Wissensmagazin Denkraum

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DE N K RAUM Das Wissensmagazin der Universität Liechtenstein | No. 06 | Juni 2017

11 DIE KUNSTFIGUR MUSS MENSCHLICH WERDEN Ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit in der Wirtschaftswissenschaft.

26 ENSEMBLES, NICHT SOLISTEN

17 WIR SIND SKATER! Seit 10 Jahren setzt sich der Rollbrett Club Chur für einen Skatepark ein. Im Interview erzählen 4 Mitglieder, warum aufgeben keine Option ist.

Kann Kultur die dringlichsten Probleme unserer Welt lösen?

Schwerpunkt Gemeinschaft

Alle für mich – keiner für alle?

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Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser Das 21. Jahrhundert ist ein Jahrhundert des Wandels. Unter anderem führte die Industrialisierung zu einer starken Zuwanderung in Europas Städte. Aus dem «Wir» wurde ein «Ich». Die zunehmende wirtschaftliche Unabhängigkeit hat zu einer steigenden Individualisierung beigetragen. Doch muss man sich wirklich Sorgen machen ( S. 8 )? Die Perspektive, aus der ein Problem betrachtet wird, beeinflusst massgeblich seine Lösung. In der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung wurde die Variable Mensch lange Zeit eher einseitig gesehen: als rational handelnder Homo oeconomicus. In dieser Modellwelt des Nutzenmaximierers gibt es keinen Platz für den SUV mit Allrad für den Stadtgebrauch oder das neueste Smartphone, obwohl das alte noch einwandfrei läuft. So funktioniert der Mensch jedoch nicht. Nur zu gerne lassen wir uns verführen und entscheiden mit dem Herzen, statt nur mit dem Kopf ( S. 11 ). Die Wissenschaftler Martin Angerer und Wiebke Szymczak erforschen das Rätsel unserer finanziellen Entscheidungen. Aktuell untersuchen sie, wie sich die Risikofreude beim Umgang mit virtuellem Geld verhält. Sind wir waghalsiger, wenn wir die Banknote nicht mehr in der Hand halten ( S. 12 )? Besonders mit Blick auf die Finanzkrise 2008 ist dies eine Frage, die viele beschäftigt. Finanzanlagen sind jedoch nicht die einzigen Investitionen, die riskant ge- oder verspielt werden können. Die Förderung einer gesunden und lebendigen Unternehmenskultur ist ein entscheidender Faktor für wirtschaftlichen Erfolg ( S. 14 ). Dies gilt für etablierte genauso wie für frisch gegründete Unternehmen. Doch auch jenseits von Schreibtisch oder Produktionshalle gilt es, in Menschen mit Ideen zu investieren. Ein gutes Beispiel ist der Rollbrett Club Chur. Seit 2008 setzen sich seine Mitglieder für den Bau eines Skateparks in der Stadt Chur ein. Ihre Motivation ist der Wunsch nach

einem festen Platz für die Skater Community im Stadtgefüge – raus aus der Nische und runter von der Strasse ( S. 17 ), schliesslich wird die Sportart 2020 olympisch. Damit Ideen Realität werden, braucht es Hirn, Herzblut und Unterstützung. Letzteres will der Liechtensteiner Ideenkanal bieten. Die Gründer Christof Brockhoff und Stephan Schweiger schufen nicht nur ein Umfeld aus Mentoren und Förderern ( S. 20 ). Sie bauten eine Gemeinschaft aus Menschen mit Ideen und einer guten Portion Idealismus. Die Voraussetzung für die Teilnahme am Ideenkanal-Wettbewerb ist auch nach bald einem Jahrzehnt eine sinnstiftende Idee. Das Schöne an Ideen ist: man weiss nie, wie sie aussehen und wann sie einen treffen. Edith De Boni hatte bei einem Spaziergang mit einem Bekannten den zündenden Gedanken. Sie wünschte sich mehr Leben in ihrem Haus in Liechtenstein, in dem sie alleine lebte. Im Gespräch wurde die Idee eines internationalen Mehrgenerationenhauses geboren. Heute lebt sie mit einem geretteten Hund aus Italien, einer Architekturstudentin aus der Ukraine und einer Wirtschaftsstudentin aus China zusammen ( S. 22 ). Gemeinschaft ist stark und fragil zugleich. Man muss sie pflegen und fördern, damit sie lebendig bleibt. Herzlichst,

Jürgen Brücker Rektor der Universität Liechtenstein


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Inhalt Ausgabe No. 06 06 Standpunkt Engagement zahlt sich aus Der Jugendrat Liechtenstein fördert politische

Beteiligung und die Freude am Wählen.

08 Leitartikel Alle für mich – keiner für alle? Löst sich unsere Gesellschaft auf?

Eine Spurensuche.

11 Essay Die Kunstfigur muss menschlich werden

Ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit in der Wirtschaftswissenschaft.

12 Forschung im Fokus Der Mensch im Fokus

Sind wir riskanter im Umgang mit virtuellem Geld? Finanzwissenschaftler suchen nach Antworten.

14 Feature Unternehmenskultur ist der Motor eines Unternehmens

Wie kann Unternehmenskultur gestärkt werden? Erkenntnisse aus Wirtschaftswissenschaft und Architektur.

16 Uni Gestalten Immer mit der Ruhe

22 Fotoreportage Zusammen ist man weniger allein

Ein internationales Mehrgenerationenhaus und seine Bewohner im Porträt.

26 Denkanstoss Ensembles, nicht Solisten

Kann Kultur die dringlichsten Probleme unserer Welt lösen?

Leadership-Experte und Westernreiter Thomas Moll im Porträt.

17 Interview Wir sind Skater!

Seit 10 Jahren setzt sich der Rollbrett Club Chur für einen Skatepark ein. Im Interview erzählen 4 Mitglieder, warum aufgeben keine Option ist.

20 Feature Ideenschmiede mit Herz und Sinn

Der Liechtensteiner Ideenkanal Wettbewerb geht in die 10. Runde! Eine Erfolgsgeschichte der sozialen Innovation.

Impressum Herausgeber Stabsstelle Kommunikation, Universität Liechtenstein, Fürst-Franz-Josef-Strasse, 9490 Vaduz, Liechtenstein Chefredaktorin Inga van Gessel Autoren dieser Ausgabe Martin Angerer, Anna Birkenmeier, Heike Esser, Katja Fenkart, Inga van Gessel, Brian Haas, Christine Rhomberg, Wiebke Szymczak Lektorat Heike Esser Kontakt Stabsstelle Kommunikation T +423 265 12 73, F +423 265 11 12

Grafik und Gestaltung Leone Ming Est., Intensive Brand 9494 Schaan, Liechtenstein agentur@leoneming.com Anzeigenpartner creativeservice ag, fokusmedien 9494 Schaan, Liechtenstein kunde@fokusmedien.li Druck BVD Druck +  Verlag AG, 9494 Schaan, Liechtenstein www.bvd.li Erscheinungsweise  Halbjährlich Auflage  35 000 Aktuelle Ausgabe und Archiv: www.uni.li/denkraum

