Studenten gegeben hat. Ich rate, dass man tagsüber als Hühnerdieb arbeiten kann. Das klingt irgendwie nach Wildem Westen.
Frage 9 Welche dieser Substanzen fällt in Singapur unter das Betäubungsmittelgesetz und wird daher nur in Apotheken an Kunden verkauft, die ihren Namen und ihre Ausweisnummer hinterlegen?
A Hustensaft B Kaugummi C Magic Mushrooms D Putzmittel Matt: Die Pilze wären wohl zu einfach. Vielleicht ist es Hustensaft?
Korrekte Antwort: D
(Die sexuelle Belästigung eines Mülleimers steht allerdings in Daytona, Florida, unter Strafe)
Frage 7
Korrekte Antwort: B
Frage 10
Welcher Autor schrieb das Buch „The Rules of Attraction“?
Nach einem alten britischen Gesetz, das nie außer Kraft gesetzt wurde, kann man des Hochverrats angeklagt werden, wenn...
A Jonathan Franzen B Jonathan Safran Foer C David Foster Wallace D Brett Easton Ellis
Matt: Ich komme nicht drauf. Ich nehme meinen 50/50-Joker.
C David Foster Wallace D Brett Easton Ellis Matt: Brett Easton Ellis
Korrekte Antwort: D
Frage 8 In Japan existieren viele ungeschriebene Gesetze, die den korrekten Gebrauch von Essstäbchen regeln. Warum ist es verboten, Essen mit Stäbchen an eine andere Person mit Stäbchen weiter zu geben?
A Es würde als oberflächlich empfunden,
obwohl es Sitte ist, allen an der Mahlzeit Beteiligten tiefe Dankbarkeit entgegenzubringen B Von Stäbchen zu Stäbchen werden nach der üblichen Feuerbestattung die Knochen des/der Verstorbenen bewegt C Es signalisiert dem Koch auf sehr unhöfliche Weise, dass das Essen scheußlich schmeckt D Es wird einfach als unhygienisch empfunden Matt: Japanische Traditionen und Höflichkeitsformen sind immer ziemlich seltsam. Als ich in Osaka war, durfte ich nicht im Hotelpool
A ...man eine Briefmarke mit dem Portrait des Königs oder der Königin verkehrt herum auf den Briefumschlag klebt B ...man am Nationalfeiertag vor seinem Haus eine alte, schäbige oder beschädigte Flagge hisst C ...man eine Papierkrone in der Kirche trägt D ...man den König oder die Königin außerhalb der eigenen vier Wände parodiert
Matt: Ich habe keine Ahnung. Irgendwie kommt mir das mit der Briefmarke bekannt vor, aber ich entscheide mich für die Papierkrone, weil es lustiger klingt.
Korrekte Antwort: A Matt: Ach Mist, ich hatte mir vorgenommen spontaner zu sein. Aber ich dachte, wenn es ein altes Gesetz ist, dass es damals vielleicht noch keine Briefmarken gab.
FAZIT Sieben richtige Antworten stellen Matt ein gutes Zeugnis aus. Einerseits ist es beruhigend, dass ein Musiker mit Punkrock-Wurzeln nicht komplett dem Regelfetischismus verfallen ist, wenn er die 30 knackt. Andererseits ist es fast schon unheimlich, dass er, wenn er auf seinen allwissenden Bauch gehört, sogar noch besser abgeschnitten hätte. Selbst ein Get Up Kid hat wohl eine innere Stimme, die an Regeln und Gesetze erinnert. Text: Timo Richard Heimat: getupkids.com Auch gut: „There Are Rules“ – das neue Album der Get Up Kids
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PRÄSENTIERT
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Foto: Sandy Worm
Präsentiert TOUR DES MONATS.
TUSQ
Tusq? Schon wieder eine neue Band, die der heiße Kram von morgen sein will? Ganz und gar nicht. Jeder von euch kennt Tusq. Oder zumindest Teile davon. Denn sie sind quasi das deutsche Pendant zu Them Crooked Vultures oder The Good, The Bad & The Queen. Nicht unbedingt auf musikalischer Ebene, dafür aber in Bezug auf den Supergroup-Charakter. Bei Tusq lassen etliche Bekannte grüßen: Paul von Herrenmagazin am Bass beispielsweise. Timo von Schrottgrenze ist ebenso dabei wie Holger von The Coalfield. Um den Kreis zu schließen steht Uli Breitbach am Mikrofon – ihr wisst schon, der von den D-Sailors. Viele Namen, und doch geht es hier nur um eines: die facettenreichen Songs der Combo live zu erleben. „Patience Camp“ - das Debüt der deutschen Supergroup - will/darf/kann sich an Vorbildern wie The Soundtrack Of Our Lives oder Arcade Fire messen lassen. Vorhang auf für Tusq, denn alte Bekannte suchen neue Freunde!
AUF TOUR
28.1. Magdeburg - Projekt 7 *** 17.2. Frankfurt - Ponyhof *** 18.2. Oberhausen - Druckluft *** 19.2. Bremen - MS Treue *** 21.2. Köln - Studio 672 *** 22.2. Hannover - Bei Chéz Heinz *** 23.2. Nürnberg - MUZ Club *** 24.2. Stuttgart - Keller-Club *** 25.2. München - 59to1 *** 26.2. Berlin - Lido
Mit einer E-Mail an verlosung@sallys.net habt ihr die Möglichkeit, für sämtliche von uns präsentierten Shows den ein oder anderen Gästelistenplatz zu ergattern. Bitte schreibt den Namen eurer Wunschkonzert-Combo in den „Betreff“ und gebt eure Adresse an! All Time Low
17.02. Hamburg - Markthalle 18.02. Berlin - C-Club 24.02. Köln - Live Music Hall
Asking Alexandria
Special Guests: Of Mice & Men + Chelsea Grin 28.04. Berlin - Magnet 29.04. Hamburg - Grünspan 30.04. Münster - Sputnikhalle
Beatsteaks
The Gaslight Anthem Was ist denn so toll an denen? Das müsst ihr die hohe Prozentzahl fragen, um die sich die Fangemeinde der Band aus New Jersey in den letzten zwei Jahren vergrößert hat. Geht da außer mir noch wer hin? Es werden nur Menschen reingelassen, die so nett und gutgelaunt wie Sänger Brian Fallon sind. Puh, naja, bis dahin habt ihr ja noch Zeit, an eurer Persönlichkeit zu feilen. So wird’s enden: Im Idealfall mit einem Heiratsantrag eurer Liebsten, im schlimmsten Fall mit einem „I got laid in Jersey“-Unterarmtattoo oder so.
AUF TOUR: 6.6. Dresden - Alter Schlachthof *** 7.6. Hamburg - Docks
02.03. Saarbrücken - E-Werk 09.03. Frankfurt - Jahrhunderthalle 10.03. Erfurt - Thüringenhalle 12.03. Ludwigsburg - Arena 14.03. Münster - MCC Halle Münsterland 15.03. Bremen - Halle 7 16.03. Hannover - AWD Hall 18.03. Bamberg - Stechert Arena 19.03. Dortmund - Westfalenhalle 1 22.03. Hamburg - Sporthalle 24.03. München - Olympiahalle 25.03. Leipzig - Arena 26.03. Bielefeld - Seidenstickerhalle 10.06. Berlin - Kindl-Bühne Wuhlheide 11.06. Berlin - Kindl-Bühne Wuhlheide 02.07. Dresden - Elbufer
Blumentopf
16.02. Saarbrücken - Garage 17.02. Oldenburg - Kulturetage 18.02. Bochum - Zeche 19.02. Hannover - Kulturzentrum Faust 22.02. Heidelberg - Karlstorbahnhof 23.02. Nürnberg - Hirsch 24.02. Ulm - Roxy 25.02. Erfurt - Centrum 26.02. Würzburg - Posthalle
Bonaparte
06.04. Hamburg - Große Freiheit 36 07.04. Köln - Live Music Hall 11.04. Frankfurt - Mousonturm 13.04. München - Muffathalle 14.04. Nürnberg - Löwensaal 15.04. Dresden - Reithalle 16.04. Berlin - C-Halle
Bosse
24.03. Leipzig - Moritzbastei 26.03. Kaiserslautern - Kammgarn 29.03. München - 59to1 30.03. Stuttgart - Röhre 31.03. Frankfurt - Nachtleben 01.04. Erfurt - HsD 02.04. Dresden - Beatpol 06.04. Köln - Luxor 07.04. Bochum - Zeche 08.04. Osnabrück - Kleine Freiheit 09.04. Hamburg - Große Freiheit 36 14.04. Braunschweig - Meier Music Hall 15.04. Bremen - Schlachthof 16.04. Berlin - Postbahnhof
British Sea Power 11.03. München - 59to1 12.03. Berlin - Lido 13.03. Köln - Luxor
Casper
Support: Kraftklub 12.02. Kaiserslautern - Kammgarn
Che Sudaka
15.02. Frankfurt - Batschkapp 16.02. Reutlingen - Franz K 17.02. Nürnberg - Hirsch 18.02. Karlsruhe - Substage 19.02. Heidelberg - Halle 02 27.02. Freiburg - Jazzhaus
Clueso & Band
31.03. Erlangen - E-Werk 03.04. Krefeld - Kulturfabrik 04.04. Flensburg - Deutsches Haus 05.04. Rostock - Mau Club 13.04. Erfurt - Messehalle 15.04. Oberhausen - König-Pilsener-Arena 16.04. Bremen - Arena 17.04. Münster - Halle Münsterland 18.04. Frankfurt - Jahrhunderthalle 20.04. Berlin - Arena 21.04. Hamburg - Alsterdorfer Sporthalle 28.04. München - Zenith 29.04. Dresden - Messehalle 30.04. Stuttgart - Porsche Arena
13.10. Freiburg - Rothaus Arena 14.10. Würzburg - Posthalle 15.10. Kempten - Big Box 17.10. Saarbrücken - E-Werk 18.10. Koblenz - Sporthalle Oberwerth 19.10. Hannover - AWD Hall 21.10. Mannheim - Rosengarten 23.10. Magdeburg - Stadthalle 24.10. Kassel - Kongress Palais
Cut Copy
16.03. Berlin - Lido 17.03. Köln - Gebäude 9
Dead Confederate + The Whigs
15.02. München - 59to1 16.02. Frankfurt - Nachtleben 17.02. Hamburg - Molotow 18.02. Köln - Luxor
Dropkick Murphys
16.04. Bielefeld - Ringlokschuppen 21.04. Erfurt - Thüringen Halle 25.04. München - Zenith
Dum Dum Girls
11.04. Berlin - Festsaal Kreuzberg 12.04. München - 59to1
Everything Everything 15.03. Hamburg - Uebel & Gefährlich 16.03. Köln - Gebäude 9 17.03. Berlin - Magnet 19.03. München - Atomic Café
Fu Manchu
12.03. Hamburg - Knust 13.03. Berlin - C-Club 18.03. Rostock - Mau Club 30.03. München - 59to1 31.03. Wiesbaden - Schlachthof 01.04. Köln - Luxor
Herrenmagazin
30.01. Regensburg - Heimat 01.02. Wiesbaden - Schlachthof 02.02. Karlsruhe - Jubez 03.02. Düsseldorf - Forum Freies Theater 04.02. Husum - Speicher 05.02. Lingen - Schlachthof 06.02. Hamburg - Hafenklang
James Yuill
Disco Ensemble
28.03. Aachen - Musikbunker 29.03. Heidelberg - Karlstorbahnhof 30.03. Potsdam - Waschhaus 31.03. Leipzig - Conne Island 01.04. Düsseldorf - Stone 02.04. Lingen - Alter Schlachthof
01.02. Leipzig - Werk II 02.02. Nürnberg - MUZ Club 04.02. Dresden - Scheune 05.02. München - Atomic Café 07.02. Stuttgart - Club Schocken 08.02. Frankfurt - Sinkkasten Arts Club
Junip
20.02. Berlin - Lido (Matinee Show) 20.02. Berlin - Lido
Sum 41 Was ist denn so toll an denen? Deryck Whibley hat es nicht verlernt. Noch immer stellt er auf der Bühne stolz seine Hyperaktivitätsstörung zur Schau. So selbstbewusst wie Whib wären wir alle gern. Geht da außer mir noch wer hin? Vorrangig ausgesprochen junge Menschen. Wer sich als Ü-16 also mal alt fühlen möchte – das ist euer Date! So wird’s enden: Mit einem Knutschfleck von einem aufgedrehten Skatergirl. Hach ja...
AUF TOUR 6.2. Osnabrück - Rosenhof *** 8.2. Köln - Live Music Hall *** 9.2. Saarbrücken - Garage
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PRÄSENTIERT
Madsen
12.03. Mannheim - Capitol 13.03. Ulm - Roxy 15.03. Erlangen - E-Werk 16.03. Berlin - Postbahnhof 21.03. Hamburg - Grünspan 22.03. Bochum - Zeche 23.03. Münster - Skaters Palace 25.03. Magdeburg - Altes Theater
unclesally*s magazine
Im Tourbus mit:
17.02. Köln - Luxor 22.02. Berlin - White Trash 23.02. Frankfurt - Das Bett
HERRENMAGAZIN
The Phoenix Foundation 22.02. Berlin - Comet 23.02. Köln - Studio 672 24.02. Hamburg - Beatlemania
The Sisters Of Mercy 01.03. Berlin - C-Halle
The Wombats
16.04. Köln - Live Music Hall 17.04. Offenbach - Capitol 18.04. Berlin - Astra 20.04. Hamburg - Docks 21.04. München - Tonhalle
Das Vollplaybacktheater Die Drei ??? Und der Karpartenhund Matt And Kim
28.03. Berlin - Lido 29.03. Hamburg - Knust 30.03. Köln - Gebäude 9
Moddi
26.02. Hamburg - Knust 27.02. Köln - Gebäude 9 01.03. Frankfurt - Panorama Bar 02.03. Schorndorf - Manufaktur 03.03. München - Ampere 04.03. Heidelberg - Karlstorbahnhof 06.03. Leipzig - Skala 07.03. Berlin - HAU2 09.03. Münster - Gleis22
Robyn
07.03. Offenbach - Capitol 09.03. Köln - Live Music Hall 11.03. München - Muffathalle 12.03. Berlin - Astra
The Airborne Toxic Event
01.02. Berlin - White Trash 03.02. Münster - Gleis 22 08.02. Berlin - White Trash 09.02. Hamburg - Uebel & Gefährlich 15.02. Berlin - White Trash 16.02. München - Ampere
10.02. Lingen - Theater an der Wilhelmshöhe 11.02. Aurich - Stadthalle 12.02. Siegen - Siegerlandhalle 13.02. Frankfurt - Batschkapp 14.02. Frankfurt - Batschkapp 15.02. Würzburg - Posthalle 16.02. Karlsruhe - Tollhaus 17.02. Stuttgart - Theaterhaus 18.02. Augsburg - Reese Theater 19.02. Augsburg - Reese Theater 20.02. München - Muffathalle 21.02. Coburg - Kongresshaus Rosengarten 26.02. Fulda - Kreuz 27.02. Schwabach - Markgrafensaal 28.02. Göttingen - Stadthalle 01.03. Münster - Halle Münsterland 02.03. Osnabrück - Stadthalle 03.03. Kiel - Kieler Schloss 04.03. Hamburg - Große Freiheit 36 05.03. Hamburg - Große Freiheit 36 10.03. Lübeck - Kolosseum 11.03. Bremen - Pier 2 12.03. Oldenburg - Cäciliensaal 13.03. Köln - Essigfabrik 14.03. Köln - Essigfabrik 15.03. Bochum - Christuskirche 16.03. Bochum - Christuskirche 17.03. Hagen - Stadthalle 18.03. Leipzig - Theater-Labor-Sachsen 19.03. München - Muffathalle 11.04. Wuppertal - Forum Maximum 12.04. Wuppertal - Forum Maximum
Ihr seid schnell gelangweilt? Geht verschwenderisch mit Zeit und/oder Zigaretten um und gern für umsonst aufs Klo? Dann solltet ihr besser nicht mit Herrenmagazin reisen. Sänger Deniz Jaspersen und Schlagzeuger Rasmus Engler schildern euch Tücken und Tragik des Touralltags, in dem nicht einmal Tramper mehr das sind, was sie eigentlich sein sollten. Was hast du auf Tour als letztes gelesen? Deniz: Das letzte, was ich versucht habe zu lesen, war unser Gesellschaftsvertrag. Das ging allerdings nur ’ne halbe Seite lang gut, da man sich dabei mehr konzentrieren muss, als es die Reisegruppe erlaubt. Dann bin ich wieder zur Zeitung oder Zeitschrift übergegangen. Wie vertreibt ihr euch bei der Fahrt die Zeit? Rasmus: Torben leiht sich alle 20 Minuten Deniz’ iPhone, der Rest lenkt, säuft oder wartet sehnsüchtig auf die nächste Raucherpause. In welcher Situation geht das Touren am meisten auf die Nerven? Deniz: Das ’Zeithitlertum’ einzelner Bandmitglieder kollidiert bei Zwischenstopps bisweilen mit der entspannten Haltung der Raucher. Was war euer bislang ekligstes Raststättenerlebnis? Rasmus: Die Höllenflatulenz, die unser damaliger Mischer Niclas Breslein absichtlich noch im Bus hinterließ. Daraufhin wurde er auch recht bald gefeuert. Zudem müssen wir uns jedes Mal überwinden, 70 Cent in diese widerlichen SanifairAutomaten zu werfen. Nicht unbedingt olfaktorischer, eher emotionaler Ekel. Euer heimliches Tramper-Traumszenario? Deniz: Wir haben mal einen Tramper mitgenommen, der war sehr langweilig. Einen Tramper mitzunehmen, der spannend ist, das wäre was. Was vermisst ihr auf Tour am meisten? Rasmus: Nichts. Wir sind heilfroh, wenn wir unterwegs sind. Zu Hause ist es scheiße!
