UNI:PRESS STUDIERENDENZEITUNG DER ÖSTERREICHISCHEN HOCHSCHÜLERiNNENSCHAFT DER UNIVERSITÄT SALZBURG — #696 März 2019 —
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www.argekultur.at
IMPRESSUM Medieninhaberin: Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft an der Paris Lodron Universität Salzburg (ÖH Salzburg), Kaigasse 28, 5020 Salzburg, www.oeh-salzburg.at, sekretariat@oeh-salzburg.at / Herausgeber: HochschülerInnenschaft / Pressereferentin: Carolina Forstner / Layout: Michael Seifert / Lektorat: Christoph Baumann & Die Redaktion/ Anzeigen und Vertrieb: Carolina Forstner Redaktion (Kontakt: presse@oeh-salzburg.at): Alma M, Carolina Forstner, Christoph Würflinger lol, Katharina Rogendorfer, Paul Sajovitz,Carlos P. Reinelt, Katrin Thiele, Jelena Runge Djordjevic, Christoph Baumann, Robert Obermair, Hannah Wahl, Christopher K. Spiegl, Kunibertus Bombastus von Spiegelheim, Bernhard Landkammer. Druckerei: Ferdinand Berger & Söhne Ges.m.b.H. / www.berger.at / Auflage: 8.000. Für Verbesserungsvorschläge und kritische Hinweise sind wir sehr dankbar. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des jeweiligen Autors/der Autorin und nicht immer die Sichtweise der Redaktion wieder.
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Foto: Michael Jackson
4.4. Berni Wagner 5.4. Chili and the Whalekillers 6.4. POETRY SLAM 11.4. Science Busters 26.4. Sonic Robots | Joasihno 4.5. PeterLicht 10.5. maschek XX 18.5. Eunique | KeKe | T-Ser 28.5. Robert Misik
EDITORIAL
Carolina Forstner
Hannah Wahl
Carlos Reinelt
Michael Seifert
Christoph Würflinger
Liebe LeserIn Wenn man in seinem Browser die Suchmaschine mit dem Begriff „Aufgeben“ füttert, gelangt man irgendwann nach den Krone.at - Kleinanzeigen, auf einen Link zu einem YouTube-Video. „Aufgeben, gibt es nicht: Bärenjunges kämpft mit steilem Hang“ Natürlich klickt man ihn an, weil sonst wäre man nicht auf Seite acht der Suchverläufe gelangt. Untermalt mit dramatischen Tönen starrt man knapp zwei Minuten gebannt auf den Bildschirm und sieht dem kleinen Bärchen bei seinem Überlebenskampf zu – Spoiler alert – er/sie schafft es natürlich auf den steilen Hang.
rabwürdigung, eine Maßnahme die sich in das türkis-blaue Regierungsprogramm geschlichen hat, bis zum Selbstversuch einer unserer Autorinnen, allen sozialen Medien den Rücken zu kehren, Aufgeben hat viele Facetten. Das und noch mehr findet die/der geneigte LeserIn auf den folgenden Seiten. Natürlich haben wir auch in dieser Ausgabe die Beisln Salzburgs nicht vernachlässigt. Es würde uns schließlich viel zu schwer fallen Bier, Spritzer und Schnaps, auch nur für eine Ausgabe, aufzugeben. Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen!
So dramatisch haben wir die Inhalte dieser Ausgabe nicht in Szene gesetzt, aber eigentlich müssen wir das ja auch nicht, denn content ist ja king, oder? Vom Verblassen der Blasphemie und einer möglichen Erhebung rund um den Strafbestand der religiösen He-
Deine Redaktion Fragen, Wünsche, Anregungen, Kritik wie immer an presse@oeh-salzburg.at
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INHALT
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AUFGEBEN
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Plädoyer fürs Aufgeben
XXXXXXXXX Jetzt ist schon wieder was passiert!
Studium aufgeben? Für das Klima auf die Straße Fridays for Future "Nun sag, wie hast du's mit der Blasphemie?" 1 Jahr Social Media-frei Und was es mit mir gemacht hat
UNI & LEBEN
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Achtung, ÖH-Wahl! Der Untergang der LehrerInnenausbildung Das Ehrendoktorat des Mikis Theodorakis Stellungnahme des Rektors & Antwort der Redaktion Montagsfundamentalismus Bücherverteilung an der Universität Zeitmaschine Neue LehrerInnenbildung in Salzburg
Leser*innenbriefe
INHALT
POLITIK & GESELLSCHAFT
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"Die Heimat dankt Ihren Söhnen!" Gedenken & Erinnern in Salzburg Interview mit Christine Steger und Siegfried Trenker Das schwarze Gift Tone-Policing
KULTUR & MENSCHEN
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Mabacher #ungebrochen
Best Of Kevin Spacey Ein total objektives Best Pf Jenseits der Kunstnasen Interview mit Stefan Ripplinger Das Manifest - III. Finale Eine Erzählung in drei Aufzügen Mythos "saubere Wehrmacht" Veranstaltungsreihe Schon gesehen? Die uni:press Filmschmankerl Der ultimative uni:press Beisltest Teil 9 - Altstadt Stefan Zweig Die Gärten im Kriege
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Ä L [P [FÜRS AUFGEB Hat das denn alles noch einen Sinn, fragt man sich wenn man die Startseite eines beliebigen Newsportales öffnet. Da kann man noch so oft „refreshen“, besser wird’s nicht, ein Plädoyer zum Aufgeben!? Von Alma M.
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alzburg im Winter ist trostlos, der Jänner hat die stressige Prüfungszeit und die Semesterferien sind für die meisten entweder mit Seminararbeiten schreiben oder Arbeiten oder beidem gefüllt, aber warum das alles eigentlich? Warum Studieren, warum sich politisch engagieren? Warum nicht auch wie die Nachbarn die Biotonne mit Plastikverpackungen auffüllen, Mülltrennung, who has the time for it? Wo soll man mit seinem Frust als Mid-Twen hin, schließlich bleiben einem die Universitätsstandorte dieser Stadt nur für eines offen: Lernen und Lesen in den Bibliotheken, und das zu sehr begrenzten Öffnungszeiten, schließlich sollte man als Studierender ja nicht auf die Idee kommen sich – Gott bewahre – an ihrer Fakultät wohlzufühlen und nicht mit Tunnelblick und Büchern unter dem Arm geklemmt, so schnell wie möglich das Weite zu suchen. kann man sich auch Schöneres vorstellen als in kalten, zugigen Hallen zu sitzen, falls es überhaupt Sitzgelegenheiten gibt. Unifestln, ein „Phänomen“, das ich nur noch am Rande mitkriegen durfte, ältere Semester bekommen glasige Augen wenn sie vom Dach der Nawi erzählen, aber ja, vielleicht hilft ja nur der Studienabbruch? Christoph Würflinger weiß hierzu mehr. Da möchte man doch fast ein schick melancholisches Foto auf Instagram mit nachdrücklicher Caption ins Handy hämmern, mit seiner „bubble“ einen virtuellen Kleinkrieg auf Twitter ausfechten, oder doch noch einmal Facebook aktivieren und einen ellenlangen Post verfassen (den eh keiner lesen wird, weil Facebook eigentlich schon aus dem letzten Loch pfeift). Aber auch das hat alles irgendwie keinen Sinn mehr, ist frustrierend und überhaupt: wie viele Essensvideos, in denen jede essbare Substanz in Käse gebadet wird, kann man noch ertragen, bevor der Social Media-Exodus folgen muss? Mutigen Schrittes wagte Kati S. „den Ausstieg“, den sie für uns dokumentierte. Social Media ist wohl auch einer der größten Zeitfresser, gerade wenn es darum geht Unizeug zu erledigen. Es muss eine Korrelation zwischen der vermehrten Benutzung des Wortes „Prokrastination“ und soziale Medien geben, anders kann das doch alles nicht erklärt werden? „Alles ist so verdammt schnelllebig“, hört man sich murmeln und fühlt sich dabei als würde man das in einen weißen Rauschebart tun, so alt und auch so verloren zwischen Studium, Beruf, sozialem Engagement, politischer Mitsprache, der Entwicklung eines kritischen Geistes.
Was bleibt am Ende dieser Suderpartie gleich zu Beginn dieser Ausgabe? Sie klingt jedenfalls sehr nach „Früher war alles besser“, oder? So kann und darf man wohl niemals einen Gedanken, ein Gespräch, oder gar einen Artikel beenden. Schließlich gibt es wohl kaum eine Redewendung die unwahrer sein könnte als diese und die von konservativen Stimmen gerne mal entstaubt und über Diskussionen gestreut wird – das beste Beispiel, welches vor Kurzem die Medien beherrschte, war die vermehrte Anzahl an Gewalt gegen Frauen seit Beginn des Jahres 2019. Im Diskurs wurden auch Stimmen (männliche) laut, die sich nach den goldenen Zeiten zurücksehnten, in ungefähr diesem Unterton: „Da hätte es sowas nicht gegeben. Klar, die Rollenverteilung war eine andere, aber hat sich die Mama/Oma oder jede andere weibliche Bezugsperson denn je beschwert?“ Hätten sie, ja, und zwar wenn sie die strukturellen Rahmenbedingungen gehabt hätten und nicht wie ein gekauftes Eigentum dem Besitzer – ergo dem Ehemann - unterstellt gewesen wären, verdammt nochmal. Wehmütiges, mystifizierendes Zurückschauen bringt wohl nichts, aber was tun? Wirklich das Handtuch werfen und die totale Wurschtigkeit siegen lassen? Was nun folgt mag wie aus einem Kurs eines mittelmäßig begabten Motivationscoaches klingen, aber: Aufgeben kann befreien, die Last, die auf den Schultern prangt, lindern, und das ganz ohne dabei komplett das Handtuch werfen und alle Hoffnung zu verlieren. Hoffnung, noch so ein geflügeltes Wort, das gerne mit leicht pathetischem Unterton verwendet wird, sozusagen der Pluspol zum oftmals negativ konnotierten Aufgeben. Vor Kurzem habe ich in einer Kolumne der Autorin Margarete Stokowski folgenden Satz gelesen: „Was bleibt ist Hoffnung, aber nicht die Art von Hoffnung, wo man einfach wartet, bis es besser wird. Sondern die Art von Hoffnung, wo man selber kämpfen muss, damit es überhaupt was wird. Und: Respekt für alle, aber für die oben nicht mehr als für die unten.“ Augen verschließen hilft nicht, sudern und sich so auf einem gemachten Bett ausruhen wohl auch nicht. Das Zurücksehnen in die „goldenen alte Zeit“ ist ein Trugbild. Was bleibt ist der im Zitat eben erwähnte Kampf und dieser muss gar nicht so heroisch sein wie er klingt um viel zu bedeuten: Ein Kampf mit Wertschätzung vor seinem gegenüber und ohne Selbstaufgabe.
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[XXXXXXX] „Jetzt ist schon wieder was passiert“, gilt als einer der „signature-Sätze“ des österreichischen Autoren Wolf Haas. Nach einem überraschendem Todesfall und Krankheitsfällen in meiner nächsten Umgebung fragte ich mich: Was wird als nächstes passieren? Von Carolina Forstner
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ber den Tod hatte ich in meinem Leben wenn, dann nur in seiner allerharmlosesten Art und Weise nachgedacht: Ich weiß, dass der Song „Into my Arms“ von Nick Cave auf meinem Begräbnis gespielt werden sollte und manchmal, in Zeiten wo ich mich allein fühlte, streiften Gedanken meinen Kopf: „Würde die Person die mir vor zig Jahren das Herz gebrochen hat, bei meinem Begräbnis auftauchen?“ (Letztere Überlegungen entstammen meiner inneren Telenovela-Maschinerie, die mir ab und an dramatische Szenen in meinem Kopf spült, dramatischer als die lateinamerikanischen Originale). Zu fern lag bis vor ein paar Wochen die Erfahrung, dass eine Person aus dem näheren Umfeld sterben würde. War ich doch noch ziemlich klein als meine Urgroßeltern starben und jedwede andere Berührung mit dem Tod war zu fern um sie in persönliche Trauer zu fassen. Kurz nach der Todesnachricht, es handelte sich um einen Suizid, hörte ich eine wunderbare Geschichte über den eigensinnigen Wunsch eines Israelis, der, sein Name war Shlomo Avni, in einem jahrelangen Windmühlenkampf gegen israelische Behörden um sein Recht kämpfte, eine Bestattung abhalten zu können, ohne wirklich unter der Erde liegen zu werden. Avni wollte nach Aussagen von seinen Kindern einfach irgendwo in der Wüste abgelegt werden, als Futter für Schakale und anderes Getier. Er wollte, und das war wohl die Essenz seines Verlangens, sein Leben damit beenden, Neues zu schaffen - als Mahlzeit für wilde Tiere. Diesen ersten Forderungen wurde nicht nachgegangen, sie widersprachen so grundlegend den jüdischen Bestattungsgesetzen, dass Shlomo Avni fast alternativlos am Ende seines Lebens stand, vor ihm die verachtete konventionelle Bestattung. Avni, der, obwohl in den Achtzigern aber kerngesund, dachte nicht ans Aufgeben und suchte weiter nach Schlupflöchern in Gesetzen, die er vor Gericht ausfechten konnte. Um den ganzen bürokratischen Prozess der Geschichte auszusparen, komme ich gleich zum Ende der
Erzählung und auch zum Ende von Shlomo Avnis Leben: Er wurde 2016 im Kreise seiner Familie bestattet, so wie er es sich für seinen Tod immer gewünscht hatte: Als Futter für die Meeresbewohner Tel Avivs, umgeben von seiner Familie, die in einem von ihm erwünschten Party-Setting Abschied von ihm nahmen, jede Kleinigkeit, jeder Snack und alle Getränke wurden von Avni im Voraus penibel geplant. Diese Selbstbestimmtheit und genaue Vorstellung über die eigene Beisetzung verstörten und begeisterten mich zugleich und gehen mir gerade in den letzten Tage nahe, in denen das Thema „Tod“ mit all seinen Facetten als Schleierüber meinen Gedanken und Gesprächen schwebte. Ich diskutierte über einen „würdevollen Tod“ und hatte immer Avni im Hinterkopf, dachte lange im Stillen nach wie man „richtig“ trauert und ob es einen „angemessenen“ Weg gibt, einer Person zu gedenken. Es gibt soziale Gepflogenheiten, die sich in unser kollektives Gedächtnis über Tod und Trauer eingewoben haben. Die Vorstellung, wie in Shlomo Avnis Fall, seinen toten Körper als Tierfutter zu verwerten, widerspricht so grundsätzlich unseren gesellschaftlichen Standards, ob diese nun auf einem religiösen oder einem ethischen Gerüst bauen, dass wir nicht anders können, als es als eine Art von „Degradierung des Ablebens“ zu sehen, weil eine solche Art des selbstgewählten Begräbnisses allen Konventionen widerspricht. Im Nachdenken und stillen Gedenken an die verstorbene Person, öffneten sich in meinem Kopf immer weitere Türen, an die ich sonst eher selten klopfte und wenn, dann in abstrakten Situationen, die fernab von jeder persönlichen Bedeutung waren. Ich stellte mir Fragen wie: „Wie denke ich an mein eigenes Ableben? Oder auch: Ist es überhaupt notwendig den eigenen Tod zu thematisieren? Die Nachricht über den Tod des Freundes war ein Schock, der mich taumeln ließ. Obwohl ich nicht zum engsten Umfeld der Person gehöre, war ich wie gelähmt und bekam schnell zu spüren wie kompliziert trauern eigentlich sein kann.
Carolina Forstner studiert Jüdische Kulturgeschichte und ist neben ihrer Tätigkeit als Studienassistentin seit Anfang 2016 im Pressereferat aktiv.
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Dank der neuen Universitätsfinanzierungsverordnung (UniFinV) bekommt die Universität Salzburg in erster Linie Geld für Studierende, die mehr als 16 ECTS-Punkte pro Studienjahr sammeln. Die Strategie des Vizerektors für Lehre lautet daher: Mehr Studis müssen her! Aber sollte man sich nicht auch um jene kümmern, die ihr Studium abbrechen? Von Christoph Würflinger
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s gibt viele Gründe, ein Studium ohne Abschluss zu beenden: Manche können es sich ganz einfach nicht mehr leisten, vielen wird die Erwerbstätigkeit nebenbei zu viel, einige finden, dass das System Uni doch nicht das Richtige für sie ist und manchmal sind es auch ganz einfach persönliche Gründe wie etwa Betreuungspflichten. Das traditionelle Bild von Studierenden – Studienbeginn direkt nach der Matura mit spätestens 19 Jahren, kein Nebenjob und in erster Linie StudentIn – trifft nur auf die Minderheit der Studierenden zu. Mehr als zwei Drittel müssen neben dem Studium arbeiten. Auch Bildungs- und Migrationshintergrund können zu einem erhöhten Abbruchrisiko beitragen. Aber wie kann man verhindern, dass Menschen ihr Studium abbrechen? Beratung ausbauen! Viel zu viele Erstsemestrige drängen mangels Aufklärung über die vielen Möglichkeiten, die die Universitätslandschaft bietet, in wenige, große Studienrichtungen und merken nach kurzer Zeit, dass das gewählte Studium doch nichts für sie ist. Viele wechseln dann das Studium, manche schmeißen es aber auch ganz hin. Dass in der MaturantInnenberatung noch viel Potential steckt, ist kein Geheimnis. Den StudienanwärterInnen muss besser vermittelt werden, dass man später nicht nur mit einem Jus- oder BWL-Abschluss einen Job findet. Aber auch während des Studiums, besonders in geisteswissenschaftlichen Fächern ohne klar vorgegebenen Berufsweg, taucht oft die Frage nach der “employability” auf. Deshalb braucht es auch während des Studiums Info-Veranstaltungen, bei denen beispielsweise AbsolventInnen über ihre Karrierewege sprechen. Wer eine bessere Vorstellung davon hat, was man mit einem Abschluss in einem bestimmten Fach anfangen kann, wird eher bis zum erfolgreichen Abschluss studieren und sich nicht von einer angeblich finsteren beruflichen Zukunft abschrecken lassen.
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STEOP abschaffen! Die Studieneingangs- und Orientierungsphase wurde 2012 von der Bundesregierung eingeführt und hat genau einen Zweck: Studierende auszusieben und von der Uni zu drängen. Die erschreckenden Zahlen für Salzburg: Die Hälfte der StudienanfängerInnen schafft es nicht, die STEOP innerhalb des ersten Studienjahres zu absolvieren. Das bedeutet, dass die Betroffenen lediglich Lehrveranstaltungen im Ausmaß von maximal 22 ECTS-Punkten abschließen dürfen; danach ist Schluss. Diese Voraussetzungshürde ist gerade am Studienbeginn eine große psychische Belastung. Scheitert man an ihr, verliert man womöglich Familien- und Studienbeihilfe und muss das Studium aufgeben. Die Idee, im ersten Semester einen Überblick über das Studienfach zu geben, ist ja grundsätzlich keine schlechte; die aktuelle Regelung führt aber dazu, dass überforderte Erstsemestrige in Knock-out-Klausuren beinhart hinaus geprüft werden.
die mit dem Studium nichts zu tun haben (Gastronomie, Handel, Call Center etc.), bei denen man auch nicht von Semester zu Semester - dem Stundenplan entsprechend - Stunden tauschen kann. Gerade in Salzburg, wo die Mieten astronomische Höhen erreicht haben, reicht die Studienbeihilfe – wenn man sie denn überhaupt bekommt – bei weitem nicht aus. Einfache Maßnahmen würden helfen: Pflichtlehrveranstaltungen auch am Abend anbieten, bei der Organisation der Lehre die gesamte Woche nutzen (vor allem den Freitag), Lernunterlagen online zur Verfügung stellen, Vorlesungen aufzeichnen. Man sollte dabei keine Rücksicht auf ProfessorInnen nehmen, deren Ego es nicht verkraftet, wenn sie vor weniger als 50 Leuten vortragen müssen. An der Tatsache, dass die überwiegende Mehrheit der Studierenden arbeiten muss, wird sich wohl so schnell nichts ändern. Wenn man will, dass sich die Dropout-Rate verringert, muss man ihnen entgegenkommen.
„MAN SOLLTE KEINE RÜCKSICHT AUF PROFESSORINNEN NEHMEN, DEREN EGO ES NICHT VERKRAFTET, WENN SIE VOR WENIGER ALS 50 LEUTEN VORTRAGEN MÜSSEN.“
Mehr Personal! Viele Studierende, gerade aus bildungsfernen Schichten, sind oft mit dem Studium überfordert – nicht, weil sie nicht schlau genug wären, sondern weil sie sich ohne Unterstützung in einer völlig neuen Situation zurechtfinden müssen. Lehrende haben angesichts übergroßer Gruppenzahlen und Massenvorlesungen nicht die Zeit, solche Studierenden speziell zu fördern. Würde man mehr Personal einstellen und so die Gruppengrößen verringern, bliebe mehr Zeit für die einzelnen Studierenden.
Lebensrealitäten berücksichtigen! Mehr als zwei Drittel der Studierenden arbeiten neben ihrem Studium. Dabei handelt es sich meist nicht um Menschen in der Midlife-Crisis, die eine neue Herausforderung suchen und ein Studium gemütlich nebenbei absolvieren wollen; vielmehr sind sie auf Erwerbstätigkeit angewiesen, um sich das Studieren überhaupt leisten zu können. Meistens sind es Jobs,
Es wird nicht helfen, mit allen erdenklichen Mitteln zusätzliche Erstsemestrige in das System zu pressen, wenn ein großer Teil davon gleich im ersten Studienjahr wieder abspringt. Die Jubelberichte des uni-eigenen Propaganda-Blogs werden nicht dazu beitragen, vom Studienabbruch gefährdete Studierende an der Uni zu halten. Klüger wäre es, Maßnahmen zu setzen, die das Studium besser machen.
