UND – Heft für Alternativen, Widersprüche und Konkretes

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Heft für Alternativen, Widersprüche und Konkretes

Schwerpunkt diesmal: „Was macht Die Bäckerei eigentlich?“

Ausgabe 1 – Okt 2015 EUR 6,– / 9,– / 12,–


Die Cover dieser Ausgabe wurden von Kollektiven, Kreativen und Schreiberlingen gestaltet. Jedes St端ck ist ein Unikat. Wenn nicht, dann soll es eines werden: Schreib drauf und dr端ber! Male, leime, verwebe! Schneide, n辰he & verklebe! Werft es, fahrt dr端ber, setzt euch drauf.


Es ist wunderbar erstaunlich macht gar keinen Sinn. Es erklärt so viel lässt alles offen. Es wird dich fesseln, es wird dich anÜden. Alles passt zusammen hat keinen Zusammenhang. Alles wiederholt sich ist jedes mal neu.


Willkommen im Irgendwo, In fünf Jahren Die Bäckerei – Kulturbackstube haben wir so vieles erlebt, erfahren, geplant, entwickelt, gelernt, verworfen, überarbeitet und in den Sand gesetzt, dass wir selber schon den Überblick verloren haben. Deswegen dokumentieren an dieser Stelle jene Menschen die Geschichte unserer Reise, welche die alte Bäckerei mit Leben und Liebe gefüllt haben. Dazu zählen nicht nur Bäcker*innen, Kollektive und Veranstalter*innen, sondern auch Gesprächspartner*innen, Vernetzte und Verletzte, Vereinnahmte und Ausgeworfene aus den letzten Jahren. Gedanken und Arbeitsbereiche hinter dem Offensichtlichen werden vorgestellt. Probleme, Lösungen und Auflösungen aus fünf Jahren Kultur- und Netzwerkarbeit treten zutage. Wir thematisieren, wie herausfordernd es ist, im Team zu arbeiten und warum ein wichtiger Arbeitsbereich inzwischen die Arbeit selbst geworden ist. Wir zeigen, wie unsere Finanzen funktionieren und überlegen, was die Zukunft bereithalten soll.

Das UND soll eine Plattform für Menschen werden, die etwas zu sagen oder zu zeigen haben – lokal und international. Interessante Projekte und Themen stellen sich vor und müssen dafür kein journalistisches oder künstlerisches Portfolio vorlegen. Wir bieten die Infrastruktur an: Layout, Illustration, Lektorat und Redaktion – die Inhalte kommen in erster Linie von außen. Wir wollen eine möglichst niederschwellige, einfache Zugangsweise zu Thematiken schaffen, die unser aller Leben täglich beeinflussen oder beeinflussen sollten. Partizipativer Raum im Druckformat. Experimentell und dilettantisch! Geschrieben, skizziert oder fotografiert – wir sind für alle Ausdrucksformen bereit! Wir überlegen uns einen thematischen Schwerpunkt und rufen zum Mitmachen auf. Literarische Texte, Illustrationen, persönliche Gedanken, Theoretisches und Konkretes sollen gleichermaßen Platz finden – dazu mehr auf der letzten Seite dieser Ausgabe.

Nun werft euch also hinein in die dicht gedrängte Welt der Kulturbackstube. Wir wünschen euch beim Lesen neue Denn nun könnte der Eindruck ent- Eindrücke und Anstöße! standen sein, das UND wäre ein Magazin über Die Bäckerei. Der Schein trügt – lediglich die erste Ausgabe widmet sich voll und ganz der Kul- Christina und Julia turbackstube, ihrer Geschichte, Idee im Namen aller, die sich angesprochen und Entwicklung. Danach trauen fühlen! wir uns hinaus in die Welt! Was das UND und Die Bäckerei allerdings auch in Zukunft teilen, sind ein paar Mitarbeiter*innen und ihre Ideen:

Aber das ist noch nicht alles.

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willkommen genau hier! Es fehlen gefühlte tausend Projekte, Menschen, Ideen und Formate, die vorgestellt werden müssen, weil sie unsagbar wichtig für Die Bäckerei sind. Nicht, dass es reichen würde, aber trotzdem: DANKE DANKE DANKE an die wunderbaren SonntagsCafé-Teams! an die vielen Barmenschen – ohne euch geht gar nichts! an unsere Köche und Köchinnen – euch gebührt eine Extraausgabe! an die vielen, die hier fehlen! an alle, die freiwillig ihre Energien eingebracht haben! an euch Ideengeber*innen! an alle Kritiker*innen! für die vielen Diskussionen! und und und ...

Impressum Medieninhaberin Die Bäckerei – Kulturbackstube Dreiheiligenstraße 21a 6020 Innsbruck Telefon +43(0)680/2472260 undheft@diebaeckerei.at www.diebaeckerei.at Redaktion Simone Höllbacher, Christina Mölk, Johanna Mölk, Julia Scherzer Text Julia Scherzer, Die Bäckerei, Kollektive, Vereine, Hausgeister oder der*die beim Text vermerkte Autor*in Grafik, Illustration, Layout Simone Höllbacher, Christina Mölk, Johanna Mölk oder die direkt auf der Seite vermerkte Person Fotografie Bäckerei-Team, Kollektive, Vereine & Hausgeister Toni Schade, Sonaar Fotografie Dokumentation Die Bäckerei oder der/die jeweilige Veranstalter*in Lektorat Stefan Österreicher, Anna Perle Druck Alpina Druck GmbH Auflage 2.000 Sponsorenbetreuung Florian Ladstätter Hinweis Für eingesandtes Bild- und Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Der Begriff Mitarbeiter*in wird in diesem Magazin hierarchiefrei verwendet.

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Innehalten 2

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Willkommen im Irgendwo, Willkommen Genau hier! Was ist das für ein Heft?

Es war einmal eine Stadt ... von Walter Groschup

Fünf Jahre Die Bäckerei im Überblick Illustration von Noelia M. Vidal

3 Impressum

Es regnet übrigens immer noch durchs Dach Die Bäckerei und ihre Geschichte

Bäcker & Bäckerinnen

Hartes Brot Die Bäckerei und ihre Finanzen

Kollektive, Vereine und Hausgeister

Zukunft Wohin wollen und sollen wir?

Der Flaum Stimmen von Veranstalter*innen

48 Bikerei 52 TKI 54 STOCK EINS – Coworking 56 Kollektiver Wandel 60 Fotolabor 64 TUN & lassen 68 Maria Vill 70 bilding 72 Bienenhaus 74 Eli 76 Dachgarteln 80 WerkStatt Couch

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Innsbruck, winter 2010 Konkrete Utopie – Ein Experiment von Maria Vill

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MonatsAusstellungen in der Bäckerei 106 Interview mit Britta Burger

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Dorf der Landbesetzer*innen Britta Burger erzählt in Worten und Bildern vom Ökodorf im englischen Runnymede


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Das Gerücht und die Klischees Was wir und ihr über Die Bäckerei hören

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Trockenfutter Gedanken, Diskurse, Theorien 116 Die alte Bäckerei als liminaler (Lern-)Raum Der Begriff Liminalität breschreibt einen Schwellenzustand. Peter Hofmann erklärt, was dieser Begriff mit Der Bäckerei zu tun hat 118 Das Grassroots-Haus Auszüge aus einer ArchitekturMasterarbeit von Heinrich Pan

122 Offene (T-)Räume: Ein Prozess – kein Produkt Offene Räume – was sie ausmacht, warum es sie braucht, welche Chancen sie bergen und in welchem Kontext sie stehen von Christoph Grud 125 Tagebuch Der Bäckerei Über die Herausforderungen im Bäckerei-Alltag von Florian Ladstätter

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Horch Akustik in Der Bäckerei – von diesen Abenden sind Christoph, Klaus und David immer noch beeindruckt

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Gedanken aus dem Kerngehäuse Bäcker*innen erzählen 130 Growing a Seed von Baiba Dēķena 131 Gibt es hier ein Problem? Idealismus und Kapitalismus von Julia Scherzer 132 Idealismus und Lohnarbeit: Die Hippiezeiten sind vorbei von David Prieth 133 Experiences at Die Bäckerei von Álvaro Benito Cerezo

134 Reden wir drüber? – Supervision von Christian Murer & Christina Mölk 136 Halb-Gebacken – ein paar Worte zur Bäckerei von einem, der es besser wissen könnte von Klaus Schennach 138 Tagebucheinträge einer ganz und gar Freiwilligen von Anna Perle

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Föhnfest Plattformtage für Interakteur*innen

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LIEBEALLERLEI Diskussionsrunden zu Liebe, Sexualität und Identität.

140 ... aus dem Nähkästchen von Margret Wassermann

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Fragmente aus 5 Jahren Veranstaltungsfotos


Es war einmal eine Stadt,... Text: Walter Groschup (Leokino/Cinematograph)

sieht, diese Freiheit, mit eigenen Augen, dann flüstert einem der unsterbliche Goethe mit seinen Heil bringenden Worten zu: „Oh Augenblick, halte ein, du bist so schön.” Und tatsächlich steht die Zeit dann eine Weile lang still. Diese Freiheit oberhalb von 1800 Metern Seehöhe, die ist nicht vorgetäuscht, die gibt’s wirklich. Und so kommen die Experimentierfreudigen aus aller Welt, die Freiheitsliebenden mit ihren Skiern, mit den Rädern, den Rucksäcken und Boards. Auch die Einheimischen tuns, sie Ein zweites Wahrzeichen hat diese steigen rauf, sie fahren auf ihren GeStadt vor kurzem bekommen, neben fährten runter, nehmen ihre Hände, dem Bestehenden, dem Vordach eines klettern die Wände hinauf und erfreuBürgerhauses. Dieses Neue nun steht en sich des Lebens. Freiräume über etwas außerhalb, am benachbarten, 1800 Meter en masse. Man braucht geschichtsträchtigen Hügel. Und gar sie erst gar nicht schaffen, sie sind nicht so abwegig für sie: Das Wahr- schon da. zeichen ist nebenbei auch Sportstätte. Diese hochgewachsene und ebenso Diese Stadt bräuchte eigentlich nichts elegante Schanze, präsentiert sich von mehr, sie hat von Natur aus genügend allen Seiten, als wäre der Drache, der viel zu bieten für die Experimentierdoch – der Sage nach – einst von freudigen, die auf ihren Rädern stehen einem Riesen erschlagen wurde, wie- – oben am Berg – und auf die Stadt der auferstanden. Aus Menschensicht hinunterblicken. Ja, die einen blicken überdimensional groß und doch ein begeistert hinauf, die anderen – fast liebliches Geschöpf. Es schaut herab schon ein bisschen entrückt – hinunauf die Stadt, nimmt dutzendweise ter. Was braucht diese Stadt noch, nedessen Tagesgäste auf, die von seinem ben diesen Hellaufbegeisterten? Eigläsernen Kopf hinunterblicken auf gentlich nichts und sie könnte sich das friedlich vor ihnen liegende Häu- angesichts dieses göttlichen Rahmens sermeer, und man sieht auch die ge- durchaus selbst genügen. genüberliegende Gebirgskette mit ihren Zacken und Spitzen in 2000 Alle die Berge hinauf und wieder runMetern Meereshöhe und noch ein ter, immerzu, jeden Tag – jeden Tag bisschen höher, zum Greifen nahe. natürlich nicht! Und was dann: Im Dort lebt die Freiheit; man sieht sie, Kessel der treibenden Stadt? Wo auch man spürt sie mit den Augen und wer hin und wieder der zeitgeistige Smog will, kann sie sogar begehen, betasten, sich bildet. Smog von schlechter Luft, besteigen – die Freiheit, die über den Smog von schlechter geistiger DurchWolken grenzenlos ist, und im Ge- blutung: nicht für jeden gut, außer für birgsland oben auf den Gipfeln noch die Smoger. Und von diesen allein grenzenloser ohne. Wenn man sie kann so eine weltläufige Stadt nicht ...eine blühende Stadt, eingebettet in einer wundervollen Gegend inmitten mächtiger Gebirgszüge. Sattes Grün rundum, überall, selbst der Fluss, der das Hunderttausend-EinwohnerStädtchen durchzieht, schimmert im Licht dieser Farbe. Prächtig! Diesem Städtchen wird nachgesagt, man könne nicht von ihm lassen: So schön, dass auch Unmengen an Fremden sich gerne durch sein Inneres schlängeln. Scharen von Touristen durch­ zucken diese Stadt.

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leben. Sie muss aber leben. Sie muss sich selber fühlen können, atmen, nicht allein den Duft der Berge inhalieren. Sie muss zeigen, was sie sonst noch alles kann. Sie muss pulsieren, zirkulieren, damit die Menschen, die in ihr leben, auch im gelegentlichen Smog noch genügend Frischluft bekommen. Auch darum gehts: um Frischluft im Smog! Frisches Brot, um lebendig zu bleiben. Nicht alle brauchen das, manche können gut leben ohne ebendiese Frische. Was aber ist mit dem Rest, der gar nicht so klein ist, wie er selber tut. Dieser Rest ist groß und er findet diese Stadt umso liebenswerter, wenn sie gegen den Smog ein bisschen ankämpft, der einfach auch in ihr steckt. Und da hat sich – nicht zum ersten Mal – eine Gruppe von Aktiven zusammengefunden und die haben sich gesagt: Kämpfen wir dagegen an! Helfen wir mit und vertreiben wir den Smog ab und zu aus der Stadt. Lassen wir die Experimentierfreudigen sich auch hier herunten versammeln. Unterschwellig, unter 1800 Metern, am besten gleich mittendrin, in ihr, irgendwo in einem Stadtteil und dort entsteht dann ein Zentrum. Da brauchts nicht viel: ein aufgelassenes Gebäude, ein paar unverputzte Wände, hergerichtet im Retrogewand der Treffs aus den 70er Jahren des vorangegangenen Jahrhunderts. Schnell, gar nicht lang fackeln: „Let’s go!” Fünf Jahre ist das inzwischen her, dass das Zentrum steht. Happy Birthday euch und der Stadt – und weiterhin viel Spaß an der Arbeit!


Entdeckung der leerstehenden Räumlichkeiten der ehemaligen Therese Mölk Großbäckerei.

-findung: Christina, Christoph, Klaus.

Die Räume werden nutzbar gemacht – Sanierungsarbeiten. … Erfahrungsaustausch mit anderen Kulturschaffenden …

… lange Nächte, viele Diskussionen, Ideen sammeln, Möglichkeiten ausloten, Konzepte kreieren …

Gründung des Vereins Die Bäckerei - Kulturbackstube. Die TKI zieht mit uns ein. Die Bikerei richtet sich eine Werkstatt ein. Das Sonntagscafé beginnt Kaffee, Kuchen, Essen und Hausgemachtes zu servieren.

Das Architekturstudent*innen-Kollektiv zieht in den eigens hergerichteten Raum

Michael Freymann zieht mit seiner Schibau-Werkstatt für ein Jahr in die Coworking-Räume.

Bau einer Treppe in den 1. Stock, um neue Räumlichkeiten zu erschließen (Seminarraum, Backstageraum, Coworking, Roter Boden) – motiviert durch und mit Hilfe einer Gruppe von Architekturstudent*innen („die Jungs vom Roten Boden“). Die große Halle wird mit einer Infrarot-Deckenheizung bestückt und so auch für den Winter nutzbar gemacht.

Johanna, Waltraud, Rafael, Julia kommen ins Team. Klaus verlässt das Team für ein halbes Jahr.

Start der Jahresförderungen von Stadt, Land und Bund. . Geburtstag

Im Backstageraum im 1. Stock wird eine Wand eingerissen und es entstehen zwei neue Räume: das Fotolabor und ein kleines Atelier.

Die Bikerei bezieht den Raum hinter der Fensterfront in der Halle.

Das Coworking öffnet inoffiziell seine Türen.

Florian, Alberto, Florian Eberle kommen ins Team, Klaus kommt zurück. Johanna, Waltraud, Rafael verlassen das Team.

Die Gemeinschaftswerkstatt

in Hötting wird aufgebaut. Die Bäckerei bekommt den ArthurHaidl-Preis der Stadt Innsbruck.

Baubescheid zum Umbau Der Bäckerei wird rechtskräftig … wir erhalten den offiziellen Bescheid, Veranstaltungsraum zu sein. :)

2. Geburtstag

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Alvaro und Julia kommen dazu. Daniela geht in Bildungskarenz, Keith verlässt das Team.

Nach 5 Jahren mietfreier Nutzung beginnt der Verein Miete für die Räumlichkeiten zu zahlen. Das Projekt Magazin wird gestartet.

Die Kunschtschule für Kinder und Jugendliche zieht aus, die Räume werden adaptiert und das Bäckerei-Büro zieht in den 1. Stock.

Das Architekturstudent*innen-Kollektiv im Roten Boden zieht aus und das Kollektiv Kollektiver Wandel zieht ein.

Geburtstag

Baiba, Soli, Margret und Keith kommen dazu. Vera verlässt das Team und Julia geht in Karenz.

Start der Supervision für das Bäckerei-Team mit Christian Murer.

MPREIS wird Sponsor. Im 1. Stock wird ein weiterer Raum ausgeräumt und umgebaut: dort entsteht ein zweites Büro, wodurch der Zugang zur Terrasse im 1. Stock möglich wird.

Das Projekt Dachgartln wird aufgebaut.

David, Daniela, Vera, Johanna kommen dazu. Klaus, Florian Eberle verlassen das Team. Das STOCK EINS Coworking eröffnet offiziell. Die Gemeinschaftswerkstatt Ein Hinterstübchen eröffnet offiziell.

Der Raum im 2. Stock wird als

nutzbar gemacht.

Eli richtet sich im Dachboden sein Atelier ein. Die alte Wohnung im 1. Stock wird ausgeräumt, hergerichtet und nutzbar gemacht – die Kunschtschule für Kinder und Jugendliche zieht dort ein. 8

Illustration: Caixa de Mistos, www.caixademistos.com

. Geburtstag

Das Föhnfest findet zum 1. Mal statt.


Es regnet übrigens immer noch durchs Dach …

Die Bäckerei und ihre Geschichte

Nebenbei gibt es noch Gespräche mit anderen Kulturschaffenden, vor allem aus der PMK, dem Leokino und der TKI. Von ihnen kommen viele hilfreiche Ratschläge und Erfahrungen aus etlichen Jahren Kulturarbeit.

Es beginnt im Herbst 2009. Das Grafikerinnen-Kollektiv Büro Pradl sucht nach Räumlichkeiten, in denen ein Café und Ateliers entstehen sollen sowie hin und wieder ein Markt stattfinden kann. Ein Langzeitstudent der Architektur mischt sich in die Diskussion ein und einer, der sich schon eine Weile mit Erziehungswissenschaften beschäftigt. Nach langen Nächten und vielen Diskussionen, in denen Möglichkeiten ausgelotet und Vorstellungen angeglichen werden, erwachsen daraus die Gründer*innen der Kulturbackstube: Christina Mölk, Christoph Grud und Klaus Schennach.

Im Oktober 2010 wird eröffnet. Ein paar Flyer, Mundpropaganda, kein Konzept. Zu diesem Zeitpunkt arbeiten alle ehrenamtlich und ohne irgendeine Gewissheit, aber voller Motivation. Die Eröffnung übertrifft alle Erwartungen. Die Bäckerei ist brechend voll, das Klo streikt und der Barbetrieb läuft aus allen Rudern – Dilettantismus in Reinkultur!

Ein offener Raum soll es werden, der Leuten die Möglichkeit bietet, ihre Ideen umzusetzen. Viele Pläne geistern herum: Plattformküche, Ausstellungsort, Atelier, Treffpunkt, Arbeitsplatz, Kreativität und grenzenlose Offenheit. Ein naives, unkonkretes Bild entsteht. Ein genaues Ziel oder das nötige Hintergrundwissen hat niemand – zum Glück!

Der Wille, diese Räumlichkeiten mit Leben zu bespielen, bleibt vom ersten Tag an ungebrochen. Die große Nachfrage raubt allen den Atem, viel Zeit zum Nachdenken bleibt nicht. Erst nach und nach wachsen alle Beteiligten in das alte Gebäude samt seinen Aufgaben hinein. Mit diesem Magazin wollen wir, eine Übersicht zu allen Entwicklungen schaffen. Es ist für uns unglaublich, was in diesen Gemäuern alles passiert und wie schnell das Projekt gewachsen ist. Das sagen wir Bäcker*innen deshalb so, weil dieses Entstehen nicht nur uns zuzuschreiben ist, sondern vor allem der Begegnung mit allen, die mit ihren Ideen, Projekten, Konzepten, Anliegen, Motivationen, ihrer Initiative und Begeisterung zu uns gekommen sind und sich auf das Unfertige eingelassen haben.

Durch Christinas Onkel ergibt sich dann die erstmalige Besichtigung der alten Bäckerei, die nicht nur Heimat eines des ersten Therese-Mölk-Geschäfte samt Großbäckerei und Büros war, sondern auch Heimat für Kinder und Kindeskinder eben dieser Therese. Die alten Hallen stehen zu diesem Zeitpunkt bereits zwölf Jahre leer. Sie sind muffig, feucht und vollgeräumt. Sie sind über die Jahre legales und illegales Zuhause geworden. Durchzugsort für Wind und Regen. Die Entscheidung fällt, das wird es!

Ausstellung, Musik, Markt, Installation, Theater, Performance, Kino, Workshop, Vortrag, Werkstatt, Tanz, Produktion, Sport, Leerraum, Lesung – so beginnt die Liste aller Dinge, die hier möglich geworden sind. Und sie geht weiter, jeden Tag aufs Neue.

Es folgt eine Zusage, das Haus fünf Jahre lang mietfrei nutzen zu dürfen. Ein Privatkredit von €60.000 wird gewährt, der in monatlichen Raten über fünf Jahre abbezahlt werden soll.

2010 stehen die Pläne für den Umbau. Die Suche nach Die Geschichte Der Bäckerei – Kulturbackstube ist die gebrauchten Dingen und nach Baumaterialien, die andere Geschichte vieler Menschen. An dieser Stelle wird sie von bereits für die Müllabfuhr bereitgestellt haben, beginnt. allen jetzigen und ehemaligen Teammitgliedern erzählt: Dank der vielen freiwilligen Helfer*innen und Mitdenker*innen wird beispielsweise ein Hotel ausgeräumt und dessen Klos, Fenster, Waschbecken, Matratzen und Glasschiebetüren in Der Bäckerei verbaut. Sperrmüll, Baustellen, Wohnungsräumungen und der HoRuck dienen als Hauptlieferanten für Baustoffe und Einrichtungsgegenstände.

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Café-Räumlichkeiten vor dem Umbau 2009

Wie ist die Bäckerei entstanden? Wer war am Anfang dabei? Christoph (im Team seit 2009): Ich machte damals nach meinem Architekturstudium ein Praktikum in der Nähe des Marktplatzes. Immer, wenn ich Mittagspause hatte und irgendwo etwas essen wollte, war ich ziemlich unzufrieden mit dem Angebot. Außerdem passte mir das ganze System nicht. Warum musste man seine Zeit für Lohnarbeit erbringen, sich einem Steuersystem unterwerfen und dann sein Einkommen wieder für Dienstleistungen einzelner Spezialist*innen hergeben? Es musste doch eine Möglichkeit geben, die beiden Dinge zu verbinden. Mir schwebte eine Art Plattformküche vor, die allen Menschen offenstand. Ich wollte meine Arbeit für reale Dinge einsetzen. Christina und Simone (Höllbacher), beide Grafikerinnen im Büro Pradl, hatten damals eine ähnliche Idee. Sie dachten allerdings mehr an ein Café mit Kunstbetrieb. In den ehemaligen Mpreis-Räumlichkeiten am Innrain waren schon Kunsthandwerkmärkte veranstaltet worden, allerdings waren diese Räume nicht mehr verfügbar. Dann war plötzlich die alte Bäckerei da. Klaus wollte sich eigentlich auf seine Diplomarbeit konzentrieren, w ­ urde aber 10

sozusagen immer mehr in das Projekt hineingezogen, spätestens ab Herbst 2009 war er dann ein fixer Bestandteil des Teams. David (im Team seit 2013): Das Gründer*innenteam bestand aus Christina Mölk, Christoph Grud und Klaus Schennach. Die Räumlichkeiten Der Bäckerei sind anschließend mit der zusätzlichen Hilfe vieler helfender Hände umgebaut worden. Margret (im Team seit 2014): Ich war bei der Entstehung Der Bäckerei noch nicht in Innsbruck. Durch Erzählungen von verschiedensten Menschen entstand Die Bäckerei in meinen Augen aus einem Konstrukt aus Ideologie, Mut, Kreativität, Naivität und Sicherheit. Zu Beginn war noch nicht ganz klar, ob und wie Die Bäckerei funktionieren würde. Christina (im Team seit 2009): Angefangen hat die Geschichte Der Bäckerei mit den damals 2009 seit über 12


„Wer die Bäckerei nutzt, soll sie mitformen. Das war für uns am Anfang ganz schwierig zu kommunizieren. “ Jahren leerstehenden Räumlichkeiten. Der Raum als Möglichkeit. Wir besichtigen die Räume, außer den zwei Räumen zur Straße hin ist alles in sehr schlechtem Zustand. Was könnte hier entstehen? Wer hat Lust mitzudenken? Nach langem Hin und Her entsteht das Kernteam und zusammen mit Christoph und Klaus wird viel gekopft. Die Hauseigentümer*innen sind bereit, uns das Haus für 5 Jahre mietfrei zu Verfügung zu stellen, denn in den nächsten Jahren ist hier nichts geplant. Also ein Projekt auf Zeit. Temporär. Was rentiert es sich zu investieren? Wir entschließen uns zu einem Kredit, den wir monatlich abzahlen, 5 Jahre lang. Jetzt sind die 5 Jahre vorbei und die Bäckerei ist kein temporäres Projekt mehr, sondern eine Idee, die ständig weiterwächst. Wir möchten Miete zahlen und den Raum erhalten. Unser Konzept war es von Anfang an, flexibel und offen für die Bedürfnisse der Kulturschaffenden zu sein. Wer die Bäckerei nutzt, soll sie mitformen. Das war für uns am Anfang ganz schwierig zu kommunizieren. Jeder wollte wissen, was im Haus passieren soll, was wir vorhaben, wie wir kuratieren würden. In erster Linie wollten wir aber immer einfach einen funktionierenden Raum schaffen, am besten mit möglichst wenigen Einschränkungen. Diese Herangehensweise sollte uns aber bald sehr viel Nerven kosten... Johanna (im Team 2010 - 2014): Ich bin seit der Eröffnung Der Bäckerei dabei. Als Schwester von Christina habe ich die Entstehungsgeschichte und den Aufbau sehr nahe miterlebt. Wir haben ein sehr enges Verhältnis, weshalb auch die Zusammenarbeit in Der Bäckerei immer sehr positiv und unkompliziert verlief. Ich bin sehr dankbar für die wertvolle Erfahrung, ganz von Anfang an bei der Entstehung Der Bäckerei mit dabei gewesen zu sein. Die Aufbauphase war sehr intensiv, vor allem für die Gründungsmitglieder. Ich glaube, im Leben meiner Schwester hat es in den ersten zwei Jahren kaum etwas anderes als „Die Bäckerei“ gegeben.

Räumlichkeiten vor dem Umbau 2009

Die Bäckerei hatte sich schnell zum Angelpunkt für die Kreativen wie sonst noch aktiven Kreise entwickelt, beziehungsweise war ohne diese Kreise die Entstehung gar nicht erst möglich geworden. Somit freute es mich enorm, als sich die Möglichkeit ergab, als helfende Hand mitzuwirken. Der Einstieg verlief sehr intensiv und diese IntenRafael (im Team 2011 - 2012): Über die Entstehung Der sivität ist dann auch nie wirklich abgeebbt. Eher im GeBäckerei kann ich, da ich erst Anfang 2011 in Innsbruck genteil, es entwickelte sich zu einem Strudel, im positiven angeschwemmt wurde, leider nicht allzu viel sagen. Ich be- wie im negativen Sinne, alles drehte sich um Die Bäckerei kam von vielen Seiten aber mit, dass sich die Stadt nach und wurde durch die sozialen Verbindungen (Partnerin, solch einem Konzept und so einem Ort gesehnt hatte. Mitbewohner*innen etc.) um einiges verstärkt. 11


Welche Konflikte und Lernprozesse haben sich ergeben? Christoph (im Team seit 2009): Wir hatten damals das Gefühl, dass es in Innsbruck einen „offenen Raum“ brauchte. Allerdings wusste niemand so genau, was das war oder sein könnte und wie man so etwas macht. Natürlich gab es Theorien zu Open Space usw., aber wie konnte man so etwas real umsetzen? Wir hatten die Vorstellung, dass Künstler*innen und Kollektive auf uns zukommen würden, um den Raum temporär zu nutzen, dass es eine Ausrichtung auf Kunst geben würde. Wir gingen davon aus, dass wir selber ein Programm erstellen mussten. Bei der Eröffnung fragte man uns, wie wir so etwas kuratieren würden. Wir wollten in erster Linie eine möglichst hohe Diversität. Zu meiner Überraschung gab es eine so starke und stete Nachfrage von außen, dass eigentlich die Öffentlichkeit die Programmierung übernahm, wir begleiteten und koordinierten die Veranstaltungen nur. Dabei habe ich das Gefühl, dass es eigentlich noch Bedarf für 2-3 weitere Räume dieser Art gäbe. Probleme gab es in erster Linie damit, dass der Wunsch offen zu bleiben, viel Arbeit bedeutete. Irgendwann war das zu dritt nicht mehr zu bewältigen. Schließlich kam Wali dazu. Wir wollten flache Hierarchien, wussten aber nicht, wie man das konkret gestaltet. Außerdem blieb im Tagesgeschäft einfach keine Zeit, um die entstehenden Konflikte aufzuarbeiten. Irgendwann gab es eine Phase, in der ich das Gefühl hatte, ganz allein dazustehen. Christina und Klaus waren ja einige Zeit weg. Obwohl ich alles für das Gemeinsame tat, hatte ich niemanden mehr, nicht einmal meine privaten Freund*innen, denn für die hatte ich keine Zeit. Alberto (im Team seit 2012): To understand the non-written vision of this place was the one thing that cost me the grea­test effort and the most time and thoughts. Today it is still in progress, because it is continuously evolving. It is a kind of an organic evolution affected directly by the actors, meaning the people participating and giving input and new energy in the form of ideas, proposals and motivation, and of course by the team of The Bäckerei, people in constant need to adapt to the new shapes and forms the concept takes on. I am facing trial and error phases all the time, and this way of understanding work has come to stay, it has become my standard mindset.

schnell und die neue Truppe musste sich die meisten Dinge selbst beibringen. Da war viel Lernprozess für die Neuen dabei. Zu Konflikten kam es dann zwischen den Gründer*innen (v.a. Christoph) und den Nachfolger*innen, als über längere Zeit für die Nachfolger*innen nicht klar war, was die Gründer*innen zum Überleben Der Bäckerei beitragen. Der Konflikt hat vor allem die erste Hälfte des Jahres 2014 ziemlich geprägt. Mit Hilfe der Supervision konnte er dann aber sehr gut gelöst werden. Großer Lernprozess auch hier; über persönliche Differenzen im Team miteinander reden. Álvaro (im Team seit 2015): I’ve been studying for many years and during this time I‘ve never found a learning process that suited me as well as the one I found here. I felt very close to my co-workers and I they put their trust in me from the first day I started to work. Daniela (im Team seit 2013): Wer in diesem Haus arbeitet, ist definitiv keine Insel. Es gibt keinen Bereich, der einem völlig fremd ist, keine Aufgabe, die zu unwichtig oder einfach nicht in den eigenen Arbeitsbereich fällt. Alles ist vernetzt, die Überschneidungen sind zahlreich, einmal ganz davon abgesehen, dass die Arbeit in einem hierarchiefreien Team gleichzeitig Challenge und Bereicherung ist. Kommunikation ist für ein solches Konzept das A und O, neben dem Bewusstsein, dass der Lernprozess niemals zu Ende ist. Verherrlichen will ich an dieser Stelle nichts, es gehen immer wieder Sachen schief, die nicht schiefgehen sollten, und eben auch gerade an der Kommunikation – intern und auch nach außen hin – hapert es immer wieder, obwohl das Bewusstsein um ihre Bedeutung vorhanden ist und gepflegt wird. Doch Tatsache ist, die Arbeit mit unterschiedlichsten Menschen und ihren Ideen ist als Erfahrung unbezahlbar, und ungeachtet dessen ob, sie leicht von der Hand geht oder einem gefühlt den letzten Nerv raubt, sie bringt einem unglaublich viel über sich selbst und den Umgang mit anderen bei.