A Day To Remember Was ist denn so toll an denen? Endlich eine Band, die sich ihrer Männlichkeit so bewusst ist, dass sie einfach mal so den Hit einer American Idol-Gewinnerin covern kann. Geht da außer mir noch wer hin? Jeder, der Hybriden aus Metal-Core und Pop-Punk zu schätzen weiß. So wird’s enden: Glücksgefühl trotz Rippenprellung.
AUF TOUR 16.2. München - Theaterfabrik *** 17.2. Stuttgart - Longhorn LKA *** 18.2. Köln - Essigfabrik *** 19.2. Hamburg - Große Freiheit 36 *** 20.2. Berlin - Huxleys *** 22.2. Münster - Skaters Palace
Welche Band würdet ihr niemals mit euch im Tourbus reisen lassen? Deniz: Die einzige Band, bei der Rasmus keinen Spaß versteht, sind Die Prinzen. Da wird der ernsthaft sauer. Wo würdet ihr nie wieder Halt machen? Rasmus: Wir würden wohl überall wieder hinfahren. Große Angst haben wir aber vor Cottbus. Dort hatten wir das schlimmste Herrenmagazin-Konzert aller Zeiten. Eigentlich müssten wir gerade deshalb noch mal hinfahren, um das Trauma zu überwinden... Heimat: herrenmusik.de Auch gut: „Das Wird Alles Einmal Dir Gehören“ – das aktuelle Album von Herrenmagazin
AUF TOUR 28.1. Magdeburg - Projekt 7 *** 29.1. Kaiserslautern - Kammgarn *** 30.1. Regensburg - Heimat *** 1.2. Wiesbaden - Schlachthof *** 2.2. Karlsruhe Jubez *** 3.2. Düsseldorf - Forum Freies Theater *** 4.2. Husum - Speicher *** 5.2. Lingen - Schlachthof *** 6.2. Hamburg - Hafenklang
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so war’s
SO WAR’S
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Foto: Axel Mosch
Eurosonic
12. bis 14. Januar 2011, Groningen, Niederlande Ein bloßer Geheimtipp unter professionellen Musikliebhabern kann das Eurosonic in seiner 25. Ausgabe schon längst nicht mehr sein. Keine Viertelstunde dauerte es, bis auch das letzte Ticket zu Europas Vorzeige-Showcasefestival der Livemusik-Branche verkauft war. Wen wundert es? Flair und Aufopferung der Stadt Groningen für Livemusik während der drei Festivaltage sind unschlagbar. Einzig am Wetter und damit auch an günstigen Wohngelegenheiten (Camping) hapert es Mitte Januar bisweilen, was den Aufenthalt dementsprechend kostspieliger gestalten kann: Die schmuddelige Hausboot-Kajüte kostet schlappe 400 Euro für drei Nächte. Die beschauliche Stadt im Amsterdam-Kleinformat mit ihren knapp 200.000 Einwohnern aber macht es schon durch die bloße Anzahl ihrer schmucken Konzertsäle wieder wett. Gewürzt von gärigem Bier und Frikandel Spezial aus dem Klappautomaten hält auch die rauchfreie Clubluft niemanden davon ab, die Konzerte (vor-
Foto: Rene Keijzer
wiegend nord-)europäischer Newcomer-Bands zu feiern, selbst wenn diese auf internationalem Boden bislang weitestgehend unbekannt sind. Dass dabei gerade deutsche Künstler wie ds ElektroDuo Hundreds oder das Elektro-Trio Brandt Brauer Frick – letztere mit eigenwilliger Orchestrierung und vor denkwürdiger Kulisse im Theater Schouwburg – ihr internationales Durchsetzungsvermögen zeigen, ist erfreulich. Souverän und spielfreudig wie immer, zeigen sich auch Turbostaat überrascht vom großen Zuspruch der holländischen Zuschauer. Aus gutem Grund sind sie die einzige Band mit eigenem Merchandising vor Ort.
Während die dänische Band Kellermensch mit ihrem Folk-Goth-Core Rätsel aufgeben, scheint es Skandinavien gern auch mal mit – zugegeben recht unterhaltsamen – Kopien bekannter Nordbands zu halten. Kvelertak müssen direkt der Turbojugend entwachsen sein, die vier Frisuren von Thee Attacks stehen den Hives in nur wenig nach.Großbritannien mit Morphmeister James Blake, den jungen Psychedelic-Bluesrockern Wolf People und nicht zuletzt Anna Calvi zwischen Jeff Buckley, Bonnie Tyler und Chris Isaak weist da schon mehr auf ein vielversprechendes Musikjahr 2011 hin. Neujahr ist und bleibt in Groningen.
KONZERTFOTOS OF DEATH Ihr geht doch alle auf Konzerte. Und macht dabei - Fotos? Die wollen wir sehen. Und prämieren. Denn an dieser Stelle küren wir die „Konzertfotos Of Death“ - egal, ob mit Handy oder der Digitalen geschossen. Sum 41 30.11. Leipzig - Haus Auensee geknipst von: Janiii
Schickt uns euer Konzertfoto inklusive Namen der geknipsten Band/Person, Ort, Datum und zwei Sätzen dazu, wie’s so war, auf dem Konzert. Entweder per Mail an sallys@sallys.net oder aber ihr ladet euer Foto ganz einfach auf sallys.net hoch. Da könnt ihr dann auch die Fotos der anderen bestaunen und euren Senf dazugeben. Die besten, schrägsten und lustigsten aus den letzten Wochen zeigen wir euch hier: Fettes Brot 5.12. Berlin - C-Halle geknipst von: Katyes
Björn Beton zeigt uns seine besten Tanzschritte!
Fotos 10.11. Magdeburg - Projekt 7 geknipst von: LinaLina
Denniz (an der Gitarre) und Tom (An der Gitarre und mit seinen Gesangskünsten). Mit dem tollen Stroboskoplicht das leicht anstrengend war. Aber es war dennoch ein geiles Konzert!
Wir Sind Helden 18.11. Magdeburg - Projekt 7 geknipst von: Annez
Panic! at the Disco 5.12. Berlin - Veolodrom / Extreme Playgrounds geknipst von: Annez
Ich war ein wenig skeptisch, wie die Band wohl nach der Trennung noch funktionieren würde, doch nach diesem Konzert bin ich mir verdammt sicher, dass Brendon und Spencer das allein viel besser machen werden, als wenn sie noch zu viert wären. Zumindest gefiel mir ihre Live-Show verdammt gut und ich bin zuversichtlich, dass das neue Album ebenso grandios wird!
Alex Amsterdam 4.11. Köln - ZwoEinz geknipst von: ina_rawr!
Der unglaubliche Solo-Auftritt des extrem sympathischen Alex Amsterdam (a²) bei „Wir Und Die Lichter Der Stadt“. Vor allem „Liar, Liar“ hat derbe reingehauen. Sehr zu empfehlen!
Wenn Wir Sind Helden im Rahmen der MDR Sputnik Heimattour zu uns nach Magdeburg kommen, tut man, was man kann, um an Karten zu gelangen. Eben auch einfach mal ’ne Runde Straßenbahnfahren. Und das hat sich verdammt gelohnt. Ein Radiokonzert hatte sich jeder ruhiger vorgestellt. Vor allem die Band selbst, doch da haben sie nicht mit uns Fans gerechnet. Es wurde laut und heiß und das war gut so. Auf der Bühne machten sie es sich trotzdem lieber gemütlich, besonders die Lichteffekte wie ein Sternenhimmel sorgten für die passende Atmosphäre.
Boys Like Girls 28.11. Köln - Underground geknipst von Clarissa Marks
ENDLICH war es soweit: Boys Like Girls zum ersten Mal auf deutscher Bühne und dazu noch in sehr kleinem Rahmen! Es war großartig und die Atmosphäre hätte nicht besser sein können!
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MIX
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Foto: Leo Cackett
We Have Band
Jägermeister Wirtshaus Tour 2011 Mythos Wirtshaus - wusstet ihr...?
Mythen ranken sich um Bars und Pubs – zum Beispiel die von diversen Bandgründungen. So wurde Dominic Masters von The Others beispielsweise der Legende nach in einem Pub gefragt, ob er in einer Band spielen wolle. Er log, und schon wurde ihm ein Auftritt mit seiner nicht vorhandenen Kapelle in eben diesem Pub angeboten, so dass er sich schnell ein paar Mitmusiker suchen musste. The Good, The Bad & The Queen hatten ihren ersten Auftritt in einem Londoner Pub, eine Woche später wurden die Songs des Albums dann der BBC vorgestellt. Sänger Paul Smith kommt als letzter zu seiner Band Maximo Park. Nachdem ihn die Freundin des Schlagzeugers in einem Pub „Superstition“ von Stevie Wonder singen hörte, wurde er engagiert. Wo wir schon mal bei Musikern sind: In dieser Ausgabe wird es noch ausführlicher um Mogwai-Frontmann und Kneipenbesitzer Barry Burns gehen. Er hat kürzlich eine Schänke im Berliner Stadtteil Neukölln eröffnet – natürlich gibt es da schottisches Bier. Als ein weiterer prominenter Barbesitzer ist Damon
Albarn in die Wirtshaus-Geschichte eingegangen. In den Neunzigern hat er sich selbst häufig im hippen Reykjavík vergnügt und mit Regisseur Baltasar Kormákur Anteile am „Kaffibarinn“ gekauft, wo Szenen seines Films „Reykjavík 101“ gedreht wurden. Auch wenn die berühmten Teilhaber der Bar zu mehr Bekanntheit verhalfen, kann der Laden dennoch nicht mit den ganz großen mithalten: Einer amerikanischen Studie zufolge gehören das Münchner Hofbräuhaus und Auerbachs Keller in Leipzig zu den fünf bekanntesten „Gaststätten“ der Welt – zusammen mit Caesars Palace in Las Vegas, dem Hotel Sacher in Wien und dem Hard Rock Cafe
in Los Angeles. Auerbachs Keller dürfte fast allen von euch ein Begriff sein. Berühmtheit erlangte das zweitälteste Wirtshaus der Stadt durch niemand Geringeren als Johann Wolfgang von Goethe, der während seines Studiums in Leipzig 1765–1768 oft seine Abende dort verbrachte. In seinem weltbekannten Stück „Faust I“ spielt eine Szene in ebendiesem Lokal. Als „ältestes durchgehend geöffnetes Gasthaus der Welt“ führt das Guinness-Buch der Rekorde allerdings die seit 1658 bestehende Gaststätte Röhrl in Eilsbrunn bei Regensburg, wo die Besucher auch heute noch einen traditionellen Abend mit bayerischem Wirtshaus-Charme verleben können. Weniger gediegen aber dafür mindestens genauso geschichtsträchtig geht es im Jahr 2011 bei Jägermeister zu! Denn ab sofort besinnt sich der Meister des Kräuterlikörs mit der Jägermeister Wirtshaus Tour auf seine traditionelle Herkunft und macht das Wirtshaus wieder salonfähig. Dabei krempelt die Spirituosenmarke ausgewählte deutsche Gaststätten in angesagte Tanzflure um und verpasst dem verstaubten Kneipenimage ein neues, modernes Gesicht. Mit jeder Menge fast vergessener Kneipenspiele und Indie-Elektrosounds vom Feinsten wird am 17. Februar im damaligen Ost-Vorzeigerestaurant, der Jägerklause in Berlin-Friedrichshain, die glänzende Premiere gefeiert. Dazu macht der langjährige Musiksponsor Jägermeister mal wieder von seinem ausgeprägten Musikinstinkt Gebrauch und bringt euch die momentan schwer angesagte Elektro-Kapelle We Have Band aus London, Produzent und DJ Yuksek sowie das Trashpop-DJ-Team direkt auf Augenhöhe. Denn neben ihrem musikalischen Beitrag werden sich die anwesenden Künstler auch unter die Kneipenbesucher mischen und gern die eine oder andere Skatrunde mit euch spielen. Ihr wollt einer der 250 geladenen Gäste sein? Tickets gibt es unter das-wirtshaus.de oder facebook.com/ daswirtshausde. Dort könnt ihr auch nach weiteren Informationen zur neuen Veranstaltungsreihe stöbern.