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] e S S A R T S IE D F U A A [FÜR DAS KLIM Wir befinden uns nicht in Zeiten des Klimawandels, sondern der Klimakrise. Es braucht nun ein starkes Engagement um die irreversiblen Schäden so weit wie möglich abzuwenden. Ein Appell von Katharina Rogenhofer und Paul Sajovitz
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ährend die Hitze- und Dürrewelle des Sommers 2018 weite Teile Europas fest im Griff hatte, passierte am 20. August 2018 etwas Bemerkenswertes. Eine 15-jährige Schülerin namens Greta Thunberg setzte sich, anstatt wie alle anderen Kinder dem ersten Schultag nach den Sommerferien beizuwohnen, vor den Schwedischen Reichstag in Stockholm. In ihrer Hand ein Schild mit der Aufschrift: „Skolstrejk för klimatet“ („Schulstreik für das Klima“). Welch enorme Resonanz diese einzelne Geste des Ungehorsams in der ganzen Welt haben würde, war Greta damals noch nicht bewusst: kaum ein halbes Jahr später streiken bereits Zehntausende SchülerInnen und Studierende und immer mehr Erwachsene auf der ganzen Welt jeden Freitag für das Klima - „Fridays for Future“ war geboren. Greta Thunberg hat mit ihrem kleinen Akt des Widerstands einen Stein ins Rollen gebracht. Mitt-
lerweile hat sich dieser Stein zu einer regelrechten Lawine ausgewachsen. In den vergangenen Wochen gingen 70.000 SchülerInnen in Brüssel auf die Straße, in Deutschland streiken junge Menschen in 52 verschiedenen Städten. Greta‘s Botschaft ist klar und unmissverständlich: „Ihr stehlt uns unsere Zukunft!“ Sie zeigt, dass die weitere Ausbeutung des Planeten für kurzfristige Profite nicht mehr unser Credo sein darf. Im Rahmen des Weltklimagipfels COP24 im polnischen Katowice richtete Greta den Erwachsenen dieser Welt aus: „Ihr sprecht nur davon, mit den gleichen schlechten Ideen weiterzumachen, die uns erst in diesen Schlamassel gebracht haben, wenn doch das einzig vernünftige Mittel wäre, die Notbremse zu ziehen. Ihr seid nicht erwachsen genug, um zu sagen, wie es ist. Sogar diese Bürde überlässt ihr uns Kindern ...“. Ihre Rede verbreitete sich wie ein Lauffeuer über die Welt und inspiriert seither unzählige Menschen in aller Welt, endlich aktiv zu werden.
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Greta zeigt, dass wir diese Krise nur lösen können, wenn wir sie als solche behandeln. Ein Bericht von über 600 Forschern und Forscherinnen – der IPCC Bericht – hat uns klare Vorgaben gemacht, was passieren muss, um eine nachhaltige Zukunft zu ermöglichen. Schaffen wir es nicht, bedeutet das katastrophale Folgen für die meisten Menschen und das Leben auf der Erde - auch in Österreich. Die hohen Temperaturen und der geringe Niederschlag dieses Jahr haben zu massiven Ernteausfällen geführt. Wirtschaft und Landwirtschaft leiden schon heute unter dem Klimawandel. Es geht schon lange nicht mehr um politische Einstellungen. Es geht langfristig um das Überleben, um Ernährungssicherheit, um eine lebenswerte Zukunft. Die jungen Menschen dieser Welt haben genug gesehen - sie ziehen die Generationen vor Ihnen in die Verantwortung. „Es ist das Leid der Vielen, das den Luxus der Wenigen bezahlt“, sagt Greta.
Das hat wohl gesessen. Wegen ihrer unverblümten Formulierungen sieht sich Greta leider auch jeder Menge Hass und Diffamierungen im Internet ausgesetzt. Doch immer mehr junge Menschen folgen ihrem Aufruf zum Schulstreik und stärken ihr den Rücken. Die Bewegung ist wohl nicht mehr aufzuhalten. Auch in Österreich streiken jeden Freitag Hunderte SchülerInnen, Studierende und Erwachsene unter dem Motto „Fridays for Future“ für eine mutige und ambitionierte Klimapolitik. Wenn man verstehen will, was die Jugendlichen wollen braucht man nur genau zuhören: „Die Klimakrise ist bereits gelöst worden. Wir haben schon lange alle Fakten und alle Lösungen. Alles, was wir tun müssen ist aufwachen und es ändern.“ Vielleicht schaffen die jungen Menschen ja endlich, was die Wissenschaft seit Jahrzehnten verzweifelt versucht: Die Welt wachzurütteln, bevor es zu spät ist.
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Mehr Informationen FridaysForFuture in Österreich: www.fridaysforfuture.at FridaysForFuture Wien: https://www.facebook.com/ FridaysForFutureVienna/
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[„Nun sag, wie hast du’s Valentinstag 1989: Das iranische Oberhaupt Ruhollah Chomeini spricht aufgrund der Satanischen Verse eine Fatwa auf Salman Rushdie aus. Er ist weder der erste, noch der letzte, der wegen sogenannter Gotteslästerung verfolgt wird. Der Kampf gegen blasphemische Kunst und Philosophie hat lange Tradition und wird auch heute noch durch das österreichische Strafrecht geschützt. Ein kleiner Überblick. Von Carlos P. Reinelt
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32 v. Christus: Der Seher Diopeithes erlässt ein Dekret, nach dem all jene verfolgt werden sollen, die nicht an die staatlich anerkannten Götter glauben. Er fürchtet um seinen Berufsstand, die aufstrebenden Sophisten Athens bereiten ihm Sorgen. Der Physiker Anaxagoras, der die Sonne als glühend heiße, feurige Eisenmasse beschreibt, ist der erste überlieferte Angeklagte aufgrund sogenannter Gotteslästerung. Ob er zu Tode verurteilt oder verbannt wurde, darüber gibt es unterschiedliche Überlieferungen. Wenige Jahre nach ihm wird mit dem Sophisten Protagoras ein prominenter politischer Gegner der Aristokraten im peloponnesischen Krieg zum Gotteslästerer erklärt und verbannt, seine Bücher verbrannt.1 Atheismus = Blasphemie Wie Georges Minois in seiner umfangreichen Geschichte des Atheismus nachzeichnet, beginnen hiermit die ersten Hexenjagden gegen Atheisten, die sich bis in die Gegenwart erstrecken. Die Verflechtung mit
politischen Interessen scheint dabei ein durchgängiger Topos zu sein. Als philosophischen „Vater der Intoleranz und der Unterdrückung des Atheismus“2 nennt er dabei Platon, womit er in eine ähnliche Kerbe wie Popper schlägt.3 Lange vor Platon, bzw. dem Dekret, vertreten einige Vorsokratiker bereits einen / materialistischen Atheismus, was damals noch unproblematisch ist. Allgemein lassen sich die Spuren des Atheismus ebenso weit zurückverfolgen wie die der Religionen – und sind somit weitaus älter als z.B. das Christentum oder der Islam.4 Ein Umstand, der gerne in Vergessenheit gerät. Deshalb muss die banale Tatsache immer wieder hervorgehoben werden, dass die Historiker nahezu die Gesamtheit ihrer Quellen den politisch-religiösen Autoritäten verdanken. Die französische Ethnologin Jeanne Favret-Saada macht dies in ihren Vorbedingungen einer Anthropologie der Blasphemie deutlich: In all den Diskussionen, welche die Rushdie-Affäre auslöste, wurde die Frage, was Blasphemie eigentlich sei, von den Experten kaum gestellt, geschweige
Carlos P. Reinelt ist Schriftsteller und Philosoph und studiert Germanistik in Salzburg. 2006 gewann er den Kängurutest der Mathematik in Vorarlberg. 1 Minois (2000), S. 33-39 2 Ebd., S. 46 3 Popper (2003), S. 104-105 4 Minois (2000), S. 13
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s mit der Blasphemie?“] denn beantwortet.5 Wenn, dann seien es ironischerweise die Religionsvertreter, welche normative Sätze aus den jeweiligen Lehren zitierten. Sicher scheint nur, dass es sich im Gegensatz zum Atheismus (eine relativ einfach definierbare Weltanschauung) um eine vollzogene Aktion handeln muss. Und diese Aktion wird bis heute durch den §188 des österreichischen Strafgesetzbuches unter Strafe gestellt. §188 und seine Folge Der Paragraph 188 stellt religiöse Herabwürdigung unter Strafe. Zu differenzieren ist dabei, dass es sich nicht um Beleidigung von Personen oder Gemeinschaften handelt. Es reicht die bloße Verspottung eines „Gegenstand der religiösen Lehre“ um sich strafbar zu machen.6 Dabei sei laut dem Oberlandesgericht Wien Schutzobjekt der Bestimmung „freilich nicht Gott, die Heiligen oder die Religion als solche, vielmehr ausschließlich der religiöse Friede“7. Dass die religiösen Kriege und gewaltvollen Unruhen eben nicht von den Atheisten ausgingen, scheint dabei irgendwie keine Rolle zu spielen. Bereits Hobbes schreibt als das 8. seiner Naturgesetze, dass es für den inneren Frieden keine Verächtlichmachung geben dürfe.8 Das Gemeinwohl sei durch die Freiheit der Polemik gegen die souverä-
ne Macht gefährdet, welche von „angeblich klugen Männern“9 betrieben werde, die er als Darmwürmer bezeichnet. Ähnlich ( jedoch weniger polemisch) sieht der Theologe Burkhart Berkmann in der Blasphemie eine Gefahr für den Frieden, die sich von der Gefahr durch Verhetzung wesentlich unterscheidet.10 Die Blasphemiegesetze seien in den westlichen Staaten – falls noch existent – zu rechtsgeschichtlichen Denkmalen verkommen.11 Dass dem nicht so ist, davon können einige Künstler ein Lied singen. Während Jelinek schreibt, dass sich die Zensur in Österreich normalerweise auf „öffentliche Beschimpfung kritischer, fortschrittlicher Künstler“ (an dieser Stelle ein Gruß an die Kollegin Sargnagel!) beschränke, gibt es in Österreich mehrere Fälle rechtswirksamer Zensur. So wird 1983 Herbert Achternbusch‘ Jesus-Satire Das Gespenst verboten. Die Kopien werden beschlagnahmt, nach 7 Gerichtsentscheiden wird der der Film 1985 durch den Obersten Gerichtshof endgültig verboten.12 Noch weiter geht der Fall rund um Werner Schroeters Das Liebeskonzil. Nach dem Verbot aufgrund der religiösen Herabwürdigung entscheidet die Europäische Menschenrechtskommission, dass die Verurteilung gegen den Art. 10 der EMRK (Freiheit der Meinungsäußerung) verstoße. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gibt in der
5 Favret-Saada (2015), S. 269 6 Bertel & Schwaighofer (2015), Österreichisches Strafrecht. Besonderer Teil II. S. 34 7 Die Presse (2015), Blasphemie: Justizminister will weiter strafen. 8 Hobbes, T. (1996), Leviathan. S. 128 9 Hobbes, T. (1996), Leviathan. S. 282 10 Berkmann, B. (2009), Von der Blasphemie zur “hate speech”? S. 93 11 Ebd., S. 13 12 Eilmansberger (1987), Der "Fall Achternbusch". S. 8
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Streitfrage allerdings dem Staat Österreich recht. Im EGMR-Urteil heißt es, aufgrund des hohen Anteils an Katholiken habe der Staat das Recht, die Meinungsfreiheit für den inneren Frieden zu beschneiden.13 Der amerikanische Germanistik-Professor Peter Brown befürchtet, dass dieses Urteil einen fatalen Präzedenzfall für ganz Europa bilden könne.14 Und so wird es auch immer wieder versucht. Sowohl gegen Haderers Karikaturband Das Leben des Jesu als auch jüngst gegen Ulrich Seidls Paradies: Glaube wurden von den Religionsvertretern rechtliche Schritte eingeleitet. Es ist höchst fragwürdig, dass solche Schritte in einem modernen Staat überhaupt möglich sind. Wo bleibt sie, die Blasphemie? Doch wo bleibt heute die Blasphemie und ihre Verteidiger? Sie scheinen verblasst. Tucholsky entschuldigt sich noch mit den Worten, dass er nicht gern mit einer Weltanschauung diskutiere, die sich strafrechtlich hat schützen lassen.15 Diese Resignation scheint heute noch aktuell zu sein, oder schlimmer noch, der Kampf scheint aufgegeben. Dass sich manch Konservativer an solche Gesetze klammert, liegt in der Sache der Natur. Wirklich bedauerlich ist aber der fehlende Rückhalt durch die Kulturschaffenden und scheinbar liberale Intellektuelle. Während man sich bei Rushdie noch gemeinsam hinter das Opfer der Blasphemie-Vorwürfe stellt, gibt es um den Karikaturenstreit keine breite Mehrheit, die sich eindeutig auf der Seite des Künstler positioniert.16 Selbst der Chefredakteur der Titanic Tim Wolff, normalerweise keine zart besaitete Seele, meint nach den Charlie-Hebdo Attentaten, man müsse nun unschuldige Menschen nicht durch Mohammed-Karikaturen beleidigen.17 Sama Maani fragt sich diesbezüglich im Standard, ob es denn linke Religionskritik überhaupt noch gebe.18 Momentan scheint sie leider erschlafft zu sein. Das Feld wird den Rechten überlassen, welche die scheinbar aufklärerische Kritik meist einseitig gegen den Islam betreiben. Im Regierungsprogramm wird erwähnt, dass man die Verfahren rund um den Strafbestand der religiösen Herabwürdigung erheben möchte.19 Dass dies deshalb geschieht, weil unserem Innenminister so viel an den Menschenrechten liegt, darf angezweifelt werden. Übrigens: Auch der Valentinstag ist ein Gegenstand religiöser (bzw. christlicher) Verehrung. Also machen Sie sich mit höhnischen Aussagen darüber potentiell strafbar. Wenn Ihnen der Kitsch dennoch zu viel wird, kann ich nur empfehlen, sich zurückzulehnen und ein gutes Buch zur Hand zu nehmen. Die Satanischen Verse wären ein guter Anfang.
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Berkmann, B. (2009) Von der Blasphemie zur “hate speech”? Die Wiederkehr der Religionsdelikte in einer religiös pluralen Welt. Berlin: Frank & Timme. Bertel, C. & Schwaighofer K. (2015) Österreichisches Strafrecht. Besonderer Teil II. §§169 bis 321j StGB. Wien: Verlag Österreich. Das Erste (2015, Jänner 8) Interview mit Tim Wolff. Nachtmagazin 8.01.2015 00:35. Abgerufen von: https://www.youtube.com/ watch?v=Z8lu4qmiwDs Die Presse (2015, 12 Jänner) Blasphemie: Justizminister will weiter strafen. Abgerufen auf: https://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/4636834/Blasphemie_Justizminister-will-weiter-strafen Griesacker T. (2000) Die Beschwerde des Otto Preminger Institutes gegen Österreich im Lichte der Judikatur der Europäischen Organe und Österreichischen Gerichtshöfe zum Art 10 EMRK. (Diplomarbeit). Salzburg: Universität Salzburg Favret-Saada, J. (2015) Rushdie und Co. Vorbedingungen einer Anthropologie der Blasphemie. In: Erhard Schüttpelz und Martin Zillinger (Hsg.): Begeisterung und Blasphemie. S. 267-284. Bielefeld. Transcript Verlag. Hobbes, T. (1996) Leviathan. Mit einer Einführung und herausgegeben von Hermann Klenner (Hsg.) Hamburg: Felix Meiner Verlag. Maani, S. (2017, Jänner 17) Linke Religionskritik – gibt’s das noch? Abgerufen auf: https://derstandard.at/2000050787476/Linke-Religionskritik-gibts-das-noch Minois, G. (2000) Geschichte des Atheismus. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Weimar: Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger. Popper, K. (2003) Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. Band I. Der Zauber Platons. In: W. W. Bartley III. (Hsg.) Gesammelte Werke in deutscher Sprache 5: Tübingen: Mohr Siebeck. Tucholsky, K. (1975) So verschieden ist es im menschlichen Leben! In: Mary Gerold-Tucholsky & Fritz Raddatz (Hsg.): Kurt Tucholsky. Gesammelte Werke, Band 9: 1931. S. 180-182 Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag. Brown, P. (2001) The Continuing Trials of Oskar Panizza: A Century of Artistic Censorship in Germany, Austria, and beyond. In: German Studies Review 24(3). 533 · October 2001
13 Griesacker (2000) Die Beschwerde des Otto Preminger Institutes gegen Österreich S. 51 14 Brown, P. (2001), The Continuing Trials of Oskar Panizza. S. 533 15 Tucholsky (1975), So verschieden ist es im menschlichen Leben! S. 180 16 Favret-Saada (2015), S. 272 17 Das Erste (2015), Interview mit Tim Wolff. 18 Maani (2017), Linke Religionskritik – gibt’s das noch? 19 Zusammen. Für unser Österreich. Regierungsprogramm 2017–2022. S. 43
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AUFGEBEN
[1 JAHR SOCIAL-MED IA FREI]
[Und was es] ] t a h t h c a m e [mit mir g „Das wirst du nie machen!“ „Geh Kati, ich hab´ keine Lust auf dein Drama, weil du wirst dich so oder so nie von Social Media verabschieden! Grade du nicht!“ (lachende Emojis) sind Sätze, die ich vor gut einem Jahr fast stündlich in meinem Postfach hatte, seit meiner öffentlichen Bekanntgabe, dass ich mich von Facebook und Co verabschieden werde. Ernst genommen hat mich irgendwie niemand. Zum damaligen Zeitpunkt (wahrscheinlich) noch nicht mal ich selber. Aber Alter, das muss man sich reinziehen! Menschen, die einen auf das virtuelle Leben reduzieren und einem die Hölle heiß machen, wenn man „gehen“ will. Ein Sektenaustritt ist wohl easier. Von Katrin Tiele
AUFGEBEN
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[Status: gefühlte Drölfmillionen ]
F
reundInnen, enorm hohe Klicks auf den „Abschiedspost“ und ich mittendrin. Oder zumindest das, was von mir über war. Ich fühlte mich ausgebrannt. Gläsern. Allein. Verkauft. Und extrem komisch. Klingt irgendwie dämlich, oder? Aber so fühlte ich mich. Als ich am Abend dann praktisch meinen öffentlichen Suizid begangen hatte, verließ ich eine Welt, eine Gesellschaft, der ich mich schon lange nicht mehr unterwerfen wollte. Um ehrlich zu sein, war ich es leid dem neuesten Shit auf Facebook und Co zu folgen. Nicht nur, dass ich mich plötzlich alt fühlte, sondern auch, weil ich so viel Elend, Leid und krassen Kontext mitbekam. Stichwort: Mobbing. Ich bemerkte auch, dass diese permanente Reizüberflutung mich irre machte, ich wollte ständig irgendwelche Sachen besitzen, von denen mir weiß gemacht wird, dass ich sie „brauchen“ würde. Nächstes Stichwort: Konsumverhalten. Am meisten Angst hatte ich allerdings davor unsichtbar zu werden. Ohne meinen Blog, meiner virtuellen Persönlichkeit war ich ja nichts. Nur eine von vielen. Ich würde in Vergessenheit geraten. Dass ich eigentlich etwas Besonderes bin, war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar. Ich fühlte mich weiterhin leer. Besonders der erste Morgen nach meinem 'Gehen' war schräg. Als hätte ich mit jemandem Schluss gemacht. Achja! Das hab ich ja auch! Mein Handy fühlte sich so nutzlos an und doch war es so, als würde extrem viel Ballast von mir fallen. Es schien leichter. 2 Monate später…. Der absolute Zusammenbruch. Es fehlte mir, ich wollte zurück. Ich dachte:“Yeah, zwei Monate, aber ich hab´ Bock auf Menschen, Bock auf Shit und Gossip. Back to Social Media Baby!“ (Ich hätte nicht wissen können, was mich erwartet) 12 Stunden später…wieder offline! Ich fasste mir also ein Herz und zog es durch! Langsam hatte ich den Dreh raus und ich fing an mich mit mir selbst zu beschäftigen. Was erstmal pervers klingt ist voller Ernst. Ich fing an meine Routine zu beobachten, mein Verhalten hatte sich geändert. Ich hatte nicht mehr den Drang mich selbst ständig und überall abzulichten und der Welt zu sagen: „Hey, schaut euch mein tolles Leben an! Bitte beachtet mich!"
Das Beste aber war, ich habe Gespräche geführt, geflirtet, gelacht… Und es war mir egal ob ich online präsent war. Denn ich bekam was Besseres, ein ehrliches Kompliment, ein ehrliches Lächeln und einen Bezug dazu, was es bedeutet „authentisch" zu sein. Unvoreingenommen, weil ich mein Gegenüber noch nicht vorher gegoogelt & gestalkt habe. Es mag seltsam klingen aber durch mein Verhalten auf diversen Social Media Kanälen, war ich zwar da und ich selbst, aber irgendwie auch nicht. Erst durch den 'Break' habe ich realisiert, dass das ein Lifestyle ist,den die Masse liebt und lebt. 24/7 Erreichbarkeit. Online um jeden Preis. Ein Lifestyle den ich nicht mehr leben möchte. Was ich mir damit eigentlich wirklich angetan habe wurde mir erst bewusst als ich ging. Oft habe ich mich gefragt wie ich „ICH“ sein kann, wenn ich jemand anderer sein muss um geachtet zu werden?
