UND-Heft Ausgabe 02

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Ausgabe 2 – Okt 2016 EUR 10,– Heft für Alternativen, Widersprüche und Konkretes

DIESMAL THEMA: Struktur und Chaos


DAS COVER KOMMT AUS DEM ILLUSTROMATEN Auf dem Stand der neuesten Technik generiert der vollautomatische Apparat aus den WĂźnschen der Benutzer*innen Originalzeichnungen. Der Illustromat ist ein Projekt des KĂźnstler*innenKollektivs Franz the lonely Austrionaut. franzthelonelyaustrionaut.com


Chaos erschafft Leben und zerstört. Struktur hilft zu überleben und schränkt Leben ein.

Zeitplanung, Idealen und Realitäten, schon länger im Kopf herumschwirren, Wollen und Können und zwischen endlich aufs Papier und damit hinaus in die Welt zu bringen. uns und dem UND herum.

Und wie es halt so ist, begegnet einem die Thematik, mit der man sich gerade intensiv beschäftigt, plötzlich ständig im Alltag. So haben wir ganz schön blöd geschaut, als wir unsere Probeexemplare aus der Druckerei abholten und die Seiten von hinten bis vorn wild durcheinandergewürfelt waren. Ein Fehler? Ein Beitrag der Druckerei zum Thema? Nein, die Dame aus der Druckerei hat versucht, unsere so gut durchdachte, absichtlich nicht chronologisch angeordnete Seitennummerierung zu sortieren. Und sie ist dabei Diese Fragen haben wir in die Welt offensichtlich verzweifelt und hat hinausgeworfen und die Antworten irgendwann einfach alles irgendwie darauf formen nun die zweite Ausga- zusammengeheftet. Das nächste Mal be des UND. Besser gesagt, ein Teil schicken wir solche wesentlichen Indavon – es waren sogar so viele einge- formationen mit, versprochen! reichte Beiträge, dass nicht alle in diesem Heft untergekommen sind. Wie Aber das ist vielleicht das Schönste haben wir also ausgewählt? Nach Ge- an diesem Projekt – das UND ist fühl, aber viel mehr noch nach Vielfalt, nicht perfekt, es entwickelt sich und um euch Leser*innen ein möglichst strebt niemals eine Standardisierung buntes Spektrum an Auseinanderset- an – manches etabliert sich, aber vieles zungen und Zugangsweisen zu bieten. erfindet sich jedes Mal neu. Unordnung, Durcheinander und Zufall – ist Chaos schön oder unfassbar schrecklich? Ist es notwendig, fördert es Entwicklung? Ist es alles gleichzeitig? Existiert Chaos ohne Struktur und umgekehrt? Im Chaos ist alles möglich und ohne Struktur ist nichts davon fassbar. Was bedeuten diese Begriffe in deinem Alltag? Inwiefern beeinflussen sie dein Handeln? Vor welche Herausforderungen stellen sie dich?

Auch unsere Arbeitsweise im zweiköpfigen Redaktionsimperium ist ganz dem Thema angepasst – ständig pendeln wir zwischen Wirrwarr und

Um diese Plattform lebendig zu halten, genügt leider nicht nur unsere gemeinsame Motivation, sondern wie immer muss auch ein bisschen Kohle her. Dieses Mal haben wir es mit einer Crowdfunding-Kampagne versucht, die soweit gut funktioniert hat – Danke an alle privaten Unterstützer*innen! Ohne unsere größeren Sponsoren hätten wir dann aber doch alles im Kartoffeldruckverfahren produzieren müssen. Ob das unsere Lösung für die Zukunft ist, steht noch nicht ganz fest. Wir stecken nochmal unsere Köpfe zusammen – wenn ihr den nötigen Taler oder eine gute Idee diesbezüglich habt, lasst es uns wissen. An dieser Stelle möchten wir auch all jenen danken, die uns mit viel Kreativität, Motivation und konstruktiver Kritik unterstützt und dafür nichts oder nicht viel mehr als ein Jausengeld verlangt haben. Und ein besonderes Dankeschön gilt natürlich allen, die unserem Aufruf gefolgt sind, einen Beitrag für diese Ausgabe eingereicht und damit das UND zum Leben erweckt haben.

Dies ist die zweite Ausgabe und wir haben Lust auf mehr. Es hat sich ein Christina und Julia Raum entwickelt, der dazu motiviert, Gedanken zu sortieren und Ideen, die

Raum geben. Raum für unterschiedliche Perspektiven und Herangehensweisen. Und sie alle dürfen gleichwertig nebeneinander existieren – das wäre unser Wunsch, nicht nur für dieses Heft. Das UND will Menschen zusammenbringen, zum Austausch anregen und zum Mitmachen motivieren, egal, ob jemand professionell textet, zwischenzeitlich kreativ arbeitet oder einfach ein großartiges Projekt vorstellen will, das gerade zum Thema passt. Entstanden ist dieses Projekt aus der Arbeit in Der Bäckerei – Kulturbackstube. Tagtäglich beschäftigen wir uns mit so

vielen Projekten, Themen und Menschen, die weit über das Haus hinausreichen. Ihnen wollen wir hier Platz geben. Redaktion, Kommunikation, Layout, Lektorat und das jeweilige Thema wird von uns zur Verfügung gestellt. Alles was dazwischen passt, kommt von euch. Wir sind interessiert an allem, was nachdenkt, abweicht, alterniert und sich beschäftigt. Das UND ist dein Platz – bespiel ihn!


... mit Cremefüllung Wo die Beiträge zu finden sind. Oder auch nicht.

Die Seitennummerierung dieser Ausgabe ist ein redaktioneller Beitrag zum Thema Struktur und Chaos. Jeder Beitrag beginnt mit der ihm zugeordneten Seitenzahl. Die gesamte Nummerierung ist jedoch nicht fortlaufend angeordnet. Eine unmögliche Ordnung? Oder nur eine, die mit unserem gewohnten Strukturverständnis bricht? Unser Rat an die Leser*innenschaft: zurücklehnen und die ganze Ausgabe von vorne bis hinten durchschmökern.

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PAPELIER Ein Spiel. Malen nach Zahlen

Papelier ist ein Ort in Der Bäckerei für analoge und digitale Grafik- und Kunstprojekte, bei denen die Arbeit mit Papier im Vordergrund steht // Noelia M. Vidal und Lucia Joglar sind ständig auf der Suche nach neuen Geschichten, Mustern und Strukturen // bei Papelier kann jede*r mitmachen, z.B. bei Workshops – www.papelier.at

2

BIANCA LIEDL Interview mit meiner Wohnung.

Zwiegespräch Bianca hat Erziehungswissenschaften studiert // ist Mutter dreier Kinder und schreibt für ihren Blog: www.qi-mum.at

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PAUL KLUMPNER Kreative Energie und Chaos einzäunen? Struktur und Brache

Paul interessiert sich für: Stadt und Zusammenleben, soziale Stadtteil­ entwicklung, temporäre Bespielung von Brachen und Leerstand, (Sub)kultur und Migration

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DAVID PRIETH Blitzverglasung. Gedicht

David interessiert sich für Menschen, Worte und beschwerlichen Schall

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Bilder „Es war einmal da [/] Und vor den Zeichen da war die Zeit. [/] ZWISCHEN HUNGER UND FIEBER. [/] Insekten sind behindert!“ // hat ein

HERBERT SZUSICH ohne Titel. Zeichnungen

DAVID STEINBACHER & MATHILDE EGITZ Adria I . / Ligurisches Meer II.

Fotografie David ist Fotograf, war aber auch schon Straßenmarkierer

segment. / somnambul oder auch anders irgendwie. Gedichte

Mathilde musste erst eine Haushaltungsschule abschließen, bevor sie Fotografin und Absolventin in Germanistik und Komparatistik werden durfte // machte sich dann mit David als Fotografin selbstständig // schon seit sie 13 ist, nehmen Worte einen wichtigen Platz in ihrem Leben ein

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CHRISTIAN HÖLLER, ASTRID DAHMEN & KRISTA SOMMER Wo.anders – die Aufklärungsmaschine.

RaumStruktur Christian liebt und leidet an: Architektur und Gestaltung // hier und jetzt: selbstständig in Innsbruck // ab und zu: lehrtätig an der Universität // Christian Höller etymologisch: Christians created heaven and hell Astrid und Krista arbeiten für und mit Soda Studio // beschäftigen sich mit zwischenmenschlicher Kommunikation und Architektur // die Graphik ist ihnen ständige Begleiterin

MATTHIAS BERNHARD Dune Messiah. / Shit, James Sensor.

Diplom an der Akademie der bildenden Künste Wien

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PHILIPP BÜRLI Dunkle Mächte aus dem digitalen Esoterik Offspace befehlen zu duplizieren. Illustration

Philipp ist Illustrator und visueller Gestalter // lebt in der Schweiz

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MARKUS PENZ Inseln im Chaos. Essay

Markus hat die maximal mögliche Verschulungsdauer in Österreich genossen // versucht sich trotzdem als freischaffender Wissenschaftler und sozialer Ingenieur

18

DANIELA GUGLER Urban Nature. Fotografie

Daniela ist eigentlich Sozialarbeiterin aus Oberösterreich // lebt in Innsbruck und beschäftigt sich in ihrer freien künstlerischen Fotografie mit Menschen, Emotionen und der kritischen Auseinandersetzung damit - es geht ums G‘fühl!


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STEFANIE BLASY Eine un|mögliche Ordnung.

Bild, Text und Gedanken Stefanie denkt als vergleichende Literaturwissenschaftlerin und handelt als Grafikerin und/oder umgekehrt // setzt sich in ihrem Beitrag mit Michel Foucault auseinander, der sich mit Jorge Luis Borges auseinandersetzt, der wiederum etwas ordnet, das eigentlich unmöglich ist und so weiter

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PETER HOFMANN & PAOLA BORTINI Übergänge schätzen lernen. Anleitung

Peter und Paola wirken als Trainer*innen, Prozessberater*innen und Moderator*innen // unterstützen mit Vorliebe Menschen, Teams und Organisationen in ihren liminalen Phasen

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Moritz weiß, dass Friedrichshagen zu Berlin gehört und am Müggelsee liegt // hat ein Studium der Politik, Geschichte und Ökonomie in Leipzig, Lyon, Berlin, Paris und Brügge absolviert // studiert zurzeit Philosophie in Tübingen // schreibt Essays, Rezensionen und Analysen zu internationaler und europäischer Politik, politischer Kultur und Philosophie

30% project manager, 20% activist, 20% artist, 20% handyman, 5% hope for a new world, 4% weird, 1% lazy

MORITZ RUDOLPH Friedrichshagen. Essay

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URSULA FAIX Das Ende des Shared Space.

Einblicke in die Stadtplanung Ursula ist Architektin und Urbanistin // ist Geschäftsführerin des 2016 gegründeten Architekturbüros FXA in Innsbruck // Punkt

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Kurzgeschichte und Illustration Hannah hat Religionswissenschaft und Jüdische Studien studiert (in Heidelberg und Jerusalem) // nimmt sich gerade eine Auszeit und schreibt Geschichten zwischen Kiel und Berlin // zieht bald in den Libanon Dhara studiert freie Kunst in Münster und Wirtschaftswissenschaften in Innsbruck // begeistert sich für nachhaltige Projekte // illustriert, malt und skulptiert

Grüße aus Porto Santo

HANNAH STOBBE & DHARA MEYER Ich packe meinen Koffer.

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ANDREAS EXENBERGER Unsicherheit, Risiko und die unbeabsichtigten Folgen oder Die Welt ist wie eine verlorene Münze. Wirtschaftlich nachgedacht Andreas ist assoziierter Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Fakultät für Volkswirtschaft und Statistik der Universität Innsbruck // Forschungsschwerpunkte: Globalisierung, Entwicklung und Armut

ANONYM Post ans UND.

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MONIKA & LAURA GRAFL Sruktur und Chaos.

Gedicht und Illustration Monika ist Bautechnikerin, Pflanzenkennerin und Schreiberin // arbeitet gerne mit den Händen Laura ist Monikas Tochter // besucht die HTL für Bau und Design // ist Grafikerin, Fotografin und auch sonst ein kreativer Kopf

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SARAH MAYER Psychotherapie – ein strukturiert chaotischer Prozess. Diskurs

Sarah ist Psychologin // arbeitet mit Menschen mit psychischen Problemen in einer sozialpsychiatrisch betreuten Einrichtung // So weit so gut. Ich hoffe das verschafft einen Eindruck

SYLVÖ Tame the imbalance. Mindmap

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LAURIN MACKOWITZ Lebendig ist, was mit Neugier strukturiert. Essay

Doktorand am Institut für Philosophie der Universität Innsbruck

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KARL-HEINZ LEHNER Da kam mir etwas dazwischen.

Gedanken nach einem Besuch in der Kulturbäckerei Karl-Heinz ist Pastoralreferent in Rosenheim // leitet dort ein Schülerund Studentenzentrum

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ALEJANDRO BOUCABEILLE Struktur und Chaos auf Reisen.

Betrachtungen eines Weltreisenden Alejandro versucht gerade das Reisen erneut zu erlernen und sich wieder anzueignen // angestrebter Beruf: Weltenbürger // ist hauptsächlich in Mexiko, Frankreich, Schweiz und Österreich aufgewachsen // hat schon in über 15 Staaten gewohnt und um die 85 Länder bereist

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STEFANIE PICHLER Schreibmaschinenmonologe.

Visuelles und Getipptes Stefanie lebt in Wien // bewegt sich zwischen visueller Darstellung und geschriebener Sprache // arbeitet als Kunstvermittlerin und Kunstpädagogin, Buchschaffende, Poetin und Zeichnerin // versteht sich als forschende Poetin // arbeitet fragmentarisch und analog


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MARIA VILL Verknotete Strukturen. Skulptur

Erst durch die Schaffung von Strukturen entsteht Chaos F. M.

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ANGELIKA POLAK-POLLHAMMER Sie. Gedicht

Angelika lebt mit ihrer Familie in Imst // schreibt und dichtet in Schriftsprache

und Dialekt

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PATRICK BONATO Aus der Serie „Pablo does the dog“. Illustration Patrick musste sich bereits als Miniknabe eingestehen, dass er wohl kein professioneller Freeskier werden würde. Von da an konzentrierte er sich eben auf Illustration und Grafik-Design // lebt in Luzern und arbeitet vor allem für Kunst- und Kulturevents, Musikfestivals und Magazine in der Schweiz, Österreich und Deutschland // liebt und zeichnet leidenschaftlich gern (italienisches) Essen, Bier, Schnurrbärte und alle möglichen Leute // Yoga macht er selber nicht

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BILDSTEIN | GLATZ Umlenker. Skulptur

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AUS DER BÄCKEREI Wir müssen nicht ans Ziel, wir bleiben einfach da. Gespräch

Stefan Österreicher fragt gerne nach, wie es in Der Bäckerei eigentlich so zugeht

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FABIAN BITTERLICH Kooperation zum Fruchtgenuss.

Ein Blick in den Keller Der Bäckerei Fabian ist Medizinstudent mit starker Abneigung gegenüber moderner Schulmedizin // ist regional-saisonalbio-Veganer // lebt plastikfrei

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STEFAN ÖSTERREICHER Kunst Sprache, Sprach Kunst.

Überlegungen zur Struktur von Sprache Könnt ihr mich vielleicht fremdbeschreiben?

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DAVID SCHREYER Land. Fotografie

Freie Arbeiten, Architekturbild, Bildbericht – www.schreyerdavid.com

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MARCELL SCHRITTWIESER Ordnung ist das ganze Leben.

STOPP // Bildstein | Glatz // braucht zu viel Platz! // www.bildsteinglatz.com

Zwischen Theorie und Überlegung Ein Chaot erzählt von Strukturen, die ihn und die Welt bewegen

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Peter war 2016 als Senior Fellow am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien // hat eine Professur für Ästhetik an der Kunsthochschule für Medien in Köln // hat auch ein UND-Projekt

Sebastian ist Tänzer, Schauspieler, Gender-Forscher, schwul, bisexuell und heterosexuell // ist Chilene mit spanischer Herkunft, seine Familie wurde sowohl aus Spanien, als auch aus Chile vertrieben // lebt und arbeitet zwischen (Süd-)Tirol und Berlin // seine Wünsche: eine queere, marxistische, indigene und ökologische Revolution, in der wir ohne Ende Wein, Sex und Rituale miteinander teilen dürfen

PETER BEXTE Dreimal UND. Ein ZufallsfUND.

SEBASTIÁN COLLADO GONZÁLEZ Transgenerational Trauma. Monolog

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TONI SCHADE Strukturen des Wartens.

Fotografie und Text Toni sitzt hauptberuflich viel vor der Kiste und fotografiert deshalb halb­ beruflich gerne Menschen, Situationen und Berge // wir haben seinem Thema

so viel Platz gegeben, weil es ihn braucht

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BRITTA BURGER Dorf der Landbesetzer*innen.

Fotografie und Text Britta ist Fotografin und Journalistin an der Schnittstelle von Mode, Subkultur und Sozialkritik // lebt derzeit in Berlin // war schon beim letzten UND dabei und erzählt die Geschichte vom Ökodorf im englischen Runnymede weiter

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MARKUS STEGMAYER Rauschen, Lärm, Chaos, Musik. Von der Liebe zur Musik getriebener Essay Markus hat Vergleichende Literaturwissenschaft, ein bisschen Germanistik und ein wenig Philosophie studiert // ist selbst­ständig als Werbetexter, Journalist, Kolumnist und Musikkritiker // beschreibt sich selbst als Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd und Formfetischist

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FLORIAN LADSTÄTTER Das Institut für Unsicherheit.

Vorstellung und Interview Florian ist die erotische Stimme Der Bäckerei // kennt sich aber auch mit Finanzen aus // ist jetzt fast schon Doktor // hat gerade wenig Zeit, um auch als Hausmeister erfolgreich zu sein

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LUZIA DIERINGER & CLAUDIA SACHER Kochstruktur oder Kochchaos. Rezept

Luzia und Claudia sind bei Feld – Verein zur Nutzung von Ungenutztem // lassen beim Kochen gern Welten aufeinanderprallen // finden den Salat in der Suppe


Post ans UND Grüße aus Porto Santo

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Hannah Stobbe: Text & Dhara Meyer: Illustration Kurzgeschichte und Illustration

Ich packe meinen Koffer. BLAUBEERMUFFINS NUDELSUPPE Du und ich. Wir sind sechs oder sieben Jahre alt. Stehen in der kleinen Küche einer alten Berliner Mietskaserne und kochen Spaghetti. Zum allerersten Mal, ganz ohne Mamas Hilfe. Du stehst auf einem kleinen Hocker am Herd und beobachtest das sprudelnde Wasser. Ich sitze am runden Holztisch in der Ecke und mische Tomatenmark mit Kräutern aus der Tüte. Mit einer Schere versuchst du, die weichgekochten Nudeln aus dem Wasser zu ziehen. Stattdessen gleiten sie zurück in den Topf und schrumpfen. Schnitt für Schnitt. Die Struktur verändert sich, der Geschmack bleibt. Wir hinterlassen ein riesiges Chaos in der Küche und verschwinden auf den Spielplatz, bevor Mama zurückkommt. Ich packe meinen Koffer. Ein Kinderspiel. Ich nehme Erinnerungen an eine bunte Kindheit zwischen Bioladen und Holzspielzeug mit. Erinnerungen, die uns beide verbinden und mich seither auf meiner Reise begleiten. 24

Wir sind siebzehn oder achtzehn. Inzwischen kochen wir Spaghetti manchmal auch in den frühen Morgenstunden, nach langen und durchtanzten Nächten. Mathe, Deutsch und Englisch. Montag bis Freitag, von acht bis vierzehn Uhr. Auf den ersten Blick präsentiert sich unser Leben so strukturiert wie die Anleitung eines Ikea-Regals. In uns aber tobt ein Sturm, der Fragen und Ängste aufgewirbelt hat. Wir teilen Träume, Tränen und allerlei Jungsgeschichten bei Milchkaffee und Blaubeermuffins. Bei dir finde ich die Ruhe und Sicherheit, die ich in mir vergeblich suche. In wenigen Wochen werden dreizehn bewegte Schuljahre ihr lang ersehntes Ende finden. Es ist Zeit, dem routinierten Schulalltag den Rücken zu kehren und ein neues Kapitel aufzuschlagen. Wir packen unsere Koffer. Du ziehst nach Spanien. Ich nach Israel. Träume und Hoffnungen haben wir eingepackt. Sicherheit und Alltagsroutine müssen draußen bleiben.


UNWETTER Ein Jahr in Jerusalem. In der Stadt der grenzenlosen Gegensätze wird das Chaos in mir zwischenzeitlich still. Dabei scheint die Welt um mich herum die Bodenhaftung zu verlieren. Im Süden Israels hagelt es Raketen, während über Gaza Bomben fliegen. Unter meinen Füßen bebt die Erde. Fern von Struktur und Sicherheit lehrt mich der Krieg, Zukunftsängste loszulassen und den Moment zu leben. Zur selben Zeit segelst du mit Freunden über das Mittelmeer. Von der Südküste Spaniens bis nach Marokko trägt euch die Abenteuerlust über das Wasser. Kurz vor dem nächsten Hafen sinkt euer Boot im tosenden Wind. Mit ihm schwinden Menschenleben in den Wellen der Ungewissheit. Unter deinen Füßen fließt die Zuversicht dahin. Du kehrst an Land zurück. Allein. Ich packe meinen Koffer und verlasse das Land, in dem Milch und Blut um die Wette fließen. Dein Gepäck ist am Meeresgrund zurückgeblieben. Auf der Suche nach Freiheit sind wir unseren Grenzen begegnet.

ANKOMMEN Wir sind müde. Sehnen uns nach einem sicheren Hafen, an dem der Sturm in uns aufhört zu donnern und zu toPAPPKARTONS ben. Meine Träume führen mich an einen Ort, an dem der ohrenbetäubende Alltag das Gewitter in mir überWir packen um. Stopfen Erinnerungen, Bilder und Ge- tönt. In einer fernen Stadt am Mittelmeer, umgeben von fühle in große, braune Pappkartons und begeben uns auf Chaos und dröhnendem Lärm, scheint die Ruhe greifend die Suche nach einer neuen Bleibe. Lassen uns an neuen nah. Ich packe meinen Koffer. Verlasse das Land, um dem Orten und unter fremden Menschen nieder. Jede für sich. Sturm in mir den Wind aus den Segeln zu nehmen. Du Zwischen Vorlesungen und Proseminaren rieselt die Rou- bleibst. Lenkst dein Schiff durch die wütenden Wellen der tine in Windeseile zurück in unseren Alltag. Eifrig webt Unsicherheit und hoffst darauf, eines Tages zu wissen, wo sie uns ein Kleid aus Pflichten und Aufgaben, das sich du zu Hause bist. schützend um uns legt. In uns aber tanzt die Unruhe einen rastlosen Reigen. Aufgebracht wirbelt sie unser Leben aus Wir packen aus. Lassen unsere Koffer stehen und kommen an. dem Takt. Wir brechen auf und ziehen weiter, bevor wir Nicht heute. Nicht morgen. Aber vielleicht irgendwann. angekommen sind. Verbringen Stunden in überfüllten Zügen und reisen der Ruhe hinterher wie einer unerwiderten Liebe. Meist sind wir zu spät. Verpassen den Anschluss und warten auf die nächste Bahn. Ein Leben aus dem Koffer. Bereit zur Abreise wartet er ungeduldig auf den nächsten Ausflug ins Ungewisse. 25


Paul Klumpner Fotos: Vinzenz Mell

KREATIVE ENERGIE UND CHAOS Was macht man mit leerstehenden Gebäuden? Sie nutzen. Der Verein Brache hat sich genau das vorgenommen und erzählt davon, wie viel Struktur selbstorganisierte DIY*-Initiativen eigentlichen brauchen.