Waltraud (im Team 2011 - 2012): Gelernt habe ich in dieser Zeit (im Umgang mit jenen, die Die Bäckerei für ihre Projekte nutzen wollten): Gibt es ein Problem, dann gibt es dazu fast ziemlich sicher eine Lösung – oder eine alternative Herangehensweise. Und ganz ehrlich: Ich würde Florian (im Team seit 2012): Ziemlich einige Konflikte und mir wünschen, dass das nicht nur etwas ist, das im KulturLernprozesse. Der größte Konflikt wurde sicher ausgelöst betrieb Anwendung findet; das würde so einigen Institutidurch den Generationenwechsel in Der Bäckerei. Auf ein- onen gut tun. Dieser Zugang vermindert Konflikte und mal waren Christoph und Christina nicht mehr für das verursacht im besten Falle ein Diskutieren auf Augenhöhe. Daily Business verantwortlich und neue Leute mussten den Laden schmeißen. Die Übergabe ging ziemlich 12


„I am facing trial and error phases all the time, and this way of understanding work has come to stay, it has become my standard mindset.“

Julia (im Team seit 2011): Konflikte gab es viele. Wenn so viele Menschen miteinander arbeiten, entsteht Reibung. Von scheinbar einfachen Problemen: „Wer hat seine/ihre Tasse nicht abgewaschen?“ „Wer hat die Tür nicht abgesperrt?“ „Warum haben circa 200 Menschen Tag und Nacht freien Zugang zu Der Bäckerei? „Wer hat im Keller heimlich eine Plastikmüllsammlung angelegt?“ „Wer hat den Schlüssel? Und wer hat den Bus?“ ... bis hin zu ideologischen Fragen: „Darf man in der Bäckerei schlafen?“ „Was ist Arbeit und was einfach nur ein Bier an der Bar?“ „Muss man in Teamsitzungen weinen?“ „Was machst du eigentlich den ganzen Tag?“ Es hat sich gezeigt, dass ideologische Probleme oft einfacher zu beantworten sind als die Frage, wer den Müll rausbringt. Es gibt aber auch Situationen, die so klar sind, dass eine Fragestellung ausgeschlossen ist: „Es kotzt mich an, die ganze Bude schaut aus wie ein Schweinestall! „Im Hof wohnen Ratten und Würmer!“ „Es kann doch nicht möglich sein, dass niemand verantwortlich ist!“ „Das ist kein Kindergeburtstag!“ „I hab koan Bock mehr auf die ganze Sch****!!“ „Auf dem Zettel steht, dass das Licht im Klo nicht geht ... seit zwei Wochen!“ „Es gibt 10 Burnout-Stufen, ich stehe auf Stufe 8!!“ Unsere Lernprozesse waren erstaunlich, wir sind zu außergewöhnlichen Einsichten gelangt: Jeder und jede muss für sich selbst Verantwortung übernehmen. Jede und jeder muss seinen eigenen Müll wegräumen und im Zweifelsfall auch mal den von anderen. Manche Dinge müssen immer wieder ausgesprochen und besprochen werden. Man muss anderen zuhören. Man muss aber auch sagen, was einen stört. Man muss anderen sagen, wenn sie etwas gut gemacht haben. Man kann anderen vertrauen. Man kann Hilfe annehmen. Dein Gegenüber ist auch ein erwachsener, denkender Mensch (meistens). Wir sind alle ersetzbar und das ist ganz wunderbar! Kommunikation ist alles und sie ist vor allem schwierig. Gemeinsam sind wir stark, aber wir müssen auch miteinander reden. 13


Christina (im Team seit 2009): Anfangs war ein ganz wichtiger Lernprozess für mich, meine Grenzen auszuloten und zu respektieren. Die Bäckerei ist sehr schnell gewachsen. Wir waren unerfahren und naiv, hatten kaum Strukturen, mussten uns alles selbst beibringen und das immer in möglichst kurzer Zeit. Wir spürten einen großen Bedarf an Räumlichkeiten und damit auch die Erwartungen, die wir erfüllen wollten. Diesem Druck haben wir nicht immer alle standgehalten... Wie viel Verantwortung ertrage ich? Was passiert, wenn ich nicht mehr krank werden darf ? Wie viel Selbstaufgabe erträgt die Beziehung, meine Freundschaften? Was passiert, wenn dich die Menschen nur noch als „Bäckerei“ wahrnehmen? Ich bin so froh, dass wir den Weg weitergegangen sind und uns einen Arbeitsplatz geschaffen haben, der unseren Vorstellungen (nahezu) entspricht. Der sich stetig weiter verändern lässt, der flexibel und offen genug ist, auf unterschiedlichste Bedürfnisse eingehen zu können. An dem der Mensch keine Maschine sein muss, an dem man sich im Fall als Freund*in unterstützt. Das habe ich vor allem bemerkt, als Klaus und ich uns trennten. Das Eine-Zeitlang-nicht-mehr-funktionieren-Können hatte auch Platz und wurde vom restlichen Team abgefedert. Das war für mich eine schwere Zeit, aber gleichzeitig eine schöne Erfahrung. Das Aufeinander-Rücksicht-Nehmen ist nur ohne Vorurteile, Neid und Schubladendenken möglich. Man muss die Lebenssituation der Teammitglieder kennen, sich genügend austauschen. Da ist natürlich intensive Teamarbeit wichtig, die für uns zu einem fixen Bestandteil unserer Arbeit geworden ist. 2013 kam dann der sehr wichtige Schritt der Teamerweiterung: Arbeit aufteilen, Luft holen, wieder Neues denken können. Nicht mehr hinterherlaufen, sondern wieder aktiv gestalten und vorausschauen. Diese Teamerweiterung hat uns aber wieder vor neue Aufgaben gestellt. Wir wollten keine Hierarchien, jede*r sollte sich gleich verantwortlich fühlen und mitentscheiden, seine*ihre Arbeit selbstständig und in Eigenverantwortung ausführen. Wie gibt man Arbeit ab? Wie flexibel ist man mit der Ausführung, gibt es nur einen Weg oder viele, um etwas anzugehen? Was, wenn ich Kritik üben möchte, in einem Team, in dem jede*r überfordert ist? Wie schaffen wir es, dass sich jede*r gleich verantwortlich fühlt und sich möglichst gleich viel einbringt? Wie geht man mit dem Ungleichgewicht zwischen Gründer*innen und später ins Team gekommenen Mitgliedern um? Wir haben alle unterschiedliche Vorrausetzungen, eine andere Motivation, individuelle Arbeitsweisen und Geschwindigkeiten ins Team mitgebracht. 14

Das Wichtigste ist deshalb das gegenseitige Vertrauen. Auf dem Vertrauen zu den anderen Menschen im Team baut alles andere auf. Wenn das nicht gegeben ist, kann keine hierarchiefreie Arbeitsgemeinschaft funktionieren. Johanna (im Team 2010 - 2014): Gelernt habe ich unglaublich viel, vor allem, wie viel man in einer Gemeinschaft erreichen kann und wie wichtig die Vernetzung und Zusammenarbeit ist. Mich hat es persönlich sehr beeindruckt, dass Menschen da waren, die ohne jede Erwartung mithalfen und sich so engagiert einsetzten, ohne zu wissen, was eigentlich passieren wird und wie das Projekt, Die Bäckerei, angenommen wird. Es war sehr schön zu beobachten, mit welcher Freude die Menschen in unserer Umgebung uns zu unterstützen versuchten. Es war spannend zu sehen, wie ein Projekt von Null weg aufgebaut wird, was alles dazugehört, welche Fehler passieren können und wie man daraus lernt. Rafael (im Team 2011 - 2012): Es stellte sich nie eine richtige Routine ein; viele spannende Leute, die ein- und ausgingen, viele tolle Projekte, die umgesetzt wurden, machten den Arbeitsprozess abwechslungsreich und erforderten dadurch nicht nur ein technisches Abarbeiten, sondern ein Eingehen auf jede spontan aufkommende Situation. Von diesen gab es etliche und das war auch bereichernd – wie zum Beispiel das In-Schuss-Bringen der Lagerhalle in Hötting, die jetzt als Gemeinschaftswerkstatt „Hinterstübchen“ fungiert. Der Kanaldienst musste anrücken, da die WC-Spülung im Untergeschoß nicht abfließen wollte. Der Kanalarbeiter dachte sich in gepflegter Manier „hilft’s nix, schad’s nix“ und blies mit 9 bar Wasserdruck die Toillettenschüssel in mehrere Stücke. Etliche Anrufe und Tage später – der geplanten Ausstellungseröffnung immer näher kommend – wurde dann endlich eine neue Toilette eingebaut; Spülung betätigt, floss immer noch nicht ab. Zum zweiten Mal kam der Kanaldienst angerauscht, diesmal eine andere Belegschaft, und machte mich dann auf eine sogenannte Hebeanlage aufmerksam. Ich hatte dieses Wort noch nie zuvor gehört und ich glaube, es auch nie wieder zu hören. Repariert wurde sie dennoch. So kamen später noch Begriffe wie Toilettenknie oder die berüchtigte DI-Box dazu, von der wir, zum Ärger mancher Musiker*innen, nie eine hatten. So hantelte ich mich von Tag zu Tag weiter und lernte stetig Kleinigkeiten dazu. Das Wichtigste war jedoch, hier kann ich wohl für alle sprechen, das Eingehen auf jede einzelne Person, jedes Projekt, das in den Räumlichkeiten veranstaltet wurde. Auch wenn manchmal mehrere Programme gleichzeitig vonstattengingen.


„Auf dem Vertrauen zu den anderen Menschen im Team baut alles andere auf. Wenn das nicht gegeben ist, kann keine hierarchiefreie Arbeitsgemeinschaft funktionieren.“

Räumlichkeiten vor dem Umbau 2009

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Umbau Fassade / Eingang 2010


„So hantelte ich mich von Tag zu Tag weiter und lernte stetig Kleinigkeiten dazu. Das Wichtigste war jedoch, hier kann ich wohl für alle sprechen, das Eingehen auf jede einzelne Person, jedes Projekt, das in den Räumlichkeiten veranstaltet wurde.“

Umbauarbeiten 2010 18


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Umbauarbeiten 2010


Welche Veränderungen hat es in der Bäckerei (im Gebäude/beim Projekt „Kulturbackstube“) und bei den Einzelnen gegeben? Christoph (im Team seit 2009): Es gab ein ständiges Bemühen um Optimierung der Prozesse gegen die Überlastung. Irgendwann versuchten wir, einzelne Zuständigkeitsbereiche zu schaffen, aber das führte dazu, dass sich jede*r nur mehr auf seinen*ihren Bereich konzentrierte und wenn daneben jemand ins Schleudern geriet, blieb er*sie einfach auf der Strecke, während die anderen weiterrasten. Der*Die Einzelne verliert dadurch den Blick für das Ganze, so besteht die große Gefahr, dass aus einem Gemeinschaftsprojekt ein Einzelprojekt wird. Jetzt glaube ich, dass es besser ist, wenn jede*r im Team alle Funktionen übernehmen kann. So steht das Gemeinsame mehr im Vordergrund, um das es ja eigentlich geht, und das ganze System hat eine viel bessere Resilienz. Aber das sind alles komplexe Prozesse. Wir haben uns im Rahmen einer Supervision viel Zeit dafür genommen. Irgendwann hat sich herauskristallisiert, dass es eigentlich um Vertrauen geht. Das hat alles plötzlich verändert, wir hatten wieder dieses Gemeinschaftsgefühl: „Wir machen zusammen Die Bäckerei“. Der Raum hat sich insofern verändert, als er ständig erweitert wurde. Anfangs dachten wir ja, dass der vordere Raum mit dem Café reichen würde. Das Kollektiv „Roter Boden“ hat die Räume im oberen Stock nutzbar gemacht und wir mussten die Infrastruktur ständig verbessern, eine Heizung für die hinteren Räume einbauen, usw. Wie ich mich selbst in diesem Prozess verändert habe, dazu müsste man wohl eher die anderen fragen. Jedenfalls bin ich inzwischen auch familiär gesehen in einer größeren Gemeinschaft...

machen. So ist es mittlerweile viel „sauberer“ in Der Bäckerei und manche Dinge laufen professioneller ab, sind aber trotzdem nicht abgeschlossen, sondern passen sich immer wieder an unsere Bedürfnisse und Vorstellungen an. Alles bleibt dynamisch, bleibt nicht stehen. Aber ich habe das Gefühl, dass es ein wenig geordneter zugeht. Ohne, dass uns diese Ordnung etwa weniger flexibel machen würde.

David (im Team seit 2013): Ich bin seit drei Jahren im Team und seit dem hat sich einiges verändert. Ich habe seit meinen Anfangstagen mit verschiedenen Volunteers zusammengearbeitet (aus Bulgarien, Estland, Spanien und Frankreich) und das Kernteam ist auf ungefähr zehn Menschen herangewachsen. Räumlich neu dazugekommen sind seit damals der Coworking-Space, TUN & lassen, die Kunschtschule (inzwischen bilding und mit einer eigenen Räumlichkeit) und der Dachgarten. Andere Räume sind umgestaltet worden (besonders der erste Stock, die Küchen und die Büros). Auch einige Bereiche im Erdgeschoß haben einen neuen Schliff bekommen und sind inzwischen besser integriert. In den „Roten Boden“ ist ein neues Kollektiv eingezogen und auch das Team der „Bikerei“ hat sich verändert/erweitert. Gefühlsmäßig ist für mich eine der größten Veränderungen die zunehmende Professionalisierung in mehreren Aspekten. Veranstaltungen und Ideen werden inzwischen routiniert organisiert, betreut und verwirklicht. Arbeitsbereiche sind zudem so verteilt worden, dass es gewisse Arbeitsgemeinschaften gibt, die die nötigen Soli (im Team seit 2014): Seit ich dabei Ressourcen besitzen, um die jeweilibin, hat sich schon einiges geändert. gen Themenfelder abzuarbeiten. DieWir entwickeln uns ja ständig weiter, ses Gefühl wirkt inzwischen auch verversuchen ständig, Sachen besser zu stärkt nach außen. 20

Margret (im Team seit 2014): Gewachsen, gewachsen, gewachsen ... Florian (im Team seit 2012): Mein Eindruck ist, dass sich Die Bäckerei laufend verändert. Schon rein vom Personal her. Als ich 2012 angefangen habe waren wir fünf Angestellte, jetzt sind wir zehn. Wali, Rafi und Klaus sind gegangen. Vera und Keith sind gekommen und wieder gegangen. Dani ist seit kurzem auf Bildungskarenz. Man müsste sich die Lohnverrechnungen der letzten 3 Jahre anschauen. Ich glaube, man wird dabei kaum zwei aufeinanderfolgende Monate finden, in denen die gleichen Leute mit der gleichen Stundenanzahl in Der Bäckerei beschäftigt waren. Große Veränderungen haben sich dabei auch bei den einzelnen Aufgabengebieten vollzogen. Meine Aufgabengebiete haben sich vor allem mit Solis Einstieg extrem verändert. Die Buchhaltung und Finanz-Aufsicht habe ich komplett an sie abgegeben. Sie macht das super! Jetzt mache ich Bäckerei-Forschung, betreue den Coworking Space und überlege mir neue Beschäftigungsund Einkommensmöglichkeiten, um Die Bäckerei in Zukunft erhalten zu können. Der Einstieg von Eli (S. 74) war eine große Veränderung. Im Sommer 2013 war er plötzlich da und ist einfach nicht mehr gegangen. Irgendwie hat er es geschafft, sich zu einem Teil der Bäckerei zu machen. Am Anfang waren wir von ihm oft genervt und er war wahrscheinlich ein paar Mal nahe dran rauszufliegen, aber mittlerweile hat er sich gut eingefügt und die Beziehung funktioniert. Keine Ahnung wie. Hochinteressant jedenfalls. Ich glaube, es gibt sehr wenige Organisationen/Häuser, in denen so etwas möglich wäre.


Seminarraum vor dem Umbau 2009

Eine weitere große Veränderung war der Wechsel im Roten Boden. Die Truppe um Heini, Alex, Irene und Xorx war von Anfang an dabei und ein integraler Bestandteil Der Bäckerei. 2014 haben sie nach und nach Die Bäckerei verlassen, um eigene Projekte umzusetzen. Gebäudemäßig passiert jetzt gerade eine Veränderung. Das Büro zieht nach oben. Juhuuu! Das wird eine große Verbesserung der Arbeitsatmosphäre mit sich bringen. Julia (im Team seit 2011): Leider sind alle professioneller geworden. Das ist zwar nötig, aber nicht immer gut. Wir dürfen die Stärke des Dilettantismus nicht aus den Augen verlieren. Christina (im Team seit 2009): Gefühlterweise gibt es für mich drei große Abschnitte in der Teamarbeit Der Bäckerei. Der erste war die Zeit in der wir nur zu dritt waren. Entscheidungen waren schnell getroffen, hinterfragt wurde selten etwas, jede*r hat jedem*r blind vertraut und wir haben eher parallel nebeneinander her gearbeitet. Im Stress, im Hamsterrad. Kaum Konflikte, da kaum Zeit für Diskussionen und gar keine Zeit für Reflexion und Kritik. Der zweite große Abschnitt startete

dann mit der Einstellung von Wali und Rafi. Auf einmal waren da Menschen, die nicht von Anfang an dabei waren. Wir ließen einfach Arbeit los, kümmerten uns wenig um ihr Befinden und liefen weiter in unserem Hamsterrad. Aber es gab schon ein wenig mehr Zeit für Reflexion im Team und Kritik. Wir lernten, wie wichtig Feedback, Wertschätzung und Lob sein kann. Wir machten unsere ersten Erfahrungen mit Führung, Kontrolle, Verantwortung. Wie stellen wir uns die Arbeit in Der Bäckerei vor? 2013 kam dann der nächste große Bruch im Team: Klaus und ich trennen uns und Klaus verlässt Die Bäckerei. Auch ich ziehe mich eine Weile zurück und Christoph stellt aus lauter Verzweiflung neue Menschen ein. Ich erinnere mich an ein Essen in der Kunstpause: „Komm bitte wieder zurück, ich möchte nicht allein verantwortlich sein.“ Niemand wollte die Führung übernehmen. Wir wollten als Team wachsen und Menschen motivieren, sich einzubringen undselbst Verantwortung zu übernehmen. Das war aber nicht von Anfang an gegeben, sondern eine große Aufgabe, die nur mit Hilfe einer regelmäßigen Supervision, die wir Anfang 2014 starteten, realisiert werden konnte. 21

Johanna (im Team 2010 - 2014): Im zweiten und dritten Jahr habe ich mich dann auch mehr zurückgezogen und war nicht mehr so involviert in das Geschehen. Mitverfolgt habe ich trotzdem alles. Erst nach meinem Auslandsaufenthalt bin ich 2013 wieder als Mitarbeiterin eingestiegen, zur Unterstützung meiner Schwester. Sie durchlebte gerade eine schwierige Zeit und nahm sich für einige Monate aus Dem Bäckerei-Geschehen zurück. Auch Klaus fiel aus und sollte nicht mehr zurückkommen. Es fanden Veränderungen im Team statt und es vergrößerte sich sprunghaft. Wir waren dann auf einmal zu siebt und es sollten noch mehr werden. Die Teambesprechungen reichten nicht mehr aus, um Konflikte und Missverständnisse zu klären. Es war nicht nur an der neuen Konstellation von Menschen gelegen, sondern vor allem war es meiner Meinung nach die Größe, die auf einmal das Ganze – die Kommunikation – nicht mehr so überschaubar machte. Und dann kam die Idee mit der Supervision. Diese regelmäßigen Sitzungen waren unglaublich bereichernd und für mich eine ganz neue Erfahrung. Das Team hat sich von da an unglaublich entwickelt und ich glaube auch jede*r Einzelne hat persönlich sehr viel gelernt. In Der Bäckerei kann man sich immer auf ein aufrichtiges und kritisches Feedback verlassen, auch wenn das im ersten Moment nicht nur angenehm ist, und das ist meiner Meinung nach etwas ganz Besonderes. Ich habe für mich gelernt, dass ehrliche und offene Kommunikation etwas essenziell Wichtiges ist. Und dass die investierte Zeit an Teamarbeit mit dem „schönsten Arbeitsplatz“ belohnt wird.


Was war dein Background? Wie war dein Einstieg? Welche Erfahrungen hast du gesammelt? Alberto (im Team seit 2012): “... Since the moment he got off of the taxi, took his luggage and got into the antique building where some parts where literally about to crumble down, all the physical fatigue stocked in his body after many hours of travelling, faded away in the blink of an eye and converted into a mix of admiration and fascination. This joyful amazement made him fall in love at first sight with this place...” This is how I remember the very first time I arrived to Die Bäckerei back in 2012. Very quickly it became apparent, that this was the right place for me to be. After obtaining a grant from the the European Voluntary Service, I had the opportunity to work at Die Bäckerei and live in Austria. After this first encounter in the cultural centre, I spent one year working there as a European Volunteer. Although the days passed quickly, my eyes were still fresh to see and recognize how things worked there and how different it was from the reality I knew before. This environment really challenged and satisfied me. To work at Die Bäckerei and experience it on a daily basis has become a determinant in my life in those three years. It is not only my workplace, but also the place where I meet my friends and the place where I can develop myself in a professional, artistic and personal way. It may sound too much to say of a work placement, but it is true for me. It is also a place where you have to face yourself in a mirror and accept your strengths and weaknesses and recognize what you can improve, because at the end of the day you have to analyse and evaluate your working day by yourself, comparing it with the work of your peers. There is no one

telling you: hey, you should improve this or that, and this is sometimes a hard process to go through, because it doesn’t make sense to lie to yourself. It is a place that renews itself every day and this ongoing and continuous process still surprises me sometimes, pushing me to be more open-minded than I thought I was, more patient, more sympathetic and stronger. Baiba (im Team seit 2014): I am from Latvia and I did my voluntary work year here at Die Bäckerei. Although I was pretty excited and had previous education and experience with cultural projects and organisations, Die Bäckerei still took my breath away. The expression of freedom that lives here is both mesmerizing and terrifying. Being a person raised in post-soviet society, we were educated as well functioning organisms of hierarchy and a certain system. Die Bäckerei is the exact opposite. It is a garden where you plant your own seeds instead of just following the orders of someone. From smaller events to bigger projects with ideological ideas you never even thought about before. At this point I am only starting to realise the endless opportunities. Die Bäckerei can create a public benefit and it feels amazing to be a part of this process of development. So even though my voluntary year is over, I am staying here! Soli (im Team seit 2014): Ein ganz anderer ... Mit dem Praktikum und anschließender Anstellung bei Der Bäckerei, hab ich eine ganz neue Welt kennengelernt ... Ich habe Russisch studiert und war ein Jahr lang erfolglos bei der Arbeitssuche. Ich bin dann allerdings bei einer Wirtschaftsfortbildung untergekommen, in der ein Praktikum vorgesehen war. Angefangen hab ich dieses bei Tiscover, wo mir ein stupides „Versauern“ im Callcenter drohte. 22

Deshalb wusste ich, ich müsse mich nach Alternativen umsehen. Und da ich mit Dani befreundet bin, fragte ich in Der Bäckerei an. So kam es, dass Flo mir die Buchhaltung beibrachte und ich aufgrund einer Ams Förderung in Der Bäckerei bleiben durfte! Ich muss zugeben, dass ich Die Bäckerei vorher nicht so gut kannte. Etwas Einblick habe ich durch unsere CopyCats Ausstellung im Rahmen des letzten Filmfest Rejected bekommen, hatte aber trotzdem nur wenig Ahnung über das Gesamtprojekt „Bäckerei ...“ Dies habe ich alles erst während meiner ersten Zeit beim Arbeiten kennen gelernt. Der Einstieg war insofern fein und easy, weil ich konkrete Aufgaben übernommen habe und Flo quasi mein Mentor war/ist. Und auch das Einleben ins Team wurde mir durch die offenen und liebvollen Persönlichkeiten, aber auch durch die Reflexionstage leicht gemacht. Ein ganz wichtiger Punkt für mich ist, dass ich während meiner Zeit hier in Der Bäckerei viel für mich persönlich gelernt habe, mich stets weiterentwickle. Ich kann mir gerade keine andere Arbeit vorstellen, bei der man so viel über den Betrieb, das Gesamtkonzept und das Team, aber auch über sich selbst reflektieren darf und soll. Ich denke dies trägt viel zum Fortschritt bei und man bleibt nicht einfach so stehen in der Entwicklung und verrichtet einfach roboterartig seine Arbeit ... David (im Team seit 2013): Ich habe Vergleichende Literaturwissenschaft und Anglistik und Amerikanistik studiert. Zusätzlich war ich einige Jahre für verschiedene kulturelle Einrichtungen und Medien tätig, habe Konzerte organisiert, in Bands gespielt und genetzwerkt. Dass ich in Der Bäckerei gelandet bin,


war eine Verkettung von so nicht ganz geplanten Ereignissen. Anfangs wollte ich nur ein wenig beim Aufbau der Gemeinschaftswerkstatt Hinterstübchen mithelfen. Da die personellen Ressourcen in Der Bäckerei zu dieser Zeit allerdings sehr knapp waren, bot sich für mich die Gelegenheit mitzuarbeiten, was ich bereits während der Fertigstellung meiner Diplomarbeit getan hatte. Inhaltlich konnte ich mich in Der Bäckerei sofort problemlos identifizieren. Mein Einstieg war herausfordernd, hat mich dafür viel über Eigeninitiative gelehrt. Ich bekam viel freie Handhabe, habe mir Verschiedenstes im learning-by-doing-Verfahren und im Eigenstudium angeeignet. Wenn ich heute daran zurückdenke, wie ich vereinzelte Veranstaltungen damals umgesetzt habe, stellt es mir alle Haare auf. Auf der anderen Seite ist das beruhigend zu wissen, da nun das Meiste routiniert und problemlos abläuft. Die Summe an Erfahrungen ist unglaublich groß: Ich habe eine Unmenge an Menschen kennengelernt und hunderte von Veranstaltungen gesehen. Auch die Zusammenarbeit mit großen Häusern und kleinen Initiativen ist für mich stets sehr lehrreich, da am Ende meistens herauskommt, dass die Menschen und Projekte ähnliche Probleme haben. Auch finde ich den Zusammenhalt und den Austausch in der freien Kulturszene in und um Innsbruck ziemlich gut – auch wenn man sagen muss, dass auch sie ein Mikrokosmos mit den klassischen politischen und persönlichen Dynamiken ist.

bereich (Koordination, Abrechnung, Instandhaltung) zählt zu meinen Aufgabenbereichen. Außerdem bin ich Mitorganisatorin vom Markt „die Unikaterie“. Es war für mich zu Beginn ungewohnt und ein neues Arbeiten, frei und selbst über gewisse Bereiche zu entscheiden oder Bereiche allein gestalten zu können. Diese freie Entscheidungsgewalt führte speziell am Anfang teilweise zur Überforderung. Bald lernt man jedoch mit dieser Situation umzugehen und wird kreativer bzw. wird empathischer, um Lösungen zu finden. Speziell an der Bar habe ich immer mit Menschen zu tun, welche die Bäckerei als Gäste oder Veranstalter*innen nutzen. Ihr Feedback regt mich an, Änderungen zu machen.

Florian (im Team seit 2012): Mein Background war mein BWL-Studium und meine Doktorarbeit. In meiner Doktorarbeit geht’s um ein basisdemokratisch organisiertes Kollektiv. Margret (im Team seit 2014): Begon- Da hatte ich natürlich schon einen nen habe ich im Team des Sonntags- guten Anknüpfungspunkt. cafés. Immer wieder machte ich auch Bardienste am Abend, bis ich im Mein Einstieg war purer Zufall. Ich Sommer 2014 von Der Bäckerei fix hatte mich im Coworking eingemieangestellt wurde. Vor allem der Bar- tet und hab so die Bäcker*innen 23

k­ ennen gelernt. Bei einem Mittagessen haben Christina und Klaus mich dann gefragt, ob ich jemanden weiß, der auf Teilzeit-Basis die Buchhaltung übernehmen will. Ich hab mich sofort selbst für den Job gemeldet. Es ist mir ziemlich leicht gefallen, mich im Job zurechtzufinden. Von der Doktorarbeit her war ich es gewohnt, meine Arbeit selbst zu strukturieren. Auch hatte ich mit der Buchhaltung ein sehr klar definiertes Aufgabengebiet und Wali hat mich gut eingeschult. Die Stimmung im Büro war damals allerdings nicht sehr gut. Christoph, Christina und Klaus waren damals von den ersten 2,5 Jahren Bäckerei-Aufbau extrem ausgelaugt. Ich hab dann ständig versucht Witze zu machen und gute Laune ins Büro zu bringen – mit mäßigem Erfolg. Alle Erfahrungen aufzuzählen würde hier den Rahmen sprengen. Die Wichtigsten: Die erste wichtige Erfahrung war, dass ich plötzlich eine Umgebung hatte, in der ich meine Energie einbringen konnte und die auch ganz viele Ansatzpunkte für meine Energie hatte. Das war ein super Gefühl. Die zweite war dann, dass Die Bäckerei viel komplexer ist, als ich es gedacht hatte und dass die Geschichte des Hauses und der


einzelnen Akteur*innen darin sehr wichtig ist. Die dritte wichtige Erfahrung war es, für die Organisation als Ganzes Verantwortung zu übernehmen und mir darüber Gedanken zu machen, wie sie langfristig überleben kann. Álvaro (im Team seit 2015): This is the first thing I was told: “Álvaro, these are your co-workers. There are no bosses in Die Bäckerei, here you are your own boss”. I was a bit confused at the beginning because of that, since I thought that it would be something that they said just to be nice, but the truth is that it actually works like that, and that way of approaching work gets the projects done in a very natural way. Every single member of the team shows interest and doesn‘t feel unnecessarily pressured by a superior. In reality, most of my experience was academic, so being able to learn directly on the job is priceless. I also get to see how my efforts are valued and end up being beneficial to others, which is very fulfilling. Daniela (im Team seit 2013): So richtig kennengelernt habe ich Die Bäckerei erst als Mit-Organisatorin des Filmfest Rejected 2012. Mit dem Ziel, das Festival zeitlich und inhaltlich auszubauen, traten wir an die Bäcker*innen heran und stellten unsere Ideen zu einem interaktiven Rahmenprogramm mit Workshops, Wettbewerben, Konzerten und Ausstellungen vor, das weit über die Projektion und Reflexion von Filmen hinausging und die Kulturbackstube – ihre Räume und Mitarbeiter*innen – drei volle Tage lang einnehmen sollte (heute nennen wir Veranstaltungen wie diese gerne liebevoll „Invasionen“). Andernorts wäre dies unmachbar gewesen, mit einem Budget von gerade einmal 7.000 € – hier jedoch stießen wir auf offene und engagierte Ohren.

auch zugleich enorm herausfordernd... Ich hatte ja wiederum mit Christina, Mitbegründerin Der Bäckerei, zusammengewohnt und damit quasi auch mit Klaus. Für mich persönlich war der Einstieg etwas à la „Und ab ins kalte Wasser“ und „Fast überall gibt es etwas zu tun und wer das sieht und macht, weiß danach auch besser Bescheid, wie der Betrieb läuft“. In Summe also intensiv, nicht dauerhaft so machbar, aber ich würde die Erfahrungen nicht missen wollen. Als ich in Der Bäckerei begonnen hatte war ich gerade dabei mein Architekturstudium abzuschließen und hatte parallel dazu bereits bei Wei sraum-Forum für visuelle Gestaltung“ und Mole-Zeitschrift für kulturelle Nahversorgung gearbeitet. Dadurch war ich bereits gut vernetzt und hatte schon einige praktische Erfahrung mitbringen können; beides war enorm hilfreich für die vielfältigen Aufgaben in Der Bäckerei. Am meisten – vielleicht aber erst im Nachhinein bewusst geworden – haben mich so einige Diskussionen geprägt. Darin wurden auf elementarer Ebene etwa Herangehensweisen an Arbeitsprozesse oder Beweggründe für gewisse Entscheidungen diskutiert – und im weitesten Sinne rührte das immer wieder von einer kulturellen sowie gesellschaftlichen Haltung her. Diese diskutierten Inhalte und Vorstellungen prägen seit damals Waltraud (im Team 2011 - 2012): Die mein Denken und Handeln. Bäckerei hatte seit einem halben Jahr ihre Tore geöffnet und war bereits Julia (im Team seit 2011): Ich habe nenicht mehr aus Innsbruck wegzuden- ben dem Diplomarbeit-Schreiben so ken. Klaus, Mitbegründer der Bäcke- lange an der Bar in Der Bäckerei gerei, ging in Bildungskarenz und dafür arbeitet, bis das Studium fertig war benötigte es eine Vertretung. Die war und ich keine Lust mehr hatte. Deswegen habe ich dann lange Müll aus dann ich. Gemeinsam mit mir fing auch mein den oberen Stockwerken nach unten damaliger – und immer noch – Part- getragen, ins Auto geladen und in die ner, Rafael Ludescher an. Für unsere Rossau gebracht. Ich habe aber auch Beziehung war das bereichernd, aber Wände abgetragen, gemalt, sinnlose

Wir hatten die volle Unterstützung des Teams von der Vorbereitung bis hin zur Umsetzung und das Filmfest Rejected in diesem Jahr war zweifelsohne das bis dahin erfolgreichste ... und ich persönlich hin und weg vom Konzept Der Bäckerei, der daran beteiligten Menschen und der sich dadurch eröffnenden Möglichkeiten. Im darauffolgenden Jahr wurde das Kulturzentrum fester Bestandteil meines Lebens. Ich übernahm Bardienste für Veranstaltungen und andere kleinere Aufgaben im Rahmen meiner Fähigkeiten während ich meine Studien – Literaturwissenschaft und Soziologie – auf die eine oder andere Weise zu einem Ende brachte. Mit einem Hintergrund wie diesem ist die Suche nach einem Job, der Interessen und Qualifikation verbindet eine Herausforderung, umso mehr wenn man sich nicht für eine akademische Karriere erwärmen kann und/oder eignet. Dementsprechend konnte ich mein Glück kaum fassen, als ich das Angebot bekam, mit Herbst 2013 eine Anstellung bei Der Bäckerei anzutreten. Ich war in der Lage meine bisherigen Erfahrungen mit Event-Organisation und Pressearbeit einzubringen und auszubauen, habe aber gleichzeitig so viel mehr gelernt, in meiner Zeit hier. Dinge, die mich bei allem, was ich tue, begleiten und von denen ich in so vielen Situationen – professionell und privat – profitiere.