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AUFGEBEN
In realen Gesprächen hast du praktisch nicht die Chance lange zu überlegen. Es trifft dich und du musst reagieren. Rückblickend erkennt man deutlich, dass Dialoge anders verlaufen, wenn während des Gesprächs mehr Sinneseindrücke hinzukommen. Blickkontakt, Mimik & Gestik, Körperhaltung. Das fehlt online. Das Traurigste an dem Ganzen war für mich persönlich, dass ich neu lernen musste all dies zu interpretieren. Zuhören. Dinge, die wir eigentlich alle können, aber komplett verlernen weil wir verdummen. Einen Menschen vor mir zu haben, dessen Emotion mich berührt (egal warum) ist einfach mehr wert als sein Gesicht hinter einem Blechkastl zu verstecken. Aber auch leichter. Wer sagt jemandem schon gern die Wahrheit ins Gesicht? Im Internet geht sowas. Und genau das ist der springende Punkt: wir haben verlernt miteinander zu reden. Da wundert es mich nicht, warum so viele Beziehungen, Freundschaften, Ehen (…) auseinandergehen, wenn der Umgangston so ist wie er nun mal ist. Schnell, schnell eine Nachricht im Messenger getippt. Blockiert. Next! Bedauernswert. Zu vergessen wie man kommuniziert, oder sich und seinem Körper/Geist eine Pause zu schenken, vor allem aber auf sich selbst zu hören. Da hilft´s halt dann auch wenig, wenn man Yoga macht und der neueste Schnappschuss inklusive Lifestream dann auf diversen Social Media Kanälen landet. Und so ist Social Media die Bitch, die unser „Social-Life“, also das Echte, einfach killt. Man will von ihr weg, aber diese unendlichen Möglichkeiten schier ohne Grenzen sind geil. Sie lassen einen wichtig erscheinen. Bigger. Brighter. Und wenn´s dann darauf ankommt, präsentiert sie dir die Rechnung deines Lebens. Von deinen „Drölfmillionen“ FreundInnen interessiert sich keiner mehr für dich. Aber das war dir auch im Vorhinein schon klar. (Hoffentlich, sonst wär´s richtig traurig!) Deine „Freunde und Kontakte“ wissen im Real-Life nicht wer du bist, sie wissen nicht wen sie vor einem stehen haben und plötzlich fühlst du dich wie eine heiße, fallengelassene Kartoffel, die einst Teil eines wunderbaren Gratins war. Erst ist es richtig beschissen (plötzlich kann man nachvollziehen, wie sich „one-hit-wonder" anfühlen mussten). Im besten Fall checkt man bald darauf, dass es keinen Sinn macht, über etwas traurig zu sein, das nicht real ist.
In diesem Jahr habe ich eine Menge gelernt. Nicht nur über mich selbst, sondern auch über die Menschen. Nun weiß ich, was ich will und wie ich es machen muss um es zu bekommen. Beweisen muss ich mich nun nur vor mir selbst. Mich kann man nicht stalken. Die Menschen müssen vertrauen. Sich auf ihre Instinkte verlassen, auf ihr Bauchgefühl hören und sich selbst vertrauen. Sie müssen sich, wenn es erforderlich ist, die Mühe machen mich kennenzulernen. Mit mir sprechen. Und ich muss das Selbe tun. Und dafür bin ich eigentlich recht dankbar. Das Leben ist ein ständiges Abenteuer. Trends kommen und gehen. Kommunikationstechnologien entwickeln sich rasend weiter. Und manches lohnt sich sicher näher zu betrachten! Aber ich möchte mir diese Unvoreingenommenheit, ja dieses kindliche Verhalten beibehalten und mich überraschen lassen, wer hinter dem Namen steckt, von dem ich noch nichts weiß. Irgendwann werde ich zurück sein auf Social Media. Aber dann aus beruflichen Gründen und nicht zum Vergnügen. Passend für mich. Sodass ich mir selbst noch treu bleibe und mich weiterhin im Spiegel betrachten kann. Und bis dahin, sitze ich weiterhin da, versende meine Briefe ( ja, das tu´ ich wirklich!) und fühle mich wie eine Kaiserin!
uni & leben
ACHTUNG, V
ÖH WAHL! on Montag, 27. Mai 2019 bis Mittwoch, 29. Mai 2019 finden die ÖH-Wahlen statt. Wir haben die wichtigsten Termine für alle, die selbst aktiv werden wollen, kurz zusammengefasst:
8. April: Stichtag für die Wahlberechtigung – wer bis dahin nicht inskribiert ist, darf nicht wählen!
9. April: Beginn der Frist zur Beantragung einer Wahlkarte.
8. April: Beginn der Einbringungsfrist für Wahlvorschläge und Kandidaturen – wer mit einer eigenen Liste bei der Wahl zur Universitätsvertretung teilnehmen oder sich um ein Mandat in der Studienvertretung bewerben will, kann das ab 8. April machen.
23. April: Ende der Einreichungsfrist für Wahlvorschläge. 2. Mai: Ende der Einreichungsfrist für Kandidaturen. 20. Mai: Ende der Beantragungsfrist für Wahlkarten
Warum kandidieren? Bei den ÖH-Wahlen im Mai wird unter anderem auch die Zusammensetzung der zahlreichen Studienvertretungen bestimmt. Du musst die Wahl nicht als Zaungast betrachten, sondern kannst (und sollst!) selbst als StudienvertreterIn aktiv werden! Die Universität ist nicht bloß eine Ausbildungsstätte – sie ist ein politischer Raum. Jeden Tag werden Entscheidungen getroffen, die unseren Studienalltag prägen. Von der Planung des Lehrangebots über Änderungen von Studienplänen bis hin zu Personalentscheidungen haben wir Studierende ein Mitspracherecht. Eine Studienvertretung besteht aus 3 oder 5 gewählten MandatarInnen und unbestimmten Anzahl an weiteren Mitgliedern. Zentrale Aufgaben sind die Beratung von Erst- und Höhersemestrigen, die Vertretung studentischer Interessen in den universitären Gremien (z.B. Curricularkommission) und die Organisation von Veranstaltungen (Vorträge, Film- und Spieleabende, Brunches etc.). Den Möglichkeiten sind nahezu keine Grenzen gesetzt – manche Studienvertretungen geben eigene Zeitungen heraus, andere veranstalten eigene Studi-Feste. Die STV-Tätigkeit ist ein Ehrenamt und als solches unbezahlt. Trotzdem gibt es viele Gründe, sich zu engagieren. Mit deiner Tätigkeit als StudienvertreterIn kannst du greifbare Veränderungen an deinem Fachbereich erreichen: Verbesserungen der Studienpläne, attraktiveres Lehrangebot, studierendenfreundliche Besetzungen von Professuren, ein vielfältigeres Uni-Leben und vieles mehr! Die Beratung von Erstis und anderen Studierenden ist eine wichtige Hilfe für StudienkollegInnen, die sich im Wirrwarr der universitären Bürokratie und Informationsangeboten nur schwer zurechtfinden. STV-Engagement kann aber auch einen individuellen Nutzen haben: Durch die STV-Tätigkeit kann man neues Wissen und neue Fertigkeiten erwerben, die von Öffentlichkeitsarbeit über Verhandlungsführung bis hin zu Projektmanagement reichen. Wer in einer STV mitarbeitet, kann die kostenlosen Schulungsangebote der ÖH Salzburg nutzen. Zudem erhält man Einblicke, wie der eigene Fachbereich und die Universität funktionieren. Noch Fragen? Das Referat für Bildungspolitik der ÖH Salzburg (bildung@oeh-salzburg.at) gibt gerne Auskunft!
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UNI & LEBEN
DER UNTERGANG DER LEHRERINNENAUSBILDUNG WARUM DIE ABSCHAFFUNG DES UNTERRICHTSPRAKTIKUMS EINE BILDUNGSPOLITISCHE KATASTROPHE IST
Wer ein Lehramtsstudium abgeschlossen hat, musste bisher das einjährige Unterrichtspraktikum absolvieren, um vollwertig unterrichten zu können. Jetzt wird es durch die sogenannte Induktionsphase ersetzt. Das behutsame Heranführen von AbsolventInnen an den Unterrichtsalltag entfällt – sie werden ins kalte Wasser geworfen. Ein Kommentar von Jelena Runge Djordjevic
UNI & LEBEN
D
er Philosoph Konrad Paul Liessmann veröffentlichte 2014 sein Buch Geisterstunde: Die Praxis der Unbildung. Eine Streitschrift, in welchem er unter anderem „selbsternannte“ Bildungsexperten kritisiert, die Kompetenzorientierung aufs Schärfste angreift und den Niedergang des österreichischen Bildungssystems historisch ergründet. Jahre nach der Erstveröffentlichung seines Werkes zeigt sich, welche Auswüchse dieses Schreckensbild im Jahre 2019 in Österreich annimmt.
änderung stellt einen tiefgreifenden Einschnitt in der Entwicklung des Bildungswesens dar. Als wahrscheinlich eine der „letzten“ UnterrichtspraktikantInnen (mit der Fächerkombination Spanisch/Deutsch) habe ich das große Glück, noch im alten System ausgebildet zu werden. Dieses garantiert nach dem Studium einen Ausbildungsplatz in beiden Fächern. Deshalb ist es mir ein besonderes Anliegen, mich für die Erhaltung dieses sehr gut funktionierenden und wegweisenden Ausbildungsverfahrens auszusprechen.
Als ein solcher Spuk kann die Abschaffung des Unterrichtspraktikums (UP) für AbsolventInnen eines Lehramtsstudiums bezeichnet werden. Das UP ist das bisher rechtlich gesicherte erste Dienstjahr aller LehramtsabsolventInnen in den studierten Fächern. Diese von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkte Ver-
Der Abschaffung des UP, die aufgrund von Einsparungsmaßnahmen der Regierung beschlossen wurde, hat für zukünftige LehramtsabgängerInnen unserer Universitäten katastrophale Folgen. Konnten im UP „endlich“ alle studierten Fächer unterrichtet werden, ist das in der neu eingeführten Induktionsphase nahezu unmöglich.
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Im Studium habe ich alles gelernt, was man mit Kompetenzorientierung in Zusammenhang bringt; die Theorie beherrsche ich. Auf die Praxis wurde ich allerdings kaum vorbereitet. Sehr selten habe ich Korrekturarbeiten an authentischen Texten, Notenentscheidungen oder die Durchführung schriftlicher und mündlicher Prüfungen, die wesentlichen formalen Richtlinien unterworfen sind, geplant. Noch weniger aber wurde ich über Verwaltungsarbeiten und Rechtsgrundlagen aufgeklärt, die den Arbeitsalltag von LehrerInnen massiv bestimmen. Die Anforderungen, welche der Schulalltag an mich stellt, kann ich trotz gewissenhaften Studiums und ausgezeichneten Studienerfolgen tatsächlich nur durch die Unterstützung und Begleitung meiner BetreuungslehrerInnen meistern. Und nicht zuletzt ist es mir durch dieses gesicherte Ausbildungsverhältnis überhaupt erst möglich, in den von mir auserwählten Beruf hinein zu schnuppern. Denn die Aussichten, tatsächlich als Bundeslehrerin angestellt zu werden und Stunden in beiden Fächern zu bekommen, sind momentan jenseits von Gut und Böse. JunglehrerInnen werden nämlich aufgrund der langen Wartezeiten auf ein Abstellgleis gestellt, um dann 5, 10, 20 Jahre auf den erlösenden Anruf zu warten. Bereits jetzt kann ich sagen, dass nicht nur ich Zukunftsängste in Bezug auf einen fixen Job habe, sondern dass es zum Konkurrenzkampf zwischen jungen KollegInnen kommt, die sich im UP befinden, dieses abgeschlossen haben oder im neuen System dazu stoßen. Es ist schon erstaunlich, dass immer wieder Beschlüsse von uns allen, die diesen Beruf ausüben wollen, und denjenigen, die das schon tun, einfach so hingenommen werden. Die Begriffsänderungen vom UP zur Induktionsphase, die mit diesen Gesetzen und Verordnungen einhergehen, mögen zwar für manche gut klingen; sie machen aber den letzten Ausbildungsschritt für LehrerInnen zur Farce. Die „Induktionsphase“, die das UP ersetzen soll, hat wenig mit ihrem lat. Etymon inducere – also einem Hineinführen – zu tun. Außerdem verursacht sie noch vor ihrer tatsächlichen Einführung Angst um zukünftige Stellenangebote und enormen psychischen Stress bei den Menschen, die einen Beruf gewählt haben, der sie ohnedies zu Genüge herausfordern wird. Wie stellt man sich das eigentlich vor: Wer bekommt überhaupt die offenen Stellen an den Schulen? Rechtlich sind diesbezüglich konkrete Richtlinien jedenfalls schwer zu finden bzw. scheinen diese in der Öffentlichkeit noch nicht angekommen. Wurde die
Stellenvergabe früher vom Landesschulrat reguliert, heißt es nun in den Direktionen „get your teacher“ und für BewerberInnen in anderen Worten „friss oder stirb“. Flexibilität wird gefordert. JunglehrerInnen müssen bereit sein, in jeden Schultyp – unabhängig von ihrer fachlichen Qualifikation – einzusteigen; sie müssen in der Nachmittagsbetreuung arbeiten, in welcher sie nicht einmal das unterrichten können, was sie jahrelang studiert haben – dort spielen sie dann bestenfalls die Rolle des Erziehers oder der Lernhilfe; und sie müssen immer damit rechnen, dass jemand, der bereits länger im Beruf ist und zum Beispiel aus der Karenz zurückkehrt, Vorrechte hat. Wurde die Verantwortung für eine Klasse im UP noch gemeinsam mit dem/der zuständigen BetreuungslehrerIn geteilt, wird dieser Aspekt in der Induktionsphase nirgendwo definiert. BetreuungslehrerInnen werden von MentorInnen ersetzt. Diese können durchaus auch fachfremd (!) sein. Ich frage mich: Wie könnte ich mich mit einem Geographie-, Biologie-, Sportlehrer usw. über die Vermittlung der grammatikalischen Strukturen des Spanischen in der Unter- oder Oberstufe austauschen? Diese Fragen erscheinen mir in der Anfangszeit durchaus als ein legitimes Gesprächsthema, verlieren aber in der Induktionsphase ihren Platz. Die Fächer Deutsch und Spanisch sind mit einem sehr hohen Vor- und Nachbereitungsaufwand verbunden. Deshalb ist es für mich undenkbar, nicht wie im UP mit sieben Unterrichtsstunden (4 Deutsch, 3 Spanisch) zu beginnen, sondern mit einer vollen Lehrverpflichtung, die das Neue Dienstrecht für Junglehrinnen und Junglehrer vorsieht. Die Vorteile des UP liegen klar auf der Hand: Motivierte und vor Dynamik und Engagement sprühende JunglehrerInnen treffen auf Erfahrung, Routine und Realitätsbezug. Dieser Austausch mit erfahrenen, altgedienten LehrerInnen ist von enormer Bedeutung und kommt vor allem den Kindern und Jugendlichen zugute. Deshalb plädiere ich dafür, sich daran zu halten, was meine Betreuungslehrerin Ingeborg Pribas im November 2018 gesagt hat: „Nicht alles, was neu ist, ist auch gut – lassen wir doch das altbewährte System weiter funktionieren!“ Versuchen wir, diesem Spuk, der uns alle betrifft, ein Ende zu machen und erheben uns gegen irgendwelche „aufgesetzten“ nicht „durchdachten“ und „geregelten“ Beschlüsse! Das Unterrichtspraktikum muss erhalten bleiben und wenigsten den Einstieg in einen guten Berufsstart gewährleisten.
WIR SUCHEN UNTERSTÜTZUNG Du willst dich für eine gute Sache engagieren? Neben deinem Studium praktische Erfahrungen sammeln? Die ÖH sucht Studierende aller Studienrichtungen, die ab sofort mitarbeiten wollen: > Bildungs- und Diskussionsveranstaltungen > Social Media-, Kampagnen und Pressearbeit > Kritischer Journalismus > Frei:Kost – von Studierenden mit & für Studierende kochen > ÖH-Clubs – Sport, Spiel & Kultur
Schreib uns: mitmachen@oeh-salzburg.at
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UNI & LEBEN
STELLUNGNAHME DES REKTORS Sehr geehrtes Redaktionsteam von uni:press!
sagtem Interview von sich behauptet, Antisemit zu sein,
Sehr geehrter Herr Würflinger!
zurück: „ [...] man sagt in einem dreistündigen Interview irrtümlich ‚Anti-semit‘ anstatt Anti-Rassist, sie
Sie werden verstehen, dass ich auf Ihren Artikel „Die
greifen ein einzelnes Wort auf und heben es als Sieges-
Ahnungslosen“ in der jüngst erschienenen Ausgabe von
fahne hoch, weil das ihnen so passt. Wie viele Jahre hat
uni:press (#695, Dezember 2018, 29-31) reagieren muss.
man auf einen solchen Fehler von mir gewartet? Wie aber
Sie ziehen darin die Ehre einer weltbekannten Persön-
passt das Wort ‚Antisemit‘ mit dem zusammen, was ich
lichkeit in Zweifel, der unsere Universität aus Überzeu-
direkt danach im Interview sage? ‚Ich liebe das jüdische
gung die Würde eines Ehrendoktorats zuerkannt hat, und
Volk, mit dem wir in Griechenland zusammengelebt ha-
unterstellen nicht zuletzt mir als Rektor ein Fehlver-
ben, und ich hasse den Antisemitismus‘? Ich vermute, das
halten, das ich offen zugeben solle. Lassen Sie mich
haben meine Gegner nicht übersetzt. Das ist aber genau
dazu Folgendes sagen:
der nächste Satz! Es ist also nicht etwas, was ich jetzt versuche als Rechtfertigung zu erfinden, sondern ist so
Wie ich Ihnen bereits mitgeteilt habe, bin ich mir ganz
und beweist sich ohne Zweifel, wenn man den ganzen Satz
sicher, dass die Medien in aller Welt reagiert hätten,
hört, wie ich ihn formuliert habe, und nicht nur einen
wenn Mikis Theodorakis aufgrund seiner Äußerungen so
Teil von ihm […]“ (aus dem Griechischen übersetzt, Her-
interpretiert worden wäre, wie Sie es in Ihrer Darstel-
vorhebungen im Original; Quelle: http://theodorakism.
lung tun. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass ihn
blogspot.com/2013/10/blog-post_1370.html)
ausgerechnet die Universität Tel Aviv mit dem Ehrendok-
In diesem Zusammenhang scheint mir auch die in Wikipedia
torat ausgezeichnet bzw. dieses ihm nicht aberkannt hät-
(Artikel „Mikis Theodorakis“) nachzulesende Reaktion des
te, wenn er in Israel als der Antisemit empfunden worden
Zentralrats der Juden in Griechenland berücksichtigens-
wäre, wie sie ihn darstellen.
wert, der die Entschuldigung von Theodorakis für seinen Versprecher seinerzeit ausdrücklich angenommen hat:
Wenn ich wie Sie im Internet recherchiere, ergibt sich
https://kis.gr/en/index.php?option=com_content&view=ar-
für mich folgendes Bild:
ticle&id=422:the-response-of-the-central-board-of-jewish-communities-in-greece&catid=12:2009&Itemid=41
Sie stützen sich in Ihrem uni:press-Artikel vom 10.
https://kis.gr/en/index.php?option=com_content&view=ar-
Oktober d. J. "Ausgerechnet der Komponist der Mauthau-
ticle&id=421:mikis-theodorakis-letter-to-the-central-bo-
sen-Kantate behauptete von sich selbst, Antisemit zu
ard-of-jewish-communities-in-greece&catid=12:2009&Ite-
sein" auf die Quelle Jewish Telegraphic Agency: https://
mid=41
www.jta.org/2011/02/09/news-opinion/world/zorba-compo-
Gestatten Sie mir schließlich noch die Zitierung fol-
ser-declares-himself-an-anti-semite
gender Aussage von Theodorakis zum Holocaust als dem furchtbarsten Ausdruck des Antisemitismus: „[Als] ein
Die Jewish Telegraphic Agency bezieht sich auf den Ab-
ewiger Albtraum, der schlimmste Albtraum, den bisher
schnitt eines Interviews, welches Theodorakis am 3. Feb-
die Menschheit erfahren hat. Dieser Albtraum macht dich
ruar 2011 gegeben hat: https://www.youtube.com/watch?ti-
krank, allein der Gedanke daran. Die Opfer, vor al-
me_continue=33&v=ptigX_zNMtY Dieser Interviewabschnitt
lem die kleinen Kinder, werden in Dir zu kleinen En-
wiederum – ein kleiner Auszug aus einem dreistündigen
geln, und Du verspürst das Bedürfnis, vor ihnen auf die
Interviews – belegt, dass die Aussagen von Theodora-
Knie zu gehen, und sie ewig um Entschuldigung zu bitten
kis in der Pressemeldung von Jewish Telegraphic Agency
und ihnen zu sagen: Ich schäme mich, dass ich auch als
verkürzt und unkorrekt wiedergegeben wurden. In diesem
Mensch geboren wurde“. (https://theodorakism.blogspot.
Interview nämlich bekennt er nach einem Versprecher, den
com/2018/11/to.html)
er einräumt und dazu ausführlich Stellung nimmt (http://
Ich erwarte mir von uni:press, dass sie diese meine
theodorakism.blogspot.com/2013/10/blog-post_1370.html),
Stellungnahme als Reaktion auf den Beitrag „Die Ahnungs-
unmissverständlich: "So sehr ich den Antisemitismus has-
losen“ in der Ausgabe (#695, Dezember 2018, 29-31) in
se, so sehr hasse ich auch den Zionismus" (0:33). Genau
ihrer nächsten Ausgabe unverändert abdruckt. Ihre Leser
diese Aussage, die im selben Interview zu lesen ist,
und Leserinnen mögen dann selbst beurteilen, ob sie
wurde in der Pressemeldung von Jewish Telegraphic Agency
unseren Ehrendoktor Mikis Theodorakis für einen Anti-
ausgeblendet. Im selben Interview steht zudem der Satz:
semiten halten oder eben nicht bzw. ob sie sich weiter-
„Ich liebe das jüdische Volk, ich habe mit den Juden ge-
hin von der Universität im Allgemeinen und von mir als
lebt“. Daraus einen Antisemiten konstruieren zu wollen,
Rektor im Besonderen ein Eingeständnis von Fehlverhalten
halte ich nicht für gerechtfertigt.
erwarten.