Fotografie Adrian Schröder


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Standpunkt

ENGAGEMENT zahlt sich aus Viele Vereine suchen händeringend nach Nachwuchs. Dies ist Ausdruck einer Zeit, in der das Zugehörigkeitsgefühl des Einzelnen zur öffentlichen Gemeinschaft immer mehr zu schwinden scheint. Dabei wird das Begeistern von Neumitgliedern oder ehrenamtlich tätigen Nachfolgern für Vorstandspositionen zur grossen Herausforderung. Text: Brian Haas, Präsident Verein Jugendrat in Liechtenstein Foto: Celina Banzer

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nde 2011 entwickelten Florian Ramos und ich die Idee, den Jugendrat Liechtenstein zu gründen. Unser Antrieb war die Frage, wie wir junge Menschen vermehrt für Politik begeistern und sie neutral informieren könnten. Ein knappes Jahr später wurde unsere Idee endlich Realität. Wir verstehen uns als informierendes Organ, welches die Jugendlichen und jungen Erwachsenen unabhängig auf aktuelle politische Themen hinweist. Damit möchten wir die Freude am Wählen und Abstimmen fördern. In Liechtenstein herrscht ein wahres Überangebot an Vereinen. Im Jahr 2015 waren 286 Vereine im Handelsregister eingetragen. Bei der Gründung des Jugendrats Liechtenstein war uns wichtig, von Anfang an mit unserer Arbeit zu überzeugen. Deshalb haben wir bereits bei Bekanntmachung ein Ergebnis präsentiert und keine Forderungen an die Politik

gestellt. Unser Startprojekt war «easyvote», eine unparteiische Broschüre, mit der wir junge Menschen neutral auf die Wahlen vorbereiten wollten. Insgesamt konnten wir so rund 3000 Jungwählerinnen und Jungwähler erreichen. Mittlerweile geht der Jugendrat Liechtenstein in sein fünftes Jahr. Projekte wie die Jugendsession oder der Workshop «Politik zum Anfassen», begeistern immer mehr Jugendliche und junge Erwachsene für die Politik und helfen, unsere Arbeit bekannt und für Neumitglieder interessant zu machen. Unsere

Erfahrung zeigt: Die heutige Jugend erwartet von einem Verein mehr als eine reine Interessenvertretung. Sie will gemeinsam etwas verändern und bewirken können. Wir sind überzeugt, dass es letztlich egal ist, wo sich junge Menschen engagieren. Viel wichtiger ist es, dass sie sich einbringen. Denn die Entscheidungen von heute betreffen unser künftiges Wohlergehen. www.jugendrat.li


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Leitartikel

ALLE FÜR

MICH – KEINER FÜR ALLE? «Yes we can» klang es vor 9 Jahren, «Wir schaffen das» lautete eine Parole im vergangenen Sommer und «Wir sind das Volk» heisst es schon seit Georg Büchners «Dantons Tod» aus dem Jahr 1835 immer dann, wenn gesellschaftliche Umbrüche in der Luft liegen. Text: Heike Esser Illustration: Alina Sonea

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er oder was ist dieses «Wir», an das vor allem in der Politik so häufig appelliert wird? Ist es die Summe der Menschen, die hinter einer Idee, Ideologie oder Führungspersönlichkeit stehen? Sind damit auch alle jene eingeschlossen, die erst dafür gewonnen werden sollen? Was lässt Individuen zu einem Wir zusammenwachsen? In der Frühzeit der Menschheit war eine Gemeinschaft die Überlebensgarantie, bot die Sippe oder der Stamm Sicherheit und eine bessere Versorgung mit Nahrung. Und so sollte es bis zur Industrialisierung im 18. Jahrhundert bleiben – wer alleine war, hatte kaum eine Chance auf eine glückliche Zukunft. Der Verstoss aus der Gemeinschaft, in Acht und Bann geschlagen zu werden, kam oftmals einem Todesurteil gleich. Erst die Industrialisierung führte zur Aufgabe der starren ständischen Korporationen, die das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben bisher geprägt hatten. Die erweiterte Arbeitsteilung führte zu einer Schwächung der traditionellen sozialen

Bindungen und dem Zerfall der dörflichen Gemeinschaften und liess neue Gemeinschaftsformen wie Parteien und Gewerkschaften, aber auch Vereine und Gesellschaften entstehen. Diese neuen Organisationen waren freiwillige Vereinigungen, die alle Bereiche des Lebens umfassten, sie vereinten individuelle mit kollektiven Interessen und gewannen so zunehmend an Macht und Einfluss. Und heute? Braucht der Einzelne heute noch die Stärke einer Gemeinschaft, um seine Interessen vertreten zu können? Die zunehmende wirtschaftliche Unabhängigkeit hat zu einer steigenden Individualisierung beigetragen. Bereits 1939 betonte der Soziologe Norbert Elias im Rahmen seiner Zivilisierungstheorie, dass der Industriestaat mit dem Ausbau des Gewaltmonopols und der Sozialsysteme wesentliche Aufgaben bei der Garantie der physischen und sozialen Sicherheit seiner Mitglieder übernommen hat. Die einzelnen Menschen erhielten so nicht nur allmählich grössere Entscheidungsspielräume, «sondern


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«Grössere Entscheidungsspielräume führen zu einer Zunahme nichtdauerhafter Beziehungen und dem Zwang zur Beziehungsprüfung.» Norbert Elias, Soziologe

sind auch einem Zwang zur Entscheidung ausgesetzt. Eine der Folgen ist die Zunahme nichtdauerhafter Beziehungen und der Zwang zur Beziehungsprüfung: Private Beziehungen, Berufsbeziehungen und in Grenzen auch Staatsangehörigkeiten werden auswechselbarer. Während Menschen früher häufig lebenslang an eine bestimmte soziale Einheit ( z.B. Familie ) gebunden waren, können sie immer häufiger über ihre Beziehungen selbst entscheiden – und müssen dies deshalb auch.» * Die genannten Wir-Slogans zeigen aber, dass die Gemeinschaftsidee trotz aller Individualisierung auch heute noch nicht ausgedient hat. In Zeiten mit erhöhten Unsicherheiten wie Finanzkrise, Angst vor Arbeitslosigkeit, Terrorgefahr und starken Migrationsbewegungen bieten Gemeinschaften wieder erfolgreich ihren Schutz und Orientierungshilfen an. Gemeinschaft wird dabei oft nicht mehr zur Bereicherung der eigenen Erfahrungswelt gebildet, sondern dient zunehmend zur Abwehr Anderer und primär als Sammelbecken für Gleichgesinnte. Die Brexit-Entscheidung der Briten und die AfD / Pegida-Bewegung in Deutschland zeigen beispielhaft, wie rasch der gesellschaftliche Einfluss solcher «Schutzgemeinschaften» erstarken kann und grosse Bedeutung für Politik und Wirtschaft gewinnt. Verstärkt wird diese Renaissance vermeintlich klassischer Werte auch durch den Traditionsverlust während der vergangenen Jahre. In dieser Zeit des scheinbar endlosen Wirtschaftswachstums wandelten sich nicht nur die individuellen Lebensentwürfe, sondern auch die Wirtschaft veränderte ihre Werte. Galt etwa ein Mitarbeitender mit zahlreichen