Jägermeister Wirtshaus Tour 17.2. Berlin – Jägerklause Friedrichshain, ab 22.00 Uhr Live: We Have Band, Yuksek, Trashpop-DJ-Team Tickets: das-wirtshaus.de
Telekom Extreme Playgrounds Rock, Rampen und schnelle Flitzer
Auch in diesem Jahr werden die Telekom Extreme Playgrounds stattfinden und wie üblich hoch im Kurs bei euch stehen. Deshalb könnt ihr im Grunde gar nicht früh genug damit beginnen, den 17. April fest einzuplanen, wenn in der Kraftzentrale des Landschaftsparks Duisburg-Nord nicht nur die besten Fahrer im BMX Dirt Jump und Mountainbike Slopestyle antreten, sondern auch drei Live-Bands für tolle Abendunterhaltung sorgen. Das Rätsel, wer genau das sein wird, ist allerdings erst zu einem Drittel gelüftet: Bisher sind Danko Jones aus Kanada bestätigt. Alle weiteren Infos, regelmäßige Aktualisierungen und Tickets gibt es unter: telekom-playgrounds.de
Telekom Extreme Playgrounds 17.4. Landschaftspark Duisburg-Nord Disziplinen: BMX Dirt Jump und Mountainbike Slopestyle Live: Danko Jones u.a. Tageskasse: 25 Euro (+ Gebühren), 5-FreundeTicket (nur im VVK) 100 Euro (+ Gebühren)
Fotos: Tim Dalhoff
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KINO
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Hauptsache traumatisch! Danny Boyle im Interview
Mit Filmen wie „Kleine Morde unter Freunden“, „Trainspotting“, „The Beach“ oder „28 Days Later“ festigte Danny Boyle ab den Neunzigerjahren seinen Ruf als einer der spannendsten und vielseitigsten Regisseure nicht nur Englands, sondern der gesamten Branche. Seit er dann eine kleine Geschichte namens „Slumdog Millionär“ zum Welterfolg und achtfachen Oscar-Gewinner machte, ist er endgültig ein Superstar des Kinos. Nun meldet er sich zurück – und präsentiert sich mit der Bestseller-Adaption „127 Hours“ abermals von einer ganz neuen Seite. Danny, die doch sehr drastische Szene, in der sich Ihr Held den Arm amputiert, hat schon in Kinos für Ohnmachtsanfälle gesorgt. Stand mal zur Debatte, sie weniger explizit zu gestalten? Wir haben uns da – viel mehr als an anderen Stellen – ganz eng an die Vorlage gehalten, also an das autobiografische Buch von Aaron Ralston. Es war mir enorm wichtig, diesen Moment so authentisch wie möglich zu halten, auch wenn mir natürlich klar war, dass es zu Kontroversen kommen würde. Meine große Sorge war, dass das verantwortliche Studio die Szene entweder ganz herausschneiden oder zumindest entschärfen würde, sobald bei den Testvorführungen Zuschauer den Saal verlassen. Das hätte die gesamte Geschichte trivialisiert, denn es geht schließlich darum, gemeinsam mit Aaron dieses Erlebnis durchzustehen und ganz nah dran zu sein. Aber die Produzenten machten Ihnen keinen Ärger? Erstaunlicherweise nicht. Man merkte zwar, dass ihnen nicht ganz wohl bei der Sache war. Aber auch ihnen war schließlich klar, dass es ohne diese Szene nicht geht. Davon abgesehen muss man wirklich mal klar festhalten, dass es in Filmen wie „Saw“ oder „Hostel“ sehr viel Schlimmeres zu sehen gibt. Bei unserem Film geht es um einen echten Menschen, mit dem man mitleidet. Seit dem Erfolg von „Slumdog Millionär“ haben Sie vermutlich einen Freifahrtschein, oder? Jemals da-
ran gedacht, diesen neuen Einfluss für die lange geplante Fortsetzung von „Trainspotting“ zu nutzen? Erst einmal war es für mich wichtig - mit all den neuen Möglichkeiten, die sich mir nach den Oscars auftaten - ein so ungewöhnliches, sperriges Projekt wie „127 Hours“ zu stemmen, für das ich normalerweise nie das Geld bekommen hätte. Ein „Trainspotting“-Sequel würde ich dagegen jederzeit drehen dürfen, denn nach Fortsetzungen von erfolgreichen oder renommierten Filmen reiben sich doch alle die Hände. Wird es denn eines Tages so weit sein? Ich gehe nach wie vor davon aus, dass wir den Film irgendwann drehen. Schon alleine deshalb, weil ich es unglaublich finde, wie viele Menschen noch immer von „Trainspotting“ schwärmen, mich darauf ansprechen oder irgendwie das Gefühl haben, Sick Boy, Begbie und die anderen seien Teil ihres Lebens. Es gibt viele tolle Ideen für eine Geschichte, lose ausgehend natürlich von Irvine Welshs Roman-Fortsetzung „Porno“. Aber wir werden sehen, wann der richtige Zeitpunkt dafür ist. Mir ist wichtig, dass Johnny Lee Miller, Ewan McGregor und der Rest des Ensembles im richtigen Alter sind und genauso verlebt aussehen, wie ich mir das vorstelle. Noch sind sie alle ein bisschen zu weit weg von einer Midlife Crisis. Interview: Patrick Heidmann
127 Hours Die Selbstverstümmelungsaktion des Aron Ralston sorgte weltweit für Aufsehen. Der junge Amerikaner war bei einer Wanderung durch den abgelegenen Canyonlands National Park in eine Felsspalte gefallen und hatte sich dabei seinen Arm zwischen der Felswand und einem riesigen Stein eingeklemmt. Alle Versuche, seine Extremität wieder frei zu bekommen, scheiterten, so dass Aron schließlich zum äußersten Mittel griff. Er überlebte die schmerzvolle Amputation und konnte schließlich nach 127 Stunden gerettet werden. Danny Boyle hat diesen Stoff nun auf die für ihn so typisch zeitgeistige und halbdokumentarische Art umgesetzt und zu einem packenden Kinoerlebnis werden lassen. Text: Dirk Lüneberg Kinostart: 17. Februar 2011
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KINO
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Jeff Bridges
Der Dude im Doppelpack In einem Alter, in dem sich andere auf die Pensionierung vorbereiten und am Opa-Image feilen, ist Jeff Bridges so fleißig, gefragt und ungebrochen lässig wie eh und je. Im vergangenen Jahr war der 61-Jährige in ’Crazy Heart’ (wofür er endlich seinen ersten Oscar gewann) und ’Männer, die auf Ziegen starren’ zu sehen, nun laufen schon die nächsten beiden Filme auf unseren Leinwänden: erst ’Tron: Legacy’, dann ’True Grit’ – zwei höchst unterschiedliche Streifen, mit denen er jeweils erneut seine ganz besondere Coolness untermauert. Ersterer ist die Fortsetzung des kuriosen Science Fiction-Films ’Tron’ von 1982, in dem Bridges als Programmierer Kevin Flynn in die virtuelle Welt eines Computerspiels einstieg. Eigentlich kein Film, an den man sich erinnern muss, wie sogar der Hauptdarsteller selbst zugibt: „Wenn ich ehrlich bin, spielte der Film für meine Karriere keine große Rolle und ich hätte mir im Leben nicht vorstellen können, dass jemals jemand eine Fortsetzung würde drehen wollen. Einfach aus dem Grund, dass er nicht sonderlich erfolgreich war. Erst viele Jahre später wurde immer deutlicher, dass er Kult ist und doch erstaunlich viele Menschen beeinflusst und begeistert hat. Vielleicht war die Welt damals für eine derart technische Geschichte einfach noch nicht bereit.“ 28 Jahre später steckt nun jener Flynn noch immer in dem Cyber-Universum, wo sein – jung gebliebenes – Alter Ego Clu sich längst zum unerbittlichen Diktator aufgeschwungen hat. Eher zufällig gerät Flynns Sohn Sam (Garrett Hedlund) ebenfalls hinein in das gefährliche Spiel der Einsen und Nullen, wo es zwischen Verfolgungsjagden auf LichtMotorrädern und einem elektronisch donnernden Soundtrack von Daft Punk zu einem unerwarteten Wiedersehen mit seinem Vater kommt.
Statt so cool wie Bridges kommt die Geschichte konfus und hanebüchen daher, Klischee reiht sich an Klischee, die Dialoge bleiben platt wie einst die Grafik von Atari-Spielen. Doch es gibt – fürs Publikum genauso wie für Bridges – gute Gründe, sich ’Tron: Legacy’ anzusehen: „Im Grunde sind das die gleichen wie damals beim ersten Film: ich war neugierig darauf, aus nächster Nähe die modernsten technischen Entwicklungen zu erleben, die unsere Branche zu bieten hat. Dieses Mal ging es dabei ja vor allem um das sogenannte PerformanceCapture-System, durch das ich sogar eine jüngere Version meiner selbst spielen konnte.“ Die Szenen mit Clu, für die Brad Pitts ’Benjamin Button’-Verfahren quasi umgedreht wurde, wirken zwar seltsam unecht. Doch alle anderen technischen Aspekte des Films, von den 3D-Effekten über das Design der virtuellen Stadtlandschaften und Fahrzeuge bis hin zu den Kostümen und Schnitten, sind visuell tatsächlich ein faszinierender Anblick, über dem Bridges mit seiner würdevollen Weisheit wie ein kurioser Fremdkörper schwebt. Tron: Legacy, ab 27.1. im Kino
Ganz anders dagegen in ’True Grit’, dem neuen Film von Ethan und Joel Coen, die den Schauspieler in den Neunzigerjahren mit ’The Big Lebowski’ überhaupt erst zum Inbegriff cineastischer Coolness – und zur Stoner-Ikone – machten. Wo Bridges’ Mitwirken in ’Tron: Legacy’ gerade im Kontrast zum klinisch-unterkühlten Cyber-Irrsinn reizvoll wirkt, macht er sich in der staubig-spröden Welt des wilden Westens deswegen so gut, weil das Cowboy-Flair so wirkt, als hätte man es eigens für ihn erfinden müssen. Wobei er in diesem Remake des John WayneSpätwerks ’Der Marshal’ keineswegs den strahlenden Helden, sondern viel mehr einen abgehalfterten US-Marshall mit Augenklappe und lädiertem Hut spielt, der bekannt ist für seine Skrupellosigkeit, aber meistens doch nur versoffen in der Ecke hängt. Ausgerechnet an diesen Rooster Cogburn wendet sich die 14-jährige Mattie (Hailee Steinfeld), die den Mord an ihrem Vater rächen will und sich mit ihm und einem eitlen Texas Ranger (Matt Damon) auf die Suche nach dem Schuldigen macht. „Eigentlich versuche ich immer, so wenig wie möglich zu arbeiten, und vor allem nach dem anstrengenden ’Tron: Legacy’-Dreh wollte ich dringend eine Pause haben“, erinnert sich Bridges an sein Wiedersehen mit den Coens. „Aber den beiden sagt man einfach nicht ab. Nur wenige Regisseure wissen so genau, wie man einen guten Film dreht, wie Ethan und Joel. Unser erster gemeinsamer Film gehört zu den besten Erinnerungen meiner Karriere. Für mich zählt ’The Big Lebowski’ eindeutig zur Kategorie der Klassiker wie etwa ’Der Pate’.“ Ganz so weit mag man in Bezug auf ’True Grit’, der im Februar übrigens auch als Eröffnungsfilm der Berlinale zu sehen ist, vielleicht nicht gehen. Doch enttäuschen tun die Coens mit ihrer inzwischen perfektionierten Mischung aus überraschend hereinbrechender Brutalität und skurrilem Humor auch bei ihrem Western-Abstecher nicht. Wozu natürlich auch ein bestens aufgelegter Bridges
beiträgt. Das heiß ersehnte bisschen Erholung hat er sich übrigens inzwischen gegönnt, doch mit altersbedingtem Ruhestand sollte man das nicht verwechseln. Im Gegenteil: aktuell steht er mit Bluesund Country-Legende T-Bone Burnett im Studio und bringt in Kürze sein zweites Album heraus. Alles cool also. Text: Jonathan Fink True Grit, ab 24.2. im Kino
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3 Fragen AN
Thomas Kretschmann... ... der weiterhin beharrlich zwischen Hollywood und dem Weltkino hin- und herpendelt und mit „Dschungelkind“ mal wieder in der deutschen Heimat Station macht, wo er in der aufwändigen aber dramaturgisch nicht überzeugenden Bestseller-Verfilmung einen Vater spielt, der mit seiner Familie in den Urwald zieht, um zu forschen. Thomas, wochenlange Dreharbeiten im Dschungel sind sicherlich kein Zuckerschlecken, oder? Ich hatte sofort Bock darauf, aber mir war natürlich klar, dass das wahnsinnig anstrengend wird. Schließlich ging es da ja nicht um eine nette Reise durch Malaysia, sondern um eine große, lange Filmproduktion. Es war wirklich, als ob man drei Monate lang in einer Sauna leben würde. Man merkt richtig, wie einem das Gehirn wegtrocknet. Deine Figur im Film nötigt seine Familie, ihm in den Dschungel zu folgen. Fiel es dir selbst leicht, Karriere und Familie unter einen Hut zu bringen? Natürlich habe ich immer versucht, sie so gut es geht in meine Arbeit zu integrieren. Aber ich bin nun einmal Schauspieler. Wenn ich längere Zeit an einem Set bin,
kommen meine Kinder meistens dort hin. Manchmal ist das wegen der Schule und solchen Sachen allerdings logistisch einfach zu kompliziert. Im Falle von Malaysia hat es zum Beispiel leider nicht geklappt. Es gibt Kollegen von dir, die sich für Fernsehserien statt den Film entscheiden, um mehr Zeit mit der Familie zu verbringen... Klar, das kann man machen. Aber wenn ich in so einer Serie mitspielen würde, hätten meine Kinder auch nicht so viel Spaß mit mir. Denn dann säße ich sehr frustriert zu Hause rum, weil ich genau wüsste, dass ich in fünf Jahren immer noch die gleiche Rolle spielen würde. Interview: Patrick Heidmann Dschungelkind, ab 17.2. im Kino
Jack Black... ... der sich mit „Gullivers Reisen“ zwar eines echten Klassikers angenommen hat und als neben Winzlingen wie Emily Blunt gestrandeter Riese auch keine schlechte Figur macht, aber wie zuletzt schon bei „Nacho Libre“ oder „Year One“ kein wirklich gutes Händchen für smarte Komödien bewiesen hat. Jack, ist „Gullivers Reisen“ nicht eigentlich Schnee von gestern? Ganz ehrlich: Ich kannte das Buch von Jonathan Swift nicht einmal, als mir die Rolle angeboten wurde. Aber das habe ich dann schnell nachgeholt – und war echt begeistert vom Humor der Geschichte. Es steht aktuell noch ein anderer Klassiker auf deinem Programm, nicht wahr? Stimmt, ich bin im neuen Muppet-Film mit von der Partie, der im Dezember in die Kinos kommt. Dazu hat mein guter Freund Jason Segel, der ja in „Gullivers Reisen“ den Horatio spielt, das Drehbuch geschrieben. Aber vorher kann man mich auch noch in „Kung Fu Panda 2“ erleben. Zumindest meine Stimme, wenn man sich den auf Englisch anguckt.
Ach, und apropos Klassiker: Soeben stand ich für Richard Linklater neben Shirley Maclaine vor der Kamera. Eine echte Legende, die Frau. Aber Miss Piggy ist ohne Frage die größere Diva. Gibt’s auch mal wieder Musik von Tenacious D? Selbstverständlich. Ich schreibe gerade Songs für ein neues Album. Es wird „Rise Of The Phoenix“ heißen, wie es sich für ein gutes Comeback-Album gehört. Ich habe vor allem Musik im Stil von „Eye Of The Tiger“ von Survivor im Sinn, also inspirierende Hymnen, zu denen man gerne Gewichte stemmen möchte. Interview: Patrick Heidmann Gullivers Reisen, ab 10.2. im Kino
Daniel Brühl... ... der seiner Leidenschaft für Fußball endlich auf der Leinwand nachgehen kann und in „Der ganz große Traum“ den Mann spielt, der im späten 19. Jahrhundert den Fußball aus England nach Deutschland brachte: Konrad Koch, ein engagierter Lehrer, der in dieser nett fiktionalisierten Biografie ein bisschen auf „Club der toten Dichter“ macht. Daniel, du singst für den Abspann den Song „Auld Lang Syne“. War das eine Herausforderung? Ich bin schon mit Muffensausen zu den Aufnahmen gefahren, schließlich ging es da um ein Duett mit einer Sängerin, die das auch wirklich kann. Die ganze Sache ist ja auf meinem eigenen Mist gewachsen. Eine Karriere als Sänger müsst ihr aber nicht befürchten, das will ich dem Publikum ersparen. Das eigentliche Thema des Films ist natürlich Fußball. Das ist eher dein Ding, oder? Auf jeden Fall! Vor ein paar Jahren habe ich der SZ mal ein Interview zum Thema Fußball gegeben, woraufhin mir dann diese Rolle angeboten wurde. Das packte mich natürlich bei meiner Ehre als Fußballfan, auch weil ich peinlicherweise gar nichts über diesen Konrad
Koch wusste. Aber auch in meinem Bekanntenkreis kannte ihn keine Sau – und ich bin mir sicher, dass selbst viele Profispieler nicht wissen, wer er ist. Du bist bekennender Fan des FC Barcelona und Dank deiner Mutter mit dem spanischen Fußball groß geworden. Kannst du dem deutschen überhaupt etwas abgewinnen? Sich dafür richtig zu begeistern, ist schon schwierig, denn das Tempo ist doch ein anderes. Ich habe in den letzten Monaten kein Barca-Spiel verpasst, da ist es eine Umstellung, wenn ich wieder eines vom FC Köln sehe. Für den schlägt mein Herz auch immer noch. Interview: Patrick Heidmann Der ganz große Traum, ab 24.2.