Brache ist eine Kulturinitiative, die seit Sommer 2014 temporär ungenutzte Orte in Innsbruck belebt, verändert und einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich macht. Unser erstes Projekt, das Öl, war nur von kurzer Dauer: Im Sommer 2014 entstand auf dem Grundstück einer ehemaligen Schmiede in Mariahilf über den Zeitraum von vier Wochen ein öffentlicher Platz zum Feiern und Diskutieren.

Es geht uns darum, einzelne Lücken und blinde Flecken in der von wirtschaftlichen Interessen und „Sachzwängen“ (über-)strukturierten Lebenswelt „Stadt“ zu finden, um sie mit einer gesunden Portion Chaos und Leben zu impfen. Gerade in einer Stadt wie Innsbruck mit seinem stark überhitzten Immobilienmarkt, sind Brachflächen auch schlicht kleine Risse in einer problematischen Struktur. Diese Risse können und sollten als gesellschaftliches und Der zweite von der Initiative bespielte Ort war ein Areal in künstlerisches Experimentierfeld nutzbar gemacht werden. der Graßmayrstraße in Wilten. Hier, im baulichen Skelett Durch das Sichtbarmachen solcher (Un-)Orte, die kurzeines ehemaligen Metallhandels, hat sich ab Herbst 2014 zeitig im Sinne der Marktlogik nicht verwertbar sind, wird ein urbaner Wildwuchs namens Motel entwickelt. Die Ent- unser Blick außerdem auf problematische Symptome des scheidung, die 1100 qm große Fläche zu mieten, ist sehr neoliberal geprägten Kapitalismus gelenkt. Im Zuge einer spontan gefallen und was genau dort passieren sollte, war Bespielung wollen wir immer auch dazu einladen, die uns im Vorfeld nur teilweise klar. Ursachen von Phänomenen wie Wohnungsknappheit oder Privatisierung von öffentlichem Raum kritisch zu hinterDas Motel war dann vieles zugleich: ein Treffpunkt für Kul- fragen. turschaffende, Anwohner*innen und Sandler*innen, ein Veranstaltungsort, ein Co-Workingspace, ein Ausstellungs- Der kalkulierte Kontrollverlust ist also gewollt, er ist zentort und eine Dauerbaustelle. Ständig wurde umgebaut, ein- raler Bestandteil der DNA von Brache. Gerade für diejenigerissen, angemalt und übermalt. Viele Veranstaltungen gen, die das kreative Chaos lieben, stellt sich aber die Frage, sind sehr spontan auf die Beiwie viel Struktur, und vor ne gestellt worden. Kurz, das allem, welche Struktur wir als Motel selbst war ein verortetes Initiative selbst brauchen, Chaos, eine für alle Beteiligten um zielgerichtet, professionell unkontrollierbare, bunte Lüund möglichst integrativ arcke, in einer weitgehend steribeiten zu können. Für die Belen Stadtlandschaft. teiligten bei Brache hat sich diese Frage erst nach einer Mit ihrem ungeordneten und Weile im Zuge der jeweils eisich ständig verändernden Ergentlichen Arbeit vor Ort gescheinungsbild reflektieren die stellt. Je größer ein Projekt von Brache geenterten Orte im wird, je mehr Menschen mit Endeffekt die innere Logik der eigenen Ideen und VorstelInitiative. Das kreative Chaos lungen beteiligt sind, je mehr und die Freiheit, jederzeit inGeld im Spiel ist, desto mehr haltlich (und baulich) etwas zu braucht es klarerweise Strukverändern, das Unfertige und turen und Regeln. Schnell Prozesshafte sind offensichtlich ein Wesenskern unserer stellen sich grundsätzliche Fragen: Welche Rechtsform Arbeit. Dass das so ist, haben wir aber irgendwie selber erst sollen wir wählen? Gibt es eine interne Hierarchie oder in der Umsetzung der Projekte wirklich begriffen. Ent- entscheiden wir wirklich alles in der Gruppe? Haben die scheidend war und ist wie so oft der gemeinsam gegangene Beteiligten entsprechend ihrer Fähigkeiten und Interessen Weg und nicht irgendein angestrebter finaler Zustand. eigene Aufgabenbereiche, für die nur sie zuständig sind? 4


EINZÄUNEN?

Ist der Arbeitsaufwand fair und gleichmäßig auf allen Also: Driften oder Steuern, Chaos oder Struktur, bzw. Schultern verteilt und kann man diese Frage überhaupt ob- jeweils wie viel davon? jektiv und sinnvoll beantworten? Eine Initiative wie Brache, die von der Energie des kreatiAlles Fragen, die sich für uns im Laufe der Zeit immer ven Chaos lebt, braucht aus unserer Sicht eher möglichst dringender gestellt haben. Je öfter alle rotieren, weil zum wenig Regeln. Aber die Regeln, die es gibt, sollten eindeuBeispiel Missverständnisse und Alleingänge zur Folge ha- tig, sinnvoll und von allen Beteiligten gemeinsam gemacht ben, dass zwei Stunden vor einer Veranstaltung keine funk- sein. So kann im Idealfall ein stabiler Rahmen für ein tionierende Anlage da ist und niemand für die Bar enga- Spielfeld entstehen, auf dem sich die Beteiligten sehr frei giert wurde, desto lauter schreit das Chaos nach Struktur. austoben können. Wie die entsprechenden Strukturen aber Irgendwann sind wir an den Punkt gekommen, an dem genau aussehen, muss jede Initiative letztlich wohl für sich alle gesagt haben, wir müssen uns etwas überlegen – so selbst herausfinden. Brache steckt selbst mitten in diesem geht‘s nicht weiter, wir müssen und wollen professioneller Prozess. arbeiten. Im Fall von Brache hat eine zaghafte Professionalisierung bis jetzt überwiegend ohne Begleitung von außen stattgefunden. Ein oft unangenehmer und anstrengender Weg und sicher ein Albtraum für Prozessbegleiter*innen und Berater*innen. Sehr wichtig und ein großer Fortschritt war für uns auf jeden Fall eine klare Abgrenzung der jeweiligen Aufgabenbereiche. Nur so konnten die größeren Projekte gut über die Bühne gebracht werden. Den Laden zusammengehalten haben aber die hohe Kunst der Improvisation und vor allem die langjährige Freundschaft zwischen den Beteiligten.

* Die Do-it-Yourself-Bewegung (DIY) entstand ursprünglich in den 1950er-Jahren in England. Sie versucht die eigenen Fähigkeiten und Potentiale stärker in den Fokus zu stellen. Selbstermächtigung, Improvisation und Selbstorganisation werden als Kontrapunkt zur Abhängigkeit von Wirtschaft, Industrie, Politik und Massenmedien gesehen. Heute erlebt diese Bewegung einen starken Aufschwung und tritt oft in Verbindung mit Re- und Upcyclinggedanken auf. Auch nachhaltige Umgangsweisen mit ökologischen und sozialen Herausforderungen unser Gesellschaft spielen eine wichtige Rolle – Handwerkliche Fähigkeiten und kreative Ideen vereinen sich zu einer inspirierenden Spielart nachhaltigen Produzierens und Konsumierens. (vgl. www.makeraustria.at/mehr-informationen/ die-diy-do-it-yourself-bewegung und de.wikipedia.org/wiki/ Do_it_yourself; 12.09.16) 5


Alejandro Boucabeille Illustration: Papelier

STRUKTUR UND CHAOS AUF REISEN

Worin liegen die Unterschiede zwischen Tourist*innen und Reisenden? Was bin ich? Wahrscheinlich beides. Persönliche Betrachtungen eines Weltreisenden.

Reisen. Es gibt die einen und die anderen. Es gibt das Chaos und die Struktur. Nichts Neues. Wir alle kennen das. Jede*r kann darüber berichten. Wir alle waren schon mal in beiden Rollen bzw. beiden Lebensformen: in der des*der Tourist*in und des*der Reisenden. Aber wie bei so vielen, diversen Tätigkeiten, vor allem in der heutigen, rasch fortschreitenden Welt voller Neuigkeiten, kann es vorkommen, dass wir vergessen, wer wir eigentlich sind und was uns ausmacht. Ist uns zum Beispiel bewusst, dass wir beide Rollen bzw. Lebensformen einnehmen? Viele von uns haben möglicherweise über diese Fragen und die Unterscheidung beider Formen nie reflektiert und würden spontan behaupten, dass sie mindestens einmal Tourist*in gewesen sind. Jede*r kennt das – Familienurlaub in Italien, Kulturreise nach Paris oder Wochenendtrip nach Berlin. Aber was macht eine*n Tourist*in aus? Ich würde frech behaupten, dass Tourist*innen strukturiert erscheinen, dies jedoch eigentlich nicht sind (in den meisten Fällen, natürlich gibt es viele Ausnahmen). Damit meine ich nicht nur die Horden von Menschen auf den Stränden von Bibione oder Jesolo oder den Massentourismus in den Clubs im Süden der Türkei – nein, ich meine per se den Tourismus. Hier scheint es wichtig zu sein, einen etymologischen Blick auf das Wort Tourismus zu werfen. Für jeden Frankophilen oder Wörter-Aficionado wird dies kein Problem sein. Es kommt vom faire la tour, eine konstante Weiterentwicklung durch die Jahrhunderte von der ursprünglichen Bildungsreise der Römer*innen und später der Engländer*innen. Doch zu der heutigen Form entwickelte es sich Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts, als – durch die Industrialisierung verstärkt – mehr Menschen zu einem größeren Wohlstand kamen und es dann per Mode schick wurde, an andere Orte und Regionen zu reisen. Obgleich es früher keine Infrastruktur, schlechtere Transportmittel, die Informationsflut und den Überschuss an Möglichkeiten keineswegs gab und eine solche Reise ja viel mehr Zeit, Energie, als auch Geld in Anspruch nahm, konzentrierte sich die damalige reisende (Bildungs-)Elite auf den strukturierten Erwerb von Wissen, Kenntnissen und Fähigkeiten. Ja, dies scheint auch in der DNA heutiger Kulturtourist*innen eingeschrieben zu sein und gipfelt in Reisegruppen, welche in 5 Tagen ganz Europa bereisen wollen und mit ausgefahrenen Teleobjektiven, die Beweise für ihren kulturellen Streifzug festhalten. Doch die Frage bezüglich der Struktur und des Chaos geht hier weiter. 41

Ich bin vorsichtig, denn auch ich verfalle manchmal und gar mit Lust dem Touristen-Da-Sein (dabei gibt es weder positiv noch negativ). Für mich persönlich – als Ewig-Reisenden – steht jedoch die Manifestation des touristischen dem reisenden Verhalten genau diametral entgegengesetzt. Dies birgt ohnehin enorme qualitative Unterschiede. Während sowohl der*die Tourist*in als auch der*die Reisende sich für eine Reise mit Literatur, Filmen, Fotographien, Gesprächen und überdies Impulsen und Imputs jeglicher Art chaotisch oder strukturiert vorbereitet, ist die Essenz und die Methodik eines*r Reisenden eine ganz andere. Ein großes Unterscheidungsmerkmal ist, dass der*die Reisende oftmals selbst einen Ausgangs- oder Zielort definiert. Oberflächlich gesehen, mögen wenige Unterschiede auffallen, doch das Erlebnis dieser Art des Reisens ist eine ganz andere, obgleich es selbstverständlich mit mehr Risiken, Emotionen und mehr Leben bepackt ist. Doch will das eigentlich nicht jede*r? Persönliche Entwicklung und Leben? Den Reisenden geht es weniger um die Sehenswürdigkeiten oder die Abarbeitung einer To-doListe, sondern vor allem um das Originäre, um das Echte, um den Menschen. Nicht das Materielle, sondern das, was der Materie den eigentlichen Wert gibt, ist hier das

Fernando Bernhardt


Entscheidende – die Kultur, die Gesellschaft, die Natur, die Tiere, das Lokale, das Spezifische, das Einzigartige und im Besonderen das Individuum. Darauf lässt sich der*die Reisende ein. Die vorgefassten Meinungen und Erwartungen verlassend, beobachtet, schreibt oder erfährt der*die Reisende. Dabei lässt er*sie sich keine Gelegenheit entwischen, statt dem Louvre einer lokalen Demonstration Zeit zu schenken. Anstatt den Reiseführer zu lesen, geht er*sie den Empfehlungen der Einheimischen nach und statt den Tag völlig durchzustrukturieren – von einem Museum/Denkmal zum nächsten oder vom geplanten Restaurant zum gebuchten Hotel – lässt sich der*die Reisende von der Spontanität leiten. Jede Reise bietet hierfür genügend Gelegenheiten. Wie einst schon der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig in seinem weniger bekannten, aber umso aktuellerem Essay „Reisen oder Gereist werden“ behauptete, vereint jeder Mensch beide Formen in sich. Wie ein Engel vereinen wir zwei Flügel in uns: den touristischen als auch den reisenden. Es geht hier nicht darum, eine endgültige Entscheidung zu treffen, als vielmehr dieses natürliche, aber auch zum Teil konstruierte Doppelgespann des*der Reisenden anzuerkennen. Ich erinnere mich an ein Zitat des Psychiater Carl Gustav Jung, das in etwa so lautete: „Alles, was Widerstand leistet, bleibt. Alles, was akzeptiert wird, transzendiert.“ Die abschließende Frage, die sich hierbei für den Autor stellt, mag von umkehrender Wertung erscheinen, aber sind Tourist*innen per se eigentlich nicht chaotischer als Reisende, obgleich sie strukturierter erscheinen? Und um beiden Seiten den gleichen nennenswerten Platz zu bieten: kommt der*die Reisende in diesen Kreislauf vom Chaos, so ordnet sich doch mit der Zeit alles zu einer gewissen Struktur. Die Reisenden überkommt das (anscheinende, äußerlich wirkende wie innerliche) Chaos, durch einen Lernprozess wird diese Lebenserfahrung angeeignet, zu Eigenem verwoben. Dies ist ein offener und meistens langwieriger Verlauf. Bei dem*der Tourist*in hingegen scheint dies meistens verkürzt und partieller zu sein. Der*Die Reisende ist wegorientiert, der*die Tourist*in 42

hingegen zielorientiert. Der spanische Dichter Antonio Machado brachte dies auf den Punkt: „Wanderer, es gibt keine Wege. Wege entstehen beim Gehen.“ Auf die Struktur und das Chaos kommt es dann nicht mehr an, sondern vielmehr führt alles hier in der Folge zu einer anderen ontologischen Reiseform jenseits dieser zwei Kategorien. Der*Die Reisende ist viel mehr als nur auf der Reise, er*sie befindet sich auf einer Lebensreise – und diese positive Einstellung dem Leben gegenüber, gilt es zurückzuerobern. Darum geht es mir hier: Das Neue zu wagen, mit unseren Reisen zu experimentieren, uns nicht gleich festzulegen, Struktur und Chaos bei diesen zu beobachten und zu akzeptieren. Die Kunst des Reisens ist eine lebenslange, dynamische Aktivität, die nach außen chaotisch erscheinen mag, aber langfristig eine strukturiertere Praxis als den klassischen Tourismus darstellt.


David Steinbacher: Fotografie & Mathilde Egitz: Gedichte Adria I (Triest), Ligurisches Meer II (Portofino)

segment kreiseltropfen knallen leise auf eine weiche oberfläche sinken hinab in die dunklen weiten strÜme bergen die unsicherheit in sich nehmen all die nachtopfer an nehmen sie auf sich versinken langsam in dem grßn des meeres fliehen vor sich selbst hinab hinab traumwirbelnd ohnmachtstanzend lichtseufzend ahnungslos bis auf den dunklen wiegegrund des weltmeeres 9


somnambul oder auch anders irgendwie so wie das gestern als gescheitert zu betrachten bereits alles geschehen und auch vorbeiziehende lastenkähne nicht verfehlt trotzdem den kopf in die armbeuge gelegt und den blick auf das innere geheftet

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Andreas Exenberger Illustration: Irene Gonzalez Chana

Unsicherheit, Risiko und die unbeabsichtigten Folgen oder DIE WELT IST WIE EINE VERLORENE MÜNZE Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Unsicherheit und Risiko? Und was bedeutet das für die Wirtschaft? Funktioniert ein System nur, weil es erfolgreich ist? Und welche Rolle spielt der Mensch?

In den Wirtschaftswissenschaften gibt es wie im Leben einen sehr wichtigen Unterschied, den viele nicht berücksichtigen und manchmal sogar völlig verdrängen: den zwischen Unsicherheit und Risiko. Was ist das aber für ein Unterschied? Risiko kann man berechnen und weiß daher mit bestimmten Wahrscheinlichkeiten, worauf man sich einlässt. Unsicherheit ist da viel grundlegender. Was die Zukunft bringt, weiß man letztlich nicht. Das ist auch deswegen problematisch, weil Berechenbarkeit Beherrschbarkeit vor- gaukelt. So kann man zwar sehr genau berechnen, wie groß die Chance ist, in einer Lotterie zu gewinnen. Aber man gewinnt entweder oder eben nicht und sicher nicht nur teilweise. Im wahren Leben ist es außerdem so, dass man – um bei der Lotterie zu bleiben – oft den Preis gar nicht kennt und auch nicht weiß, ob das Ganze nicht Betrug ist. Man muss sich also auf etwas einlassen, wo man bestenfalls im Nachhinein beurteilen könnte, wie die Chancen gewesen wären, sofern man alle Informationen gehabt hätte. Aber die hat man natürlich nie. Wie war denn das in der Finanzkrise? Die Spekulation an den Börsen wurde behandelt wie eine riskante Situation. Man hat mittels von Modellen auf der Basis vergangener Entwicklungen Wahrscheinlichkeiten für den Eintritt bestimmter Ereignisse berechnet und anhand der Ergebnisse verschiedene Finanzprodukte bewertet. Da liegen zwei grundlegende Fehler drin:

Erstens hat man nicht sehr weit in die Vergangenheit zurückgeschaut und daher nur einen sehr unvollständigen Einblick in das weite Feld der Möglichkeiten gewonnen, also schlicht vieles nicht berücksichtigt, was am Markt zwar möglich ist, aber aufgrund des Fehlens von Daten nicht berechenbar war. Man ist dabei außerdem dem Trugschluss erlegen, dass man aus solchen vergangenen Daten ein zuverlässiges Bild über alle relevanten Möglichkeiten für die Zukunft bekommen könnte, so als gäbe es das völlig Neue nicht oder so als wäre das Noch-nicht-Dagewesene wahrscheinlich nicht wichtig. Man hat also die Unsicherheit in doppelter Hinsicht einfach ausgeblendet und sie damit in scheinbares Risiko verwandelt. Zweitens hat man dann auch noch die Natur des Marktes verkannt. Insofern dieser Markt wirklich nur riskant war, hat man die systemische Dimension des Risikos weitgehend ausgeblendet. So absurd es im Nachhinein klingen mag: man hat schlicht verdrängt, dass Probleme eines Unternehmens vermutlich auch andere beeinflussen werden (weil z.B. Schulden nicht mehr bedient werden) und dass Probleme in einem Sektor die gesamte Wirtschaft beeinflussen werden (weil es z.B. keine Nachfrage nach Zwischenprodukten mehr gibt). Im Bankensektor hat man dann außerdem zugelassen, dass diese Verbindungen im ganz großen Stil „systemrelevant“ werden und mit jedem schlecht geführten Bankhaus

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das gesamte Finanzsystem auf dem Spiel stand. Die Gebrüder Lehmann lassen grüßen. Warum das alles trotzdem funktioniert hat? Nach dem Motto: Wer erfolgreich ist, hat Recht. Da viele Menschen durch das Agieren auf diesen Märkten viel Geld verdient haben, musste deren Vorgehen doch vernünftig sein, ja sogar besonders klug, eben „clever“. Manche wussten eben, wie es läuft, und sei es nur, weil sie skrupelloser willens waren, andere über den Tisch zu ziehen. Kann schon sein, dass das inzwischen auch bei Präsidentschaftswahlen ganz gut funktioniert. Mit dem Wissen ist das aber überhaupt so eine Sache. Es gibt Dinge, da wissen wir ziemlich genau, was passiert: Wenn wir eine Münze loslassen, fällt sie auf den Boden. Das ist Sicherheit, zumindest auf der Erdoberfläche. Dann gibt es andere Gegebenheiten, wo wir immerhin wissen, dass das eine oder das andere passieren kann: Die Münze kommt auf dem Boden so zu liegen, dass sie entweder Kopf oder Zahl zeigt, und wir kennen schon vorher die Möglichkeiten und ihre Wahrscheinlichkeiten. Das ist Risiko, weil die Münze nur im Film auf der Kante stehen bleiben kann. Dann gibt es aber auch noch Situationen, in denen wir nichts Zuverlässiges über die Optionen wissen. Wenn wir die Münze zum Beispiel nicht mehr finden, dann können wir sie an allerlei Orten suchen, wir wissen aber vorher nicht wirklich,


wo sie ist, sonst hätten wir sie ja nicht verloren. Und schon allein, dass wir oft genug solche Münzen gar nicht mehr finden, zeigt, dass wir selten alle nötigen Informationen haben. Das ist dann Unsicherheit. Es geht aber sogar noch schlimmer: Wenn wir nämlich gar nicht bemerken, dass wir die Münze verloren haben. Dann wissen wir gar nicht, dass wir nicht wissen, wo sie ist. In der realen Welt ist das eine häufige und zugleich sehr gefährliche Form von Unsicherheit, deren Bedrohlichkeit man sogar noch steigern kann, wenn man nämlich auch noch sicher zu sein glaubt, die Münze noch zu besitzen. Das mag bei einer einzelnen Münze kein großes Problem sein, aber wenn man zum Beispiel Atomkraftwerke solange für unzerstörbar hält, bis sie einem um die Ohren fliegen, dann wird die Sache schon deutlich kritischer.