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Seminarraum mit Blick ins Café vor dem Umbau 2009

Einhausungen gebaut, das Dach mit Bitumen eingestrichen, den Hof von Ungeziefer befreit, Bar- und Lohnabrechnungen gemacht, uralte Bäder und Küchen geputzt, Projektansuchen geschrieben, viel geredet, den Coworking Space aufgebaut, geschrieben und nachgedacht, ein Jahr Mamapause gemacht und jetzt probiere ich unser Magazin rauszubringen. Christina (im Team seit 2009): Ich habe Intermedia, sprich Mediengestaltung, an der Fachhochschule Vorarlberg studiert. Drei Jahre in Dornbirn, ein Jahr in London. Danach war ich eine Zeit lang als Grafikerin tätig, merkte aber schnell, dass mir das irgendwie zu viel Computer-Arbeit, zu wenig Interaktion mit Menschen ist. Dann fing ich 2006 an, mit Simone Höllbacher im Kollektiv Büro Pradl zwei Mal im Jahr Kunst- und Design-Märkte zu organisieren. Wir mieteten uns für zwei Tage in leerstehende Räumlichkeiten in der Innenstadt ein, organisierten Tische und Live-Musik und ließen einen Marktplatz entstehen. Im Umfeld der Märkte lernte ich auch Klaus und Christoph kennen. Und dann 2009, immer noch sehr angetan von leerstehenden Räumen, ergab sich die Mög-

lichkeit, die alte Bäckerei zu nutzen. Die wohl eindringlichste Erfahrung, die ich gemacht habe, war, wie unglaublich schnell sich eine Idee verselbstständigen kann, wenn sie auf Gleichgesinnte trifft. Wir bekamen von Anfang an so viel Feedback und Hilfe, die Baustelle war schon eine unglaublich motivierende, lustige Veranstaltung, eine große Teamarbeit mit vielen Helfer*innen. Die Leute kamen vorbei und brachten sich ein, vom ersten Hammerschlag an. Das Projekt bekam durch die bauliche Mithilfe und die inhaltliche Zusprache von so vielen ein Eigenleben, das es bis heute nicht verloren hat, finde ich. Wenn mich jemand fragt, wie wir das mit Der Bäckerei gemacht haben, dann muss ich sagen: „Das ist uns so passiert“. Denn genau so fühlt es sich an, wie ein Strudel, der uns mitgerissen hat. Etwas das passieren wollte und sich über uns hinweg geschaffen hat. In einer großen Gemeinschaft. Denn die Bäckerei wurde, schon bevor sie für Veranstaltungen geöffnet war, eingenommen, viele Menschen machten sie sich zu eigen. Was dann auch zu einem großen Problem wurde, da die Verantwortungsfrage für uns immer schwammiger wurde. Und die Grenzen immer schwieriger zu 25

definieren. Was wenn jemand kommt und einfach ungefragt bleibt? Wer darf sich einbringen, wer stört? Viele, viele Verhandlungsprozesse passierten, manche schafften es, sich als „Hausgeister“ zu integrieren, andere wurden irgendwann aus Mangel an Kompromissfähigkeit rausgeschmissen (meistens musste zuerst mindestens ein Teammitglied weinen oder herumschreien). Die Grenzen hier werden immer noch jedes Mal aufs Neue verhandelt. Es gibt in Der Bäckerei kaum vordefinierte Regeln, die über Situationen gestülpt werden bzw. die es uns leicht machen würden, Situationen abzuhandeln. Das macht es uns auch so schwierig, mit unserem Lieblingsthema, „dem Hausverstand“, umzugehen. Kaum ein Thema ruft in unseren Teamsitzungen immer wieder aufs Neue so viel Aggression hervor. Und immer kommen wir zum Konsens, aufregen bringt nichts, wir müssen akzeptieren, dass es auch ein wichtiger und großer Bestandteil unserer Arbeit ist, Menschen wieder zu Selbstorganisation und Eigenverantwortung hinzuführen. Das braucht wahnsinnig viel Zeit und Nerven und oft ist es so viel einfacher und deshalb verlockend, den Nutzer*innen einfach möglichst viel Arbeit abzunehmen.

„I also get to see how my efforts are valued and end up being beneficial to others, which is very fulfilling.“


Umbauarbeiten 2010

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Errichtung der Trennwand f端r den Seminarraum aus alten Fenstern 2010

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Bau der WCs 2010

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Wie ist der Ausblick für die Bäckerei (Raum/Projekt) einerseits und für dich selbst andererseits? Christoph (im Team seit 2009): Vieles hat sich schon aus der Bäckerei heraus entwickelt, Vieles, das hier erprobt wurde, kann jetzt an andere weitergegeben werden. Eine solche Schwarmintelligenz kann wichtige Veränderungsimpulse an die Gesellschaft abgeben. In der Gemeinschaft kann man die gegenseitige Abhängigkeit, die es ja immer gibt, auch wenn die meisten heute in einer Egoblase leben, wieder positiv erfahren. Dieser gesellschaftliche Experimentierraum soll erhalten bleiben. Es geht mir zum Beispiel darum, dass man das Wissen und die technischen Möglichkeiten, die wir heute haben, sinnvoll einsetzt, damit alle das haben, was sie brauchen, um gut miteinander zu leben. Es geht um eine Veränderung der Werte, um die Frage, was es wirklich für Glück und Zufriedenheit braucht, die Reduktive Moderne kann hier eine Antwort sein. Ganz konkret denken wir daran, die Erfahrungen, die wir in Der Bäckerei gesammelt haben, zusammen mit unserem ehemaligen Supervisor, anderen Projekten und Organisationen, auch Wirtschaftstreibenden, als eine Art kollegiales Coaching zur Verfügung zu stellen. Dabei geht es uns letztlich um eine Annäherung der Bereiche Kultur und Wirtschaft, um innovative Wege zu entwickeln, damit

sich die Wirtschaft den gesellschaftlichen Bedürfnissen besser annehmen kann. Ansonsten finde ich den Gedanken spannend, ein ganzes Dorf oder ein ehemaliges Industriegebiet, das seine Struktur gänzlich verloren hat, neu zu beleben. Das wäre die nächste Dimension.

I want my life to grow around culture and music and there can probably be a mutual benefit for me and Die Bäckerei.

Soli (im Team seit 2014): Was den Raum angeht – nun gerade sind wir ja dabei, einiges zu verbessern. Und das Projekt selbst streckt die Fühler ja auch in neue Richtungen aus. BeraBaiba (im Team seit 2014): It is always tungsformat, Magazin eventuell Änhard to predict the future, but I think derungen in der Bespielung Der Bäthat Die Bäckerei is on the right track. ckerei. Being an established cultural organisation that unites various other cultu- David (im Team seit 2013): Das Proral organisations and artists, it is slow- jekt Bäckerei hat sich inzwischen ösly starting to grow beyond its material terreichweit einen guten Ruf erarbeishell. Because Die Bäckerei is way tet. Sowohl von Veranstalter*innen als more than just a cultural centre or auch Besucher*innen bekommen wir event venue. It is a movement, a crea- regelmäßig positives Feedback und tive art platform, an idea or trigger in konstruktive Kritik. Herausforderunsomeone’s mind. This development gen bestehen im Hinblick auf die fiprocess is also risky – on the way to nanzielle Sicherheit für die nächsten conceptual freedom we still have to Jahre. Das wird sich letzten Endes establish management principles. We auch auf das Team (Größe, Arhave to establish an event system, beitsprioritäten) auswirken. Ich perwith collectives participating in it, sönlich fühle mich im Kulturbereich collaborations, and most importantly, sehr wohl, schließe allerdings nicht with a growing community that is aus, auch in anderen Projekten mitzuready to hold and spread the vital arbeiten. Für mich war und ist Die energy this place can offer. My future Bäckerei allerdings die beste Schule, will hopefully grow together with Die um zu lernen, wie man konkret im Bäckerei, focused around musical ex- Kulturbereich Fuß fassen kann und pression, events and expanding net- worum es im freien Kulturbetrieb working in the local culture scene. geht.

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Café-Räumlichkeiten vor dem Umbau 2009

„Ich hoffe, dass wir uns immer wieder durch neue Menschen ersetzen lassen und niemals in der Gewohnheit feststecken.“ and Die Bäckerei is one of the best places in the city for them to carry out interesting projects.

brauchen wir nur so weitermachen.“ Sorgen, dass das passiert, mache ich mir da allerdings keine.

Daniela (im Team seit 2013): Ich habe mich in diesem Jahr zu einer Bildungskarenz im Ausland entschlossen und Die Bäckerei hat dabei eine nicht unwesentliche Rolle gespielt. Nicht nur, weil meine Tätigkeit hier mein Selbstbewusstsein und das Vertrauen in meine Fähigkeiten gestärkt hat, sondern auch, weil Die Bäckerei die wunderbare Qualität besitzt, in einem das Bedürfnis zu schüren, über sich selbst hinauszuwachsen, den eigenen Horizont zu erweitern und herauszufinden, was denn da noch alles geht. Somit verlasse ich diesen Arbeitsund Lebensplatz, den ich liebe (wie viele können das schon über ihren Arbeitsplatz sagen?) und der so gut zu mir war, bereits wieder, um weiterzu studieren und mir neue Fähigkeiten anzueignen – in einem Bereich, von dem ich zuvor nie gedacht hätte, dass er mir liegen würde. Sicher ist, es gibt keinen Ort, an den ich lieber zurückkehren möchte und alles, was ich mir Álvaro (im Team seit 2015): I arrived für Die Bäckerei wünsche, ja eigentbarely three months ago in Innsbruck, lich was ich VON ihr erwarte, ist, but during this time I could realize dass sie nie stillsteht, immer offen für that there is a very rich artistic and Wandel ist und sich nie bequem cultural atmosphere. There are a lot of zurücklehnt mit dem Satz: „So, very talented and active people here, alles durchgedacht und fertig, jetzt

Julia (im Team seit 2011): Ich hoffe, dass wir uns immer wieder durch neue Menschen ersetzen lassen und niemals in der Gewohnheit feststecken.

Florian (im Team seit 2012): Es schaut so aus als ob wir uns teilweise neu erfinden müssen, um längerfristig überleben zu können. Das Magazin ist dazu ein erster Schritt. Ich glaube wir sollten auch weg von den vielen einzelnen Veranstaltungen und hin zu Projekten, in denen wir einzelne Menschen oder Gruppen über einen längeren Zeitraum in die Bäckerei einbinden und mit ihnen gemeinsam bestimmte Themenschwerpunkte bearbeiten. Außerdem müssen wir anfangen, das Wissen und die Erfahrung, die wir uns über die letzten Jahre angeeignet haben, als eine Ressource zu sehen, mit der wir arbeiten können. Konkret heißt das, wir sollten anfangen, dieses Wissen weiterzugeben und versuchen damit Geld zu verdienen. Für Die Bäckerei als Ganzes wünsche ich mir, dass es noch mehr in Richtung Gemeinschaftsbildung und gemeinsames Arbeiten geht. Mit den beiden Coworking Spaces geht das schon in eine gute Richtung, aber ich glaube da geht noch mehr.

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Christina (im Team seit 2009): Jede Veränderung am Haus, jede Entwicklung des Projektes fühlte sich bis jetzt immer ganz natürlich und selbst­ verständlich an, nie aufgesetzt oder krampfhaft. Meist gibt es jemanden im Team oder im Haus, der für etwas brennt, etwas ausprobieren möchte oder eine Problemlösung sucht. Dann entsteht Veränderung. Konkret sind wir grad dabei ein Beratungsnetzwerk aufzubauen. Der Lernprozess der letzten Jahre war enorm und wir möchten unsere Erfahrungen gerne weitergeben. Auch finanziell werden sich jetzt einige Dinge verändern. Wenn wir das Haus halten möchten, müssen wir in Zukunft Miete zahlen. Das ist neu für uns und wird das Projekt sicher stark beeinflussen. Es ist eine große Herausforderung und hoffentlich eine Chance alternative Konzepte zu entwickeln.


Umbauarbeiten 2010

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Herrichten der Coworking-R채ume und des Roten Bodens

Bau der Treppe in den 1. Stock


Warum bist du ausgestiegen? Waltraud (im Team 2011 - 2012): Zum einen war ich über die Karenzvertretung Teil des Teams geworden und damit gab es eine natürliche Ablaufzeit. In Folge hatte ich auch den Entschluss gefasst, meine Dissertation zu beginnen. Und zum anderen hatte sich auch eine etwas unbefriedigende Situation eingestellt: Meine Arbeit in Der Bäckerei habe ich enorm gerne und mit Leidenschaft gemacht. Frustrierend wurden dann aber zweierlei Dinge: Das Durchgangsbüro, in dem ich saß, fühlte sich zeitweise wie ein Bienenschwarm an, weil so viel los war. Und da die täglichen To-Do’s in Der Bäckerei gefühltermaßen nie abgearbeitet wurden, kam ich kaum zum Verwirklichen eigener Ideen, mit denen ich mich dort einbringen wollte. Dass das aber eine wichtige Voraussetzung ist, um längerfristig motiviert zu sein, hat sich auch später – außerhalb Der Bäckerei – immer wieder als wichtige Komponente erwiesen. Und zum anderen war die damals noch bestehende Personalstruktur schwierig für mich. Das Modell wurde zwar bereits als „flache“ Hierarchie verstanden, dennoch spürte man immer wieder den Unterschied zwischen denen, die Die Bäckerei gegründet hatten und denen, die erst später dazugekommen waren. Für mich war das hinderlich, da ich keine Möglichkeit sah, diese Kluft zu überwinden und damit wiederum kein Weiterentwicklungspotenzial nach oben. Dass sich mittlerweile genau diese Strukturen komplett geändert haben, freut mich sehr. Wie sich das im Gegenzug anfühlt, hat euch an dieser Stelle das heute 11-köpfige Team erzählt.

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Johanna (im Team 2010 - 2014): Neben meiner Mitarbeit in Der Bäckerei habe ich meine Tätigkeit als selbstständige Grafikerin gestartet. Seit meiner Rückkehr vom Ausland war mir jedoch klar, dass ich etwas Neues angehen wollte. In mir keimte ein Samen, die Idee von einem eigenen Projekt. Ein Ort mit leerstehenden Räumen bot sich mir an und ich deutete dies als einen Wink des Schicksals ernsthaft die Veränderung anzugehen. Gestärkt mit Erfahrungen vom Bäckerei-Aufbau und dem Erfolg der Kulturbackstube, wagte ich es also. Mit einem neu gefundenen Team, das zum Großteil aus dem Bäckerei-Umfeld kam, startete ich gemeinsam das Projekt Spielraum für Alle in Wilten. Ende 2014 stellte ich meine Arbeit in Der Bäckerei ein, um mich mehr dem Aufbau des Spielraums zu widmen. Leider waren wir mit unüberwindbaren Hindernissen konfrontiert, weshalb das Projekt zum Stehen kam. Und es lockte sogleich das spannende Angebot beim BäckereiMagazin grafisch und inhaltlich im Team mitzuwirken, welches ich freudig annahm. Rafael (im Team 2011 - 2012): Als meine Freundin Wali dann ausstieg, um ihre Dissertation zu beginnen, kam auch in mir langsam der Drang, mich wieder auf meine eigene Sache zu konzentrieren. Ich investierte mehr und mehr Zeit in mein virtuelles Theaterstück und wollte nach Abschluss des Projektes mein Studium endlich fortsetzen, was ich schlussendlich auch tat. Somit bin ich seit z­ iemlich


Räumlichkeiten vor dem Umbau 2009

„Dass Die Bäckerei Gefahr laufen könnte, entweder Beliebigkeit auszustrahlen oder als „Kulturkrake“ keine Möglichkeit auslässt, jegliches Themenfeld zu besetzen.“

genau zwei Jahren wieder in Wien und weg aus Innsbruck. Aus zeitlichen Gründen hat es mich leider nur mehr selten in Die Bäckerei verschlagen, was mir letztens jedoch auffiel, war einerseits die Strukturiertheit der Räume und dann noch die erweiterte Themenlandschaft mit der sich Die Bäckerei präsentiert. Diese geordnete Struktur hätte ich mir damals manchmal auch gewünscht, war für uns aber aus Zeit- und Ressourcengründen nie wirklich erreichbar. Dass sie das nun so umsetzen konnten, freut mich wirklich sehr und dazu kann man ihnen nur gratulieren. Was die thematische Ausrichtung betrifft, finde ich es toll, dass sich mehr und mehr Leute einsetzen und ihre eigenen Projekte unter diesem Dach und Namen umsetzen können, kann mir aber vorstellen, dass dies an einem gewissen Punkt kippen kann. Dass Die Bäckerei Gefahr laufen könnte, entweder Beliebigkeit auszustrahlen oder als „Kulturkrake“ keine Möglichkeit auslässt, jegliches Themenfeld zu besetzen. Wenn man jedoch die ganzen tollen Menschen kennt, die in Die Bäckerei involviert sind oder diese umgeben, kann man beruhigt davon ausgehen, dass diese früh genug darauf hinweisen und Der Bäckerei somit noch viele spanndende Jahre ermöglichen werden.

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Wie siehst du die Bäckerei jetzt? Hast du die letzten Monate/ Jahre noch mitverfolgt? Waltraud (im Team 2011 - 2012): Da ich aus Innsbruck weggezogen bin, habe ich die Weiterentwicklung Der Bäckerei nur recht sporadisch miterlebt. Was aber auch aus der Ferne auffiel war, dass mit ihr so etwas wie ein neuer kultureller Nährboden für andere entstanden zu sein scheint. Direkt und indirekt. Manches Projekt hatte in Der Bäckerei begonnen und verortete sich später dauerhaft an anderer Stelle in Innsbruck. Oder Die Bäckerei als Initiative wurde Inspiration für andere Neugründungen. Von außen hat man mittlerweile den Eindruck, dass Innsbruck auf (sub-)kultureller Ebene anderen Großstädten in nichts nachsteht, und das freut mich.


Hartes Brot

Die B채ckerei und ihre Finanzen von 2014

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Zukunft

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Konkrete Projekte: • Beratungsformat: offenes Format, das den Zugang zu preiswerter, nachhaltiger und professioneller Beratung im beruflichen Kontext ermöglicht (Coaching, Supervision, Gründungs- und Prozessbegleitung, Moderation, Krisenberatung bzw. ungewöhnliche Lösungen suchen)

Überlegungen: • weniger (Einzel-)Veranstaltungen, mehr Themenschwerpunkte und intensivere Vernetzung mit Kollektiven aus der Umgebung • intensive Kooperation mit der Universität – Antrag auf Forschungsförderung (FWF) – thematisch in Richtung des Beratungsformates

• Workshops: Führung und Teambuilding, hierarchiefreie Kommunikation, DIY Finanzen und Controlling, Kreative Organisation und Bricolage

Wohin wollen und sollen wir?

Kostensprung:

Nach dem wir das Haus bis jetzt mietfrei nutzen durften, wird ab dem 5. Bäckerei-Geburtstag Miete zu zahlen sein.

Woher kommt das Geld?

zukünftige Projekte:

• zusätzliches, alternatives Finanzierungsmodell finden • Fördermitgliedschaften • Sponsorensuche • neue Beschäftigungs- und Einkommensfelder

• Ausbildung in Der Bäckerei: gemeinsam mit der Universität ein außeruniversitäres Freifach erarbeiten. Thema: Soziale Innovationen als Berufsfeld • Training für Arbeitslose und Jugendliche. Thema: Veranstaltungsorganisation

Schwerpunkt: • Soziale Innovation (Labor und Katalysator) – Servicestelle aufbauen

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Mein Name ist: David Prieth Wenn ich groß bin, werde ich: integer! Mein Lieblingstier: Heuschrecke

Bäcker & Bäckerinnen Anwesend

Ich spiele am liebsten mit: Geräuschen Gerne verkleide ich mich als: Gaudibursch

Mein Name ist: Florian (Cashflow) Ladstätter

Mein Name ist: Asolcija Roma Mamaril – von allen liebevoll Soli genannt

Wenn ich groß bin, werde ich: mehr draußen sein und weniger vor dem Computer sitzen

Wenn ich groß bin, werde ich: puh... zur Zeit bin ich vom Faultier begeistert (und beneide es manchmal ...)

Mein Lieblingstier: Pinguin

Mein Lieblingstier: mir endlich einen Hund zulegen

Ich spiele am liebsten mit: Felsen Gerne verkleide ich mich als: Kaiser mit neuen Kleidern

Ich spiele am liebsten mit: Würfeln

Mein Name ist: Christina Mölk

Mein Name ist: Christoph Grud

Gerne verkleide ich mich als: hm, tu‘ ich nicht so wahnsinnig gerne ...

Wenn ich groß bin, werde ich: Doppelgänger von Jean-Luc Godard

Wenn ich groß bin, werde ich: aufräumen Mein Lieblingstier: der stumme Hund

Mein Lieblingstier: Alpaka liegend

Ich spiele am liebsten mit: Schubladen & alternativen Beziehungsmodellen

Ich spiele am liebsten mit: dem Iasobär Gerne verkleide ich mich als: ... ich bin anscheinend zu alt für den Scheiß!

Gerne verkleide ich mich als: Collage

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Mein Name ist: Margret Wassermann

Mein Name ist: Julia Scherzer

Wenn ich groß bin, werde ich: ein kleines Haus mit Garten in der Toskana haben wollen

Wenn ich groß bin, werde ich: Bestatterin Mein Lieblingstier: jedes mit netten Pfoten

Mein Lieblingstier: Fisch

Ich spiele am liebsten mit: Iason

Ich spiele am liebsten mit: Nadeln und Fäden

Gerne verkleide ich mich als: Individuum

Gerne verkleide ich mich als: Waldgeist

My name is: Baiba Dēķena

My name is: Álvaro Benitocerezo

What I want to become when I’m grown up: Joan Baez, just without Bob Dylan to break my heart

What I want to become when I’m grown up: old man My favorite animal is: bear

My favorite animal is: Fox, although I always watch fat cat videos, when I am sad

I like to play with: friends I like to dress up as: I like to dress like in the 20s

I like to play with: Words, notes and realities I like to dress up as: Overriped pumkin on cold winter days

Mein Name ist: Johanna Mölk

Mein Name ist: Alberto Sanchez

Wenn ich groß bin, werde ich: weniger zweifeln!

Wenn ich groß bin, werde ich: Kosmonaut

Mein Lieblingstier: die gelbe Sau

Mein Lieblingstier: Chamäleon

Ich spiele am liebsten mit: der Stille

Ich spiele am liebsten mit: my imaginary dog

Gerne verkleide ich mich als: verwehter Steppenroller (Tumbleweed)

Gerne verkleide ich mich als: Chamäleonaut

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Mein Name ist: Klaus Schennach Wenn ich groß bin, werde ich: weitersehen Mein Lieblingstier: Eric Burdon

Bäcker & Bäckerinnen abwesend

Ich spiele am liebsten mit: dem Gedanken Gerne verkleide ich mich als: Mitteleuropäer

Mein Name ist: Waltraud Indrist

Mein Name ist: Rafael Ludescher

Wenn ich groß bin, werde ich: klein

Wenn ich groß bin, werde ich: Papst

Mein Lieblingstier: Kaulquappenpferdchen

Mein Lieblingstier: ehrlich wie ich bin: Katze

Ich spiele am liebsten mit: der Idee der Möglichkeit

Ich spiele am liebsten mit: :D

Gerne verkleide ich mich als: ... verkleiden? nee, sowas steht mir nicht

Gerne verkleide ich mich als: Papst

Mein Name ist: Daniela Rückner

My name is: Vera Naydenova What I want to become when I’m grown up: mom

Wenn ich groß bin, werde ich: ...

My favorite animal is: cat

Mein Lieblingstier: ...

I like to play with: boys

Ich spiele am liebsten mit: ...

I like to dress up as: princess

Gerne verkleide ich mich als: ...

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kollektive, vereine & Hausgeister Die B채ckerei basiert neben Eigeninitiative, vor allem auch auf Vernetzung und Gemeinschaft. Die im Haus vertetenen Kollektive waren deshalb von Anfang an der treibende Motor der entwickelten Formate.

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DIE BIKEREI Die offene Radlwerkstatt in Innsbruck

TKI Dachverband der freien Kulturinitiativen in Tirol

STOCK EINS Coworking – Gemeinschaftsbüro

KOLLEKTVER WANDEL Künstlerkollektiv im Roten Boden

FOTOLABOR Offener Raum für analoges Fotografieren

TUN & LASSEN

Ort für analoges Werken und partizipative Projekte

MARIA VILL Atelier der bildenden Künstlerin

BILDING Kunst-und Architekturschule für Kinder und Jugendliche

BIENENHAUS Projekt zur Förderung der Bienenvolkbestände

ELI

DACHGARTELN Gemeinschaftsgarten auf Der Bäckerei

WERKSTATT COUCH Offene Werkstatt für Handwerker*innen, Designer*innen und Bastler*innen

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Grafik Bäckerei Modell: Alexander Schuierer Stand: Frühjahr 2015

Atelier und DIY-Projekte


1. Stock

2. Stock, Dachgarten

Erdgeschoss

Hรถtting

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Text: Stefan Österreicher, Fotos auf den folgenden Seiten: Toni Schade, Sonaar

Viele Kollektive erfahren in der Anfangsphase ein rasches Wachstum. Was als loser Zusammenschluss mehr oder weniger Gleichgesinnter beginnt, nimmt immer konkretere Formen an, gewinnt an Struktur und an Dynamik. Unter Umständen, und dies ist durchaus wünschenswert, kann die Aktivität eines Kollektives oder einzelner Mitglieder basierend auf den gesammelten Fähigkeiten, Fertigkeiten und Erfahrungen in eine Erwerbstätigkeit übergehen. Die Kollektive können so als Open-Source-Organisationen verstanden werden, in denen Fähigkeiten entwickelt, erprobt, geteilt und frei weitergegeben werden. Sie haben eine Empowerment Funktion und können im Sinne Diese strukturierende Kraft wirkte sich nicht nur im über- einer neuen Arbeitskultur, über ihre soziale und kulturelle tragenden Sinn aus, vielmehr wurde der Raum auch phy- Dimension hinaus, Räume und Möglichkeiten des Existiesisch verändert, angepasst und weiterentwickelt, z.B. durch rens, auch im ökonomischen Sinne, erschließen. den Umbau und die Erschließung der Räumlichkeiten im Auf den folgenden Seiten stellen sich die Kollektive selbst ersten Stock durch das Kollektiv Roter Boden. näher vor. Eine Stärke der Kollektive ist, dass sie gut mit Chaos umgehen können, denn sie sind selbst als offene Gruppen stets im Wandel. Dieses kreative Chaos spielt wahrscheinlich sogar eine wesentliche Rolle als Motor für ihre Entwicklung.

Von allen Formaten, die sich in Der Bäckerei entwickelt haben, spielten die Kollektive von Anfang an eine Schlüsselrolle. Als sich der Raum in der ehemaligen Therese Mölk Bäckerei öffnete, wurde er zuerst von Gruppen gefüllt, die für die Umsetzung ihrer konkreten Ideen und Bedürfnisse einen Ort und einen Platz brauchten. Durch das Angebot des Raumes konnten diese Ideen Gestalt annehmen. Gleichzeitig strukturierten die Kollektive den Raum und wirkten so einer potenziellen Überforderung entgegen, die in einem völlig freien und unprogrammierten Rahmen leicht entstehen kann.

Im Kollektiv trifft der Einzelne auf eine Gruppe, die Umsetzung der Idee in der Gruppe macht aus dem Hobby ein Gemeinschaftsprojekt. Die Tätigkeit ist dabei mehr prozessorientiert als produktorientiert – es geht in erster Linie darum, etwas gemeinsam zu tun. Diese Gemeinschaftserfahrung bietet eine Alternative zu dem im kapitalistischen System der Gegenwart vorherrschenden Einzelkämpfertum, das auf Wettbewerb, Exklusion und Konsum ausgerichtet ist. Bei vielen Kollektiven geht es nicht zuletzt auch um Re- oder Upcycling bzw. um die eigene Herstellung von Gebrauchsgegenständen. Beispiele dafür sind die Bikerei, die WerkStatt Couch oder das Dachgarteln. Durch das Angebot eines kostengünstigen, offenen Raumes sind die Kollektive bei der Umsetzung ihrer Visionen von den sonst üblichen wirtschaftlichen Zwängen weitgehend entlastet. Sie müssen nicht sofort funktionieren, brauchen keinen konkreten „Geschäftsplan“, sondern bleiben offen für Entwicklung, können sich leisten, zu experimentieren und Fehler zu machen. Diese Fehlertoleranz begünstigt ihre Entwicklung, denn aus Fehlern lässt sich nun einmal hervorragend lernen.

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„Fehlertoleranz begünstigt Entwicklung, denn aus Fehlern lässt sich nun einmal hervorragend lernen.“


INFO ZUM MITMACHEN Seit der Entstehung der Bäckerei haben sich die in ihr ansässigen Kollektive beständig verändert und erweitert. Bei Interesse zur Mitarbeit, setze dich bitte mit der jeweiligen Initiative in Verbindung.

SEI DABEI

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Die Bikerei

Bienenhaus

Maria Vill

Die offene Radlwerkstatt in Innsbruck

Projekt zur Förderung

Atelier der bildenden Künstlerin

www.bikerei.org

der Bienenvolkbestände

www.mariavill.at

radlwerkstatt@gmail.com

www.rentabee.eu

maria.vill@hotmail.com

Eli

Ort für analoges Werken

Kollektiver Wandel

und partizipative Projekte

Künstler*innenkollektiv im Roten Boden

hackstation.av@gmail.com

www.diebaeckerei.at

www.kollektiver-wandel.com

www.facebook.com/bikerei.innsbruck

TUN & Lassen

Atelier und DIY-Projekte

tunundlassen@diebaeckerei.at

STOCK EINS

TKI

Werkstatt couch

Coworking – Gemeinschaftsbüro

Dachverband der freien

Offene Werkstatt für Handwerker*innen,

www.diebaeckerei.at

Kulturinitiativen in Tirol

Designer*innen und Bastler*innen

coworking@diebaeckerei.at

www.tki.at

www.werkstattcouch.at

office@tki.at

info@werkstattcouch.at

www.facebook.com/tki.kultur

Dachgarteln

Bilding

Fotolabor

Gemeinschaftsgarten auf Der Bäckerei

(inzwischen in den Rapoldipark übersiedelt)

Offener Raum für analoges Fotografieren

www.diebaeckerei.at

Kunst- und Architekturschule für

www.diebaeckerei.at

dachgarteln@diebaeckerei.at

Kinder und Jugendliche

baeckereifoto@gmail.com

www.bilding.at, info@bilding.at www.facebook.com/bilding.Kunstund Architekturschule

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DIE BIKEREI

Die offene Radlwerkstatt in Innsbruck Die Idee zu und den Wunsch nach einer gemeinschaftlichen Radlwerkstatt in Innsbruck (wie in anderen Weltstädten) hatten die unprofessionellsten Fahrradmechaniker der Stadt schon länger, genauer gesagt im Jahre 2010. Möglich wurde es dann erst, nachdem man den benötigten Raum in Der Bäckerei zur Verfügung gestellt bekam (damals noch im nördlichen Teil der Halle). Dieser Raum war vermutlich die frühere Umkleide/Toilette/Dusche der ehemaligen Großbäckerei und so mussten erst einmal Wände und Kloschüsseln herausgerissen werden, bevor wir mit Werkzeug und Ersatzteilen einziehen konnten. Sach-, Geldspenden und Werkzeugleihgaben kamen von vielen Privatpersonen, Unternehmen und Institutionen und man hatte bald das nötige Werkzeug, eine praktische Werkstatteinrichtung und einen passablen Ersatzteilfundus parat, um den größten Teil der anfallenden Reparaturen durchzuführen. Wie Die Bäckerei selbst, ist auch die Bikerei gewachsen. Dies bringt natürlich neue Herausforderungen mit sich. Der organisatorische Aufwand ist größer, es kommt regelmäßig eine Vielzahl von Leuten und auch die Absprachen mit anderen Veranstaltungen in Der Bäckerei müssen genauer geplant werden. Die zahlreichen Veranstaltungen aller Art bringen aber auch einen schönen Nebeneffekt. Nicht selten verirren sich Fans der klassischen Musik, Kinder, die ungeduldig auf den Beginn des Theaters warten, oder Workshopteilnehmer*innen in den hinteren Teil Der Bäckerei und schauen den Schraubern neugierig auf die Finger. Heute zählt die Bikerei 25 aktive Mitglieder und findet – wie gehabt – immer Dienstags von 17 bis 21 Uhr statt. Zusätzlich sind die Bikereimitglieder auch auf dem Marktplatz (Stadtwerkstatt), vor dem Landesmuseum (Werkstatt der Grünen), aber auch in Flüchtlingsheimen (Räder reparieren) und in Volksschulen (Reparaturkurs) zu finden. Abgerundet wird das Ganze durch Vereinsausflüge und die legendäre Weihnachtsfeier im Burenwirt in Hötting.

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Reparaturtipps für Radler*Innen Schläucheflicken ist ein altes und bewährtes Verfahren. Es liefert sehr zuverlässige Ergebnisse, wenn es korrekt durchgeführt wird: * Wähle den Flicken passend zur Größe des Lochs.

Zwei mögliche Fehler führen zu fehlerhaften Flick-Ergebnissen:

* Benutze das Schmirgelpapier, welches mit dem Flickset mitge liefert wurde, um die Oberfläche rund um das Loch aufzurauen. Raue die Oberfläche so lange auf, bis sie nicht mehr glänzt. Wenn unter der aufzurauenden Fläche eine Klebekante verläuft, muss diese komplett herunterge­schmirgelt werden, da sich sonst ein Luftkanal unter dem Flicken bilden kann. Vermeide es, die aufgeraute Fläche mit den Fingern zu berühren.