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KINO
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Another Year
Und in der Mitte das Glück Mike Leigh, einer der großen britischen Autorenfilmer, ist nicht nur für seine Improvisationsmethode bekannt, auch seine enge Bindung zu und jahrelange Zusammenarbeit mit seinen Schauspielern ist legendär. Sein grandioses Regietalent wird durch das ihm entgegengebrachte Vertrauen der Darsteller noch potenziert, und so entstehen durchweg emotional kraftvolle Filme. Sei es Sally Hawkins als Poppy in „Happy-Go-Lucky“, Brenda Blethyn als labile Mutter in „Lügen & Geheimnisse“ oder Imelda Staunton als „Engelmacherin“ in „Vera Drake“ – stets wachsen Leighs Schauspieler über sich hinaus. So auch bei „Another Year“, in dem das ganze Ensemble durchweg brilliert. Tom (Jim Broadbent) und Gerri (Ruth Sheen) sind schon Ewigkeiten zusammen und noch immer glücklich. Die beiden haben es sich in ihrem Haus gemütlich gemacht, Kochen und Gartenarbeit sind ihre Leidenschaft, für Freunde und Familie steht die Tür immer offen. Doch nicht alle Bekannten führen ein so idyllisches, zufriedenes Leben und somit kommen auch die Probleme zu Besuch. Mary (Lesley Manville), eine Kollegin von Gerri, ist immer etwas zu überdreht, etwas zu jugendlich für ihr Alter und voller Sehnsucht nach einem Mann. Ken (Peter Wight), ein Jugendfreund von Tom, kompensiert seinen Lebensfrust in Maßlosigkeit. So vergehen die Monate, die Probleme aber bleiben.
Es ist Mike Leighs präziser Blick auf die soziale Realität und die spürbare Liebe zu seinen Charakteren, die seine Filme so besonders machen. Denn so einfach und unaufgeregt die Geschichte von „Another Year“ auch daherkommt, sie besitzt emotionale Wucht. Jeder Dialog, jeder Moment, jeder Blick wird hier zu einem Ereignis. Von der ersten Szene an ist man hingerissen von dieser Spielfreude, auch wenn man anfangs nicht weiß, wohin sich der Film entwickeln wird. Denn als Zuschauer ist man darauf konditioniert, einen Konflikt präsentiert zu bekommen, den der Protagonist im Laufe des Films löst. Oder eben daran scheitert. Doch Leigh kehrt dieses Prinzip kurzerhand um und
stellt das Glück in das Zentrum des Geschehens, das mit den Problemen nur in zweiter Instanz konfrontiert ist. Das simple Gegenüberstellen von Harmonie und Schicksal, von Liebe und Einsamkeit, wäre bei anderen Regisseuren vielleicht zu plumper Schwarz-WeißMalerei geraten, doch hier wird es zu einer feinsinnigen und wertfreien Analyse menschlicher Zustände. Und zu einem Sinnieren über das Leben. Über Liebe, Trauer, Glück und Tod. Ein Film, bei dem man sich wünscht, er möge nie zu Ende sein.
Bertie weiß, was Worte anrichten können, zumal im Zeitalter der neuen Massenmedien: 1925 muss er als Duke of York und Sohn des englischen Königs George V. (Michael Gambon) im Wembley Stadium eine Eröffnungsrede halten. Das Radio trägt das Gestammel des Stotterers ins ganze Land hinaus. Der Duke ist gedemütigt. Als sein Vater stirbt, erbt Berties Bruder, der blasierte Playboy Edward (Guy Pearce), die Krone. Doch als Edward abdankt, um eine bürgerliche Amerikanerin zu heiraten, findet sich Bertie unversehens auf dem Thron wieder. Jetzt muss er seinen Sprachfehler endlich in den Griff bekommen. In ihrer Verzweiflung wendet sich Berties Gattin Elizabeth (Helena Bonham Carter), die spätere Queen Mum, an den exzentrischen Sprechtrainer Lionel Logue (Geoffrey Rush). Mit Provokationen versucht dieser, die Zunge des Königs zu lockern.
jestätsbeleidigung. Lobende Worte verdient auch Geoffrey Rush: Der schlaksige Australier ist eine Wucht, wie schon in „Shine – Der Weg ins Licht“, jenem Film, für den er 1996 den Oscar bekam. Damals glänzte Rush als ein mit Elektroschocks behandeltes Piano-Genie, aus dessen Mund die Worte unkontrolliert sprudelten. Nun gibt er den Wortakrobaten des Königs mit ebensolcher Virtuosität.
Colin Firth („A Single Man“) spielt den Stotterer so gut, dass es einem fast die Sprache verschlägt. Alles andere als ein Oscar wäre für diese Leistung Ma-
Regisseur Tom Hooper hat schon einmal mit einer wahren Geschichte begeistert: „The Damned United“ (bisher nur auf DVD erschienen) erzählte mit
Schadenfreude von einem erfolglosen Trainer bei Leeds United. Für die Geschichte des Königs, dem die Worte fehlen, hat Hopper dem fiesen Humor entsagt. Er filmt in engen Räumen und schnürt das Bild zusammen wie den Hals des Königs, die Schritte zum Mikrofon inszeniert er wie den Gang zur Guillotine. Die Bilder sprechen für sich; der Film überzeugt auch in seinen wortlosen Momenten. Wir verneigen uns vor „The King’s Speech“.
Text: Cornelis Hähnel Kinostart: 27. Januar 2011
The King’s Speech Gut gesprochen
Einmal schaut sich Albert alias Bertie (Colin Firth) mit seiner Familie eine Rede Hitlers an. Berties kleine Tochter fragt, was der Deutsche denn sagt, dass ihm alle so zujubeln. „Ich weiß es nicht“, antwortet der Vater von Englands heutiger Königin besorgt, „aber offenbar sagt er es ziemlich gut“.
Text: Andreas Scheiner Kinostart: 17. Februar 2011
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I Killed My Mother Geschichte einer Hass-Liebe
„God gave me the wrong mother!“ Wem das vertraut vorkommt, wird mit dem Film des mittlerweile 21-jährigen Kanadiers Xavier Dolan eine Menge anfangen können, erzählt er doch die Geschichte einer eigentümlichen Hass-Liebe. Nicht nur die Essgewohnheiten seiner Mutter (Anne Dorval) sind dem sensibel-rebellischen Hubert (Xavier Dolan) unerträglich – mehr noch als diese macht ihm ihre Launenhaftigkeit zu schaffen. Die Mittvierzigerin wechselt ihre Meinung nach Belieben. Dies hat exzessive Streits zur Folge, bei denen der 17-Jährige meist den Kürzeren zieht. Kein Wunder, dass er nicht nur seiner Mutter, sondern auch ihrem dunklen, mit Safari-Kitsch dekorierten Apartment entfliehen will. Glücklicherweise ist Hubert, der nachts surreale Gedichte verfasst, seit einiger Zeit mit dem jungen Antonin (François Arnaud) zusammen, der nicht nur das hellere Zimmer, sondern mit Hélène (Patricia Tulasne) auch die nettere Mutter hat. Und dann ist da noch Huberts scheue Lehrerin Julie Cloutier (Suzanne Clément), mit der ihn eine platonische Liebe verbindet.
Dolan schrieb das Drehbuch für seinen ersten Film, in dem er selbst die Hauptrolle spielt, im Alter von 17 und drehte ihn zwei Jahre später. Vermutlich ist sein Drama, das nicht nur die Geschichte einer nervenaufreibenden Hass-Liebe erzählt, sondern mit Huberts und Antonins Verhältnis auch eine schwule Beziehung gekonnt (weil unaufdringlich) in Szene setzt, deshalb so authentisch. Dorval überzeugt als launische ÜberMutter, Arnaud erinnert als charismatischer Antonin ein bisschen an den Dichter Rimbaud, Dolan verkörpert als Hubert den „angry young man“ par excellence. Ein Charakterdrama für rebellische Geister, das man im französischsprachigen Original sehen sollte. Text: Kathleen Prüstel Kinostart: 3. Februar 2011
Picco
Die Hölle als Alltag
Jugendkriminalität in den Schlagzeilen heißt: möglichst genaue, oft reißerische Beschreibungen von Verbrechen und Tätern. An den Ort und in die Zeit nach einer Verurteilung führt dagegen Phillip Kochs Debütfilm. Kevin (Constantin von Jascheroff) ist im Jugendknast ein „Picco“ - der Neue. Dementsprechend weit unten steht er in der Hackordnung. Ihm wird eine Viererzelle zugeteilt, seine drei Mitinsassen sitzen bereits einige Zeit. Marc (Frederick Lau) und Andy (Martin Kiefer) haben eindeutig das Sagen, Tommy (Joel Basman) wird wegen seiner Zurückhaltung und Unauffälligkeit akzeptiert. Stumpfsinn, latente und unverhohlene Aggressionen sowie die Enge des Gefängnisalltags hinterlassen deutliche Spuren am anfangs integren Charakter Kevins. Eines Nachts eskaliert die Situation. Man tut gut daran, zu wissen, worauf man sich hier einlässt. Dieses Gefängnis ist kein Ort, an dem wahre Männerfreundschaften geschlossen werden oder an dem es irgendwelche Testosteron-Abenteuer zu
bestehen gilt. „Picco“ ist unangenehm anzusehen. Die Haftanstalt, ein Münchener Originalschauplatz, ist brillant in Szene gesetzt. Gute Schauspieler, eine großartige Kameraführung sowie Schnitt und Sound transportieren glaubhaft eine bedrückende Atmosphäre, die zum As im Ärmel des sogar in Cannes gefeierten Films wird. Und wer bei dem Hinweis auf die „wahren Begebenheiten“ an Siegburg denkt, ahnt, wie der finale Gewaltexzess ausfällt. Ein Vergnügen ist das nicht, aber eine hervorragend umgesetzte, wichtige Erinnerung daran, dass solche Institutionen wohl nur in den seltensten Fällen zur Resozialisierung taugen. Text: Christian Stein Kinostart: 3. Februar 2011
Hereafter
Vom Leben und Sterbenlassen
Mit 80 Jahren sollte es erlaubt sein, einmal den einen oder anderen Gedanken an ein mögliches Leben nach dem Tod zu verschwenden. Dies ist dann auch das Thema von Clint Eastwoods neuem Werk, in dem drei separate Geschichten erzählt werden. Zuerst lernen wir die französische Journalistin Marie (Cécile de France) kennen, die während ihres Urlaubs in Indonesien von einem Tsunami erfasst wird und dabei eine Nahtoderfahrung durchlebt. Ein einschneidendes Ereignis, das Maries Leben stärker umkrempeln wird, als sie es anfangs ahnt. Die nächste Story ist in San Francisco angesiedelt, wo George (Matt Damon) lebt. Er verfügt über die Gabe, mit den Toten Kontakt aufnehmen zu können, empfindet dies jedoch als Fluch und wünscht sich nichts sehnlicher, als sein teuflisches Talent endlich zu verlieren. Die dritte Geschichte spielt in London, wo die Zwillinge Marcus und Jason (Frankie und George McLaren) bei ihrer Mutter wohnen. Als Jason bei einem tragischen Unfall ums Leben kommt, versucht Marcus, mit seinem geliebten Bruder Kontakt aufzunehmen.
Sehr geerdet und im Hier und Jetzt verwurzelt, erzählt Eastwood dieses mit einem bemüht wirkenden Ende versehene und jenseits seiner Thematik auch ein wenig belanglose Geschichten-Tripel über die Möglichkeit eines Lebens nach dem Tod. Inszeniert ist auch dieses ebenso befremdlich wie eigenartig wirkende Werk mit der mittlerweile für ihn so typischen Gemächlichkeit und Präzision, was hier jedoch streckenweise arg betulich wirkt. Zwar konnte Eastwood erneut ein erstklassiges Schauspielerensemble zusammentrommeln, inhaltlich erreicht „Hereafter“ jedoch nie die Qualität seiner großen Meisterwerke wie „Million Dollar Baby“ oder „Gran Torino“. Text: Dirk Lüneberg Kinostart: 27. Januar 2011
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Brothers
Jack in Love
Mein Glück
Auch nach den Oscars für „Tödliches Kommando“ haben es Kriegsfilme mit aktuellen Bezügen schwer, ihr Publikum zu finden. Jim Sheridans gewöhnungsbedürftiger Genre-Mix – das Remake eines dänischen Films – ist trotz Starbesetzung keine Ausnahme. Kurz nachdem Grace (Natalie Portman) ihren Mann Sam (Tobey Maguire) in den Einsatz verabschiedet hat, erhält sie auch schon die Todesnachricht. Er soll in Afghanistan gefallen sein, ist in Wirklichkeit aber in grausame Gefangenschaft geraten. Weil er sich verpflichtet fühlt, nimmt sich Sams Bruder Tommy (Jake Gyllenhaal), Ex-Knacki und schwarzes Schaf der Familie, der Witwe und ihrer Kinder an. Die beiden kommen sich näher, doch dann kehrt Sam heim. „Brothers“ (ab 27.1.) überzeugt mit seinem bis in die Neben- und Kinderrollen hinein hochkarätigen Ensemble. Dennoch besticht vor allem Maguire als traumatisierter Soldat, der nicht nur Schreckliches erleben musste, sondern unter furchtbaren Bedingungen selbst auch Schreckliches getan hat.
Mit seinem Regiedebüt (im Original: „Jack Goes Boating“) bringt Philip Seymour Hoffman das gleichnamige Stück seines eigenen Theater-Ensembles auf die Leinwand. Hoffman selbst, John Ortiz und Daphne Rubin-Vega brillieren in ihren Bühnenrollen, einzig die großartige Amy Ryan ist in „Jack in Love“ (ab 24.2.) neu im Bunde. Während sich im Leben des etwas farblosen Chauffeurs Jack (Hoffman) endlich etwas tut, er gar das Schwimmen erlernt, um seine Angebetete Connie (Ryan) im bereits heiß ersehnten Sommer auf eine romantische Bootstour einladen zu können, wird die Ehe seines besten Freundes (Ortiz) überschattet von der Untreue seiner Frau (Rubin-Vega). Mit der Rolle des schüchternen Jack fügt Hoffman seinem darstellerischen Repertoire gewiss keine neue Facette hinzu; wesentlich bedeutsamer aber ist, dass er sich mit seiner außerordentlich gefühlvollen Inszenierung als überaus versierter Filmemacher erweist. Mit welcher Intensität er als Regisseur hier Inneres nach außen zu kehren vermag, begeistert und berührt gleichermaßen.