Wirtschaftswissenschaften (zumindest noch nicht), aber ähnliche Probleme prägen den Umgang des Wirtschafts- und Sozialhistorikers mit der Abschätzung der Folgen von menschlichem Verhalten in Vergangenheit und Gegenwart. So sehr wir uns auch bemühen mögen, Muster im Ablauf bestimmter Ereignisse zu finden, so sehr müssen wir auch akzeptieren, dass ein vollständiges Verständnis von so komplizierten Sachverhalten wie dem Zusammenspiel menschlichen Verhaltens auf der Ebene ganzer Gesellschaften schlicht nicht möglich ist. Vielmehr ist das, was wir als Ergebnisse beobachten können, sehr stark von unbeabsichtigten Folgen der Handlungen und – oft ebenso wichtig – der Unterlassungen von Menschen geprägt. Was Menschen tun oder nicht tun, was sie fördern oder verhindern,

Dummerweise ist dieses Denken bei allem normal, was uns als völlig neu überfällt. Wir wussten vorher logischerweise nicht, dass es möglich ist. Wir mögen uns zwar schon vielfach vorgestellt haben, wie Außerirdische aussehen, aber in Wirklichkeit wissen wir bestenfalls, dass echte Außerirdische wahrscheinlich anders aussehen. Nun sind extraterrestrische Lebensformen nicht das Geschäft der

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macht in einem komplizierten Zusammenspiel letztlich den Lauf der Welt aus, prägt die Politik, die Wirtschaft und die Gesellschaft, und handelt uns Probleme wie Kriege und Klimawandel ein. Gerade aus den besten Absichten entstehen manchmal die größten Verbrechen und das gar nicht selten tatsächlich unbeabsichtigt. Es bleibt natürlich trotzdem wichtig, die Motive zu verstehen, warum Menschen bestimmte Handlungen setzen, aber man darf nicht dem Trugschluss unterliegen, dass sich Motiv und Konsequenz zwingend decken. Auch wenn es uns gefallen mag, die Welt im Lichte von mehr oder minder gefinkelten Verschwörungen zu betrachten, weil es uns ein Stückchen Sicherheit zurückgibt: die wirkliche Welt ist vor allem das alltägliche Chaos von guten und bösen Absichten, von Handlungen und Unterlassungen und von deren beabsichtigen und unbeabsichtigten Folgen. Sicherheit war immer schon gestern. Aber eigentlich ist nicht einmal das sicher. Zuletzt auch noch zu fragen, ob wir wenigstens über die Vergangenheit so zuverlässig Bescheid wissen, wie wir das gerne glauben, wäre allerdings eine andere Geschichte.


Laurin Mackowitz Essay

LEBENDIG IST, WAS MIT NEUGIER STRUKTURIERT Ein Blick in die menschliche Black Box.

Manche Systeme entpuppen sich bei näherem Hinsehen oder auch aus größerer Distanz als relativ chaotisch. Es scheint so, als würden sie keinerlei Geometrie oder Kausalbeziehung genügen. Wenn aber genug Zeit und Energie aufgewendet wird, können auch unscharfe Konturen und unvorhergesehene Veränderungen durch rationale Muster und logische Beziehungen gefasst werden.1 Chaotisches kann demnach, oft auch wenn es keiner Norm zu genügen scheint, normiert werden.2 Fast jedes Kind kann einen chaotischen Haufen von Bauklötzen so ordnen, dass eine eindeutige Struktur leicht erkannt werden kann. Ein komplexeres Beispiel ist die allegorische Deutung eines Traktoren-Geräuschs. Das Brummen und Quietschen3 des Mechanismus kann kraft der Energie, die durch die Synapsen – Knotenpunkte einer neuronalen Struktur – saust, mit Bildern, Geschmäckern oder Ideen verbunden werden. Ein entsprechend konditioniertes Bewusstsein assoziiert mit dem Geräusch eindeutige Formen, Farben, Vorstellungen u.v.m..4 So disharmonisch das Geräusch auch klingen mag, Neugierige verlangt es danach, den Laut zu verstehen und seine hintergründige Botschaft zu erraten oder zu erfinden. Eine unsinnige Askese wäre es, der Neugier gegenüber diesem grausig verschwommenen Chaos nicht nachzugeben und darauf zu verzichten, es mit unserem Verstand in Strukturen zu verweisen, die das Bewusstsein selbst erschafft. Diese Strukturen sind der Variabilität einer Reihe von kognitiven, ästhetischen, genetischen, konditionierten oder spontan und kontingent wirksamen Bedingungen unterworfen. Es scheint für menschliches Bewusstsein auch unmöglich zu sein, ganz ohne sie auszukommen. Hört das Herz auf rhythmisch zu schlagen oder fällt die Frequenz der elektrochemischen Signale im Gehirn auf Null, hört auch das individuelle Bewusstsein auf zu existieren. Wenn Schrödingers Hypothese, dass negative Entropie eine Grundvoraussetzung für Leben ist6, zutrifft, dann steigt mit der Menge an Information die Lebendigkeit eines Systems. Information meint in diesem Zusammen-

hang den Grad der Strukturierung. Je mehr Information, desto strukturierter ist ein Phänomen, desto genauer kann seine Position und Richtung bestimmt werden. Leben ist ein sehr komplexes Phänomen und durch eine sehr große Menge an Informationen bestimmt. Nimmt diese Information zu, entstehen komplexere Lebensformen. Nimmt die Information ab, handelt es sich um einen Alterungsbzw. Zersetzungsprozess. Im Gegensatz dazu kann strukturierende Neugier als Vektor bestimmt werden, mit dem die Verschiebung von einem weniger lebendigen zu einem lebendigeren Zustand beschrieben wird. Lebendig ist aber nicht dasjenige, das in einem Zustand kristalliner Erstarrung mit hohem Informationsgehalt stehenbleibt, sondern diesen Zustand zugunsten einer potenziellen und fluiden Neustrukturierung (oder auch nur einer Wiederholung mit geringer Abweichung) verlässt. Auch die Neugierde bleibt nicht bei der ersten Antwort stehen. Sie hört nie auf, forschend wahrzunehmen, nachzufragen und immer wieder neu zu strukturieren. 1

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Das bedeutet aber noch lange nicht, dass diese chaotischen Phänomene auch nur irgendetwas mit den Strukturen, die unser Bewusstsein auf sie projiziert, gemeinsam haben. Geometrie meint jede Art und Weise Räume wahrzunehmen, indem sie von Linien, Flächen oder Körpern vermessen werden; Kausalbeziehung bezeichnet jede Art einer verursachenden Beziehung zwischen Ereignissen oder momentanen Zuständen (ob Früheres ein Späteres verursacht oder umgekehrt oder ob Zeit überhaupt nur eine Illusion, ein Hilfskonstrukt unseres Verstandes ist, gehorcht wiederum der Ordnung einer Epistemologie und Ontologie). Auch das sind bloß lexikalische Strukturierungen, die irgendwo zwischen Dröhnen und Jaulen liegen. Mein Bewusstsein verbindet mit dem Traktorengeräusch spontan und sinnfrei einen roten Spielzeugtraktor auf einer grünen Blumenwiese, die wie der Frühling duftet. Entropie bezeichnet in diesem Zusammenhang eine Größe der statistischen Physik, welche den Grad der inneren (Un-) Ordnung eines Systems bemisst. Vgl.: Schrödinger, Erwin (2001): Was ist Leben? Piper Verlag, München.


Herbert Szusich Zeichnung

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Herbert Szusich Zeichnung

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Angelika Polak-Pollhammer Gedicht

sie hat heit ihrn kopf verloren hat ´n uanfach loslassn auf alls vergessn ´s war unneatig sagn se ´s isch sou laut drinnen gwesn sagt sie weil d´ ideen vo andere mit ihre tram miteinander nimmer kennen habm sie hat heute ihren kopf verloren hat ihn einfach losgelassen und auf alles vergessen es war unnötig sagen sie es ist so laut darin gewesen sagt sie weil die ideen von den anderen und ihre träume nicht mehr miteinander ausgekommen sind

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Stefan Österreicher Fotos: Eva Beierheimer und Miriam Laussegger

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Welchen Strukturen folgt unsere Sprache und was bewirken sie? Dieser Beitrag stellt das Projekt worte.at vor, einen Kunsttext-Generator – erkennst du den Unterschied zwischen Mensch und Maschine? Sprache hat einen durch Grammatik und Sprachgebrauch mehr oder weniger klar vorgegebenen Rahmen. Innerhalb dieser vorgegebenen Struktur kann und wird sie aber individuell verwendet. In bestimmten Berufsgruppen, sozialen Schichten oder Subkulturen bilden sich Jargons als Sprachvarianten heraus. Auf persönlicher Ebene sind Wörter, Sätze und Ausdrucksweisen mit dem subjektiven Erleben verknüpft und in erster Linie Abbilder der eigenen Erfahrungswelt, über die sich die Menschen mit Hilfe der Sprache mehr oder weniger gut austauschen können. Dabei spielt die Fähigkeit des Individuums, sich dieser Sprache effektiv bedienen zu können, ebenso eine Rolle, wie die jeweilige Sprache selbst. Verschiedene Sprachen bieten unterschiedliche Möglichkeiten, Inhalte effizient, treffend oder eindeutig auszudrücken, sozusagen auf den Punkt zu bringen. Unter Umständen kann es effektiver sein, den klaren Rahmen der nüchternen, beschreibenden Alltagssprache zu verlassen und für die Vermittlung von schwer fassbaren emotionalen Zuständen, Empfindungen und Gefühlen zu einer weniger rationalen und weniger an die vorgegebene Struktur der Sprache gebundenen poetischen Ausdrucksweise zu greifen – also Inhalte mit den Mitteln der Poesie zu transportieren, deren Elemente weniger klar definierte Begriffe sind, sondern Chiffren, die man mit Bedeutung füllen kann, ähnlich wie Bilder, Farben oder Gerüche, die beim Empfänger Resonanzen und Assoziationen auslösen können. Das Ergebnis der Rezeption ist dann zwar unter Umständen weniger akkurat, das heißt nicht notwendigerweise zu einem hohen Grad deckungsgleich zu der vom Sender intendierten Botschaft. Ein solches Ergebnis hängt stark von der Interpretation des Empfängers ab, multipliziert mit der schier unendlichen Zahl von Empfängern (Leser*innen, Hörer*innen) etwa aus unterschiedlichsten Kulturkreisen, bis hin zu jenen, die die Sprache womöglich gar nicht inhaltlich verstehen, jedoch immer noch ihre lautliche und rhythmische Wirkung empfinden (ähnlich wie bei den Lautgedichten des Dadaismus) und daraufhin assoziativ reagieren können, kann das Ergebnis eine geradezu chaotische Zufälligkeit und Unvorhersehbarkeit annehmen, ähnlich einer Ladung von Gummibällen, die in einen Raum geworfen werden und deren Bahnen (obwohl sie im einzelnen den grundlegenden Gesetzen der Physik unterworfen sind) kaum vorhersehbar sind. 60

Bei der Vermittlung von Inhalten zeitgenössischer Kunst wird Sprache auf ähnliche Weise eingesetzt. Um die komplexen abstrakten Inhalte künstlerischer Arbeiten zu erklären und zu transportieren, wird auf assoziative Beschreibungen zurückgegriffen, für die sich ein Repertoire aus geeigneten Wörtern etabliert hat. In ihrem Projekt worte.at haben Eva Beierheimer und Miriam Lausegger ein elektronisches Werkzeug entwickelt, das die Auswahl von Wörtern aus einem einschlägig kunstlastigen Wortschatz ermöglicht und aus den ausgewählten Wörtern Texte generiert, die sich an die vorgegebenen Regeln der Grammatik halten und damit auch lesbar und zusammenhängend bleiben. Die zufällige Zusammenstellung der Wörter durch die Maschine im Rahmen der vorgegebenen Struktur anerkannter, erlernter und gewohnter Ordnung lässt also einen den Normen des Sprachsystems entsprechenden Text entstehen. Die so generierten Texte haben zumindest oberflächlich betrachtet Ähnlichkeit mit jenen, die im Kunstbetrieb zur Beschreibung künstlerischer Arbeiten üblich und verbreitet sind. Allerdings sind sie eben zufällig generiert, hinter ihnen steht also keine künstlerische Arbeit als Beschreibungsgrundlage. Sind sie dennoch sinnvoll? Könnten aus Ihnen im Umkehrschluss Inhalte abgeleitet werden? Könnte man aus ihrer Beschreibung durch Interpretation zufällig generierte künstlerische Arbeiten erstellen? Lässt sich ein solcher Zufallstext aus einer Maschine von einem von einem Menschen aus demselben Wortrepertoire bewusst angefertigten Text unterscheiden? Worin besteht der qualitative Unterschied zwischen den beiden? Macht einer davon mehr Sinn? Welcher Text ist der zufälligere, chaotischere, willkürlichere? Der zwar zufällig von der Maschine hergestellte, allerdings den genau festgelegten Regeln der Programmierung unterworfene oder jener, der dem schwer fassbaren, äußerst individuellen und unerklärbaren menschlichen Geist entspringt? Die Bedeutung von Struktur und Chaos, von Zufall und Ordnung verschwimmen, ähnlich wie in der chaotischen Welt der Quantenmechanik, die hinter der sichtbaren und von vorhersehbaren physikalischen Gesetzen beherrschten Welt verborgen waltet.

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Unter den folgenden Texten ist einer menschlichen Ursprungs, die übrigen wurden auf worte.at aus einer Auswahl von 340 Wörtern generiert. Die Einflüsse setzen die Flexibilität in aktiven Gegenargumenten fort. Die Beispiele stellen die autonome Beobachtung infrage. Die Abwandlung zeigt, dass nicht die charmante Bestandsaufnahme im dekorativen Cross-over animiert, sondern nach wie vor Darstellungen ignoriert. Die Bedeutungssysteme der Collagen werden aktuell und umschreiben die charakteristischen Facetten. So adressieren sie keineswegs abstrakte Abbilder, sondern Bandbreiten und Budgets [sic!] in denen jeweils definitive und manuelle Eingriffe definiert sind. Aktuelle Abbilder von Bedeutungssystemen sind keine eindeutige Darstellung von Identität im Sinne von illusionistischen Ideologien. Vielmehr ist ihre Identität imaginär und kann im Labyrinth der Lektüre zeitgenössischer Zitate schwer verifiziert werden. Zeitlos erscheint die Wechselwirkung von Teilaspekten und [sic!]Schlüsselbegriffen des Magazins, die in ihrer Reaktion selbstironisch und sarkastisch das Bedeutungssystem sabotiert. Diese Darstellung dechiffriert Ideologien auf eigenartige Weise, hinterfragt Machtverhältnisse und verfremdet den Text zur Paraphrase, um zu einer selbstironischen Neuformulierung zu gelangen. Das charmante Abbild verfremdet in diesen Bestandsauf­ nahmen und dematerialisiert das Cross-over in Effekten homogener Eingriffe eines Gedächtnisses des marginalen Hinter­ grundes. Die Abwandlung demokratisiert hier die autonomen Beispiele, welche die Beobachtungen verbindet. Die abstrakten Bandbreiten chiffrieren einige Bedeutungssysteme und versuchen sich aktiv anzunähern. Die Gegenargumente der Mächte animieren die Neudefinition der Öffentlichkeit eines Schlüsselbegriffs und dechiffrieren die Zwischenräume der Aufmerksamkeiten und der kasualen KunstförderInnen. Die Ideen der Kapitalien werden bildhaft und adressieren die illusionistischen imaginären Magazine. Online-Textgenerator >> www.worte.at englischsprachige Version >> www.art-words.net Zu diesem Text hat ein Gespräch mit Matthias Bildstein angeregt. Sein Beitrag findet sich auf Seite 51.

Der zweite Text wurde ohne Textgenerator verfasst.

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Luzia Dieringer & Claudia Sacher Fotos: Toni Schade

KOCHSTRUKTUR

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Französische Salatsuppe

Beim gemeinsamen Kochen prallen oft Welten aufeinander. Jeder hat dabei seine gewohnten und routinierten Handgriffe, Eigenheiten … „Ach, so machst du das …?“ Gibt es eine Struktur beim Kochen, einen Ablauf, eine konkrete Vorstellung, wie es werden soll … oder gibt man sich dem Chaos hin, improvisiert, alles klein schneiden und in den Topf – das wird schon. Meistens ist es eine Kombination aus Vorgaben, Interpretation, Können, Erfahrung, Experiment, Struktur und Chaos …

Zutaten für 6 Personen: 3 Stück grüner Kopfsalat (z.B. Krauthäuptel, Eissalat) 2 Liter Hühnerbrühe 50 g Butter 50 g Mehl 2 Eigelb 125 ml Sahne Kräuter nach Belieben Variante: In Gewürzöl geröstete Croutons über die warme Suppe streuen.

In welcher Form werden die Zutaten geschnitten? Wann gibt man die Zwiebel in die Pfanne zum Öl? Würzt man gleich am Anfang oder erst ganz zum Schluss? Kann man Zutaten aus ihrem üblichen Verwendungszweck reißen und auch ganz anders einsetzen? Muss Suppe immer warm sein? Muss Salat immer kalt sein?

Den Kopfsalat in Streifen klein schneiden, gut waschen und abtropfen lassen. Die Butter in einer Pfanne erhitzen, den Salat zugeben und andünsten. Sobald der Salat etwas weicher in der Konsistenz ist, mit Mehl bestäuben und mit kalter Brühe aufgießen, damit das Mehl keine Klumpen bildet. Das Ganze kurz aufkochen lassen und dann auf niedrigerer Temperatur weiter köcheln lassen. Die Suppe, sobald der Salat weich gekocht ist, pürieren, kleine Salatstücke bleiben dabei erhalten. Das Ei und die Sahne in einer eigenen Schüssel zusammenmischen, einen Schöpfer Suppe unterrühren. Diese Ei-Sahne-Masse kurz vor dem Servieren in die Suppe einrühren und diese danach nicht mehr kochen lassen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken und gegebenenfalls Kräuter dazugeben. Damit der zarte Eigengeschmack des grünen Blattsalates nicht verloren geht, sollte man mit Kräutern sparsam nachwürzen.

Probiert die Rezepte! Schmeckt ihr den Unterschied?

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Kochchaos

Feld - Verein zur Nutzung von Ungenutztem Der feld-Verein beschäftigt sich mit ungenutzten Ressourcen – materiellen wie immateriellen. Gemeinsam werden diese entdeckt, gesammelt und verwandelt, wodurch sich eine Vielfalt an neuen Möglichkeiten ergibt: Produkte, die Geschichten erzählen, und Unikate, die uns für den Wa(h)renWert sensibilisieren, entstehen. Die Verwendung der bereits produzierten Ressourcen setzt Improvisationstalent, Engagement und Kreativität voraus, was für uns das Reizvolle ist. Außerdem macht gemeinsam Selbermachen mehr Spaß, als sich alles vorgeben zu lassen. Wir möchten nicht mit erhobenem Zeigefinger umherlaufen, sondern einfache Möglichkeiten zur Veränderung aufzeigen und (vor)leben. Als gemeinnütziger Verein bieten wir in und um Innsbruck eine Austauschmöglichkeit für alle Interessierten und Mitwirkenden – im konsumfreien Raum. Kontakt: feld-verein@gmx.at oder www.feld-verein.at 88


Sarah Mayer Diskurs

Psychotherapie

EIN STRUKTURIERT CHAOTISCHER PROZESS

Wie viel Struktur ist für eine gesunde Entwicklung nötig? Was spielt das Chaos für eine Rolle? Sind chaotische Zustände und Ordnung gar keine Gegenspieler, sondern haben ein symbiotisches, entwicklungsförderndes Verhältnis?

Im Laufe unseres Lebens entwickeln und adaptieren wir, durch innere und äußere Faktoren bedingt, verschiedene Kognitions-Emotions-Verhaltensmuster – unsere Struktur. Als „gesunde“ Person sind wir, mit Hilfe dieser Muster, in der Lage, uns in unterschiedlichen Situationen anMit diesen Fragen beschäftigt man sich auch in der Psy- gemessen zu Verhalten, wechseln zwischen verschiedenen chologie. Vor allem in der systemischen Psychologie gibt Gemütszuständen, nehmen verschiedene Rollen ein, rees Erklärungsmodelle, die sich die Synergetik, „die The- agieren dynamisch auf unsere Umwelt, durchlaufen daorie und Wissenschaft der Selbstorganisation“ zu Nutze bei „Hochs und Tiefs“ und machen große Veränderungen machen. In der Synergetik, die ursprünglich in der Physik mit. Wir sind Kinder und Arbeitskolleg*innen, wir ziehen entwickelt wurde, werden komplexe, offene Systeme be- um und bauen uns ein neues Netzwerk auf, wir verlieren trachtet. Das sind dynamische Systeme mit vielen inter- einen geliebten Menschen und können trauern, wir trenagierenden Einzelelementen und den daraus entstehenden nen uns und verlieben uns neu, wir haben Unfälle, erleinichtlinearen Wechselwirkungen. Diese Grundbedingun- den Krankheiten und finden unseren Umgang damit, wir gen erlauben es dem System, bei geeigneten Rahmenbe- sind wütend, haben Angst, weinen und lachen und imdingungen seinen Zustand mit mer wieder kommt etwas Neues Hilfe von Selbstorganisation dazu, das uns aus dem Konzept zu verändern. In der Synergetik „Um sich durch den ganz bringen kann. Wir müssen uns immer wieder auf etwas einlasnennt man das neue Musternormalen Wahnsinn des Lebens sen und uns umstellen. Um sich bildung oder das Einnehmen verschiedener Ordnungszustän- manövrieren zu können, durch den ganz normalen Wahnsinn des Lebens manövrieren zu de. Chaos stellt auch so eine ist es also nötig, ständig die Ausdrucksform nichtlinearer können, ist es also nötig, ständig dynamischer Systeme dar (ein Balance zwischen Chaos und die Balance zwischen Chaos und Zustand während eines Unord- Struktur zu halten.“ Struktur zu halten. Dabei hilft nungs-Ordnungs-Übergangs), uns die Erfahrung, dass es sich nach unruhigen, chaotischen Zei- wobei es hier oft nicht leicht oder unmöglich ist, die Ordnung in der Unordnung zu er- ten – manchmal mit Unterstützung, manchmal wie auf kennen. Letztlich ist es der Wechsel zwischen Chaos und wundersame Weise – schon wieder ordnet. Ordnung, der das System am Leben hält, da es nur so in der Lage ist, auf Störungen zu reagieren und sich an neue Es kann allerdings auch passieren, dass eine Person aufgrund von widrigen äußeren und/oder inneren LebensSituationen anzupassen. umständen (emotionale Vernachlässigung, physische oder Da der Mensch sowohl auf physiologischer als auch auf strukturelle Gewalt, Krankheit, Missbrauch, traumatische psychischer und sozialer Ebene ein solches komplexes Ereignisse ...) gezwungen wird, Muster auszubilden, die System darstellt, können die Konzepte der Synergetik ge- auf Dauer nicht gut für sie sind. Für den Moment haben nutzt werden, um menschliche Verhaltensmuster und Ver- diese Muster zwar geholfen, mit den jeweiligen Bedinänderungsprozesse zu beschreiben. gungen klar zukommen und geben auch weiterhin eine

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gewisse Struktur, sind dafür aber oft sehr starr und bringen z.T. großen Leidensdruck mit sich. Z.B. sich zu ritzen, wenn Bilder oder Gefühle von einem erlebten Trauma einen zu überwältigen drohen und man keinen anderen Umgang damit findet. Solche Muster können sich zu einer psychischen Erkrankung entwickeln, die viele leidvolle Gesichter annehmen kann (Zwänge, Ängste, Depression, Sucht, Vermeidungsverhalten, Abspaltung, Selbstverletzung, Psychosen, ...). Aus dieser starren Struktur auszukommen, scheint für viele fast unmöglich. Denn je mehr man sich von seinem bekannten Muster weg, hin zu einem unbekannten chaotischen Zustand bewegt, desto instabiler wird das System und das macht Angst und begünstigt einen Rückfall in das gewohnte Muster. Eine gewisse Instabilität ist allerdings von Nöten, um die z.T. leidbringenden Muster verändern zu können. Eine Psychotherapie kann dabei helfen, festgefahrene dysfunktionale Muster aufzurütteln. Mit Hilfe von sicheren, stabilen Rahmenbedingungen soll es möglich werden, eine kritische Instabilität zuzulassen, um dann in einen neuen Ordnungszustand überzugehen. Die Sicherheit der inneren starren und leidbringenden Struktur kann für einen Moment geöffnet, das Angebot neuer Muster getestet werden. Psychotherapie kann also einen sicheren Erfahrungsraum für den Wechsel zwischen Struktur und Chaos und das Ausprobieren neuer Kognitions-Emotions-Verhaltensmuster darstellen. Diese neuen, gesunden und flexiblen Muster anzunehmen, zu festigen und auch in anderen Situationen zeigen zu können, ist allerdings ein sehr langer und kraftaufwändiger Prozess. Wir brauchen für eine gesunde dynamische Entwicklung also Chaos und Struktur gleichermaßen. Das Chaos bietet uns Möglichkeitsräume, die Struktur die Rahmenbedingungen, um sich darin auszuprobieren und seinen Weg zu finden.