1. Der Schlauch wurde nicht genügend aufgeraut. 2. Der Flicken wurde aufgesetzt, bevor die Gummilösung ganz durchgetrocknet war.

* Setze eine Klecks Gummilösung auf diese Fläche und verteile die Lösung mit deinem saubersten Finger zu einem dünnen Film. Dabei solltest du schnell arbeiten, denn sonst riskierst du, dass der Film klumpig wird. Je dünner der Film ist, desto schneller wird die Lösung trocknen. * Warte ab, bis die Gummilösung komplett durchgetrocknet ist. * Ziehe die Silberfolie von der Rückseite des Flickens ab und drücke den Flicken fest auf die Stelle mit der Gummilösung auf. * Ein wenig pressen und warten und du bist fertig! Wenn du dieser Anleitung genau folgst und gutes Material benutzt, sollte der geflickte Reifen fast wie neu sein.

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TKI

Dachverband der freien Kulturinitiativen in Tirol Die TKI – für unabhängige zeitgenössische Kulturarbeit: • vertritt kulturpolitische Interessen • bildet Netzwerke, • bündelt Kompetenzen und vermittelt Wissen. Die TKI (gegründet 1989) versteht sich als aktives Netzwerk von mehr als 100 unabhängigen Kulturinitiativen. Deren Vielfalt spiegelt die Bandbreite der zeitgenössischen Kulturarbeit in Tirol wider. Arbeitsschwerpunkte der TKI sind u.a. Kulturpolitik, Beratung und Service für ihre Mitgliedsinitiativen, Fortbildungsangebote für Kulturschaffende, Stärkung regionaler Kulturarbeit, Jugendkultur und Projekte wie TKI open und #fresh culture. Seit Herbst 2010 ist Die Bäckerei Mitglied der TKI und umgekehrt hat die TKI ihre Homebase in Der Bäckerei – eine gute Verbindung, wie wir finden!

Unser Praxistipp Get connected!

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STOCK EINS COWORKING Gemeinschaftsbüro

Wenn Kompetenz die Summe aller Fähigkeiten ist, steigt sie mit der Zahl an Personen. Je ungleicher die Beteiligten, desto breiter die Palette an Fertigkeiten. Diese einfache Rechnung dient STOCK EINS, um Netzwerke zu erzeugen. Der Coworking-Space soll nicht der modernen Form des flexiblen Arbeitens Raum geben, sondern Fähigkeiten bündeln, markieren und nutzen. Unser Konzept basiert nicht auf dem Glauben, dass möglichst viele Menschen aus der Kreativbranche gemeinsam in einem Raum den größtmöglichen Output erzielen. Vielmehr sollen unterschiedliche Sparten nebeneinander agieren, um unterschiedliche Perspektiven zu besetzen. Dabei gibt es keine vorgegebene Zielgruppe. STOCK EINS will durch Kollision, Bündelung und Markierung von Arbeits- und Denkweisen ein Bewusstsein erzeugen, das artfremde Gedankenmodelle implizieren kann, disziplinenübergreifend denkt und neue Fähigkeiten ausbildet. Gemeinsame Arbeitsräume, Kaffeepausen und Gespräche lockern den Alltag auf und führen zu neuen Ideen, Verbindungen und Projekten. Im Coworking Space stehen 15 Plätze samt Drucker, Internetzugang und Selbstbe­ dienungsbereich im Café Der Bäckerei-Kulturbackstube bereit.

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KOLLEKTIVER WANDEL

Künstler*innenkollektiv im Roten Boden Hallo erstmal... Wir stellen uns vor: Kollektiver Wandel, sehr angenehm!

Die Zukunft

Wir heißen: Anna Lerchbaumer, Elisabeth Pletzer, Lisa Saurer, Melanie Frauenhoffer, Michiko Kobayakawa, Stefan Wirth, Yvonne Neyer und, nicht zu vergessen unser Toni Wandler. Wir sind ein Zusammenschluss von Macher*innen aus Mode, Kunst, Architektur und Design.

Wie werden wir uns weiterentwickeln? Wissen wir nicht. Wo sind wir heute in einem Jahr? Wissen wir nicht. Wir machen einfach mal. Das macht es für uns spannend und anstrengend – aber es gibt uns auch Schwung und Motivation unsere Ziele zu verfolgen und neue zu suchen ... Das Spannende an unserem Kollektiv ist, dass jeder seine künstlerische Besonderheit dazu gibt und sich selbst dadurch weiterentwickeln kann. Die kreativen Elemente – Mode, Architektur, Kunst oder Design – ermöglichen es uns Neues auszuprobieren, ohne dass man in einer bestimmten Richtung gefangen ist. Das möchten wir uns bewahren und von hier wollen wir losgehen ...

Unser Kollektiv setzt sich aus hochmotivierten, interessierten Leuten zusammen, die beschlossen haben, gemeinsam etwas zu bewegen – vielleicht kann uns das schon am besten beschreiben. Wir haben uns zusammengetan, um uns gegenseitig Unterstützer*in, Kritiker*in, Inspirator*in und Weggefährt*in zu sein – in Gruppenprojekten und bei der Arbeit jeder*s Einzelnen. Dabei bietet uns unsere Bandbreite an Professionen eine weite Spiel- und Reibungsfläche und die Chance zusammen zu gestalten. Wir sind die sammelnd Gehenden – wir sind gemeinsame Veränderung...

Wer gerne auf dem Laufenden bleiben, unsere Projeke verfolgen oder erfahren möchte, was die Wandler so im Einzelnen oder gemeinsam tun, ist herzlich eingeladen, uns auf unserer Homepage kollektiverwandel.com zu besuchen. News, Artikel zu Themen, die uns beschäftigen, und was wir sonst noch so auf unserem gemeinsamen Weg sammeln, erfahrt ihr auf unsrem Blog kollektiver-wandel.at oder kommt uns analog im ersten Stock Der Bäckerei besuchen.

„Allem Anfang wohnt ein Zauber inne“ Und wie es einem Anfang gebührt, möchten auch wir nicht versäumen, unseren Gründungsmythos zu verbreiten: Am Anfang war der Ort: Der zweite Stock in Der Bäckerei. Nicht zu vergessen natürlich unsere Vorgänger*innen – der Rote Boden, die uns ihre Räumlichkeiten vertrauensvoll übergeben haben und deren gutes Klima diesen Ort trägt. Tröpfchenweise sind wir an diesen Ort gekommen, haben uns eingerichtet, kennengelernt, ausgetauscht und angefreundet.

Wir freuen uns, Euer Kollektiver Wandel

Die Henne und das Ei Mit der Initiative von Lisa, gemeinsam eine Ausstellung zum Thema „Angst“ auf die Beine zu stellen, war der erste Schritt hin zu einem Kollektiv getan. Sofort schlossen sich 3 weitere aus dem Atelier an, jeweils eigene Positionen zum gemeinsamen Thema zu erarbeiten. Das Diskutieren, Träumen, Philosophieren, Basteln und Arbeiten im Atelier führte an einem langen Abend etwa zwei Wochen vor der Vernissage am 4. Juni zu dem Wunsch, uns schließlich auch als Gruppe zu begreifen und uns einen Namen zu geben. Oder war zuerst der Name und die Gruppe folgte automatisch? Kaum zu sagen – so groß war von allen das Einvernehmen, die gegenseitige Unterstützung bei der Ausstellung und die Begeisterung, gemeinsam neue Wege zu beschreiten. 56


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FOTOLABOR

Offener Raum für analoges Fotografieren Text: Daniel Jarosch

Ich kann nur von mir reden. Ich hab Fotografie digital gelernt und arbeite digital und bin heilfroh um die geilen Möglichkeiten, die mir die Kombination Kamera-Computer bietet. Die meisten Bilder, für die ich Geld bekomme, schick ich übers Netz. Sie tauchen dann in Zeitungen, Zeitschriften, Katalogen, auf Flyern oder Plakaten, auf Smartphones, Tablets oder High-End-Grafikmonitoren wieder auf. Manchmal werden sie irgendwohin gebeamt. Es ist immer das Die gesamte Infrastruktur, die ihr heute sehen und nutgleiche Bild, oder? Im Englischen gibt es zwei Begrifzen könnt, musste aus dem alten Gebäude herausgeschält fe: image und picture. Ich unterscheide gerne zwischen werden. Als der Laden dann langsam Gestalt annahm und den zwei Wörtern beim Gscheid-daherreden. Was anfing zu laufen, war es Zeit für Klaus, einige Aficionados gleich bleibt ist das image. Das image war eventuell und Dilettanten zusammenzutrommeln und Plan A weischon in meinem Kopf, bevor ich überhaupt abgeterzuverfolgen. Die Uni ließ ihr Fotolabor auf und gab das drückt hab. Das image zieht sich durch, vom BildsenEquipment her. Dafür wurde vereinbart, dass die Wenigen, sor meiner Kamera bis zum Fine-Art-Print im die analog arbeiten wollen, weiter die Möglichkeit dazu Guggenheim Museum, dem Ding an der Wand im haben würden. Klaus, Michi, Rudi, Patrick und ich karrWarteraum deiner Zahnärztin, dem Titelbild deiner ten Vergrößerer, Entwicklerdosen, Schalen, Zeitschalter, Veranstaltung auf Facebook oder auf dem FotokalenKornfinder und all den Stuff halt, den man so braucht, aus der für deine Oma. Aber es sind überall verschiedene unserem Privatfundus an. Klaus (der Geschickteste) baute pictures unterwegs. Ich spreche von der harten Realität Heizung und Rotlicht ein, wir rückten dem Schimmel zu der Materie – prakriti wenn ihr’s esoterisch wollt. Leibe und jetzt gibt es sie, die Dunkelkammer – hinten im Wenn du analog arbeitest, sind selbstverständlich ersten Stock. Es wird dort gearbeitet und produziert. Fast auch images im Spiel. Aber am Ende hast du ein pic100 Leute haben inzwischen an den regelmäßigen Workture in der Hand – ein Objekt! Du hast es von Anfang shops teilgenommen und können dort selbstständig arbeibis Ende selbst gemacht – jetzt kannst du es angreifen. ten, Künstler*innen produzieren Ausstellungsbilder und Es ist wie von Zauberhand im roten Licht der Dundie Uni veranstaltet Seminare. kelkammer langsam auf dem Papier erschienen! Sorry! Das image erscheint! Aber das, was du zum TrockAber warum überhaupt analog? Retro-Romantik? Oder ist nen aufhängst und was dann in der Tate Gallery oder es wirklich relevant, dass die Anzahl der chemischen Bildin der WG am Kühlschrank hängt, ist das Bild als punkte auf dem Film die stets wachsende Zahl an Pixeln in picture! Vielleicht ist es wertvoller als die paar Megaden Sensoren der Kameras immer noch bei weitem überbyte auf dem Stick? steigt? Schau ich genauer vor dem Knipsen, weil der Film so teuer ist? Ich kann doch immer genau schauen, auch Für dich selber mit Sicherheit. wenn 157 x Abdrücken nur ein bisschen Akku kostet? Das Fotolabor war von Anfang an geplant. Als Die Bäckerei noch ein reines Hirngespinst von Christina, Klaus und Christoph war, war das hintere Zimmer im ersten Stock bereits als Fotolabor reserviert. So hat es mir Klaus Schennach erzählt, der selber ein super Fotograf und der eigentliche Initiator Der Bäckerei-Dunkelkammer ist. Vieles hatte dann Vorrang.

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Fotobelichtung einer Wand

Eine Antwort auf Daniels Frage „Warum analog?“ könnte in folgendem Praxisbeispiel liegen. Text und Foto: Michael Haupt

chen Emulsionen auch zur Selbstverarbeitung an. Nun gut, ich setzte mir also zur Aufgabe, ein im Haus aufgenommenes Bild auf eine der Wände zu belichten. Vielleicht gebe ich an dieser Stelle eine kurze, vereinfachte Beschreibung, wie ein Bild vom Negativ zum Positiv wird (üblicherweise auf Papier, in diesem Fall auf einer Wand): Das Negativ wird in den Vergrößerer gelegt, der ein vergrößertes Lichtbild auf ein lichtempfindliches Papier (oder irgendein sonstiges Ding) für eine bestimmte Zeit, die vorher ausgetestet werden muss, projiziert. Anschließend kommt das Papier in ein Entwicklerbad, wo nach einer gewissen Zeit das Bild sichtbar wird. (Ich verzichte hier auf die genaue Beschreibung der chemischen Vorgänge). Dieses Bild muss dann in einem weiteren Bad fixiert werden,

2012 machte der Kulturverein Inzing in künstlerischen Interventionen auf die Notwendigkeit von offenen Kulturräumen auch am Land aufmerksam – mit ähnlichen Gedanken wie die Gründungseltern Der Bäckerei im Kopf. Konkretes Ziel dieser Veranstaltungsreihe war (und ist nach wie vor) die Widmung des Wegmacherhauses, eines alten baufälligen Hauses inmitten Inzings als Kulturort. In einer dieser Interventionen setzte ich mir zum Ziel, eine Wand im Haus mit fotografischen Mitteln zu bearbeiten. Zwischenfrage: Was macht die Industrie mit den Fotopapieren, die im Labor mit Negativen belichtet und dann in den verschiedenen Chemiebädern zum fertigen Bild werden? Die Industrie gießt eine lichtempfindliche Emulsion auf Papier. Und die Industrie bietet diese lichtempfindli62


ja schon auf die inzwischen lichtempfindliche Wand eingestellt. Das hieß noch einmal die Wand abhängen, damit bei der Testbelichtung auf den Karton nicht etwa schon Licht auf die Wand käme. Der Test brachte eine Belichtungszeit von 24 min bei Blende 16 hervor.

wo im Grunde die bis jetzt unbelichteten Stellen im Bild (also da, wo es weiß ist), unschädlich gemacht werden, sodass nachher, wenn das Bild wieder dem Licht ausgesetzt wird, nichts mehr passiert. Und in einem letzten Schritt muss die ganze Chemie auch wieder mit normalen Wasser herausgewaschen werden. Ach ja, und der Großteil dieser Aktivitäten muss im Dunkeln bei maximal Rotlicht, gegen das die Emulsion unempfindlich ist, durchgeführt werden, also in der klassischen Dunkelkammer, so wie man das kennt.

Jetzt ging es ans Entwickeln. Dazu habe ich den Entwickler in einen Pflanzendrucksprüher gefüllt und auf die Wand gesprüht. Falls das jemand nachmachen will: Der Entwickler war stärker verdünnt als sonst, damit der Entwicklungsprozess länger dauert und man bei Überbelichtung reagieUnd damit sind wir schon beim ersten Problem, das sich ren und den Prozess stoppen kann. Die Chemie rann schön mir im Wegmacherhaus stellte. Der Raum, den ich mir für über die Regenrinne in einen Kübel und langsam aber simein Vorhaben aussuchte, war ein Holzzubau, der auf den cher kam ein Bild hervor. Mit der restlichen Chemie und ersten Blick recht dunkel aussah und auf den zweiten Blick dem Wässern bin ich gleich vorgegangen. Und dann war voller Ritzen war, durch die Licht hineinkam. Also erster da ein Bild auf der Wand. An einigen Stellen konnte man Schritt, das ganze Zimmer gegen Lichteinfall abdichten, sehen, dass die Emulsion nicht überall aufgebracht war, so was ein ziemlich langwieriger Prozess war, der immer wie- wie man das vom Zimmer-Ausmalen kennt, wenn die Farder von vorn anfing, da nach längerer Zeit im Dunkeln da be nur auf einer Seite der Rolle war und dann Querstreifen auf der Wand sind. Aber alles in allem und besonders der eine und dort der andere Lichteinfall gesehen wurde. Die zweite Frage, mit der ich mich auseinandersetzen an den bildentscheidenden Stellen kam das Bild richtig musste, war, wie ich die Wand in ein ausreichend großes gut hervor. Und nun abschließend die rhetorische Frage: Entwicklerbad tauchen konnte. Naja, so eine Wand ist eher Warum analog? Am digitalen Weg müsste man die Wand etwas unhandlich. Also den umgekehrten Weg, das Bad auf wahrscheinlich durch einen Drucker durchschicken oder die Wand bringen. Aber so eine Wand ist ja in der Regel mit einer Fototapete tapezieren. Antwort genug? stehend, d.h. die Chemie rinnt herunter auf den Boden, was jetzt auch nicht gerade die super Sache ist, wenn man dann die Füße im Entwickler badet. Meine Lösung war die Anbringung einer Plastikregenrinne, mit Silikon auf die Wand geklebt und damit gleichzeitig abgedichtet. Von dort konnte die Chemie dann in einen Kübel abrinnen. Infos: Dann war endlich das Vergrößerungsgerät eingerichtet und die Chemie zusammengepanscht. Als nächster Schritt wegmacherhaus.at musste die Emulsion auf die Wand aufgebracht werden, hier gibt es eine kleine Filmdoku was dann unter Rotlicht passieren musste. Die Emulsion von Philipp Umek zu diesem Projekt ist geleeartig und muss zuerst in einem warmen Wasserbad fotoimpex.de verflüssigt werden, was anfangs nicht recht gelingen wollte. eine Adresse, wo man flüssige Mit einer Malerrolle brachte ich dann die Emulsion auf Emulsionen kaufen kann die Wand auf, wobei man nicht genau sehen konnte, wo schon überall etwas davon auf der Wand drauf war. An den fotofachversand.at und eine österreichische Adresse dazu Unebenheiten der Wand versuchte ich mich dann zu orientieren und mir die Stellen zu merken, an denen ich zuletzt „gemalt“ hatte. Beim Ergebnis, um das vorwegzunehmen, sah man glücklicherweise nur an einer nicht entscheidenden Stelle, dass dort zu wenig Emulsion gelandet war. Ich hab es vorher schon erwähnt, beim Belichten von Fotos muss man austesten, wie lange das Fotopapier dem Licht ausgesetzt werden muss. In der Dunkelkammer schneidet man Streifen vom Fotopapier und belichtet diese unterschiedlich lang, um so die richtige Zeit zu ermitteln. Eine Wand in Streifen zu schneiden, ist ähnlich schwierig wie sie in ein Chemiebad zu tauchen. Also hab ich einen Karton mit derselben Emulsion angestrichen und daran die Belichtungszeit ausgetestet. Aber das Vergrößerungsgerät war 63


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TUN & LASSEN

Ort für analoges Werken und partizipative Projekte Der Grafikraum TUN & lassen soll als ein Ort für analoges Werken und partizipative Grafik/Kunstprojekte viel schönes Handgemachtes hervorbringen.

Und Die Bäckerei-Jahreskalender mit monatlicher TUN & lassen Liste zum Ausfüllen auf der Rückseite gabs zum Jahresbeginn.

Im ersten Jahr sind in Zusammenarbeite mit 7 Innsbrucker Näher*innen handgenähte & handbedruckte Leiberln aus Fairtrade-Produktion entstanden. Beim Linoldruckworkshop konnten Postkarten bedruckt, mit einer Nachricht für die Lieben zu Hause beschrieben und gleich in den Postkasten vor Ort aufgegeben werden.

Wir wollen auch mit und für euch Tun & lassen und freuen uns deshalb immer über Anfragen zu analogen Grafik­projekten. TUN! Simone Höllbacher, Christina Mölk

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MARIA VILL

Atelier der bildenden Künstlerin Die Künstlerin Maria Vill wurde 1956 in Lienz geboren. Seit 1991 setzt sie ausschließlich Arbeiten um dem Großbuchstaben A um. Weitere selbstauferlegte Einschränkungen sind das Quadrat als Grundformat und die Farbe Weiß als ausschließliche Produktionsfarbe. Maria Vill lebt und arbeitet in Innsbruck und Amsterdam.

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Die Bäckerei – ein Bild 2000 zog ich hier ein Alles leer und still Ab und zu ein Wassertropfen Mit den Jahren Wassertropfen über Wassertropfen Kübel im Atelier Pfützen in Der Bäckerei Desolat 2010: Idealisten tauchten auf Kübel verschwanden Pfützen verschwanden Umbaugeräusche Und dann die Stimmen, viele Stimmen, hunderte Stimmen: Eröffnung Bald schon Veranstaltung über Veranstaltung Am Abend Bewegungen in gelbbrauner Schattierung Untertags hell, bunt, turbulent, international Die Bäckerei kennt viele Orte Die Bäckerei hat viele Orte Ihr Bild abstrakt und konkret zugleich Spannend…… &und……

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BILDING

Kunst- und Architekturschule für Kinder und Jugendliche bilding bietet Raum zur Erforschung und Auseinander­ setzung mit Malerei, Skulptur, Architektur, Design und Medienkunst durch und für Kinder und Jugendliche. In kontinuierlichen, aufbauenden, entwicklungsbegleitenden und kostenlosen Programmen werden Kinder und Jugendliche von Künstler*innen und Architekt*innen im Auf- und Ausbau ihrer künstlerischen Interessen und Talente begleitet und individuell unterstützt. Ziel ist es, Fantasie und Ausdrucksmöglichkeiten zu fördern und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Gestaltungskompetenzen zu entwickeln. bilding fand in seinen Anfängen in und mit Der Bäckerei Raum und Räumlichkeiten, um als Kunschtschule anzufangen. Viel ist seither passiert. Auf unserer 5-jährigen Wanderschaft haben wir uns von einem Raum zum anderen durch Das Bäckerei-Labyrinth hindurch bewegt. Sind kurz mal aus Der Bäckerei heraus bei Charly in Wilten eingezogen und auch wieder zurückgekommen. Und im letzten Jahr konnten wir uns ganz mit der Planung einer „Welt“-Reise beschäftigen, die wir nun, mit ausreichend Reisegepäck versorgt, antreten. Örtlich gesehen ist unser Reiseziel nur einen Katzensprung von Der Bäckerei entfernt, aber für uns ist der neue Standort im Rapoldipark ein Traumziel, an dem wir uns nun ganz niederlassen und einrichten und für junge kreative Reisende Tür und Tor öffnen werden.

Lola, 10 Jahre

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2015 ist bilding in den Rapoldipark übersiedelt Foto: Günter Richard Wett

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BIENENHAUS

Projekt zur Förderung der Bienenvolkbestände Das jüngste in unserem Haus angesiedelte Kollektiv ist gleichzeitig das mitgliederstärkste – über 10 000 Bienen waren 2015 fleißig für und um Die Bäckerei unterwegs. Dabei schaute nach zwei Monaten nicht nur ein riesiges Glas leckerer Dreiheiliger Honig heraus, sondern es profitierten natürlich auch die Blütenpflanzen Des Bäckerei-Dachgartens und der Nachbarschaft von der Bestäubungsarbeit der Carnica-Bienen. Vor diesen umtriebigen Kärntner*innen muss man sich im Übrigen nicht fürchten, sie sind für ihr außergewöhnlich sanftmütiges Wesen bekannt und stechen nur zu, wenn sie sich in einer lebensbedrohlichen Lage sehen (z. B. durch auf sie herabsenkende Menschenfüße oder -hintern).

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Wer darüber nachdenkt, sich selbst summende Mitbewohner*innen zuzulegen, kann sich über www.rentabee.eu informieren und einen Stock inkl. Volk anfragen. Das Konzept für die Leihbienen wurde in Kärnten entwickelt und ist ein Beitrag zur Erhaltung der schwarzgelben Sympathieträger*innen, deren rapides Schwinden aufgrund von eingeschleppten Milben, fehlenden Nistplätzen, Monokulturen und industrieller Schädlingsbekämpfung eine Gefahr für das gesamte Ökosystem darstellt. Ab dem Frühjar wird sich Fotograf und Imker Daniel Jarosch wieder um ein neues Bienenvölkchen bemühen.


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ELI

Atelier und DIY-Projekte Eli ist der Inbegriff des Do-It-Yourself Künstlers: reparieren, transformieren, subversieren. Mit verschiedensten Materialien (u.a. Gummi, Metall, Stoff ) kreiert er ein breites Spektrum an Kunst- und Gebrauchsgegenständen. Eli ist ein Rebell der alten Schule, der gelebten Individualismus mit seinem ausgeprägten Gemeinschaftssinn verbindet. Eli lebte anfangs in Kuba und inzwischen seit 17 Jahren in Europa. Er studierte erst Kunst und Elektronik und absolvierte anschließend weitere Ausbildungen in Richtung Spenglerei und Glaserei.

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DACHGARTELN

Ein Gemeinschaftsgarten mit Hürden, Etappen, Gemüse und Blumen. Text: Christoph Grud

Gott sei dank gab es aber schon vorbereitete kleine Kistenbeete, die von der Being-Urban-Week bepflanzt wurden. Man musste sich jetzt nur mehr um die Kisten und die Pflänzchen kümmern. Nur wer ist man? Da kam wieder die fehlende Gemeinschaft ins Spiel, bzw. konnten sich die 3 Leute, die sich bereit erklärten den Garten kurzfristig zu adoptieren, wieder mangels Zeit, nicht ausreichend um ihn kümmern.

Der Start für den Dachgarten war im Mai 2014. Dieser lief im Zuge der Being-Urban-Weeks, die in Der Bäckerei als Veranstaltung abgehalten wurden und unterschiedliche städtische Bottom-up Interventionen zum Thema hatten. Da ein Gemeinschaftsgarten genau so ein Bottom-up-Projekt ist, haben wir uns kurzfristig entschlossen, ihn auf unserer Dachterrasse zu starten, da diese Fläche nicht benutzt wurde und sich ideal dafür anbot. Gesagt getan. Wir gaben uns 2 Wochen Zeit und der Plan war, die zukünftigen Benutzer*innen in den Planungsprozess miteinzubinden. Dieser in der Theorie sehr gute Plan scheiterte leider kläglich mangels unterschiedlicher Faktoren. Es ließen sich so schnell natürlich keine langfristigen Benutzer finden. Ohne Benutzer war natürlich auch deren Involvierung in den Planungsprozess nicht möglich. Und da kein Planungsprozess da war, wurde die ganze Dachgartengestaltung zu einer Ego-Show, die natürlich weit länger dauerte als die geplanten 2 Wochen. Der Faktor Zeit war ausschlaggebend, um die Ego-Show noch mehr zu fördern. ... denn je weniger Zeit, desto mehr Stress und desto weniger will man sich auf einen Prozess einlassen. 2 Monate später war der Dachgarten dann fertig und es war Mitte Sommer. Ein idealer Zeitpunkt, um mit dem Pflanzen zu beginnen.

Aber zum Glück kann man ja aus Fehlern lernen. Die 2. Saison, also dieses Jahr 2015, haben wir dann im Jänner mit einem Aufruf gestartet, um langfristige Benutzer zu finden. Dies funktionierte eigentlich recht problemlos und einfach. Auch die ersten Treffen waren schon recht befruchtend, da sie zentral, also von mir, koordiniert wurden. Sobald dann aber einstimmig die hierarchielose Struktur beschlossen und eingeführt wurde, kam der Prozess wieder etwas ins Stocken. Manche stiegen generell aus, da es ihnen einfach zu unstrukturiert war und sie gerne Aufgaben verteilt gehabt hätten, anstatt sich zu überlegen, was man in Summe alles dafür braucht und das gesamte Bild des Dachgartens und der Gemeinschaft zu sehen. Andere haben sich organisiert und den Garten zum Leben erweckt.

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Aufbau Dachgarten 2014

Nun blüht und wächst er. Leider kam man heuer durch die zu zahlreichen heißen Sonnentage einfach nicht mit dem Gießen nach und viele der empfindlicheren Pflanzen verdorrten. Aber der Garten steht, eine kleine Gemeinschaft hat sich organisiert und man wird auch aus diesen Problemen lernen und darauf reagieren. Der nächste Frühling kommt bestimmt und wenn auch du Lust verspürst und vor allem Zeit dafür hast, dann bist du herzlich eingeladen, dich als neues Mitglied zu melden und Dachgärtler*in zu werden. Weitere Infos und Kontakt findest du auf unserer Webseite: www.diebaeckerei.at/dachgarteln.html Das Gemüse sei mit dir!

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Foto: Junge Uni Innsbruck


WERKSTATT COUCH Offene Werkstatt für Handwerker*innen, Designer*innen und Bastler*innen WerkStatt Couch hat es sich zum Ziel gesetzt, handwerklichen Freiraum zur Verfügung zu stellen. Das bedeutet, jeden Samstag von 10-18 Uhr bekommt jede*r die Möglichkeit, mit uns eine voll ausgestattete (Holz-)Werkstatt zu nützen und den Ideen freien Lauf zu lassen. Wir sind eine Handvoll Macher*innen mit sehr unterschiedlichen Fähigkeiten, die sich ständig weiterentwickeln. Abwechselnd stehen euch zwei von uns zur Beratung zur Verfügung und helfen euch, wenn ihr mal nicht mehr weiter wisst. Egal ob Design, DIT (Do-it-together), Bastel-Basics oder einfach nur einen Kaffee inklusive Fachgesimpel in der selbstgebauten Küche, für uns ist eine nachhaltige Auseinandersetzung mit Material und Werkstück besonders wichtig. Altes oder Müll reparieren, renovieren oder wiederverwenden sowie Wissen von (lokalen) Materialien und einer zeitgemäßen Anwendung stehen an oberster Stelle. Um all dies umzusetzen, haben wir im Hinterstübchen Der Bäckerei in der Höttingergasse 32 einen wundervollen Ort gefunden. Experimente und Austausch findet ihr unter anderem in großen Buchstaben treffend auf die Fassade geschrieben. Neben uns sind hier zwei Tischler, ein Designer, die Schibauer*innen und Die Bäckerei selbst vertreten. Viele der mitgebrachten Werkzeuge werden von allen genützt. Diese Konstellation fordert aber auch viel Energie und Kreativität in Bezug auf Gemeinschaft und auf die Interessen der Einzelnen. Vielmehr aber ist das Hinterstübchen gemeinsam mit WerkStatt Couch ein Biotop für Handgemachtes, Partizipation und Austausch.

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Kleiner Tipp aus der Werkstatt: Tirol ist bekanntlich das Land der Tischler*innen. D.h. es gibt bei diversen Sperrmüllsammlungen enorm viele hochwertige Möbel zu entdecken. Diese können oft mit geringem Aufwand aufge­ wertet und so fast schon zum Designstück werden. Aus Erfahrung wissen wir, mit ein paar Tipps kann auch eine noch so ungeschickte Person schleifen und leimen. Wichtig ist nur auf Voll- oder Teilvollholz zu achten. Denn diese Möbel können problemlos ergänzt und repariert werden. Davon könnt ihr euch auch in Der Bäckerei überzeugen.

WerkStatt Couch im Hinterstübchen – Höttingergasse 32 6020 Innsbruck

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Der Flaum ist weich, ... Veranstalerst*immen

Philosophisches Café innsbruck

Bio-Bauern-Markt Seit Frühling 2015 gibt’s in Der Bäckerei jeweils einmal im Monat einen Bio-Markt. Bäuerinnen und Bauern aus der Umgebung verkaufen persönlich in Der Bäckerei ihre Produkte: Da gibt’s Eier von den Hennen vom Hans, viel Salat vom Thomas, frische Küchenkräuter von Mary, Äpfel von der Regula, Joghurt von Biancas Kühen aus Weer, Käse aus dem Ziller- und Alpbachtal und Getreide vom Wastl aus Tulfes ... und immer „on stage“ coole Musiker, die die hohe musikalische Kunst gegen Bio-Essen tauschen. Außerdem werden die Lebensmittel vom Spielraum-Team frisch verkocht und können als Kostprobe und Mittagessen genossen werden. Bis jetzt war bei den letzten 5 Bio-Märkten immer ausschließlich Traum-Blitzeblau-Hochzeitswetter, wir empfehlen also die zukünftige Schönwetterplanung nach den Bio-Marktterminen zu richten. Wir freuen uns auf viele neue nachhaltige „DirektbeimBio bauerneinkäufer*innen“ im Herbst und bedanken uns für die zackigfeine Unterstützung vom Bäckerei-Team! Info

Nach langer Odyssee durch Innsbruck hat das Philosophische Café vor fast 5 Jahren in Der Bäckerei eine neue Heimat gefunden: Seit Dezember 2010 haben wir dort über 35 Diskussionsabende veranstaltet – Symposien ganz im Sinne der griechischen Idee, wo in geselliger Runde philosophisch Tiefgefrorenes wieder aufgetaut wird und neue Gedanken gebacken werden. Besonders freut uns, dass die Anzahl der Teilnehmer*innen in den letzten Jahren weiter angestiegen ist und wir von Schulklassen bis zu Senior*innen fast alle Altersgruppen für Philosophie begeistern können. Wir wünschen uns viele weitere Veranstaltungen, wo ungezwungen und frei gedacht und gesprochen werden kann und freuen uns mit Der Bäckerei über das Jubiläum! Info

“Wir für Bio” - Netzwerk für Konsument*innen und Produzent*innen / www.wirfuerbio.at Mary Hacket, Regula Imhof, Johann Krimbacher, Michaela Oberlechner, Sebastian Possert, Margit Schwaiger

Philosophisches Café Innsbruck Andreas Oberprantacher, MarieLuisa Frick, Raphael Lepuschitz www.philocafe.at

Bürgermeisterin Gratulation zu fünf Jahren Kulturarbeit in Innsbruck. Kultur lebt von der Buntheit und der Vielfalt. In Der Bäckerei hat vieles Platz: Von der Kinderkultur bis zu kleineren Konzerten und Diskussionsabenden reicht die Programmpalette. Damit hat sich die Kulturbackstube in den vergangenen fünf Jahren zu einer Location entwickelt, die nicht mehr aus dem Kulturleben der Landeshauptstadt wegzudenken ist und sich bestens etabliert hat.