beruflichen Stationen in der Vergangenheit als kritisch betrachteter «Jobhopper», setzen heute Unternehmen vielfach auf regelmässig wechselnde Mitarbeitende, um sich einen steten Zustrom an neuen Ideen zu sichern. Gemeinschaften mit starren Werten scheinen in diesem bewegten Umfeld an Attraktivität zu gewinnen. Doch muss man sich wirklich Sorgen um unsere Gesellschaft machen? Der Soziologe Klaus Hurrelmann vertritt in seinem Buch «Die heimlichen Revolutionäre – Wie die Generation Y unsere Welt verändert» die Ansicht: «Die Ypsiloner [Jahrgänge 1980 – 99, Anm. Red.] sind «Egotaktiker», die alle wichtigen Lebensentscheidungen nach den unmittelbaren Vorteilen und Nachteilen für die eigene Person und ihr Wohlbefinden abschätzen. In Zeiten, in denen es politisch und wirtschaftlich unruhig zugeht, in denen es den Job auf Lebenszeit möglicherweise nie mehr geben wird, investieren junge Leute so viel in ihre Bildung und Ausbildung wie nie zuvor. Ein hoher Bildungsabschluss wird zur wichtigsten Munition im Kampf um einen Platz in der Gesellschaft. Er gilt aber auch als Schlüssel zu einem selbstbestimmten Leben.» Allerdings wird dieser optimistische Ansatz von der empirischen Forschung nicht uneingeschränkt bestätigt. In vielen Studien erscheinen die Angehörigen der Generation Y als stark angepasst, stressgeplagt und verunsichert – mit einer Tendenz zum Rückzug ins private Idyll und dem ausgeprägten Wunsch nach Sicherheit, permanentem Feedback und Anerkennung. Dies erklärt zumindest teilweise das Aufleben nach innen gewandter Gruppierungen und überholt geglaubter Überzeugungen.

Ist die Generation Z der ab 2000 Geborenen als zweite Generation der «Digital Natives» noch an diesen alten Gemeinschaftsformen interessiert oder leben sie bereits vollständig in einer digitalisierten Welt mit virtuellen Freunden? Anders als die in der Arbeit Sinn suchende Generation Y möchten Mitglieder der Generation Z nach Ansicht zahlreicher Experten etwas nach aussen darstellen. Für sie steht im Vordergrund, im Berufsleben Karriere zu machen und Führungspositionen zu besetzen. Die eigene Darstellung und Präsenz in sozialen Netzwerken ist für sie von grosser Bedeutung. Die Generation Z wird nicht durch mögliche spätere materielle Reichtümer angetrieben, sondern durch das Streben nach Anerkennung. Nach den Studien Hurrelmanns entsteht ausserdem ein hoher Grad von Selbstbewusstsein und das Bestreben, Umwelt und Gesellschaft politisch zu verändern. Es bleibt abzuwarten, ob die gegenwärtige Individualisierung auch in dem aktuell zunehmend schwierigeren wirtschaftlichen und politischen Umfeld fortschreitet, oder ob dadurch tragfähige Solidargemeinschaften eine Renaissance erleben.

* Norbert Elias: Die Gesellschaft der Individuen. Suhrkamp, 2001


Essay

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DIE KUNSTFIGUR muss menschlich werden Der Homo oeconomicus ist eines der wichtigsten Modelle der Wirtschaftswissenschaft. Wird menschliches Handeln aber anhand einer rein ökonomisch handelnden Figur beschrieben, führt man es ad absurdum. Ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit in der Wirtschaftswissenschaft. Text: Katja Fenkart Illustration: Alina Sonea

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n einer Zeit, in der soziale Verantwortung gross geschrieben wird, droht dem Homo oeconomicus ein ständiger Gesichtsverlust. Logisch denken kann er besser als jeder andere. Der Einsatz für das Gemeinwohl bleibt dabei aber auf der Strecke. Dass man ihm im Alltag nicht begegnet, hat einen einfachen Grund: Er ist kein Mensch aus Fleisch und Blut, sondern eine Erfindung der Wirtschaftswissenschaft – der Idealtyp eines rein wirtschaftlich handelnden Menschen. Und der hat besonders seit der Finanzkrise im Jahr 2008 einen immer schlechter werdenden Ruf. Nur der eigene Nutzen zählt Das klassische Modell, mit dem in der Wirtschaftswissenschaft immer wieder versucht wird, menschliches Handeln und wirtschaftliche Zusammenhänge zu erklären, beschreibt einen fiktiven, rational handelnden Durchschnittsmenschen. Dieser wirkt zuweilen recht unsympathisch. Er verfolgt nur ein Ziel: den grösstmöglichen Nutzen für sich selbst herauszuschlagen. Alle möglichen Handlungsoptionen sind ihm dabei genauso bekannt wie deren Konsequenzen. Der Nutzenmaximierer wägt genau ab, vergleicht Preis und Nutzen – unabhängig davon, ob er ein neues Auto oder eine Packung Kaugummi kaufen will. Während andere Menschen über Wankelmütigkeit klagen, ändern sich seine Präferenzen nicht. Solange die materiellen Anreize stimmen, ist der Homo oeconomicus zufrieden. Mit Emotionen, Vorlieben und Abneigungen schlägt er sich nicht herum. Immaterielle Werte und widersprüchliches Verhalten haben in seiner Welt keinen Platz. Die Variable Mensch Dass man mit einem solchen Verhalten in der Realität nicht weit kommt, liegt auf der Hand. Das wirklichkeitsfremde Modell stösst daher auf heftige Kritik. Die Gegner stören sich vor allem daran, dass niemand

ausschliesslich wirtschaftlich handeln, lückenlos informiert sein und eigennützig leben kann. Kritik kommt vor allem aus der Disziplin der Verhaltensökonomik. Sie hat es sich zur Mission gemacht, mithilfe von Experimenten zu beweisen, dass der Mensch sich eben nicht nur ökonomisch, rational und eigeninteressiert verhält. Er lässt sich täuschen und beeinflussen, ist nicht emotions- und präferenzlos und macht auch mal Fehler. Kurz gesagt: Er ist menschlich. Gesellschaft braucht Verantwortung Der Wirtschaftswissenschaft zu unterstellen, sie würde den Homo oeconomicus als Abbild eines realen Menschen ansehen, wäre falsch. Die Kunstfigur dient in erster Linie der Bearbeitung von Forschungsfragen. Sich eines Modells zu bedienen, das menschliches Handeln nur mit Blick auf den ökonomischen Nutzen beschreiben will, wird der komplexen Welt, in der wir leben, aber nicht gerecht. Nimmt man das Modell des Homo oeconomicus zu ernst, führt es menschliches Handeln ad absurdum. Der Einsatz für das Gemeinwohl kann genauso wenig mit reinem Zweckhandeln und Nutzenmaximierung erklärt werden wie ehrenamtliches Engagement. Würde sich tatsächlich jeder nur auf seinen eigenen Nutzen konzentrieren und keinerlei gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, würde unsere Welt schnell vor die Hunde gehen. Mit einem menschlicheren Modell könnte die Wirtschaftswissenschaft nicht nur die soziale Realität besser miteinbeziehen, sondern auch das Image des Homo oeconomicus aufpolieren.