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David Schreyer Fotografie – Auszug aus der freien Arbeit ‚LAND‘

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Markus Penz Illustration: Simone Höllbacher

Inseln IM CHAOS

Versetzen wir uns kurz an einen Ort vor der Zeit, ohne Sprache, Schrift, Schule, Staat oder sonstiger zivilisatorischer Errungenschaft …

… Dort, wo die Macht des Wortes noch nicht wirkt, tobt um uns ein namenloser Sturm, ein Rauschen der Synapsen, dessen Kräften wir, verständnislos, sprachlos, hilflos ausgeliefert sind. Es ist das Gefühl derer, die in ein Leben oder in ein Land gestoßen werden, an dem sie keine Teilhabe haben. Alles herum ist fremd und unverständlich, Dinge ohne Namen, Sätze ohne Bedeutung, Gestalten ohne Antlitz, Tätigkeiten ohne Sinn. Doch was eben noch unbegreiflich und ungreifbar an uns vorüberzog, wird verstehbar, fassbar, sobald es einen Namen trägt und sich in eine Ordnung fügt. Um auf fester Erde zu stehen, geben wir der wüsten Wirrnis an Eindrücken eine Form, das Feste trennen wir vom Flüchtigen, den Schall vom Rauch. Aus Chaos wird Struktur. Erst diese Trennungen schaffen die Möglichkeit den Erscheinungen, nun differenziert und greifbar, Namen zu geben. Und das Ziehen einer Begrenzung, die Einhegung eines Teiles des zuvor Unermesslichen, gibt uns die Fähigkeit zu beherrschen. Sprache kommt in unseren Besitz und was wir besitzen, kann bezeichnet werden. Wer das Wort spricht, die Grenze zieht, hat die Macht zu benennen und zu bestimmen, ein- oder auszuschließen. Sprache und Herrschaft stehen am Anfang der gesamten Zivilisation als gewaltiges Projekt der Ordnung aller Dinge. Über die Zeit wuchs diese Struktur in schwindelerregende Höhen und wir vergaßen, dass sie einst nur dazu diente, uns Orientierung in der verwirrenden Flut der Sinne zu verschaffen. Nun gilt es jedoch, an die Spitze der festgefügten Ordnung, der Hierarchie, zu kommen. Der Verstand soll dazu dienen, die erschaffene Struktur zu erfassen, zu verstehen und schließlich darüber zu herrschen. Diesem großen Ziel ordnet man das Leben unter, denn als Belohnung winkt ganz am Ende wieder Macht über die Begriffe, das Versprechen von Autonomie (das Selbst-Gesetz als Selbst-Benennung) und Freiheit. Dieser Weg der lebenslangen Unterdrückung von Schaffenskraft und Lust endet mit der Erlösung von einer Welt, die man selbst nicht gestaltet, sondern nur beherrscht hat.

legen, was und wer dazugehört, hinter denen das Fremde sauber verwahrt bleibt. Sie bedeuten nicht nur unseren Schutz, sondern sie sind das grundlegende Wesen der ganzen Zivilisation. Kein Wunder, dass wir sie mit allen Mitteln erhalten und verteidigen wollen. Das ursprüngliche Chaos lauert jedoch gar nicht dies- oder jenseits der Grenzen, sondern in den Formen, die sich trotz aller Bemühungen nicht einteilen und disziplinieren lassen. Es ist wie der Schleim, der sich halb fest, halb flüssig der Zuordnung widersetzt und selbst die gefühlten Grenzen der eigenen eingetauchten Hand verflüssigt. Es sind die Monstren, hybride Wesen, halb–halb; der Schmutz, der vom System der Ordnung als unzuordenbar ausgeschieden wurde. Die Außerordentlichen erregen unser Misstrauen, unseren Zorn, da sie die feste Ordnung als Fundament der Welt bedrohen. Sie führen uns die eigenen Fehler und Versäumnisse bei der umfassenden Klassifizierungen vor Augen. Doch glaubend an das Projekt der starren Ordnung gibt es nur die Möglichkeiten, sie entweder doch noch in einer der Klassen zu assimilieren, oder sie kurzum zu vernichten, ihre Existenz zu leugnen, denn sie tragen keine Namen.

Doch vielleicht regt sich in uns Zweifel an der Integrität der großen, allumfassenden Struktur. Wir nennen sie Wahrheit, Wirklichkeit, Realität. Sie wurde der Menschheit in der Geschichte nacheinander vermittelt von Kirche, Staat, Wissenschaft und Wirtschaftslobby. Im Laufe eines Menschenlebens sind es die Eltern, Pfarrer*innen, Lehrer*innen, Richter*innen, Chef*innen, Marketingmenschen und Versicherungsvertreter*innen, die einem die Wirklichkeit erklären. Oder geben wir ihnen passendere Namen: Moralist*innen, Phallokrat*innen, Banker*innen, Priester*innen, Sklaventreiber*innen; die uns jeweils ihre Version von Wahrheit in den Verstand gravieren. Diesem vielfarbigen, verführerischen Spektakel und seinen Versprechungen sollen wir arglos Glauben schenken. Wir müssen die vorgegebene Struktur adaptieren und uns darin einpassen, wollen wir nicht selbst aus dem Schema Zurück zu den ursprünglich beliebig gezogenen Grenzen, fallen und dem Dreck zugeordnet werden. Aber der Verwelche die Kategorien der Ordnung bestimmen, die fest- stand lässt sich nicht völlig blenden, hinter der Kulisse 16


erahnen wir das ursprüngliche Chaos: Es sickert durch die Risse der erbauten Struktur, bahnt sich einen Weg in unsere saubere, ordentliche Welt. Es kommt von jenseits der Ordnung übers Meer, zeigt uns durch seine plötzliche, verunsichernde Präsenz, dass wir nicht alleine sind. Es spricht eine uns völlig unverständliche Sprache, guttural und fremd, die uns schmunzeln oder schaudern lässt. Es begegnet uns dann nachts im Regen, auf einer kaum beleuchteten Straße, in Form einer fremden Gestalt, die wir nicht zuordnen können und die uns Angst einflößt. Jede Begegnung mit anderen ruft so schon eine Reaktion hervor, ist der Anfang eines Dialogs, und hat damit das Potenzial eine neue Ordnung zu erschaffen, in welche die Teilhabenden ihr Leben wirklich einbringen können. Oder es begegnet uns in einer nie wahrgenommenen Erscheinung, die uns vor Erstaunen atemlos innehalten lässt, denn wir haben keine Erklärung parat, wir wünschen in diesem Moment auch keine. In allem was seltsam, unbeschreiblich, erschreckend, abstoßend und doch anziehend ist. In dem schamhaften Gefühl bei einer verbotenen Erregung, das Ersehnen einer Situation, die niemals sein darf, weil sie den gegebenen Regeln widerspricht. Wenn wir dem nachgeben wollen, verlangen die Erscheinungen von uns neue Namen. Die alternative Perspektive die sich so entwickelt, kann ihre Gültigkeit nur abseits der etablierten Strukturen in einer befreiten Zone erlangen. Neue Regeln werden exklusiv für diesen Bereich geschaffen. Alternative Lebensformen können so entstehen und schließlich werden in dieser unserer Welt viele Welten ihren Platz finden. Neugier kann uns eine wertvolle Gefährtin auf dieser schöpferischen Reise sein, die auch in dunkle und unbekannte Regionen im Inneren führt. Was wir dort drinnen erkennen, ist die eigene Zersplitterung, die Brüchigkeit und Formbarkeit des Selbst. Dort, tief in uns, ist kein Ich, kein Kern, sondern tausend Fragmente von Lust und Furcht, Erinnerungen und Beziehungen, die sich wie Spinnfäden in zahlreiche Richtungen erstrecken. Wir glauben an unsere ungeteilte Identität, sind jedoch niemals nur einem Menschen, nur einer Idee, nur einem Interesse, nur einer Leidenschaft verhaftet. Wir sind alle selbst Monstren, Hybride, denn die Grenzen und Linien verlaufen mitten durch uns hindurch. Die Zweifel betreffen also sogar unsere ureigene, innerste Integrität. Erst durch unser Handeln wird ein Subjekt für die Außenwelt errichtet, das 17

unser brüchiges Selbst umhüllt. Doch diese Handlungen müssen sich nicht durch eine feste Ordnung steuern lassen, sie könnten auch frei fließen, getrieben von geheimen Leidenschaften, für die wir erst neue Wörter, neue Kontexte finden müssen. Es ginge nicht um das Verstehen, Erlernen und Erklimmen einer großen, festgefügten Struktur, sondern darum, ständig neue, temporäre Ordnungen aus dem Chaos zu heben, damit zu spielen und zu experimentieren, sie eine angemessene Zeit lang zu genießen und sie dann wieder versinken zu lassen und weiterzuwandern. Wir fordern das Recht zu werden, wie wir wollen, nicht nur zu sein, wie wir anscheinend sind. Unser Leben wäre das von Nomaden zwischen Identitäten, jede Station die furchtlose Begegnung mit Anderen, pendelnd in promisken Beziehungen und treu in der Liebe zu jenen, die uns begleiten. Wir wären Navigator*innen auf der Chaos-See, welche sich selbst in babylonischem Sprachengewirr mühelos zurechtfinden, das Unreine und Fremde suchen und lieben, ihren Lebenszweck darin sehen, Grenzen einzureißen und immer wieder neue Inseln der Ordnung zu errichten, die von den Wogen verschlungen werden, wenn sie ihre Aufgabe erfüllt haben.


Aus Der Bäckerei Interview: Stefan Österreicher – Text: Julia Scherzer Fotos: Anfang 50er Jahre, gefunden am Dachboden Der Bäckerei

WIR MÜSSEN NICHT ANS ZIEL, WIR BLEIBEN EINFACH DA. Ein Gespräch mit dem Team Der Bäckerei – Kulturbackstube über die Auseinandersetzung mit Struktur und Chaos im Arbeitsalltag eines offenen Hauses.

Christina: Trotzdem sind die Leute an Strukturen und Regeln gewöhnt. Am Anfang war es für viele nicht ganz einfach, mit diesem Konzept umzugehen. Das Thema Struktur und Chaos geistert schon lange durch Die Bäckerei. Hauptsächlich in Form von Diskussionen darüber, wie viel Professionalität bzw. Offenheit und Dilettantismus so ein Haus verträgt. Die ständige Frage steht im Raum, welche Abläufe besser strukturiert werden müssen, damit das Team Der Bäckerei überhaupt arbeiten kann und welche Prozesse dynamisch und offen bleiben können und dürfen – ein ständiger Grenzgang zwischen der Sehnsucht nach geregelten Abläufen und dem Wunsch, sich auf offene Prozesse, Ungewissheit und vermeintliche Fehler einlassen zu können. Wir wollen weiter gehen und diese negativ besetzten Konstrukte, als Möglichkeiten für Ungeahntes und Neues ansehen. Wir versuchen sogar, sie zum wesentlichen Bestandteil unseres Alltags und unserer Arbeit zu machen – ein herausfordernder Prozess mit unendlich vielen Möglichkeiten. Schon in der letzten Ausgabe haben wir uns dieser Thematik gewidmet – diesmal wurde ein Teil des Teams zum Thema Professionalität vs. offene Strukturen interviewt:

Christoph: Vor Kurzem war ein Pastoralreferent aus Rosenheim (Karl-Heinz Lehner, siehe Seite 40) in Der Bäckerei und er sagte, es gäbe zwei Realitäten. In der einen werden wir sozialisiert, sind es gewöhnt zu konsumieren und in der Gesellschaft zu funktionieren. In Der Bäckerei nimmt er eher eine andere Realität war, ein Ökosystem mit viel mehr Freiheiten und wenig Regeln. Da ist es wichtig, eine übergeordnete Vision zu schaffen. Julia: Ist eine gemeinsame Vision nicht auch wieder eine Form von Struktur? Etwas, nach dem man sich richten kann? Ein System quasi, in dem einzelne Teile miteinander in Verbindung gesetzt werden? Ein Versuch, etwas zu ordnen?

Das Gleichgewicht zwischen diesen beiden Polen zu finden ist komplex – so komplex, dass dieser Prozess regelmäßig zu Konflikten im Team führt und unter Umständen unzufriedene Nutzer*innen zurücklässt. Es ist dieses so oft gehörte Dazwischen, das manchmal unerträglich Welche Erfahrungen macht ihr in eurer täglichen Arbeit mit wird. Warum kann man sich nicht einfach für einen funkStruktur und Chaos? tionierenden Ablauf entscheiden? Warum arbeiten wir so Christoph: Es pendelt immer ein bisschen zwischen den oft gegen eine scheinbare Optimierung? Das Veranstalbeiden Polen hin und her, je nach Arbeitsbereich und per- tungsteam wird darauf andere Antworten haben als beisönlichen Bedürfnissen. Wir sprechen im Bäckerei-Team spielsweise jener Teil vom Team, der hauptsächlich im oft über das Optimieren von Abläufen, wir könnten uns Büro sitzt und nicht tagtäglich mit dem Auf- und Abbau stattdessen mehr auf das Gleichgewicht zwischen diesen Extremen fokussieren. Christina: Es kommt darauf an, was man eigentlich erreichen will, sozusagen auf die Mission. Es gibt schon einen Grund, warum es bei uns bis heute wenig fixe Regeln gibt. Christoph: Von Anfang an hatten wir ein Konzept, bei dem der Wert auf den Kontakt mit den Menschen gelegt wurde und was daraus entstehen konnte – dabei wollten wir möglichst wenig Reglementierung.

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von Bühnenelementen und Technik sowie der Kommunikation mit Veranstalter*innen und Musiker*innen zu tun hat. In der Theorie ist ein offener Raum natürlich leichter zu bewältigen, als in der ausführenden Praxis. Das erzeugt Reibung – aber keine, die in Diskussionen, Supervisionen und Besprechungen nicht zu bewältigen wäre. Viel wichtiger aber ist: auch in Der Bäckerei herrscht ständig eine Spannung zwischen Struktur und Chaos vor und sie ist essentiell für den Charakter dieses Ortes. Denn nur solange diese Spannung aufrechterhalten wird, existiert auch dieses Dazwischen, von dem wir so oft reden. Würde ein Pol über einen längeren Zeitraum hinweg überwiegen, würde der Zwischenraum langsam verschwinden und mit ihm auch die Idee Der Bäckerei. Wolltet ihr in Der Bäckerei bewusst einen unreglementierten Raum als Gegenpol zu dieser sozialisierten Welt schaffen oder hat sich das einfach so entwickelt? Christoph: Es hat sich so entwickelt, aber es war auch notwendig, die Entwicklung in eine Richtung zu drängen. Christina: Am Anfang fühlte sich niemand kompetent genug, um Regeln aufzustellen. Wir wollten einfach einmal einen Raum schaffen und die Idee etwas zurücknehmen, wenn es überhaupt eine konkrete Idee geben sollte. Und dann wollten wir schauen, was daraus entstehen kann. Erfahrungen ermöglichen, sich die eigene Selbstwirksamkeit bewusst zu machen. No leader, no mission. Sind auch hier zwei Pole zwischen der Offenheit in eurer Arbeit und einem gewissermaßen geregelten Betrieb für die Gäste, die Nutzer*innen? Christina: Jede*r macht sich in Der Bäckerei eigentlich seine*ihre eigenen Regeln für seinen*ihren jeweiligen Arbeitsbereich. Nichtsdestotrotz werden Entscheidungen auch im Team reflektiert und thematisiert. Arbeitsweisen und ihre Auswirkungen müssen auch für den Rest der Gruppe passen. Julia: Das Diskutieren und das ständige Er- und Überarbeiten von Arbeitsbereichen und Strukturen schließt dann automatisch die Nutzer*innen mit ein. Denn Ideen und Vorstellungen werden in der Realität ausgetestet und oft revidiert – alle Menschen, die Die Bäckerei in irgendeiner Form nutzen und in diesem System agieren und reagieren, beeinflussen automatisch die Entscheidungen und Arbeitsweisen im Team.

„Die Wirklichkeit ist eine Sense für die Ideale.“ Helmut Qualtinger 54


Soli: Bei den Finanzen ist Struktur natürlich wichtig. Die Buchhaltung muss einfach genau und gewissenhaft gemacht werden. Trotzdem haben wir nur ein Jahresbudget und nicht alles auf einzelne Posten für das ganze Jahr durchgeplant, wie das in anderen Organisationen üblich ist. Wenn wir unbedingt etwas brauchen, z.B. eine zusätzliche Arbeitskraft, dann brauchen wir das eben. Und irgendwie kriegen wir das dann auch hin … und wenn wir improvisieren müssen. Die Bedürfnisse gehen hier vor, mit einer klassischen Budgetierung wäre das nicht möglich. Das schafft Unsicherheit, aber es macht uns flexibel. Julia: Wir haben gelernt, dass man dem Drang nach Regeln nicht immer nachgeben darf, aber oft muss. Das gilt für das Team und alle Nutzer*innen Der Bäckerei.

Was erwarte ich mir zu bekommen und wieso? Welches Erfolgserlebnis brauche ich und wieso? Wie viel Struktur brauche ich und wieso? Das gilt für das Team und die Nutzer*innen gleichermaßen … Es wird immer wieder gesagt, diese Unsicherheit sei für unsere Zeit und eure Generation charakteristisch. Ist Die Bäckerei ein Produkt daraus oder eine Antwort auf dieses Lebensgefühl? Julia: Im Idealfall beides – man ist doch im Endeffekt immer ein Produkt seiner Zeit. Die Frage ist, ob und wie man damit umgeht.

Ich kann mir vorstellen, dass einzelne Menschen mehr oder weniger gut mit dieser Unsicherheit und Strukturlosigkeit umgehen können...

Alberto: Ich glaube nicht, dass wir in unsicheren Zeiten leben, ich glaube wir hatten es noch nie so gut. Ich komme aus Spanien, meine Mutter hat mit neun Jahren zu arbeiten Baiba: Das ist immer der größte Diskussionspunkt bei uns: begonnen, ich habe zwei Uni-Abschlüsse, so viel hat sich in die unterschiedlichen Bedürfnisse im Bezug auf die Struk- einer Generation verbessert. tur. In Der Bäckerei ist jede*r selbst dafür verantwortlich, seine*ihre eigenen Anforderungen zu erfüllen und gleich- Baiba: Es hat auch noch nie mehr Struktur gegeben. zeitig auch das ganze Haus zu berücksichtigen. Das ist eine große Herausforderung. Christoph: Die Zahl der Arbeitslosen steigt ständig, es gibt immer mehr Menschen, aber die wirtschaftliche EntwickChristoph: Dieser Pastoralreferent hat auch erklärt, dass lung zieht nicht mit, zumindest was die Jobs anbelangt. Ich Menschen immer instinktiv an dem Gewohnten, der Si- glaube, dass auch das Internet viel verändert, mit all der Incherheit festhalten wollen. Wenn man das Gewohnte ver- formation, die uns jetzt auf einen Mausklick zur Verfügung lässt, gibt es eine Zwischenphase der Unsicherheit, die wie- steht. Vielleicht ist es auch die schnelle Veränderung, die derum viel Potenzial in sich birgt. Der einzige Weg von das Gefühl der Unsicherheit schafft. alten in neue Strukturen verläuft über die Unsicherheit. In der Sicherheit gibt es immer definierte Ziele, auf die man Julia: Und wir müssen erst lernen, damit umzugehen. Wie hinstrebt. In der Unsicherheit geht es um den Prozess. mit allen großen Veränderungen in der Vergangenheit. Das ist eine große Aufgabe. Christina: Ich weiß nicht, ob das Ziel neue Strukturen sein müssen. Ich sehe Die Bäckerei als Übungsfeld, in dem es Christina: Alles wird über Leistung und Effizienz definiert. darum geht, sich dem Chaos auszusetzen und sich dadurch zwangsläufig tagtäglich an den klassischen Werten wie Baiba: Ist es nicht eigenartig, dass wir das so kritisch sehen Schnelligkeit, Effizienz oder Zielorientiertheit zu reiben. und doch wächst uns hier selbst die Arbeit über den Kopf und wir machen immer mehr? Christoph: Wir müssen vielleicht die Lösungen und Ziele nicht immer kennen und definieren. Aus den Diskussionen Was sind eure Werte oder eure Visionen? heraus entwickelt sich die Vision. Struktur darf man nicht mit Effizienz und Leistung gleichsetzen. Christina: Ich kann unsere Werte schwer auf den Punkt bringen, aber wir wollen zeigen, dass es nicht um Effizienz Baiba: Die Bäckerei ist ja auch sehr produktiv. Das hat, glau- und so weiter geht. Das Loslassen von klassischen Werbe ich, paradoxerweise gerade mit dieser Offenheit zu tun. ten und das Etablieren einer positiven Fehlerkultur ist eine Das schließt sich also nicht aus. tägliche Übung und eine langsame Entwicklung. Christoph: Im Gegenteil. Christina: Das muss jede*r für sich selbst herausfinden. Ich finde es interessant, Abhängigkeiten erfahrbar zu machen: 55


Alberto: Es gibt viele Meinungen und auch Spannungen, die aus dieser Thematik entstehen. Ivan: Ich komme aus Kroatien, da gibt es viele Leute, die immer noch sagen, früher sei alles besser gewesen. Früher war es einfacher, zufrieden zu sein. Man hatte seine Arbeit und wirtschaftliche Ziele, ein Auto, ein eigenes Haus usw. Veränderung ist aber unvermeidlich. In Der Bäckerei kann man sich in verschiedenen Bereichen erproben. Ich möchte mein Leben nicht auf der Autobahn verbringen, wie auf einer Einbahnstraße. Christoph: Das Bild mit der Autobahn gefällt mir. Wenn man darauf fährt, bekommt man nicht viel von der Landschaft mit, man kann sie nicht riechen und spüren. Wenn man die Hauptstraße verlässt, kann man viel mehr erleben. Christina: Es ist charakteristisch für uns, dass wir keine so klar formulierbare Mission haben, keine fixe Lösung und keine charismatische Persönlichkeit, die hier den Ton angibt. Ivan: Wozu braucht man eine Mission, es reicht, immer wieder nach dem Ziel zu suchen. Unser Ziel ist das Jetzt. Christina: Ja, aber Menschen brauchen Erfolgserlebnisse. Christoph: Das sagt unsere Zivilisation. Ich gehe immer mehr in die Richtung, dass ich nicht beliebt werden muss, nichts Außergewöhnliches leisten muss, mich nicht hervortun muss. Einfach zufrieden sein, mit dem was ich tue. Warum fällt es dem Team Der Bäckerei so schwer, eine Mission zu formulieren? Das liegt vermutlich daran, dass „Mission“ ein negativ besetztes Wort sein kann. Missionarisch sein will eigentlich niemand – also anderen die eigene Idee aufdrängen und überstülpen. Viel mehr geht es darum, eine neue Form des Umgangs miteinander, mit der eigenen Umgebung, sich selbst und anderen zu etablieren. Die Bäckerei will die Möglichkeit bieten, die eigenen Ideen auszuprobieren, sie aber auch zu reflektieren und in eine Gemeinschaft einzubinden. Und dafür braucht es genau diesen Raum, der zwar bis zu einem gewissen Grad reglementiert ist, in dem es aber auch möglich ist, dynamisch und individuell zu agieren. Mit dabei waren: Alberto: Projektbetreuung // Ausstellungen // Kreativprojekte Baiba: Musik // Veranstaltungen // Social Media Christoph: Bauliches // Visionen // Netzwerk // Werkstatt David: Veranstaltungen // Programmierung Christina: Grafik // UND // Organisation Ivan : europäischer Freiwiliger // unterstützt das Veranstaltungsteam Julia: Öffentlichkeitsarbeit // Presse // UND Soli: Finanzen // Organisation

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Stefanie Pichler Schreibmaschinenmonologe

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Daniela Gugler Fotografie – Urban Nature Die Fotografien der Stadtlandschaften beschäftigen sich mit dem Zwiespalt zwischen der gedankenlosen Erfüllung vorgegebener Normen und der Auflehnung dagegen.