Info

Mag.a Christine Oppitz-Plörer Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Innsbruck 82


Open Source - Offene Meditation Adi: Hier eine Liste der Bäckereigeräusche, das kostbare Gut einer jeden Meditation, sozusagen der Meister mit der Rute und die Wächter am Tor zum Nirwana: • Tischtennis (das ultimative Störgeräusch, starker Tobak) • Dachgarten Geschiebe und Gezerre (nicht ohne, da es über dir, also praktisch IN deinem Kopf passiert)

Leo: Ich habe die Meditationsgruppe in Der Bäckerei gleich zu Beginn meiner Zeit in Innsbruck kennengelernt, und mich sofort wohlgefühlt; die Meditation dienstagabends war ab dem Zeitpunkt quasi ein Fixtermin für mich. Einerseits ermöglicht mir die gute Zeit des Meditierens, einmal aus dem Alltagsstress auszubrechen, sich mal zurückzunehmen und die Stille zu genießen; andererseits ist die Atmos­ phäre innerhalb der Gruppe unabhängig von der Meditation sehr nett, und ich habe neuen sozialen Anschluss auch außerhalb meines beruflichen Alltags bekommen. Vor kurzem bin ich aus Innsbruck weggegangen, und werde die Meditation doch sehr vermissen.

• kichernde Transvestiten nebenan (auf Speed? Jedenfalls kurz vor ihrer Theaterpremiere, größte Bedrohung einer ernsthaften Meditation) • die Stiege der tausend Geräusche (unser OM, oft kopiert nie erreicht, ca. 10 bis 100 mal pro Sitzung) •

Rahmen biegen und Rohre flexen in der Bikerei ( Jungs strengt euch mal ein wenig an, wir haben extra den gleichen Abend (dienstags 19:00) wie ihr in der Woche ... )

• Ausstellungen mit Endlosaudioschleifen (erstaunlich zermürbend!) • eine Herde Elefanten auf der Stiege (hab ich die Stiege erwähnt?) • die Proben zur Klassiklounge (Einschlafpotential! Besondere Vorsicht) • Proben zu anderen Konzerten (praktisch, dann weiß man gleich ob, es gut ist und man anschließend noch bleibt) • Regen der auf die Dachfenster prasselt (ein Schmankerl, allerdings nicht ganz ungefährlich für melancholische Gemüter) • Mosquitos (ok, die gibt’s normalerweise nicht, aber hey, man kann nicht alles haben)

Johanna: Meditieren ist unglaublich befreiend und entschleunigend. Mal wieder richtig zur Ruhe kommen und sich auf nichts konzentrieren müssen. Nichts können müssen, nichts sein müssen, ... die totale Freiheit und der totale Frieden mit sich und der Welt erfahren. Oft geht es in Der Bäckerei so richtig rund mit Konzerten, Theater, Bikerei, lustigen DachgartenGeplauder oder unterhaltsamen Backstage-Gesprächen, ... Dass man an diesem Ort zur Ruhe finden kann, scheint irgendwie widersprüchlich. Doch Die Bäckerei bietet meiner Meinung nach das perfekte Training seine eigenen Gedanken und äußeren Reize ganz bewusst in den Hintergrund zu stellen. Das allerschönste dabei ist, dass wir gemeinsam sitzen und gemeinsam im Bäckerei-Gewusel die Stille üben.

Matthias: Seit fast zwei Jahren besuche ich regelmäßig die Meditationsgruppe in Der Bäckerei und würde das nicht tun, wäre es etwas anderes als genial – zumindest für mich. Was ich neben den sehr lieben Leuten und der ungezwungenen Atmosphäre dort schätze, ist, dass man ohne Zwang und Doktrin meditiert. Es gilt, kein Ziel zu erreichen, keine „Erleuchtung“ zu finden, und vor allem handelt es sich bei unseren Sitzungen nicht um kaschierte Bekehrungsversuche. Zweimal 25 Minuten ruhig sitzen und versuchen, so gut es geht, die Stille umarmen (egal, ob sie gerade genussvoll ist, das Gegenteil, oder irgendetwas dazwischen) ist die einzige Regel, und diese funktioniert einfach nur gut. Zugegeben, jemanden, der noch nie meditiert hat, kann das ganz schön herausfordern, aber zum einen ist es hier wie mit fast allem – zusammen geht es leichter – und zum anderen darf man auch jederzeit abbrechen, ohne dabei sein Gesicht zu verlieren (siehe einzige Regel). Sozialverträgliches Verhalten ist natürlich von Vorteil, denn wer will schon auf einem Sektempfang meditieren. Vielleicht Fortgeschrittene, aber die gibt es bei uns irgendwie nicht, denn selbst mit einigem an Erfahrung erlebt man immer wieder Überraschungen und Neues. Vor allem aber entspannt man – und das ist, zumindest für mich, eine nie endende Übung und Aufgabe. 83


Poetry slam Top 5 Momente auf einem oder nach einem oder prinzipiell während eines Bäckerei Poetry Slams 5 Gefragt werden, was man mit „Bäckerei“ meint und welche es denn genau sei, denn beim Bäcker Ruez* (*dieser Name wurde aus markenrechtlichen Gründen unkenntlich gemacht) gibt es solche Veranstaltungen nicht. Man kenne dort nur den Halbmarathon. Und auf die Antwort: „Das ist so ein Kulturveranstaltungsraum/zentrum in der alten MÖLK-Bäckerei“, dann nur ein knappes „aha“ bekommen. Die wahren Gedanken des Gegenübers fallen aber eine der folgenden Kategorien: a) also so ein Hipsterscheiß b) O.k. dann gibt’s wohl kein gratis Brot auf der Veranstaltung c) in Innsbruck gibt’s was Neues und ich hab’s noch nicht mal mitbekommen; ich bin wohl zu alt für den Scheiß d) eigentlich wollte ich gar nicht fragen, aber nun muss ich so tun, als hätte mich die Antwort interessiert, aber dieses arrogante Slammerarschloch vor mir kann ja nur über Slams reden ... und ich dachte: hey „Bäckerei“... das klingt mal nicht nach Slam ... tja ... falsch gedacht.

schleppen. Internen Gerüchten zufolge (die eigentlich keine Gerüchte sind, sondern die pure Wahrheit) kommt es zu dieser späten Uhrzeit oftmals zu Verletzungen, die auf das Tragen bzw. Herumführen dieser Siegesbierflasche zurückzuführen sind. Deswegen möchte eigentlich niemand den Bäckerei-Poetry-Slam gewinnen. Das ist nämlich gefährlich! Einziger „Vorteil“ des Siegerbieres: Die Flasche „hat“ 11 Euro Pfand. Uhhhh. Und 11 Euro sind nun mal 11 Euro. Und 11 Euro sind für eine*n Slammer*in schon eine großzügige Gage. 11 Euro könnten dann beim nächsten anstehenden Slam (je nach Bar/Spelunke/Wirtshaus) in 3,5l Bier umgewandelt werden und rein rechnerisch bedeutet das, dass 1 Siegbier eigentlich 2 Siegbiere sind und somit kann man schon wieder sagen, dass der Bäckerei-Poetry-Slam, rein biertechnisch, ein sehr malziger Slam ist. Sieht man übrigens auch an der Bierbauchgröße der auftretenden Slammer*innen. Die von Auftritt zu Auftritt noch schmalziger (= fetter) werden. Die Bauchumfänge In meiner Familie spielt sich dann aber eher folgendes Sze- sind allerdings eher ein Ergebnis des Bühnenbiers. Primär nario ab (zur Vorabinfo: mein Vater ist Bäcker im Famili- nimmt man am Bäckerei-Poetry-Slam wegen dem Bühnenbier teil; Es ist gratis, man muss sich nicht um den Pfand enbetrieb): kümmern und solange Martin Fritz seine eigene Kiste Bier „Was machsch du heit am Abnd?“ bekommt, ist auch reichlich für alle Slammer*innen da. Ein „I geh in Die Bäckerei.“ Freibierslam ist, nebenbei erwähnt, immer ein guter Slam. „Was tuaschn du am Abnd bitte in Der Bäckerei?“ Ergo ist der Bäckerei-Poetry-Slam ein sehr guter Slam. „Ja i tua was vorlesen.“ „Was? In Der Bäckerei? Brauchn die Semmeln des jez a Noch ein kleiner Bier Fun Fact zum Schluss: Das Bier in Der Bäckerei ist ein gesundes Bier, denn laut Herstellerseischo, dass ma mit ihnen redet, damit sie bessa wachsen?“ te sind „durch die Nichtbehandlung des Bieres [...] alle „Na in Der Bäckerei in Innsbruck.“ Vitamine (B6, B12), Spurenelemente und Mineralien zu „Aha“ – kurze Pause – „aba nit bei da Konkurrenz!!?“ 100% enthalten.“ Das erklärt auch den gesunden Bierschiss „Na Papa i geh auf so a Vorlesung.“ am darauffolgenden Tag. „In ana Bäckerei...?“ Weiterer Gesprächsverlauf siehe oben. 3 Sexy Liebesgedicht zur Wortbackstube: 4 Zuerst kneten wir, Ein Wort: Bier. Denn alles vor, während oder nach einem Slam handelt da- dann betatschen wir. von. Bei einem Slam in Der Bäckerei geht’s ja auch vor al- wir formen: lem um das 2(?) Liter Siegerbier, das es zu gewinnen gibt. salz-stangen Ein Bier, welches einen Endorphinrausch sondergleichen laugen-stangerl in einem auslöst. Man will es trinken, in sich spüren, umar- semmel. men, nie wieder loslassen, streicheln, man will es einrahmen, mit ihm schlafen, neben ihm schlafen, nie wieder danach stecken wir alles, das platz hat, in den ofen. ohne ihm schlafen. Man will es sogar teilen. Nur sobald es wir backen, es zuckelt und ruckelt, die laibe werden heiß und kommen leer ist, kommt der Ärger. Denn um 4 Uhr früh mit einer gefühlt 10 Kilo schweren, wieder raus. LEEREN Bierflasche herumzulaufen, macht keinen Spaß mehr. Man kann kaum noch seinen Körper in mittlerer, und das schlemm ich dann. aufrechter Position halten, geschweige denn ein 0,5 Liter yjamm yjamm. Bierglas gerade zum Mund führen, aber man soll dieses LEERE, SCHWERE Siegerbier noch mit nach Hause 84


2 Mit der Slamily abhängen. Die Slamily ist ein freundschaftlich-familiärer Verband bestehend aus alten und jungen, großen und kleinen, dicken und dünnen, klugen und dummen, sauberen und dreckigen Slammer*innen und manchmal auch deren Anhängen. Es ist wie in jeder Familie so, dass man sich gern sieht, aber auch froh ist, wenn man sich nicht allzu oft sehen muss. Deswegen gibt es den Bäckerei-Poetry-Slam auch nur einmal im Monat, denn das ist uns genug. Einmal im Monat reicht es „Papa-Slam’s“ (Markus Köhle) Po-Po-Po-PoetrySlam-Show und den abschließenden Spagatsprung zu sehen, es „soachkatzl“ sich vorzustellen, Koschuh das fünfte Mal den selben Text vortragen zu hören, mit einem Satz nach vorn über Stefan Abermanns Standardwitze zu lachen oder sich die Geschichten seiner heranwachsenden Kinder anhören zu müssen, Martin Fritz’ Texte nicht zu verstehen, aber ihn irgendwie süß finden, Hans Peters Arme schwingen zu sehen, während er Mutter Erde eine MILF nennt, Blamayer beim blah blah blamayern hören, Rebecca rappen hören, Käthl immer noch schlechter rappen hören, überhaupt. Rap zu hören, obschon man glaubt auf einer Literaturveranstaltung zu sein (falsch gedacht!). Bei Harri und Matze etwas aus deren Studium zu lernen, das keinerlei Bedeutung für das echte, wahre, richtige Leben da draußen hat, außer ein Lebenstraum wäre es, eine Kuh eine Treppe hinauf – und wieder hinabsteigen zu lassen, … nur um eben dann beim Slam zu erfahren, dass dies unmöglich sei.

1 Fans Menschen, die Die Bäckerei kennen und gerne hingehen, immer wieder fünf Euro bezahlen und teilweise auch stehen müssen. Die den schönsten und hipstertastischsten Slam Österreichs besuchen. Menschen, die klatschen, Poeten respecten und den Host lieben, die die Antwort auf die Frage „Po Po Po Poetry!?“ kennen und immer schön schreiend „Slam“ antworten. Die nach der Show kommen und „cool“ oder „danke“ sagen. Die liken: auf Facebook, auf Youtube, mit oder ohne Jurytafel, in Gesprächen. Die Geschenke für das Spendensackerl mitnehmen und dem Gewinner Kaugummi, Zigaretten und halb abgestempelte „beim 10. Stempel ein Kaffee gratis“ Kartln schenken. Die beim „Deaf Slam“ statt zu klatschen die Arme heben und mit den Händen Applaus wackeln. Menschen, die sich in den Newsletter eintragen und gerne den Blog lesen. Die die Bücher am Büchertisch kaufen. Die Poeten beim „ersten Mal“ (auf der Bühne) kräftig unterstützen und „kommbitte-wieder!“ johlen. Die immer zehn-Punkte klatschen. Die schon 12 Jahre dabei sind, seit damals im Bierstindl, und Die Bäckerei ebenso super finden. Die „ohhh“ sagen, die lachen, die mit den Ohren mitlesen, die Fehler verzeihen und die anspornen. Die, für die man das auch alles macht. Ein Slam ohne Fans ist kein Slam. Der Bäckere-Poetry-Slam hat den „Slömy“ für die beste, schönste, tollste, großartigste Crowd bekommen. Kommt. Bitte. Wieder! Immer wieder.

Info Am Ende liegen wir uns alle in den Armen, klopfen Schultern, tauschen T-Shirt-Schweiß aus und feiern uns selbst. Text: Katharina „Käthl“ Töpfer So wie das auf Familienfesten nun mal ist. Selbst zu den Markus Köhle / baeckereipoetryslam.wordpress.com geladenen, weit gereisten, oft aus dem Ausland (außerhalb von Tirol) kommenden Gästen ist man nett und nimmt sie in den Innsbrucker Slam Familienkreis auf. Slamily kennt keine Grenzen. Slamily ist schwul und cool, Slamily ist Bier trinken und Wörterweitwurf, ist pansexuell und ein Inzuchtverein, ist kritisch und unkritisch in einem. So wie das nun mal in Familien ist, darf jede*r dabei sein. Innsbrooklyn mag eine Kleinstadt sein, aber wir sind nicht kleinkariert. Der Bäckerei-Poetry-Slam ist ein offener Slam und die Slamily kann von Mal zu Mal größer werden. Die Slammer-Couch wird nie voll genug sein. Slamily sind alle, die vortragen. Slamily ist Slam und Der Bäckerei-Poetry-Slam ist Raum für Slamily und jedes Mal ein einziger Magic Moment. Ohhhhh.

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Plattform Bleiberecht Unser Verein, die Plattform Rechts­ beratung – FÜR MENSCHEN­ RECHTE, setzt sich für die Einhaltung der Rechte von Flüchtlingen und gegen eine gesellschaftliche und rechtliche Ungleichbehandlung von Menschen auf der Flucht ein.

Kindertanzstube Warum ich Kindertanz in Der Bäckerei und nicht in einem Tanzstudio anbiete? Weil ich die Durchlässigkeit, das Unfertige und Offene Der Bäckerei und die Beweglichkeit, die ich hier erlebe, mag. Es berührt mich, dass hier ganz spür- und sichtbar (anderes) Leben erträumt, erdacht und gestaltet wird. Ich könnte mir keinen passenderen Ort vorstellen, an dem ich mit Kindern kreativ sein möchte. Nicht zu trennen zwischen Kunst, Arbeit und Politik, Lokalem und Globalem, erlebe ich in Der Bäckerei als Haltung, die mich auch in meinem Verständnis von Tanz leitet. Tanz ist für mich zuallererst bewusst wahrgenommene Alltagsbewegung. Die Kinder fragen mich oft nach der ersten Viertelstunde Kindertanzstube: „Wann fangen wir an zu tanzen?“, und meinen damit choreographierten Tanz. Tanz wird dann als die ganz andere Bewegung verstanden, die sie sonst nicht machen, und Tänzer*in sein als etwas, das sie erst werden müssen, aber noch nicht sind. Anna Halprin, bei der ich studiert habe, sagt: „Everyone is a dancer and every move a dance“ – diese Aussage ist gleichzeitig Ermutigung und Ermächtigung und sie ist eine Aufforderung, meinen ganz eigenen Ausdruck zu finden, meinen ganz einzigartigen Tanz zu tanzen.

Die Bäckerei hat uns bisher schon viele Male bei unserer Mission unterstützt und uns ihre Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt. Die Kulturbackstube bietet zum einen den perfekten Rahmen für unser Stationentheater durch das Asylverfahren am „Langen Tag der Flucht“. Zum anderen konnten wir auch bei Veranstaltungen wie der Präsentation unseres Spruchwettbewerbes für die Taschenaktion, Ausstellungen, einer Podiumsdiskussion oder für Informationsstände Die Bäckerei perfekt nutzen. Wir freuen uns, dass die Zusammenarbeit in den letzten Jahren so super funktioniert hat und hoffen, dass uns Die Bäckerei noch lange als Partnerin erhalten bleibt! Danke an das tolle Team Der Bäckerei. Info

Info Elisabeth Wille Ausdruckskunstpädagogin und -therapeutin www.bewegungstanzraum.com bewegungstanzraum@gmail.com

Plattform Bleiberecht Innsbruck Parteiunabhäniges Netzwerk gegen die österreichische Abschiebepraxis plattform.bleiberecht@gmx.at www.plattform-bleiberecht.at

... er fühlt sich gut an. 86


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This postcard from Sylvain Bardy reached us in July 2015


Innsbruck, winter 2010 Text: Maria Vill

Konkrete Utopie Ein Experiment Columbosnext, benannt nach Detektiv Columbo, eine Gruppe innovativer junger Architekt*innen, lud mich und 20 andere Künstler*innen, darunter renommierte Künstler*innen, ein, Leinwände zum Thema Konkrete Utopie zu gestalten, teils alleine, teils in Partnerarbeit. Ich war nicht die erste Wahl, ich war überhaupt keine Wahl, ich war unumgänglich, ich gehöre zum Inventar einer aufgelassenen Bäckerei, dort ist mein Atelier und dort entstand nun eine futuristische Skulptur, bestehend aus 73 Leinwänden unterschiedlicher Größe, verschiedener Winkel, in Schräglage. Ich mochte diese Skulptur.

Es WAR die konkrete Utopie. Diese Utopie hat sich in Form leerer Leinwände, ihrer Gedankenräume, geschaffen. Punkt. Doch da waren die Künstler*innen, die nun einmal eingeladen wurden. Gut. Sie hätten ihr Bild beschreiben können, ein Schildchen „rechts unten“ anbringen, damit die Betrachter*innen die Leinwände mit ihrer Fantasie füllen können. Fließt zu viel Latein oder Griechisch in die Beschreibung ein, könnte die Leinwand weiß bleiben, was bei so viel Farbigem ohnehin eine Erholung wäre.

Es kam anders.

Zurück zum Essen.

Samstagabend.

Zwischen Hauptgericht und Nachtisch wurde mit Hilfe eines Laserstrahles auf den Leinwänden eine Linie gezogen, jeder sollte linear arbeiten. Damit hatte ich kein Problem, da die Linearität durch die Anordnung der Buchstaben sowieso gegeben war. Die Linie, die unter dem Plexiglas durchschien, betrachtete ich schließlich als einendes Element.

Programmpunkt: Künstlergespräch – Tafel-in situ: Experiment lief, Kamera lief. Künstler saßen an einer langen Tafel in Der Bäckerei und aßen. Zwischen Vorgericht und Hauptgericht wurde ein Vorschlag aufgetischt, der mir gewaltig auf den Magen schlug. Kollektivismus statt Individualismus. Für mich konkret: Vergiss deinen Beckett* Titel, also die aus Spiegelfolie ausgeschnittenen Buchstaben auf deiner maßgeschneiderten Plexiglasplatte und deinem Plexiglasspiegel und beuge dich. Aber ich wollte mich nicht beugen, andere auch nicht, sie hatten schon vor dem Essen vor Ort gearbeitet oder waren beinahe fertig, ich hatte auch schon eine vorgefertigte Arbeit vor Ort. Ich hatte wochenlang in situ gearbeitet. Ich muss zugeben, ich habe das Gemeinschaftsprojekt aus den Augen verloren, nachdem ich die Maße meiner Leinwände und die meiner noch unbekannten Nachbarn, mit denen ich korrespondieren sollte, gemailt bekam. Mit meiner Arbeit

AUSGET RÄUMTT RÄUMEN sollte auf die Notwendigkeit einer Restutopie verwiesen werden, in einem anderen Raum, in einer neuen Produktionsstätte für neue Utopien. Und Restutopie war dann tatsächlich notwendig.

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Sonntagmorgen: Überraschung! Alle Leinwände lagen am Boden. Abmontiert. Es blieb nur das Gerüst. Da lagen sie nun zu einem Haufen getürmt, mit oder ohne Kunst, aber immerhin mit Linie. Aber die war unterbrochen: Manche Künstler*innen kamen und gingen, manche kamen überhaupt nicht und manche montierten ihre Leinwände wieder an das Gerüst und begannen erneut. Ich auch. Unser Optimismus war grenzenlos, unsere Stimmung gedämpft. Große Fragen hingen im Raum: Wer war der*die Täter*in? Welches Tatmotiv hatte er*sie? Ich wusste es nicht. Niemand wusste es. Für Columbosnext ein unlösbarer Fall.


Montagmorgen:

Donnerstagmorgen:

Heute:

Niemand arbeitete. Alles lag still, kein Bild passte zum anderen, leere und halbfertige Leinwände lagen am Boden; fertige Arbeiten lehnten am Gerüst, und meine war plangetreu montiert, aber vollkommen deplatziert. Es war seltsam. Es war absurd und ich fing an, diese Absurdität zu absorbieren. Es war mein absurdes Theater und für zwei Tage mein „anderer“ Ort. Ich ging umher, ging jedem*r mit meinen Fragen auf die Nerven und bangte um die Installation.

Die Installation war weg. Ausgeräumt.

Die Arbeiten liegen irgendwo in einem Lager, so dicht aneinander wie die Körper im Kuppelbau von Becketts Er­zählung „Ausgeträumt träumen“.

Ab Donnerstagabend sollte sie für jeden zugänglich sein. Ich freute mich darauf: Es war das sichtbare Zeichen einer gescheiterten Utopie, die durch ihre Zurschaustellung nicht nur die Utopie, sondern auch das Scheitern thematisierte, wodurch sich neue Denk- und Möglichkeitsräume ergaben, also das „real möglich Bessere“ (Bloch) denkbar wurde.

Es wäre die erfolgreich gescheiterte Utopie.

Ich war wütend. Man hätte doch die Betrachter*innen miteinbeziehen können, so irgendwie interaktiv. Man hätte die noch leeren Leinwände mit Behauptungen und Fragen, egal ob destruktiv oder konstruktiv, übersäen können, wie Nährboden für neue Utopie oder bodenlose Naivität?

Strich durch die Rechnung. Künstler*innen tanzen nicht auf einer Linie.

Sie überlegen sich, ob sie sich als Individuen zurückziehen oder einen anderen Ort suchen oder sich weiter als Kollektiv Columbosnext überlassen sollen.

Erfolgreiches Scheitern.

Egal, was bleibt ist gut dokumentierte Prozesskunst.

Energien, die man investiert, verpuffen nicht nutzlos (Bloch). Es ist alles

MÖG REAL LICH

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*„Ausgeträumt träumen“ (1965) ist ein kurzer Prosatext von Samuel Beckett. Eine männliche und eine weibliche Figur liegen Rücken an Rücken mit angezogenen Beinen in einem runden Kuppelbau, den sie ganz ausfüllen, gemeinsam den Licht- und Temperaturschwankungen ausgesetzt.


Monatsausstellungen in der B채ckerei

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Die Bäckerei – Kulturbackstube’s Monatsausstellung is an important part of its cultural program. Creators are invited to submit a proposal to the open call, which accepts applications on a rolling basis. The „Monatsausstellung“ comprises a monthly exhibition series during the year in order to encourage participation of creative people in the community. Moreover, the „Monatsausstellung“ format is designed to foster local and international creators through the production and presentation of their artwork in Die Bäckerei. In addition, this exhibition opportunity contributes to the development of the people involved in the arts by bringing visibility to their activity and empowerment for their further artistic development. The program also offers the possibility to realize a process of investigation in order to create site-specific projects. For the production part and investigation process, participants can use the facilities of the Die Bäckerei. Creators are welcome to explore and experiment with the building, its history or its surroundings, including the local community. For the presentation part, Die Bäckerei plays the role of a mediator between the creative actors and the audience, offering a platform to experience art, supporting exchange and networking, cultural diversity and people‘s creativity. Exhibitions are displayed in the gallery Schräger-Gang of Die Bäckerei. This program is an open space for emerging and established artists. It showcases the different disciplines of visual arts. The open call for participating is ongoing, creators can apply at any time of the year. The exhibition and presentation periods are split into two seasons, the first extends from February to June and the second from September to November. The staff reserves the right to assign a specific month for each exhibition, depending on the number of applicants and the availability of the gallery during the year. The duration of the exhibitions varies from one to three weeks, depending on the density of Die Bäckerei‘s cultural program during the period of the chosen year. Collectives, associations as well as informal or established groups are invited to apply. Participation in this program is free of charge.

For more information and applications please write to: alberto@diebaeckerei.at

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Ausstellung Februar 2015. Kirstin Tรถdtling. Collage. www.ktoed.com

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Theresa Hattinger. Illustration. www.thehatdesign.com


Ausstellung Februar 2015. Theresa Hattinger. Illustration. www.thehatdesign.com

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Ausstellung Mai 2015. Rachel Quaday. Zeichnungen. www.rachelquadayjanvier.com


Ausstellung Juni/Juli 2015. Katjana Frisch. Fotografie. www.katjanafrisch.com

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Ausstellung April 2015. Lisa Filzmoser. Zeichnung

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Ausstellung M채rz 2015. Gemisma. Digitale Illustration. www.gemisma.com


Ausstellung M채rz 2013. Thomas Medicus. Kugelschreiber auf Papier. ww.thomasmedicus.at

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Ausstellung M채rz 2013. Myriam Kraml. Aquarell, Gouache und Tusche auf Papier. www.myriamkraml.wordpress.com


Ausstellung Mai 2013. Caixa de Mistos. Illustration. www.caixademistos.com

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Ausstellung Februar 2014. Amber Catford. Acrylic paint, spray paint, acrylic image transfer. www.ambercatford.com

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Ausstellung Juni/Juli 2013. Ines Bermejo. Collage. inessbermejo.wordpress.com


Im Gespräch mit ...

Britta Burger

Monatsausstellung November 2015

Was machst du eigentlich? Ich bin Fotografin und Journalistin an der Schnittstelle von Mode, Subkultur und Sozialkritik. Meine Arbeiten sind in Magazinen wie Indie, i-D, Vice, Cooler, Zeitungen wie Der Standard und in Kollaboration mit Skatemarken wie Vans oder Volcom erschienen.

finde ich es, ein gutes Foto zu machen. Ich warte auf einen Gesichtsausdruck, eine Körperhaltung, eine Stimmung, vielleicht eine Farbkombination; einen Moment der Wahrheit.

Glaubst du, dass sich die falsche Welt von Werbung und Kommerz verändern lässt? Gibt es überhaupt eine Alternative? Man kann mehr ändern, als man glaubt. Alternativen gäbe Wen, was und wie fotografierst du? Models und Außenseiter*innen. Manchmal Landschaften. es genug, die liegen halt nicht im Interesse der finanziellen Schnee. Layouts sind für mich genauso wichtig wie die Eliten. Ich habe die Hoffnung auf eine Revolution nicht Fotos selbst, Bedeutungen verändern sich je nach Bildmi- aufgegeben. In der Zwischenzeit mache ich Modefotos, schung, deshalb produziere ich auch gerne meine eigenen die eigentlich Dokumentarbilder sind und eher Menschen zeigen als Produkte, und Dokumentarbilder, die alternative Zines. Lebensformen modisch wirken lassen. Wie gelingt dir die Gratwanderung zwischen der Lüge der Modefotografie und dem Wahrheitsanspruch deiner journalis- Wie bist du zur Bäckerei gekommen? Ich habe zwar in den letzten 14 Jahren in London gelebt, tischen Arbeiten? Ich glaube, dass es eine Wahrheit gibt, aber dass man sich aber immer wieder von Veranstaltungen in Der Bäckerei an sie nur annähern kann. In der Modefotografie ist man gehört. Und weil ich in Innsbruck geboren wurde und dort besonders weit entfernt, weil es im Prinzip darum geht, studiert habe, wollte ich dort auch ausstellen. Konzept und Dinge zu verkaufen, die eigentlich nicht gebraucht werden, Räumlichkeiten sind einzigartig. indem man sie besser aussehen lässt, als sie in Wirklichkeit sind. Aber als Journalistin und speziell als Redakteurin bei Zeitschriften habe ich auch bemerkt, wie relativ der journalistische Wahrheitsanspruch generell ist; und wie stark der Einfluss der Werber*innen. Die finanzieren ja fast alles, Druck, Webdesign, Gehälter. Irgendwas wird also immer verkauft. Ob es jetzt T-Shirts sind, ein Lifestyle oder eine Ideologie. Die Macht ist ganz stark bei dem*der Geldgeber*in, der*die dahintersteckt. Das gilt auch für öffentlich rechtliche Medien, wenn man bedenkt, wie stark der politische Einfluss von Großkonzernen ist. Welche Mainstreampublikation ist schon wirklich anti-kapitalistisch? Ein Ausweg ist Self-Publishing, da ist die Freiheit am größten, die Reichweite allerdings am kleinsten, zumindest bei gedruckten Publikationen. Bei meinen Fotos suche ich einfach nach ein bisschen Wahrheit. Zum Zeitpunkt des Fotografierens sind alle Fotos gleich für mich – Mode, Dokumentarportraits, Landschaften. Meine Modefotos sind eigentlich meistens Portraits – je professioneller die Models sind, desto schwieriger 106

Fotos auf den nächsten Seiten und anschließende Fotoreportage (Seite 110-113 ) von Britta Burger


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Was macht dieser Beitrag hier? Das hat jetzt aber gar nichts mit Der Bäckerei zu tun! Gemeinschaft, Unabhängigkeit, Selbstversorgung. Diese Themen interessieren uns brennend und wir glauben, dass unser aller Zukunft uns in die Auseinandersetzung damit zwingen wird. Britta Burger, Fotografin und Journalistin, besucht immer wieder das englische Landbesetzer-Ökodorf in Runnymede. Sie fotografiert Menschen vor Ort, die über ihre Erfahrungen sprechen. Ihre ersten Eindrücke sind gleichzeitig erste Eindrücke davon, in welche Richtung sich unser Magazin entwickelt. Wir wollen interessante Projekte und Aktionen zeigen, begleiten und thematisieren. Einzelporträts und Interviews mit den Bewohner*innen des Ökodorfs werden uns durch die nächsten Ausgaben begleiten.

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Dorf der Landbesetzer*innen

Die Wälder von Runnymede in England beherbergen nicht nur historische Schauplätze, sondern auch ein Ökodorf. Hier wurde im Jahr 1215 die Magna Carta unterzeichnet. Heute kämpfen hier Landbesetzer*innen darum, bleiben zu dürfen. Sie versorgen sich selbst und versuchen sich möglichst unabhängig von der modernen Gesellschaft zu organisieren. Während der diesjährigen Feierlichkeiten rund um die Magna Carta findet im Ökodorf ein Demokratiefestival statt. Britta Burger schildert ihre ersten Eindrücke in Portraits und Worten.

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Das Demokratiefestival, das von den Bewohner*innen des britischen Ökodorfs Runnymede organisiert wird, findet im Hügelland bei Windsor Castle statt. Journalist*innen und Akademiker*innen, wie etwa der Autor und Wirtschaftsanalytiker Guy Standing, haben sich angekündigt. Die Gegend ist idyllisch – die Polizeitruppe, die uns vor der Ankunft mitten im Wald aufstöbert, unerwartet, der Zutritt zum Festival ein Ding der Unmöglichkeit.