Am 15. Juni 2012 kommt Theodorakis auf entsprechende Pressemeldungen, die verkürzt angaben, er habe in be-
Heinrich Schmidinger
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DAS EHRENDOKTORAT DES MIKIS THEODORAKIS
ANTWORT DER REDAKTION Sehr geehrter Herr Rektor, ich weiß nicht, ob „die Medien“ in dieser Angelegenheit ein guter Maßstab sind. Sie erinnern sich bestimmt noch an die Aberkennung des Ehrendoktorats von Konrad Lorenz – seines Zeichens immerhin ganz zweifelsfrei ein echter Nazi – und wie die Universität Salzburg deswegen tagelang am medialen Pranger gestanden ist. Andere Medien übersehen manchmal Dinge oder interessieren sich einfach nicht dafür, und immerhin: Das Medium „uni:press“ hat die Geschichte ja aufgegriffen. Dass Theodorakis auch von anderen Universitäten ausgezeichnet wurde, zeigt in erster Linie eines: Die Universität Salzburg steht mit ihrem Irrtum nicht allein da. Auch dieses Argument weckt Erinnerungen an den Fall Lorenz: Lorenz wurde nicht nur von verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen ausgezeichnet, sondern ist sogar Träger des Medizin-Nobelpreises. Wie die Universität Salzburg aber bei der Aberkennung seines Ehrendoktorats richtigerweise festgestellt hat, können Ehrungen anderer Institutionen keinerlei Einfluss auf die eigenen Ehrungen haben. Ein ähnlich differenzierter Blick wäre auch im Fall Theodorakis angebracht!
Es ist schon bemerkenswert, wie oft man falsch interpretiert werden kann. Als politisch Interessierter Österreicher kommt mir das bekannt vor. Gilt das denn auch für seine von mir zitierten Aussagen aus dem Jahr 2003? Ein Ausrutscher kann jedem Menschen passieren; wenn solche Aussagen aber öfter getätigt werden, dann ist die Ausrede, falsch interpretiert worden zu sein, mehr als unglaubwürdig. Sie zitieren Theodorakis‘ Aussage, wonach er den Antisemitismus wie den Zionismus hasse. Antizionismus, das wissen Sie bestimmt, ist lediglich ein Codewort für Antisemitismus. „Zionismus“ steht für die Legitimationsgrundlage des Staates Israel; „Antizionismus“ meint nicht weniger als die Forderung nach einer Auflösung des Staates. Diese „Berichtigung“ macht das Gesagte also nicht besser. Selbstverständlich drucken wir Ihre Stellungnahme gerne ab – überzeugt hat sie uns allerdings nicht. Beste Grüße Christoph Würflinger
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UNI & LEBEN
MONTAGSFUNDAMENTALISMUS Montag um 8:30 Uhr. Müde Gesichter schlendern durch den Innenhof der juridischen Fakultät. Stille. Plötzlich reißt mich ein breites, dennoch unsicheres Grinsen aus der tristen Wochenanfangsdepression. Nachdem meine evolutionär bedingte Abwehrhaltung nachlässt und mein Puls wieder in normale Sphären zurückfindet, erkenne ich trotz selbstdiagnostizierter Sehschwäche etwas in der Ferne. Das darf nicht wahr sein. Schweißperlen beginnen sich auf meiner Stirn zu bilden, der Puls steigt wieder – ein F-F-F-Fundi! Von Christoph Baumann
E
r beginnt sich in meine Richtung zu bewegen, ein Fluchtversuch ist aufgrund der Tageszeit und meiner dementsprechenden Bereitschaft zur körperlichen Betätigung ausgeschlossen. Der Jesus-Jünger kommt direkt auf den Punkt, ich solle ihm doch ein paar Fragen beantworten, dabei springt sogar etwas für mich raus! Aus meiner anfänglichen Furcht wird plötzlich Neugierde um was für eine Art von Belohnung handelt es sich? Bekomme ich etwa eine CD von meinem Lieblingsinterpreten Thomas Klein? Einen Gutschein für eine Bibel-Kreuzfahrt? Ihm zuliebe nehme ich die Kopfhörer aus meinen nun gespitzten Ohren. Es läuft „By The Blessing Of Satan“ von Behexen. Es folgen Fragen über Gott, welchen Platz er in meinem Leben hat, wie oft ich an Gott denke und so weiter. Mit dem geringsten Maß an Unvoreinge-
nommenheit, das ich nach der vorher erwähnten Reaktion aufbringen kann, beantworte ich diese nach bestem Wissen und Gewissen. Mein Blick noch immer zielstrebig nach vorne gerichtet, mein inneres Auge lechzt nach der Belohnung. Als die fünfte Frage fertig diskutiert ist, soll es nun soweit sein. Ich bekomme ein Buch: „Fragwürdig – Denkanstöße, die ein Leben verändern“. Der Name ist Programm – ein Buch, in dem die vorher besprochenen Fragen auf 94 Seiten purem Fundamentalismus aufgearbeitet werden. Richtig interessant ist aber eigentlich der Autor – Tom Short. Ein hierzulande recht unbekannter „Campus-Preacher“. „Campus-Preacher“ sind Leute, die sich in amerikanischen Universitäten herumtreiben und krampfhaft versuchen, alles zu bekehren, was bei Drei nicht auf den Bäumen ist. Tom Short schießt aber auch gerne mal über dieses Ziel hinaus.
UNI & LEBEN
„Leute, die sich ihrer Homosexualität hingeben, geben sich gleichzeitig auch gesundheitlich selbstzerstörerischem Verhalten hin!“ – mit vollem Selbstvertrauen posaunt er seine „moralisch richtige Message“ in die Welt hinaus. Er verteidigt seine Position mit zusammenhanglosen Zahlen und sucht verzweifelt Zustimmung, erhält aber nur entwurzelte Blicke. Tja, jetzt hat er auf Umwegen seinen Weg in mein Haus geschafft. Das Buch eines ultrareligiösen Schwulenhassers auf meinem Schreibtisch! Verfolgt man nun den Weg dieses Buches zurück, ist der Ursprung allen Übels der Innenhof meiner Universität. Es stellt sich also die Frage, wie eine Universität, eigentlich Nährboden des Wissens und der Objektivität, der Grund dafür sein kann, dass ich mir YouTube-Videos von einem Mann ansehe, um dessen geistige Verfassung es eher schlecht bestellt sein muss. Wie erhält jemand eine Genehmigung für eine solche Bücherverteilung? Sollte sich die Universitätsverwaltung nicht vorher mit solchen Themen auseinandersetzen? Jeder hat das Recht seine Religion auszuüben, keine Frage, doch bei jeder Art von Hetze sollte die Grenze gezogen werden.
Und wer verteilt diese Bücher? Der leibhaftige Wolf im Schafspelz, eine scheinbar unschuldige „Studentengruppe“ auf der Jagd nach bekehrbarem Freiwild. Laut PLUSonline handelt es sich um einen gewissen „Christlichen Studentenkreis Salzburg“. Kommt euch bekannt vor? Mir auch nicht. Im Gegensatz zu anderen Studi-Gruppen tritt dieser „Studentenkreis“ öffentlich nicht in Erscheinung – keine Homepage, keine Facebook-Seite, kein Garnichts. Mysteriöse Vereinigungen, die rückständige Ideen verbreiten – die Uni machts möglich. Vielleicht weil niemand genau hingesehen hat, vielleicht aus vorauseilendem Gehorsam, weil der Chef Theologe ist. Aber egal wie die Gruppe zu dieser Plattform gekommen ist: menschenverachtende Fundi-Propaganda wie Homophobie oder Konversionstherapie hat an einer Universität keinen Platz. Tom Short, der Autor des vorher erwähnten Buches prahlt damit, mindestens 20 Homosexuelle durch Gebete zur Heterosexualität bekehrt zu haben – eine Universität sollte sich lieber damit befassen, Leute wie ihn auf den Weg der Vernunft zu bringen, aber nicht seine Hetzschrift zu verbreiten.
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zeit masch ine Interessantes, Kurioses und Schockierendes in alten uni:press-Ausgaben, entdeckt und ausgegraben von Christoph Würflinger Der jüngste Wirbel um die neue Lehramtsausbildung an der Uni Salzburg ist noch in bester Erinnerung. Schon bei der Entwicklung der neuen (mittlerweile schon wieder alten) Lehramtscurricula haben Studierendenvertreter der ÖH Salzburg vor unsinnigen Schnellschüssen gewarnt. Die Uni-Leitung hat sie nicht gehört. In einem uni:press-Artikel aus dem März 2013 hat der damalige bildungspolitische Referent der ÖH, Robert Obermair, seine Bedenken ausführlich dargelegt. Was davon tatsächlich eingetreten ist, sollte nach den Erfahrungen der letzten Semester allen klar sein.
NEUE LEHRERINNENBILDUNG IN SALZBURG – EIN VORSCHNELLER HÜFTSCHUSS? Nach jahrelanger Vernachlässigung der LehrerInnenausbildung in Salzburg ist das zuständige Vizerektorat endlich aufgewacht: Seit ungefähr einem Jahr wird im Rahmen der neu gegründeten School of Education (SoE) auch in Salzburg versucht, die Ausbildung zukünftiger LehrerInnen auf neue Füße zu stellen. Im Gegesatz zu anderen Universitäten zeigt die Universität Salzburg im Konkurrenzkampf mit den Pädagogischen Hochschulen großes Engagement: Nicht weniger als eine gänzliche Neuausrichtung der LehrerInnenausbildung ist geplant. VON ROBERT OBERMAIR
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Wunderbar, könnte man meinen: Endlich werden jahrelang ignorierte Missstände in Angriff genommen. Und es gibt derer viele: Seit Jahrzehnten haben Lehramtsstudierende das Gefühl, unwichtiger als ihre „regulären“ KommilitonInnen zu sein. Sie erhalten weniger ECTS-Punkte für gleiche Lehrveranstaltungen, klagen über mangelnde Praxiserfahrungen, müssen selbstständig versuchen, oft sehr unterschiedliche Studienpläne zu kombinieren. Über die Tatsache, dass die jüngste Initiative hauptsächlich deshalb erfolgt ist, weil (nicht nur) die Universität befürchtet, die Pädagogischen Hochschulen könnten die LehrerInnenausbildung ganz an sich ziehen (also auch die LehrerInnen der Sekundarstufe II), könnte man ja getrost hinwegsehen – Hauptsache es tut sich endlich was. Aber was sich tut, lässt nichts Gutes hoffen.
„DIE OFFENKUNDIGEN MÄNGEL IN DER PLANUNG SIND MANNIGFALTIG.“ Seit Monaten arbeiten VertreterInnen von Mittelbau, ProfesorInnenkurie, der SoE, des Rektorats und der ÖH Salzburg im Rahmen der Curricularkommission Lehramt an neuen Lehrplänen für die zukünftige LehrerInnenausbildung. Doch je länger sich die Verhandlungen über die neuen Currcula hinziehen, desto öfter stellt sich die Frage, ob all diese Veränderungen tatsächlich im Sinne der Studierenden bzw. der angehenden LehererInnen sind. Die offenkundigen Mängel in der Planung, die in den vergangenen Monaten immer sichtbarer geworden sind und auf die vonseiten der ÖH Salzburg seit Monaten vehement hingewiesen wird, sind mannigfaltig.
HALBLEHRERINNEN OHNE JOBPERSPEKTIVEN? Das augenscheinlichste Problem stellt wohl die Umstellung auf ein Bachelor/ Masterstudium dar: In Zukunft sollen LehrerInnen ein acht Semester dauerndes Bachelorstudium absolvieren, dem ein vier Semester dauerndes Masterstudium folgen soll. Die dringendste Frage, die sich hier stellt, ist die nach den Berufsaussichten für BachelorabsolventInnen. Auch wenn VertreterInnen der Universität Salzburg nicht müde werden, zu betonen, sie würden es für wünschenswert halten, dass alle BA-AbsolventInnen gleich im Anschluss das Masterstdium beginnen bzw. der Gesetzgeber doch alternativ dazu Stellen für BA-LehramtsabsolventInnen schaffen solle, stellt sich doch die Frage, warum diese Umstellung vollzogen werden muss, wenn niemand weiß, zu welchen Tätigkeiten ein BA-Abschluss überhaupt berechtigen würde. Ähnlich wie für „halbe ÄrztInnen“ (MedizinstudentInnen mit BA-Abschluss) gibt es in Österreich, anders als im angelsächsischen Raum, keine klar definierten Berufe für „halbe LehrerInnen“.
„ES GIBT IN ÖSTERREICH KEINE KLAR DEFINIERTEN BERUFE FÜR “HALBE LEHRERINNEN”.“ Die Umstellung auf ein solches System würde sowohl die EntwicklerInnen der Curricula als auch Studierende vor weitere Hürden stellen: So wird zum Beispiel die Absolvierung eines Auslandssemesters in Zukunft vermutlich noch schwieriger als bisher. Aufgrund der sehr rigiden Struktur des BA-Studiums wird es innerhalb der Mindeststudienzeit de facto nur mehr möglich sein, im siebten Semester ins Ausland zu gehen.
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Im Masterstudium gibt es ähnliche Probleme: Geht es nach den Vorstellungen des Rektorats der Universität und des Direktoriums der SoE, soll das jetzige Unterrichtspraktikum (dann „Induktionsphase“ genannt), das bisher nach Abschluss des Studiums ein (Schul-)Jahr lang zu absolvieren war, in das Masterstudium integriert werden. Auch wenn es hierfür noch keine konkreten Beschlüsse in den zuständigen Gremien der Universität Salzburg gibt, wird diese Induktionsphase vermutlich in den ersten beiden Semestern des Masterstudiums stattfinden müssen, da ja vor allem im vierten Semester die Masterarbeit geschrieben werden soll. Das wirft allerdings gleich mehrere weitere Probleme auf: Aus rechtlicher Sicht ist es derzeit nur dann möglich, ein Unterrichtspraktikum zu absolvieren, wenn der/ die AbsolventIn bereits einen Magister-/MA-Abschluss einer Universität erworben hat. Daher ist dieser Plan im Moment rein rechtlich nicht umsetzbar. Aber auch aus finanzieller Sicht birgt die Umstellung viele Nachteile. Besonders schwerwiegend: Nachdem Studierende nur noch bis zum Alter von 24 Jahren Anspruch auf Fa-
milienbeihilfe haben, würde das für die Zukunft bedeuten, dass Lehramtsstudierende diese nur mehr während des BA-Studiums erhalten würden. Dies erklärt sich daraus, dass die Studierenden während der Induktionsphase (wenn diese ähnlich vergütet wird wie das jetzige Unterrichtspraktikum) die Zuverdienstgrenze überschreiten würden und daher kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestünde. Nach der Induktionsphase wäre aber in den meisten Fällen die vorgegebene Altersgrenze bereits überschritten. In Bezug auf die Induktionsphase stellt sich noch eine weitere Frage: Bis jetzt war es LehramtsabsolventInnen verschiedener Universitäten in Österreich möglich, in Schulen im ganzen Land ihr Unterrichtspraktikum zu absolvieren und bei der nächstgelegenen PH die Begleitkurse dazu zu absolvieren. Nachdem diese Begleitkurse aber nunmehr während der Induktionsphase an der Universität Salzburg angeboten werden sollen/müssen, wird es zukünftigen AbsolventInnen vermutlich nicht mehr möglich sein, frei zu wählen, wo sie ihre Praxiserfahrung erwerben wollen.
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GESETZLICHE VORGABEN WERDEN IGNORIERT Grundsätzlich ist der Ansatz der Universität Salzburg, neue Wege in der LehrerInnenbildung zu gehen, eindeutig zu befürworten. Klar ist, dass die Universitäten generell neue Konzepte für die LehrerInnenbildung entwickeln müssen. Dashaben verschiedene RegierungsvertreterInnen und ministerielle Arbeitsgruppen sowie die ÖH in den letzten Jahren immer wieder deutlich gemacht. Es ist auch klar, dass eine solche Umstellung nicht ohne eine breit angelegte Diskussions- und Planungsphase abgehen kann. Diverse Aspekte des Vorhabens sind aus heutiger Sicht noch kritisch zu hinterfragen. Sollten sie dennoch Realität werden, muss in den kommenden Jahren zumindest eine Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen erfolgen, die einen möglichst reibungslosen Ablauf garantiert. Aber gerade aus diesen Gründen ist es unverständlich, warum sich die Universität Salzburg das „ehrgeizige“ Ziel gesetzt hat, bereits im Wintersemester 2013/2014 mit dem neuen Lehramtsstudium zu beginnen. Darf man den Informationen aus den zuständigen Ministerien Glauben schenken, soll noch im März, spätestens jedoch im April, eine Gesetzesnovelle zur LehrerInnenausbildung präsentiert werden. Darin soll geregelt werden, wie die LehrerInnenausbildung in Zukunft vonstatten gehen soll. Man möchte meinen es wäre im Interesse der Universität Salzburg, diese Vorgaben in die neuen Curricula einzuarbeiten. Stattdessen sollen bereits Ende April alle 17 Curricula fertig ausgearbeitet vorliegen und im Mai dem Senat der Universität zur Abstimmung vorgelegt werden. Man will also den Gesetzgeber in der vergeblichen Hoffnung auf die Vorbildwirkung des „Modells Salzburg“ vor vollendete Tatsachen stellen. Ob das die Regierung bzw. den Nationalrat beeindrucken wird, ist fraglich. (Man muss hier auch immer die sehr unterschiedlichen parteipolitisch geprägten Interessen der beiden zuständigen Ministerien im Hinterkopf behalten,
die eine Vorhersage des tatsächlichen Gesetzestextes deutlich erschweren.) Falls nicht, könnte das bedeuten, dass bereits in einigen Jahren wieder akuter Reparaturbedarf am Salzburger Modell besteht. Auf der Strecke bleiben dabei die Studierenden.
„ES KÖNNTE BEREITS IN EINIGEN JAHREN WIEDER AKUTER REPARATURBEDARF AM SALZBURGER MODELL BESTEHEN. AUF DER STRECKE BLEIBEN DABEI DIE STUDIERENDEN.“ IM INTERESSE DER STUDIERENDEN? Nicht nur in dieser Hinsicht werden die Anliegen der Studierenden oft einfach ignoriert. Im Dezember 2012 führte die ÖH Salzburg eine groß angelegte Umfrage unter Lehramtsstudierenden der Universität Salzburg durch. Deren durchaus aussagekräftige und teilweise kontroverse Ergebnisse wurden nach Abschluss den zuständigen EntscheidungsträgerInnen präsentiert. Leider scheinen die Erfahrungen der unmittelbar Betroffenen im Entscheidungsprozess der Universität keine Rolle zu spielen: Die Studienergebnisse wurden zwar gemeinsam analysiert und diskutiert, aber nicht näher in zukünftige Curriculumsentwicklungen einbezogen. Wir lassen trotzdem nicht locker! Die ÖH Salzburg fordert, dass der Curricula-Reform die nötige Zeit gegeben wird, die notwendig ist, um zu gewährleisten, dass nicht vorschnelle Änderungen, sondern überlegte und breit diskutierte Maßnahmen am Ende des Reformprozesses stehen. Bevor vernünftige Curricula ausgearbeitet und vom Senat genehmigt werden können, müssen noch viele offene Fragen geklärt und gesetzliche Vorgaben abgewartet werden. Von einem überhasteten Umstieg werden weder die Universität noch die Studierenden in irgendeiner Form profitieren. uni:press #672, März 2013
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LESER*INNENBRIEFE FREUNDERLWIRTSCHAFT Lieber Christoph Würflinger! Eine kleine Rückmeldung zu deinem Artikel zu Heinz Schaden ... Ich kann einigen Argumenten durchaus folgen, warum Schaden keine Lehrveranstaltung zum genannten Thema leiten soll. Vor allem das Argument, dass er selbst in der genannten Zeit politischer Entscheidungsträger war und somit sicherlich keinen objektiven Blick auf die Geschehnisse einnehmen kann. Das Argument „gerichtsbekannt“ hingegen finde ich mehr als seltsam in einer Studierendenzeitung. Ich persönlich habe mich immer schon gefragt, was genau es bringen soll, verurteilte und vorbestrafte Menschen aus dem Berufsleben bzw. der Gesellschaft zu exkludieren. Mir fällt einfach kein logischer Grund dafür ein, es sei denn, es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen dem Delikt und einer bestimmten Tätigkeit. Schaden ist noch dazu nicht einmal rechtskräftig verurteilt. Ihn vorzuverurteilen bzw. wegen des anhängigen Verfahrens von vornherein auszuschließen halte ich für eine sehr konservativ-spießige Haltung. Jedenfalls nicht progressiv, wie ich es von der uni:press erwartet hätte. Aja, künftig ist ohnehin zu erwarten, dass mehr und mehr Menschen, die gegen den Rechtsruck in unserer Gesellschaft Widerstand leisten, kriminalisiert werden. Es wäre sehr schade, wenn sie dann auch von letzten Zufluchtsorten wie den Unis ausgeschlossen würden. Liebe Grüße, Veronika Weis
UNI UND DEMOKRATIE Liebe Redakteurinnen und Autorinnen der uni:press! Ich wollte Euch mitteilen, dass ich eure Zeitschrift mit zu den besten Schriftstücken zähle, die an Uni Salzburg im weitesten Sinne hervorgebracht werden! Insbesondere hebt sie sich positiv von den diversen Aussendungen und Emails, die wir von der Verwaltung erhalten, hervor. Eure Berichte zu den Vorgängen um das Rektorat, aber auch um Studienreformen und UG2002 treffen praktisch immer den Nagel auf den Kopf. Ebenso, was die Zersetzung der demokratischen Strukturen, die mittlerweile enormen Schaden an Universitäten und damit der Gesellschaft als Ganzes anrichten, betrifft. (Und wenn man vor lauter Frust nicht mehr weiter weiß, reißt einen die Beislkritik wieder auffi.) Was die oben genannten Themen betrifft möchte ich euch versichern, dass auch große Teile des Mittelbaus und nach meiner Einschätzung sogar einige aus der sog. "Professorenkurie" hinter euren Anliegen stehen. Wir brauchen dringend eine deutliche Enthierarchisierung, höhere soziale Durchlässigkeit, Demokratisierung, damit wir uns geistig wieder gegenüber Neuem und Unkonventionellem öffnen können. Ebenso zählt die Motivation jeder einzelnen Studentin, sich die Fächer anzueignen und nicht nur ein Rad in einer Mühle zu sein, in der es nur darum geht, "credit points" anzusammeln und "work loads" zu erfüllen. Mich als Wissenschaftler treibt das gemeinsame Streben nach Erkenntnis und Wissen an, ich möchte gerne Kreativität und Freiheit des Denkens maximal unterstützt sehen. Bei den momentanen Verhältnissen wird aber genau das immer mehr gefährdet und verhindert. Interessegestützte Forschung und Lehre kann nur erfolgreich sein, wenn wir in einer Umgebung arbeiten, die uns allen Freude statt Frust und Überlebenskampf bereitet. Macht weiter mit eurer guten Arbeit!