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Forschung im Fokus

DE R ME NSCH IM FOKUS Wie Forscher mit Experimenten ergründen, wie wir finanzielle Entscheidungen treffen. Text: Martin Angerer & Wiebke Szymczak

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Computer surren leise vor sich hin. Das Experimentallabor wirkt wie ein gewöhnlicher Computerraum – wären dort nicht Sichtschutzwände zwischen den einzelnen Rechnern und Anleitungen für das bevorstehende Experiment an jedem Platz bereitgelegt. Wiebke Szymczak, Doktorandin der Universität Liechtenstein, hat alles sorgsam vorbereitet, da sie heute die Durchführung der Experimente begleitet. Sie tritt zur Eingangstür, an der etwa 25 Teilnehmer dicht gedrängt warten, bis es losgeht. «Herzlich willkommen zu unserem heutigen Experiment», ruft sie in die Runde, und das Gemurmel wird leiser. Für die folgenden 90 Minuten wird die Gruppe in die Rolle von Finanzinvestoren schlüpfen und auf einem experimentellen Finanzmarkt fiktive Aktien handeln. Je besser sie dies tut, desto höher wird auch ihr Verdienst für die Teilnahme am Experiment sein. Die Forscher wollen damit herausfinden, wie Menschen finanzielle Entscheidungen treffen.

Noch vor wenigen Jahrzehnten waren experimentelle Studien in der ökonomischen Forschung die erklärte Ausnahme. Reinhard Selten, der 1994 als bislang einziger deutschsprachiger Wissenschaftler den Nobelpreis im Bereich Wirtschaftswissenschaften erhielt, hat sich früh kritisch mit dem Homo oeconomicus auseinandergesetzt. Daraus ist eine dynamische Forschungsgemeinschaft entstanden, die experimentelle Methoden nutzt, um die Vorhersagen der «rationalen» Theorie zu überprüfen. «Der Homo oeconomicus hat der finanzwirtschaftlichen Forschung viele Jahre gute Dienste erwiesen», erklärt Ass.-Prof. Dr. Martin Angerer, der das Forschungsfeld Experimental and Behavioral Finance an der Universität Liechtenstein leitet. «Nun, da wir wissen, was streng rationale Entscheider tun sollten, können wir die Modellergebnisse gezielt mit den tatsächlichen Handlungen der Menschen vergleichen. So können wir untersuchen, wann die Modelle zutreffen und wann nicht, um die bestehenden Theorien weiterzuentwickeln.»

Genau darum geht es in den Projekten, die er gemeinsam mit Szymczak durchführt. «Nur, wenn wir die Entscheidungen von echten Menschen unter realen Bedingungen beobachten, können wir wirklich verstehen, wie Finanzentscheidungen getroffen werden», meint die 26-jährige Hamburgerin, die seit September 2015 an der Universität Liechtenstein promoviert. «Die traditionelle Finanzforschung geht beispielsweise davon aus, dass ein Lottospieler niemals Versicherungen kaufen und ein Versicherungskunde niemals Lotto spielen würde. Ich wette, jeder Lottospieler, den Sie fragen, besitzt mindestens zwei Versicherungen!» In der Bodenseeregion sind die beiden Forschenden von der Universität Liechtenstein in bester Gesellschaft. Zahlreiche Universitäten haben sich im Bereich der verhaltensökonomischen Forschung positioniert. So wurde beispielsweise die Software, die Angerer und Szymczak in ihren Experimenten verwenden, an der Universität Konstanz entwickelt. Erst kürzlich konnten die beiden im Konstanzer Experimentallabor eine Studie mit 120 Teilnehmern abschliessen. Dabei fanden die beiden Forscher heraus, dass Menschen risikofreudiger handeln, wenn sie mit virtuellem Geld statt mit Bargeld ausgestattet werden. Im Hinblick auf die mancherorts andiskutierte Abschaffung von Bargeld, kann diese Einsicht auch für die Gesetzgebung wichtig werden. «Ich sehe grosses Potenzial, Experimente auch für die Entwicklung effektiver Gesetze und Regulierungen einzusetzen», stellt Angerer einen wichtigen Anwendungsbereich vor. An der Universität Liechtenstein arbeitet man bereits mit Hochdruck daran, dies umzusetzen.


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Feature

Unternehmenskultur ist der Motor

eines Unternehmens

Kaum eine Führungskraft widerspricht heute der Einschätzung, dass die Kultur eines Unternehmens ein zentraler Faktor für seinen Erfolg ist. Unter Unternehmenskultur sind Werte, Ziele und Normen zusammengefasst, welche in einem Unternehmen gelebt werden. Text: Anna Birkenmeier

«E

ine starke Unternehmenskultur ist der Motor einer Firma. Sie reduziert in schwierigen und hektischen Zeiten die Komplexität, weil die gelebten Werte Orientierung bieten», sagt Theresa Schmiedel, Assistenzprofessorin am Hilti Lehrstuhl für Business Process Management am Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität Liechtenstein. Fehlt eine positive Unternehmenskultur, so kann dies zu hohen Krankenständen und einer starken Fluktuation führen.

Unternehmenskultur ist Führungsaufgabe In der heutigen Geschäftswelt ist die bewusste Gestaltung der Unternehmenskultur deshalb zu einer zentralen Führungsaufgabe geworden. Zum einen, weil dadurch die Mitarbeitenden besser und länger gebunden werden können, zum anderen, weil es gilt, sich von der Konkurrenz auf eine positive Weise zu unterscheiden. Dabei spielen gelebte Werte laut Robert Mair vom Institut für Architektur und Raumentwicklung der Universität Liechtenstein, eine besonders zentrale Rolle: «Die Unternehmenskultur wird stark durch Sozialkompetenz geprägt.» Dazu gehören Überzeugungen und Werte der Mitarbeitenden, aber

auch die Art und Weise, wie sie kooperieren, wie sie miteinander leben und wie sie zusammenarbeiten. Unternehmenskultur ist etwas, was man nicht greifen, aber spüren kann.

Dass ein funktionierendes Team stärker ist als ein Einzelkämpfer, liegt auf der Hand. Deshalb muss man den Mitarbeitenden Raum lassen für Ideen und den Austausch untereinander fördern. «Mit der Gestaltung einer anregenden Unternehmenskultur werden die Rahmenbedingungen geschaffen, um dieses Miteinander zu fördern», erklärt Robert Mair. Dabei sei es zentral, dass man den Mitarbeitenden Freiheitsgrade einrichte, anstatt sie mit Kontrollmechanismen zu stark einzu-

Methodenfreiheit und Eigenverantwortung Durch einen respektvollen Umgang miteinander entsteht eine positive Arbeitsatmosphäre und damit ein Mehrwert für das Unternehmen. Eine intakte Unternehmenskultur gilt als Voraussetzung für profitables Wachstum eines «Architektur beeinflusst die Unternehmens. «Wer sich im Unternehmenskultur massgeblich!» Unternehmen Robert Mair, Institut für Architektur und wohlfühlt, Raumentwicklung der Universität Liechtenstein Wertschätzung erlebt und ein positives Umfeld vorfindet, kann im Job mehr grenzen. «Der Weg zum Ziel sollte von den Leistung erbringen», sagt Thomas Moll, ProMitarbeitenden frei gewählt werden können. jektleiter für Wissens- und TechnologietransMethodenfreiheit und Eigenverantwortung ferprojekte am KMU Zentrum der Universität sehe ich als wichtige Mittel, um höhere Ziele Liechtenstein. zu erreichen», betont Mair.