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Markus Stegmayr Illustration: Simone Höllbacher

Musik bedeutet nichts. Mir aber alles. Musik wird bedeutend durch Zuschreibungen und Erwartungshaltungen. Doch sie existiert auch in ihrer Immanenz.

Struktur ist das Geländer bei der Musik. An der Struktur kann man sich entlang bewegen. Sie gibt Sicherheit. Durch sie ist Orientierung in einer Komposition möglich. Fein aufgefädelt formieren sich Melodien, Texte, Am Beginn steht das Rauschen als Akkorde, Rhythmen und Motive um Ausgangspunkt. Es ist eng verwandt sie herum. An ihr entzündet sich die mit der Stille. Es ist ein Möglichkeits- Musikalität. Musikalität ist grundleraum, eine Vorführung dessen, was gend die Fertigkeit, mit Struktur und noch sein könnte. Das Klangmateri- den damit verbundenen Notwendigal, übereinander gelegt, will noch zu keiten virtuos zu spielen. keiner Struktur und zu keiner Chronologie finden. Musik ist Zeitkunst, Rauschen und Lärm sind hingegen doch Zeit für zeitloses Chaos, das sich der Soundtrack der Nicht-Musikalität bis ins Unendliche fortsetzen könnte, und des Nicht-Virtuosen. Der Musimuss bleiben. ker hat hier lediglich Rahmenbedingungen zu schaffen, muss sich aber Über das Rauschen lässt sich nichts nicht stets formend und schöpferisch sagen, was Substanz hätte. Es ist dem einmischen. Er gibt die Kontrolle ab Wesen nach substanzlos und doch von und lässt dem Kontrolllosen den VorÜberfülle gekennzeichnet. In diesem tritt. Er erhebt Fehler und unerwarteÜberfüllt-Sein zeigt es sich als voll te Ereignisse zur Kunst. Er feiert den und leer zugleich. Voll, weil weißes Kontrollverlust. Rauschen Überlagerung und Überfrachtung bedeutet. Leer, weil damit Das legt den Schluss nahe, dass Raunichts ausgesagt, dargestellt oder imi- schen, Lärm und Chaos nicht der tiert wird. Es ist ohne Kern und ohne Ausgangspunkt sind. Sondern StöWesen, weil es sich in der nächsten Se- rungen der Struktur. Angebote und kunde schon wieder verändert haben Optionen, um aus den Zwängen der könnte. Es ist im ständigen Wandel, ­unbedingten Kontrolle auszubrechen. Festschreibungen prallen ab und sind Möglichkeiten, um der Obsession nutzlos. des Alles-im-Griff-Haben-Müssens 81

eines auszuwischen und sich selbst als formendes und schöpferisches Subjekt zu degradieren, zu entwerten und letzten Endes zu entthronen. Musikalität zeigt sich in der Beherrschung der Balance. In der Virtuosität zwischen diesen beiden Polen zu switchen. Der Endpunkt der geräuschhaften Musik ist schnell da. An diesem ist nicht nur Radikalität erreicht, sondern womöglich auch die gähnende Langweile des reflexartigen Kaputtschlagens jeglicher Struktur. Musikalität ist die Leitkategorie. Kontrollverlust bedeutet nicht das Aufgeben von jeglichen musikalischen Fertigkeiten. Ostentative Virtuosität hat wenig bis nichts mit Musikalität zu tun. WIRKLICHE MUSIKALITÄT ZEIGT SICH IM GEKONNTEN UMGANG MIT CHAOS, LÄRM, STRUKTUR, KOMPLEXITÄT UND STÖRUNGEN.


Philipp Bßrli Dunkle Mächte aus dem digitalen Esoterik Offspace befehlen zu duplizieren

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Bianca Liedl Zwiegespräch

INTERVIEW MIT MEINER WOHNUNG I: Liebe Wohnung, heute möchte ich dich gerne bezüglich der Begriffe CHAOS und STRUKTUR interviewen. Es ist ja gemeinhin bekannt, dass DU als Wohnung Erfahrung mit beidem hast. Momentan herrscht ziemliches Chaos in dir, wenn man sich hier so umschaut!

W: Ein konkretes Beispiel ist das nicht. Mir fällt dazu Folgendes ein: wenn du deinen Schlüssel nicht findest, dann musst du zu Hause bleiben und kannst den geplanten Ausflug nicht machen. Wenn der Fahrradhelm unauffindbar ist, dann wird auch nix aus der Radtour. Außerdem bist du keine Studentin mehr, hast drei Kinder und einen Mann und dein Leben ist komplexer geworden. Sorry, aber die jungen, wilden Jahre sind vorbei. Wenn fünf Personen in einem Haushalt leben, dann kommt ziemlich viel an Dingen zusammen und wenn dabei alter Ballast mitgeschleift wird, ist alles vollgestopft und man ist nur beim Hinterherräumen, in Kästen stopfen und suchen ... für mich klingt das anstrengend …

W: Das nennst du Chaos? Ich würde es eher als ein wüstes Wirrwarr bezeichnen. Das hat nix mit der ursprünglichen Bedeutung von Chaos zu tun! Chaos kommt aus dem Griechischen und bedeutet eigentlich „LEERE“. Es bezeichnet auch den ungeordneten Stoff, aus dem die Erde entstanden ist. Aus dem Chaos entsteht Ordnung, Struktur. „Wahrlich zuerst entstand das Chaos und später die Erde.“, sagte der griechische Dichter Hesiod. Aber er meinte mit Chaos nicht ein Durcheinander an Gerümpel, von dem die I: … hm … ja … ist es auch irgendwie! Aber was das „jung Hälfte tot ist und das mich blockiert. Ich würde lieber mit und wild“ anbelangt, muss ich widersprechen. Ich bin doch Leben und Liebe gefüllt sein. keine vertrocknete, verrunzelte Tomate, die still und ruhig ihrem Leben nachgeht. Ich will Spaß, Spiel und pures LeI: Aber warum nennst du das Gerümpel tot? Dinge leben ben und nicht meine Zeit mit ordnen, strukturieren und doch nicht, folglich können sie auch nicht sterben und ausmisten verbringen. tot sein. Außerdem ist doch Liebe und Leben nichts, das räumlich Platz braucht. Es ist nicht etwas für das ich einen W: Aha ... du verbringst sie also lieber damit, das erst kürzKasten oder eine Kommode bereitstellen oder eine Ecke lich gekaufte Buch zu finden und du bezeichnest es als freihalten muss. Außerdem ist Chaos doch kreativ, oder? Spaß und Spiel, den Hammer zu suchen, um ein Bild aufzuhängen? Das bedeutet für dich also pures Leben? W: Zuerst zu deiner letzten Frage. Kreativ ist, wenn etwas Neues entstehen kann. In einem heillosen Durcheinander I: Jetzt machst du dich lustig über mich … geht das nicht. Da ist man blockiert, ständig damit beschäftigt etwas zu suchen, anstatt sich von dem zu trennen, W: Neeeiiiin, überhaupt nicht … was belastet und träge macht. Sich von dem ganzen Ballast zu befreien, würde Platz für die Menschen und deren Ideen I: Ich würde ja auch lieber meine Sachen geordnet haben in mir entstehen lassen. (tiefer Seufzer von der Interviewerin). Aber immer, wenn ich probiere Struktur in mein Leben und unsere Wohnung I: Das klingt ja zugegebenermaßen ganz schön. Aber seien zu bringen, dann scheitere ich. Dann denke ich, es gehört wir mal ehrlich, dieses ganze Gefasel von Ordnung und wohl zu uns, das Chaos. Wir sind so eine Familie. Ich Struktur ist auch etwas spießig. Als Studentin machte es scheitere auch immer wieder an der Zeit, die es braucht, so mir auch nix aus, wenn‘s mal unordentlich war. Unordnung eine Wohnung zu ordnen. und Chaos lassen einen nach kreativen Lösungen suchen und neue Ideen entwickeln. W: Du hast gerade etwas ganz Wesentliches gesagt: Struktur und Ordnung in die Wohnung bringen, bedeutet auch W: Was denn zum Beispiel? sein Leben zu ordnen. Oder auch umgekehrt: wenn ich mein Leben geordnet habe, wenn ich weiß, was ich will, I: Naja, … wenn ich etwas nicht finde, dann muss ich eine ist es mir auch leichter möglich, meine Wohnung zu entkreative Lösung dafür suchen, wie ich mit der Situation rümpeln. umgehe. I: Aber wo setze ich an? Mein Leben und meine Wohnung sind so gefüllt.

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W: Ein Luxusproblem unserer Zeit. Wir haben von vielen Dingen zu viel! Aber lass mich auf deine erste Frage von vorhin antworten, vielleicht siehst du dann klarer. Du wolltest wissen, warum ich Dinge als tot bezeichne. DU bist es, die den Dingen Leben einhaucht bzw. sie sterben lässt: Indem du sie benutzt, pflegst, reparierst oder sie eben in der hintersten Ecke, ganz unten in der Schublade oder auf dem verstaubten Kasten vergammeln lässt. Diese Dinge sind nicht mehr lebendig und versauen mit ihrem Verwesungsgeruch jede schöne Wohnung.

W: Chaos ist bestimmt etwas sehr Menschliches. Es ist der Ausgangspunkt. Aber kein statischer Zustand und kein Endpunkt oder Ziel. Chaos verlangt nach Entwicklung. Und jeder Mensch strebt nach Entwicklung, wenn er dafür geeignete Bedingungen hat. Struktur löst Chaos ab, Chaos löst Struktur ab. Jede (Weiter-)Entwicklung verlangt das. Euer Leben und eure Wohnung sind vollgestopft! Wer viel hat, ist viel. Das bedeutet Erfolg. Klarerweise ist es dann schwer, sich von Dingen zu trennen.

I: Dachte nie, dass ein Gespräch mit (m)einer Wohnung so I: Hollawind – das ist jetzt aber schon etwas derb, liebe philosophisch sein könnte. So ganz klar ist mir jedoch noch Wohnung! Wir wollen dich doch nicht als Friedhof benut- immer nicht, wie ich nun das Chaos hier beseitige … zen. W: Alle Dinge, die tot sind, gehören entsorgt, d.h. verkauft, W: Tut ihr aber. Eure Kästen, Schubladen und Regale sind verschenkt oder weggeworfen. vollgestopft mit Dingen, die ihr nicht mehr braucht. Aber sie machen mich zur Müllhalde und euch blockieren sie. Ihr I: Aber wie weiß ich, dass sie tot sind? Ich kann ja schlecht seid nicht offen für Neues und eure angefangenen Projek- den Puls fühlen ... te verschwinden in den Untiefen von irgendeinem Kasten. Und dann hört man so Sätze wie: „Ich wollte immer zeich- W: Haha, Witzknödel … wenn du weißt, was du willst, was nen lernen, aber irgendwie hatte ich nie Zeit dafür.“ Und wichtig ist in deinem Leben, dann kannst du auch leichhier muss ich kurz auf den Zeitfaktor in Bezug auf Chaos ter sagen, welche Dinge du noch mit Leben füllen willst und Struktur zu sprechen kommen: „Lerne Ordnung, liebe und welche nicht. Es benötigt manchmal etwas Zeit, das sie; Ordnung spart dir Zeit und Müh.“, sagt schon ein alter herauszufinden. Alles was zu dir und deinem Leben geKinderspruch und um es mit Goethe zu sagen: „Gebraucht hört, was dich glücklich macht, kann bleiben und du kannst der Zeit, sie geht so schnell von hinnen, [/] Doch Ordnung ihnen einen ordentlichen Platz zugestehen. Sich Zeit zu lehrt euch Zeit gewinnen.“ Wenn ich mich also in einer nehmen für die Dinge, heißt auch für sich selber Zeit zu geordneten Umgebung befinde, habe ich auch Zeit, mich haben. Schließlich hat mensch ja die Sportausrüstung, das den Dingen zu widmen, die ich liebe. Buch, das schöne Kleid, … für sich gekauft. Und sie wollen benutzt werden. Zu ordnen verleiht dem Leben Struktur, I: D.h. ich muss zuerst Zeit investieren, um Ordnung schenkt Sicherheit. Es werden nicht nur Dinge geordnet, zu schaffen, um dadurch dann wieder Zeit zu gewinnen. sondern auch Gedanken! Klingt irgendwie ... na, paradox, oder? I: Wow, ich sehe klarer. Und wie ist das dann mit der LieW: Das ganze Leben ist ein einziges Paradoxon, findest be … braucht sie eher einen extra Kasten oder eine freie du nicht? Ihr habt immer weniger Zeit, obwohl ihr im- Schublade? … mer schneller werdet. Ihr kauft immer mehr, habt aber das Gefühl, zu wenig zu haben, immer mehr Geräte und Apps W: Diese Frage müsstest du nach unserem Gespräch selbst sollen euer Leben strukturieren, dabei wird es immer un- beantworten können. überschaubarer. Das sind viel größere Widersprüchlichkeiten, als dass ich Zeit für Zeit investiere. Denn wenn ich I: Dann lass es mich versuchen: Nein, ich muss für die Liees richtig mache, das mit der Ordnung, dann habe ich für be keine Schublade freiräumen. Aber sie braucht Platz, im lange Zeit Ruhe. Das nenne ich eine gelungene Investition. Sinne von Zeit. Und Ordnung heißt Zeit. In einer aufgeräumten Wohnung kann die Liebe zirkulieren … beinahe I: Warum machen das dann, deiner Erfahrung nach, so verliere ich die Bodenhaftung bei solch geflügelten Worten wenige? Du erwähntest nämlich, dass der Großteil deiner … (PAUSE) … mein Kopf ist nun voll und ich brauche bisherigen Bewohner*innen ein einziges Durcheinander in etwas Zeit zum Verdauen … Wer weiß, was sich daraus dich gebracht hat. Wenn so viele im Chaos leben und sich ergibt … Entwicklung? Ordnung und Struktur? Erneutes schwer tun, Struktur und Ordnung zu schaffen, dann ist Chaos in Form von Fragen? In jedem Fall werden wir beide das Chaos doch etwas zutiefst Menschliches und gehört nochmal miteinander reden. einfach dazu, oder? Jetzt bleibt mir nur noch, mich bei dir zu bedanken für dieses erhellende Gespräch. DANKE!

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Bildstein | Glatz Umlenker Holz, ca 14x18x12 Meter

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Stefanie Blasy Eine un|mรถgliche Ordnung

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Toni Schade Fotografie und Text

STRUKTUREN DES WARTENS

24 Stunden in einer Unterkunft für Geflüchtete in Matrei.

„Das Warten ist eine noch viel größere Herausforderung, als ich mir vorgestellt habe.“

Ich konnte ihnen diese Fragen leider nicht angemessen beantworten. Aber ich kann versuchen, Obaida, Moaaz, Yaser, Mohammed, Bassem, Ahmed, Raed, Masaod, Samer, Omar, Khaleh und allen anderen Menschen in einer ähnlichen Situation in Europa eine Stimme zu verleihen, und Dies ist der erste Eintrag in mein Notizbuch, wenige Stun- ihnen dadurch meinen großen Respekt vor ihrer Willensden nachdem ich im Heim Mühlbachl bei Matrei ange- kraft und Glaubensstärke ausdrücken. Denn schon nach kommen bin, um einen Tag und eine Nacht gemeinsam wenigen Stunden meines Besuchs musste ich mir in diesem mit Männern aus Syrien und dem Irak zu verbringen. Die Sinne eine ehrliche Frage stellen: was würde wohl passieIdee war es, im Rahmen eines visuellen Essays für dieses ren, wenn man 25 junge Österreicher unter ähnlichen BeMagazin 24 Stunden lang den Alltag dieser Menschen zu dingungen auch nur einen Monat zusammen leben lassen teilen und photographisch zu dokumentieren. 24 Stunden würde? Von einem Jahr – wie bei den meisten Bewohnern lang mit ihnen zu warten, zu essen und zu reden. Ich hätte der Fall – gar nicht erst zu reden. nie gedacht, dass bereits dieser kurze Zeitraum genügen würde, um mir das Gefühl des langen Wartens so nahezu- Diese Frage mag sich jede*r selbst beantworten, doch seit bringen. meinem kurzen Besuch bin ich voller Bewunderung für die gemeinschaftliche Solidarität und den gegenseitigen Das äußere Chaos einer fremden Kultur wird mit dem Respekt aller Bewohner untereinander und möchte mich inneren Chaos des Wartens potenziert. Die Strukturen, hiermit bei allen für diese Einblicke und ihre beispiellose welche diesen Zustand erträglich machen, kommen so- Gastfreundschaft bedanken. wohl von innen als auch von außen. Der Rückhalt durch die Gemeinschaft spielt dabei eine ebenso große Rolle wie Die folgenden Bilder sind dem unmöglichen Versuch gedie Unterstützung durch die lokale Bevölkerung. Trotzdem schuldet, einen Einblick in einen Zustand zu geben, welbleibt am Ende vor allem eines: ein Gefühl von Ohnmacht. cher synchron zwischen den zwei Extremen von Chaos Dieses Gefühl ist überall – es durchzieht ihr Zweifeln, ihre und Struktur zu oszillieren scheint. Hoffnungen, ihre Fragen an mich und damit auch bald mich selbst. Es ist ein strukturelles Symptom. „Warum dauert das Verfahren so lange? Warum dürfen wir nicht einmal einer einfachen, gemeinnützigen Arbeit nachgehen? Warum hat mein Freund, mit dem ich zeitgleich nach Österreich gekommen bin, bereits einen positiven Asylbescheid und ich noch nicht? Ist das ein schlechtes Zeichen?“

Fotografien: 1 Weltsprache Sport. Zwei Schüler aus der Gemeinde im Spiel mit den Heimbewohnern 2 Zwei der vier Betten in einem Zimmer des Heims 3 Jeweils acht Bewohner teilen sich eine Küche 4 Obaida (Mitte) war in seiner Heimat als Pharmazeut tätig 5 Bassem war Mechaniker und Taxifahrer in Syrien 6 Mohammed aus dem Irak ist gelernter Schlosser 7 Schuhe vor einem der Schlafzimmer

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Marcell Schrittwieser Illustration: Dhara Meyer

Ordnung IST DAS GANZE LEBEN! Ein Chaot erzählt von Strukturen, die ihn und die Welt bewegen.

Ich kann das nicht. Warum kann ich es nicht? Ich schaff‘ da keinen roten Faden heraus zu ziehen, und irgendwie knackig ist der Text auch nicht. Wahrscheinlich bin ich zu dumm. Wahrscheinlich habe ich einfach nicht das nötige Talent. Was werden sich die Leute von mir denken? Meine alten Lehrer*innen hatten recht, die haben mir immer schon gesagt, dass das Schreiben nicht so mein Ding sei. So ungefähr sahen meine Gedanken aus, nachdem ich die ersten sechs Seiten wild aneinandergereihter Gedankenfetzen fürs UND aufs Papier brachte. Eigentlich wollte ich über ein Thema schreiben, das mir am Herzen liegt. Eines, das mich interessiert und das ich den Leuten gerne näherbringen wollte. Ich wollte zeigen, wie wichtig Strukturen für uns Menschen sind, und dass wir uns ohne sie nicht einmal den Arsch abwischen könnten. Ganz soziologisch – da ich von dieser Ecke komme – und doch knackig sollte der Text werden. „Ich kann das halt einfach nicht“, schrie es stattdessen immer wieder ganz laut aus meiner alten, verstaubten Hauptschulerfahrung. Und nach einer gewissen Zeit war es dann auch soweit – ich gab den Text auf. Diese Demütigung ließ mich noch eine Weile grübeln. Ich dachte mir immer wieder, es kann doch nicht sein, dass ich beim Schreiben über die Wichtigkeit von Strukturen genau daran scheitere, den Text in die gewünschte Struktur zu bringen. Kurz darauf raffte ich mich auf, zeigte meinen alten Hauptschullehrer*innen den geistigen Mittelfinger und begann noch einmal von Neuem.

Reichweite ist. Mithilfe von diesen, in die Wiege gelegten Trieben – man kann diese auch als angeborene Strukturen (Programme) verstehen – sind wir dadurch in den ersten Monaten unseres Lebens überlebensfähig. Da man aber in einer hochkomplexen, sich ständig wandelnden Menschenwelt, mit solch einfachen und starren Verhaltensprogrammen nicht allzu weit kommt, besitzen wir zusätzlich die Fähigkeit, die Außenwelt mithilfe unserer Sinneswahrnehmung und unseres Gehirns strukturell nachzubilden. Nicht mehr Instinkte liefern uns dann ein Bild über die Außenwelt, sondern wir lernen eigenständig den Gegenständen, die uns umgeben, Bedeutungen zuzuschreiben. Diesen Lernprozess erledigt unser Gehirn von ganz alleine. Man kann das Gehirn sozusagen auch als Mustererkennungsapparat verstehen, der die größte Freude daran hat, aus unserer Umgebung Muster und Bedeutungen herauszuarbeiten. Wie diese Umgebung genau aussieht, d.h. ob sie chaotisch ist oder strukturiert, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Was hingegen zählt, ist, dass dieser Ordnungsprozess in unseren Köpfen stattfindet und nicht von außen als fertige Struktur an uns herangetragen wird.