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„DIE HEIMAT DANKT IHREN SÖHNEN“
Für lange Zeit war die Stadt Salzburg nicht gerade für einen verantwortungsvollen Umgang mit der eigenen düsteren NS-Vergangenheit bekannt. Erst in letzter Zeit wurden durchaus engagierte Schritte gesetzt, um sich dieser Vergangenheit zu stellen, wobei vor allem das groß angelegte Projekt „Die Stadt Salzburg im Nationalsozialismus“ hervorgehoben werden muss. Im Gedenkjahr 2018 wurde endlich ein Mahnmal für die Salzburger Bücherverbrennung errichtet und neuerdings werden sogar die beiden Thorak-Statuen im Kurgarten mit Infotafeln kontextualisiert. Sind damit nun tatsächlich alle „offenen Baustellen“ in der Salzburger Erinnerungspolitik beseitigt? Eine kritische Betrachtung von Robert Obermair.
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ie Diskussion um das „braune Erbe“ der Stadt brandet seit Jahren immer wieder auf und entzündet sich meist an konkreten Orten in der Stadt. In den letzten Jahren intensivierte sich – nicht zuletzt wegen der Diskussion um den Nazi-Bildhauer Josef Thorak – auch die Debatte um die Namen von Straßen und Plätzen in Salzburg. Nicht nur die nach Thorak benannte Straße in Aigen erinnert an einen Nationalsozialisten – sage und schreibe 46 Straßen und Plätze tragen die Namen (prominenter) NationalsozialistInnen. Auch die Erinnerung an die Salzburger Euthanasiemorde war, gerade wegen der mutwilligen Zerstörung des Mahnmals im Kurgarten, vor einiger Zeit wieder in aller Munde und die bereits erwähnte Bücherverbrennung am Residenzplatz wurde anlässlich des 80. Jahrestags des Ereignisses breit diskutiert.
Weiße Flecken in der Erinnerung Bei all dieser medialen und öffentlichen Aufmerksamkeit, die dieser oft wohl auch unliebsamen Vergangenheit in den letzten Jahren zugekommen ist, bleiben trotzdem einige, im öffentlichen Raum sehr präsente Orte aus der Diskussion weitgehend ausgeklammert. Man denke hier beispielsweise nur an das riesige Sgraffito des Nazi-Künstlers Karl Reisenbichler (nach dem übrigens ebenfalls eine Straße in Aigen benannt ist!) am Waagplatz oder den abgewandelten SS-Wahlspruch („Unsere Ehre hieß Treue“) beim Mozartsteg. Im Zentrum des Interesses dieses Artikels steht allerdings ein anderer Erinnerungsort Salzburgs: das 1959 vom damaligen Landeshauptmann Josef Klaus enthüllte Kriegerdenkmal in Maxglan, das sich an der Siezenheimer Straße vor der Außenmauer des dorti-
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gen Stadtfriedhofs befindet. Auf den ersten Blick unterscheidet sich dieses Denkmal nicht besonders von anderen derartigen Denkmälern: Listen Verstorbener (in diesem Falle sowohl Gefallener und Vermisster als auch ziviler Opfer aus beiden Weltkriegen) gruppieren sich um ein großes Kreuz. Auch die Darstellung der beiden Personen im Zentrum der Installation („Abschied des Soldaten“ von Josef Kiss), ist in dieser Form nicht außergewöhnlich und weckt Erinnerung an viele ähnliche Denkmäler in Stadt und Land. Was dieses Denkmal allerdings besonders macht, ist die im Sockel der Bronzeplastik eingemeißelte Inschrift: „Die Heimat dankt ihren Söhnen.“
„DEUTSCHE UND ÖSTERREICHISCHE MÄNNER ZOGEN ZWISCHEN 1939 UND 1945 EINE SCHNEISE DER VERWÜSTUNG UND ZERSTÖRUNG DURCH GROSSE TEILE EUROPAS..“ Dank? Nun stellt sich konsequenterweise die Frage, wem hier „gedankt“ wird. Den verstorbenen Frauen, die sich unter den 517 angeführten Namen finden, offensichtlich nicht. Den männlichen zivilen Opfern vermutlich auch eher nicht, denn warum sollte jemandem dafür gedankt werden, dass er von einer Bombe getötet wurde? Der Dank gilt also folglich den gefallenen und vermissten Soldaten, die ohnehin die Mehrzahl der angeführten Namen stellen. Lassen wir für diese Analyse Soldaten des Ersten Weltkriegs einmal weg, auch wenn sich hier ein genauerer Blick ebenfalls sicherlich lohnen würde. Interessanter ist in diesem Fall aber sicher der auf diesem Denkmal ausgesprochene „Dank“ der „Heimat“ an die Soldaten des Zweiten Weltkriegs. Wir erinnern uns: deutsche und österreichische Männer zogen mit Hilfe Verbündeter zwischen 1939 und 1945 eine Schneise der Verwüstung und Zerstörung durch große Teile Europas und anliegender Regionen. Sie bildeten das Rückgrat des nationalsozialistischen Angriffskrieges, der „Lebensraum“ für die „arische Volksgemeinschaft“ schaffen sollte und gleichzeitig nicht nur die Lebensgrundlage Millionen anderer Menschen zerstörte, sondern vor allem
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im Osten auch in einer aktiven Vernichtungspolitik gegen die dortige Bevölkerung – laut NS-Diktion „Untermenschen“ – ausartete. Nicht erst seit der Wehrmachtsausstellung in den 1990ern ist bekannt, dass es keinesfalls nur die SS-Verbände waren, die sich in diesen Jahren abscheulichster Verbrechen schuldig machten. Auch Wehrmachts- und Polizeiverbände beteiligten sich an Massakern, Meuchelmorden und anderen Grausamkeiten.
„36 STUNDEN LANG WURDE ALLE VIER SEKUNDEN EIN MENSCH ERMORDET.“ Wehrmachtssoldaten übten Gewalt gegen Kriegsgefangene, PartisanInnen, Juden und Jüdinnen und generell die gesamte Zivilbevölkerung aus. So waren Wehrmachtssoldaten beispielsweise an den Mordaktionen in der Schlucht Babyn Jar (in der Nähe der ukrainischen Hauptstadt Kiew) im Jahr 1941 beteiligt, wo am 29. und 30. September 1941 innerhalb von nur 36 Stunden 33.771 (!) Juden und Jüdinnen erschossen wurden. Das heißt hier wurde (hochgerechnet) 36 Stunden lang alle vier Sekunden ein Mensch ermordet! Kollektive Entlastung Das heißt selbstverständlich nicht, dass alle diejenigen Soldaten des Zweiten Weltkriegs, deren Namen am Kriegerdenkmal in Maxglan angeführt werden, selbst an Kriegsverbrechen und Unmenschlichkeiten beteiligt waren. Fakt ist allerdings, dass sie einen aktiven Teil des Eroberungs- und Vernichtungskrieges der Nationalsozialisten darstellten. Sie haben wie Millionen andere zur Festigung und Verbreitung der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft beigetragen. Ein Kriegerdenkmal, das pauschal all diesen Männern dankt und damit sinnbildlich für die jahrzehntelange österreichische Verklärung der „sauberen Wehrmacht“ steht, dankt ihnen kollektiv dafür, die menschenverachtende Ideologie des Nationalsozialismus mit der Waffe in der Hand in mörderischen Feldzügen verbreitet zu haben. Und dafür gebührt ihnen wahrlich kein Dank. Danken sollte man lieber den wenigen SalzburgerInnen, die – wie beispielsweise die ebenfalls in Maxglan aufgewachsene Rosa Hoffmann – bereit waren, ihr Leben für die Freiheit und gegen die nationalsozialistische Terrorherrschaft zu geben!
Rosa Hoffmann war eine Salzburger Widerstandskämpferin aus dem Umfeld der verbotenen KPÖ, die 1943 wegen „Wehrkraftzersetzung“ hingerichtet wurde. Veranstaltungstipp für das Sommersemester: Mehrere STVen organisieren zusammen mit erinnern. at eine Veranstaltungsreihe zum Thema „Verbrechen der Wehrmacht“. Nähere Informationen findest du hier: https://bit.ly/2R8xv1G
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GEDENKEN & ERINNERN IN SALZBURG
EIN INTERVIEW MIT CHRISTINE STEGER UND SIEGFRIED TRENKER VOM KZ-VERBAND – VERBAND DER ANTIFASCHISTINNEN SALZBURG Die Fragen stellte Hannah Wahl.
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uni:press: Eine der wichtigsten Aufgaben sieht der KZ-Verband ja in der Erinnerungskultur. Was ist das, und wieso ist die Erinnerungskultur so wichtig? Steger: Es ist unser Anliegen dafür zu sorgen, dass die Erinnerung an den so wichtigen politischen Widerstand gegen das verbrecherische NS-Regime nicht in Vergessenheit gerät. Der politische Widerstand war die Basis für die Wiedergründung der Republik Österreich. In der Moskauer Deklaration hatten die Alliierten ja festgelegt, dass es einen Beitrag der Österreicher und Österreicherinnen bedürfe, um nach dem Sieg über Nazi-Deutschland Österreich als Staat wieder anzuerkennen. Allzu oft ist das für öffentliche Stellen von keinem großen Interesse. Unsere Gedenkfeiern am 26. Oktober sind, wie auch das inzwischen von der Stadt übernommene Ehrengrab für ermordete Widerstandskämpfer, wichtige Erfolge in unserer Arbeit. uni:press: Ist das Gedenken im Kontext mit dem Nationalsozialismus noch aktuell? Sollte man sich nicht eher gegen den jetzt auftretenden Rechtsextremismus einsetzen? Trenker: Im Hinblick auf immer häufiger werdende rechtsextreme Straftaten und das erneute Aufkommen rechtsextremer Parteien in Österreich und Europa, einer fortschreitenden Faschisierung der Gesellschaft und Verrohung der Sprache, ist das Mahnen vor dem Faschismus aktueller denn je. Gerade der Blick in die jüngere Geschichte zeigt, wohin Menschenverachtung, Rechtsextremismus, Nationalismus führen. Am Ende stand die industrielle Vernichtung von Millionen Menschen – der größte Zivilisationsbruch der Menschheit überhaupt. Der Verband der Antifaschistinnen und Antifaschisten sieht es daher als seine Aufgabe an, beispielsweise durch Veranstaltungen die Bevölkerung zu informieren und aufzuklären. Mit dem Diskussionsabend "Politik in Ungarn", zu welchem auch ein engagierter Antifaschist aus Budapest eingeladen war, als auch durch eine Diskussion zu "Identitäre" und "Graue Wölfe", mit Uwe Sailer und Karl Öllinger als Diskutanten, konnten wir viele Menschen erreichen. Als Verband der Antifaschistinnen und Antifaschisten treten wir als regelmäßiger Veranstalter von Lesungen und Buchvorstellung zu diesem Thema in Erscheinung.
uni:press: Engagiert sich Salzburg ausreichend für die Vergangenheitsbewältigung in Bezug auf den Nationalsozialismus? Steger: Die Stadt hat in den letzten Jahren durchaus daran gearbeitet, z.B. mit einem Projekt über Salzburg im Nationalsozialismus.
Mehr zum Projekt „Die Stadt Salzburg im Nationalsozialismus“ findet ihr hier: www.stadt-salzburg.at/internet/websites/ nsprojekt/ns_projekt/home.html
Dennoch werden die Denkmale immer wieder in den Hintergrund gerückt und an den Rand gedrängt - z.B. beim Bücherverbrennungsmahnmal am Residenzplatz. Auf Initiative unseres Verbands wird die Stadt Salzburg ein neues Denkmal für Frauen im Widerstand rund um den Obelisken für Rosa Hofmann im Stölzlpark errichten. Diesen Schritt begrüßen wir sehr, denn sie macht auf die vielen Salzburger Frauen aufmerksam, die sich gegen das Unrechtssystem gewehrt und auf unterschiedliche Art und Weise Widerstand geleistet haben. Die feierliche Übergabe an die Öffentlichkeit findet am 27. Mai, dem 100. Geburtstag von Rosa Hofmann, statt. Im Vorfeld hat sich der KZ-Verband einen Arbeitsschwerpunkt zu Frauen im Widerstand gegeben. Wir veranstalten zwei Vorträge mit den namhaften Expertinnen Dr.in Ilse Korotin Mag.a Silvia Köchl im April bzw. Mai, sowie eine multimediale Performance am Salzburger Hauptbahnhof am Vorabend des 27. Mai. uni:press: Bis in die 1990er Jahre hat man Straßen nach belasteten Personen benannt. In Salzburg gibt es bis heute eine Josef-Thorak-Straße, die nach Hitlers Lieblingsbildhauer benannt ist. Was sagt das über den Umgang der Stadt Salzburg mit der NS-Vergangenheit aus? Trenker: Sehr viel. Gerade Straßenbenennungen sind eine Ehrbezeugung vor einer Person. Das ist bei Hitlers-Lieblingsbildhauer, dem „gottbegnadeten“ Thorak, einem der übelsten Paladine der Nazi-Bonzen, unerträglich. Der Verband hat sich stets kritisch geäußert und die Beseitigung dieses untragbaren Zustandes in den letzten Jahren unermüdlich eingefordert.
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uni:press: In seiner Aussendung zum Holocaust-Gedenktag am 27. Jänner 2019 kritisiert der KZ-Verband die “völlig unbefriedigende Gesamtgestaltung” des Platzes rund um das antifaschistische Mahnmal am Bahnhofsvorplatz. Inwiefern ist die Gestaltung misslungen und wie sollte ein adäquates Mahnmal aussehen? Steger: Das Antifa-Mahnmal ist an einem historisch bedeutsamen Ort errichtet worden – der Salzburger Bahnhof ist der Ort, wo so viele Menschen in die Vernichtungslager deportiert wurden. Dieser Ort ist also grundsätzlich sehr gut gewählt. Nur leider tritt dieses Mahnmal nicht in Erscheinung, niemand kennt es, es verschwindet in einem Baumhain und wird auch in keinster Weise durch die Stadt „bespielt“. Es finden keine Veranstaltungen dort statt, es wird nicht einbezogen. Ein adäquates Mahnmal fällt auf, regt zum Nachdenken an, stört vielleicht sogar den Alltag – denn nur so kann Gedenken Eingang in den Alltag finden. Es reicht nicht aus, an bestimmten Tagen den Kopf zu senken und still zu gedenken. Gedenken bedeutet auch immer, sich dessen bewusst zu sein, was in dieser Zeit geschehen ist, so dass es nie mehr möglich wird. uni:press: Ein Denkmal im Kurpark soll an die Opfer der Euthanasie erinnern. Kritiker*innen sehen es dort völlig deplatziert, weil der Ort nicht mit
dem Geschehen in Verbindung steht. Die Leitung der Christian-Doppler-Klinik wehrte sich damals gegen ein Denkmal auf dem Klinikgelände und in der Altstadt sollte es den Festspiel-Tourismus nicht stören. Wie steht der KZ-Verband dazu? Steger: Erfreulich ist, dass aufgrund der Ablehnung der Errichtung in der Christian-Doppler-Klinik nun das Denkmal inmitten des Kurgartens aufgestellt ist und so vielen Menschen – auch Touristinnen und Touristen – es sehen können. Seit kurzem gibt es auch eine Informationstafel dazu, was wir als Verband begrüßen.
„DAS DENKMAL MUSSTE DEM KIRTAG-KOMMERZ WEICHEN.“ Der damalige Umgang und die Missachtung der Opfer durch die Ablehnung spricht natürlich auch Bände und ist eigentlich typisch für einen „österreichischen Umgang“ mit den Opfern der systematischen Ermordung durch das Naziregime.
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uni:press: Auch das Denkmal, das an die Bücherverbrennung auf dem Residenzplatz erinnern soll, wurde trotz Kritik nicht direkt am Ort des Geschehens - also mitten am Platz - errichtet. Kann man sagen, dass die Gedenkkultur in Salzburg nicht ernst genug genommen wird? Steger: Hier passt vielleicht der Spruch: „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“ ganz gut. Im Grunde gibt es eine gefühlte moralische Verpflichtung, der einzig offiziellen Bücherverbrennung in Österreich zu gedenken und aus diesem Anlass ein Denkmal zu errichten. Aber dieser „moralische Druck“ führt dann nicht dazu, dass man den tatsächlichen Ort des Geschehens würdigt, weil man den Platz ja für Adventmarkt und Rupertikirtag benötigt. Das ist scheinheilig. Gedenken, das ernst genommen wird, kann keinem „Sachzwang“ unterworfen werden. Hier findet eindeutig eine Priorisierung statt, zu Ungunsten eines würdigen Umgangs. Das Denkmal musste dem Kirtag-Kommerz weichen.
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uni:press: Was sagt die Gedenkkultur in Salzburg über unser aktuelles Geschichtsbild aus? Steger: Das zu beantworten ist sehr schwierig. Im Grunde könnte man vielleicht sagen, dass Österreich sich seiner Verantwortung nicht so stellt, wie es der Verlauf der Geschichte erfordert. Österreich war nicht das erste „Opfer“ der Nazis und so muss es auch mit seiner Geschichte umgehen. Ein Teil dieses Verhaltens ist auch der Tatsache geschuldet, dass es nach 1945 einfach weiterging, wie vor oder während des Krieges. Viele Personen in Entscheidungspositionen waren vor 1938 und nach 1945 dieselben. Und viele Nazi-Beamte, faschistische Journalisten, Richter, Lehrer wurden nach einer kurzen Pause nach der Befreiung wieder in ihre Ämter gehievt. Ob das in Schulen, Gerichten oder Krankenhäusern, den Universitäten oder den Behörden war. Das erklärt vielleicht auch ein wenig, warum Österreich ist, wie es ist.
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DAS SCHWARZE GIFT Wer mich kennt, weiß, dass ich einer „Sünde“ fröne, die wohl nicht zu den Gesündesten gehört: Zuckerfreies Pepsi. Meine Allzweckwaffe für und gegen ziemlich alles: vom verkaterten Körper wieder zu den Lebenden bringen, bis zum Go-to-Getränk nach dem Joggen, nichts schmeckt mir besser als die Aspartambrühe. Was das alles mit Tone-Policing und in letzter Konsequenz der Zerschlagung des Patriarchats zu tun hat, wird in folgenden Zeilen ausgeführt. Von Carolina Forstner
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or Kurzem stand ich mit ein paar Pepsi-Flaschen unter dem Arm an der Supermarktkassa, bezahlte und wollte grad meine Einkäufe in meine Tasche einräumen, als ich hinter mir ein Raunzen vernehmen konnte. Ein älterer Mann, der seine Einkäufe – alles Bio, alles regional, eh super – fein säuberlich aufs Fließband schlichtet und sein Murmeln wiederholte, jetzt aber energischer: „Schwarzes Gift, schwarzes Gift kaufen Sie da!“ und zeigt mit erhobenem Zeigefinger auf meine Cola. Unfähig darauf zu kontern, grinse ich nur ein wenig belämmert, nehme meine Tasche und gehe, frage mich aber als ich Zuhause angekommen bin: „Warum musste dieser Kommentar kommen und warum bin ich in solchen Situationen nicht schlagfertig genug, sondern schweige?“ Dieser Gedankengang hat wenig mit Pepsikonsum zu tun, sondern mit tiefsitzenden strukturellen Missständen, und ja, ich traue mir zu, diesen älteren weißen Mann in den Topf mit all den anderen Meinungsmachern aka weißen Männern zu werfen, schließlich tun die nichts so gern wie einer marginalisierten Gruppierung – seien es POC, religiöse, ethnische oder sonstige Minderheiten, oder eben Frauen – die Welt zu erklären und das hat System und zeigt sich in allen Lebensbereichen. Män-
ner nehmen im Fernsehen viel häufiger die Position des Erklärenden, Moderierenden, Journalisten, Sprecher oder Experten ein. Nur jeder dritte Hauptakteur in der Publizistik ist weiblich und wenn Frauen auftauchen, dann nur bis sie die magische 30 knacken, denn ab da verschwinden Frauen sukzessive von unseren Bildschirmen, beides Phänomene, die jedweder gesellschaftlicher Realität trotzen, denn auch wenn der männliche Experte zum Thema XY bekannt ist und sich gut in einer Polit-Talkshow macht, gäbe es mit Sicherheit ein weibliches Pendant, vielleicht auch mit ein paar Fältchen um die Augen. Düster sieht es auch in einer anderen Sparte aus: dem Kinderfernsehen. Dreiviertel der Figuren sind männlich, auch in Wissensendungen erklären Männer die Welt an die Jüngsten.1 Kein Wunder also, dass sich Mann traut und zutraut, in allen Lebenssituationen den sprichwörtlichen und wie in meinem Fall wahrhaftigen, Zeigefinger zu erheben, schließlich kann er sich auch bei einem Fauxpas seiner starken, männlichen Unterstützerlobby sicher sein, die sich in ihrer Männlichkeit verletzt fühlt und bei Hashtagmovements wie #menaretrash an die Decke gehen, Feministinnen, die sich kein Blatt vor dem Mund nehmen beschimpfen und sich gerne mal mit den wüstes-
1 Diese und andere Ergebnisse beruhen auf einer 2017 veröffentlichten Studie namens: „Audiovisuelle Diversität? Geschlechterdarstellungen in Film und Fernsehen in Deutschland”, eine Studie die von der MaLisa Stiftung durchgeführt wurde.