Die Tatsache, dass Regisseur Sergei Loznitsa Dokumentarfilmer ist, möchte man angesichts seines ersten Spielfilms „Mein Glück“ (ab 3.2.) gleich wieder vergessen. Die Möglichkeit, hier auch nur den Hauch einer realistischen Darstellung der Ukraine präsentiert zu bekommen, lässt einen schier erschaudern, denn wenig zimperlich zeichnet Loznitsa das Bild seines Heimatlandes. Der Trucker Georgy ist in der ukrainischen Provinz unterwegs: eine Odyssee durch eine trostlose Gegend, in der jedes Staatsorgan korrupt, jede Prostituierte minderjährig und überhaupt jeder moralisch verkommen ist. „Mein Glück“ ist einer jener Filme, die in ihrer Sperrigkeit ihren ganz besonderen Reiz finden. Auf einen stringenten Handlungsverlauf wird verzichtet, Georgy wird vielmehr zum Bindeglied kleinerer Begebenheiten, die sich lose zu einem Gesamteindruck fügen. Die Kamera folgt immer wieder ihren Figuren, den Rücken im Blickfeld. Ein knarziger und unbequemer Film, irgendwo zwischen Parabel und stilisiertem Sittengemälde.
Poll
The Green Wave
Tucker & Dale vs. Evil
Regisseur Chris Kraus, der vor fünf Jahren mit „4 Minuten“ einen kleinen Sensationserfolg verbuchen konnte, kehrt mit einem bildgewaltigen, aber leider inhaltlich völlig verquasten und uninteressanten Kostümepos zurück. Seine Hauptfigur ist die 14-jährige, naseweise Oda (Paula Beer), die am Vorabend des Ersten Weltkriegs aus Berlin an die estnische Ostseeküste auf das Gut Poll kommt. Dort wird Oda Zeuge, wie die sich ändernden politischen Verhältnisse und zerbröckelnden Machtstrukturen das Ende einer ganzen Epoche und auch ihrer Familie einläuten. Die altkluge Oda, aus deren Perspektive „Poll“ (ab 3.2.) erzählt wird, taugt nur wenig zur Identifikationsfigur. Da sich der Rest des hochkarätigen Ensembles derweil im Chargieren übt und auch der nervige Off-Kommentar sowie der bedeutungsschwangere-morbide Dauergrundton nicht so recht überzeugen wollen, kommt bei diesem Historiendrama schneller Langeweile auf, als man Oda sagen kann.
Im Frühsommer 2009 hielt die „grüne Revolution“ den Iran und den Rest der Welt in Atem. Rund um die Präsidentschaftswahlen formte sich ein beispiellos massenhafter, friedlicher Protest gegen Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad, der nach dessen offensichtlich manipulierter Wiederwahl blutig niedergeschlagen wurde. Der deutsch-iranische Regisseur Ali Samadi Ahadi zeichnet diese Ereignisse in seinem Film nach: einer gekonnt montierten Collage aus Interviews, originalen Handy- und YouTube-Videos sowie fiktiven Comic-Sequenzen, die mit Zitaten verschiedener Internet-Blogs von Augenzeugen unterlegt werden. „The Green Wave“ (ab 24.2.) ist ein beeindruckender, politischer Film, der einen Blick auf das Volk hinter der Diktatur wirft. Besondere Kraft zieht das Gezeigte dabei aus den zitierten Blogs. Die Betroffenen verleihen ihrer Wut und Trauer in einer Art Ausdruck, die ergreifend ist. Iraner sind Poeten.
Eine Gruppe Jugendlicher will gemeinsam ein Wochenende im Wald verbringen, genauso wie die beiden debil dreinschauenden Südstaaten-Freaks Tucker & Dale (Alan Tudyk & Tyler Labine). Die genretypische Rollenverteilung scheint eindeutig: Die gute, unschuldige Teenie-Clique auf der einen, das mordende, unzivilisierte Böse auf der anderen Seite. Doch der Titel macht bereits deutlich: Es sind die beiden Pechvögel Tucker & Dale, die sich gegen das Böse innerhalb der Halbstarken-Fraktion zur Wehr setzen müssen. Regisseur Eli Craig hält in diesem Texas-Zwerchfell-Massaker nicht nur seinen Protagonisten, sondern auch seinem Publikum einen Spiegel vor. Typische GenreElemente nutzt er geschickt, um beiden Parteien ihr Sammelsurium aus vorgefertigten Meinungen, Vorurteilen und Schubladendenken vor Augen zu halten. So entstehen völlig neue Blickwinkel, die „Tucker & Dale vs. Evil“ (ab 10.2.) zu einer äußerst unterhaltsamen Lach- und Schlacht-Geschichte machen.
Text: Peter Meisterhans
Text: Dirk Lüneberg
Text: Sebastian Gosmann
Text: Christian Stein
Text: Cornelis Hähnel
Text: Daniel Schieferdecker
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KINO DVD
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DVD DES MONATS Moon (Koch Media)
Ein Mann auf dem Mond. Seit drei Jahren schon. Nach tausend Tagen Einsamkeit steht seine Heimreise kurz bevor. Endlich! Er zählt die Stunden, bis er seine kleine Familie wieder in die Arme schließen kann. Doch es kommt alles ganz anders. Man könnte „Moon“ als eine elegant formulierte Aufforderung zur Selbstreflexion beschreiben. Das Gedankenspiel, zu dem Duncan Jones’ famoses Regiedebüt anregt, und aus dem es letztlich seine außerordentliche Kraft bezieht, fasziniert den Zuschauer – und lässt ihn auch lange nach dem Abspann nicht los. Was
wäre, stündest du plötzlich deinem Ebenbild gegenüber? Ein Wesen, das haargenau so aussieht wie du und nicht nur deine Erinnerungen mit dir teilt, sondern auch Frau und Kind. Ähnlich betrogen wie Sam Bell muss sich zuletzt wohl Truman Burbank gefühlt haben.
Buffalo Soldiers ’44 – Das Wunder von St. Anna
Enter the Void
(Pandastorm/Kinowelt) Der streitbare US-Regisseur Spike Lee versuchte sich nach seinem kommerziellen Erfolg mit „Inside Man“ an dieser Romanverfilmung, die allerdings nie in unsere Kinos kam. Nun erscheint die fiktive Story über das Schicksal von vier schwarzen GIs, die während des Zweiten Weltkrieges in Italien hinter die feindlichen Linien geraten, auf DVD und Blu-ray. Leider hinterlässt das 154-minütige, in Rückblenden erzählte Epos einen eher zwiespältigen Eindruck. Vom sperrigen deutschen Verleihtitel ganz zu schweigen. Das Bonusmaterial gibt immerhin Einblicke in den historischen Kontext. Text: Peter Meisterhans
„It’s weird for me, too, you know?“ sagt Sam einmal – ein wenig Nachsicht einfordernd – zu Sam. Manchmal durchweht ein zarter Hauch von Humor den sonst so bitteren Plot. Selten vermochte uns das Schicksal eines Science-Fiction-Helden der(Capelight/Alive) Ganz so hohe Wellen wie „Irreversibel“ schlug Gaspar Noës neuer Film zwar nicht, aber ohne Frage ist dieser halluzinatorische Extrem-Trip nichts für Zartbesaitete. Dem Franzosen vorzuwerfen, er würde Sex, Drogen und Gewalt vor allem einsetzen, um auf Teufel komm raus zu schocken, ist durchaus legitim. Allerdings muss man auch einfach zugeben, dass es so etwas wie diese Geschichte eines sterbenden Drogendealers und dessen Visionen vom Tokioter Nachleben nicht alle Tage zu sehen gibt. Entfallene Szenen, ein Making Of und allerlei andere Specials runden die natürlich nicht jugendfreie DVD ab. Text: Jonathan Fink
Genova Die Tür
(Senator/Universum) Der überaus erfolgreiche Maler David (Mads Mikkelsen) betrügt lieber seine Frau (Jessica Schwarz) mit der Nachbarin, statt auf die Tochter aufzupassen, die währenddessen im Pool ertrinkt. David erhält die Chance, seinen schrecklichen Fehler ungeschehen zu machen - natürlich nicht ohne einen hohen Preis zu zahlen. Der Mystery-Thriller ist kein typisch deutsches Genre, hier aber spannend umgesetzt und bis in die Nebenrollen toll besetzt. Das Bonusmaterial der DVD gleicht einer kompletten Promo-Tour, so umfangreich ist es. Es enthält Audiokommentare, Interviews und ein Making Of. Text: Christian Stein
Dinner für Spinner
(Paramount) Finanzberater Tim (Paul Rudd) wird von seinem Chef zu einem Abendessen eingeladen, zu dem jeder Gast einen verschrobenen Sonderling mitbringen muss. Als Tim zufällig Barry (Steve Carell) trifft, der Schaukästen mit ausgestopften Mäusen bastelt, ist er sich sicher, mit dem größten Spinner auftrumpfen zu können. Serviert wird in diesem US-Remake einer französischen Komödie kindischer Quatsch mit allerlei Slapstick-Einerlei, bei dem Carell ordentlich die Sau raus lassen darf. Entfernte Szenen und allerlei andere Specials runden die DVD und vor allem die Blu-ray ab. Text: Dirk Lüneberg
(Ascot Elite) Dass Colin Firth nicht nur der Brit-Softie im Rentierpulli, sondern ein verdammt guter Schauspieler ist, hätte man auch schon vor „A Single Man“ und „The King’s Speech“ wissen können. Allerdings kam dieses gefühlvolle und mitunter gruselige Drama über einen US-Witwer, der mit seinen Töchtern nach Italien zieht, bei uns nie ins Kino – wie zuletzt leider so viele Filme von Michael Winterbottom. Neben Firth sind hier auch Catherine Keener in Interviews sowie andere Specials mit am Start, weswegen ein Blick auf diese betörend bebilderte DVD-Premiere unbedingt lohnt. Text: Patrick Heidmann
Happiness
(EuroVideo) Mit fast zwölf Jahren Verspätung erscheint Todd Solondz’ dritter und mit Abstand bester Film endlich hierzulande auf DVD. Für den Freund des USIndie-Kinos ein Grund zur Freude, während es für die Charaktere dieses fiesen kleinen Meisterwerkes nicht viel zu lachen gibt – sind sie doch allesamt entweder hochgradig neurotisch, depressiv oder pervers, oder gleich alles auf einmal. Anhand der Schicksale dreier ungleicher Schwestern und deren Eltern, Männer und Nachbarn entwirft Solondz ein Panoptikum menschlichen Unglücks. Das tut mitunter zwar weh, macht gleichzeitig aber auch irgendwie Spaß. Extras gibt es leider keine. Text: Sebastian Gosmann
art zu erschüttern wie jenes des Sam Bell, dessen körperlichen Verfall Sam Rockwell mit einzigartiger Intensität auf die Leinwand bringt. Auch der – wieder einmal – hervorragende Score aus der Feder von Clint Mansell („Requiem For a Dream“) sowie das durchweg stimmige visuelle Design machen „Moon“ zu einem wahren cineastischen Genuss. Neben dem wunderbaren Hauptfilm findet sich auf der Special Edition übrigens auch Jones’ ebenfalls sehr sehenswerter Kurzfilm „Whistle“. Text: Sebastian Gosmann
Ich – Einfach unverbesserlich
(Universal) Sie sind einfach zu drollig! Und hilfsbereit! Und manchmal auch so herrlich niederträchtig! Die Minions, jene quietschgelben Kerlchen, die aussehen wie zusammengerückte Zwergbananen in Hosen und mit Brillen. Ohne sie wäre die animierte FamilienAbenteuer-Komödie sicher ein wesentlich durchschnittlicheres Vergnügen, das mit ziemlich absurdem Humor die seltsam hanebüchene Story eines Schurken erzählt, der der größte Bösewicht der Welt werden will, aber durch drei Mädchen seine Vatergefühle entdeckt. Als Bonus kann man sich den Film unter anderem mit Audiokommentaren der Regisseure ansehen – zusammen mit den Minions. Text: Sascha Rettig
In schwarzer Haut
(Ascot Elite) Diese wahre Geschichte klingt wie ein schlechter Scherz von Mutter Natur: Ausgerechnet im Apartheids-Südafrika der 1950er Jahre bekommt ein weißes Ehepaar eine – auf Grund einer Pigmentstörung – schwarze Tochter. Keine leichten Voraussetzungen für ein unbeschwertes Familienleben und Aufwachsen. Weil das Gesellschafts- und Rassismusdrama ebenso erstaunlich und berührend ist wie Hauptdarstellerin Sophie Okonedo („Hotel Ruanda“) und ihre so Kollegen überzeugend sind, sieht man über inszenatorische oder visuelle Schwächen und die Abwesenheit von Bonusmaterial bei dieser DVD-Premiere gerne hinweg. Text: Jonathan Fink
BEST OF THE REST Die Flut all jener – bisweilen hochkarätigen – Filme, für die auf deutschen Leinwänden kein Platz mehr war, ist derzeit so hoch wie nie. Das wird deutlich an mehreren unserer DVD-Besprechungen auf diesen Seiten, doch damit ist noch lange nicht genug. Auch die zweifache Oscar-Gewinnerin Hilary Swank hat es einmal mehr nicht ins Kino geschafft, was allerdings weniger an ihr, als an dem doch sehr durchschnittlichen Thriller „The Resident“ (Constantin/Highlight/Paramount) liegt, in dem sie an einen Vermieter des Grauens gerät. „Die Girls von St. Trinian 2 – Auf Schatzsuche“ (Concorde), in der sich neben allerlei britischen Starlets auch wieder Colin Firth, Gemma Arterton und Rupert Everett die Ehre geben, ist ebenfalls kein großer Wurf, aber immerhin fast so absurd-albern wie der erste Teil. Letzteres ist „Jonah Hex“ (Warner) bestenfalls unfreiwillig, denn eigentlich ist die peinliche Comicverfilmung mit Josh Brolin und Megan Fox eine Zumutung. Dann doch lieber „Blown Apart“ (Ascot Elite), eine London-Geschichte mit sehr zeitgemäßer Terror-Thematik, die mehr Drama als Thriller ist und weniger vom klischeehaften Plot als von Michelle Williams und Ewan McGregor in den Hauptrollen lebt. Zauberhaft anzusehen ist außerdem die melodramatische Liebesgeschichte „Davids Geburtstag“ (Pro-Fun), in der sich ein italienischer Familienvater in einen hübschen Jüngling verliebt. Die spannendste Entdeckung gibt es allerdings mit „Weitertanzen“ (Zorro/Good!movies/Indigo) zu machen: ein ebenso packendes wie bewegendes deutsches Regie-Debüt, das vermeintlich von einer Hochzeit erzählt, aber jede Menge Überraschungen parat hält und tolle Schauspieler wie Barnaby Metschurat, Stipe Erceg und vor allem Marie-Christine Friedrich auffährt. Ach, und apropos tolle Schauspieler. Allen, die bei deutschen Fernsehkrimis immer nur an den „Tatort“ denken, sei „Bella Block Vol. 2“ (Universum) empfohlen. Die vier Filme sind spannend, eigensinnig und klug, aber vor allem ist Hannelore Hoger einfach eine Klasse für sich. Text: Patrick Heidmann
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Kabinett auSSer Kontrolle
(Ascot Elite) 94% positive Kritiken sind bei der Überblicksseite rottentomatoes.com zu dieser britischen Politsatire zu finden, die dem deutschen Kinopublikum leider vorenthalten wurde. Keiner einzigen von ihnen möchte man widersprechen! Die herrlich spitzfindige Komödie über das Verhältnis der britischen Regierung zu den Amerikanern und der Weltpolitik glänzt nämlich mit tollen Schauspielern wie James Gandolfini, Tom Hollander oder Gina McKee, aber vor allem mit sensationellen Dialogen, die zu Recht für einen Oscar nominiert wurden. Dazu gibt es Deleted Scenes, Pressematerial und Trailer. Text: Patrick Heidmann
Kleine Wunder in Athen
(Neue Visionen/ Good!movies/Indigo) Stavros und seine Freunde verbringen den lieben langen Tag damit, auf der Straße vor dem Kiosk zu sitzen, Bier zu trinken und über die Albaner herzuziehen. Viel mehr bietet ihnen das Leben auch nicht. Die kleine Kreuzung wird gerade von aufstrebenden Chinesen eingenommen, während es ihnen dreckig geht. Da kommt ein Mann des Weges, den Stavros’ an Demenz leidende Mutter als ihren verlorenen Sohn zu erkennen glaubt und plötzlich spricht sie auch albanisch. Stavros steckt flugs in einer Identitätskrise. Filippos Tsitos drehte eine kleine, bedächtige Komödie. Als Bonus gibt es nur ein kurzes Making Of. Text: Elisabeth Nagy
Lösegeld
(Universum) Französische Thriller sind in: Obwohl (oder gerade weil?) sie anderswo meistens nur auf DVD erscheinen, ist Hollywood ganz scharf darauf, sie in Remakes zu verwandeln (siehe „The Tourist“ oder „72 Stunden“). Auch diese Entführungsgeschichte, in der ein reicher Konzern-Aktionär gekidnappt und der Fall von unterschiedlichen Seiten beleuchtet wird, könnte bald neu verfilmt werden, denn mit einer ordentlichen Portion Spannung, anspruchsvoller Dramatik und tollen Leistungen von Yvan Attal und Anne Consigny vermag sie überschnittlich gut zu unterhalten. Dazu gibt’s ein Interview und Storyboards. Text: Jonathan Fink
London Nights
(Kool/Good!movies/Indigo) In wie vielen Betten schläft man im Laufe seines Lebens, fragt sich Axl (Fernando Tielve). Der junge Spanier ist noch neu im Londoner East End und wacht jeden Morgen bei einer anderen Person auf. Wie Vera (Déborah François), die aus Belgien kommt, irrt er durch die Gegend, nachts stranden sie auf trashigen Partys. Nicht selten beschleicht den Zuschauer dabei ein Gefühl von Orientierungslosigkeit. Was singen Black Moustache gleich? „Hot monkey hot ass, no future no past!“ Sehenswert an diesem Film, der von einem Lebensgefühl diesseits des Punk erzählt, sind nicht nur die Darsteller, sondern auch schräge Party-Gigs und Outfits. Text: Kathleen Prüstel
Mammut
(MFA+/Ascot Elite) Während Leo (Gael Garcia Bernal) mit einem Internetdienst zu Geld gekommen ist, geht Ellen (Michelle Williams) in ihrem Job als Chirurgin auf.