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«Wer sich im Unternehmen wohlfühlt, Wertschätzung erlebt und ein positives Umfeld vorfindet, kann im Job mehr Leistung erbringen.»

so Schmiedel, vielmehr eine Thomas Moll, Projektleiter für Wissens- und TechnologieVision und das transferprojekte am KMU Zentrum der Universität Liechtenstein Entwickeln von Leitbildern. ObKultur wichtig für Erfolg wohl hier grundsätzlich das Top-Management Grosse Unternehmen haben das festgegefordert ist, sollte dies im Rahmen eines in stellt. Als Paradebeispiel wird hier immer wieder Organisation breit angelegten Prozesses der Google genannt. Googles Erfolg basiert erfolgen. Als weiterer Schritt muss dieses massgeblich auf der einzigartigen UnternehLeitbild gepflegt und weiterentwickelt werden. menskultur. So hat das Unternehmen schon Wichtig ist dabei auch, die Unternehmenskulfrüh festgestellt, dass es im Hinblick auf den tur als permanente Managementaufgabe zu Unternehmenserfolg wichtig ist, seinen Mitbegreifen, die genauso viel Aufmerksamkeit arbeitenden Raum für Innovationen zu lassen erfordert wie andere Aufgaben. und sie nicht zu stark einzugrenzen. Dazu Gute Arbeitsatmosphäre bringt Ideen gehört auch die Gestaltung der Räume. Bei Google in Zürich ähneln die Räume mit ihren Gleichzeitig beeinflusst auch die ArRutschen und Lümmelecken eher Spiel- als beitsumgebung die Unternehmenskultur. «Die Arbeitsplätzen und tragen zum informellen Architektur kann eine inspirierende ArbeitsatAustausch bei. mosphäre ganz klar fördern. Als positives Beispiel ist hier das Unternehmen OMICRON zu Thomas Moll unterscheidet denn auch nennen», so Moll. Das Gebäude von OMICRON zwischen Kultur und Unkultur: «Unkultur ist Vorarlberg besticht durch helle Tageslichtarchitektur mit grossen Fenstern, viel Holz und bei vielen mittleren und kleinen Unternehmen verbreitet, wo die Mitarbeitenden einfach als Blick in die Natur. Es wurden Begegnungs- und Leistungserbringer gesehen werden, die ihren Kommunikationszonen geschaffen, gleichzeitig Lohn erhalten.» Grössere Unternehmen hinRückzugsorte wie etwa eine Höhle aus Lehm. gegen hätten schon lange festgestellt, dass es In solch einer Arbeitsatmosphäre können Idewesentlich mehr brauche. «Gleichwohl besteht en entstehen, es wird der ungezwungene bei vielen Unternehmen EntwicklungspotenziAustausch untereinander gefördert. Informelle al nach oben.» Orte sind für die Entwicklung der Kreativität wichtig. Anspruchsvolle Führungsaufgabe Die Unternehmenskultur zu prägen, ist Gebäude zeigt Selbstbewusstsein Zudem muss man sich auch mit der Wirdenn eine der anspruchsvollsten Führungsaufgaben, die viel Zeit erfordert und bewusst ankung nach aussen beschäftigen. Dahinter steht gegangen werden muss. «Es reicht nicht, einen die Frage, wie man von Dritten wahrgenommen werden möchte. Auch hierbei spielt die Workshop zu machen und ein paar nette Werte Architektur eine tragende Rolle. Ein Paradeauf die Webseite zu schreiben, um die Kultur beispiel ist das Gebäude der Baumeisterfirma nachhaltig zu formen», betont Schmiedel. Von 2012 bis 2014 hat Theresa Schmiedel an einem L. Gasser & Co. AG in Oberhasli, das vom ArchiForschungsprojekt des Hilti Lehrstuhls für tekturbüro Käferstein & Meister gebaut wurde. Business Process Management der Universität Der auf dem firmeneigenen Werkhof errichteLiechtenstein mitgearbeitet, das sich mit einem te Neubau schafft mit seiner Betonarchitektur tieferen Verständnis für die Organisationskuleinen neuen Ort und gibt dem Unternehmen schon von Weitem einen markanten Auftritt. tur von Unternehmen beschäftigte. Ausgangspunkt für eine starke Unternehmenskultur ist, «Architektur kann ein Unternehmen darstellen

und manifestieren, wohin das Unternehmen gehen möchte. Das neue Gebäude verkörpert ein Stück weit das Selbstbewusstsein des Unternehmens», sagt dazu der Architekt Urs Meister. Das Gebäude fasst die bisher an verschiedenen Standorten gelegenen Büroräume zentral zusammen. Der Rohbau erzählt die Geschichte des Bauunternehmens, spielt mit seinen alltäglichen Materialien und bildet so die Unternehmenskultur auch aussen ab. Als zentrales Element für die Unternehmenskultur im Inneren nennt Urs Meister die geschaffenen Begegnungszonen, welche die Mitarbeitenden zusammenbringen. Mitarbeitende können über sich hinauswachsen In Zukunft wird die Unternehmenskultur einen noch höheren Stellenwert haben, sind sich Moll, Mair und Schmiedel einig. Weshalb? «Weil wir geografisch immer ungebundener sind und dank top Ausbildungen die Möglichkeit haben, dahin zu gehen, wo wir Lust haben», so Urs Meister. Grosse globale Unternehmen machen es bereits vor, indem sie versuchen, die besten Leute über spannende Angebote anzuziehen. Dazu Thomas Moll: «Wir haben eine schnelllebige Zeit und Mitarbeiter sind einem immer grösseren Druck ausgesetzt. Inwiefern sie bereit sind, einen Extraweg zu gehen und viel Zeit in den Job zu investieren, hängt stark mit der Unternehmenskultur zusammen.» Wenn die Unternehmenskultur nicht nur die Entlöhnung der Mitarbeitenden für ihre Leistung beinhaltet, sondern zusätzliche Aspekte wie Wertschätzung und Flexibilität bietet, dann wachsen die Mitarbeitenden über sich hinaus und sind auch bereit, Extraaufwand zu betreiben. «Wenn die Kultur stimmt, dann entwickelt sich ungeheures Potenzial. Mitarbeitende, die sich wohlfühlen im Unternehmen, sind wesentlich leistungsfähiger, weniger oft krank und tragen viel mehr zum Wohl des Unternehmens bei», betont Mair.


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Uni Gestalten

IMMER MIT DER RUHE

Gegenseitiges Vertrauen, Respekt und Gelassenheit – Thomas Moll, Projektleiter des KMU Zentrums der Universität Liechtenstein, ist passionierter Westernreiter und kennt die Eckpfeiler der guten Zusammenarbeit. Seit 5 Jahren setzt sich der gebürtige Walgauer mit seiner Arbeit für die Förderung von Unternehmensgründungen am Wirtschaftsstandort Liechtenstein ein. Er organisiert den jährlich stattfindenden Businessplan Wettbewerb Liechtenstein Rheintal und begleitet Start-ups von der Idee bis zur Umsetzung. Im Interview ( s. Link unten ) erklärt er, wie das ideale Gründerteam aussieht und worauf man bei der Zusammensetzung achten sollte. www.kmu-zentrum.li

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Text: Inga van Gessel | Foto: Adrian Schröder


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Interview

WIR SIND SK ATER !