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ten Beleidigungen und Vergewaltigungswünschen Luft machen. Ironischerweise sind es auch dann genau jene, die Frauen in Diskussionen oftmals vorwerfen zu frech oder zu aufmüpfig zu sein, fordern eine „objektive“ Diskussion und betätigen sich so einer recht beliebten, in unseren patriarchalen Strukturen anerzogenen Methode, dem Tone Policing, einer Ablenkungstaktik, in der man den Ton, die Wortwahl und die Emotionen einer Person angreift, statt auf Inhalte einzugehen. Eine Taktik mit der eine Bevölkerungsgruppe mit der Deutungshoheit, und an ihrer Spitze stehen nun mal weiße Männer, versucht, Diskurse zu lenken und sich nicht selten selbst in Opferrollen zu stilisieren denn: #notallmen, ned wahr?
„EINE TAKTIK MIT DER EINE BEVÖLKERUNGSGRUPPE MIT DER DEUTUNGSHOHEIT, UND AN IHRER SPITZE STEHEN NUN MAL WEISSE MÄNNER, VERSUCHT, DISKURSE ZU LENKEN UND SICH NICHT SELTEN SELBST IN OPFERROLLEN ZU STILISIEREN DENN: #NOTALLMEN, NED WAHR?“ Man könnte nun argumentieren, dass ich hier aufbausche und einen simplen „Tipp“ zu einer Genderdebatte umforme. Mag sein, dass der ältere Herr sich nicht bewusst in seiner Rolle als „white old man“ profilieren wollte, dem jungen Fräulein mal mit ein paar Gesundheitsratschlägen unter die Arme greifen wollte und mir seine Meinung einfach so gratis aufdrücken wollte, ist aber auch wurscht. Wer mit diesem Argument kommt, wendet wohl genau das an, was ich oben beschrieben habe an: Tone-Policing, um von strukturellen Missständen abzulenken und eine Diskussion damit zu verwässern. Tone Policing dient dazu, Privilegien zu schützen und zu erhalten. Männer erklären uns nicht nur schon von Kindheitsbeinen an die Welt, sie haben die Diskurs-
hoheit und bestimmen öffentliche Debatten: Sei es der brennende Kampf um die Information für Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland, die vom Gesundheitsminister Jens Spahn in einer kruden „Abtreibungsstudie“ gipfeln könnte, um so herauszufinden, welche „seelischen Sorgen“ betroffene Frauen plagen, oder heimische rechte PolitikerInnen, die in der Diskussion um die, seit Jahresbeginn vermehrten Morde an Frauen, die nun mal meist von Männern begangen wurden, die im engen Umfeld der Ermordeten standen, Inhalte so zurechtschustern, dass sie in ihre rechten Sandkastenförmchen passen: „Geflüchtete Menschen importieren das Patriarchat!“ wurde schnell zur Stammtischparole der rechtsrechten Debatten. Damit wird die überwiegende Mehrheit von Gewalttaten, die von autochthonen Österreichern an Frauen verbrochen werden, negiert und verhöhnt. Somit bleibt am Ende nur eine Gruppe: die Opfer und damit Frauen. Bis in die 70-Jahre war Gewalt gegen Frauen kein Thema der Öffentlichkeit. Erst 1978 wurde das erste Frauenhaus eröffnet, 1989 wurde in einer Reform des Strafrechts der Tatbestand der Vergewaltigung innerhalb der Ehe, und dass diese genauso zu ahnden sei wie außerhalb der Ehegemeinschaft, eingeführt und 1997 trat schließlich das Gewaltschutzgesetz in Kraft. Die sogenannte Fristenlösung, die die Straffreiheit eines Schwangerschaftsabbruches bis in den dritten Monat sichert, wurde 1973 beschlossen. Eine, von hochrangigen ÖVP-und FPÖ-PolitikerInnen unterstützte Petition, die den Schwangerschaftsabbruch bei "schweren" psychischen und physischen behinderungen des Kindes auch nach dem dritten Monat einschränken will, stößt gerade auf breiten Widerstand. Zurecht, denn nun gilt es, wie Andrea Brunner, Sprecherin der SPÖ-Frauen, sagte: „Keinen Milimeter zu weichen“, schließlich geht es um das Selbstbestimmungsrecht der Frauen über ihren eigenen Körper und da kann keine Stimme zu laut und keine Diskussion „zu frech“ geführt werden. Abtreibung muss legal werden. Gewalt gegen Frauen muss an der Wurzel gepackt werden: den patriarchalen Strukturen in denen wir alle leben und die keine Ländergrenzen kennen. Wenn der angeschlagene Ton bei der Aushandlung solcher basalen Rechte ein bisschen härter ist, tut es uns nicht leid, denn: Lieb fragen hat noch nie gesellschaftliche Veränderungen herbeigeführt. Also ist es vielleicht doch so: Hinter jeder Frau steht ein Mann und nuschelt ihr jovial eine allgemein anerkannte Wahrheit (ich weiß, dass Pepsi ungesund ist, danke) ins Ohr, oder wie?
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MABACHER - #UNGEBROCHEN
“ICH BIN DER GRÖSSTE, BITCHES!” Am Mittwoch den 13. Februar fand die Heimpremiere des lang erwarteten Dokumentarfilms über Martin Habacher, dem, wie er sich selbst nannte, “kleinsten Youtuber der Welt” statt. Zahlreiche Besucher*innen und Wegbegleiter*innen waren ins Wiener Filmcasino gekommen, um das visuelle Portrait des Influencers zu sehen, aber auch um Abschied zu nehmen. Bald wird der Film auch in Salzburg gezeigt. Von Hannah Wahl
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artin Habacher ist wohl das, was man eine “Rampensau” nennt: Ob online auf Youtube, Facebook, Instagram oder offline bei Veranstaltungen wie der integra, Österreichs größte Messe rund um Pflege, Therapie, Betreuung und Rehabilitation, er fiel auf – und nicht nur durch seine schneidige Art seinen Rollstuhl zu fahren. Eine ordentliche Portion Humor und eine ebenso große Menge an Hartnäckigkeit und Schlagfertigkeit zeichneten Martin Habacher, in der Social-Media-Welt als “mabacher” unterwegs, aus. Seine Barrierefrei-Tests auf Youtube oder seine Erzählungen von Kindheit und Jugend machen eines klar: mabacher nimmt kein Blatt vor den Mund und spricht auch über vermeintliche Tabu-Themen im Kontext
mit Behinderungen, wie etwa Partnerschaft und Sexualität. “Zwerg, Liliputaner oder normaler Mensch?” “Was bist du? Ein Zwerg, ein Liliputaner oder ein normaler Mensch?” Es sind Fragen wie diese, die Martin Habacher schockierten. Mit Nachdruck setzte er sich gegen Diskriminierung und für die Achtung und Umsetzung der Rechte von Menschen mit Behinderungen ein. Seinen Humor hat er dabei nie verloren. Das macht auch der Film mabacher – #ungebrochen deutlich. Es ist das Portrait eines unbeirrbaren, selbstbewussten und willensstarken Aktivisten, der unermüdlich aufzeigte, dass Inklusion mehr als eine Worthülse sein muss. Er selbst findet dafür diese
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“Ich bin der Größte, Bitches!” Auch heute noch dominiert die stereotype Darstellung von Menschen mit Behinderungen in allen Medien, seien es Zeitungsartikel, Spielfilme oder Spendengalas. Umso wichtiger, dass mit mabacher – #ungebrochen ein Portrait auf Augenhöhe geschaffen wurde, das sich vom weit verbreiteten mitleidigen Blick auf Menschen mit Behinderungen distanziert. Der vielfach ausgezeichnete Independentfilm gewährt persönliche Einblicke in Martin Habachers Leben und beseitigt damit so manche Vorurteile und Barrieren in unseren Köpfen. Dass für die Produktion nur wenig Geld zur Verfügung stand, sieht man mabacher – #ungebrochen keineswegs an. Gekonnte Kameraführung und die von Victor Gangl komponierte Musik runden den stimmigen Dokumentarfilm ab. Trauer um Aktivisten Überschattet wurde der Kinostart vom unerwarteten Ableben Martin Habachers. Am 21. Jänner 2019
erfuhr die Öffentlichkeit durch eine Facebook-Meldung von Regisseur Stefan Wolner und seinem Team von der traurigen Nachricht. “ Jeder Film, den man macht, ist ein Teil von einem selbst… so ist auch Martin ein Teil von mir geworden und natürlich auch von der gesamten MABACHER Crew. Es war für alle eines der größten Erlebnisse, diesen Film gemeinsam mit Martin zu machen. Er zeigte uns neue Perspektiven und befreite uns von vielen Vorurteilen – oft durch seine offene und brutale, humorvolle Art.”, so Wolner. “Ich glaube, dass ich sehr zerbrochen zur Welt gekommen bin” “Ich glaube, dass ich sehr zerbrochen zur Welt gekommen bin”, sagt der 41-jährige. Dass er einmal überhaupt so alt werden sollte, hatten die Ärzte vor seiner Geburt schon ausgeschlossen. Martin Habacher wurde mit sogenannten Glasknochen geboren, weshalb Krankenhausaufenthalte von Beginn an zu seinem Leben gehörten. Im Film erzählt sein “persönlicher Gipser” wie Martin Habacher sich bei der Nachsorge eines verheilten Bruchs, gleich einen erneuten Bruch zuzog. Inklusions-Aktivist mabacher war dennoch #ungebrochen.
Regisseur Stefan Wolner und die Filmcrew beantworten die Fragen aus dem Publikum.
© Hannah Wahl
Worte: “Ich will diesen Mythos brechen und zeigen, im Prinzip ist er auch nicht viel anders als ich – nur ein bisschen kürzer und sitzt den ganzen Tag herum, auf seinem faulen Arsch.”
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Kevin Spacey trägt nun Bart.
KEVIN SPACEY
Kevin Spacey wird im Juli 60 Jahre alt. Als Charakterdarsteller – in einer Riege mit Größen wie Marlon Brando, Daniel Day-Lewis und Jim Carrey - hat er Jahrzehnte des Kinos geprägt. Grund genug, auf die besten Performances des Schauspielers zurückblicken. Total objektives Best Of von Carlos P. Reinelt
© 2017 Jason LaVeris
BEST OF
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#7 21
NOWAT!
Robert Luketics mittelmäßiges Drama rund um eine Gruppe begabte Mathe-Student/-innen, die in Casino Kohle scheffeln, lebt hauptsächlich von der Leistung des Spaceys. Als väterlich-gieriger Professor spielt er eine jener ambivalenten Rollen, von denen man nicht weiß, ob man sie verabscheut oder mag. Die Tracht Prügel des Morpheus-Darstellers Samuel L. Jackson, die am Ende droht, will man ihm nicht so wirklich gönnen. #6 House of Cards Seit Woody Allens Der Stadtneurotiker wird die vierte Wand immer wieder gerne gebrochen. Das kann fad sein (wie in Deadpool oder der kürzlich erschienen Demokraten-Propaganda Vice, die Frank Unterwood kläglich zu imitieren versucht), oder wesentliches zum cineastischen Vergnügen beitragen – wie in Malcolm Mittendrin oder eben House of Cards. Obwohl die Serie (lange vor Spaceys Ausscheiden) kontinuierlich abbaut, bleibt die abermals ambivalent verhasst-sympathische Figur bis zum Schluss perfekt performt. # 5 Das Leben des David Gale Von den vielen fragwürdig moralisierend-pathetischen Werken Oliver Stones bleibt die Message dieses Films besonders arg auf der Strecke. Letztendlich porträtiert der Film die Todesstrafen-Gegner als einen Haufen naiver, eigensüchtiger Aktivisten, die vor keinem Mittel zurückschrecken. Spaceys Darstellung eines Betrunkenen ist zudem auch nicht wirklich überzeugend. Was der Film dann in dieser Liste macht? Ich wollte des Witzes halber (SPOILER-ALLERT!) genau Sieben Filme in dieser Liste haben. Beschwerden bitte an: reineltca@stud.sbg.ac.at. #4 Die üblichen Verdächtigen Bevor Bryan Singer in der Superhelden-Filme Versenkung verschwand und mit der nicht wirklich tollen Mercury-Verfilmung Bohemian Rhapsody wieder ins Oscar-Business einstieg, schuf er mit den üblichen Verdächtigen einen verdächtig (trololol, wir leben im Zeitalter der Post-Ironie) Krimi. Ein schauriges Katz-und-Maus-Spiel, in dem es Spaceys Mimik nie ersichtlich macht, ob er eigentlich die Katze, oder die Maus… #3 L.A. Confidental L.A. Confidental verlor 1998 gegen Titanic den Oscar. Darüber lässt sich streiten. Worüber sich nicht streiten lässt, ist dass die unsägliche Posse L.A. Crash 2006 gegen Brokeback Mountain gewann. Der absolute Tiefpunkt der Oscars (neben der nicht-Nomminierung Jim Carreys 1998 und 1999 für die Rollen in Truman Show bzw. Man on the Moon. Wie kann man zwei Mal hintereinander den Golden Globe als bester Hauptdarsteller gewinnen und nicht für den Oscar nominiert werden?? Rassismus???). In dem Sinne, kommt in der nächsten Ausgabe als Wehrmutstropgen ein Ang-Lee-Best-Of. # 2 American Beauty Kiffender Familienvater, der unter der Dusche masturbiert und minderjährigen nachgeiert. Gerüchten zu Folgen soll sich Spacey mittels Method-Acting so tief in die Rolle hineinversetzt haben, dass er nie wieder ganz rauskam. Das filmische Ergebnis jedenfalls ist einzigartig. Nur ein Plasticksack im Wind kann Spacey hier die Show stehlen. #1 Sieben Sieben (sorry liebe Fight-Club-Fanboys) stellt neben Kevin Spaceys auch David Finchers künstlerischen Höhepunkt dar. Fun-Fact: Spacey wurde nicht in den Film-Credits genannt und war nicht auf den Festivals und Premieren eingeladen. Das Auftauchen John Does sollte bis zum Schluss offen bleiben. Die wenigen Minuten die er auf der Leinwand zu sehen ist, bilden allerdings einen aussergewöhnlichen Höhepunkt eines außergewöhnlichen Films. Die diabolische Entzückung in seinem Gesicht, als er erfährt, das Brad Pitt nichts von der Schwangerschaft seiner Frau wusste, verschafft noch mehr Gänsehaut, als das folgende: «What is in the box?»
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JENSEITS DER KUNSTNASEN
In konkret texte 74 werden großen Fragen aufgeworfen, beantwortet und in einem Selbstversuch dokumentiert: „Kommunistische Kunst“ erschien Ende Jänner, wir haben uns mit dem Verfasser Stefan Ripplinger unterhalten und sind dabei von der Steinzeit in die Gegenwart flaniert. Interview und Buchbesprechung von Christopher K. Spiegl
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Kommunismus und Kunst, schön. Das sind zwei große Begriffe, die - so möchte man im gegenwärtigen Europa meinen - provozieren. Der Kommunismus wohl eher als die Kunst, aber dann muss ich an Supermarktverkäufer, Leiharbeiterinnen und Arbeitslose denken und frage mich, wie haben's die mit der Kunst? Es scheint, als ob diese Gruppen vom Kunstgenuss ausgeschlossen sind. Ist da dein Buch ein Versuch die Brücke zu schlagen? Ripplinger: Klar, an diese Leute habe ich gedacht, es sind ja meine Leute. Als im Keller des Kulturbetriebs Beschäftigter gehöre ich selbst zum Proletariat. Was für einen Preis Cindy Sherman zuletzt abgestaubt oder was Erwin Wurm wieder besonders Komisches fabriziert hat, wird die Kassiererin bei Hofer vielleicht nicht wissen, aber ist sie deshalb auch schon von der Kunst ausgeschlossen? Was ist das, Kunst? Sind das Gegenstände, ist das ein Wissen, oder ist das nicht vielmehr ein Tun, vielleicht sogar ein ganz alltägliches? In deinem Buch empfiehlst du eingangs, weder den „Ästheten“ nachzulaufen noch auf die „Realisten“ zu warten. Erstere meinen Kunst müsse nur sich selbst genügen, während Letztere die Kunst ganz in den Dienst der Gesellschaft stellen oder meinen, dass die Kunst der Gesellschaft voranschreiten müsse... und dadurch erst recht wieder nur kapitalistische Verhältnisse offenbaren.. Kunst als gesellschaftliches Tun willst du nicht an der Kunst selbst, sondern aus einer Außenperspektive betrachten. Worin liegt die Stärke dieser Auffassung und wer profitiert von ihr? Ripplinger: Von ihr profitieren erstens all die, die bislang gedacht haben, sie müssten erst ein Diplom an der Hochschule erwerben, bevor sie zur Kunst zugelassen sind; also die Leiharbeiterin oder der Verkäufer, die du erwähnt hast. Davon profitieren zweitens diejenigen Künstlerinnen und Künstler, die über dem Eindruck verzweifelt sind, sie könnten immer nur dieselben drei, vier Kunstnasen ansprechen. Das muss aber nicht in alle Ewigkeit so sein. Wer das nicht sowieso weiß oder ahnt, erfährt es von mir. Denn meine Behauptung ist, dass nicht Kennerschaft der Kunst aufschließt, sondern ein ästhetisches Vermögen, das grundsätzlich alle besitzen, die ihr Tun und Mitteilen sinnlich empfinden und stoffbezogen gestalten. Ich sage also meinen Leserinnen und Lesern, die hoffentlich auch profitieren: Schaut doch nicht auf die nächste Ausstellung, schaut euch erstmal an,
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wie ganz gewöhnliche Menschen sich bewegen, sich kleiden, sich tätowieren, wie sie reden und scherzen, wie sie feiern oder trauern, vor allem: wie sie arbeiten und zusammen etwas tun. Während der Lektüre deines Buches bin ich auf die knappe Formel „Die Bedeutung der Kunst ist ihr Gebrauch” gestoßen, das ist sehr prägnant und schließt ja tatsächlich niemanden aus. Hinsichtlich des eben erwähnten ästhetischen Vermögens merkst du auch an, dass die gegenwärtigen Verhältnisse eine „Trennung und Distanzierung von Dingen und Menschen induzieren”, deren Widersprüche sich produktiv machen ließen. Wie näherst du dich im Buch dieser These und welche Beispiele kannst du hier konkret ins Feld führen? Ripplinger: Die Formel habe ich von deinem Landsmann Wittgenstein geklaut, lediglich das, was er von der Sprache sagte, auf die Kunst übertragen. Spätestens seit Marcel Duchamp wissen wir, dass die Gebraucher oder Verbraucher der Werke, also wir, für die Kunst viel wichtiger sind als die Werke selbst. Denn jedes Objekt lässt sich in vielerlei Gebrauch stellen und erhält dadurch erst seine jeweilige Bedeutung. Was heißt hier aber Gebrauch oder Verbrauch? Ein Kunstwerk ist ja keine Portion Pommes, die einer hinunterschlingt. Es ist auch keine Betriebsversammlung, die eine Resolution beschließt. Ein Kunstwerk ist an sich unbestimmt, manchmal sogar leer, es muss uns in gewisser Weise fremd und fern sein, damit wir uns als Gruppe an ihm kristallisieren und es in Gebrauch nehmen können. Das gilt nicht nur für unsere entfremdeten Verhältnisse, sondern von jeher. Aus den sehr vielen Beispielen, die ich dafür gebe, greife ich kurzerhand das erste heraus: Ein Urmensch klöppelt eine Markierung in die Felswand, dann noch eine und noch eine, ein Muster entsteht. Er tut das nicht in der Höhle, die er bewohnt, sondern in einer tiefer gelegenen, weitläufigen, in der alle zusammenkommen können. Er gibt dadurch ein Zeugnis, das sich unmittelbar seiner technischen Fertigkeit verdankt, aber die Bedeutung, die aus ihm erwächst, ergibt sich erst aus der Gruppe, die sich vor diesem Zeichen versammelt, feiert, tanzt, die Wände anspuckt, sich prügelt, was immer. Mit anderen Worten: Schön
und gut, dass der Mann oder die Frau dieses Werk geschaffen hat, aber ohne die andern ist alles nichts. Neben den theoretischen Überlegungen widmest du dich im Kapitel „a[m] a[ngegebenen] O[rt] Zettel zur ästhetischen Referenz” einem Feldversuch: Du bist ein Jahr lang mit offenen, oder besser gesagt „offeneren” Augen durch die Welt gegangen und teilst deine Beobachtungen in tagebuchartigen Einträgen mit. Wie kam’s zu der Idee und wie ist es dir während des Prozesses ergangen? Ripplinger: Kunst kann ich nur in der Gesellschaft und nur im Zusammenhang damit sehen, wie wir ohnehin produzieren und wie wir uns ohnehin mitteilen. Was der Fachidiot nicht tun muss, muss ich tun: Ich muss definieren können, worin innerhalb der Gesellschaft das Besondere der Kunst und der „ästhetischen Funktion“ besteht und wie sich Kunst von unseren anderen Produkten unterscheidet. Das versuche ich mithilfe der „Referenz“ zu klären. Referieren heißt einfach nur verweisen. Wenn ich sage: „Heute besuche ich meine Oma“, habe ich für alle, die meine Großmutter kennen, auf eine bestimmte Person verwiesen. Wenn aber Stendhal in einem Roman Napoleon erwähnt, hat er sich dann wirklich auf Napoleon bezogen, oder ist das nicht bloß eine fiktive Figur? Und gibt es Zwischenstufen? Wenn Stendhal sich in einem Journal oder in einem Essay auf Napoleon beruft, oder wenn ich meiner Großmutter zum Achtzigsten ein Gedicht widme, welcher Art sind diese Bezüge? All diese Fragen wollte ich in einem ganzjährigen Experiment, mit mir als Versuchskaninchen, aufwerfen, um das Verhältnis näher zu bestimmen. Die Form des Tagebuchs bot sich an, weil es ja selbst ein Verweissystem ist, es verweist mit jedem Eintrag auf einen bestimmten Tag. Beispielsweise gab es 2009, als ich das schrieb, am 9. September, eine kleine HochzeitsHausse, wegen der drei Neunen. Wie jeder, der so etwas macht, geriet auch ich in einen leichten Rausch, nach ein paar Wochen sah ich überall Verweise – ans Ziel führende und vollendete, abgebrochene, abgebogene, umgefälschte, leere –, Verweise aller Art. Die schönsten davon überliefere ich meinen klugen Mitmenschen zur weiteren Diskussion.