Sehr gut zeigt sich dieser Vorgang beim Betrachten des Bildes, das ihr oben rechts findet. Seht einfach mal ganz kurz hin (nur einen Bruchteil einer Sekunde, also wirklich kurz!) und wartet ab, was passiert. UND? Schweift der Blick nur ganz kurz drüber, dann könnt ihr für gewöhnlich nichts außer Linien und Farbtöne wahrnehmen. Nach ganz kurzer Zeit aber seht ihr eventuell einen Delphin oder einen nackten Menschen. Was man nun konkret Um zu zeigen, dass der Mensch gleichzeitig Opfer und sieht, hängt stark von der jeweiligen Erfahrung ab, die jeNutznießer von Strukturen ist, ihnen aber nicht entfliehen mand in seinem Leben gesammelt hat. Kinder zum Beikann, überlegte ich mir, ganz von vorne zu beginnen. Ich spiel sehen fast immer Delphine, Erwachsene hingegen wollte zeigen, dass Babys auf die Welt kommen und sofort meist ein nacktes Paar (vor allem Männer). Babys hingebeginnen, mithilfe ihrer Instinkte nach Strukturen Aus- gen ein Gewusel (Chaos) von Linien und Farbtönen. schau zu halten. Zu Beginn ist diese Selbststeuerung noch sehr begrenzt, da wir im Gegensatz zu vielen Tieren eher Hier zeigt sich, dass Menschen ein und den selben Sachan einer Instinktarmut „leiden“. D.h. wir erkennen nur das verhalt ganz unterschiedlich wahrnehmen können, dieser Nötigste, z.B. Durst, Hell-Dunkel-Kontrast und so weiter. Vorgang des Erkennens aber grundsätzlich immer geordWenn nun ein Baby das Signal „Durst“ bekommt, beginnt net abläuft. Und hierzu zählt eben auch das Chaos – oder es reflexartig zu schreien und an allem zu saugen, was in wie ich es lieber nenne – das Unbekannte, noch nicht 66


„Wir Menschen befinden uns demnach in einem ständigen Prozess der Bewertung und Kategorisierung.“ sinnvoll Geordnete. Irgendeine Form, Struktur oder Unterscheidung lässt sich immer erkennen, da man sonst schlichtweg nichts sehen, hören, schmecken oder fühlen könnte. Selbst wenn man nun also keine Delphine oder Menschen wahrnehmen kann, dann können Babys in dem Chaos immer noch Linien, Farben, Schattierungen, Punkte, Geometrien usw. erkennen – auch dann, wenn sie diese noch nicht benennen können. Chaos besitzt in Folge immer auch Strukturen, die wir Erwachsenen aber noch nicht in eine für uns sinnvolle Ordnung gebracht haben.

kative Grenzen existieren. Diese Grenzen lassen sich sehr schön anhand des sogenannten Stille-Post-Phänomens verdeutlichen. Geschichten werden dort verdreht, idealisiert, es wird ihnen etwas hinzugedichtet und schon wird aus einem unschuldigen bärtigen Flüchtling ein extremistischer Bombenträger. So oder so ähnlich entstehen dann Wir Menschen befinden uns demnach in einem ständi- auch die (kulturellen) Missverständnisse, Vorurteile usw. gen Prozess der Bewertung und Kategorisierung. Daher die wir alle kennen. spreche ich auch gerne vom Ordnungs- oder Kategorisierungszwang, dem wir alle (auch ich, der oft als Chaot So, jetzt könnte ich noch viel mehr über Kommunikatibezeichnet wird) unterliegen. Alles, was wir wahrnehmen, onsprozesse und Vorurteile schreiben. Bevor ich mich aber wird demnach bewusst oder unbewusst in irgendeine Ka- im Detail verliere und dann womöglich wieder zu Zweitegorie geschoben (auch das Chaos). Etwas ist z.B. groß, feln beginne, komme ich jetzt lieber zum Schluss. kalt, schön, „schiach“, lieb, ungeheuerlich oder eben chaotisch. Wir benoten so ständig unsere Umgebung (auch uns Ich hoffe, das Wichtigste ist rübergekommen – nämlich, selbst) und richten dann danach unser Handeln aus. dass wir Menschen Ordnungsmaschinen sind, die aus ihrer Umwelt – wie auch immer diese tatsächlich aussehen Und so wollte ich euch zum Schuss zeigen, wie ganze Ge- mag – Strukturen herausziehen. Erst so werden wir handsellschaften funktionieren. Nur, dass Kategorisierungsvor- lungs- und überlebensfähig. Und da wir uns dabei auch gänge hier nicht losgelöst von allem und allen stattfinden. gegenseitig absprechen, ist es sogar möglich, dass dabei Vielmehr sprechen die Menschen – dank ihrer kommuni- Strukturen entstehen, die kollektives Handeln ermöglikativen Art – die oben genannten Kategorisierungen bzw. chen. Ich bleibe also dabei: Ordnung ist das ganze Leben! Bewertungen von den Dingen, Menschen und Räumen, die sich in ihrer Umwelt befinden, miteinander ab. Das erklärt auch, dass es in Gesellschaften mehr oder weniger geordnet zugeht. Menschen tauschen sich über ihre Wahrnehmung aus und erzeugen so ein relativ einheitliches Bild über die Dinge, die ihnen ins Blickfeld rutschen. Dass diese gemeinschaftlichen Kategorisierungsprozesse in der Realität aber nicht immer einheitlich ablaufen, hängt damit zusammen, dass zwischen uns Menschen kommuni67


Sebastián Collado González

Alle Körperteile zusammenbinden, die Eingeweide zusammenpressen, die Wirbelsäule aufrichten, den Kopf gerade halten. Ich muss mehr Yoga machen. Mehr auf den Berg gehen. Ich spüre in letzter Zeit, dass ich mich nicht mehr zusammenreißen kann. REISS DICH ZUSAMMEN! PULL-YOURSELF-TOGETHER! Die Knochen aneinander reiben, den Knorpel abnutzen. Das Blut fließt aus den Augen heraus. Scheiße! Niemand darf es merken. Ich setzte die Maske auf. Sie sieht perfekt aus. Meine Zähne strahlen, mein Körper ist drahtig – ich liebe meinen Körper.

Illustration: Christina Mölk

Nein! ich will nicht dahin, bitte nicht, ich will echt nicht dahin! Den Rasen mähen, die Straßen mit Wasser putzen, den ganzen Dreck wegmachen. Reinigen, reinigen, reinigen. Sport machen, bio essen, keinen Alkohol trinken, sich einen Sixpack kaufen, laufen, laufen laufen, bergauf, bergab, bergauf, bergab. ICH DARF NICHT STOPPEN. Ausdauer, Ausdauer, Ausdauer. Die Zeit kontrollieren. Pünktlichkeit. Scheiße, ich habe den Termin verpasst! Draußen ist es herrlich! Jetzt raus, die Sonne genießen, die Sonne genießen, die Sonne genießen. Ich habe alle meine Termine eingetragen, um 08:00 Uhr den ersten, um 09:00 den zweiten, um 10:33,2 Uhr den dritten. Scheiße! Ich habe den Termin verpasst, niemand darf es merken. Ich setzte die Maske auf, sie sieht perfekt aus, meine wunderschönen Zähne strahlen, mein Körper ist drahtig, ich liebe meinen Körper. Klimmzüge, Push-Ups, Rennen, Mountainbiken – wie geil Downhill! Skifahren. Ich saufe bis 06:00 Uhr und um 07:00 Uhr steige ich in den Skibus ein, ich bin der Hammer!

Liebe Fahrgäste, unser Zug ist 20 Minuten verspätet. WAS? Verspätung?! Egal, meditieren und tief einatmen, rausschauen. Grüne Wiesen, perfekte Wiesen, gepflegte Wiesen. Wie herrlich! Den Rasen mähen, den Rasen mähen, den Rasen mähen. WAS? Eine nicht-gemähte Wiese! Es tut mir weh, meine Augen brennen.

Auf die Welt kommen, dreizehn Jahre vor der Tafel sitzen, gutes Benehmen, gute Manieren – für ein friedliches ZUSAMMENLEBEN. Hauptsatz, Nebensatz, Nominativ, Akkusativ, Dativ, Genitiv, keine Rechtschreibfehler! Weiter, was soll ich machen? Ich will Tänzer werden, NEIN! NEIN! NEIN!

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Lass los, lass los, lass los. WAS?! Alle Körperteile zusammenbinden, die Eingeweide zusammenpressen, die Wirbelsäule … lass los, lass los, lass los … WAS?! Nein, nie im Leben! Alle Körperteile zusammenbinden, die Eingeweide zusammenpressen, die … Lass los, lass los, lass los. Lass du mich los! Ich sage dir jetzt, rede nicht mit mir, ich mag dich nicht! Tief einatmen, langsam in 9 Takten das schlechte Karma rauslassen, und alle Körperteile zusammenbinden, die Eingeweide zusammen … REISSDICH-D O CH-ZUSAMMEN… DURCHDREHEN, DURCHDREHEN, DURCHDREHEN. Ich habe dir ja gesagt, dass ich mit dir nicht mehr sprechen will! Ich will es kontrollieren, meine Zeit kontrollieren, meine Bewegungen kontrollieren, meine Gedanken kontrollieren, meine Leistung kontrollieren, mich kontrollieren. Hinter der obsessiven Kontrolle gibt es nichts, nur das Chaos, nur die ungeformten Ungeheuer, nur die graue undefinierbare Masse. Nein! ich will nicht dahin, bitte nicht, ich will echt nicht dahin! Ich verspreche es dir, ich werde den Rasen mähen, mir einen Sixpack kaufen, Bio-Essen holen, langsam meine Eingeweide zusammenpressen, sogar könnte ich mein Gehirn mit dem Tacker fester kleben, sodass die Gedanken sich endlich mal gut benehmen.


den sonnigen Akkorden, fangen sie an zu tanzen. Von oben gesehen ist das Spektakel grandios, die Leber tanzt mit dem Magen, während beide Lungenflügel einen IN-YOUR-FACEUnd was wäre, wenn es etwas dahin- Dreier mit dem Gehirn machen. Das ter gäbe? NEIN! ich habe es dir schon Blut schenkt sich in die Gläser ein, dagesagt, hinter den geraden Linien, mit das Fest nicht aufhört. GENUSS, Kanten und Ecken meines Lebens GENUSS, GENUSS. SENSUALIgibt es nur das Nichts, die Ungeheuer, TÄT, SEXUALITÄT, PANSEXUAdie graue, undefinierbare Masse. Sie LITÄT. ORGASMUS. werden kommen, sie werden uns die Arbeitsplätze wegnehmen. Ich habe NEIN gesagt! Ich muss mich beeilen, der Rasen wächst, der wächst in mich hinein, ich muss den Rasen mähen, die Wiesen schauen VOLLE ZACH aus! Ich setzte die Maske auf, meine Zähne strahlen, mein Körper ist drahtig, ich liebe meinen Körper. Klimmzüge, Push-Ups, Rennen, Mountainbiken – wie geil Downhill! Skifahren!

Scheiße, die Ungeheuer sind gekommen, ich kann nicht einschlafen, ich kann nicht durchschlafen, ich kann nicht ausschlafen. SCHEISSE, ich habe verschlafen! Ich bin zu spät, ich habe den Termin verpasst. AUFSTEHEN! Aber nein, ich kann es nicht, ich bin nicht eingeschlafen, aufzustehen wäre jetzt übertrieben. Die Realität sieht anders aus, ich höre nichts, ich sehe nichts, Herzrasen, Schweißausbruch, Re-a-li-täts-ver-schie-bung, Re-a-li-täts-ver-lust. Der Knoten, der meine Eingeweide festhielt, löste sich auf. Meine Organe verstreuen sich mit rascher Geschwindigkeit, das Blut fließt Richtung Süden, die Blutbahnen werden zu goldigen Gitarrensaiten, die lateinamerikanische Musik spielen. Die Knochen halten nicht mehr zusammen. Begleitet von

Ich setzte die Maske ab, es ist schmerzhaft, sie reißt die Haut aus. Ich komme aus dem Kokon hinaus. Ohne Eingeweide, ohne Knochen, ohne Blut. Du hast gesagt, dass ich loslassen soll. Ich bin zum Ungeheuer geworden, Teil der grauen Masse, ich bin das Undefinierbare. Ich habe dir ja gesagt, dass es dahinter nichts gibt! Ich verschmelze mit dir und mit mir – es kommt mir vor, als wären wir eins. Als organloser Körper lege ich mich auf die Erde, sie gibt den Ton an, du gibst den Ton an. SORRY, ich gebe den Ton an und jetzt übernimmst du die Führung wieder. Dahinter gibt es keine Trennung 69

mehr, die Ungeheuer sind wir, wir teilen Eingeweide, Knochen und das Blut. Jeder Atemzug hebt die Berge hinauf, beim Ausatmen erheben sich die Wellen des Pazifiks, welche jede einzelne Zelle mit salzigem Wasser überschwemmen. Die Apokalypse ist gekommen und sie fühlt sich verdammt gut an.


Matthias Bernhard Shit, James Sensor. Acryl und Curry auf Leinwand, 170x135cm Dune Messiah. Mischtechnik auf Papier, 200x250cm

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Ursula Faix Einblicke in die Stadtplanung

DAS ENDE DES SHARED SPACE 1

Wenn sich Autos und Fußgänger*innen begegnen – Stadtplanung ohne Ampeln, Verkehrsschilder und Gehsteige.

Als 1915 in Detroit, USA, das erste Stoppschild bzw. 1920 die erste Ampel aufgestellt wurde, bedeutete dies das Ende des Shared Space. Spätestens von diesem Zeitpunkt an, wenn nicht schon früher, als der Bürgersteig in die Straßenraumgestaltung eingeführt wurde, begann die Segregation der Verkehrsteilnehmenden. Durch die Stoppschilder und Ampeln regelten diese den Verkehr nicht mehr selbst, durch Blickkontakt und Gesten, sondern wurden fremdgesteuert und kanalisiert. Bereits 1906 publizierte Eugène Hénard2 Überlegungen zur Gestaltung der Straßen, die eine horizontale Trennung in Fahrspuren bzw. eine vertikale Trennung in Verkehrsetagen vorsah.

Dies wurde aufgrund der großen Anzahl an tödlichen Unfällen zwischen Autofahrer*innen und Fußgänger*innen auch gefordert. Ende der 1960er- und Anfang der 1970er-Jahre begann ein erstes Umdenken, den Straßenraum wieder für alle Verkehrsteilnehmenden als eine gemeinschaftliche Fläche definieren und gestalten zu wollen. Der niederländische Verkehrsingenieur Joost Váhl startete in Delft 1972 das Pilotprojekt eines „woonerf“ (wörtlich übersetzt als „Wohnhof“), dem Vorläufer für die „Wohnstraße“ (Österreich) oder die „Home Zones“ (UK), die in den 1990er-Jahren errichtet wurden.

Im 1927 herausgegebenen Lehrbuch „Deutsches Verkehrshandbuch“ wurde die Entflechtung des Fußgänger- und Als der Verkehrsingenieur Hans Monderman 1978 zum Autoverkehrs empfohlen. Aufgrund des Straßensicherheitsleiter der niederländihöheren Geschwindigkeitsunterschiedes schen Provinz Friesland berufen wurde, zwischen Fußgänger*innen und Kfz wurde suchte er vor dem Hintergrund von Bürder Straßenraum unter den einzelnen Vergerprotesten der stetig steigenden Zahl kehrsteilnehmenden territorialisiert, mit von Verkehrstoten vor allem bei Kindern der Absicht, die Sicherheit im Straßenvernach neuen Lösungen, um diese Zahl wiekehr zu erhöhen. der zu reduzieren. Da er von den gängigen Lösungen der Verkehrsberuhigung wie Im Zuge des Wiederaufbaus nach dem Bodenwellen oder Straßeneinengungen Zweiten Weltkrieg wurden die Ideen der „autogerechten nicht überzeugt war bzw. diese nur eine GeschwindigkeitsStadt“, teilweise basierend auf der schon 1943 publizierten reduktion von rund 10 % erreichten, experimentierte er im „Charta von Athen“3, die unter anderem auch die strikte Dorf Oudehaske mit eher gegenteiligen Mitteln. Er ließ Trennung von (Auto-)Verkehr und öffentlichen Plätzen Fahrbahnmarkierungen, Bordsteinkanten, Verkehrszeiforderte, realisiert. Dies wurde von der guten wirtschaft- chen und Bodenwellen rückbauen, um ein rücksichtsvolles lichen Situation und der damit einhergehenden Zunahme Miteinander anstatt eines kanalisierten Nebeneinanders des Autoverkehrs unterstützt. Zahlreiche Fußgängerunter- zu ermöglichen, und erreichte damit eine Geschwindigführungen und Straßenbahnuntertunnelungen wurden ge- keitsreduktion von 40 %. Damit einhergehend verringerbaut und trennten nun die Verkehrsteilnehmenden auch in ten sich auch die Anzahl und Schwere der Unfälle. Das der dritten Dimension. Ziel, den Geschwindigkeitsunterschied zwischen Kfz und Fußgänger*innen wieder zu verringern, war erreicht. Anfang der 1950er-Jahre entstanden in den Niederlanden (1953 in Rotterdam), in Deutschland (1953 in Kassel) und In den 1980er- und 1990er-Jahren folgten mehrere Proin Österreich (1961 in Klagenfurt) die ersten Fußgängerzo- jekte in kleineren Dörfern (teilweiße alle Verkehrszeichen nen, die auf den ersten Blick als Gegenbewegung zu deuten und Ampeln abmontiert sowie Fahrbahnmarkierungen sind, aber in Wahrheit zu einer weiteren Territorialisierung und Bordsteine entfernt), die so erfolgreich waren, dass nach Geschwindigkeiten des Verkehrs beigetragen haben. man sich schon in den 1990er-Jahren auch an komplexere

„People who share are happier, healthier and live longer!“

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Kreuzungen und Straßenzüge mit einer durchschnittlichen täglichen Verkehrsstärke (DTV) von über 12.000 Kfz pro Tag wagte. 2002 wurde die 800 m lange Haupteinkaufsstraße von Haren bei Groningen nach den oben beschriebenen Prinzipien gestaltet. Der britische Architekt Ben Hamilton-Baillie, der Kontakt zu Hans Monderman hatte, labelte Mondermans Straßengestaltungen als Shared Space. Haren wird in der Literatur meistens als erster Shared Space gelistet. 2009 wurde in Österreich das erste Shared-Space-Projekt in Gleinstätten für den Verkehr freigegeben, 2010 folgte das Koexistenzzonen-/Mischzonen-Projekt in Thalgau. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass diese Projektinitiativen vor allem von Kleinstädten und Dörfern ausgingen, und erst in den vergangenen Jahren wurden auch Projekte in Metropolen wie London (Shared Space Exhibition Road) oder Großstädten wie Frankfurt realisiert. Derzeit sind allein in Österreich zahlreiche Gemeinschaftsstraßen in Planung. Ein weiterer Shared Space in Graz wurde 2012 fertiggestellt. In manchen Fällen bietet die Errichtung einer Gemeinschaftsstraße sogar die Möglichkeit, eine Umfahrungsstraße zu vermeiden, da durch die Reduktion der Geschwindigkeit und die fuß- und radverkehrsfreundliche Gestaltung des Straßenraumes der Verkehr nicht mehr als Belastung empfunden wird. Dies wird durch die Betonung der positiven Aspekte des Verkehrs erreicht. Shared Space ist jedoch aus einem ganz anderen Grund ein Erfolg. 2012 fand in Innsbruck der TEDx-Event „Beyond A Culture of Contest“ statt, bei dem es in vielen Beiträgen um das „sharen“ ging. Der promovierte Physiker, Philosoph und Buchautor Stefan Klein brachte es jedoch auf den Punkt: „People who share are happier, healthier and live longer!“

Erstes Stoppschild in Detroit, 1915

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Shared Space (dt. Begegnungszone) ist ein in den 1980er-Jahren vom holländischen Verkehrs­ ingenieur Hans Monderman entwickeltes Konzept zur Erhöhung der Verkehrssicherheit. Als Sicherheitsbeauftragter der Provinz Friesland war er berufen worden, um die Anzahl der Verkehr­ stoten zu reduzieren. Das Konzept sah eine deutliche Reduktion der Geschwindigkeit vor, die jedoch mit unüblichen Mitteln erreicht wurde: Monderman ließ Fahrbahnmarkierungen, Bordsteinkanten, Verkehrszeichen und Bodenwellen rückbauen. Er erreichte dadurch ein rücksichtsvolles Miteinander anstatt ein kanalisiertes Nebeneinander. (vgl. www.bad-architects.gp/ downloads/; 14.07.16) Eugène Hénard behandelte in seiner Veröffentlichung „Etudes sur les transformations de Paris“ (Studien zur Umgestaltung von Paris) Ideen für die Gestaltung des Straßenraumes in Paris. Er entwickelte eine kreisverkehrsähnliche Maßnahme zur Bewältigung des Verkehrsaufkommens auf großen Kreuzungen. Weiters schlug er die Verlegung des Verkehrs in unterirdische Tunnel vor. Die „Charta von Athen“ wurde 1943 von Le Corbusier publiziert und dokumentiert die Ergebnisse des CIAM Kongresses, der 1933 stattfand. 1962 wurde die Charta von Athen auf Deutsch publiziert.


Papelier – Noelia M. Vidal & Lucia Joglar Malen nach Zahlen

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Karl-Heinz Lehner Illustration: Marlon (5 Jahre)

dazwischen

DA KAM MIR ETWAS

Als Theologe, der die Freude hatte, mit seinen Kolleginnen und Kollegen des Schüler- und Studentenzentrums Rosenheim Die Bäckerei zu besuchen, zu sehen, zu riechen, zu hören, zu spüren, zu erleben und zu bedenken, schreibe ich natürlich einen theologischen Beitrag zum Thema Chaos und Struktur mit dem Titel: „Da kam mir etwas dazwischen … .“

Das „Dazwischen“ hat in unserem Glauben einen Namen: „Heiliger Geist“. Wenn wir alles strukturiert haben und denken, wir hätten alles im Griff, wenn uns nichts mehr dazwischen kommen darf … Wenn wir das, was uns dazwischen kommen könnte, ausschließen wollen, dann herrscht der Angstgeist und wir werden brutal. Gegen andere und gegen uns selbst. Eine idealistische Versuchung ist dann nicht auszuschließen. Wir denken und strukturieren uns die Welt ideal, was sie aber nicht ist: Sie ist brüchig, nervig, überraschend, fordernd, quer, chaotisch und wir sind es auch. Genau darin aber liegt die Chance des Über-sich-hinaus-Wachsens. Dieser „Geist des Dazwischen“ bietet Heilung an von „ausschließendem Denken und Handeln“, indem er ungefragt und als „zumutender Dritter“ aufschließend, geduldig uns dazwischen kommt. Die Mutigen und die Vertrauensvollen können beten: „Komm Heiliger Geist, der meine kleine Welt durcheinanderwirft und mir den Weg zur größeren Liebe weist.“ Möge der Heilige Geist weiterhin durch die Kulturbäckerei fahren, kraftvoll und leise, im Sturm und im verschwebenden Schweigen.

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Peter Hofmann & Paola Bortini Übersetzung und Überarbeitung: Stefan Österreicher

ÜBERGÄNGE SCHÄTZEN LERNEN

Das Dazwischen fühlt sich oft unbefriedigend an. Doch es ist der Ort, an dem wir uns immer öfter aufhalten. Wir sollten ihn also gemütlich einrichten. Es gehört zu menschlichen Natur, Stabilität und Sicherheit zu suchen. Sofern wir nicht für einen Lernprozess offen sind oder eine eigene Veränderungsbereitschaft vorliegt, widerstreben wir oft Veränderungsprozessen (vgl. Otto Scharmer, „Theory U”1). Um eine positive Einstellung zu Veränderung zu entwickeln, muss man sich den liminalen2 Übergangsphasen mit ihrer Unsicherheit, Mehrdeutigkeit und Komplexität zuwenden. Liminalität wirft Fragen auf wie: • Wie ist es, Entscheidungen zu treffen, ohne alle Fakten zu kennen oder ein genaues Bild vom Ausgang zu haben? • Wie bereit bin ich, Risiken einzugehen und was sind für mich Risiken? • Wie kann ich mit der Ungewissheit leben? • Was bedeutet Komplexität für mich und was macht sie mit mir?