Die Skater-Community der Stadt Chur wünscht sich schon lange geeignete Trainingsmöglichkeiten und hat den Rollbrett Club Chur gegründet. Im Gespräch schildern vier Skater ihren Traum von einem Skatepark und was sie sich von der Stadtverwaltung erhoffen. Interview: Heike Esser Foto: Adrian Schröder

Ihr seid alle Mitglieder im Rollbrett Club Chur. Skater gelten gemeinhin als Nonkonformisten, wie und wann habt ihr beschlossen, etwas so Klassisches wie einen Verein zu gründen? Mario: Unsere Vereinsgründung geht auf einen Vorschlag der Jugi, der Jugendarbeit der Stadt Chur, zurück. 2008 wurde eine Gruppe

Heute ist nur noch unser Vereinspräsident, Gian, aus dieser ersten Generation im Verein. Wir anderen sind erst seit ca. 6 Jahren dabei. Diogo: Es ist ein recht dynamischer Verein und kein Generationsverein. Diejenigen, die aktiv skaten sind mehrheitlich dabei und sonst ändert sich das laufend. Aktive sind die Jungen, die noch «Saft» haben.

Warum wünscht ihr «Es ist uns wichtig, einen euch jetzt einen Skatepark? Ort zu schaffen, an dem Leute Diogo: Früher zusammenkommen.» gab es eine Trainingsanlage in der Diogo Da Silva, Alumnus der Universität Liechtenstein Oberen Au. Die wurde aber eher schlecht gewartet und die Elemente waren aus Metall. von Skatern von der Jugi angesprochen, für sich selber kleine Rampen zu bauen. Das war Nicola: Wenn sich da niemand drum kümder erste Kontakt mit der Jugi. Damals wurde mert, dann verrosten solche Metallrampen dieser Gruppe von der Jugi vorgeschlagen, halt. Man hätte sie jeden Winter einstellen und einen Verein zu gründen, um mehr bewirken zu renovieren müssen, dessen war sich aber die Stadt nicht bewusst. können. Nach dieser Vereinsgründung ist dann auch die Suche nach einem Vereinslokal lanMario: Die Gestalter der Oberen Au wollciert worden. Damit gab es die Grundlage für ten damals auch Nischensport anbieten, aber die Anlage war mehrheitlich nicht für Skateeine kleine Trainingsanlage im Freien und kurz danach für unser «Rathole», einen selbstgeboards gedacht, sondern für Inline-Skater. bauten Indoorpool zum Skaten, die dann beide Dementsprechend war alles viel zu überdimenvon den Vereinsmitgliedern gebaut wurden. sioniert gebaut worden und die Rampen waren

viel zu anspruchsvoll für Anfänger. Man hatte einfach eine Anlage aus einem Katalog ausgewählt und auf dem Platz hingestellt, ohne mit der Skater-Community zu besprechen, was sie eigentlich bräuchte. Das lief sehr unabhängig. Nicola: Nachdem alles verrottet war, stand auch das Gelände nicht mehr zur Verfügung, sondern wurde im Winter als Eisfeld genutzt. Diogo: Damit wurde wieder die Strasse ein Thema für die Skater. Vor dem Theater war früher ein schöne Fläche zum Skaten, aber die wurde bald einmal nach einer Idee des Stadtpräsidenten umgestaltet und fiel dadurch auch wieder weg. Heute ist der kleine Platz vor dem Stadthaus der Ort, an dem sich alle Skater treffen. Deshalb brauchen wir dringend einen Skatepark. Ihr habt also seit 9 Jahren den dringenden Wunsch nach einem Skatepark. Woher nehmt ihr die Motivation für eine so lange Zeit? Mario: Wir bewahren uns unsere Motivation durchs Skaten. Und wenn man das jeden Tag macht, dann kommst du einfach an den Punkt, wo du unbedingt einen Skateparkt willst.


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Starke Stimmung im «Rathole» – Mario, Nicola, Ricardo, Abdi und Diogo ( v. l. n. r. ) im selbstgebauten Indoorpool vom Rollbrett Club Chur.

Ricardo: Skaten ist Motivation genug. Das ist so ein grosser Teil von unserem Leben, das hört nicht einfach auf. Nicola: Skaten kannst du anschauen wie jedes andere Hobby auch, wie Fussball oder Unihockeyspielen – du gehst raus und machst das einfach so gerne. Dann willst du irgendwann auch deine eigene Anlage. Wir sind jetzt halt am Kämpfen und werden auch nicht aufhören, bis der Skatepark steht. Das ist genug Motivation. Diogo: Politiker erklären immer wieder, es hätte zu wenige von uns, um einen Skatepark auf die Beine zu stellen. Das finden wir überhaupt nicht, denn man sieht es immer wieder, dass es überall junge Leute gibt, die Freude am

Skaten haben. Aber wenn es keine Trainingsanlage gibt, dann kann man nirgendwo sicher trainieren. Denn es ist logisch, dass Eltern ihr Kind nicht auf der Strasse skaten sehen wollen, weil es einfach gefährlich ist. Es motiviert uns jetzt, wo wir so langsam älter werden, zu sehen, dass Junge nachkommen, die auch diesen Sport betreiben wollen. Mittlerweile trifft man überall auf der Welt auf ältere Surfer, gilt das auch für Skater oder hören Skater einfach irgendwann auf? Diogo: In der Skaterszene werden die Leute immer älter, es gibt viel mehr ältere Skater mit bis zu 50 oder 60 Jahren. Denk nur an

die Dogtown Boys – die haben zuerst gesurft, waren dann richtige Grössen im Skatesport und sind immer noch am Skaten. Mario: Aber hier in Chur kenne ich keinen, der mit 60 noch skatet. Allgemein in der Schweiz gibt es das noch wenig, aber rund um die Welt gibt es das durchaus. Skaten ist eine Sportart, die du betreiben kannst, bis du alt bist. Nicola: Ein Problem bei uns in der Schweiz ist, dass Skaten nicht als echte Sportart angesehen wird. Wenn hier die Leute einen 50- oder 60-Jährigen auf dem Skateboard sehen, dann belächeln sie ihn, denn da denkt keiner an Sport. Und das ist auch der Grund, warum wir


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besten Freunden. Es ist ein rechtes Phänomen, dass Skaten im deutschsprachigen Raum immer noch als Randsportart angesehen wird. Man sollte nicht vergessen: Skaten wird 2020 olympisch! Also sollte man diese Vorurteile definitiv ablegen.

Fläche. Wir «opfern» quasi einen Teil der Fläche, die wir für den Skatepark bekommen sollen. Für uns ist das wichtig, dass wir nicht etwa die Fläche von zwei Fussballfeldern als Skatefläche nutzen, sondern dass wir die Hälfte als Landschaftsgarten für alle gestalten.

Wie geht es weiter mit eurem Skatepark? Was habt ihr bisher dafür getan? Diogo: Wir haben 2015 an die Stadt Chur ein Konzept eingereicht, das ich während meines Studiums der Architektur an der Universität Liechtenstein entwickelt habe, nachdem wir fast drei Jahre lang öffentliche Arbeit geleistet hatten wie Events organisieren, um so bei der Bevölkerung Verständnis für unser Anliegen zu wecken. Die Präsentation unseres Konzepts 2015 war recht positiv angenommen worden, doch dann hat es ziemlich lange gedauert, bis ein Entscheid vom Stadtrat gefällt wurde. Ende 2016 wurde bekannt, dass die Stadt so eine Anlage haben möchte und bereits an einem Gesamtkonzept «Obere Au» arbeitet.