„Kein freier Mann soll verhaftet, gefangen gesetzt, seiner Güter beraubt, geächtet, verbannt oder sonst angegriffen werden; noch werden wir ihm anders etwas zufügen, oder ihn ins Gefängnis werfen lassen, als durch das gesetzliche Urteil von Seinesgleichen, oder durch das Landesgesetz.“

Die Ironie hinter der völligen Abriegelung eines alternativen Demokratiefestivals, damit die Königin ungestört eine Demokratieparty feiern kann, liegt auf der Hand. Grund für die erhöhten Sicherheitsmaßnahmen ist ein Ich hole meine Fotoapparate und bin ein paar Tage später Riesenevent einige 100 Meter entfernt. Die Queen und wieder auf dem Weg nach Runnymede, nicht nur aufgrund zahlreiche internationale Würdenträger*innen sollen dort von Gerüchten um eine Polizeirazzia im Morgengrauen. das 800-jährige Jubiläum der Unterzeichnung der Magna Die Bewohner*innen dort – politische Aktivist*innen, älteCarta kommemorieren. Der ikonische Protogesetzestext ist re Damen mit Hang zu selbstgepflückten Waldkräutern, noch immer Grundlage des britischen Verfassungsrechts, Familien mit Kindern, denen die Wohnsituation in Lonentzog dem Monarchen den absoluten Machtanspruch don über den Kopf gewachsen ist, Ökofans, Jugendliche, und gilt daher als eines der wichtigsten rechtlichen Doku- die sonst auf der Straße leben müssten – sind Landbemente bei der Entwicklung der modernen Demokratie. setzer*innen. Der berühmte Artikel 39 ist ein Prozessrechtsklassiker: 112


Das Ökodorf mit den selbstgebauten Behausungen aus Ästen, Lehm, Secondhand-Fenstern und -Türen ist nicht nur ein Protest gegen die Tatsache, dass das Recht auf Besitz der Grundstückseignerfirma wichtiger ist als das Recht auf Behausung der Bewohner*innen, es ist auch ein Community-Projekt. Eine Gruppe von Menschen möchte mit selbstangebauten Nahrungsmitteln, den eigenen Solarzellen, wenig negativem Einfluss auf die Umwelt autark leben. Auf legale Weise ist das allerdings nicht möglich, hauptsächlich deshalb, weil niemand von diesen Wenig- bis Nichtkonsument*innen profitiert. Ein Teil meiner Fotoausstellung in Der Bäckerei im November 2015 ist ein Fotoessay über meinen Aufenthalt in Runnymede.

Text und Fotografie: Britta Burger Siehe auch Interview mit Britta auf Seite 106.

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Das Gerücht und Die Klischees Was wir und ihr über Die Bäckerei hören:

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Die Alte Bäckerei als liminaler (Lern-)Raum Text und Bild: Peter Hofmann

Ein wunderschöner Frühlingsmorgen, die Nordkette reflektiert sich von Schaufenster zu Schaufenster, die Sonnenstrahlen wärmen – und ich auf der Suche nach der Alten Bäckerei, ein Ort, so die Bekannte, mit der ich dort verabredet war, den „du kennenlernen solltest“. Richtige Straße, richtige Hausnummer – ich stehe vor dem Gebäude und frage mich: Ist es das? Aber nach was halte ich eigentlich Ausschau? Wie schaut eine Alte Bäckerei aus? Der Blick ins Fenster – ah, erste Assoziation „Café“, könnte passen; Veranstaltungshinweise, Poster – ah, zweite Assoziation „Kultur“, auch stimmig. Wird wohl richtig sein. Setze mich hinein, schaue mich um, versuche zu verstehen (nicht nur wie man hier zu einem Kaffee kommt) und versuche einigen Spontan-Bewertungen, die aus meinem Unterbewusstsein heraufsprudeln (da brauchts aber noch einiges an Renovierungsarbeit; ein Platz für experimentelle Kunst; u.a.) zu widerstehen – und offen zu bleiben, nicht sofort bewerten und in meine etablierten „Kästchen“ einordnen. Drei Stunden später – Christoph vom Team der Alten Bäckerei hat mir das ganze Haus gezeigt und die Intentionen und Ideen dahinter erklärt und so ganz nebenbei, zwischendurch, rundherum entwickelten sich total anregende Gespräche. Vor meinem geistigen und emotionalen Auge entstanden allerlei Verknüpfungen, ver-rückte Ideen und inspirierende Reflexionen. Ein paar davon möchte ich hier gerne teilen. Das, was mich besonders beeindruckt an der Alten Bäckerei, ist der bewusste Mut zum Unfertigen, Nicht-Festgelegten – ein Mut, der Beweglichkeit und auch Ver-rückung provoziert; gewohnte Wahrnehmungen, Ein-Sichten werden irritiert und dadurch Perspektivenwechsel nötig. Innovation – vor allem soziale – entsteht nicht im puren „Anders-Sein“, im „dem Alten etwas punktuell Neues gegenüberzustellen“. Ich habe schon viele Räume/Orte gesehen, die sich der

Innovation verschrieben haben, und dabei sich selbst in ihrer Geschlossenheit, ihrem bis ins letzte Detail fertig-designte Konzept, im Wege gestanden sind. Innovation braucht Irritation, in-Frage-Stellen und Ambiguität – ein Klima, das in Zwischenräumen oder, noch passender hier, in liminalen Räumen gedeiht. Die Alte Bäckerei ist für mich so ein liminaler Raum, wo „das Alte“ noch und „das Neue“ schon wirkt – ein Raum, wo Wandel und Transformation erlebt, erfahren und erlernt werden kann. Die Alte Bäckerei ist für mich nicht eindeutig zu- und einordenbar und das ist gut so. Sie bietet im physischen wie im menschlichen Sinne einen Raum für alle, die etwas Neues in die Welt bringen möchten – sei es eine Kulturveranstaltung, ein soziales Projekt, Innovation in Technik oder Ökologie, u.v.m. Wo ist dabei der gemeinsame Rahmen, vielleicht sogar die gemeinsame Vision – oder geht es um geteilte Werte? Wir unterschreiben alle, dass wir in einer Zeit von Umbruch, Wandel und Transformation leben – viel des Neuen ist schon sichtbar, wird (zum Teil) auch schon gelebt und gleichzeitig wirken noch alte Strukturen, Denkmuster und Gewohnheiten. Das erzeugt Spannungen, die in unterschiedlichen Ausmaßen jeder für sich spürt und wir im gesellschaftlichen Großen und Ganzen beobachten können; und Spannungen, die im Alltag der Alten Bäckerei sicherlich auch spürbar sind. Spannungen, die, wenn thematisiert, reflektiert und besprochen auch Lernpotential haben. Das große Potential, das ich in der Alten Bäckerei sehe ist ihn nicht nur als liminalen „Produktionsraum“ zu sehen – an der Grenze zwischen Kultur, Sozialem und Ökologie – sondern auch als liminalen „Lernraum“. Platz hat nicht nur das WAS es braucht für den Wandel, für die Transformation, sondern auch das WIE leben wir in und mit dieser

„Die Alte Bäckerei ist für mich so ein liminaler Raum, wo „das Alte“ noch und „das Neue“ schon wirkt – ein Raum, wo Wandel und Transformation erlebt, erfahren und erlernt werden kann.“

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Was macht liminale Räume aus? Der Begriff Liminalität stammt vom lateinischen Wort „limen“, die Schwelle. Aufgetaucht ist er erstmals vor über 100 Jahren in der Religionsanthropologie – Arnold van Gennep hat ihn eingeführt in seinen Forschungsarbeiten zu Ritualen für biographische Transitionen (von Jugendlichen zum Erwachsenen beispielsweise). Angeregt durch die gesellschaftlichen Umbrüche in den 60er und 70er Jahren hat dann Victor Turner, ein Kulturanthropologe, den Begriff und das dahinterliegende Konzept als Erklärungsmodell für sozialen Wandel vorgeschlagen. In den letzten Jahren ist von Liminalität sowie liminalen Räumen in der experimentellen Kunst und Kulturszene genauso zu lesen wie im Bereich organisationales Lernen oder auch im Feld der „Urban Studies“. Sharon Zukin, eine Architektin und Stadtforscherin, hat sich in ihren Büchern „Landscapes of Power“ und „Naked City“ mit liminalen Räumen in der postmodernen Stadt auseinandergesetzt – Orte und Plätze, die nicht eindeutig zu- und einordenbar sind und die zwischen privat und öffentlich, zwischen lokal und global, zwischen Arbeit und Zuhause, zwischen Wirtschaft und Kultur „mäandern“.

­ hase des Wandels – mit der Unsicherheit, der KomplexiP tät, der Vieldeutigkeit. Dazu braucht es kein ausgefeiltes Bildungsprogramm – dazu bräuchte es ein Selbstverständnis, dass die Alte Bäckerei auch ein Lernraum ist, wo sich die Akteur*innen (alle, die dort wirken – im Team oder als Nutzer*in) als Lernende verstehen und Möglichkeiten geschaffen werden, das was an Interaktion passiert immer wieder reflektiert werden kann. Solche Räume braucht es mehr und mehr – wir müssen lernen in diesen Übergängen, in dieser Liminalität leben zu können. Es geht derzeit nicht einfach darum, das Eine mit dem Anderen, das Alte mit dem Neuen zu ersetzen. Die Alte Bäckerei bietet einem super Rahmen dafür!

Peter Hofmann: Freiberuflicher Trainer und Berater mit einer großen Leidenschaft für die Gestaltung von an­ regenden Lernumfeldern – für Teams, Trainingsgruppen sowie KonferenzGroß­gruppen. Im Designteam der jährlich stattfindenden Konferenz „aha – Lernen gestaltet Zukunft“ (www.ahalernen.at). Mitbegründer der Beratungsfirma „Limina – Lernen im Wandel“ (www.limina.at) Lebt mit seiner Familie in Wien.

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Das Grassroots Haus

Auszüge aus einer Architektur-Masterarbeit rund um das Projekt Spielraum für Alle

Text & Grafik: Heinrich Pan

Das Potenzial der Arbeit im Kollektiv konnte ich das erste Mal am Anfang meines Studiums in den Zeichensälen der Architekturfakultät Innsbruck erkennen. Selbstverwaltete Säle, die gänzlich dem Regiment der Student*innen überlassen waren. Gemeinsam hatten wir die Suche nach unserem Platz in der Welt der Architektur und das Streben, uns die Suche durch gegenseitige Unterstützung zu erleichtern. Die Erfahrung, in dieser Zeit mehr zu lernen als je zu vor und ungleich mehr konstruktive Kritik und Antrieb im gemeinsamen als im isolierten, auf einen selbst beschränkten Vorankommen zu erleben, ließen mich am Modell kollektiver Arbeit festhalten. In dieser Zeit begann ein Netzwerk zu entstehen, in dem alle weiteren Projekte wurzeln sollten.

„Gemeinsam hatten wir die Suche nach unserem Platz in der Welt der Architektur und das Streben, uns die Suche durch gegenseitige Unterstützung zu erleichtern. “ Im nächsten Schritt bekam eine Gruppe von uns die Gelegenheit, ein eigenes Atelier in den Räumlichkeiten der über Jahre leerstehenden Bäckerei zu errichten, die gerade als Zwischennutzungsprojekt mit minimalem Budget in mühevoller Kleinarbeit wiederbelebt wurde. Es war ein besonderer Glücksfall, nicht nur weil hier eine kollektive Plattform für sozialen und kulturellen Austausch entstehen sollte, sondern vor allem, weil wir, um überhaupt erst zu unserem noch nicht erschlossenen Raum im baufälligen ersten Stock gelangen zu können, beim Umbau mitwirken konnten. Einen Sommer lang sprangen wir also gemeinsam mit den neu gewonnenen Mitstreiter*innen ins kalte Wasser und es sollte sich zeigen, dass die Erfahrung, wie ein anfangs utopisch wirkendes Projekt langsam und mit vereinten Kräften Form annahm, zur wichtigsten wurde, die ich auf meiner eingangs beschriebenen Suche machen durfte.

In diesem Umfeld lernte ich also nicht nur eine neue Arbeitsweise kennen, sondern sah mich auch mit den Herausforderungen konfrontiert, die das Selbermachen mit sich brachte. Zuallererst bedeutete dies, sich nach der Decke des uns Möglichen zu strecken, ohne das gewünschte Ergebnis dabei aus den Augen zu verlieren. Was man noch nicht konnte, musste man lernen, indem man es tat. Der Anspruch und der Maßstab der Arbeiten wuchs dabei stetig an. Der bewusste und sparsame Umgang mit Materialien und die Kollaboration waren mir bis dahin noch weitgehend als bloße Attitüde bekannt und wurden hier zur grundlegenden Notwendigkeit. Auch der prozesshafte Charakter der Arbeiten war unumgänglich. Stück für Stück offenbarten sich Methoden, die im Laufe einer intensiveren theoretischen Auseinandersetzung und bei genauerer Betrachtung ungeahnten Mehrwert aufwiesen. Methoden, die aus heutiger Sicht aus meiner persönlichen Auffassung von Architektur und gesellschaftsprägendem Schaffen nicht mehr wegzudenken sind. Drei Jahre lang durfte ich neben meinem Studium aus diesem engagierten Netzwerk heraus wirken und dabei verschiedene Projekte verwirklichen, bis sich rund ein Jahr vor dem geplanten Abschluss meines Studiums die Gelegenheit ergab, ein ähnliches Vorhaben in dem ehemaligen Integrationskindergarten in Wilten zu initiieren. Wieder war es das Ziel, einen öffentlichen Freiraum zu schaffen, der eine niederschwellige Auseinandersetzung mit gesellschaftlichem Wandel in verschiedensten Bereichen möglich macht. Teil dieses Freiraums ist das vor Kurzem eröffnete Fablab, eine offene Werkstatt, die Zugang zu digital unterstützten Fabrikationsmethoden bietet. Dabei wird aufgezeigt, welche Möglichkeiten neueste Technologien bieten, um ein zukunftsfähiges Wirtschaften zu fördern und die Entwicklung einer regionalen Reparaturökonomie zu unterstützen. Bei der Nutzung stehen persönlicher Erfindergeist, unabhängige Innovation und ein bewusster Umgang mit Materialien und Ressourcen im Mittelpunkt. Digital ansteuerbare Geräte werden bereitgestellt und über ein globales Netzwerk wird die Zusammenarbeit und der Austausch mit anderen Fablabs genutzt.

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Ich habe versucht, das Projekt ein Jahr lang zu dokumentieren und als Feldstudie gemeinsam mit der begleitenden theoretischen Auseinandersetzung zum Thema meiner Diplomarbeit zu machen. Inhalt sollte also weniger das Programm und die Verwirklichung an sich sein als die grundsätzliche Methodik und die Frage nach ihrer architektonischen und gesellschaftlichen Relevanz. Die Umsetzung der ersten Projektphase habe ich dabei als exemplarisches Eins-zu-eins-Projekt betrachtet, das im Sinne eines wissenschaftlichen Experiments dazu dienen soll, empirische Erfahrungen zu sammeln, Hypothesen zu bestätigen oder zu widerlegen und damit die Überlegungen zu einer kollektiven und gesellschaftlich verantwortlichen Architektur voranzutreiben. INTERESSENGEMEINSCHAFT GLOBALES NETZWERK LOKALES NETZWERK KOLLEKTIV

HITEKT ARC

- HETERARCHISCH VEREIN

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fachen Grund, den er auf das emotionale Selbstmodell des Menschen zuZur Einleitung sei hier Thomas Met- rückführt. Er beschreibt evolutionär zinger erwähnt. Der Professor für the- gewachsene emotionale Strukturen, oretische Philosophie mit dem die auf Kleingruppen ausgelegt sind. Schwerpunkt Neurowissenschaften Sie machen es schwierig für uns, Erverbindet sein Thema der Philosophie kenntnisse, deren Konsequenz eine des Geistes mit Betrachtungen zu der hohe Abstraktionskraft und ein weitFunktionsweise des menschlichen Ge- reichendes Verantwortungsgefühl behirns. In seiner Arbeit hat sich gezeigt, dingen würde, im alltäglichen Leben dass ein Großteil der Handlungen und umzusetzen und der Schluss liegt Absichten der Menschen auf ihre nahe, dass tatsächliche Solidarität Emotionen und nicht etwa die Ver- letztlich nur in Kleingruppen funktioniert. Es wäre also denkbar, dass die nunft zurückzuführen sind. Metzinger interessiert dabei ein Gemeinschaft vieler solidarischer grundlegendes Problem: Die Men- Kleingruppen, die Initiative einer Baschen erkennen die prekäre Lage in sisbewegung, die sich in unzähligen der sich unsere Gesellschaft befindet. lokalen Ablegern formiert, zu einem Die Einsicht, dass eigentlich nur glo- Höchstmaß an Solidarität und gesellbale Solidarität aus den Sackgassen schaftlicher Umwälzung führt. der Klimakatastrophe oder sozialer Diese Überlegungen sind Teil einer Ungerechtigkeit führen kann, gehört Theorie, einer Theorie von vielen. Augenauso zum guten Ton wie das Be- ßerdem bringt sie einige Probleme mit dauern darüber, dass sich eine solche sich: so lassen aktuelle Studien vermuUtopie offenbar nicht umsetzen ließe. ten, dass Zusammenhalt und KohäDafür gibt es für Metzinger einen ein- renz in Kleingruppen dann am besten Grundlegendes

Feldexperiment Grassroots Haus Im Zuge der jungen Wirtschaftskrisen, die die Möglichkeit eines Endes des Wachstums allgemein schlagartig bewusst machten, als bisher nicht lukrativer Besitz verstärkt eine langsam aber stetige systematische Verwertung erfuhr, wurde es auf der anderen Seite deutlich, dass das einst noch in Teilen Europas florierende Phänomen besetzter Häuser wohl bald ganz von der Bildfläche verschwinden würde. In Wien wurde mit der Pizzeria Anarchia das letzte besetzte Haus geräumt, dessen Entstehungsgeschichte auch eine Geschichte gelebter Solidarität und Zivilcourage war. Auch in Holland, der einstigen Squatting-Hochburg Europas, wo das Grundrecht auf Wohnen über das Grundrecht auf Besitz gestellt worden war, blicken mittlerweile die wenigen letzten besetzten Häuser einer äußerst unsicheren Zukunft entgegen. Mit dem Rückgang dieser Kultur der Rückeroberung von Stadtraum durch seine Bewohner*innen scheint eine neue Methode zu entstehen, die das Potenzial mitbringt, sich mit den gegenwärtigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen arrangieren zu können. Im Norden Italiens ist eine längere Tradition beobachtbar, die Verwaltung leerstehender Häuser Vereinen zu überlassen – wenn man so will, eine politisch akzeptierte Variante des besetzten Hauses. 2014 beschloss die italienische Regierung 1700 aufgelassene Bahnhöfe sterbender Ort-

funktionieren, wenn eine klare Abgrenzung gegen eine Außengruppe besteht, oder aber dass die Diskrepanz zwischen Erkenntnis und Umsetzung häufig zu Verdrängungsreaktionen führt. Doch all diese Probleme bedeuten für Thomas Metzinger vor allem eines – was wir brauchen, ist eine Philosophie, die sich empirisch informiert, Wissenschaftsgebiete, die vereint an solch wichtigen Fragestellungen arbeiten und Erfahrungen über verschiedenste Modelle sammeln. Was wäre besser geeignet, um solidarischen Initiativen einen Spielraum zu schaffen, sie räumlich zu organisieren und dadurch Erfahrungen über Herausforderungen und Wirkungsweisen zu sammeln, als die Architektur? Es soll also darum gehen, jene Kompetenzen des Architekten zu identifizieren, die notwendig sind, um einen solchen Spielraum aufzubauen, den wir Grassroots Haus nennen wollen.

schaften dem Gestaltungswillen eines*einer jeden zu überlassen, der*die sich eines solchen Projektes annehmen will. Und auf ähnliche Art und Weise häufen sich in denselben Städten, in denen sich noch vor Jahren besetzte Häuser finden ließen, verschiedenste Zwischennutzungsprojekte zumindest kurzfristig ungenutzter Objekte. Urbane Brachflächen werden also insofern genutzt, als Strategien angewendet werden, die ein Arrangement mit Hausbesitzern und Stadtverwaltungen ermöglichen. Diese veränderte Vorgehensweise scheint zu einem Aufschwung solcher Projekte zu führen. Eine Erklärung könnte sein, dass derartige Bewegungen nun von der breiten Öffentlichkeit weniger stark in einem gesellschaftlichen Abseits wahrgenommen werden. Oder auch, dass dieselbe Öffentlichkeit vermehrt das Potenzial gesellschaftlicher und ökonomischer Alternativen erkennt. Das Grassroots Haus beschreibt eine jener Strategien, deren Relevanz durch zahlreiche vergleichbare Projekte auf verschiedensten Teilen der Welt deutlich wird. Sie ist anwendbar auf ein sich in Privatbesitz befindendes, leerstehendes und in den meisten Fällen baufälliges Haus in urbanem Kontext. Da ein solches Haus keinen Real- oder Gebrauchswert hat, liegt es verständlicherweise im Interesse des*der Besitzer*in, eine neue Funktion und neue Mieter*innen für das Objekt zu finden. Nicht selten kommt es jedoch über einen langen Zeitraum nicht so weit, da der konventionelle Weg dahingehend einige Hürden aufweist.

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„Die Architektonik der Macht errichtet Bauten, die den Vielen Spielräume und Entscheidungskompetenzen vorspiegeln und sie doch zugleich entziehen. Das Maßstäbe setzende Können ermächtigt die Wenigen, solange die Vielen auf diese Arché lediglich reagieren und ein von Dingen konditioniertes Verhalten an den Tag legen, anstatt den öffentlichen Raum als Ressource des Anfangens zu nutzen. […] Einen für die Philosophie der Architektur sehr erhellenden Gegenpol zur Architektonik der Macht bildet der öffentliche Raum, da dieser niemals das Produkt der Planung eines Architekten sein kann, sondern aus kollektiven Interaktionen hervorgeht.“

dass die Gesellschaft in eingebettete biologische, psychische und soziale Systeme gegliedert ist, die als autopoietisch verstanden werden. Autonome Netzwerke also, die zwar den Vergleich mit anderen Systemen und damit gegenseitige Kritik und Befruchtung, niemals aber externe Einflussnahme zulassen. Die direkte Einflussnahme von Systemfremden führe zu Fehlentscheidungen, da eine kompetente Reaktion auf soziale Fragestellungen nur aus einem Expert*innendiskurs heraus entstehen könne. Mit anderen Worten – wer unzufrieden mit der gesellschaftspolitischen Situation ist, müsse in die Politik gehen. Das Wesen der Bottom-Up-Bewegung allerdings kann mit dieser Beweisführung so gar nichts anfangen. Sie nimmt eine starke Diskrepanz zwischen den Entscheidungen der offiziellen Organe des politischen Systems und den tatsächlichen Interessen der Gesellschaft wahr, wie sie schon Jacques Rancière in seinem Buch „Das Unvernehmen“ beschrieben hat. Die einzige Möglichkeit, die gesellschaftlichen Interessen in einer solch prekären Situation zu wahren, sieht der Bottom-Up-Gedanke darin, die Verantwortung dafür wieder in jedem Teilbereich der Gesellschaft wahrzunehmen und gewissermaßen von unten nach oben zu tragen. „Es reicht nicht aus, die entpolitisierte Rolle der Experten zurückzuweisen, man muss auch ernsthaft anfangen, darüber nachzudenken, was man anstelle der vorherrschenden wirtschaftlichen Organisationsform vorschlagen soll, mit alternativen Organisationsformen zu experimentieren oder sie sich auszudenken, nach dem Keim des Neuen im Gegenwärtigen zu suchen.“

Verantwortung Der Aufbau neuer oder die Adaption gegebener Räumlichkeiten – etwa zu einem Grassroots Haus – sind zweifellos Kompetenzen der Architektur. Eine zweite notwendige Kompetenz ist die Berücksichtigung der mit diesem Vorhaben untrennbar verbundenen gesellschaftlichen Absichten. Ob diese Kompetenz zu den Aufgaben eines Architekten zählt, ist umstritten. Ein prominentes Argument dagegen, gesellschaftliche oder soziale Aufgaben in der Architektur wahrzunehmen, sie, wenn man so will, als wesentliche Entwurfsparameter zu berücksichtigen, ist jenes der Systemimmanenz. Folgt man dieser Argumentation vieler Verfechter*innen der Systemtheorie nach Niklas Luhmann, sei es aus architektonischer Sicht ineffizient, Energie in politische, sozialethische oder ähnliche Gesichtspunkte zu investieren. Diese Überlegung wurzelt in derselben theoretischen Grundlage wie die eines*einer Ökonom*in, der erklärt, er sei ausschließlich den Gesetzen des freien Marktes und der Profitmaximierung verpflichtet: Niklas Luhmanns Systemtheorie besagt,

Bottom-Up Damit sich eine Basisbewegung formieren kann, braucht sie eine Plattform, die es den verschiedenen Menschen, die eine solche Basis ausmachen, ermöglicht, miteinander in Kontakt zu treten, im ersten Schritt die Plattform zu gestalten, um dann im Weiteren denselben Gestaltungswillen nach außen zu tragen. Wer sind nun also die solidarischen Kleingruppen, die dem Grassroots Haus Leben einhauchen sollen? Es sind Vereine, Nachbarschaftshilfen, die Bürger*innen einer Stadt – kurz, der Zusammenschluss von Personen eines bestimmten Einzugsgebietes, egalitär, partizipatorisch und demokratisch organisiert. Frei nach dem Prinzip, ein gemeinsames Interesse festzumachen und einen gemeinsamen Weg zu finden, dieses Interesse umzusetzen, ist eine solche Initiative offen für alle, die sich an diesem Bemühen oder dem Diskurs darum beteiligen wollen. Der Raum für ein solches Vorhaben ist nichts anderes als ein Ort, in dem sich Öffentlichkeit zusammenfinden und wirksam werden kann.

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Slavoj Žižek / Das Jahr der gefährlichen Träume, übers. v. Karen Genschow, Frankfurt a.M.: S. FISCHER Verlag 2012

Ludger Schwarte / Philosophie der Architektur, München: Wilhelm Fink Verlag 2009

Dieser Weg über einen Immobilienentwickler lockt zwar mit einem späteren höchstmöglichen Mietertrag, bedeutet aber gleichzeitig einen hohen Investitionsaufwand und damit auch ein verhältnismäßig hohes Risiko. Gleichzeitig sieht sich der*die Besitzer*in des Objektes mit einem hohen Organisations- und Verwaltungsaufwand konfrontiert. Hier liegt auch das erste Potenzial der Strategie Grassroots Haus – die Mieteinnahmen mögen nach Realisation des Projektes nicht so hoch sein wie in der ersten Variante, alle anderen beschriebenen Nachteile kehren sich jedoch in Vorteile um. Gibt man das Haus in die Hände eines Kollektivs, das sich die Errichtungskosten mit dem*der Besitzer*in teilt und möglichst günstige Wege dafür findet, bleibt einem auch die Mietersuche erspart, da sich die Projektgruppe eines geeigneten Raumkonzeptes annimmt und dieses schließlich umsetzt. Außerdem wird das Objekt zu einem öffentlichen Ort.


Text: Christoph Grud

offene (T)räume Ein Prozess – kein Produkt

Offene Räume – was sie ausmacht, warum es sie braucht, welche Chancen sie bergen und in welchem Kontext sie stehen. Und warum eigentlich so viel Wirtschaft in der Kultur?

Ein offener Raum! Was ist das? Diese Frage bringt mich eigentlich fast immer an den Rand meiner Erklärungsmöglichkeiten, denn dazu muss man: Möglichst global denken, möglichst alle Szenarien und Gedanken­ modelle erlauben, immer alles offen lassen und gleichzeitig Grenzen stecken, stets bedenken, dass jeder Mensch seine eigene Dynamik und seine eigenen Werte hat, das Gedankenmodell immer wieder von vorne aufzäumen, Parameter aufstellen und verändern. Und spätestens wenn ich dann versuche, Parameter dynamisch werden zu lassen, spüre ich meistens das erste nervöse Zucken und sehe ein erstarrtes Gegenüber, das zwar noch recht bemüht ist, freundlich dreinzuschauen, aber schon bei „Gedankenmodelle“ angefangen hat, ungeduldig auf die Uhr zu schauen. Man wollte doch nur eine kurze Frage stellen. Aus dem Erklärungsversuch wird dann meist ein Erzählprozess, der schon des Öfteren mehr Zeit in Anspruch genommen hat, als geplant war. Da ich noch nie ein Meister des kontrollierten oder am Ende sogar wissenschaftlichen Wortes war, versuche ich mich in folgendem Text der Thematik nach meinem Verständnis und meiner Erfahrung als „praktischer Theoretiker“, der ich nun mal bin, zu nähern. Viel Spaß beim Lesen! 122


Ein offener Raum braucht einen physischen Raum.

geschwisterliches Geben und Nehmen ist Voraussetzung. Diese Gemeinsamkeit ist eine sehr wichtige Komponente von offenen Räumen.

Sehr oft entstehen offene Räume aus einem Zwischennutzungskonzept heraus und/oder durch Leerstands-MaGemeinschaft: nagement.

Offene Räume funktionieren nur, wenn sie von einer Gemeinschaft verwendet werden. Einzelne Betreiber*innen wären sofort überfordert oder gezwungen, mit traditionellen hierarchischen Strukturen Der offene Raum sollte ein unfertiger die Führung zu übernehmen. Raum sein. Genau wie der Inhalt, der Genau diese gilt es aber im offenen darin passieren soll. Dies lässt gestal- Experimentierraum zu brechen, da der terische Freiheit und Entwicklung zu. offene Raum sonst nicht mehr offen wäre. Ein offener Raum soll möglichst nie- Die Summe der Akteur*innen und derschwellig, also für alle Menschen Benutzer*innen müssen gemeinsam ein Modell, eine Struktur und Regeln frei zugänglich und nutzbar sein. für sich entwickeln. Ein offener Raum ist für mich weder Tatsache ist, dass Gemeinschaft zu lenur Kulturraum noch ausschließlich ben nicht mehr Teil unserer gegenwärtigen Kultur ist und einen schon Raum für Kreativwirtschaft. mal leicht an die Grenzen des ErtragMir kommt in Gesprächen oft vor, baren bringen kann. dass Wirtschaft und Kultur nicht als gleichwertige Geschwister angesehen werden, sondern eher als artfremde Konflikte und Rassen, die nebeneinander existieren Kommunikation und sich gegenseitig dulden müssen. Dabei macht das eine ohne das andere Wenn nun ohne traditionelle Strukturen und ohne die klassischen wachsgar keinen Sinn! tumsorientierten WettbewerbsbedinDer offene Raum ist offen für alles gungen gearbeitet wird, ergeben sich und lebt von der Synergie und der zwar viele Freiräume, aber auch KonVerschmelzung unterschiedlichster flikte. Auffassungen, Nutzungen, Dynamiken, Kontroversen, Erfahrungen und Kommunikation nimmt hier einen sehr hohen Stellenwert ein. Es muss Diskussionen. Bei einem offenen Raum geht es vor in einem offenen Raum überdurchallem um die Benutzer*innen, ihre schnittlich viel Zeit in das WIR invesEinstellung und Art der Nutzung so- tiert werden. wie um die für sein Funktionieren nö- Die vermeintlich lästigen Nebenerscheinungen wie Besprechungen und tigen Parameter. Konfliktlösungen sind genau die DinNur wenn diese Möglichkeiten offen ge, die das Kernprodukt von offenen bleiben, begibt man sich in den Expe- Räumen ausmachen und an denen fortlaufend gearbeitet werden muss. rimentierraum. Aus diesem Mutterboden können Ohne diesen demokratischen Prozess neue Ideen und zukunftsfähige wirt- wäre es nicht möglich, flache Struktuschaftliche und soziokulturelle Mo- ren zu erhalten und Verantwortung delle und Strategien entstehen. Ein vernünftig zu verteilen. Ein offener Raum ist ein innovativer Raum, der Experimente und vor allem Fehler zulässt, der diese sogar einfordert, um dem Begriff der Experimentierfläche gerecht zu werden.

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Verantwortung nicht nur für sich selbst, sondern vor allem für die Gemeinschaft, von der man ja Teil ist. Was man für die Gemeinschaft macht, macht man ja auch für sich selbst. In diesem Bewusstsein sollte es leichter möglich sein, Verantwortung auch fertig zu denken. Weitere Herausforderungen bestehen in den fortlaufenden Veränderungen bei Benutzer*innen und Akteur*innen, da ja ständig neue hinzukommen und ältere sich weiterentwickeln. Dafür ist wichtig, dass der offene Raum dynamisch bleibt und sich auf die jeweiligen Bedürfnisse seiner Benutzer*innen möglichst schnell und unkompliziert einstellen kann. Diese Flexibilität erfordert ein offenes Design, das allen Benutzer*innen, vor allem potenziellen neuen Benutzer*innen, ermöglicht aktiv werden zu können. Das Angebot von Raum muss billig sein. Billig ist das Zauberwort, durch das man sich Raum für Fehler überhaupt leisten kann. Nur durch geringe Kosten und wenig Druck kann Raum für Kreativität geschaffen werden. Langfristiger Druck (Kosten) zerstört die Kreativität, denn er bedeutet sich einem System der Schuldentilgung unterwerfen zu müssen, das nicht mit dem Entwickeln und Erproben neuer Strukturen vereinbar ist. Dieser Druck ist ein genaues Spiegelbild dessen, was in Wirtschaft und Kultur passiert, um Standards und Wachstumszwang zu entsprechen. Kreativität Der Start eines offenen Raumes braucht möglichst viel Kreativität, diese kann meiner Meinung nach am besten durch begrenzte Mittel freigesetzt werden. Sie zwingen eine Gruppe zu kreativen Allianzen und


Netzwerken, um den offenen Raum zu füllen und resilient zu werden. Nur so entsteht die nötige Dynamik für ein möglichst strukturloses Wachsen des Raumes. Erst diese Notwendigkeit, sich aufeinander einlassen zu „müssen“, schafft die Basis für Gemeinschaft. In diesem Sinne ist „etwas (gemeinsam) schaffen“ ein Bedürfnis und ein Wert. Man kann beobachten, dass sich Menschen Hobbys und Zusatzbeschäftigungen suchen, besonders wenn sie der Beruf nicht auslastet. Dieses „schaffen“ muss also ein natürliches Bedürfnis sein, es bereitet den meisten Spaß und macht sie glücklich und stolz. Teilen ist das neue haben! Allerdings hat sich die Gesellschaft aufgrund von Wettbewerbsbedingungen kulturell und wirtschaftlich in Richtung eines ungesunden Egoismus entwickelt. Wenn man sich in Gemeinschaft begibt und teilt, scheint dies mit Abhängigkeit einherzugehen, also nicht mit dem hohen Gut der persönlichen Freiheit vereinbar zu sein. Die Werbung bringt diese Wertehaltung auf den Punkt: Für die persönliche Freiheit kaufe ich mir am besten ein neues Auto. Dass ich mich dafür aber in eine ganz und gar nicht freie Lohnarbeitssituation bringen muss, blenden die meisten aus. Lieber eine*n Chef*in, den*die man nicht mag, als eine Gruppe von Leuten, mit der man sich herumärgern muss. Wir haben verlernt, diese Gemeinschaft zu leben, und folgen eher dem Leitspruch: Ich bin mir selber sicher der*die Nächste.

mentierraum auszuprobieren und seine Grenzen zu finden. Genau in diesem Moment beginnt dann eine Weiterentwicklung unserer bestehenden Gesellschaft in der Dimension: Gemeinschaft und WIRGedanken.