Was bedeutet es, in der Praxis, Liminalität zu beachten? Wenn man einen Veränderungsprozess als Reise von A (Ausgangssituation) nach B (Ziel) betrachtet, entspricht die liminale Phase dieser Reise. Trotz sorgfältiger Planung verlaufen diese Reisen selten so glatt und linear wie geplant, besonders bei Organisationen. Oft sind die Führungskräfte schon am Ziel angekommen, während die restliche Organisation sich noch auf der Reise befindet oder noch nicht aufgebrochen ist. Oft wird der menschliche Faktor zu wenig beachtet. Praktisches Lernen auf menschlicher und organisatorischer Ebene bedeutet hingegen: Raum, Zeit, Orte und Kapazitäten zu schaffen, um die liminalen Phasen zu erforschen und sich auf sie einzulassen, damit sich der wirkliche Weg nach vorn herauskristallisieren kann. Liminale Phasen erforschen Neugier und Offenheit ohne Erwartungen und Vorurteile sind Grundvoraussetzungen. Zusätzlich können folgende Techniken angewandt werden:

… und lädt dazu ein: • mehr zu beobachten und zuzuhören, mehr zu beschreiben als zu beurteilen • Situationen aus verschiedenen Perspektiven zu beobachten • vorgefasste Meinungen und Erklärungen aufzugeben

• Helikopterblick Dazu treten Einzelne und Gruppen (in ManagementStrukturen sowohl horizontal als auch vertikal) regelmäßig einen Schritt aus dem Tagesgeschäft zurück, um gemeinsam zu reflektieren und sich auszutauschen. So werden unLiminalität und Transformatives Lernen terschiedliche Perspektiven verwoben und die LernfähigTransformatives Lernen wurde vom US-Soziologen Jack keit der Organisation angehoben. Mezirow3 definiert als „Prozess, mit dem problematische Referenzrahmen aus [...] Annahmen und Erwartungen • Beobachten, Zuhören und Beschreiben statt Urteilen transformiert und damit einschließender, offener, reflek- Referenzrahmen lassen uns schnell zu Erklärungen und tierter und emotional veränderungsbereiter werden.”4 Es (Vor-)Urteilen kommen. Wenn wir diese in liminalen Phasind diese Referenzrahmen, die zu einem Gefühl von Sta- sen zugunsten des aufmerksamen Beobachtens, Beschreibilität und Identität beitragen. Auf organisatorischer Ebene bens und Zuhörens zurückhalten, unterstützten wir die verkörpern sie die Kultur und Identität einer Organisation, Ausformung des Neuen und der Veränderung. etwa wie kommuniziert wird oder wie Entscheidungen getroffen werden. Wenn Konflikte oder Schwierigkeiten • Andere Arten von Intelligenz einsetzen auftauchen oder die Organisation sich verändert, müssen Oft beschränken wir uns auf unsere logisch-mathematiwir unsere Referenzrahmen ändern. Wenn wir dabei auf sche und verbal-linguistische Intelligenz. Andere Arten Liminalität achten, unterstützen wir diese schwierigen Ver- von Intelligenz und sensorische Kapazitäten einzusetzen, änderungsprozesse, lassen uns auf sie ein und nehmen eine erweitert die Lernmöglichkeiten5. proaktive Haltung ein. 22


„Um eine positive Einstellung zu Veränderung zu entwickeln, muss man sich den liminalen Übergangsphasen mit ihrer Unsicherheit, Mehrdeutigkeit und Komplexität zuwenden.“

Sich einlassen auf liminale Phasen Was tun mit den Entdeckungen dieser Forschungsreise? Nur wenn man sich auf die Neuentdeckungen einlässt, können sich neue Perspektiven und Einsichten eröffnen. Hier kommt der menschliche Faktor am stärksten zum Tragen, ob konstruktiv oder destruktiv hängt großteils von der wertschätzenden Aufmerksamkeit in dieser Phase ab. Was unterstützt das Sich-Einlassen in liminale Phasen?

• Innere Bereitschaft An der inneren Bereitschaft zu arbeiten bedeutet, sich den Veränderungsprozess zu eigen machen und eine positive Einstellung dafür zu entwickeln. Förderlich ist dafür eine Schlussfolgerungen Kultur, die emotionaler Intelligenz ebenso viel Wert bei- Viele Publikationen haben sich in den letzten Jahren aus misst wie logisch-mathematischer und verbal-linguistischer. unterschiedlichen Perspektiven (management-orientiert, kulturell, spirituell, gesellschaftlich) mit der sich schnell • Presencing verändernden, unsicheren und komplexen Welt um uns Dieser Begriff wurde von Otto Scharmer eingeführt und befasst. Die Fähigkeit mit Veränderungen auf persönlicher, bedeutet, sich mit der Inneren Quelle oder dem Authenti- organisatorischer und politischer Ebene umzugehen, ist schen Selbst zu verbinden; auf den gegenwärtigen Moment zweifellos essenziell. Was dazu notwendig ist, wird noch bezogen sein anstatt sich in Gedanken über die Vergangen- diskutiert. Oft werden schnelle „technische“ Lösungen heit oder die Zukunft zu verlieren. Achtsamkeitsmeditati- implementiert, ohne das dahinterstehende Denken oder on kann das Presencing unterstützen. die Referenzrahmen zu ändern und damit transformatives Lernen zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund weisen • Diversität schätzen wir auf die Wichtigkeit der liminalen Phasen hin. Es geht Eine Situation kann mindestens zwei Bedeutungen ha- nicht darum, möglichst schnell von A nach B zu gelangen, ben. In liminalen Phasen ist immer die „alte“ Sichtweise sondern aus dem Transformationsprozess, der Reise, zu noch präsent, während die „neue“ sich bereits auswirkt. lernen. Daraus können Meta-Kompetenzen für zukünftige Aus unterschiedlichen Referenzrahmen können Konflikte Veränderungsprozesse entwickelt werden, z.B.: und Verwirrung entstehen. Diversität schätzen bedeutet zu akzeptieren, dass man momentan eine Situation oder die • die Fähigkeit, ohne ein klares Bild zu Standpunkte anderer nicht verstehen kann. handeln und Entscheidungen zu treffen • das Erlernen von Kompetenz erlernen • die Fähigkeit, mit Diversität, Mehrdeutigkeit Aus liminalen Phasen auftauchen und Komplexität umzugehen Dazu ist es wichtig, in Offenheit mit Geduld und Ver- • beobachten und zuhören trauen zu reisen. Möglicherweise kommt man statt in B • unterschiedliche Arten von Intelligenz und letztlich in C oder D an. Folgende Techniken können dabei sensorischen Fähigkeiten einzusetzen unterstützend sein: Diese Fähigkeiten können sowohl Einzelpersonen als • Prototyping und Pro-Acting auch Organisationen dabei unterstützen, das Potenzial von Der Lernprozess ist besonders produktiv, wenn zusätzlich Übergangsphasen schätzen zu lernen. zur praktischen Seite auch emotionale Aspekte erforscht werden. So werden neue Arten der Interaktion innerhalb der Organisation prototypisch erprobt. Die Möglichkeit, Fehler zu machen und diese in den Lernprozess einzubin1 den, ist essenziell. Dasselbe gilt für Rückschläge und Still- Otto Scharmer: Theory U, Leading from the future as it emerges, San Francisco, 2009. stände. 2 Liminalität bezieht sich auf die Zwischenphase in Übergangsprozes• Ohne ein klares Bild handeln und entscheiden Die Schnelligkeit und Komplexität der Veränderungsprozesse machen es unmöglich, ihnen mit den traditionellen Mitteln einer strategischen, rationalen Analyse zu begegnen. Hier kann die Intuition das Handeln und Entscheiden ohne ein klares Bild unterstützen. 23

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sen, wenn das Alte noch präsent ist und das Neue sich bereits auf unser Leben auswirkt. Siehe auch UND Ausgabe 2015, S. 117. Siehe Jack Mezirow: Transformative Learning in Practice: Insights from Community, Workplace and Education, Jossey-Bass Inc, 2009. Mezirow Jack: An overview on transformative learning, in: Illeris, Contemporary Theories of Learning, New York 2009. Siehe Howard Gardner: Frames of Mind – The Theory of Multiple Intelligences, New York, 1983.


David Prieth Gedicht

(Blitzverglasung) Wir fliegen in Gewitternähe durch eine mit Asche durchtränkte Luftschicht Ich erbreche mir unbekannte Geräusche krachend, rollend, mahlend; der Schweiß löscht das Elmsfeuer das in beiden Augen brennt An der Stelle, an der der Blitz einschlägt, verhärtet sich der Sand und verschmilzt in der freigewordenen Hitze zu fragilem Glanz Die Röhren winden sich brennend im Spannungskegel nach unten, verzweigen und verlaufen sich bevor sie zerbrechen, hier und da ein paar vereinzelte Glastränen zu Boden fallen Wir zerschellen in einem Bogen aus Licht in einer Lache aus Schweiß, Schmutz und Brackwasser und zurück von uns bleibt nur ein vor Sonne trunkener Mond

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Maria Vill verknotete Strukturen

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Florian Ladstätter Illustration: Christina Mölk

DAS INSTITUT FÜR UNSICHERHEIT Ein Beratungsformat für offene Räume stellt sich vor.

STRUKTUR UND CHAOS IN DER SUCHE Wir alle waren und sind oft auf der Suche. Manchmal sind wir auf der Suche nach unserem Schlüssel oder unserem Handy, wir suchen die E-Mail-Adresse einer Kollegin oder ein Hotel für unseren nächsten Urlaub. In so einem Fall haben wir eine klare Vorstellung davon, was wir suchen. Das Problem ist eigentlich nur eine zugewiesene Aufgabe („Finde das Handy“). Wir können diese Art der Suche analytische Suche nennen. Und manchmal sind wir auf der Suche und wissen nicht genau wonach. Wir sind „mit der Gesamtsituation unzufrieden“, wir sind „auf der Suche“. Diese Art der Suche startet nicht mit einem gut definierten Problem, dem nur noch die richtige (ebenfalls vordefinierte) Lösung zugewiesen werden muss. Diese Art der Suche ist mehr wie eine komplexe, diffus unklare Situation, in der wir nicht wissen, was das Problem überhaupt ist. Wenn wir nur wüssten, was das Problem genau ist und wo es liegt, dann wäre die Lösung viel leichter zu finden. Eigentlich wissen wir erst genau, was das Problem eigentlich war, wenn wir die Lösung gefunden haben. Und oft können wir die Lösung als solche erst erkennen, weil wir den ganzen Prozess der Suche durchlaufen haben. Nennen wir diese Art der Suche explorative Suche.

UNSICHERHEIT IN DER BÄCKEREI

Die Bäckerei ist als Organisation „auf der Suche“. Wir haben uns, ohne es wirklich zu wollen oder zu planen, darauf spezialisiert, einen offenen Raum und damit ständig neue ambivalente Situationen zu schaffen. Verschiedene Dinge haben wir dabei gelernt: Ambivalenz schafft Unsicherheit, aber wir können die Unsicherheit aushalten. Wir können sie sogar gemeinsam als Team ausloten und nutzen. Wir können Dinge starten, ohne genau zu wissen, wo und wie sie enden werden, nur aus einer Idee, aus einem Bauchgefühl heraus. Wir können den sozialen Gedanken mit der ökonomischen Logik kombinieren und trotzdem (oder wahrscheinlich gerade deswegen) handlungsfähig bleiben. Wir alle begreifen intuitiv den Unterschied zwischen einer Unsicherheit produziert Reibung. Aber wir brauchen die Suche im Sinne einer mathematischen Aufgabe – schön Reibung, denn sie setzt Emotionen und damit Energie frei. strukturiert und durch die Anwendung klarer Regeln lösbar – und einer verwirrenden, herausfordernden Situtation – chaotisch, voller Unsicherheit, aber dadurch auch voller Wir glauben, dass die Fähigkeit Unsicherheit auszuhalten, Möglichkeiten. Allerdings, so eine Suche ist ein Prozess. sich auf eine explorative Suche einzulassen, für viele Organisationen wertvoll sein kann. Deshalb haben wir das ProUnd der ist oft „nicht ohne“.* jekt Institut für Unsicherheit – Beratung für offene Räume ins Leben gerufen. Wir wollen andere Organisationen dabei unterstützen, ambivalente Situationen in den eigenen Strukturen zu schaffen und bewusst zu nutzen. Passt dieses * für genauere Ausführen zu explorativer Vorhaben zu einem Kulturzentrum? Diese Frage ist nicht Suche, ambivalenten Situationen und Innovation pauschal beantwortbar, sondern öffnet den Raum für Interweiterlesen auf www.diebaeckerei.at --> pretation und Diskussion. Institut für Unsicherheit 85


SEINER ZWISCHEN ZWEI CH Ä R P ES G IM T R UNSICHERHEI IST. DAS INSTITUT FÜ ITUT EIGENTLICH ST IN S A D S A W , BER GRÜNDER DARÜ

enken. Weil allein . ein kooperatives D z.B an m ss da et, ut bede ettbewerb aufgestitut behagen. Es dadurch, dass ein W In s hda Ja s du de t es de rd En wü sich eigentFlorian: Wie nicht weiß, wie es am hen wird, verändert ? oc br ren klä in er ist m as de D an . ut ha das, was wir für Unsicherheit jem res wirtschaftlich aussc alles. Das ist genau h lic be iv sit po erarin stitut für Unsicherheit serer Gesellschaft ke In un m de n it be m ha r wi eit rh h, fac . Aber die Unsiche kommen zu uns Christoph: Ganz ein r von setztes Gefühl beiten können. Leute wi ss da t, l. leg tia er ten üb h Po sc es Arbeitsweisen vativ uns pragmati d lernen kooperative Die beinhaltet inno un il we , en ch au br eld s das bedeuirgendwoher G en und erfahren, wa t er nn ni ke tio een di bv su eit rh ll vo he rung sic Bäckerei ja nicht orian: Warum hat Un Ich habe z.B. die Erfah . Fl nn ska kla ten in ke r wi n du kooperativ arl? ist. Allerdings wolle gemacht, dass sobald ndern ses Potentia so , eln ick tw en t uk auch gemeinsisches Prod n, itest, du automatisch ete be bi t, eit iß hk he lic ög eit M rh e he di sic aftsorientiert den Menschen Christoph: Weil Un ftlich und gesellsch alb ha sh sc de e d di Un , . ht eln ste ck teresse onen sich weiterzuentwi Und das löscht das In dass man vor Situati st. r ite wi be s ar wa , gt rch fra du ge da t er wartet hat und t total aus. haben wir uns selbst ann sind man nich r an privatem Profi D ga n. so be t ha ich n lle ete vie bi , zu ue eigentlich rdert ist, ne ematik „Arbeit, gefo en zu suchen. So slöschen von wir schnell auf die Th - innovative Lösung ian: Ein totales Au Bä or Fl er D t in rn Le n“ . tio ng isa gu ir reden Bewe Leben und Organ Profit ist es nicht. W bleibt ein System in tem d iva un pr en leb zu r um wi ie en solchen Situation mmunismus. Dieses ckerei gekommen: W Schwie- man mit t- ja nicht vom Ko en nu nz ga zu e h di sic … r n fü ite r ga be war ja irgendsie so wie wir ar ganze Marktprinzip e sich gehen und di , n en ise eit Kr rh he ch au sic t Un e lleich s Gestaltungsrigkeiten, di n, zen, können vie nn gedacht als beste be wa ha n u be na ge ge er d en Un hr . Ja in den letzten 6 es allen gut geht. r gemeistert werden gang prinzip, damit e ganzen Trä- besse di Um e, hi ige arc ht ier ric H r e de ch t die fla swegen ha nktioniert hat … de l Wert für das ist ein guter nen, bis es halbwegs fu Unsicherheit so vie it m en ng Florian: Ich finde, ru fah ein Er ar e es zw di n d be un ha e en rheit braucht, Dies dieses Wiss nkt, dass es Unsiche wir Unternehmen. Pu n de es n, be ist ha g t iti er ze W ich uren auskönnten einen Kernprodukt, aber gle s bestehenden Strukt au um n . er en nd rä nn ve kö gibt sich anderen vermitteln können. Und davon zu denkbar, dass dieses n he ec br et ut de hin genug. Ich n muss. Und das be es im Moment ohne ert, den und anpasse r W fü r de ng gu ht fti ste hä be sc in Be or indernis dabei ist Florian: W gleichzeitig immer glaube, das größte H ? en nn kö n he zie auf Unsicherheit andere daraus Menschen. die Angst davor, sich z.B. Unsen. Wenn ich jetzt las r zu wi ein ss da , ng rin gu da fti ht und ich schaffe h glaube, die Beschä Christoph: Der beste ternehmenschef bin, er Bäcke- Florian: Ic er D nd in ge o rin als , sp um ein Ra n ist nn bin ich nicht in unserem e es für Mensche die Hierarchien ab, da wi n, Be be r ha de ren IE fah W er s ht habe ich rei, subjektiv Punkt. Und zwar da r der Chef. Vielleic em eh m nd he ste be em ein der Chef sich anfühlt, aus schäftigung. viele Freiheiten, aber rnn Ve da n de d un ten lleicht System herauszutre cht mehr. Aber vie ni ich u n ne bi m r ste nu Sy t ein geht aber nich inen Bock mehr such anzutreten, so uren Christoph: Es habe ich eh schon ke kt ru n“ St de e an tiv na jem er r alt „fü d n zu denken un ef-Sein. rum, dass Mensche ist natürlich al- da ern dass auf das Ch nd as so D n, n. ite ere be bi ar ro “ as up sz etw au er „für aftlich optimiert, od Da kommt Sachen les andere als wirtsch Freude daran haben. : Man muss solche sie ph to hris ac Ch N as hi etw arc h lic im ganzen UnterKapitel „flache Hier aber es ist wahrschein ja auch nicht immer n man man zum de rf he au , sic eg Un W er ein ed wi ist t nn es in einer ch haltiges. Es an- en“. Das verursa hmen machen. Man ka G ne s de t wo er , iß W r we de u d na ge h selber hisich einlässt. Un heit, weil man nicht lung probieren … sic er tei ein Ab in rt n be fäh er Le er ein . Ab wie sich zen ist vielleicht, an in der Kette steht en und beobachten, m tz se h in sic ne an m r ng lu de pe in n, Entkop Gesellschaft zu habe man einmal diese nze anfühlt. t. ite be ar e rn s-)Strukturen, das ga ge eit d rb un (A n he sc wohlfühlt ssi kla von tial der offene schnell, wie viel Poten an m kt er m : Ja. Das Problem ist ian or Un Fl it m f ze au an n G he s sc da en M s kommt. Florian: Was hat dahinter steckt, wenn g. Man weiß nicht, wa an ist sg we Au eit irh be he ar sic er lbstverantwortlich sicherheit zu tun? Un hin oder einmal se on ati tu Si e ein in einem System f au s ist ja das Intefür mich ten und ihren Wert Christoph: Genau da Ba ein es t s. eib es bl ht es immer. auf einen Proz erkennen. Trotzdem sante. Zum Lösen ge res Fä e di en llt so en Moment lanceakt. Unternehm nn es sich im ersten ka ran he M sic Un n r he de sc ssi hl gen, aus dem kla ellen. Aber wenn Christoph: Das Gefü vielleicht nicht vorst ten Un- higkeit erlan eis ten m tre n zu de us i ra be he t ch n rsa ke ist, dann hat das heit veru Wettbewerbsden eine Situation gelöst ch no ch au t gib e so große Ausund zu erkennen: es unter Umständen ein hende Wirkrkung, dass die beste wi 86 nktioniert. lichkeit nicht mehr fu an kann sich


Patrick Bonato aus der Serie „pablo does the dog“

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Christian Höller & soda/// Astrid Dahmen + Krista Sommer Illustration: Ichia Wu

WO.ANDERS – DIE AUFKLÄRUNGSMASCHINE Als das Kind Kind war, wusste es nicht, dass es Kind war, alles war ihm beseelt, und alle Seelen waren eins. Als das Kind Kind war, hatte es von nichts eine Meinung, hatte keine Gewohnheit, war es die Zeit der folgenden Fragen: Warum bin ich ich und warum nicht du? Warum bin ich hier und warum nicht dort? Gibt es tatsächlich das Böse und Leute, die wirklich die Bösen sind? Wann begann die Zeit und wo endet der Raum? Ist das Leben unter der Sonne nicht bloß ein Traum? nach Peter Handke, Lied vom Kindsein

UND vorweg – wir sind keine Gutmenschen, schon gar Als Architekturschaffende ist es uns ein Anliegen, dass es nicht nach der eigentlichen Definition. eine sinnvolle Reflexion gibt, wie den Umständen begnet wird, damit das Soziotop Stadt nicht kränkelt, sondern Was um uns passiert, bewegt. Die vielen Menschen, die florieren kann. Die verbreitete Ghettoisierung von Asylsich auf den Weg in eine ungewisse Zukunft machen, sind suchenden in großen Heimen oder im Abseits ist kritisch, nicht mehr nur auf Bildschirmen, sondern unter uns. An- weil sie die Abgrenzung verstärkt. gekommen sind sie aber nicht, vielmehr für Monate oder Jahre aufgehoben – in einem Zustand des Wartens, der Was wir brauchen sind Orte, die Begegnung und AusOhnmacht, der Hoffnung und der verletzten Würde. tausch ermöglichen. Wir denken uns einen temporären, gebauten Raum an der Innpromenade, der zum Verweilen Gemüter werden erregt, in einer Melange aus Ratlosigkeit, einlädt. Dort wird gelernt, gespielt, gekocht, gedacht, geUnbehagen, Hilfsbereitschaft und Ablehnung. Willkom- macht, musiziert, informiert und debattiert; umgesetzt und menskultur und Rechtspopulismus sind Pole einer Wahr- bespielt – mit den Menschen, um die es geht. nehmung, der es an Sachlichkeit, Differenzierung und rationalem Diskurs fehlt. stadt_potenziale und kulturimpulstirol haben ihre Unterstützung zugesagt, weitere Fördernde werden noch gesucht. Das erzeugt Reibungen und Probleme, die niemandem Dann geht es an die Umsetzung. Aus dem Plan für diesen nützen. Besser würden wir uns Möglichkeiten zuwenden, Sommer ist jetzt nächstes Frühjahr geworden und wir freudie das Mit- und Nebeneinander nutzen, um die Stadt fa- en uns schon darauf. cettenreicher zu gestalten. Da setzen wir an. www. woanders.at Als wir uns mit Studierenden der Architekturfakultät mit dem Thema der Migration im lokalen Kontext beschäftigt haben, wurde klar, dass wir erst Fakten sammeln und Hintergründe beleuchten müssen, um zu einer Haltung zu kommen. Von Medien gezeichnete Bilder erweisen sich oft als unzureichend, stereotypisch, diffus oder verzerrt. Die Grenze zwischen Flucht und Migration ist unscharf, nicht nur Krieg und Verfolgung, sondern auch wirtschaftliche Not bedrohen das Leben. So ist es nachvollziehbar, warum der „Strom“, von dem die Rede ist, anhalten wird, solange das soziale Ungleichgewicht ausgeprägt bleibt. Es braucht Verantwortungsbewusstsein, Mut, Visionen und Handlungen, wo Politik und Gemeinschaften regional, auf europäischer Ebene und international unzureichend agieren. 11


Monika & Laura Grafl Gedicht und Illustration

STRUKTUR helle Ordnung Reihen, Ketten, Muster fest gefügt in Symmetrie Kristall UND dann weiter mit dem Sternenstrom ohne Anfang, ohne Ende Raum CHAOS leuchtend bunt schillernd wie Schmetterlingsflügel unzählige Formen und Texturen Leben

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Moritz Rudolph Illustration: Patrick Bonato

FRIEDRICHSHAGEN

Was von der Anarchie übrig blieb. Ein Spaziergang durch Berlin-Friedrichshagen.