Die achtjährige Tochter des New Yorker Ehepaars wird deshalb meistens von einer philippinischen Nanny beaufsichtigt, die für den gut bezahlten Job ihre zwei Kinder fernab in der Heimat von den Großeltern betreuen lassen muss. Feinsinnig beobachtetes und ebenso intensiv wie ruhig inszeniertes Globalisierungsdrama über die komplexen zwischenmenschlichen Verflechtungen in einer immer stärker zusammenwachsenden Welt. Als Extras sind auf der DVD lediglich Interviews und der Trailer zu finden. Text: Dirk Lüneberg
Mr. Nobody
(Concorde) Rückblickend fragt man sich häufig: Was wäre wenn? Wie hätte mein Leben verlaufen können? In seinem ersten Film seit „Der achte Tag“ geht Jaco van Dormael diesen Fragen auf komplex verschachtelte Weise nach. Aus der Sicht des letzten sterblichen Menschen auf der Erde (Jared Leto) im Jahr 2092 entwirft er ein philosophisches SciFi-Puzzle, das sich trotz abenteuerlicher Zeitebenen-Überkonstruktionen als Gedanken stimulierende Filmanstrengung mit visueller Virtuosität ausbreitet. Auf DVD gibt es nicht nur Making Of und Deleted Scenes, sondern auch den 16 Minuten längeren Director’s Cut. Text: Sascha Rettig
Renn wenn du kannst
( Z o r ro / G o o d ! m ov i e s / Indigo)) Eines Tages bekommt der im Rollstuhl sitzende Zyniker Ben (Robert Gwisdek) den schlagfertigen Zivi Christian (Jacob Matschenz) zugeteilt und die beiden freunden sich an. Doch als das Duo Annika (Anna Brüggemann) kennenlernt, verlieben sich beide in die CelloSpielerin. Probleme sind damit vorprogrammiert, zumal Annika für sowohl den einen als auch den anderen etwas empfindet. Regisseur Dietrich Brüggemann will vielleicht etwas viel auf einmal. Dieser Umstand soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass er einen überzeugenden Debütfilm abgeliefert hat. Als Extras winken Castingszenen und Audiokommentare. Text: Daniel Schieferdecker
The Expendables
(Splendid/WVG Medien) Was für große Jungs: Mit Neuauflagen seiner berühmtesten Leinwandhelden „Rocky“ und „Rambo“ konnte Sly Stallone im Herbst seiner Karriere noch einmal durchstarten. Dieser Kracher über eine Truppe von Söldnern, die gegen einen südamerikanischen Diktator kämpft, war an den Kinokassen sogar noch erfolgreicher - dank solider, aber weitgehend ironiefreier Action und einer illustren Besetzung. Neben den Cameos von Willis und Schwarzenegger geben sich Hau-druff-Kumpane von einst und jetzt die Ehre, unter anderem Dolph Lundgren, Eric Roberts, Jason Statham und Jet Li. Auf DVD und Blu-ray in mehreren Editionen mit umfangreichem Bonusmaterial. Text: Peter Meisterhans
The Town
(Warner) Es ist nach „Gone Baby Gone“ keine Überraschung mehr, aber man muss es trotzdem noch einmal festhalten: Als Regisseur gelingt Ben Affleck, was ihm als Schauspieler stets so schwer fällt – nämlich gute Filme zu drehen. Und in die-
KINO DVD
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Kult Lemmy
(WVG Medien) Gut dreieinhalb Jahre Produktionszeit nahm dieses filmische (Fan-)Porträt über Motörhead-Chef Lemmy Kilmister in Anspruch. Das Ergebnis sind 105 unterhaltsame Minuten, die neben musikdokumentarisch üblichen Heiligsprechungen unter Rocker-Kollegen (hier unter anderem durch Dave Grohl, Slash oder Metallica vollzogen) auch ein näheres, alltäglicheres und persönlicheres Bild aus dem Leben der bis heute bodenständigen Outlaw-Ikone zeichnen. Über drei Stunden Bonusmaterial auf einer zusätzlichen DVD gewährt dazu dann noch tiefere Einblicke, als Lemmys im Hauptfilm zu bewunderndes modisches Verständnis von Shorts. Extrem kurzweiliges Kultfiguren-Kino für alle Rock-Fans. Text: Frank Thiessies
Win a Lot Auch in diesem Monat könnt ihr wieder zahlreiche der hier vorgestellten DVDs (und Blu-Rays) gewinnen. Schickt uns einfach eine Postkarte oder EMail (verlosung@sallys.net) mit dem Kennwort „DVD-Verlosung“ und eurem Wunschtitel. Ggf. Altersnachweis nicht vergessen! Zu gewinnen gibt es: Moon – 2x DVD, 1x BD, Lemmy – 3 x Survival Pack, Happiness – 5x DVD, London Nights – 5x DVD, The Expendables – 3x DVD, 3x BD, Verlobung auf Umwegen – 3x DVD, 3x Soundtrack, Mammut – 3x DVD, Triage – 3x DVD, Renn wenn Du kannst – 3x DVD, In schwarzer Haut – 3x DVD, Lösegeld – 3x DVD, Kleine Wunder in Athen – 3x DVD, Genova – 3x DVD, Buffalo Soldiers ’44 – 3x DVD, Kabinett außer Kontrolle – 3x DVD, The Resident – 3x DVD, Blown Apart – 3x DVD, Mr. Nobody – 2x DVD, 2x BD, Die Tür – 2x DVD, 1x BD, 3x Roman, Die Girls von St. Trinian 2 – 2x DVD, 2x BD, Dinner für Spinner – 2x DVD, Ich – Einfach unverbesserlich – 1x BD & Minions-Fanpaket. Außerdem verlosen wir pünktlich zum Kinostart von „Jack in Love“ drei Soundtracks mit Songs von Fleet Foxes, Goldfrapp oder Cat Power. Zu „Tucker & Dale vs. Evil“ gibt es außerdem ein exklusives Herren-Shirt der Trendmarke DIRTEE HOLLYWOOD und die individuelle Alarmanlage hiir ONE zu gewinnen. Beim Auf- und Zuschließen des Autos, per Schlüssel oder Funkfernbedienung, werden von außen hörbar individuelle MP3-Sounds abgespielt. Hinhören genügt und der prüfende Blick auf das Auto beim Verschließen ist künftig vorbei.
sem von ihm dicht inszenierten Gangsterkrimi um ein paar Bostoner Bankräuber, denen das FBI auf die Pelle rückt, macht er – neben famosen Kollegen wie Jeremy Renner oder Rebecca Hall – sogar vor der Kamera keine schlechte Figur. Das Bonusmaterial ist reichlich dürftig, immerhin gibt’s auf Blu-ray die Extended Version. Text: Patrick Heidmann
Triage
(Ascot Elite) Mark (Colin Farrell) ist ein wagemutiger Kriegsfotograf. In Kurdistan erwischt es ihn, schwer verletzt wacht er in einem Feldlazarett auf. Triage nennt man die Einordnung von Verletzten in Krisensituationen. Ein Arzt muss schnell entscheiden, wer leben und wer sterben wird. Nur vordergründig behandelt der Film von Oscar-Gewinner Danis Tanovic den Krieg. Hier geht es um die Schuldgefühle von Überlebenden,
die Antworten suchen, warum sie und nicht andere es geschafft haben. Mark kehrt ohne seinen Partner heim und geht daran fast zugrunde. Das psychologische Drama wird ergänzt von deleted scenes, einem Bericht vom Dreh und Interviews. Text: Elisabeth Nagy
Verlobung auf Umwegen
(Kinowelt) Das Ziel einer romantischen Komödie liegt häufig in der turbulenten Zusammenführung zweier seelenverwandter Herzen. So auch hier. Anna (Amy Adams) wartet vergeblich auf den ersehnten Heiratsantrag ihres Freundes Jeremy, also muss sie das Zepter selbst in die Hand nehmen. Sie fliegt Richtung Dublin, strandet im irischen Nirgendwo und lernt genau dort den gutaussehenden Declan (Matthew Goode) kennen. Das Ziel ist bekannt, der Weg ist vorhersehbar. Gut aufgelegte Hauptdarsteller, spritzige Situationskomik und tolle Bilder machen den Film dennoch zu einem kurzweiligen Trip voller Liebe, Lust und Lächerlichkeit. Text: Daniel Schieferdecker
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COMPUTERSPIELE
unclesally*s magazine
Brown nach, da taucht auch schon überraschend der legendäre Delorean wieder auf, mitsamt einer Botschaft vom Doc, dem Hund Einstein und ein paar anderen seltsamen Gegenständen. Doc ist anscheinend in Schwierigkeiten, Marty soll helfen, aber natürlich ist eine Reise durch die Zeit immer noch mit ein paar Problemen verbunden. Bevor also der Zeitmesser auf das richtige Jahr eingestellt werden kann, gilt es zunächst, die ersten Rätsel zu lösen. Geboten wird typische Adventure-Kost: Gespräche führen, Gegenstände untersuchen, Dinge im Inventar ablegen und miteinander kombinieren und von Zeit zu Zeit ein paar knifflige Aufgaben und Puzzles lösen. Der Schwierigkeitsgrad ist dabei Einsteiger-freundlich und sehr niedrig. Den besonderen Charme des Spiels machen eher der gekonnte Umgang mit der Vorlage, der stimmige Humor und die tolle Atmosphäre aus. Ein derart geglückter und respektvoller Umgang mit einer Filmlizenz ist im Games-Genre eine Seltenheit - da kann auch die etwas schwerfällige Bedienung kaum den Spaß trüben.
Back to the Future Fluxkompensator und Delorean sind zurück: Im Adventure „Back To The Future“ gibt es ein Wiedersehen mit Marty McFly aka Michael J. Fox, Doc und den anderen Helden der „Zurück in die Zukunft“-Filme. Dabei sind die Protagonisten eingebettet in eine komplett neue Geschichte, die über mehrere, nach und nach veröffentlichte Episoden gestreckt wird. Die Entwickler erzählen nicht die Ereignisse der Filme nach, die in den Jahren 1985, 1989 und 1990 in die Kinos kamen, sondern beginnen zeitlich nach dem letzten Teil. Die Ereignisse der Trilogie sind dennoch be-
Übrigens: „Back To The Future“ ist nicht im Laden, sondern als Download unter telltalegames. com verfügbar. Der Preis liegt bei 24,95 US-Dollar, beinhaltet dann allerdings nicht nur das erste Spiel, sondern auch alle vier weiteren, ab Februar 2011 im Monatsrhythmus erscheinenden Episoden. Text: Tito Wiesner
ständig präsent - durch Rückblenden, Anspielungen und vor allem eine Story, die sich inhaltlich nahtlos in die Reihe fügt. Eben noch trauerte der junge Marty McFly den alten Zeiten und seinem Kumpel „Doc“
Genre: Adventure
Lore, Nilpferd oder Fass, fantasievolle Endgegner, witzige Geheimlevel und zahllose, zum Einsammeln einladende Extras.
höchstem Niveau. Vorausgesetzt, man lässt sich von zahlreichen Bildschirm-Toden nicht stören der Schwierigkeitsgrad ist nämlich auch so hoch wie in der „guten alten Zeit“....