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© Kunsthalle Lingen / YouTube
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Sehr amüsant und aufschlussreich finde ich deine Aufzeichnungen und Gedanken über Namen. Die sind doch Paradebeispiele für einen Bruch in der Referentialität! Also eine Psychologin mit dem Namen Angstenberger birgt doch eine gewisse... Ironie, nicht? Entschuldige wenn ich nun etwas salopp frage, aber was ist deiner Meinung nach die große Kunst des Namengebens? Und wenn wir schon dabei sind: Heißt du gerne Stefan Ripplinger? Ripplinger: Ehrlich gesagt, ist mir mein Name recht gleichgültig, obwohl, wer wollte, auch in ihm etwas lesen könnte, er klingt an viele englische Gedichte an. „No Word’s ripple like Sister’s“, dichtet Emily Dickinson, „A gravel plain like rippling water“, heißt es bei Charles Reznikoff, „no I don't think that / I'm still rippling“ bei Frank O’Hara. „To ripple“ bedeutet das Sich-Kräuseln von Wasser und Rede. Namen sind an sich kein Bruch in der Referentialität, sie zurren vielmehr ein festes Band zwischen Wort und Gegenstand, der hier eine Person ist. Aber du hast dennoch recht: Auch in Namen scheint manchmal etwas mitzuschwingen, eine poetische Vibration, es macht sich eine ästhetische Referenz geltend, die ein Abirren von der geraden Bahn zwischen Gesagtem und Gemeintem ist und auf diese Weise das sonst sachliche Referieren bricht, auf eigene Bahnen lenkt und oft auf sich zurücklenkt. Das ganze Geheimnis der ästhetischen Referenz ist also das der Kunst. Eine Gruppe, idealerweise von Gleichen, bildet sich am Kunstwerk, bezieht sich zugleich auf dieses
Werk, sich selbst und die Welt, ein Zwischenreich entsteht, in dem andere Dinge als gewöhnlich verhandelt werden können und sich neue Horizonte öffnen. Auf dieses soziale Phänomen wollte ich hinweisen. Vielen Dank für das Interview!
Über den Autor: Stefan Ripplinger schreibt über Film, Kunst, Literatur unter anderem für konkret, »Neues Deutschland«, »Saarbrücker Hefte« und »Schreibheft«. Seine letzten Buchveröffentlichungen: Bildzweifel (Hamburg 2011), Schiefe Bahn: Künstler, die schreiben (Berlin 2013), Mary Pickfords Locken (Berlin 2014), Vergebliche Kunst (Berlin 2016) und Mallarmés Menge (Berlin 2019). Er lebt in Berlin-Neukölln.
Stefan Ripplinger: Kommunistische Kunst und andere Beiträge zur Ästhetik. konkret texte 74, Hamburg 2019.
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DAS MANIFEST erzählung in drei aufzügen
der welt zum zwecke der frontbetreuung zur kenntnis gebracht von kunibertus bombastus von spiegelheim
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- III. FINALE »wie wär’s mit schokokeksen?«, tönte die sonorige stimme der mysteriösen frau, während sebastian noch immer wortlos auf die rammelnden rüden starrte. sie hielt ihm eine packung hin, sebastian nahm schüchtern einen keks und blickte die frau mit großen augen an. sie lächelte matt: »meine name ist faizah thaelab. sieht so aus, als ob wir nachbarn wären. ein glück dass sich hasso und…« frau thaelab blickte mit hochgezogenem augenbrauen in richtung des aktiven teils des vierbeinigen liebesspiels. »koko!«, erwiderte sebastian mit vollem schokomund, »und i bin der lechner sebastian, aber se dürfn basti zu mir sog’n.« »ich bin die faizah, du kannst ruhig du zu mir sagen. schließlich sind unsere hunde ja ganz dick miteinander!«, lachte sie ihm entgegen. nachdem sie den schamerfüllten sebastian geduldig durch den üblichen smalltalk manövriert hatte, befand sie, dass der junge, dem es so offensichtlich an selbstvertrauen fehlte, ein bisschen aufmunterung gebrauchen könnte. sie lud ihn zu sich auf die baustelle ein. als der letzte keks gegessen war, gingen sie hinein und erkundeten das haus. So ganz ohne möbel, etwas kühl, muffig und feucht, hätte es einem eigentlich auf das gemüt schlagen müssen, aber das tat es nicht. ganz im gegenteil: sebastian fand es sehr aufregend und schmeichelhaft, dass er wie ein erwachsener bei faizahs umbau- und einzugsplänen mitreden durfte. er erfuhr von ihr auch, dass sie mitglied einer ziemlich kleinen kommunistischen partei war, die an der peripherie der öffentlichen wahrnehmung agierte. er versprach hoch und heilig, niemanden davon zu erzählen. sonst würde ihr – so viel verstand sebastian mit seinen zwölf jahren bereits – der verfassungsschutz auf die schliche kommen und grausame psycho-spiele mit ihrem freundeskreis und ihr treiben, womöglich sogar v-personen in ihr soziales umfeld einschleusen. im extremfall könnte es aber noch schlimmer kommen: wenn eine revolutionäre situation ausbräche, würde faizah dann von selbsterklärten linken als erste ans bürgerliche messer geliefert und eliminiert werden. neben der politischen arbeit, welche die großgewachsene frau jedoch nicht von ihrem sonstigen tun abgrenzen wollte, betätigte sie sich als freischaffende künstlerin und nahm gelegenheitsjobs bei leihfirmen an, um den kontakt zur werktätigen masse nicht zu verlieren und gewerkschaftliche umtriebe zu pflegen. sebastian verstand nicht viel von diesen details, die ihm die neue nachbarin in aller ruhe erklärte. aber er hörte ihr gerne zu. ihre besonnene art und ihre nüchterne argumentation übten eine beruhigende wirkung auf ihn aus. ein angenehmes kribbeln ging seine wirbelsäule auf und ab. faizah merkte rasch, dass sie den jungen nun zwar aufgeheitert, aber intellektuell überfordert hatte und switchte wieder auf wohnungstechnische belange um: »diese wand nehme ich, glaube ich, heraus und mache eine große, offene küche daraus. hier kommt die kaffemühle hin und die ganze ecke da wird mit holz getäfelt.« während sie so sprach, wurde es sebastian ganz schwummrig vor den augen und er konnte die veränderungen und pläne in die wirklichkeit hereinbrechen sehen. farben, formen und ideen schwirrten durch die räume, wirbelten durch die fenster in den himmel hoch und über den kamin wieder zurück. faizah thaelabs begeisterung vertrieb sogar die düsternis der küche, die nach kälte und mäusen roch. sie flanierten weiter durch das gebäude, sebastian genoss das farbenspiel zwischen realität und ideen.
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»und die alte spülküche hier, daraus mache ich eine werkstatt mit einer werkbank, einem schreibtisch hier unter dem fenster und an den wänden mit einem regal mit viel platz, wo ich meine werkzeuge und bücher aufbewahren kann.« »mein vater hat auch so a ähnliche werkstatt‘ gehabt, aber im garten, im schuppen. da hat er versucht die welt zu verbessern, aber dann hat er sich dort aufg‘hängt…« »au, das tut mir leid… aber in dem schuppen arbeitest jetzt wohl du?« »nein, i hab den schuppen an’zund‘n und niederbrenna lossn. i versuche jetzt in mein‘ zimmer wos z‘schreiben, aber…. i hab zwei linke händ‘.... und meine lese- und schreibkompetenzen sind in den wesentlichen bereichen nicht erfüllt.«, seufzte sebastian schwach und senkte den kopf. frau thaelab beugte sich zu dem jungen hinunter und sagte mit großen augen: »es ist aber erstaunlich, was man alles kann, wenn man nur muss.« dabei klopfte sie sebastian ermutigend auf die schulter. das war zu viel des guten für den kleinen heulpeter. er fing wieder hysterisch zu weinen an und schluchzte wortbrocken hervor. »schön warad‘s… wenn… wenn ma was… was machen könnte, weil… weil ma muss. aber i bin afoch z’deppert!« faizah zeigte rein äußerlich kein verständnis, ließ den burschen auf der baustelle stehen und kam mit einer packung taschentücher zurück. sebastian fasste sich nach einigen minuten und vertraute sich der neuen nachbarin an. er sparte kein detail aus: angefangen vom selbstmord seines vaters, dem manifest, welches er anstelle seines vaters seiner schwester schenken wollte, bis hin zu seinen sorgen darüber, dass seine mutter einen rückgratlosen karrieristen heiraten könnte. »hm, das klingt in der tat etwas etwas… vertrackt. bezüglich des manifestes: hast du denn niemanden, den du fragen kannst?«, bemühte sich faizah verständnisvoll. »eigentlich ned. in deutsch lernen ma nur, wie ma lückentexte ausfüllt, multiple-choice tests über fade literatur macht und so textsorten wie… wie zum beispiel a meinungsrede schreibt. aber so was wie ein manifest, oder wie ma an schönen text schreibt, des lernen ma ned.« frau thaelab drehte sich um und lehnte sich mit verschränkten armen an die alte mauer. »wie wär’s mit mir?«, fragte sie, während sie ihn frech grinste und die augenbrauen hochzog. sebastian blickte zu ihr hoch und krauste die stirn. »se darat’n… also du darast ma da echt helfen?« »warum nicht?« »heute nachmittag? jetzt?« »jederzeit.« sebastian war ihr ja so dankbar. »ehrlich? es dauert a ned lang, sicher ned mehr als a halbe stund‘!« hoffnungsvoll nahm er faizah bei der hand und führte sie zu sich nach hause. nachdem sie die liebestollen rüden vor dem hause lechner angeleint und mit wasser versorgt hatten, gingen sie in sebastians zimmer und machten sich ans werk. »schau sebastian, eigentlich ist so etwas ganz einfach…«, sagte faizah, als sie sich im sessel an sebastians schreibtisch niederließ. sie griff nach dem glitzerstift und einem post-it. nachdem sie zehn sekunden lang nachgedacht und von sebastian mit erwartungsvollen augen angestarrt worden war, sagte sie ernst, aber freundlich: »wir brauchen nur ein paar prämissen, das heißt… wir überlegen uns vorher, wie das ganze funktionieren könnte und schauen dann, dass wir uns daran halten, um das zu erreichen, was wir wollen. ich für meinen teil habe mir da ein paar sachen überlegt…« sie setzte den stift an, schrieb in schnörkelloser schrift einige sätze und klebte das post-it an die wand vor sebastians schreibtisch. der kleine gelbe zettel versprach in glitzernden buchstaben ein rezept für weltverbessernde sätze; das übergroße pony-poster daneben machte sebastian zusätzlich mut. der junge rieb sich die augen, atmete tief ein und las mit fokussierter aufmerksamkeit in aller stille faizahs worte:
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was zu niederlagen führen könnte: • • • • • • • • •
der beifall von der falschen seite. falsche kritik von der richtigen seite. falsche verteidigung des richtigen durch ungeschickte freunde. niederlagen. die erfolglosigkeit einer wahrheit im sozialismus. die bürgerliche karriere einer wahrheit. das richtige falsch sagen. bei anderen das richtige im falsch gesagten nicht verstehen. sich als geist gegen die macht stellen – als theorie gegen die praxis.
der kleine junge verlor sich nach der lektüre etwa fünfzehn minuten im narrenkastl. faizah hatte damit gerechnet, wartete geduldig und drehte sich währendessen zigarretten. die worte sickerten. langsam. plötzlich eröffnete sich ein feuerwerk in sebastians kopf und er begann wild drauf loszuschreiben. für etwa eine stunde war das beständige wetzen des glitzerstiftes zu hören. frau thaelab musste nur einige male das versmaß ausbessern und ideologische uneindeutigen korrigieren. nach zwei stunden stellte faizah erleichtert fest, dass sich der junge zwar nicht sehr geschickt, aber durchaus lernfähig und nicht ganz so schlecht anstellte, wie sie nach sebastians vorangegangenen tränenausbrüchen befürchtet hatte. so arbeiteten sie friedlich vor sich hin, und sebastian war so vertieft, so andächtig bei der sache, dass er nicht hörte, wie ein elektroauto die straße entlangkam und vor der pforte hielt. erst als die haustür aufgestoßen wurde und seine mutter nach ihm rief, merkte er, dass die familie zurück war. »BASTIII!!! WEM G’HERT DER HUND DO, DEN DA KOKO GROD BUDERT?!« er sprang auf. »das ist meine mutter!« frau thaelab lächelte. »dachte ich mir.« die haustür fiel lautstark ins schloss, die wände im hause lechner bebten. »WER HAT UNS VERRATEN? SOZIALDEMOKRATEN! WER HAT UNS VERRATEN?...« brüllte die stimme eines kleinen mädchens, während draußen das brummen von alexander van kernbergs elektroauto einsetzte. »und das ist meine schwester…«, lächelte sebastian etwas beschwichtigend die neue nachbarin an. »die scheint ja ein lebhaftes mädchen zu sein. komm, lass uns hallo sagen!« sie traten auf den flur und sebastian beugte sich über das geländer. »WER HAT UNS VERRATEN? SOZIAL….«, liliths brüllgesang verstummte. frau lechner und sebastians schwester standen unten in der diele und blickten verwundert zu ihnen hoch. seine mutter hatte einen fairtrade-traumfänger und eine flöte (im stil der von weißen menschen imaginierten exotik amerikanischer ureinwohner) von der veranstaltung mitgebracht. lilith konnte die augen nicht von der neuen nachbarin lassen und steckte sich die broschüre einer NGO, die sie offensichtlich von der veranstaltung mitgenommen hatte, in den mund und kaute provokativ darauf rum. »war’s schön bei da globetrotter-veranstaltung? wo ist’n der alex?«, fragte sebastian mit einer an ihm kaum bekannten selbstsicherheit.
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frau lechner fixierte ihren sohn und sagte: »ach, des war scho in ordnung so… aber de lilith hat earm recht a schand‘ g’macht, da hat er uns glei wieder hamgfoan, bevor de hippeys überhaupt zum reden angfangt hab’m. des graffi…«, sie zeigte auf den traumfänger und die flöte (im stil der von weißen menschen imaginierten exotik amerikanischer ureinwohner), »…hot a uns mit sein zuckergoschal-grinsen a nu in die hand druckt. du, oba sag amal, wer is‘ eigentlich dei neue freundin da?« »des is de frau thaelab, a freischaffende künstlerin, leiharbeiterin und überzeugte kommu… kommunikationsexpertin!«, entgegnete ihr sohn. »sie hat ma bei was gaaanz wichtigen g’holfn.« nach einem augenzwinkern richtung faizah fiel ihm noch ein: »ah ja, und sie is‘ unser neue nachbarin!« frau lechner wandte den blick zu frau thaelab und lächelte ein wenig verkniffen. sie musterte etwas erstaunt die hochgewachsene fremde, die wie aus dem boden gewachsen schien. »donksche, dass sie dem basti g’holfen hab’n!« die neue nachbarin erwiderte zunächst nichts, ging lächelnd die treppe herab und streckte frau lechner die hand entgegen. »faizah mein name. du kannst ruhig du zu mir sagen.« »ja. ja. natürlich.«, frau lechner war noch etwas verwirrt, fummelte mit dem fairtrade-traumfänger und der flöte (im stil der von weißen menschen imaginierten exotik amerikanischer ureinwohner) unschlüssig herum, schob sie vom rechten arm in den linken und wieder retour, ehe sie das zeug auf die kommode abstellte und die dargebotene hand ergriff. »und habt’s ihr schon tee g’habt?«, fragte frau lechner sichtlich erfreut. »nein? wir hatten auch noch keinen, und mir is jetz‘ sehr nach einem täßchen. komm‘ doch ins wohnzimmer, faizah, i setz‘ derweil des wasser auf!« »lass nur!«, rief sebastian und kam die treppe heruntergelaufen. »ich mach das schon.« als er etwa fünfzehn minuten später in der küche ein tablett gedeckt hatte, legte er schnell noch ein paar kekse auf, die er am vortag gebacken hatte, und machte sich auf den weg ins wohnzimmer. aus dem wohnzimmer konnte man hören, dass lilith gerade diethmar daths rede von der rosa-luxemburg-konferenz 2019 auf youtube lauschte, während faizah thaelab und frau lechner in ruhiger stimmlage miteinander murmelten. er stieß die tür vorsichtig mit dem fuß auf. abendsonnenschein strömte ins zimmer, und in der luft lag etwas, das man fast mit händen greifen konnte. freundschaft, vielleicht. wohlbehagen. aber auch etwas erregendes. alle zeit der welt. als er eintrat, standen frau lechner und faizah am kamin, halb dem gerade angezündeten feuer zugewandt, aber sebastian konnte das gesicht seiner mutter in dem spiegel über dem kaminsims sehen. plötzlich lachte sie auf, keine ahnung worüber, und warf ihr schönes rotes haar zurück, und sie strahlte dabei etwas aus… das vertraute leuchten, das er seit dem tod seines vaters nicht mehr gesehen hatte. die fantasie ging mit ihm durch wie ein scheuendes pferd, doch er zügelte sie und gebot ihr einhalt. das alles brauchte jetzt seine zeit. er würde die frauen zunächst sich selbst überlassen, nach oben gehen und seine arbeiten am manifest beenden. »der tee ist fertig«, sagte er und setzte das tablett ab. als er sich aufrichtete, bemerkte er, dass der fairtrade-traumfänger und die flöte (im stil der von weißen menschen imaginierten exotik amerikanischer ureinwohner) im kamin brutzelten und schon halb verkohlt waren. sebastian musste an alexander van kernberg denken, und er tat ihm aus tiefster seele leid. nach kurzer deduktion verwarf er das unnötige und schädliche mitgefühl wieder. als er das zimmer verließ und nach oben ging, lächelte er zufrieden und hoffnungsvoll einer besseren zukunft entgegen.
IN MEMORIAM ROSAMUNDE PILCHER 22.09.1924 – 06.02.2019
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VERANSTALTUNGSREIHE MYTHOS
„SAUBERE“ WEHRMACHT?
VERBRECHEN – VERDRÄNGUNG – AUFARBEITUNG Termine: Eröffnungsvortrag „Die Wehrmachtslegende in Österreich“ Vortragender: Alexander Pollak Termin: 3. April, 18:00 Uhr Ort: GesWi Film „Jenseits des Krieges“ von Ruth Beckermann Termin: 9. April, 20:00 Uhr Ort: Shakespeare
Vortrag „Wo die Zeit Urlaub macht. Antifaschistische Interventionen gegen Geschichtsrevisionismus und rechte Traditionspflege“ Vortragende: Recherchegruppe Verbrechen der Gebirgsjäger auf Kreta Termin: 14.5.2019, 18:00 Uhr Ort: GesWi
Filmabend Salzburger Filme über die Wehrmachtsausstellung Termin: 24.4., 20:00 Uhr Ort: Soli.Cafe
Vortrag „Mörder unterm Edelweiß“ NS-Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger und ihre Traditionspflege Vortragende: Regina Mentner, Ralph Klein, Stephan Stracke Termin: 3.6., 18:00 Uhr Ort: GesWi
Vortrag „Jüdische Agenten im Feindesland – Die Operation Greenup“ Vortragender: Peter Pirker Termin: 7.5., 18:00 Uhr Ort: GesWi
Erzählcafé „20 Jahre danach“ – MitarbeiterInnen der Salzburger Wehrmachtsausstellung erinnern sich Termin: Juni 2018 [Termin folgt] Ort: GesWi
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or knapp zwanzig Jahren diskutierte ganz Salzburg über ein Thema: Die sogenannte Wehrmachtsausstellung gastierte in der Stadt. Erstmals wurden mit dieser Ausstellung Verbrechen der Wehrmacht in der Zeit des Nationalsozialismus öffentlich breit thematisiert. Die Wanderausstellung hatte seit der Erstpräsentation bereits in anderen Städten in Deutschland und Österreich für Polarisierung gesorgt. Vor allem überlebende Kriegsteilnehmer fühlten sich von der Ausstellung kollektiv angegriffen. In Salzburg spitzte sich die Situation besonders zu, da der damalige Salzburger Landeshauptmann Franz Schausberger zugleich in seiner Rolle als Landespolitiker und als Historiker an der Universität Salzburg führend Position gegen die Ausstellung ergriff. Schausberger war aber bei weitem nicht allein: PolitkerInnen von ÖVP und FPÖ, Mitglieder des Kameradschaftsbunds, Offiziere des Bundesheers und auch Teile der Medien (allen voran die Kronenzeitung) machten gemeinsam gegen die Ausstellung mobil. Nicht zuletzt deshalb wurde die Ausstellung in Salzburg von mehr Menschen besucht als in irgendeiner anderen österreichischen Stadt. Menschen unterschiedlicher Generationen setzten sich in diesem Rahmen (teilweise zum ersten Mal überhaupt) mit den Verbrechen der eigenen Wehrmacht und damit oftmals auch der eigenen düsteren Familiengeschichte auseinander. Mit der Veranstaltungsreihe Mythos „Saubere“ Wehrmacht? Verbrechen – Verdrängung – Aufarbeitung möchten wir die Fragen, die mit der Wehrmachtsausstellung öffentlich im größeren Rahmen diskutiert wurden, 20 Jahre später noch einmal aufgreifen und neue Forschungsergebnisse diskutieren.