In Friedrichshagen am Müggelsee haben früher einmal die Anarchisten gewohnt. Sie waren auch Maler, Lebensreformer und Literaten, aber uns interessiert hier ihr anarchischer Zug. Zuerst kamen Bölsche und Wille, ihnen folgten Mühsam und Landauer, Hille und Wedekind und die Brüder Hart. Sie nahmen sich zwei Villen in der Ahornallee, lebten in ihrer Gemeinschaft, die in Berlin und doch dahinter lag, sie trieben Genie und badeten nackt, sie waren naturbewegt und eben anarchistisch.

Kleine Fischerhäuschen stehen neben großzügigen Stadtvillen mit bauchigem Balkon. Einige verfallen, wilde Pflanzen wuchern auf der Veranda, ihre gebrochenen Eingangstreppen widersetzen sich er neuen Zeit. Andere Fischerhäuschen haben sich längst mit ihr angefreundet und ihre Vorzüge erkannt, sie haben sich herausgeputzt und bestehen auf einen gutgeschnittenen Vorgarten und ein blitzendes Messingschild an der Toreinfahrt, alles andere hätte sie in ihrer Pracht beleidigt. Ihre Nachbarn denken aber gar nicht daran, vor allem die fünfgeschossigen Stadthäuser lachen nur über derlei Manierismus. Sie gehöDavon ist vielleicht noch heute ren zweifellos in eine Großstadt, aber in welche, da sind sie etwas an den Häusern sich uneins – manche in eine um 1895, andere haben offenhängengeblieben, die bar Sehnsucht nach 1970, DDR-Braunputz bröckelt von kunterbunt und ganz ihren Balkonen; die Eitelkeit ihrer Jugendstilnachbarn hau n z u s a m m e n - ben sie nicht, wohl aber deren Stolz. passend Friedr i c h s h a g e n s Und so machen alle, was sie wollen, nur auf eines scheint Hauptstraße man sich dann doch geeinigt zu haben: Alles wird höher säumen und und dichter zum S-Bahnhof hin, der das Tor nach Berlin sich auch in ist. Zum großen Finale an der Kreuzung Bölschestraße / den Nebenstra- Fürstenwalder Damm drängeln sich die Häuser, sie recken ßen tummeln – sich weit in den Himmel empor, um Berliner Luft zu es sind alles ganz schnuppern. Aber auch das wird man ihnen nicht befohlen störrische, stolze haben, sie hatten einfach Lust dazu; ihre Ordnung ist sponIndividuen, an die tan, wird aber sogleich wieder durcheinandergewirbelt, wir auf unserem denn die Steigerung und Ballung bricht plötzlich ab: DiWeg vom Bahn- rekt vor den Gleisen hat es einen Kahlschlag gegeben, von hof zum See dem sich das Stadtbild auf der anderen Seite nie mehr ganz geraten. Sie las- erholen wird. Hinter dem Bahnhof dösen Bäume träge im sen sich nichts Kurpark und schmucklose Haus-Hütten wollen von Urbasagen. Nicht nität nichts wissen; sie bereiten schon den Brandenburger einmal auf eine Wald vor, der nicht mehr weit weg ist. Es ist wieder eine einheitliche und ganz andere Welt hinter den Gleisen, die ihrerseits zum klare Standlinie großen Durcheinander dieser kleinen Stadt beiträgt. In ihkönnen sie sich ei- rem hemmungslosen Eklektizismus ist sie mindestens so nigen, manche berlinerisch wie Berlin selbst. Den Beobachter*innen ertreten einen leichtern sie das Geschäft damit nicht. Wenn man denkt, Schritt vor, andere jetzt habe man ihren Charakter durchschaut, dann kommt gehen ein paar ein Haus, das so gar nicht hineinpasst in die Theorie und Meter zurück. man muss sich eine neue suchen. Am Ende sind hier noch 28


alle Begriffsbildungen gescheitert, es herrscht die blanke Willkür im Bauen.

Berlin. Man glaubt es ihnen hier genauso wenig wie dort. Was man hingegen glaubt, ist, dass die Knacker mit Brot für 1,65 €, die der kleine Bäckerladen anbietet, nach altem Ostrezept hergestellt sind. Und dass die Tomaten des Gemüsehändlers nebenan aus dem Oderbruch kommen. Aber Die Anarchisten ha- danach ist uns jetzt nicht und wir entscheiden uns für einen ben vor hundert Jah- saftigen Döner, dessen Fett genauso trieft wie in Berlin. ren Friedrichs Formen aufgelöst und nun ha- An uns strömen die Ausflügler*innen vorbei, sie wollen ben wir ihren Salat. raus aus Berlin, aber sie entkommen ihm nicht so recht. Es Dem preußischen Ord- ist hier nicht weniger betriebsam und laut als in Neukölln, nungssinn des Stadtgrün- die Häuser sind kaum niedriger als im Wedding – einige ders haben sich die vielleicht schon, aber andere nicht und es sind schließlich Friedrichshagener*innen die höchsten Häuser, die den Charakter der Stadt bestimstets widersetzt. Und als men. Es kann vier niedrige geben, entscheidend ist das eine sich nach der Diskreditie- hohe zwischen ihnen und man findet sie alle hoch. rung Preußens im Krieg die geschichtspolitische Wir essen diesen Döner, der genauso schmeckt wie in BerGelegenheit ergab, lin, wir sitzen auf denselben Klappstühlen wie in Berlin, die die Friedrich-Sta- Menschen sind schnoddrig wie in Berlin, es ist alles wie in tue zu beseitigen, Berlin und gehört ja auch zu Berlin, und das beruhigt im die streng über Grunde, denn die Stadt gibt offenbar noch ihren entlegensden Marktplatz ten Winkeln ihr eigenes Gepräge und zwingt ihnen eine wachte, hat man Urbanität auf, gegen die auch die neue Landlust im Prenzsich das nicht lauer Berg nicht ganz ankommen wird. zweimal sagen lassen und Wir wollen noch ein bisschen weitergehen, aber die Hitze sie ein- und das Durcheinander machen uns ganz schläfrig und wir g e - setzen uns auf eine Terrasse am Müggelsee. Die Sonne schmol- scheint uns auf die müde Stirn, wir trinken Bier und Fassz e n . brause und dösen in den Nachmittag hinein. Irgendwann M i t t l e r - kommen drei Musikanten und spielen Dixieland, das weckt w e i l e uns langsam auf. Wir recken die müden Glieder und blinsteht sie zeln in die Sonne, die noch immer hoch über dem See steht. w i e - Auf dem Wasser herrscht reger Schiffsverkehr – Tretboote d e r und kleine Yachten, große Ausflugsdampfer und Segelbooa n te fahren zwischen Müggelsee und Müggelspree ganz ziela l t e r los herum, auch sie haben einen freien Tag und machen Stelle, aber offenbar, was sie wollen. Fast hätten wir sie für Anarchisten im Grunde ist es gehalten. Erst als die Musik zu spielen beginnt, wird eine noch viel schlimmer für Ordnung sichtbar, die kleinen Fahnen der Boote flattern den König, dass er sich jetzt dieses Tohuwabohu ansehen nicht irgendwie im Wind, sondern zur Musik. Jetzt wird muss und nichts dagegen ausrichten kann. Er spielt bloß alles ein Schauspiel und man sucht die Botschaft darin. noch den Grüßaugust auf der Flaniermeile, die einmal sei- Nebenan rauscht der warme Wind durch die Bäume, zu nen Namen trug, jetzt aber nach Bölsche heißt, der die An- ihren Wurzeln schlagen kleine Wellen an die Böschung. archisten erst hereingelassen hat. Der König dürfte sich gehörig verschaukelt vorkommen auf seinem „Ehrenplatz“ Am anderen Ufer, viele Kilometer entfernt, erheben sich an der roten Backsteinkirche, sogar die Amseln können die grünen Müggelberge. Auch in ihnen wird es rauschen. sich ungestraft auf seinem Dreispitz tummeln. Armer Al- Man ahnt es nur. Ihren feierlichen Gipfel bildet ein Turm ter Fritz. aus Stahl. Die Hügelkette gibt dem Stück eine herrliche Kulisse, vor ihr blinken die Jollen und die weißen Segel im Wir ziehen also die Bölschestraße hinunter, vorbei an tau- tiefblauen Wasser und man bekommt eine Sehnsucht nach send Läden, die man kennt und die genauso marktschreie- irgendetwas. risch ihre Glücks- und Wohlfühlversprechen geben wie in 29


Fabian Bitterlich Fotos: Toni Schade

Kooperation ZUM FRUCHTGENUSS Im Keller Der Bäckerei – Kulturbackstube hat eine FoodCoop ihre Regale aufgestellt. Der Verein organisiert sich selbstverwaltet Lebensmittel direkt aus der Region und verzichtet damit auf Zwischenhändler und unkontrollierbare Herkunftswege.

Eine Gruppe Interessierter, unter ihnen eine Angestellte, ein SozioPolitologe im Produktmanagement, eine Ökologin und Naturpädagogin, eine Doktorandin, eine Molekularbiologin, zwei Soziologen, zwei Geographen, ein öffentlicher Raumgestalter, ein Chemielaborant, eine Sozialarbeiterin, eine Flüchtlingsbetreuerin und Vereinsleiterin, eine Pharmaziestudentin, eine Verkaufsberaterin, eine Psychologiestudentin, ein Medizinstudent, eine Ernährungstrainerin, eine Volkswirtschaftlerin und Wahlkampfleiterin, ein lehrender Landwirt, eine IT-Managerin und eine Biologin setzen sich an einen Tisch (oder auch auf den Boden) und wollen ihre Welt ein bisschen besser machen … Wo könnte man da anfangen? Und was ist eigentlich das am Naheliegendste, was alle ganz direkt und gleichermaßen betrifft und verbindet? – Richtig! – Essen. Jede*r von uns macht das bestimmt ein paar Mal am Tag. Ein paar mal jeden Tag! Gutes Essen ist ein kostbares Gut und so wie alle kostbaren Güter in vielfältige Kontroversen verwickelt. Viele Dinge, über die man sich sorgen kann … Sorgen über beschämende Unregionalität, ethische und moralische Unfairness, internationale Vorhaltigkeit (das sehr interessante Assoziationen hervorbringende Gegenteil von Nachhaltigkeit?!), Sorgen über ozeanweise, unverottbares Verpackungsmaterial, über das sich unsere Kindes-Kinder noch den Kopf zer58


brechen werden, wenn es keinen auch noch so einsamen Fleck auf unserem Planeten mehr ohne giftige Synthetikpartikel gibt … Sorgen über das ewige, oftmals sogar allzu deutlich hörbare Rattern der Transportmaschinerie, über die alles umschlingenden, undurchsichtigen und zerstörerischen Finanzströme und das Ende unserer Zukunft – zu viele Sorgen und Themen, über die man sich beim Essen eigentlich keine Gedanken machen möchte …

einem Konsumsystem, das bis jetzt vor allem als ein starres, festgefahrenes „Ich-nehme-was-ich-angeboten-bekomme“ eingeübt und vertraut war, plötzlich frei bewegen zu können, ist ein ungemein spannender und herausfordernder Prozess – verstärkt durch das gemeinsame Durchlaufen dieser Wege mit Menschen, die von unterschiedlichen Motivationsmustern geprägt sind. In unzähligen Diskussionen versuchen wir teils neue, teils schon woanders erprobte Strukturen zu finden, um das Funktionieren des So formte sich 2014 eine kleine Gruppe Wagemutiger, um Vereins und unserer kleinen Gesellschaft zu sichern bzw. die Köpfe sozusagen keck aus dem anschwellenden Ein- zu erleichtern (oder manchmal auch bewusst zu erschweweg-Verpackungsberg herauszustrecken, sich eben diese ren). Meist läuft dieser Prozess auch so chaotisch ab, wie Sorgen als Maßstab auf die Fahnen und im Verlauf dann dessen Beschreibung klingt. Erst einmal mit sehr viel Inauch offiziell in die Vereinsstatuten zu schreiben, und so put an unterschiedlichsten Meinungen, sodass jede*r beendlich wieder zu Gut-Esser*innen zu werden. Schritt für fürchtet, man werde sich nie einigen. Der*Die für diese Schritt. In Arbeitskreisen und Plenen basisdemokratisch Sitzung bestimmte „Moderator*in“ versucht meist verorganisiert zur selbstbestimmten und zukunftsorientierten gebens Ordnung zu schaffen und dann wird abgestimmt. Lebensmittelversorgung. Meistens klappt es dann doch problemlos – Kompromisse werden gefunden oder sogar gegensätzliche Meinungen Mittlerweile beziehen wir als Verein FoodCoop – Kooperati- akzeptiert. on zum Fruchtgenuss eine immer größer werdende Vielfalt an Gemüse, Obst, Getreide, Brot, Joghurt, Topfen, Milch, Jene, die Lust dabei verspüren, ihre Ernährung selbst Sauermilch, Butter, Käse von Kuh, Ziege und Schaf, Eier, in die Hand zu nehmen, persönlich an einer vielpersKräuter, Tees, Hülsenfrüchte, Eingelegtem und Einge- pektivischen Gruppe zu wachsen, ihr Gewissen etwas zu kochtem, Salz, Sirupe, Oliven, Öle, Saft und Essig von ins- erleichtern und dadurch auch noch gut zu essen, sollten es gesamt bis zu 12 Produzent*innen. Direkt und ohne sich sich einmal durch den Kopf gehen lassen, an uns heranzuselbst bereichernde Zwischenhändler*innen. Wir wachsen treten … zwar stetig, allerdings versuchen wir wachstumsbedingte Gier durch Gruppenvernunft zu bremsen.

Wir können selbst entscheiden, was und von wem wir die Produkte gern hätten, mit denen wir uns ernähren, welche Qualität und welche Auswirkungen auf die Natur inklusive anderer Menschen diese Lebensmittel haben sollen. Dem Verantwortungsbewusstsein folgt auch meist eine hohe Dynamik. Mit vielen verschiedenen Leuten, die sich zu vielen Ideen mit teils ungewohntem Terrain auf eine alles umfassende Richtlinie einigen wollen, ist diese Dynamik klar und deutlich spürbar … zerrt ab und zu an einem und schiebt einen andererseits manchmal auch unterstützend von hinten an. Zu sagen, dass es gruppendynamisch (oder auch rechtlich/bürokratisch) immer einfach wäre, ist natürlich illusionär. Wir wissen daher nicht so genau, ob es ein Fluch oder ein Segen ist, dass am Versuch basisdemokratisch Entschlüsse zu treffen, von unseren 75 Mitgliedern hauptsächlich ca. 25 aktiv teilnehmen. Man kann diese ungewohnte Dynamik jedoch unweigerlich als spannend empfinden. Sich in 59


Sylvรถ Mindmap

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Britta Burger Fotografie

DORF DER LANDBESETZER*INNEN

In der letzten Ausgabe hat Britta Burger ihre ersten Eindrücke vom englischen Ökodorf Runnymede festgehalten. Der Ort, an dem 1215 die Magna Carta unterzeichnet wurde und an dem in den letzten Jahren Landbesetzer*innen darum kämpften, bleiben zu dürfen. Sie versorgten sich selbst und versuchten sich unabhängig von der modernen Gesellschaft zu organisieren. Die Geschichte dieses Ortes wird diesmal von Schilderungen einiger Bewohner*innen begleitet. Kurz nachdem die Aufnahmen entstanden, wurde das Dorf geräumt und die Landbesetzer*innen sind weitergezogen.

Sam: „In einer echten anarchischen Gesellschaft müssten alle selbst für ihre Handlungen verantwortlich sein. Ich lerne das noch, ich komme schließlich aus einer Gesellschaft, in der dir alles eingetrichtert wird. In der Schule, auf der Universität … und dann hast du einen Job und machst wieder, was dir gesagt wird. Hier in Runnymede bist du auf dich selbst angewiesen. Wenn dir kalt wird, kannst du dich aufwärmen, es hängt davon ab, wie sehr du dich bemühst.“

Keely: „Der Winter war nicht so schlimm wie ich gedacht hatte. Wenn es zu kalt wird, holst du Holz und kochst dir was. Der Schlamm war schwierig, da immer durchzustapfen. Aber Weihnachten war magisch. Einfach von selber. Wir sind alle in etwa zur gleichen Zeit aufgewacht und haben gekocht. Es gab viel Essen aus den Mülltonnen: Truthahn, Lamm … wundervoll. Viele Menschen versuchen krampfhaft, Weihnachten perfekt zu machen, hier ist es einfach so passiert.“

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Sam: „Ich fand ein Kinderfoto von mir und es hat mich so richtig getroffen, dass dieses Kind nie in irgendeinem Sozialbau leben wollte. Es wollte in der Wildnis leben, umgeben von Natur.“

Sam: „Das Cottage hat zwei Winter und einen sehr unheimlichen Hurrikane überlebt. Am Tag nach dem Sturm las ich in der Zeitung eine Story über ein Haus im ruhigen Hounslow, das von einer umstürzenden Pappel zerstört wurde, geplatzte Gasleitung, drei Tote. Also dachte ich mir ‚Wenn du in Hounslow nicht sicher bist, bist du nirgends sicher und es bringt gar nichts, immer so besorgt zu sein.’ “

Alenas Mutter Betty: „Das Leben hier ist einfacher emotional gesehen, die Community hilft mir mit Alena, mir bleibt mehr Zeit. Alle lieben Alena, sie ist das Dorfmaskottchen und glücklich hier. Körperlich ist es härter. Wenn ich heizen oder kochen will, muss ich Feuer machen, in etwa sechs Feuer pro Tag. Bevor wir den Brunnen gegraben haben, musste ich das Wasser von der Quelle hierher tragen, und die ist ziemlich weit weg.“

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Peter Bexte Ein ZufallsfUND

Ein ZufallsfUND … daraus machen wir einen Beitrag. Aber nun zur Geschichte. Eines Tages erreichte uns ein Mail: „ ... Es hat mich recht begeistert an euer UND-Heft zu geraten. „Wie ist das möglich?“, habe ich mich gefragt. Da sitze ich hier in Wien im IFK*, um kulturgeschichtliche Untersuchungen zum UND zu machen – und da sind plötzlich noch einige in Innsbruck beim nämlichen Thema. Das ist doch alles sehr merkwürdig … und so bin ich neugierig geworden: Wie seid denn ihr an dieses Wort geraten? Was war eure Initialzündung für das UND? Was mein UND-Projekt angeht, gibt es eine kurze Skizze …“ * IFK = Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Kunstuniversität Linz

Dreimal

Und

Vor einiger Zeit fand eine schicksalhafte Kunstpostkarte ihren Weg in meinen Briefkasten: Jemand schickte mir das Undbild von Kurt Schwitters! Der MERZ-Künstler hatte es mit dem Hammer gemalt (wie er zu sagen pflegte). Tatsächlich waren Abfallstücke auf eine Fläche genagelt und geklebt, obenan ein Brett mit aufgestempeltem Schriftzug »und« – daher der Name Undbild. Das Bild von 1919 hängt heute in der Staatsgalerie Stuttgart. Mehrfach habe ich davorgestanden und die Nägel gezählt (und noch einer und noch einer und noch einer). Mal fand ich 48, dann 62, dann 55, kurz: es war zum Verrücktwerden. (Inzwischen habe ich mich auf 52 geeinigt.) Besagte Kunstpostkarte aber geriet eines Tages als Lesezeichen in ein Buch des Philosophen Franz Rosenzweig. Seltsamerweise ging es

auch dort um das Und. Franz Rosenzweig hatte nämlich um 1920 herum eine ganze Philosophie des Und entwickelt. Seine Ausgangsfrage lautete: „Deutscher und Jude sein – was heißt da »und«?“ Die Sache war schon 1920 nicht leicht zu beantworten, unter den Nazis ist es eine völlig monströse Frage geworden. Denn in allen Zwangsvereinigungen soll es immer nur noch eines geben, nicht aber zweierlei: das eine und das andere. Wo es um das Recht auf Andersheit geht, da ist Und ein politisches Wort. Es eröffnet Möglichkeitsräume: Rosenzweig sprach von der Freiheit zum Und. So hatte ich also zweierlei vor mir: ein Bild, in dem ein Und steckte, sowie ein Buch, in dem ein Und steckte. Dass beide kurz nach dem 1. Weltkrieg entstanden, konnte kein Zufall sein. So habe ich mich denn auf die 52

Suche gemacht und für die Zeit um 1920 derart viele Thematisierungen des Und gefunden, dass ein Projekt daraus wurde. Es handelt von Texten und Bildern, von Kunst, Philosophie, Gestalttheorie, Politik, Literatur und und und. Das Internationale Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien (IFK) gab mir die Chance, die Sache auszuarbeiten, worüber ich sehr glücklich war. Kaum saß ich dort am Computer und schrieb, da erschien ein weiteres Und auf meinem Bildschirm. Es kam aus Innsbruck, aus einer Kulturbäckerei. »Und nun?«, fragte Sylvie. »Na und?«, sagte ich.


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Wir bedanken uns bei den UNTERSTÜTZER*INNEN

1 stellt in Tirol umweltfreundliche Farben, Lacke und Holzschutzmittel her 2 vertritt Tiroler Unternehmer*innen 3 macht Online Marketing 4 berät Marken 5 entwickelt die Region Wattens 6 braut leckeres Bier 7 das UND druckt hier 8 rückt alles in richtige Licht 9 hat auch als Bäckerei angefangen 10 bietet als Coworking Space geteilten Arbeitsraum in Innsbruck 11 ist weltweit bekannt für geschliffenes Kristallglas und sitzt in Wattens.


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IMPRESSUM Herausgeber*in Verein Die Bäckerei – Kulturbackstube (ZVR 159775057) Dreiheiligenstraße 21a, 6020 Innsbruck undheft@diebaeckerei.at www.diebaeckerei.at Redaktion Christina Mölk, Julia Scherzer Layout und Gestaltung Simone Höllbacher, Christina Mölk Illustrator*innen dieser Ausgabe Irene Gonzalez Chana, Patrick Bonato, Simone Höllbacher, Dhara Meyer, Christina Mölk, Marlon Mölk, Papelier Lektorat Anna Perle Druck Alpina Druck GmbH Auflage 500 Stück Sponsorenbetreuung Florian Ladstätter, Asolcija Mamaril

Hinweis Für eingesandtes Bild- und Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Für die Inhalte sind die jeweiligen Verfasser*innen selbst ver­antwortlich. Die Redaktion versucht, unterschiedlichen Meinungen Raum zu geben, auch wenn diese nicht in jedem Fall der ihren entsprechen. Dankeschön Christoph Grud, Johanna Mölk, Julia Mölk, Stefan Österreicher, Gudrun Pechtl, Toni Schade, Marcell Schrittwieser


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016 Okt 2 ,– 10 EUR

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www.diebaeckerei.at/das-und-heft.html


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