Publisher: Telltale Games Plattform: PC
Donkey Kong Country Returns Schluss mit kleinen Gastauftritten in Kart- oder Partyspielen: In „Donkey Kong Country Returns“ bekommt der berühmte Nintendo-Affe endlich wieder eine Hauptrolle - wie einst zu SNESZeiten. Auch bei Spieldesign und Story geht es zurück in die Neunziger. Hintergrundgeschichten haben bei Nintendo-Titeln schon immer eine untergeordnete Rolle gespielt, „Donkey Kong Country Returns“ bildet da keine Ausnahme - wieder mal geht es um Donkeys Bananenvorrat, der von einer Horde Bösewichte stibitzt wurde. Im Grunde ist es aber auch egal, warum der Affe zu seinem neuen Abenteuer aufbricht: Die unterschiedlichen Bereiche auf seiner Heimatinsel haben auch ohne Story einiges zu bieten. Das Spielprinzip ist altbekannt: In seitlich scrollenden Welten hüpft Donkey seinen Kontrahenten auf den Kopf, muss Geschicklichkeitspassagen überwinden, sich von Liane zu Liane schwingen oder mit seinen kräftigen Fäusten trommeln, um Schalter zu betätigen oder Gegner zu bearbeiten. Kumpel Diddy Kong hockt dabei auf Donkeys Rücken und hilft dank seines Jetpack-Rucksacks bei Sprüngen, kann im Zwei-Spieler-Koop-Modus aber auch einzeln gesteuert werden. Für Abwechslung sorgen diverse Fahr- oder Flug-Passagen mit
„Donkey Kong Country Returns“ fühlt sich dabei an, als hätte jemand die Zeit um 15 Jahre zurückgedreht - und 2D-Welten und klassische PlattformAction wären wieder das Maß aller Dinge. Beeindruckend ist allerdings, dass das Spiel trotzdem nie antiquiert wirkt, dank viel Liebe zum Detail, zahlreichen Überraschungen und gelungenem Level-Design ist der Spielspaß kontinuierlich auf
Text: Tito Wiesner
Genre: Jump&Run Publisher: Nintendo Plattform: Nintendo wii
unclesally*s magazine
COMPUTERSPIELE
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Little Big Planet 2 Marketing-Strategen werden sich die Haare gerauft haben: Ausgerechnet eine braune Häkelpuppe mit dem bekloppten Namen Sackboy avancierte mit dem Spiel „Little Big Planet“ in den letzten zwei Jahren zum Kult-Charakter auf Playstation3. Jetzt ist der ungewöhnliche Held wieder da - und lässt vermeintlich coole Superhelden und knuddelige Tierchen einmal mehr erschreckend alt aussehen. Der Story-Modus fungiert wieder nicht als Kernstück des Spiels, aber als gute Möglichkeit, sich mit den zahllosen Levelgegenständen vertraut zu machen. In abgedrehten Welten muss Sackboy mit Hilfe des verrückten Professors Larry Da Vinci einen bösen Riesenstaubsauger namens Negativitron bekämpfen, um so das Chaos auf der Welt zu retten. Die Hintergrundgeschichte ist dabei ebenso witzig wie sinnlos, die Inszenierung der Kampagne aber noch unterhaltsamer als im ersten Teil. Meist wird klassische Jump&Run-Action geboten - es gilt, Hindernissen auszuweichen, Gegner zu besiegen und Geschicklichkeitspassagen zu meistern. Extras wie ein Handschuh zum Aufheben riesiger Gegenstände, ein Greifhaken oder ein Multifunktionshelm helfen dabei. Der Hauptreiz des Spiels besteht allerdings erneut darin, selbst Welten zu basteln - und mit Tausenden von Objekten, Kostü-
men, Fahrzeugen und Charakteren neue PlattformLevel, Rennspiele oder gar Shooter zu erschaffen, diese dann probezuspielen und schließlich online der Community zur Verfügung zu stellen. Auch wenn also das Grundgerüst dasselbe ist wie beim ersten Teil - ein herausragendes Spiel ist auch der zweite Jump&Run-Bastelmix wieder geworden. So viel Humor, Charme, Ideen und dank perfekter Community-Anbindung über Monate an-
haltende Motivation haben schließlich nur wenige PS3-Titel zu bieten. Text: Tito Wiesner
Genre: Jump&Run-Baukasten Publisher: Sony Plattform: Playstation
Raving Rabbids - Die verrückte Zeitreise Die Weltherrschaft an sich zu reißen, ist ein alles andere als leichtes Unterfangen - die debilen Hasen aus den „Raving Rabbids“-Spielen sind damit bekanntlich schon mehrfach gescheitert. Entmutigen lassen sie sich von den bisherigen Rückschlägen allerdings nicht: Diesmal muss eben die Weltgeschichte umgeschrieben werden. Eigentlich keine schlechte Idee: Um den gesamten Planeten in ihren Besitz zu bringen, versuchen die Rabbids, ein paar bedeutende Geschichtsereignisse zu verändern. Statt des „Zurück in die Zukunft“Delorean ist im Falle der Hasen allerdings eine Zeit-Waschmaschine dabei behilflich, durch die
Jahrhunderte oder gar Jahrtausende zu springen etwa zurück zur Entdeckung des Feuers, dem Bau der Sphinx oder aber auch den ersten Schritten auf dem Mond. Spielerisch entpuppt sich das Ganze allerdings als längst nicht so spektakulär - wieder müssen kleinere Minispiele gemeistert werden, die oft nur wenige Minuten dauern. In verschiedenen Disziplinen wie Fliegen, Springen, Schießen und Rennen gilt es, durch gekonntes Bewegen der Wiimote etwa, als letzter zu überleben oder Ballons und Tonnen zu klauen. Witzig ist das durchaus, allerdings längst nicht mehr so abgedreht wie bei den
ersten „Raving Rabbids“-Spielen; Ermüdungserscheinungen sind mehr als deutlich zu spüren. Fürs nächste Rabbids-Spiel wird also nicht nur eine neue Strategie für die Weltherrschaft benötigt, sondern auch ein frisches Konzept für den Spielspaß. Text: Tito Wiesner
Genre: Minigames/Action Publisher: Ubisoft Plattform: Nintendo wii
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COMIX, HÖR-/BÜCHER
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Riff Reb’s An Bord der Morgenstern
(Carlsen) Der französische Zeichner Riff Reb’s ist bei uns eigentlich nur über seine tragikomische Groteske “Myrtil Mistelzweig“ bekannt, für die er 1993 mit dem „Max und Moritz Preis“ ausgezeichnet wurde. Obwohl - „bekannt“ ist jetzt vielleicht übertrieben, schützt der Preis doch wie so oft die ausgezeichnete Publikation nicht davor, in den Ramschkisten der Republik zu verschwinden (vollkommen zu Unrecht übrigens). Nun, fast 20 Jahre später, traut sich der Carlsen Verlag an die Veröffentlichung des neuesten Werks des geheimnisvollen Franzosen. Natürlich nicht, ohne vorher noch den obligatorischen „Graphic Novel“-Stempel aufs Cover zu drücken. Und es stimmt ja auch. Denn “An Bord der Morgenstern“ ist die Adaption eines französischen Klassikers von Pierre Mac Orlan und eine waschechte Piratengeschichte, wie sie im Buche steht. Kurze, lakonisch-komische Episoden voller Dreck, Krankheit und brutaler Lebensgier erzählen die ersten Jahre eines Bootsjungen in der Mannschaft des berüchtigten George Merry. Das alles wird von Riff Reb’s in beeindruckenden atmosphärischen Bildern mit stimmiger Farb- und toller Lichtgebung inszeniert. Eines der besten Piratencomics diesseits des Atlantiks! Verdammt noch mal! Text: A. Hartung Preis: 18,90 Euro Heimat: carlsencomics.de
Layman/ Guillory Chew – Leichenschmaus
5 Fragen an
Jamiri
Gibt es etwas Besonderes, was Comic allen anderen Medien voraus hat? Nun, die Verbindung, die der Text mit dem Bild im Dienste der Narration eingeht, ist wohl in dieser Form dem Comic vorbehalten. Problem des Mediums andererseits: Es ist genau durch diesen vermeintlichen Vorteil gewissermaßen weder Fisch noch Fleisch. Jeder Film und jedes Gemälde entfaltet mehr Bildmächtigkeit. Ein reines Textdokument, ein Roman zum Beispiel, erlaubt rein gedankliche Rezeption. Auf eine gewisse Art steht der Comic als Kommunikations-Architektur und Kunstform sich selbst im Wege. Welche Musik hörst du (momentan) am liebsten beim Zeichnen? Sufjan Stevens und Heinrich Ignaz Franz von Biber. Die beiden durcheinander auf "shuffle". Bitte nicht nachmachen. Welcher ist dein aktueller Lieblingscomic? (Bitte nicht witzigerweise den eigenen nennen!) Es ist mir immer wieder unangenehm, das zuzugeben. Ich lese praktisch keine Comics. Ich bin wohl eher Erzeuger als Konsument. Nach Reich-Ranicki bin ich damit aber auf der sicheren Seite, denn der postulierte einst: „Ein guter Schriftsteller interessiert sich nicht für Literatur.“ Was empfiehlst du jungen Nachwuchskünstlern?
In sich gehen. Schonungslos gegen sich selbst prüfen, ob das, was man zu Papier gebracht hat, auch wirklich unbedingt publiziert werden muss. Sonst zerschreddert man unnötig Lebenszeit anderer Leute. Welche Musik soll bei deiner Beerdigung laufen? Schön wäre, wenn das Gedudel dann mal Pause hätte.
Verlosung unclesally*s verlost zusammen mit der Edition 52 drei Exemplare des neuen Jamiri-Albums “Kamikaze d’Amour“. Wobei „neu“ jetzt relativ ist. Vielmehr handelt es sich dabei um die überarbeitete Neuauflage des lange vergriffenen Albums gleichen Namens. Überarbeitet bedeutet in diesem Fall: Ältere schlechte Seiten raus und neuere bessere Seiten rein! Das Ergebnis bildet die ultimative Sammlung der sogenannten “Jan & Beate“Strips. Schreibt eine Mail an comix@sallys.net! Kennwort ist „Ich bin ein KamikazeFlieger der Liebe!“ jamiri.com * edition52.de
(Cross Cult) Endlich ist er da: Der Comic zum täglichen Lebensmittelskandal! Gesetzeshüter Chew hat die etwas nervige Gabe, dass er ab dem Moment, in dem er in seine Nahrung beißt, alles (aber auch wirklich alles) über sein Essen weiß. Wo es herkommt, wo seine Lieblingsweide war und wie es sich anfühlt, ein Bolzenschussgerät zwischen die Stirn gehalten zu bekommen. Da wird man schnell zum Vegetarier oder Veganer, oder man isst nur noch Rote Beete, denn das ist die einzige Speise, die Chew überhaupt nichts verrät und ihn ohne Sinneseindrücke essen lässt. Mit solch einer außergewöhnlichen Gabe wird Chew bald in die FDA versetzt, eine Art Lebensmittel-FBI, das die Einhaltung des HühnchenfleischVerbots überwachen soll. Für diesen Job muss er dann auch schon mal an Leichen knabbern. Denn der Hühner-Schwarzmarkt ist ein umkämpftes Pflaster. In “Chew“ ist Essen vor allem eins: entweder illegal (Hähnchenfleisch), eklig (Popel, Rotz und Spucke im Essen) oder unmoralisch (wenn alle Menschen beim Essen eines Steaks den Lebensweg des Rindes nacherleben müssten, wären wahrscheinlich mehr Menschen Vegetarier). Autor John Layman wurde nach dem Start der erfolgreichen Serie auch erstmal ein halbes Jahr Vegetarier. Ein charmant unappetitlicher Comicspaß für die ganze Familie! Guten Appetit! Text: A. Hartung Preis: 16,80 Euro Heimat: cross-cult.de
In eigener Sache Auf der Blumenwiese des Internets findet ihr ab sofort unter ahacomix.de den bunten digitalen Blumenstrauß unseres hauseigenen Comiczeichners aha. Neben einem Archiv mit alten und neuen unclesally*s Comics, gibt es zahlreiche weiter Comics, Illustrationen und Bastelbögen. Und wer sich nicht entscheiden kann, kann ja einfach mal im Glossar nachstöbern wie viele Arbeiten unter den Begriffen "Seeungeheuer" oder "Sexwahn in der Psychiatrie" abgelegt sind.
unclesally*s magazine
Heinz Strunk …in Afrika
(Roofmusic/Indigo) Nachdem Heinz Strunk die eigene Heimat mit den bisherigen (Hör-)Büchern unter die unerbittliche Lupe des tragisch-komischen Beobachters genommen hat, muss nun in größeren Dimensionen gedacht werden. Deutsche beim Urlaub in Kenia – das kann kaum gut gehen. Der eigene Koffer kommt nicht an, der Reisebegleiter ist todkrank und in den Casinos gibt es nicht mal seine Lieblingsautomaten, die „Kugeln“. Wie traurig ist das denn? Oder wie komisch. Denn mindestens genauso gut wie Urlaubsbekanntschaften sind Urlaubsfeindschaften. Wenn nicht sogar besser. Hinzu kommen „Gruß-August 1 und 2“, „Ampeln im Nirgendwo“, „Waldnutten“ und ein „planschbeckengroßer Plumspool“. Und dann bricht noch ein Bürgerkrieg aus! Die verrücktesten Geschichten schreibt eben das Leben selbst – oder eben Heinz Strunk. (3 CDs/rund 224 Minuten) Text: Holger Muster
OTFRIED PREUSSLER KRABAT
(WDR/Der Audioverlag) Böse Hexer, geknechtete Zauberschüler und die Macht der Liebe: das klingt zwar wie die Zutatenliste für „Harry Potter“, ist aber um einiges älter. 1981 erschien Otfried Preußlers Roman „Krabat“, der längst als Klassiker der Jugendliteratur gilt. Nach dem Buch, einer zwiespältigen Autorenlesung und einem Film gibt es die Geschichte des Waisenjungen, der auf einer abgelegenen Mühle die Kunst der dunklen Magie erlernt, jetzt auch als Hörspiel. Dabei ist es dem WDR gelungen, sowohl die finsteren wie hoffnungsvollen Passagen dieser Parabel über das Erwachsenwerden mit Leben zu füllen. Mal erschaudert man, mal ist man gerührt. Das liegt nicht nur am sehr stimmigen Soundtrack, sondern vor allem an wandelbaren Sprechern wie den Schauspielern Michael Mendl als Meister und Max Mauff (der Alex aus „Berlin Calling“) als Krabat. Absolut empfehlenswert. (3 CDs/180 Minuten) Text: Moritz Honert
DIE GENTLEMEN BITTEN ZUR KASSE
(Der Audioverlag) Im Februar 1966 blieben in Deutschland mal wieder die Straßen leer. In der Glotze lief nämlich „Die Gentlemen bitten zur Kasse“, die Verfilmung des legendären Postzugraubs in Großbritannien, bei dem im Jahr 1963 eine Gangstertruppe damals sensationelle 2,6 Millionen Pfund erbeutete. Wer sich daran nicht erinnern kann, der stelle sich einfach „Oceans 11“ in schwarz-weiß mit Horst Tappert statt George Clooney und Grit Boettcher statt Julia Roberts vor. Günther Merlau vom Label „Lausch“ hat die Tonspuren der NDR-Produktion jetzt für den Audio Verlag zum Hörspiel gemischt. Das Ergebnis ist ein gemütlicher Doku-Krimi, der trotz seiner Entstehung im Muff des jungen Wirtschaftswunderlands auch heute, 45 Jahre später, noch Spaß macht. (3CDs/rund 178 Minuten) Text: Moritz Honert
Arnaldur IndriDason TÖDLICHE INTRIGE
(WDR/Lübbe Audio) Warum die Deutschen nicht nur alles synchronisieren, sondern auch permanent Film- und Buchtitel eindeutschen müssen, wird wohl auf ewig eines der großen ungelösten Rätsel der Kulturgeschichte bleiben. Regelmäßig wird dann aus coolen Titeln wie „The Italien Job“ in der Übersetzung ein Käse wie „Charlie staubt Millionen ab“. Kürzlich ist es wieder passiert: Der Krimi des Isländers Arnaldur Indriđason heißt im Original schlicht „Bettý“, auf deutsch aber so reißerisch wie beliebig „Tödliche Intrige“. Hinter dem 0815-Titel verbirgt sich ein ebensolches
Hörspiel, in der sich eine Juristin von der falschen Frau verführen lässt und dafür böse bezahlen muss. Krimi-Stangenware mit vorhersehbarem Ende für Brigitte-Leserinnen – trotz des WDR-Logos auf dem Cover, das sonst als Gütesiegel für große Hörspielkunst gelten kann. (1CD / 48 Minuten) Text: Moritz Honert
FJODOR M. DOSTOJEWSKI DER SPIELER
(NDR Kultur/Der Hörverlag) Dostojewski wusste, wovon er redet, als er sich 1866 hinsetzte und seiner Sekretärin und späteren Ehefrau in gerade mal 26 Tagen den „Spieler“ diktierte. Kurz zuvor hatte der Meister nämlich selbst in Wiesbaden ein Vermögen beim Glücksspiel auf den Kopf gehauen – nun brauchte er schleunigst Geld. Das Mittel zum Zweck wurde trotzdem ein Klassiker der russischen Literatur. Gute 90 Jahre später entstand unter der Regie von Sprecherlegende Gert Westphal diese Hörspielfassung des Dramas über Sucht und unglückliche Liebe, die der Hörverlag jetzt ausgegraben hat. Die klingt zwar gelegentlich ein wenig altbacken (für so einen falschen englischen Akzent wie den, mit dem Hans Paetsch den Mr. Astley spricht, würde man ihn heute verhauen) – die Momente allerdings, in denen Dostojewskis Alter Ego Alexei Ivanowitsch am Roulettetisch in Raserei verfällt, zählen zu dem Ergreifendsten und Aufpeitschendsten, was seit langem zu hören war. (1 CD/rund 78 Minuten) Text: Moritz Honert
Rocko Schamoni Tag der geschlossenen Tür
(Piper) Wie bescheuert das Leben ist, geht einem manchmal erst auf, wenn man Schamoni gelesen hat. Für „Tag der geschlossenen Tür“ reanimiert der Hamburger Über-Entertainer die Hauptfigur seines letzten Romans „Sternstunden der Bedeutungslosigkeit“ und exerziert an ihr sämtliche Ärgernisse des Alltags genüsslich durch. Michael Sonntag ist ein handlungsunfähiger Protagonist, „verpeilt“ nennt man das wohl, die meisten Dinge passieren ihm nur. Und wenn der Micha dann mal macht, dann unterbreitet er der von ihm verehrten Handy-Servicekraft Marion absurde Komplimente oder verabredet sich im Wartezimmer einer Arztpraxis. Schamonis elegant ironischer Ton und die wie selbstverständlich erscheinende Haltung seiner Figur sorgen allerdings dafür, dass jede potentielle Antipathie des Lesers am guten Herren Sonntag abperlt wie Wasser von der Teflonpfanne. Schamoni versichert uns mit „Tag der geschlossenen Tür“, dass das Leben und nicht sein Protagonist bescheuert ist und zerpflückt so im Vorbeigehen jeden bürgerlichen Habitus. Text: Timo Richard
Horst Evers Für Eile fehlt mir die Zeit
(Rowohlt) „Für Eile fehlt mir die Zeit“ ist das inzwischen sechste Buch von Horst Evers, der ja eigentlich Gerd Winter heißt und gar nicht aus Berlin kommt. Leben tut er allerdings schon eine ganze Weile in der Hauptstadt und dürfte dort vielen vor allem durch seine Lesungen auf Radio Eins bekannt sein. Und so schaut er auch in diesem Buch nicht nur sich selbst wieder sehr genau auf Finger und Verhalten, sondern in einigen der insgesamt 50 Kurzgeschichten auch den Hauptstädtern. Der Begriff „absurd“ trifft den Inhalt ähnlich gut wie Evers damit den Nagel auf den Kopf. Ein sympathischer Antiheld mit einer Beobachtungsgabe, die irgendwo zwischen Kind und Adler angesiedelt ist. Das Buch macht Spaß, sobald er seine Texte aber selbst liest, wird es noch besser.