Reflektieren

Reflektieren, innehalten, darüber reden sind persönliche Herausforderungen von offenen Räumen, denen sich jede*r Benutzer*in täglich stellen muss. Das ist anfangs sehr schwer. Seine eigenen Fehler zu durchleuchten, erDiese soziokulturelle Innovation ist möglicht Erfahrungen zu sammeln ein Weg, ein Prozess. Ihr Gegenstück und Kompetenzen zu entwickeln. Das ist die wirtschaftliche Innovation, die ist das Kapital und der Gewinn, der produktorientiert ist. Es können also Benutzer*innen von offenen Räumen zwei Parteien vom Gleichen reden, winkt. Ein nachhaltiges Kapital für aber gänzlich etwas Anderes meinen. die Zukunft. Sieht man Innovation also einmal als Prozess und einmal als Produkt, ver- Und das Beste daran ist, dass dieser steht man, warum sich Wirtschaft Lernprozess dem*der Einzelnen hilft und Kultur oft als artfremd wahrneh- sich weiterzuentwickeln. Jede*r Einmen und ihre gemeinsame Chance zelne, der*die sich weiterentwickelt ist wie ein Tropfen im Ozean, der seine nicht erkennen. individuelle Wichtigkeit für das GanOffene Räume haben das Potenzial ze hat. und die Chance, gesellschaftliche Auch wenn es am Anfang als winziger Entwicklungsprozesse ablesbar zu Schritt erscheint, viele dieser winzigen machen und damit der produktorien- Schritte nebeneinander ergeben geratierten Seite zu nützen, damit diese dezu einen Quantensprung. Aber nur, möglichst dynamisch auf gesellschaft- wenn sie gemeinsam und von vielen liche Wünsche eingehen und ihre Pro- gemacht werden. Alleine ist man allein. Natürlich hat dukte optimieren kann. auch jede*r das Recht allein sein Glück Deshalb liegt die Zukunft in Koope- zu suchen, solange er*sie damit nicht rationen, genauer gesagt, in der Syner- anderen schadet und dabei glücklich gie von soziokultureller und wirt- ist. Denn jede*r ist seines*ihres Glückes schaftlicher Innovation. Offene Räume wären dann der Kata- eigene*r Schmied*in. lysator für Kreativität, wirtschaftliche Weiterentwicklungen, innovative Pro- Das Feuer brennt!! dukte und neuen Formen von Arbeit. Dabei geht es im Sinne einer reduktiven Moderne einerseits darum, Ressourcen zu sparen, Lebensqualität zu erhöhen und Konsum einzuschränken, aber auch darum, die Wirtschaft in ihren Herausforderungen bestehen zu lassen, neu zu interpretieren und zu entwickeln, neue Strukturen auszuprobieren und zu fördern, bzw. überhaupt erst zu ermöglichen.

Spätestens wenn einem das Geld ausgeht oder in einer noch extremeren Situation merkt man jedoch schnell, dass man sich zwar selber der*die Nächste ist, es aber mit jemandem an- Läge darin nicht eine Chance, Arbeit deren an der Seite doch wärmer wäre. neu zu erdenken, technologische Entwicklungen mit sozialen Innovationen Der offene Raum ist nun eine Mög- zu paaren und damit Probleme, wie lichkeit, sich dem Gemeinschaftsge- das der Arbeitslosigkeit in Angriff zu danken neu zu nähern, ihn im Experi- nehmen? 124


Tagebuch der Bäckerei

Text: Florian Ladstätter

In Der Bäckerei schreiben wir uns auf die Fahnen ein offener Raum zu sein, der Vielfalt und Kreativität fördert. Andererseits müssen wir Die Bäckerei als effizienten Betrieb am Laufen halten. Diese beiden Ansprüche sind im Alltag nicht ohne Weiteres zu vereinen. 125


Arbeit in Zahlen: Wir veranstalten und begleiten pro Jahr über 500 einzelne Veranstaltungen mit über 40 unterschiedlichen Formaten von 100 verschiedenen Veranstalter*innen. Für jede Veranstaltung wird Die Bäckerei neu angepasst. Für 100 Konzerte pro Jahr bauen wir Bühne, Sound-Anlage und Bestuhlung auf, für 15 Märkte verteilen wir Tische und räumen sie wieder weg. Während 250 Veranstaltungen betreiben wir die Bar. 20.000 Bier und 200 Kilo Kaffee müssen rechtzeitig eingekauft und gelagert werden. Insgesamt wird in Der Bäckerei ca. 1.000h Stunden pro Jahr geputzt. Pro Tag lesen und beantworten wir etwa 100 Emails. 10.000 gedruckte Programme gibt es pro Jahr, 500 Homepage und 1.000 Facebook-Einträge. Pro Jahr bewegen wir über 300.000€ in ungefähr 2.000 einzelnen Buchungen über das Konto Der Bäckerei. Außerdem betreiben wir zwei Coworking-Spaces, eine Holzwerkstatt, eine Dunkelkammer, einen Dachgarten, ein Grafikbüro und jetzt neu einen Blog und organisieren ein einwöchiges Festival (Föhnfest) im Herbst.

Unperfekt oder Reibungslos 24. 03. 2014

„Die Kaffeemaschine an der Bar ist schon länger kaputt. Zwischenlösung ist die alte kleine Maschine ohne Fixwasseranschluss. Die hält das aber nicht lange durch. Wir bekommen eine professionelle Espressomaschine geschenkt, die aber auch kaputt ist. Benni und Adrian versuchen zwei Wochen lang vergeblich sie zu reparieren. Schlussendlich kaufen wir eine funktionierende gebrauchte Maschine.“ 05.11.2014 „Im Coworking-Space geht die Hälfte der Steckdosen nicht, obwohl alle Sicherungen drin sind. Nach längerer Zeit kommt Klaus drauf, dass es eine Vorsicherung geschmissen hat.“

Die Grenzen der Offenheit 03. 07. 2013

„Ein Mann kommt immer wieder in Die Bäckerei. Er sitzt jeden Tag im Café, will an der Bar und beim Aufräumen helfen. Er drängt sich auf, ist zunehmend aggressiv und bindet ständig Aufmerksamkeit und Energie. Nach einigen Konflikten bitten wir ihn zu gehen. Er weigert sich und wir schmeißen ihn schlussendlich raus.“ Wie sagt man jemandem, dass er in einem offenen Raum keinen Platz hat? Ein Mensch, der durch seine Anwesenheit andere in ihrem Tun stark beeinträchtigt, ist für Die Bäckerei ein Problem. Wir hatten immer gedacht, Die Bäckerei sei „für alle da.“ Zwei Wochen voller Konflikte waren notwendig, um zu verstehen, dass wir nicht Platz für jede*n haben können. Die Grenzen der Offenheit zu erkennen und durchzusetzen, war ein schmerzhafter Lernprozess. Offenheit bedeutet auch, offen für Interpretationen zu sein. Anders als die meisten Räume gibt Die Bäckerei nicht genau vor „für was“ oder „für wen“ sie da ist. Das ist ihre Stärke, weil dadurch so viel Platz für Neues da ist. Das ist aber auch ihre Schwäche. Wenn Menschen sich in ihren Aktionen und Ansprüchen in die Quere kommen, entstehen Konflikte. 126

Die Räumlichkeiten Der Bäckerei sind gewollt unvollendet und roh. Sie müssen so sein, denn Die Bäckerei soll ein Ort zum Ausprobieren sein. Makellose weiße Wände und schön geölte Parkettböden würden dabei einschränken und abschrecken. Unperfekt ist in Der Bäckerei aber nicht nur das Gebäude. Unser ganzer Arbeitsstil ist darauf ausgelegt, so viel wie möglich selbst zu machen, durchs Tun zu lernen, zu improvisieren und mit vorhandenen Ressourcen zu arbeiten. Diese Herangehensweise zieht sich durch die gesamte Organisation. So sparen wir viel Geld und können oft individuelle Lösungen entwickeln. Allerdings kommt es vor, dass in Der Bäckerei irgendetwas nicht funktioniert. Eine Sicherung hält nicht stand, das Dach ist undicht, eine Lampe funktioniert nicht. Generell dauern Dinge oft länger und es entstehen viele improvisierte Zwischenlösungen. Konflikte und Reibung sind unvermeidlich, wenn durch diese Arbeitsweise die Anforderungen eines laufenden (Café- oder Coworking-)Betriebs nicht erfüllt werden.


Ist man als Bäckerei-Mitarbeiter*in ein Rädchen im System der Bäckerei-Organisation und muss seine eigenen Bedürfnisse zurückstellen? Oder passt sich die Organisation den Bedürfnissen der Mitarbeiter*innen an? Das Beispiel zeigt, dass in Der Bäckerei beide Ansätze präsent sind. Manche Teammitglieder beurteilen die Freiwillige danach, ob sie produktiv für die Organisation ist. Nach dieser Logik argumentieren sie dafür, die Freiwillige nach Hause zu schicken. Auf der anderen Seite steht das Argument, dass Individuen in Der Bäckerei die Möglichkeit bekommen sollen, ihre Persönlichkeit zu entwickeln und wertvolle Erfahrungen zu machen. Nach dieser Logik trägt es zur „Mission“ Der Bäckerei bei, wenn die Freiwillige bleibt und eine positive Erfahrung macht. Schlussendlich findet das Team einen Kompromiss. Die Offenheit, die Die Bäckerei als Programm verfolgt, setzt sich auch in der internen Organisation fort. Wir versuchen allen Mitarbeiter*innen Zeit und Raum zu geben, um ihre individuellen Interessen im Rahmen ihrer Arbeit zu verfolgen. Gleichzeitig gibt es viele Bereiche, in denen Mitarbeiter*innen die anfallenden Arbeiten einfach erledigen müssen, um den Betrieb aufrecht zu halten. Offenheit in der internen Organisation heißt in Der Bäckerei auch, dass es keine formalen Hierarchien gibt. Jede und jeder ist vom ersten Tag an ein grundsätzlich gleichberechtigtes Mitglied des Teams mit gleichem Stimmrecht bei Entscheidungen. Um Lösungen für Probleme wie das oben beschriebene zu finden, muss immer so lange diskutiert werden, bis alle gemeinsam zu einem Entschluss kommen. Dass dies nicht immer ohne Reibereien abläuft, dürfte selbstverständlich sein.

Diversität & professionelle Ansprüche 14. 11. 2014

„Eine Theatergruppe regt sich auf, als sie erfahren, dass parallel zu ihrer Theatervorstellung ein Konzert im Seminarraum stattfinden soll. Erst nachdem ihnen David das Prinzip der Bäckerei-Parallelveranstaltungen erklärt hat und ihnen versichert, dass ihre Veranstaltung nicht gestört wird, beruhigen sie sich wieder.“ Versuchen Sie mal die Bedürfnisse von 200 Veranstalter*innen bei 500 Veranstaltungen im Jahr unter einen Hut zu bekommen. Die Bäckerei soll ein Raum mit großer Vielfalt sein. Dazu gehört es auch verschiedenste Events gleichzeitig zu veranstalten. Die Idee ist durch Überschneidungen, gegenseitige Inspiration möglich zu machen. Allerdings führt das natürlich auch immer wieder zu Problemen. Verschiedene Gruppen haben unterschiedliche Bedürfnisse und Erwartungen. Die Theatergruppe bezahlt Raummiete und erwartet sich dementsprechend eine professionelle Umgebung für ihre Veranstaltung. Vielfalt und gegenseitige Inspiration sind in dem Fall nicht ihr erstes Anliegen. Erst als David bei ihnen ein Bewusstsein für Die Bäckerei als Ganzes weckt, löst sich der Konflikt. So haben sie die Möglichkeit sich als Teil eines größeren Raums zu sehen und sind bereit ihre eigenen Ansprüche dem Haus anzugleichen. Mensch für Organisation oder Organisation für Mensch 05. 12. 2013

„Die neue EVS-Freiwillige hat große Schwierigkeiten ihre Arbeit zu erledigen. Es ist teilweise unser Fehler, weil wir ihr im Vorhinein andere Arbeitsbereiche kommuniziert hatten, als sie jetzt erledigen soll. Nach einigen Wochen ohne Veränderung debattieren wir im Team, was wir machen sollen. Ein Teil des Teams argumentiert, dass es für uns zu teuer ist, sie noch länger bei uns zu beschäftigen. Andere meinen, es sei wichtig, dass ihre Zeit bei uns für sie eine wertvolle, motivierende Erfahrung ist und sie zurückzuschicken unfair wäre. Nach einigen Diskussionen entscheiden wir uns dafür, sie zu behalten. Alberto ändert seine Arbeitsabläufe und kümmert sich intensiv um die Freiwillige. Wir ändern auch ihr Aufgabengebiet, um sie zu einem produktiveren Teil der Organisation zu machen.“

Fazit Wie organisiert man also einen offenen Raum? Was sich in der Theorie super anhört, führt in der Praxis zu verschiedensten Problemen und Widersprüchen. Die Bäckerei muss Geld verdienen, indem sie eine möglichst große Diversität erzeugt und Menschen zum Ausprobieren einlädt. Sie muss effizient vielen Menschen als Plattform für ihre Kreativität zur Verfügung stehen. Fragen wie: „Wie viel Offenheit und Partizipation können wir uns leisten ohne das Fortbestehen Der Bäckerei zu gefährden?“ oder „Wie unvollkommen und inspirierend darf ein Raum sein, ohne dass ein halbwegs reibungsfreier Betrieb gefährdet ist?“ stellen sich immer wieder und können nicht pauschal beantwortet werden. Ein Raum ist nicht einfach so und von vornherein offen. Ein offener Raum ist ein Prozess. Es muss konstant daran gearbeitet werden, dass er funktioniert.

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Horch Akustik in Der Bäckerei – von diesen Abenden sind Christoph, Klaus und David immer noch beeindruckt.

Eivør Henhouse Prowlers Mai Mai Mai David bucht seit Herbst 2013 und immer noch

Geoff Berner Ian Fisher Bob Brozman Christoph buchte 2010 – 2013

Seth Faergolzia - Dufus Bob Corn - Video Stanley Brinks + Freschard Klaus buchte 2010 – 2013

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Gedanken aus dem Kerngeh채use

B채cker*innen erz채hlen

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Growing a Seed

Baiba Dekena I am sitting in the midst of the mountains, somewhere near Salzburg. It is raining heavily, two days earlier we hiked up, blindfolded by fog as thick as white bread. We are wet and soaked to the skin, I hardly know any of these people, most of them don’t know each other. The only thing we have in common is music, misty nature and misty impressions of others around us. This small hut is crowded with guitars, accordions, ukuleles, cajones and weird musical devices I have never seen before. This is how we communicate. This is how we say we are happy or shy, sometimes angry, this is how we get to know each other. And it’s frightening. And it’s amazing. Planting this little seed and hoping that it’s going to grow. And this Open Mic Mountain project has overgrown me in only a few days. In the same way as Die Backerei Open Mic Sessions did within a few months. The evening bonfire has burned down all the stress and organizational fears, the smoke is filled with pure excitement. And this is not just how Die Backerei projects or collaborations work, this is how Die Backerei itself works. It sucks you out and sometimes sucks you in so badly that you feel like you are living there. And then you are tired, angry and stressed because you don’t know if the seed is going to grow. If people are coming, if you did everything right, if the half broken stage is going to collapse under the weight of the artists. Sometimes it doesn’t work out and you have no one to blame (well, we tend to fuck up pretty bad as well). And it’s ok, and it’s exhausting. And then there are times like this camp. When I stand in a circle with 12 young musicians in the middle of the night under a small tent. Escaping the rain, barber shop singing in nearly perfect harmonies

for hours and thinking that this exact moment is probably one of the most epic moments of my life. Or like with Die Backerei Open Mic Sessions. Where for the first time in our smallest seminar room I had to face my colleagues worried and wrinkled foreheads. Playing by myself the whole evening because nobody came. And then, in the blink of an eye, I was surrounded by a crowd of passionate young musicians. Breathing in everything this city has to offer. And the bad times somehow don’t matter anymore.

And then you are tired, angry and stressed because you don’t know if the seed is going to grow. 130


Gibt es hier ein Problem? Idealismus und Kapitalismus Julia Scherzer Wer etwas macht, macht sich angreifbar. Wer viel macht, umso mehr. Die Bäckerei ist nun wirklich nicht mehr klein, von der räumlichen Dimension ganz abgesehen. 15 Mitarbeiter*innen, circa 13 regelmäßige und zig unregelmäßige Veranstalter*innen, circa 10 Kollektive, 22 Coworker*innen und unzählige mehr werken auf 2500 m². Dabei entstehen etliche Probleme, Pläne und Diskurse, die schon längst unüberblickbar geworden sind. Das ist gut, das ist der Plan. Dynamisch und offen wollen wir sein. Dem Chaos Raum geben wollen wir, es zulassen und damit umgehen lernen, das wollen wir. Wollen und Wirklichkeit sind bekanntlich zwei ungleiche Schwestern. In der Realität stellt sich das nicht nur als wahnsinnig schwieriges, sondern als mitunter halsbrecherisches Unterfangen dar. Und dabei sprechen wir noch von einem idealistischen Konflikt. Wenn man weiß, wie schwierig es zwischen zwei Menschen werden kann, dann stelle man sich die Beziehung zu, grob überschlagen, 110 mal zig Menschen vor. Jedem und jeder davon will man Raum für seine*ihre Anliegen und Ideen geben, mit jedem und jeder davon will man eine konstruktive Kommunikation starten. Alle sollen mitgestalten, mitreden und dabei nicht nur sich, sondern im Idealfall eine ganze Gruppe, nein das Gemeinwohl im Großen und Ganzen mitdenken. Ein zum Scheitern verurteilter Plan. Dennoch lassen wir nicht davon ab. Kommt zu diesem großen Vorhaben auch noch eine finanzielle Seite ins Spiel, wird es wahnsinnig. Wahnsinnig komplex und wahnsinnig konfliktbeladen. Der Kapitalismus frisst alles, erbarmungslos. Auch wir werden gefressen, tagtäglich. Wie aber-

beschäftigt. Wir sehen die Supermarktkette als ein Unternehmen, das sicherlich nicht fehlerfrei ist, aber doch an vielen gesellschaftsrelevanten Themen und Projekten arbeitet, die leider viel zu wenig in die Öffentlichkeit getragen werden. Ist es falsch, ein Sponsoring von einem großen Unternehmen anzunehmen und damit anderen Menschen die Möglichkeit zu geben, an ihren Idealen zu arbeiten? Ist es falsch oder richtig, Geld, das in einem relativ großen Betrieb erwirtschaftet wurde, durch Projekte wie Denkt man jetzt noch mit, dass die Die Bäckerei schlussendlich wieder Bäckerei – Kulturbackstube ein offe- der Gesellschaft zuzuführen? Ist das ner Ort ist, an dem hunderte Men- zu viel Abhängigkeit, zu viel Nutzen schen wirken und werken, der in der des Systems? Öffentlichkeit steht und auch von ihr abhängig ist, dann ist das beurteilt, Wir wissen es nicht. bewertet und kategorisiert werden von eben dieser Öffentlichkeit ein Teil des Ganzen, quasi unser täglich Brot. Auch wenn es oft hart ist, was wir brauchen, sind Urteile und Kritik von eben dieser Gemeinschaft, der wir uns so gerne voll und ganz widmen wollen. Naturgemäß löst jede Aktion und jede Entscheidung eine Reaktion aus. Natürlich kann es nicht jeder und jedem recht gemacht werden. Der springende Punkt dabei ist: Das wollen wir auch gar nicht. Nicht WIR machen es EUCH recht, sondern wir alle gemeinsam müssen es UNS selbst recht machen. Deswegen sollte Kritik nicht der Endpunkt, sondern der Beginn eines gemeinsamen Prozesses werden. Wir alle sind winzige Teile eines Systems. Und darin sind wir leider alle Beteiligte und Abhängige gleichermaßen. Die Frage ist, wie man seine Anteile nutzt. Hier ein Beispiel: Seit 2015 wird Die Bäckerei von MPREIS mit € 50.000,- im Jahr gefördert. Eine Entscheidung, die viele Urteile auslöste und uns immer noch tausende andere würden auch wir gerne wissen, wie man ein System verändern kann, von dem man selbst abhängig ist. Müssen wir uns dagegenstellen, es nutzen oder von innen operieren? Auf einen Punkt haben wir uns geeinigt: Wenn es unser Ziel ist, gemeinwohlorientiert zu arbeiten, also in und an der Gesellschaft, folglich auch in und an unserem System, dann ist ein Ausstieg daraus illusionär. Kooperation ist momentan unsere einzige Entwicklungsmöglichkeit.

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Idealismus und Lohnarbeit: Die Hippiezeiten sind vorbei David Prieth Schon bevor ich in Der Bäckerei zu arbeiten begann, war ich regelmäßig im Haus zu Gast und fragte mich, wie ein so großes, dichtbespieltes Haus derart problemlos betrieben werden konnte. Drei Jahre später weiß auch ich: Das Problem ist Teil des Alltags. Inklusive der regelmäßig stattfindenden Formate kommt das BäckereiProgramm pro Saison auf einige hundert Veranstaltungspunkte (Stand der letzten Saison: 480). Veranstaltungen finden dabei zumeist im Erdgeschoss statt, geschlossene Besprechungen und Arbeitsbereiche spielen in dieser Hinsicht eher eine untergeordnete Rolle. Meiner persönlichen Einschätzung nach müsste Die Bäckerei damit eines der am stärksten bespielten Häuser der Stadt sein. Muss man wirklich so viel machen? Sicher ist das auf der einen Seite schön und zeigt, welchen enormen Bedarf an Raum es in Innsbruck gibt. Auf der anderen Seite verlangt es einem Team, das ohne steile Hierarchie organisiert ist, auch ein Höchstmaß an Verantwortungsbewusstsein und Verlässlichkeit ab. Saisonabhängiges Schwanken eben jener Faktoren hat, wie in jeder anderen Institution, eine Kettenreaktion zur Folge, die sich schnell zu Ungunsten der Endverbraucher*innen/Veranstalter*innen niederschlägt: Planung, Absprache, Werbung, Technik, Finanzplanung – greifen ein oder mehrere dieser Faktoren nicht ausreichend ineinander, wird das sicherlich stärkste Talent der Bäcker*innen aktiviert: Der Wille zur unmittelbaren Improvisation. Blitzschnelles Reagieren und Korrigieren von Fehlsituationen ist etwas, das fast jede Person unbewusst im Alltag macht. In Der Bäckerei wurde dies zur Wissenschaft erhoben.

Worüber mache ich mir als Hauptbeauftragter für das Thema Veranstaltungen in Der Bäckerei hauptsächlich Gedanken? Mit Innen- und Außenstehenden immer wieder über Folgendes nachzudenken: Das Haus ist kein Produkt, sondern ein Prozess. Auch seine Inneneinrichtung ist niemals fertig, sie ist im Werden. Je nach Situation und Laune kann/wird das Haus anders aussehen und sich an unterschiedliche Herausforderungen anpassen (müssen?). Die ständige Mobilität von Bühnen, Technik und Möbeln hat allerdings ihren Preis. In Kombination mit einer enorm hohen Programmdichte und einem über die Jahre immer größer werdenden Netzwerk sogar einen ziemlich hohen. Loslassen und Abschalten wird in diesem Geflecht erschwert bis verunmöglicht. Diese Situation kennen wohl (fast) alle, die im freien Kulturbetrieb tätig sind: Ohne ein gewisses Maß an Selbstausbeutung erreicht man nur selten den Punkt, an dem man sagt, dass das, was man machen wollte, auch so gut man wollte, umgesetzt worden ist. Muss das alles sein? Wie wäre es, wenn man eine Bühne und eine Tonanlage in einem Raum installieren, diesen weiß ausmalen und vorne drauf ein Preisschild nageln würde? Das wäre wohl praktisch, unkompliziert und würde vielen interessanten Gedanken den Hals abschneiden. Die besten Momente in Der Bäckerei wurden sicherlich nicht in der Sterilität geboren, sondern im Experiment. Oft waren sie halbgar und schmeckten nach einem Bier zwischen Tür und Angel. Doch im Nachhinein waren sie die magischsten und blieben am längsten im Gedächtnis. Ich bin bisher noch keiner Tätigkeit nachge132

gangen, die mich mental und körperlich so gefordert hat wie meine Arbeit in Der Bäckerei. Die Zahl der Nächte, in denen ich zerschunden an Leib und Seele ins Bett gefallen bin und mir geschworen habe: „Nie wieder!“ ist irgendwo im zweistelligen Bereich angesiedelt. Die Morgen, an denen ich umso rastloser aufgestanden bin und mir gedacht habe: „Das ziehen wir heute durch!“, im dreistelligen.


Experiences at Die Bäckerei

Álvaro Benito Cerezo In the summer of 2014 I visited Innsbruck for the first time. One day I was walking along with friends as we unintentionally came across Die Bäckerei. Nothing has been the same since. This place is out of this world and has a magnetic appeal that grabs anyone who has the chance to find their way there. As I told, we were just outside the door and for me, without knowing it yet, a new life started. “Hey, let’s check this out”, said Guille. “You gotta see this place”. Just like me, he is also from Málaga and arrived in Innsbruck a few years earlier. When I walked into Die Bäckerei for the first time, it was empty; it was summer and the season for event was over. Thankfully, Marta, another Spanish friend and resident at IBK, took her time to tell me all about what really goes on in those halls: concerts, exhibitions, lectures or workshops, and even then I still didn’t grasp all that really goes on there. It’s really the people that make this place so special. It’s their effort, passion and energy that bring all this to life. From the very beginning, the appearance of the building caught my eye. It’s an old bakery, which retains the essence of years ago. Just a few changes were required to improve the efficiency and the functionality of the building, using wood as the main material in the rooms and reusing old furniture: a lot of different chairs, a lamp very similar to the one my grandma used to have, a jukebox and a wall of blue tiles in the hall, for example. That style is part of the charm of this place. Learning is something I do every day. My first task in Die Bäckerei was to design a poster for a concert of a band named Breit from Germany and half an hour later I was climbing up a ladder to set the floodlights of the

stage because we had another concert on the same evening. Other times, my job basically consists in changing a lightbulb or taking out the trash, sometimes more often than I would like to … I have also worked as a carpenter, photographer and at one time when we had a market for organic produce, the shopkeepers were so thrilled to have me take their picture that they gave me more lettuce and cheese than I could ever eat in a month! For a guy from Málaga, like me, who only spent 3 months in Austria and who can’t speak much German, you can imagine how hard it is. Language barriers are a real problem, which is why I want to take this opportunity to show my deepest thanks and affection for the entire team. Each week I learn more, thanks to our meetings in German. When I don’t understand something I just go with the flow and smile, laugh or frown when everyone else does. And, if somebody asks me something I just say: “Genau!” I always wanted a place like this back home. Here I’m learning how it can be done.

... I still didn’t grasp all that really goes on there.

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Reden wir drüber?

Christian Murer Das Team Der Bäckerei trifft sich seit 2014 regelmäßig zur Supervision, um Konflikte zu thematisieren, die den Arbeitsalltag belasten. Supervisor Christian Murer erklärt, was das eigentlich bedeutet und wie solche Sitzungen funktionieren.

Was auch gleich zu den Rollen führt, die ebenso wie die Normen offen oder verdeckt sein können. Wer führt? Wer sagt nie was? Wer schreibt immer mit? Wer stört immer? Wer lockert die Stimmung auf ? Wer besänftigt bei Streit?

Das Bäckerei-Team ließ sich über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren mit monatlichen Sitzungen supervisoWas ist Supervision? risch begleiten. Zusätzliche Teamreflexionstage ein- bis Supervision ist ein Beratungsinstrument, das in allen Be- zweimal jährlich ermöglichten ein intensiveres Kennenlerrufen einsetzbar ist, vor allem dort, wo mit Menschen ge- nen und Austauschen über oben erwähnte Systeme. arbeitet wird. Eine von außen kommende Person (Supervisor*in) begleitet das Team über einen definierten Während der Beratung hat das Bäckerei-Team sehr viel Arbeit in Bezug auf Rollenklärung, speziell zum Thema Zeitraum mit einem gemeinsam vereinbarten Ziel. Supervision unterstützt bei der Verständigung im Team Führung geleistet. Normen konnten offen besprochen und oder in der Gruppe und ermöglicht neue Ideen für den ausgehandelt werden. Das Team konnte sich durch ein breites Methoden- und beruflichen Alltag zu entwickeln. Auf folgende Fragen und viele mehr kann Supervision Übungsspektrum besser kennenlernen. Es wurden die Einzelbeziehungen untereinander und die Beziehungen in Antworten geben: der Gruppe zueinander gestärkt. Die einzelnen Teammitglieder haben gelernt, aktiv die Wie funktionieren wir als Team? Rollen zu wechseln und auch andere „Plätze“ und PersWas läuft gut? Was läuft weniger gut? pektiven einzunehmen. Haben wir alle das gleiche Ziel? Konflikte können offen angesprochen, ausgetragen und Wollen wir etwas verändern? konstruktiv und kooperativ verarbeitet werden. Wie können wir uns effektiver organisieren? Der*die Supervisor*in gibt keine Antworten auf diese Fragen. Er*sie unterstützt das Team/die Gruppe dabei Lö- Christina Mölk sungen selbst zu erarbeiten. Supervision bietet einen Raum für Persönliches, ist aber keine (Team)Psychothera- ... und was denk ich mir dabei? pie. Persönliche Gedanken über die Supervision. Die Arbeit in einem Team stellt alle Beteiligten vor große Herausforderungen. Die Arbeit in hierarchielosen Teams, so wie im Bäckerei-Team, birgt unglaubliche Herausforderungen. Unter anderem wirken in Teams ein Normen-, ein Werte- und ein Rollensystem. Normen beziehen sich auf die Organisation der Zusammenarbeit. Vereinfacht könnte man von einem Regelsystem sprechen. Diese Regeln können ausgesprochene (explizite) oder unausgesprochene (implizite) Regeln sein. Regeln strukturieren unser Zusammenleben, wir möchten uns auf sie verlassen können. Ein Beispiel für eine explizite Regel wäre Pünktlichkeit. Eine implizite wäre, worüber bei Sitzungen gesprochen und was am besten gar nicht angesprochen wird, und wehe dem*der, der*die es doch wagt. Jeder und jede bringt andere Werte mit, die es anzugleichen gilt. Hier spielen auch ideologische Vorstellungen eine große Rolle.

Angefangen über eine Supervision in Der Bäckerei nachzudenken, habe ich im Herbst 2013. Das Team Der Bäckerei hatte sich, nach einer chaotischen Zeit von Unsicherheit, Konflikten und Überforderung, stark vergrößert. Es lagen viele ungeklärte Fragen in der Luft und da es niemanden gab, der diese beantworten wollte und konnte, wurden die Diskussionen immer schärfer und die Stimmung im Team zunehmend schwieriger. Dass wir uns dann für eine Supervision entschieden haben, war ein großer Schritt, da es auch um zeitliche Ressourcen ging. Wo liegen unsere Prioritäten und wie viel Zeit haben wir neben unserer Arbeit überhaupt übrig, um uns mit unseren Beziehungen zu beschäftigen? Anfangs war das ein Lernprozess für alle. Und wir haben im Laufe der Zeit gemerkt, dass die Arbeit am Team ein ganz wichtiger Teil unserer Arbeit an sich ist. Die Dinge mit denen wir uns 134


nun in den Supervisionen beschäftigen sind ganz stark Teil unserer Arbeit und nicht nur schnell dazwischengeschoben, weil es ohne nicht geht. Es ist eine bewusste Entscheidung diesen Weg zu gehen, an den Teamprozessen und Rollen zu arbeiten. Wie schaut Arbeit für jede*n Einzelne*n aus? Was sind die Erwartungen für die Zukunft? Wo möchten wir hin – gemeinsam? Die erste Zeit der Supervision war schwierig, da die Konflikte jetzt erst so richtig ausbrachen. Durch die Beschäftigung damit, durch den Raum und die Zeit, die wir diesen gaben, konnten sie sich erst mal so richtig entfalten und zuspitzen. Es wurden Dinge angesprochen, die bis dato tabu waren. Aber wir wurden auch sicherer, trauten uns mehr, weil wir wussten, die nächste Supervision kommt bald und wir können schwierige Themen auch dahin vertagen. Im Rahmen der Supervision fühlt man sich irgendwie geschützt. Da gibt’s ja den Christian, der auf uns aufpasst ... Je länger dann die Supervision ging, desto selbstsicherer wurden wir auch, unsere Konflikte zu lösen. Wir übernahmen bestimmte Methoden und Umgangsformen, auch in unseren wöchentlichen Teamsitzungen. Ich glaube jede*r von uns hat durch die Supervision auch persönlich sehr viel dazugelernt. Es ist auch eine Wertschätzung für den*die Einzelne*n, wenn man sich die Zeit nimmt zuzuhören um sich auf einer persönlicheren Ebene kennenzulernen. So ist es möglich, Vertrauen zu schaffen, was in einer hierarchiefreien Arbeitsgemeinschaft eines der wichtigsten Dinge ist. Natürlich kommt dieses Vertrauen regelmäßig ins Wanken und man muss es sich immer wieder aufs Neue schaffen. Aber es hilft sehr, wenn man Konflikte und Unstimmigkeiten nicht gleich als etwas Schwieriges und Negatives betrachtet, sondern als Herausforderung und Möglichkeit sich weiterzuent­ wickeln. Es gibt immer wieder neue Konflikte und alte Reibungspunkte. Ich finde es jedesmal aufs Neue spannend, wie wir diese in der Gruppe verhandeln. Inspiriert von den Erfahrungen in der Supervision habe ich eine Coaching-Ausbildung begonnen.