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uni: pressfilm tipps
SCHON GESEHEN? DIE UNI:PRESS FILMSCHMANKERL
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Manche Kulturformen sind einfach für einen Medientransfer bestimmt. Waren Musicals seit ihrem Anfang in den 1920er Jahren zunächst noch im Theater beheimatet, eroberten sie in Form von Adaptionen und eigenständigen Filmen schnell die Leinwand. Der Formenreichtum dieses Genres scheint dabei unbegrenzt. Für die einen sind bereits von musikalische Einlagen geprägte Disney-Filme Musicals. Andere verstehen darunter Broadway-Adaptionen wie “The Phantom Of The Opera”, während manche ganz auf musikalische und modernisierte Variationen von historisch-kulturellen Stoffen wie “West Side Story” schwören. Selbstverständlich gibt es auch die Fraktion, die nur ganz für sich stehende Filme wie “Singing In The Rain” als ‘echte’ Musicals akzeptiert. So vielfältig die Genres, so vielfältig auch die Musikstile. Allen Varianten gemein sind ihre offensiv ausgestellte Künstlichkeit und ihre Ohrwürmer. Wir haben uns für euch Klassiker und unbekannte Perlen des Genres angesehen. Von Hannah Wahl und Bernhard Landkammer 1. Mary Poppins (USA, 1964) In der Kategorie Musical hätte man vermutlich jeden Disney-Film in dieser Reihe aufnehmen können. Mary Poppins ist allerdings in vielerlei Hinsicht besonders: Die Verbindung zwischen Realfilm und Zeichentrick beeindruckt optisch, vor allem für die Entstehungszeit. Die Musik mit Liedern wie „Chim Chim Cheree“ und „Superkalifragilistischexpialigetisch“ wurde essenzieller Bestandteil der westlichen Popkultur und sorgt für durchgängige Ohrwürmer. Die Schauspielleistung und Inszenierung ist absolut überzeichnet und gewinnt durch den Disney-Kontext ein ganz eigenes Cartoon-Feeling. Ebenso zeichnet sich der Film durch eine starke politische Ebene aus: Ein Lied ist den Suffragetten gewidmet, die Ohnmacht von Frauen im Kampf gegen das Patriarchat zieht sich durch den ganzen Film, Arbeiterberufe werden gegenüber der Hochfinanz deutlich positiver dargestellt und toxische Männlichkeit quasi permanent veralbert. Zurecht ein absoluter Klassiker der Filmgeschichte.
3. La La Land (USA, 2016) Nicht besonders unbekannt, aber besonders sehenswert ist Damien Chazelles Wiederbelebung des Genres Musical aus dem Jahr 2016. Seine humorvolle Auseinandersetzung mit demselben zählt zu den Erfolgreichsten der Filmgeschichte und räumte eine rekordverdächtige Zahl an Preisen ab, darunter 6 Oscars. La La Land erzählt die Geschichte des erfolglosen Pianisten Sebastian (Ryan Gosling) und der von einer Schauspiel-Karriere träumenden Mia (Emma Stone). Die beiden verlieben sich unsterblich ineinander, doch ihre junge Liebe wird von ihrem turbulenten Berufsleben stark erschüttert. Wem der - auf den ersten Blick - klassisch-romantische, klischeehafte Erzählstrang nicht besonders gehaltvoll erscheinen mag, der täuscht sich. Chazelles Kassenschlager ist ein stimmiges Gesamtkunstwerk auf allen Ebenen: Drehbuch, Kamera, Choreografie, Musik, Schnitt und Darsteller*innen überzeugen nicht nur Musical-Liebhaber*innen.
2. Tokyo Tribe (Japan, 2014) Manga und Anime erfreuen sich im deutschsprachigen Raum großer Beliebtheit. Das gilt auch für japanische Rock- und Popmusik. Sion Sono, einer der spannendsten und vielseitigsten Regisseure aus Japan, wagt sich mit “Tokyo Tribe” nach hiesigen Verhältnissen aus diesem Rahmen. Zwar ist das Ergebnis eine Mangaverfilmung, die allerdings musikalisch ausschließlich auf Rap und R’n’B setzt. Die musikalische Qualität ist sicherlich mindestens streitbar, “Tokyo Tribe” allerdings ein Ereignis. Darin wird ein Bandenkrieg in einer alternativen, tristen Zukunft Tokyos dargestellt. Das Ganze ist in jeder Sekunde überzeichnet, kunterbunt, obszön sexualisiert, gewalttätig und trashig. Angereichert wird dieses vogelwilde und absurde Werk mit spektakulären Martial-Arts-Einlagen und hemmungslosem Overacting.
3. Repo - The Genetic Opera (USA, 2008) Es liegt nahe, die Künstlichkeit von Musicals mit dem Übertriebenen des Horrorfilms zu kombinieren. Darren Lynn Bousman zeichnet in “Repo! - The Genetic Opera” eine dystopische Zukunft, in der eine Seuche zu Organversagen führt. Bleibt die Zahlung der Raten für künstliche Organe aus, reißt ein “Repo-Man” die geliehene Ware bei lebendigem Leib aus dem Körper. Vor dieser Grundlage wird eine Geschichte zwischen Vater und Tochter, Rache, großen Gefühlen und den absurden Ausmaßen des Kapitalismus in weichgezeichneten Bildern erzählt. Musikalisch dominieren stampfende Industrial-Rock-Beats, Gothic-Metal und kitschige Pop-Elemente. Dass unter anderem Paris Hiltons Charakter im wahrsten Sinne sein Gesicht verliert und Sarah Brightman eine blinde Opernsängerin spielt, sind nur weitere Puzzleteile in diesem irren, faszinierenden Spiel.
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DER ULTIMATIVE UNI:PRESS
BEISLTEST FORTGEHEN ABSEITS DES (STUDENTISCHEN) MAINSTREAMS TEIL 9 - ALTSTADT Rudolfskai, Gstättengasse, Bergstraße oder Imbergstraße – das sind die Topadressen des Salzburger Nachtlebens. Topadressen? Wirklich? Wir haben uns schick gemacht und für euch Lokale abseits des studentischen Nachtlebens getestet, damit ihr ein Refugium findet, wenn euch die Segabar zu fad wird.
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in Beisltest in der Salzburger Altstadt? Inmitten japanischer Touristen und Festspielschickeria? Bitte, wie?! Nein, kein Scherz. Auch wenn es auf den ersten Blick unmöglich scheint: Das Weltkulturerbe hält einige Beisl-Perlen für Trinkwillige bereit. Unser 34 Hektar großes Testgebiet ist wohl den meisten gut bekannt: Im Osten wird es vom Rudolfsplatz begrenzt, im Nordwesten vom Klausentor. Natürliche Grenzen sind der Festungsberg und Mönchsberg im Süden bzw. Westen sowie die Salzach im Norden. Die doch etwas spezielle Situation der Salzburger Altstadt hat uns allerdings zur Erkenntnis gebracht, dass es nach acht Beisltest-Ausgaben an der Zeit ist, endlich den Begriff “Beisl” zu definieren. Zu lange haben wir uns davor gedrückt, klare Ansagen zu machen und unsere Auswahlkriterien offenzulegen. Laut Wikipedia, der obersten und unfehlbaren Autorität, wenn es um Definitionen geht, ist ein Beisl ein österreichisches Wirtshaus oder Gasthaus. Nun ist es aber so, dass mit “Wirtshaus” auch ein Lokal gemeint sein kann, das so überhaupt nicht unserem Bild von einem Beisl entspricht (vgl. die klassische Provinzkaff-Trias Raika – Lagerhaus – Kirchenwirt). Besser passt die Erklärung des Wörterbuchs der bairischen Mundarten in Österreich: Abgeleitet vom tschechischen “pajzl” bezeichnet Beisl Kneipe oder Spelunke, also ein Lokal niederer Güte, wobei sich ein Bedeutungswandel zum Besseren eingestellt hat (vgl. etwa das schnöselige ARGE Beisl). Mitunter spricht man sogar schon von Nobel-Beisln, wobei solche Oxymora ganz sicher nicht in unseren illustren Testpool fallen, was wiederum nicht heißen soll, dass wir Etab-
lissements für den gehobenen Drangler von vornherein ausschließen wollen. Man sieht bereits: Eine exakte Definition ist schwierig, wenn nicht sogar unmöglich; wir brauchen sie aber eigentlich auch gar nicht, denn: Beisl ist eine Einstellung, ein Lebensgefühl, ein state of mind. Beisl ist, was du draus machst. Klassische Beislmerkmale wären etwa: Schanktheke, Namen wie Treff, Café oder Stüberl (oft in Verbindung mit einem oder mehreren Deppenapostrophen), eine oder mehrere Dartscheiben (nicht selten kombiniert mit Pokalen von internationalen Darts-Meisterschaften), eine kleine Auswahl an Speisen (z.B. Gulaschsuppe, Frankfurter, Schinken-Käse-Toast), keine laute Musik, Einrichtung wie im Wohnzimmer von Tante Gerti. Das alles kann ein Beisl haben, muss es aber nicht. Hauptsache ist, dass Bier, Wein und Schnaps günstig sind. Damit wären wir auch schon bei unserem Stichwort: Beisl-Test, Bier und Schnaps, danach weiterziehen, wie gehabt, ihr kennt euch aus. Gasthaus Hinterbrühl Erste Station unserer Altstadtexpedition ist ein unauffälliges Lokal am Kajetanerplatz, an dem jeden Tag hunderte, wenn nicht sogar tausende BustouristInnen vorbeigeschleust werden. Im breiten Spektrum der Beislarten entspricht das Gasthaus Hinterbrühl am ehesten dem Typ “Wirtshaus”, weil es hier eine vergleichsweise umfangreiche Speisekarte und wenig (eigentlich keine) TschecherantInnen gibt. Unsere InformantInnen haben uns allerdings verraten, dass hier bis vor nicht allzu langer Zeit ordentlich gebechert und gepofelt wurde. Seit dem Inhaberwechsel geht es aber ruhiger zu, was aber nicht heißen soll, dass man sich hier nicht gemütlich be-
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trinken könnte. Obwohl wir knapp vor der Sperrstunde kommen, begrüßt man uns freundlich und bekocht uns sogar noch. Zu Bier und Schnaps (Empfehlung: Zirbe) wird hier vor allem klassische Hausmannskost serviert. Kurz vor der frühen Sperrstunde (21 Uhr) testen wir noch die Toiletten. Diese sind hinter einem Vorhang im Vorhaus versteckt - vermutlich, um sie vor den Touri-Karawanen, die durch das Weltkulturerbe pilgern, zu verstecken. Dem Massenandrang auf diese Weise entzogen, sind sie entsprechend sauber und gepflegt – einwandfrei. Dem guten Schmäh des Kellners ist es zu verdanken, dass wir letztendlich auch unseren Rauswurf sportlich nehmen und guten Mutes weiterziehen. Johanna’s Secession1 In der engen Krotachgasse, zwischen Mozartkino-Hintereingang (eigentlich -ausgang) und einer Wä-
scherei befindet sich das Café Secession. Dort gibt es “coole Drinks für coole Leute” – wir gehen trotzdem hinein in der Hoffnung, bewirtet zu werden. Der in häretischer Manier von einer Beisltourteilnehmerin bestellte “Hugo” wird in einem großen Kelch serviert und bringt derselben verächtliche Blicke der traditionalistischen BeisltouristInnen ein. Vom nächsten exotischen Getränk, welches besagte Dame bestellt, kennen wir weder Namen noch Zutaten, aber es schmeckt hervorragend – großes Lob an die sympathische Wirtin Johanna. Auf Wunsch unserer Chefredakteurin soll auch das Interieur des Lokals nicht unerwähnt bleiben, weil es angeblich – abgesehen vom Stiegl-Kühlschrank – der “echten” Secession ähnele. Der Rest der Truppe ist kulturell nicht interessiert und weiß deshalb nicht, wovon sie spricht. Unsere Expertise liegt anderswo: Wen die Notdurft drängt, der muss die beschwerliche Reise in
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1 So schnell kann’s gehen: Irgendwann zwischen Testund Drucktermin hat dieses Lokal zusperren müssen. Was wird die Zukunft bringen? Zieht wieder ein Beislwirt ein oder siegt die Gentrifizierung auch hier und es kommt eine Bobo-Bar? Wir sind gespannt.
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den ersten Stock auf sich nehmen. Diese zahlt sich aber aus, man fühlt sich dort sehr wohl. Weil aber alles ein Ende hat und nur die Wurst zwei, können wir diese Oase der Glückseligkeit nicht weiter genießen, steigen wieder hinab in die Welt der Sterblichen und verlassen das Lokal dank der coolen Drinks als coole Leute. Balthazar Während das Gasthaus Hinterbrühl am Wirtshaus-Ende des Spektrums lag, ist es bei diesem Lokal in der Kaigasse umgekehrt: Das Balthazar würde – rein optisch – genauso gut auf den Rudolfskai passen. Vielen ist es vielleicht wegen der lustigen und geistreichen Sprüche auf den außen angebrachten Tafeln bekannt. Weil es schon spät ist und der Andrang an potentiell Trinkwilligen überschaubar ist, ist man hier bei unserer Ankunft schon im Begriff zuzusperren. Für uns wird allerdings eine Ausnahme gemacht und für die Damen in unserer Gruppe, die nach dem Besuch in der coolen Secession (oder wegen der arktischen Außentemperaturen) frieren, wird sogar ein Heizstrahler bereitgestellt. Auch für das leibliche Wohl wird in Form von (kostenlosen) Chips gesorgt. Das kroatische Bier, auf das wir uns nach Durchsicht der Karte sehr gefreut haben, ist leider ausverkauft (ein Qualitätsmerkmal?). Wir müssen uns daher mit einer österreichischen Variante des Gersten-
safts zufriedengeben. Bonus für sportlich Interessierte: Auf den Bildschirmen des Lokals läuft Fußball. Pfeifferstüberl Für die meisten Geswi-Studis gilt wohl: Oft daran vorbeigegangen, aber nie hinein getraut. Bei einem ersten Erkundungsbesuch vor mehreren Jahren wurde festgestellt, dass man das Lokal am Papagenoplatz betreten kann, ohne von wildgewordenen Stammgästen aufgefressen zu werden. Das gilt auch heute noch, obgleich selbige auf unsere Ankunft äußerst skeptisch reagieren. Das Publikum gehört durchwegs zur Gruppe 55+, die Universität Salzburg könnte hier also gut um neue Studieninteressierte bzw. Zahlungswillige für das entsprechende Programm werben. Das Stüberl verfügt über eine große Schnapsauswahl, die es dank bunter Flüssigkeiten in verschiedenen Gefäßen wie eine Alchemistenküche wirken lässt. Größter Nachteil des Beisls: Es ist hier alles sehr beengt, weshalb man durchaus damit rechnen muss, wegen Platzmangels abgewiesen zu werden. Klause Wir machen einen großen geographischen Sprung ans andere Ende der Altstadt und befinden uns nun am Ursulinenplatz. Während die meisten anderen Beisln
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in erster Linie von Unterschichten-Dranglern frequentiert werden, besaufen sich hier Intellektuelle (und solche, die sich dafür halten). Wir passen also bestens in das gut besuchte Lokal und ordern Bier und Schnaps. Wer es gerne rauchfrei hat, ist hier am falschen Platz – die Rauchschwaden hängen zu späterer Stunde bereits tief im Raum. Ein Ausweg aus dieser Situation wäre im Sommer wohl der Gastgarten vor dem Lokal. Dieser ist Gerüchten zufolge aber hin und wieder gesperrt, weil er an der Einschlagstelle eines beliebten Salzburger Suizid-Hotspots liegt. Wer über 1,70 groß ist, wird außerdem Probleme mit den Toiletten haben – sie erfordern mitunter akrobatische Höchstleistungen. Das Experiment Altstadt-Beisltest zeigt: Es ist durchaus möglich, auch im Zentrum der Stadt gepflegt zu biaschtln. Es erfordert großen Mut, nicht wieder in alte
Muster zu verfallen, und die Bereitschaft, konsequent die Todeszone Rudolfskai zu meiden, aber es ist machbar. Nichtsdestoweniger muss festgestellt werden, dass TschecherantInnen in den einschlägigen Etablissements der ArbeiterInnenbezirke hundertmal sympathischer sind. Jene Originale, die man aus diversen Spira-Filmen kennt, findet man nur dort; die interessanten und tragikomischen Lebensgeschichten, derentwegen man die Mühen eines Beisltests überhaupt erst auf sich nimmt, hört man nur von ihnen. Wie immer erheben wir keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Über Anregungen und Geheimtipps für kommende Kontrolltouren freut sich die Redaktion außerordentlich (presse@oeh-salzburg.at). Prost!
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Disclaimer: Der Test wurde in unserer Freizeit durchgeführt, dadurch keine Studierendeninteressenvertretungsarbeit vernachlässigt. Es wurden keine ÖH-Mittel aufgewendet. Es gab keinerlei finanzielle Zuwendungen seitens der Beisl-InhaberInnen.
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DIE GÄRTEN IM KRIEGE
1919 zog Stefan Zweig nach Salzburg. 1934 bewegte ihn eine willkürliche Hausdurchschung durch die Austrofaschisten zur Emigration nach England. Seine Ankunft in der Mozartstadt jährt sich bald zum 100. Mal. Von Stefan Zweig (1939) Unter den vielen in Europa, die das triste Privileg haben, nun schon den Zweiten Weltkrieg mit wachen Sinnen mitzumachen, ist mir noch das Besondere vorbehalten gewesen, jeden dieser Kriege von einer anderen Front zu sehen. Den Ersten sah ich von Deutschland, von Österreich aus, den Zweiten von England. Darum wird mir Beobachten unwillkürlich zum ständigen Vergleich, einem Vergleich nicht nur der Konstellation beider Kriege, sondern auch der beiden Völker im Kriege. Die immense Verschiedenheit empfand ich schon am ersten Tage. 1914 war die Kriegserklärung in Wien ein Rausch, eine Ekstase. Man hatte den Krieg nur aus Büchern gekannt, man hatte ihn nie mehr für möglich gehalten in einer zivilisierten Zeit. Nun war er plötzlich da, und weil man nicht wußte, wie grausam, wie mörderisch er sein würde, erregte sich die jäh aufgepeitschte Phantasie kindlich-neugierig daran wie an einem romantischen Abenteuer. Ungeheure Massen strömten aus den Häusern, den Geschäften auf die Straßen, formten sich zu begeisterten Kolonnen; plötzlich waren Fahnen da, man wußte nicht woher, und Musik, man sang in Chören, man jauchzte und jubelte, ohne recht zu wissen, warum. Die jungen Leute stauten sich vor den Ämtern, um sich zu melden; sie hatten nur die eine Angst, sie könnten zu spät aufgerufen werden und das große Abenteuer versäumen. Und vor allem: jeder hatte das Bedürfnis zu sprechen, über das zu sprechen, was alle gemeinsam erregte. Fremde redeten sich an auf den Straßen, in den Ämtern vergaß man das Amt, in den Geschäften das Geschäft, man telephonierte sich ununterbrochen, von Haus zu Haus, um die innere Spannung im Wort zu entladen, die Restaurants, die Kaffeehäuser Wiens waren wochenlang voll bis tief in die Nacht von diskutierenden, von exaltierten, nervösen, aber immer schwätzenden und schwätzenden Menschen, jeder einzelne ein Stratege, ein Nationalökonom, ein Prophet. Dies blieb mir als Bild, als unvergeßliches, von Wien 1914. Und dann 1939 England, ein ebenso unvergeßlicher Kontrast. 1939 war der Krieg keine plötzliche Überraschung, sondern nur eine Wirklichkeit gewordene Befürchtung. In allen Ländern hatte man ihn seit
Hitlers Machtübernahme kommen sehen, näher und näher, man hatte alles getan, um ihn wegzuhalten, weil man sein Grauen kannte. Man wußte aus Erfahrung, aus Beobachtung, daß er kein romantisches Fabeltier war, sondern eine gigantische, mit allen Teufelskünsten der Technik ausgerüstete Maschine, die in ihrem langen Umlauf tagtäglich ungeheure Massen an Menschen und Geld verbraucht. Man gab sich keinen Illusionen hin. Niemand jubelte, jeder erschrak, jeder wußte, daß für sein Land, für die Welt jetzt Jahre der Verdüsterung kommen würden. Man nahm den Krieg hin, weil man ihn hinnehmen mußte als etwas Unvermeidliches. Das war 1939. Aber obwohl ich das wußte, ja diese stoische Haltung als die einzig natürliche erwartete, wurde mir England zur Überraschung, und ich lernte in den Tagen des Krieges mehr über dieses Volk als vordem in Jahren. Die erste Erfahrung war der erste Tag. Ich hatte zufällig in einem Amte zu tun, der Beamte stellte ein Dokument für mich aus, als die Tür sich öffnete und ein anderer Beamter eintrat und meldete: »Deutschland ist in Polen eingerückt. Das ist der Krieg. I have to leave at once.« Er sagte es mit völlig ruhiger Stimme, als machte er eine kleine amtliche Mitteilung. Und während mir das Herz stille stand und ich (warum mich schämen?) meine Finger zittern fühlte, schrieb der Beamte vor mir ruhig das Dokument zu Ende, reichte es mir mit dem leichten freundlichen englischen Lächeln. Hatte er nicht verstanden? Glaubte er es nicht? Aber ich trat auf die Straße. Sie war völlig still, die Menschen gingen weder schneller noch erregter. Sie wissen es noch nicht, dachte ich abermals. Sonst könnten sie nicht so ruhig, so gefaßt jeder seiner Beschäftigung nachgehen. Aber schon kamen die Zeitungen weiß flackernd herangeweht. Die Leute kauften sie, lasen sie und gingen weiter. Keine erregten Gruppen, selbst in den Geschäften kein nervöses Beieinanderstehen. Und so dann die ganzen Wochen hindurch, jeder still, gelassen seinen Dienst tuend, keiner sichtbar erregt, jeder ruhig entschlossen und schweigsam: wären nicht gewisse äußere Sichtbarkeiten wie der black-out oder die in England ungewohnte Häufigkeit der Uniformen, niemand könnte nach der bloßen Haltung der Menschen hier vermuten, dieses Land kämpfe einen der schwierigsten und entscheidendsten Kriege seiner Geschichte.
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