Text: Caroline Frey
HÖR-/BÜCHER
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Grand Zappa
Internationale Frank Zappa Diskology
Wer Frank Zappa schon immer gut fand, aber mit seiner Musik eigentlich nicht wirklich zurecht kommt, wird nun Heilung erfahren. „Grand Zappa“ ist eine Discology in Buchform, die ausufernde Huldigung eines genialen Künstlers, der seiner Zeit immer eine Nasenlänge voraus war. Es gibt nichts zu hören, nur zu sehen: Über 1.000 Bilder von Schallplatten illustrieren das Gesamtwerk, Kurzrezensionen ordnen die jeweiligen Alben in den musikhistorischen Kontext ein und selbst über die Differenzen in Mastering und Mix bei verschiedenen Pressungen gibt „Grand Zappa“ Auskunft. Mann, ist das nerdig! Gleichzeitig ist ein derart ins technische Detail abdriftender und trotzdem liebevoller Blick einem Ausnahmekünstler wie Zappa natürlich vollkommen angemessen. Immerhin umfasst die Diskographie mehr als 45 Alben, von denen die meisten zum Zeitpunkt ihres Erscheinens wegweisend waren. Frank Wonneberg hat mit akribischem Eifer ein nicht nur in seinen Abmessungen beeindruckend großes Buch zusammengestellt. „Grand Zappa“ ist ein Denkmal, ein schräges Monument des Abseitigen, sowohl für den Künstler Zappa, der am 21. Dezember 2010 runde 70 Jahre alt geworden wäre, wie für den Autor, dessen Bereitschaft sein unendlich erscheinendes Wissen über Musik, Schallplatten und seinen Titelhelden mit den armen Unwissenden dieser Welt zu teilen. Text: Timo Richard Frank Wonneberg Grand Zappa - Internationale Frank Zappa Discology
Unser TV-Tipp - für alle, die nicht lesen wollen:
Wild Germany Ein anderer Blick auf Deutschland
Journalisten müssen neugierig sein. Manuel Möglich ist neugierig. Sehr sogar. Für die ZDFneo-Reportage „Wild Germany“ begibt er sich in unerwartete Situationen und sucht das Gespräch mit Menschen, die zwar im selben Land mit ihm leben, sich in ihren Ansichten, Taten oder Schicksalen aber deutlich von dem unterscheiden, was man - wenn man mal ehrlich ist - von der lieben Nachbarschaft erwarten würde. Es ist ungewöhnlich und interessant, was Möglich und sein Team auf ihrer Reise über einige unserer Mitmenschen erfahren. Doch es ist auch befremdlich und verstörend. In einer Folge wird beispielsweise das Leben von sogenannten „Bugchasern“ beleuchtet, von Männern, die sich willentlich mit dem HIVirus infizieren lassen. In einer anderen der insgesamt sechs Episoden geht es um die Opfer von Satanskulten. Bei allen Berichten steht das direkte Gespräch mit den Betroffenen im Vordergrund. Auf diese Weise wird nicht das bloße Handeln der Person betrachtet, sondern diese in ihrem Selbstverständnis und sozialen Kontext gezeigt. Wir möchten euch diese Sendereihe ans Herz legen. Sie läuft vom 12. Februar bis 19. März immer samstags um 22.15 Uhr auf ZDFneo. Foto: Christoph Herzog, ZDF
Heimat: neo.zdf.de
X-Wort
Seite 64
unclesally*s magazine
QUERGEFRAGT Einfach die Antworten auf die Fragen in die dazugehörigen Kästchen kritzeln, und somit im besten Fall das richtige Lösungswort ermitteln. Das könnt ihr dann per Postkarte oder E-Mail an uns schicken und nehmt damit automatisch teil an der Verlosung des neuen BeatsteaksAlbums „Boombox“. Einsendeschluss ist der 15. Februar 2011. [Sämtliche Umlaute (also ä, ö, ü) werden zu Vokalen (ae, oe, ue) und alle Begriffe werden ohne Leerzeichen geschrieben. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.]
Waagerecht
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1 11
10
3 12
SENKRECHt
8 13 17
1. Titel gebende Aufforderung zum Fleisch klopfen 5. Liest man im Tourbus, sitzen im Tourbus 8. Bekommt oft was auf den Kopf. Stellt aber auf seiner E.P. Geldfragen 9. Öffentliches Verkehrsmittel für Jenseitige. Eignet sich auch zum Rumknutschen. 11. Der „Herr der Ringe“, norwegische Monarchen-Bands und amerikanische Aale würden dieses Format wählen 12. Ist wichtiger Bestandteil eines Beatsteaks-Hits, des Namens eines Pubs in Brighton und auch sonst nützlich 16. Ist auf Moddis Kopf und auf dem meiner Oma eher permanent, im Meer sehr flüchtig 17. Wird zum Monster, wenn er nass wird. Macht aber auch Post-Rock 19. Fifi. Mobile Einheit zur Errichtung von Bürgersteighindernissen. Fährt Teitur nach Hause 22. Iron & Wine‘s Sam Beam hatte mal einen ehrbaren Beruf 23. So viele braucht man schon für eine ordentliche Gang (engl.) 25. Diese Substanz ist für das Überleben in Brighton essentiell 27. Juristisches Schriftstück zum Ausleihen? Nö, Textlieferant für Mogwai 29. Mit Loch: Monströs und legendär. Mit Mike: irgendwie auch 30. Manche haben keins, The Decemberists hatten früher manchmal zu viel
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Das Lösungswort der letzten Ausgabe war übrigens „SALLYSTV“
1. Mit Tattoos in der Öffentlichkeit das tun? Chotto muzukashii desu... 2. Im Metal-Zusammenhang eher gemeinsam mit Jungfrauen zu finden. Bei den Indies gibt es dazu einen schweren Roten (engl.) 3. Hoffmann von Fallersleben hat davon gut 500 geschrieben. Social Distortion versuchen mit ihrem neuen Album aufzuholen 4. Griechischer Held macht jetzt erfolgreich in Nu-Disco 6. Schmücken Bibo, Elton John und Thomas von den Beatsteaks. Sollte man keine fremden benutzen 7. Beatsteak Torsten beweist mit seiner Verkleidung guten Geschmack. Wir suchen den Nachnamen 10. Hindi-Knete für den Kopf, für walisische Sänger auch bewohnbar? Schauma ma 13. Ein Alkaloid, das im Leben von White Lies-Mitglied Jack Lawrence-Brown eine nicht unerhebliche Rolle spielt 14. Wenn die Notlügen aus London kommen, heißen sie wahrscheinlich eher so 15. Der Brian, der wo die Anna so gut finden tut 18. Ausgesprochene Aufforderung zum teilen. Sonst nur Länderkürzel 20. Ist in letzter Zeit viel mit Esben unterwegs. Bei Disney auch mal als rosa Drache 21. Der nennt sich auch in englisch selbst zuerst. Auch im Zusammenhang mit Kong 24. Nachname eines prominenten Peter und Koseform für amerikanische Währung 26. Jeff Bridges spielt in „True Grit“ die Rolle von diesem John. „Party Time! Excellent!“ 28. Steckt in chinesischer Philosophie, in und auf Lanzarote und im Albumtitel von Trail Of Dead
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SCREENSHOTS/VORSCHAU/IMPRESSUM
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iNames
Der Erfolg von Apple-Produkten liegt darin begründet, dass sie auch von Menschen bedient werden können, die sich ansonsten für Computer und Elektroschnickschnack nicht interessieren (Frauen). Sie passen genauso gut zu Jeans und T-Shirt, wie zum Achtzig-Retro-Berlin-Look oder einem BossBusiness-Blouson in hellweiß oder dunkelschwarz. Ein MacBook passt zu fast jeder Handtasche! Apple Produkte sehen gut aus und wir sehen gut aus, wenn wir sie mit uns rumtragen. Aber das Wichtigste ist: Sie haben schöne Namen! iMac, iTunes, iPod und iPad – so heißt Design. Kein Mensch will etwas haben, das Toshiba Satellite Pro L350 oder HP Pavilion dv6-3299eg Entertainment PC heißt. Abgesehen davon, dass man sich das nicht merken kann. Asus U36JC-RX081V – da hört man schon, dass es scheiße aussehen muss. Nichts, was hübsch ist, heißt LG P500 Optimus One to go. Nichts, was Begehrlichkeiten hervorruft, heißt Lena Mayer-Landrut. Ich will kein HTC 7 Mozart und kein HTC TyTN II. Was ich will, ist ein iPad, ein iPhone und ein MacBook. Meinetwegen auch ein MacBook Pro. Das Auge isst mit! Deshalb hat sich der Apfel sein Design schützen lassen. Dooferweise aber nicht das “i“ vor seinem Namen und so darf jeder Hanswurst seinen hässlichen Ramsch jetzt iRamsch nennen und als Designerware verkaufen. Und genau das tut Hansi iWurst jetzt auch! Die neueste Waschmaschine von Siemens heißt iDos. Sie ist weiß. Wie ein iPod. Aber das war sie vorher auch schon. Ansonsten ist sie hässlich wie eh und je und wie alle Waschmaschinen dieser Erde. Es gibt einen iBike Fahrradcomputer, einen iJoy Massagesessel, den iDog und den iDogDance. Es gibt die iCat, den iFish und den iBear Handyhalter. Handyhüllen heißen jetzt
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iTape und Computertastaturen iTouch. Im iJumpEntertainmentcenter in Birmingham gibt es Spaß den ganzen Tag, nicht nur für weiße Familien, und obwohl es den iFuck Vibrator noch nicht gibt, arbeiten gerade vier Firmen gleichzeitig daran, ihn zu entfickeln. Mein Vater hat sich einen Hyundai i30 gekauft und ich überlege gerade, ob ich mir ein iBed für mein iHome zulege, wo ich mich mit meinem iGirl schön iNkuscheln kann. Auch immer noch undesignt, aber jetzt mit desigtem Namen: Die Polaroid iZone Kamera, die iGuitar, der iBob MP3-Player und die Orthomol iCare Mikronährstoffversorgung. Es gibt iClean Autopflegeprodukte, einen iClean Bildschirmreiniger und iClean Kontaktlinsenflüssigkeit. Ei-Eye-i. Jetzt kommt ab Februar 2011 bei ALLEM, was weiß ist, ein “i“ davor. Aus Ei wird i, aus Spiegelei wird iSpiegel, aus Schnee wird iSchnee und im Winter fahren wir zum Rodeln in die iFel. Jetzt ist alles schon viel hübscher! Auch der andersfarbige Müll bekommt dann eine Designertaufe. Der iMer, der iSbär, die deutsche iChe, die türkische iSche, der iYran der iRish Coffee, der iNlauf, der iTer, das iS und die iSdiele und natürlich iGlo, iKea, iMobilienscout24 und das iÜberraschungs. Äh? Das “i“ war bislang auf Platz 3 der BRD-Buchstaben-Charts und der vierthäufigste Anfangsbuchstabe. Ich denke - das hätte sich hiermit erledigt! Yessica iYet
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Beady Eye Oasis sind Geschichte - lang lebe Beady Eye! Bekanntermaßen sind das Oasis ohne Noel, und - bis sich die beiden Gallgher-Brüder wieder vertragen haben - DAS Brit-Pop Surrogat für alle Oasis-Fans. Alles über das Beady Eye-Debüt „Different Gear, Still Speeding“ erfahrt ihr ab dem 25. Februar in unserer neuen Ausgabe. Dann außerdem mit dabei: Glasvegas, Bosse, Carl Norén, Lykke Li, Findus, Rival Schools, The Streets, Wye Oak und viele andere.
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Alles Berichtenswerte zur Berlinale findet ihr schon vom 10. bis 20. Februar online auf sallys.net. In der Märzaugabe stellen wir euch neue Filme vor wie die Verfilmung des Science Fiction-Bestsellers „Ich bin Nummer 4“, den Berlin-Thriller „Unknown Identity“ (siehe Bild) mit Liam Neeson und Diane Kruger oder die Snowboard-Komödie „Powder Girl“, sprechen mit Stars wie Anna Maria Mühe oder Charlotte Gainsbourg und weisen euch auf Kino-Perlen wie das verstörende Drama „Biutiful“ mit Javier Bardem, François Ozons Retro-Komödie „Das Schmuckstück“ oder den dänischen Golden GlobeGewinner „In einer besseren Welt“ hin.
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