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Christian Murer ist als selbstständiger Berater und Coach für Einzelpersonen, Gruppen und Teams tätig. Sein Beratungsfeld umfasst Start-ups, Vereine, Studierende, Sozialbetriebe und Wirtschaftsunternehmen. Darüber hinaus arbeitet er an seiner Dissertation zum Themengebiet „Lernen durch Beratung in Organisationen“.


HALB-GEBACKEN

Ein paar Worte zur Bäckerei von einem, der es besser wissen könnte. Klaus Schennach

„I don’t want to belong to any club that will accept people like me as a member.“ (Groucho Marx)

Die Herausforderung war, mit den begrenzten Mitteln, die wir zur Verfügung hatten, den Raum so umzugestalten, dass er benützt werden konnte, ohne ihn seines Charakters zu berauben. Außerdem war damals davon auszugehen, dass der Raum nur 3-5 Jahre zur Verfügung steht und von Zitat am Anfang – das kommt gut ... uns zwischengenutzt werden kann. Wenn’s recht ist, schreib ich einfach so Der Mangel an Mitteln und Zeit wadrauf los, weil besser wird’s durchs ren die besten Voraussetzungen zur Nachdenken eh nicht. Und los: Schaffung eines lebendigen Ortes.

Angefangen hat es mit dem Raum, dem nach der langen Zeit, in der er sich selbst überlassen war, nun neues Leben eingehaucht werden konnte. Als wir die Hallen der ehemaligen Bäckerei im Herbst 2009 zum ersten Mal betraten, waren meine Gefühle gemischt: Es war dunkel und feucht und roch nach Luft, durch die sich lange niemand mehr bewegt hatte. In einem Raum tropfte es von der Decke, der andere war schwarz von einem Kabelbrand. Nur ein Waschbecken funktionierte, der Strom war großteils abgeklemmt. Vorne gab es nur sehr kleine Fenster, die kaum Licht reinließen ... Konnte dies jemals ein gemütlicher Ort werden – ein Ort an dem man verweilen und tun möchte? Andererseits aber ging von diesen Wänden auch eine große Anziehungskraft aus. Sie erzählten die Geschichte ihrer früheren Nutzungen – verrußte Ecken, Schatten von längst vergessenen Geräten, die irgendwann mal irgendwas hergestellt hatten, Rohre, die in den Raum hineinragten und im Nichts endeten, verwinkelte Räume und unnütz gewordene Ebenen und Nischen. Diesen Hallen war es offensichtlich gelungen, den Stadtkosmetiker*innen zu entkommen. Also gut – es muss sein!

Ein bisschen Unordnung kann vielen nur gut tun.

Das gleichzeitig entstandene Konzept Der Bäckerei spiegelt sich im Raum wider und umgekehrt. Kein exakt definierter Inhalt – (fast) alles, das in irgendwelchen Köpfen schlummert und mangels Raum (nicht nur physisch) nie ans Tageslicht gelangte, darf passieren. Diese Offenheit war für uns anfangs schwer zu verteidigen – für manche auch wiederum kaum Der eigentliche Start Der Bäckerei auszuhalten („Ihr müsst’s das mehr war der Beginn des Umbaus. In kür- definieren!“). Zugegeben wussten wir zester Zeit kamen unterschiedlichste ja auch selber nicht, ob es funktionieMenschen zusammen und beteiligten ren kann. Wir hatten nur eine Ahsich (je nach ihren Fähigkeiten) am nung (oder vielleicht eben keine AhAus- und Aufbau. Ein bunter Haufen nung). von Dilettanten (entschuldige Papa), der einen entsprechend bunten und Manche Dinge lassen sich vorher vielschichtigen Raum hinterließ. In nicht denken. Erst im Tun zeigt sich, fast jeder Ecke lässt sich eine persön- ob sich das Ding bewegt und in welliche Handschrift entziffern. Der che Richtung es sich aufmacht. LeiRaum wurde so, wie sein Inhalt sein der wird aber genau dies oft gefordert: sollte: heterogen, improvisiert, unfer- Dass alles vorher durchdacht und auf den letzten Cent durchgerechnet wertig, prozesshaft, lebendig. den muss. Dadurch wird im Vorfeld Der Charakter des Raums zeigt seine das verhindert, worum es eigentlich Wirkung auf die Menschen, die sich geht: Lebendigkeit, Wachstum, Prodarin aufhalten und darin tun. Er be- zess, Ent-Wicklung oder wie immer einflusst ihre Herangehensweise. Das man das nennen möchte. Mit dieser Unperfekte eröffnet einen Freiraum – häufig vorgegebenen Art der Heranlässt Fragmentarisches zu – erlaubt gehensweise schafft man nur tote das Experiment (und vielleicht auch Projekte, die von außen schön anzusedas Scheitern?). Das Gewachsene hen sind und auch fein aus dem Katawirkt organischer (natürlicher?) als log herausglänzen, aber deren Moein (von einem Menschen) durchkon- ment eigentlich schon vorbei ist. zipierter Raum. Ich denke, es kann manchmal sehr Der Raum lädt manche ein, zu tun, hilfreich sein, sich dem Chaos ein weund schreckt andere ab. Manche füh- nig anzuvertrauen und dem Zufall len sich wie in ihrem Wohnzimmer, das Lenkrad zu überlassen (da pasandere halten die Unordnung kaum siert etwas). Der Versuch den Prozess aus. Interessant zu beobachten, wie vorauszudenken beraubt ihn seiner unterschiedlich ein Raum die Men- Essenz. Aber natürlich: Das kann schen anspricht. Wie das Äußere das schon auch schief gehen. Kontrolle ist Innere berührt und mitunter aufwühlt. ja wichtig. 136


Ihr müsst’s das mehr definieren!

Wo kämen wir denn da hin? (Woanders vermutlich.) (Ob wir dort dann sein wollen?) Wir hatten das große Glück, diesen Raum ohne Vorgaben nutzen zu dürfen, keine großen Förderungen in Aussicht zu haben und naiv genug zu sein, einfach anzufangen, ohne ans Ende gedacht zu haben. Heute würden wir das sicher nicht mehr so machen und es würde mit Sicherheit nicht derselbe Ort entstehen. Vermutlich ein viel faderer Ort. Es gehört schon eine gehörige Portion Dummheit dazu, an der es uns damals offensichtlich nicht mangelte. Man kann in diesem Sinne nur hoffen, dass noch genug Dumme nachkommen und das Rad am Laufen halten (nicht nur in Der Bäckerei). Der Bäckerei wünsche ich, dass es ihr gelingt, sich diesen Geist des Anfänglichen zu erhalten, damit sie niemals zu einem dieser verstaubten Orte wird, dessen blinkende Fassade regelmäßig aufpoliert wird, während es im Inneren schon modert. Eine Weile habe ich in Der Bäckerei mehr Zeit verbracht als in meinem Zuhause (d.h. dem Schlafplatz). Sie hat mich viel gelehrt, mir viele Begegnungen ermöglicht und mir oft den Spiegel vorgehalten. Dafür bin ich sehr dankbar. Wir sind miteinander gewachsen und haben uns mitunter bekämpft. Ganz ehrlich: Ich bin froh nicht mehr dort zu sein – und ich vermisse sie sehr – die gelbe Sau! Vielleicht bin ich eines Tages wieder dumm genug ihr zu begegnen ... (Kann man das jetzt so lassen?) (Wirkt irgendwie unfertig.) Klaus.

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tagebucheinträge einer ganz und gar Freiwilligen Anna Perle Erster Eintrag

… mit einem leckeren, selbstgemachten KulturbackstubeFruchtsaft in der Hand sitze ich in einem der altbackenen Couchsessel im Barbereich und schaue mich um. Ich bin heute einmal ohne meine Freunde hierhergekommen, möchte mal neue Leute kennenlernen. Bisher war ich nur in Begleitung zu Veranstaltungen am Abend da gewesen – jetzt ist es an der Zeit, mal ohne großes Getümmel die Leute, die hier kreativ schaffen, sich zusammenfinden und organisatorisch mitarbeiten, zu treffen. Ich möchte diesen vielversprechenden Austausch, der hier laut Hörensagen stattfindet, selbst erleben und Kontakte knüpfen. Einen konkreten Plan, wie ich hier vorgehen und mich einbringen könnte, habe ich jedoch nicht. Aber brauche ich den? Ich bin von Natur aus spontan. Mit diesen Erwartungen blicke ich nach links und rechts. Es ist Sonntagnachmittag, es sind im Moment wenige Personen hier in der Bäckerei. Zwei unterhalten sich angeregt bei einer Tasse Kaffee. Niemand blickt in meine Richtung, niemand spricht mich an. Irgendwie komme ich mir fehl am Platz vor. Eigeninitiative zeigen und auf jemanden zugehen will ich jetzt auch nicht. Eigentlich liegt es an mir, dass ich meine Erwartungen nicht erfüllen kann. Erzwingen möchte ich jetzt auch nichts. Interessiert hätte mich einfach, wie die Leute des Teams so drauf sind. Eine Person von ihnen steht eh an der Bar. Aber … wie soll ich nun auf sie zugehen? Ein konkretes Anliegen habe ich ja nicht. Ich trinke aus und gehe. Hm …

Zweiter Eintrag … Seit ein paar Monaten bin ich nun schon auf Jobsuche. Einige Stunden pro Woche arbeite ich als Sprachtrainerin, den Lebensunterhalt kann ich damit bestreiten, aber eine Lösung auf Dauer ist das keine. Ich sehne mich nach Abwechslung und nach neuen Menschen. Die Kulturbackstube ist mir sympathisch. Etliche Konzerte habe ich hier miterlebt, bei Poetry Slams mitgefiebert, Theaterstücke angesehen. Einige aus meinem größeren Bekanntenkreis haben mit dem Haus schon mehr zu tun gehabt. Schon bei den anfänglichen Renovierungsarbeiten haben zwei tatkräftig angepackt. Ein Freund hat letztes Jahr seine Kunstwerke in diesen Rohbau-ähnlichen, charmanten Räumlichkeiten im Erdgeschoss ausgestellt. … Je rauer die Wände desto feiner der Umgang der Menschen untereinander – das hatte ich mir schon beim ersten Besuch gedacht … Am überlaufenen Weihnachtsbazar im vergangenen Dezember hat eine Freundin Shirts mit selbstdesignten 138

Motiven verkauft. Viele von meinen Bekannten und Freunden haben schon dort eine Benefiz-Veranstaltung gegeben, bei Theaterstücken mitgewirkt, Konzerte gespielt. Menschen aus allen Ländern sind hier stets anzutreffen. Mir gefällt die einerseits ausgelassen fröhliche, andererseits gesellschaftskritisch ernste Atmosphäre. Ich mag die Leute hier. Mich lässt der Gedanke nicht los, hier auch mitwirken zu wollen oder einfach dabei zu sein. Für die Tätigkeiten in Der Bäckerei interessiere ich mich seit langem, verfolge über die Homepage die Veranstaltungen. Beinahe tagtäglich sind Musiker*innen und Künstler*innen aus unterschiedlichsten Ländern hier zu Gast. Diese interkulturelle und kreative Atmosphäre zieht mich an …

Dritter Eintrag Eine Mail später – mit der Anfrage die Kulturszene in Innsbruck zu unterstützen – sitze ich mit Flo und Soli vom Team bei einer Tasse Kaffee im hiesigen Café zum Kennenlern-Gespräch. Besprochen wird, was ich in den nächsten Monaten so machen könnte und was meine Wünsche und Erwartungen an Die Bäckerei sind. Flo stellt klar, dass es hier eine sehr flache bzw. kaum vorhandene Hierarchie gibt, dass jeder und jede sich seine Arbeit selbst sucht, sich also selbst einbringt. Mir gefällt dieser Ansatz. Ich fühle mich gleich akzeptiert und aufgehoben. Die beiden meinen, dass sie zuerst noch mit den anderen Mitgliedern vom Team meine Aufnahme als Volunteer besprechen werden. Am nächsten Tag bekomme ich schon die Rückmeldung, dass mich alle willkommen heißen. Alles völlig unkompliziert, denke ich mir. Sehr fein! Andere Büros und kulturelle Einrichtungen sind in dieser Hinsicht elitär, wollen etliche Arbeitsnachweise und Zeugnisse. Während diese auf heuchlerische Art und Weise Offenheit, Respekt und Toleranz nach außen kommunizieren, aber gleichzeitig bei Neuzugängen ein Affentheater von Auswahlverfahren veranstalten, hält hingegen Die Bäckerei, was sie verspricht und wofür sie steht. Ich wurde beim Erstgespräch gefragt, was ich gern arbeiten möchte, und nicht, welche Leistungen ich bisher erbracht habe oder bei welchen Initiativen ich mitgewirkt habe etc. Das nenne ich offen, das nenne ich respektvoll – mir wurde sofort eine Chance gegeben, ich musste mich für nichts rechtfertigen und ich wurde genau so, wie ich bin, akzeptiert.


Vierter Eintrag

Fünfter Eintrag

Soli finde ich einfach super. Sie ist u.a. auch für das Organisatorische hier zuständig, erstellt Bilanzen und ist erste Ansprechperson für Anliegen – so habe ich sie erlebt. Ihre angenehme, umsichtige Art spiegelt in meinen Augen auch die Stimmung in Der Bäckerei wider. Sie begleitet mich intensiv in den ersten Tagen und nimmt sich Zeit, alles genau zu erklären … Behutsam werden die anstehenden Arbeiten erledigt, jeder und jede hat ein offenes Ohr für die Anliegen, die zwischendurch auftauchen. Grundsätzlich laufen alltägliche Arbeiten strukturiert ab – Spontanität und Flexibilität durchbrechen aber den Rhythmus und lassen jeden Tag z.T. auch völlig anders aussehen. Zwischendurch passiert immer wieder etwas Lustiges oder Schräges. Beispielsweise dann, wenn Raumpflegerin Herta mit Mitte sechzig die ganze Nacht durch Party gemacht hat, verkatert nach zwei Stunden Schlaf irgendwann am Vormittag in Der Bäckerei auftaucht und sich dann darüber beschwert, putzen zu müssen. Klar, wer würde das nicht? Auch in der Küche ist trotz Stress meist eine heitere Stimmung, wofür Yvonne sorgt. Sie ist für das Catering während der Dreharbeiten zu Pixners Backstage zuständig. Kommt man in die Küche, darf man da und dort kosten. Zeit für ein Gespräch finden die Köche auch immer. Das Kerkerfenster in der Küche dient übrigens als Kommunikations- und kleiner Nahrungsmittelversorgungstunnel in den Hinterhof. Eine Pause verbrachte ich damit, kauend und mit einem Smoothie in der Hand, Spanisch von der in der Küche arbeitenden Yvonne und vom Fahrräder zusammenflickenden Eli und von Kaya aus Polen zu lernen. … Auch im Büro, wo konzentriert gearbeitet wird, kommt es zu lustigen Momenten. Ein Team dieser Art habe ich bisher noch nie woanders erlebt. Die Menschen hier sind so unterschiedlich – vom Charakter, von ihren Erfahrungen, von ihrer Herkunft. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass hier Konflikte schnell entstehen könnten. Respekt und Offenheit haben jedoch Priorität und ohne, dass es Regeln für das gemeinsame Arbeiten gibt, funktioniert das meiste reibungslos – so meine Eindrücke von knapp zwei Monaten. Völlig ohne Regeln geht’s aber auch nicht und darüber muss ich schmunzeln: In der Küche hängt eine Liste, wie die Räume sauber gehalten werden müssen und wie Müll richtig getrennt wird. Im Büro klebt ein Zettel an der Wand, mit dem Hinweis, dass Falschparker*innen die Strafzettel selbst einlösen müssen … Irgendwie dann doch ein bisschen chaotisch …

Jeder Tag bringt etwas Neues. So unterschiedlich hier die Charaktere sind, so unterschiedlich sind auch die Projekte. Trotz des vollen Veranstaltungskalenders bleibt die geschäftige Atmosphäre im Haus chillig. Flo ist stets sehr bemüht, mich mit Tipps für die Jobsuche zu versorgen. Er hat mir auch am Anfang Starthilfe gegeben, wie ich mich in Der Bäckerei einbringen kann. Bisher habe ich einige Stunden Deutsch für zwei Freunde Der Bäckerei mit Migrationshintergrund unterrichtet, habe bei Renovierungsarbeiten mitgeholfen, im Barbereich mitgearbeitet, PR-Texte verfasst und aktuell erstelle ich mit Soli ein Konzept für Volunteers. Die Besprechungen dazu finden im Dachgarten statt – so fühlt es sich nicht einmal nach Arbeit an. Neben Soli und Flo erkundigen sich auch die anderen Mitglieder des Teams laufend nach meinem Befinden und versuchen mich zu unterstützen. Sie haben genug andere Dinge um die Ohren, trotzdem nehmen sie sich Zeit für persönliche Belange. Einmal hat mich Julie vom BäckereiTeam noch am Abend angerufen und mir Hoffnung gegeben und Unterstützung angeboten, als ein mir bereits zugesprochener Praktikumsplatz in einer renommierten Tiroler Institution plötzlich mit einer lächerlich geringen Bezahlung „zur Wahl“ gestellt wurde und ich nicht wusste, wie ich die nächste Miete bezahlen sollte … Ich finde das gesamte Team wundervoll. Es läuft hier sehr familiär ab. Man umarmt sich, man bekommt selbstgemachte Smoothies geschenkt, man teilt Kuchen und Kekse, feiert Geburtstage und Abschiede. Anfangs dachte ich, ich müsste mich dem Team anpassen, denn das war von mir bisher von den früheren Arbeitskolleg*innen in den verschiedenen Jobs irgendwie indirekt verlangt worden. Ich hatte immer das Gefühlt gehabt, bestimmte Erwartungen erfüllen und mir bestimmte Verhaltensweisen aneignen zu müssen. Meine anfänglichen Zweifel wurden schon in den ersten Tagen beseitigt. Die Teammitglieder habe ich auch in bestimmten Situationen erst nacheinander kennengelernt. Es war alles ungezwungen und spontan. Anfangs hatte ich mir schon die Frage gestellt, warum jetzt die eine Person nicht auf mich zugeht – aber: Das hätte ich genauso machen können. Richtig aufgenommen gefühlt habe ich mich erst nach der ersten Teamsitzung einige Tage später. Fest steht für mich: In der Kulturbäckerei arbeitet man nicht nur, hier lebt man, hier reflektiert und lacht man. Hier findet man Freunde. Hier hat man sowohl einen Sinn für das Einfach-Bodenständige als auch einen Sinn für das Philosophisch-Theoretische. Abseits vom Perfekten, vom Von-der-besten-Seite-zeigen, vom Konkurrenzkampf. Ich kann mich hier ausgelassen mit einer Person unterhalten, meine Gedanken und Ideen gerade heraus sagen. Hier fühle ich mich frei und zugleich aufgehoben.

Anna hat Politik- und Allgemeine angewandte Sprachwissenschaft studiert. Sie arbeitet nun als BFI-Sprachtrainerin mit voller Lehrverpflichtung. Seit Juni 2015 hilft sie als Freiwillige in Der Bäckerei mit.

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... aus dem Nähkästchen

Margret Wassermann Stoffauswahl unzufrieden und hatte auch mit Frustration zu kämpfen ... dennoch entwickelte ich eine Leidenschaft für diese Arbeit. Ich produzierte, entwarf und vernichtete, bis ich technisch versiert und stilsicher war. Mit der Zeit hatte ich ein großes Repertoire an Fertigkeiten und Knowhow. Außerdem wurde mir bewusst, Ich arbeitete als Betreuerin in einer dass mein Stil sehr gut für HerrenEinrichtung, in der psychisch kranken mode bzw. Unisex-Kleidung geeignet Menschen eine Beschäftigungsthera- ist. pie (BT) angeboten wird. Wir hatten einen Second-Hand Shop für Klei- Meiner Ansicht nach soll Herrenmodung und da bot es sich natürlich an, de nicht schön machen; Männer auch First-Hand-Ware zu produzie- fürchten die Schönheit. Mein Stil unren. Die Näharbeit und das Upcycling terstützt eine andere Art von Ästhetik. von Stoffen und Kleidung war darü- Er ist zeitlos, ruhig, muster- und farbber hinaus ein sehr gutes Beschäfti- los, gibt keinen Trend vor und ist nagungsfeld für meine Klient*innen. türlich und introvertiert. Mit ihnen schneidere ich einfache Es fließt ein, was mir gefällt, was ich Dinge. Mein eigenes Interesse wuchs selbst entdecke und was ich in Gejedoch mit der Zeit und ich wollte sprächen mit Menschen herausfinde. Menschen zu beobachten, wie sie sich mehr lernen. bewegen, worauf sie Wert legen, geAutodidaktisch und im Rahmen von hört bei mir zur Entstehung eines jeWorkshops befasste ich mich mit ver- den Kleidungsstückes dazu. Die Stüschiedenen Schnitten, Materialien cke reflektieren meine Erfahrungen und Stoffen. Ich begann damit, mir mit Menschen. Es ist eine Art unselbst Kleidung zu nähen und mir sichtbare Attraktivität, die mich beSchritt für Schritt verschiedene Tech- einflusst. niken anzueignen. Was mich besonders inspiriert hat, war die Kombina- Ich bin beim Nähen geblieben, weil es tion aus selbstgenähten Sachen und mir Freude macht, mit Stoff und Faden zu arbeiten und es wichtig für Second-Hand-Klamotten. In beiden steckt eine Seele – eine, die mich ist, zu experimentieren und krequasi eingetragen wurde und eine, die ativ zu sein. Irgendetwas entstehen zu aus den eigenen Fingern stammt. lassen, mich während dieses Prozesses Gleichzeitig sah ich in neuer, von gro- nur darauf zu konzentrieren und jedes ßen Konzernen gekaufter Ware nichts Mal neu dazuzulernen entspannt und Ästhetisches mehr. Es erschien mir al- reizt mich zugleich. les zu schnelllebig, meist charakterlos, Zögerliche Versuche zu Beginn mit anonym und austauschbar. dem Label Schleisig wurden ernsthafMeine erste Schaffensphase war vor- ter und entwickelten sich. Erst seit erst ein einziges Experiment. Oft kurzer Zeit wage ich, meinem Label musste ich Teile und Ideen wieder meinen eigenen Namen – margret und wieder verwerfen, war mit der wassermann – zu geben.

Seit 2014 bin ich in Der Bäckerei für die Instandhaltung des Barbereiches und die Kundenbetreuung zuständig. Neben der Arbeit in Der Bäckerei habe ich eine Affinität zum Nähen und bin Ausstatterin für verschiedene Theater und Performances in der freien Szene.

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Ich habe meine Richtung fürs Erste gefunden, auch wenn das Experiment stets über mir schwebt. Die Bäckerei bot mir eine Ausstellungsfläche, aus der ich Mut für mein Tun schöpfte. Zu viert wurde die Unikaterie, Markt für Selbstgenähtes, gegründet, die im Frühling 2015 zum sechsten Mal in Der Bäckerei vonstatten ging und ein voller Erfolg für alle Beteiligten war.

Titel: Dekadenz 2015 Foto by Tanja Radulovic Model: Stefan Kuen Kopfbedeckung: the rad hatter Mode by Margret Wassermann www.margretwassermann.tumblr.com


Wir sind Föhnfest Biographie einer Idee

Subventionsgelder zeitgerecht beantragt werden (Beantragte Subvention von Stadt und/oder Bund: ca. 9000,EUR; Erhaltene Subvention: 0,- EUR). Wann immer möglich sprachen wir Menschen persönlich an und zeigten uns offen für jede Art der Beteiligung. So hatten wir bald ein volles, fünftägiges Festivalprogramm zusammengestellt, das von den unterschiedlichsten Künstler*innen, Kulturschaffenden und Interessensgruppen aus verschiedenen Ländern ersonnen und durchgeführt werden würde. Dabei sollte es auch immer Platz für spontane Partizipation geben.

Föhn: ein warmer, trockener Wind. Die Bezeichnung wird vor allem für Winde im Alpenraum verwendet. Er entsteht meist großräumig als Wetterlage und kann stetig wehen, aber auch böig sein. fest: u. a.: tüchtig, ordentlich, kräftig, Entschlossenheit zeigend, energisch, widerstandsfähig Föhnfest: Aufwind für Kunst und Kultur Jede gute Idee hat ihren Anfangsmythos. Ideen wie diese resultieren nicht selten aus einer „Nachbesprechung“ eines gerade beendeten Projekts. Gerne auch in Kombination mit einem Bier. Auf dem Dach Der Bäckerei. Mit Zigaretten. In mindestens 3 Sprachen. OLÉ! Was mit Bier und Tschick des Nächtens begann, kann wie in diesem Fall mit folgendem Konzept enden: Der Event sollte mit der Kulturbäckerei inhaltlich und räumlich abgestimmt sein: Besonders der inklusive und partizipative Gedanke in Bezug auf Ausdrucksformen, Publikum und Mitwirkende sowie das Konzept einer offenen Plattform sollten tragend sein. Performances und Ausstellungen neben Workshops und Diskussionen, Lesungen und Konzerte neben einer Präsentationsfläche für lokale, nachhaltige Konzepte und Unternehmungen. Darüber hinaus stand von Beginn an fest, dass das Festival regelmäßig stattfinden und regionale und internationale Komponenten – Menschen und/mit Ideen – verbinden soll. Mehrere erfolgreich durchgeführte pan-europäische Projekte hatten uns gelehrt, dass der Funke, der durch interkulturelle Begegnungen und Diversität erzeugt wird, Inspiration, Motivation und Vernetzung schürt – und genau das wollten und brauchten wir. BADABUMM! Noch mehr Biere auf dem Dach. Lebhafte Diskussionen darüber, was wie gemacht wird. Was es braucht. Was wir wollen. Wie wir es wollen. Gefolgt von Rauchpausen mit anderen Menschen. Kommunikationsarbeit: PartnerInnen mussten gefunden, der an Kunst- und Kulturschaffende gerichtete Open Call veröffentlicht und 141

Es gibt keine Worte dafür, wie groß die Erleichterung unter uns war, dass das Format solchen Zuspruch erhielt. Der Bäckerei-Geburtstag war das Highlight der Woche, doch der eigentliche Höhepunkt kam im Nachhinein, als wir feststellten, wie viele fruchtbare Kontakte geknüpft wurden und wie viele Ideen daraus entstanden, die inzwischen in der Umsetzung sind. So einiges ging – beinahe – schief, während der fünf Festivaltage, doch das Großartige an einer Horde so unterschiedlicher, kreativer und motivierter Menschen, die sich ein Ziel gesetzt haben, ist, dass der Wille und die Flexibilität zur Improvisation im Überfluss vorhanden sind und es für jede Herausforderung zumindest eine (meistens viele) Lösungen gibt. Woher man weiß, dass es dieses Jahr wieder großartig wird? Wegen dir und mir und ihnen und uns – weil wir alle es großartig machen. Wir sind FÖHNFEST.

Föhnfest-Team: Daniela Rückner, Alberto Lopez Sanchez, Asolcija Mamaril und Yvonne Neyer. www.foehnfest.tumblr.com www.diebaeckerei.at/foehnfest facebook: föhnfest


Plappermäulchen sucht offene Menschen, die gerne reden und diskutieren! Bin unkompliziert, flexibel und offen für fast alles – vielseitig bespielbar sozusagen! Melde dich bei mir, wenn du mich schon vorab kennenlernen und gemeinsam mit mir den einen oder anderen Abend gestalten willst oder komm ein fach vorbei und lass dich auf interessante und gemütliche Abendstunden mit mir ein … LiebeAllerlei – Diskussionsrunden zu Liebe, Sexualität und Identität. liebeallerlei@diebaeckerei.at


alle Abendveranstaltungen frei – für dich und eine Begleitung gültig für 6 oder 12 Monate – EUR 50,– oder 90,– >> www.diebaeckerei.at


FRAGMENTE AUS

FÜNF JAHREN Pirate ArtBook Show

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2010

Butane Collectif

Handliche Zuckerb채ckerei Kunst- & Designmarkt


Laser Katz Artspace

Statt Rassismus

Erรถffnung Theater trifft


Konkrete Utopien


2011

Bikerei

Improtheater

Akustik: Freak Show


Akustik: Joy Kills Sorrow

Lesung: Karl-Markus GauĂ&#x;

Poetry Slam



While it lasts


Ausstellung: The Confetti Museum

KUNSCHTschule Arbeit_Raum – Co-Working-Festival


Bäckerei SonntagsCafé


Akustik: Seth Faergolzia

Akustik: Mainfelt

Akustik: Mallaun

Akustik: Stanley Brinks

Klangspuren


Innsbrucker Prosafestival

Ausstellung: Tatort Stadion

Ausstellung: Record Covers


Out Of Box Award

Filmfest Rejected


K端nstler*innenkollektiv: Celeste


Sprawl Festival


Akustik: Joy Killes Sorrow

Demokratiekongress

Workshop: Peanutz Architekten


2012

Installation: getoastetes Toastbrot mit Butter (Ulrich Fohler)


Akustik: Geoff Berner

Akustik: Noluntas

N채hatelier

Akustik: Polite Sleeper


Pecha Kucha Night


Akustik: Soki Green

Tanzhaus

Die Untergeher – Thomas Edlinger, Fritz Ostermayer

Akustik: Nils Frevert

Die Geldbäckerei


Parking Day


Strickfabrik

MOLEcafé


Akustik: Reshma Srivastava Pizanis

2. B채ckerei-Geburtstag

Unikaterie

Kunst- und Designmarkt


Ausstellung: Konturen 012 Bensalem


Premierentage

Pecha Kucha Night


Pirates SonntagsCafĂŠ

Medientage: entangeld spaces

Kindertheater: Herbert und Mimi

Brushbot Workshop


2013

Akustik: Ciference-Symphony

Akustik: Bob Brozman

Achtung: Neue Volksmusik!

Kreativwerkstatt


Youth in Action - „urban interventions for social inclusion“ Seminar


Lesung: Gioconda Belli

Ă–1-Picknick

Theater: Dolomitenstadt Lienz


Akustik: Dust Covered Carpet


BassStube

weißraumcafé


Vernissage: Erste Einberufung der Akteure

Premierentage

Live.Hรถr.Spiel


2014

Fรถhnfest


handgenähte & handbedruckte Bäckerei-Leiberln TUN & lassen – Föhnfest


Kindertanzstube

Tanz: Rhythm Stomp


MuseRuole

Yoga – Dehnen statt Gähnen


2015

tummelplatz.


Die B채ckerei Open Mic Sessions

bio markt


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Wir bedanken uns bei den Unterstützer*Innen 1 mixt super Shots 2 fördert den Standort Tirol 3 unterstützt Start-ups 4 vertritt tiroler Unternehmer*innen 5 macht online Marketing 6 streut Bildung breit 7 berät Marken 8 entwickelt die Region Wattens 9 eine unternehmerische Hochschule 10 verbindet Tiroler*innen 11 Architekt und Stadtplaner 12 braut leckeres Bier 13 berichtet hintergründig über Wirtschaft 14 baut nach anthropozentrischem Leitbild 15 hat auch als Bäckerei angefangen 16 das UND druckt hier



Beanstandet, Bemängelt, Rezensiert und Kritisiert

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Foto: Diese Brieftaube war im Sommer 2013 eine Woche bei uns zu Rast.

Schreibt euch aus, schneidet aus und füllt unseren Postkasten. Neumodische erreichen uns rund um die Uhr per Mail: kultur@diebaeckerei.at

Die Bäckerei ist ein offener Ort, der durch seine Benutzer*innen, Besucher*innen und Mitarbeiter*innen gestaltet wird. Wir versuchen uns ständig durch Feedback und Teamreflexionen zu entwickeln. Die Bäckerei wird durch die Bevölkerung bespielt, also helft euch selbst und sagt was sein soll!


Das UND erscheint unregelmäßig. In einer öffentlichen Ausschreibung wird der jeweilige Schwerpunkt vorgestellt und zum Mitmachen aufgerufen. Die Redaktion des UND behält sich das Recht vor, eine Auswahl zu treffen. Das UND‘sche Herz schlägt vor allem für die Beschäftigung mit * neuen Arbeitsformen, * hierarchiefreien Strukturen, * Arbeit im Kollektiv, * Eigenverantwortung, * Selbstorganisation, * Gemeinwohl, * alternativen Wirtschaftsformen, * Arbeit in kulturellen und sozialen Gefügen und * Lebens- und Ernährungsformen. Bei Interessenbekundung, Fragen und Antworten: undheft@diebaeckerei.at


undheft@diebaeckerei.at


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