Wie begegnet ihr der Befürchtung, dass der Ort verlottert und nur als Partyfläche dient? Diogo: Gegen die Angst vor Verunreinigung, die leider noch immer mit jungen Leuten allgemein und mit Skatern im Besonderen verbunden wird, braucht es Vertrauen vonseiten der Stadt. Wir können da auf Erfahrungswerte aus anderen Städten verweisen: Wenn man einen qualitativ hochstehenden Skatepark hat, passiert das nicht. Vielmehr geben sich dort die Leute Mühe, die Sachen nicht zu beschädigen. Wenn man mit der Skater Community zusammenarbeitet beim Erstellen, dann ist es der Community natürlich auch sehr wichtig, dass dieser Ort schön bleibt. Das ist sehr viel nachhaltiger, als wenn die Stadt alleine etwas macht, und die Community nicht einbezieht. Denn sonst entsteht eine Lücke: Wem gehört die Anlage? Natürlich gehört das Land der Stadt, aber es gibt ja auch die Menschen, die diesen Ort dann benutzen. Und wenn die sich diesem Ort verbunden fühlen, dann passen sie auch darauf auf. Nicola: In diesem Zusammenhang ist der Standort Obere Au ein Vorteil, weil der Skatepark innerhalb weiterer Sportanlagen angesiedelt ist. Wenn der Skatepark mitten in einem Industriequartier läge, dann denken sich die Jungen vielleicht viel eher «hey, jetzt gehen wir dorthin Party machen und saufen», aber wenn er neben Fussballplätzen und dem Schwimmbad ist, dann zeigt das klar in Richtung Sport und nicht zum Abhängen. Wenn man anschliessend noch in den Ausgang will und festen, dann geht keiner erst in die Obere Au, weil das ein zu weiter Weg wäre.

Seid ihr enttäuscht, dass die Planung nun bei der Stadt liegt? Mario: Nein, keinesfalls! Wir als Verein finden es super, dass die Stadt den Skatepark selbst in Angriff nehmen will und bemühen uns sehr, die Kommunikation mit der Stadt aufrechtzuerhalten. Denn wir möchten einen Skatepark bekommen, der für die hiesige Skater Community funktioniert, denn ein Skatepark ist ein komplexeres Thema als ein Fussballplatz. Für einen Fussballplatz kennt man Vorschriften und Auflagen, da ist alles standardisiert und bei einem Skatepark ist alles sehr individuell. Und wir möchten für die Stadt Chur einen Skatepark, der wirklich passt. Nicola: Es soll eben nicht so werden wie früher in der Oberen Au mit diesen Blechelementen, sondern wir möchten mit einbezogen werden in die Planung. Wichtig ist uns, dass der Park nachhaltig gebaut wird, damit er jahrelang intakt bleibt und nicht rasch verrottet, wie damals. hier so Probleme haben, eine Skateanlage zu bekommen, es fehlt an der Akzeptanz in der Bevölkerung. Würde ein Skatepark helfen, um auch ältere Skater anzuziehen? Diogo: In Europa kennt man sich in der Skaterszene und man merkt, dass Skaten zum Beispiel in Skandinavien ganz anders angeschaut wird. Es ist ein gesellschaftlicher Unterschied. Dort sind etwa an einem Mittwochnachmittag ganze Familien in einem Skatepark am Picknicken und lassen ihre Kinder auf der Anlage trainieren. Skaten ist ein Lebensstil. Der durchdringt einen völlig und den möchte man auch mit anderen teilen, gerade mit seinen

Und wie soll euer Skatepark aussehen? Diogo: Unsere Idee ist ein «Betongarten». Das spielt mit zwei Ideen: Zum einen geht es um das Material der Rampen, wir wollen die unbedingt aus massivem Beton haben, das hat mit Laufeigenschaften, mit Sicherheit und auch mit Nachhaltigkeit zu tun, wie Nicola schon sagte. Aber auch «Garten», denn es ist uns wichtig, einen Ort zu schaffen, an dem Leute zusammenkommen, so wie wir das in Skandinavien erlebt haben. Ricardo: Es soll ein Ort werden, an dem sich auch Eltern mit ihren Kindern wohlfühlen. Diogo: Für den Gartenteil des Skateparks wollen wir von der Stadt auch keine zusätzliche

Wann soll das Projekt starten? Diogo: Tja, das weiss noch keiner so genau, wegen der vielen unterschiedlichen beteiligten Kräfte auf dem Gelände. Ein Teil der privaten Sportanlagen in der Oberen Au konnte inzwischen von der Stadt zurückgekauft werden, also die ersten Schritte laufen. Aber erst wenn alle im gleichen Boot sitzen und mitrudern wollen, wird es losgehen. Im Moment heisst es daher für uns, weiterhin viel Geduld zu haben!


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Feature

IDEENSCHMIEDE m it Her z u nd Si n n

Der Ideenkanal setzt seit 2010 kreatives Potenzial frei und unterstützt engagierte Persönlichkeiten bei der Umsetzung von sinnstiftenden Ideen. Dieses Jahr geht er in die zehnte Runde und besinnt sich auf seine Liechtensteiner Wurzeln zurück. Text: Katja Fenkart Foto: Gesichtet Fotografie

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uf den ersten Blick scheint gefriergetrocknetes Fruchtpulver, orangefarbene Fahrräder und einen mobilen Ofen für nachhaltiges Brot nicht viel zu verbinden, doch es gibt einen gemeinsamen Nenner. Die schlauen Köpfe, denen die Projekte – Frooggies, FreeVeloPoint und Eigenbrötler – entstammen, waren alle Teilnehmer des Ideenkanals. Dieser hat es sich zum Ziel gesetzt, engagierte Menschen bei der Realisierung von sinnstiftenden Ideen zu unterstützen und auf diese Weise einen Beitrag zu sozialer Innovation zu leisten. Von der Idee zur Wirklichkeit Die Geschichte des Ideenkanals begann mit zwei frischgebackenen Universitätsabsolventen, die an das Gute in der Welt glauben und eine Vision haben. «Wir haben gemerkt, dass gute Ideen oft auf viel zu hohe Hürden stossen», erzählt Mitbegründer Stephan Schweiger. Da er und Christof Brockhoff sich damit nicht abfinden wollten, gründeten sie den Ideenkanal, der 2010 in die erste Runde ging. Ein Ideenförderungsprozess war geboren, in dem nicht Businesspläne, Eigenkapital und Know-how im Vordergrund standen, sondern das Herzblut, das in die Projekte floss.

Diesem Grundgedanken folgt der transparente und unbürokratische Ablauf – ganz ohne komplizierte Anträge. Alles, was es braucht, ist eine Idee, die in oder von Liechtenstein aus umgesetzt werden soll. Diese wird in wenigen Sätzen beschrieben und auf der Website veröffentlicht, wo in weiterer Folge für die Idee gestimmt werden kann. Die Kreativköpfe mit den 20 besten Ideen bekommen im Ideencamp die Gelegenheit, mit Mentoren, Coaches und Künstlern zusammenzuarbeiten. Die besten zehn werden beim Aufbau einer Crowdfunding-Kampagne unterstützt. Auf diese Weise kann jeder, der an ein Projekt glaubt, aktiv zu dessen Finanzierung beitragen. Die Gemeinschaft als Motor Ein wichtiger Grundpfeiler des Ideenkanals ist der Austausch untereinander. «Wir sprechen immer von einer Win-win-win-Situation», erklärt Schweiger. So können nicht nur die Ideengeber von der Hilfe der Mentoren profitieren, sie können sich auch mit ihren Mitstreitern austauschen. Gleichzeitig haben die Mentoren die Möglichkeit, ihr Netzwerk zu erweitern. «Bei uns darf alles in der Gemeinschaft entstehen», sagt der Alumnus der Universität

Liechtenstein. Einer, der die Unterstützung hautnah miterlebt hat, ist Simon Egger. Mit seiner Idee eines freien Fahrradverleihs konnte er sich 2015 als Gewinner durchsetzen. Die Ideenkanal-Gemeinschaft habe ihn motiviert und unterstützt – sowohl durch «positiven Zuspruch, Gleichgesinnung und Interesse als auch durch praktische Hilfe». Zurück zu den Wurzeln Während das Veloprojekt seine Fühler in Zukunft auch nach Vorarlberg und in die Schweiz ausstrecken will, kehren Schweiger und Brockhoff zu ihren Wurzeln zurück. Nachdem der Ideenkanal aufgrund des grossen Anklangs auch über die Grenzen hinweg adaptiert wurde und in Vorarlberg, Tirol, Oberösterreich und der Ostschweiz stattfand, wird heute der Liechtenstein-Bezug grossgeschrieben. «Wir haben wertvolle Erfahrungen im Ausland gesammelt, konzentrieren uns jetzt aber wieder auf Liechtenstein», sagt Schweiger. Ein Hauptgrund dafür sei, dass die Gegebenheiten im Fürstentum ihnen vertrauter seien und sich dadurch besser Netzwerke schaffen liessen. So könne mehr bewirkt werden.


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FreeVeloPoint Der Ideenkanal-Finalist Simon Egger liess seine Idee vom ersten Fahrradverleih-System in der Region Liechtenstein Realität werden. Das Konzept: Gebrauchten Fahrrädern wird neues Leben eingehaucht – sie werden repariert, in einem einheitlichen Orange lackiert und der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Das Projekt lebt von ehrenamtlichem Engagement und freiwilliger Unterstützung. «FreeVeloPoint ist ein Projekt von der Bevölkerung für die Bevölkerung», sagt Egger.

Christof Brockhoff und Stephan Schweiger suchen nach sinnstiftenden Ideen.

Erfindergeist mit Köpfchen Das Fürstentum bietet ein ideales Umfeld für den Ideenkanal. Der Kleinstaat investiert viel in Bildung – und das zahlt sich aus. Die GUESSS-Studie, die die Gründungsabsichten von Studierenden auf internationaler Ebene erforscht, zeigt: Bereits 15,7 Prozent der Studierenden an der Universität Liechtenstein sind Gründer. «Erfindungen und Bildung sind schon immer Stärken von Liechtenstein gewesen», sagt Schweiger. Auch Egger sieht gute Voraussetzungen: «Als wohlhabender Kleinstaat auf der einen und überschaubare, vernetzte Gemeinschaft auf der anderen Seite, birgt Liechtenstein viel Potenzial.»

Potenzial haben auch die in diesem Jahr eingereichten Ideen. Die Palette reicht vom ökologischen Online-Shop über individuelles Bauen bis hin zu Dialekt-Bilderbüchern. Welche zehn der insgesamt 50 Ideen es ins Finale schaffen werden, ist noch offen. Realisiert werden können sie alle: «Jeder, der seine Idee einreicht, kann den Ideenkanal nutzen, um sich sein eigenes Mikronetzwerk aufzubauen», so Schweiger. So viel ist sicher: Manche Ideen werden schon bald ihren Kinderschuhen entwachsen.

Im Unterschied zu herkömmlichen Modellen werden die Fahrräder von Menschen gespendet, die sie nicht mehr brauchen, sie aber auch nicht im Keller verstauben lassen wollen. Jedes Velo ist einzigartig – und trägt einen liebevoll vergebenen Namen. Ob antik-anmutendes Damenrad oder modernes Mountainbike: Es ist die individuelle Vielfalt, die dem nachhaltigen Projekt eine persönliche Note gibt. Vom VeloProjekt profitieren kann jeder: Nach der Registrierung per SMS erhält man einen Code für das Schloss – und schon kann in die Pedale getreten werden. Der Erfolg gibt dem Projekt recht, das auf Umweltfreundlichkeit und Gesundheitsförderung setzt. Waren es beim Startschuss im Juni 2016 noch 15 Fahrräder in drei Gemeinden, warteten bald schon 40 Velos in zehn Stationen auf alle, die nachhaltig von A nach B kommen wollen. Auch das Geschäftsgebiet hat sich erweitert: Seit Anfang August 2016 stehen die orangen Flitzer in allen Gemeinden im Tal bereit. In die Saison 2017 wurde mit doppelt so vielen Bikes gestartet – an doppelt so vielen Standorten. www.velopoint.li


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Seitentitel


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Fotoreportage

ZUSAMMEN IST MAN WENIGER ALLEIN Text: Inga van Gessel Foto: Adrian Schröder

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s herrscht eine herzliche Stimmung am Esstisch von Edith De Boni. Zusammen mit ihren studentischen Mitbewohnerinnen Kate und Lin erzählt sie, wie ihre internationale Wohngemeinschaft entstand. «Ein Bekannter von mir brachte mich eines Morgens auf die Idee, eine Art Mehrgenerationenhaus zu gründen. Mir gefiel der Gedanke vor allem, weil mein Haus doch recht gross und still für mich alleine war. Mein verstorbener Mann und ich sind früher viel zusammen gereist – nach Afrika, Südamerika und Asien – und so entstand der Wunsch, Studierende aus dem Ausland aufzunehmen. So kann ich auch mein Englisch üben und verbessern», erzählt Edith mit einem Augenzwinkern. Während seiner Reisen schloss das Ehepaar viele neue Freundschaften und empfing regelmässig Besuch aus aller Welt in seinem gemütlichen Haus im Herzen Schaans. Und so musste Edith es für ihre neue Wohnidee nicht einmal umgestalten.

Es sind die vielen Momente fern der Heimat, die sie geprägt haben. Die Autopanne mitten im Nirgendwo, im Notfall keinen Arzt finden oder die Sprache an einem Ort nicht sprechen und sich nicht verständigen können. Das lehrte sie Empathie und Toleranz. «Leute nehmen, wie sie sind, mich verschiedenen Kulturen anpassen können und vor allem offen sein – das habe ich während unserer Reisen gelernt», stellt Edith lächelnd fest. Dabei entwickelte sie einen neuen Blick auf ihre Heimat, auf die Natur und das angenehm organisierte Leben in Liechtenstein. Diese Wertschätzung wollte sie Kate und Lin von Anfang an vermitteln: «Eines der ersten Dinge, die wir zusammen unternommen haben, war hoch nach Valüna zu fahren. Im Grunde

machen wir regelmässig Ausflüge und entdecken gemeinsam die Region. Neulich haben Lin und ich den Liechtensteiner Fürsten beim Spazierengehen ohne Bodyguard getroffen. Sie konnte es kaum glauben», schmunzelt Edith. Aufgeregt wirft Lin ein: «Ja genau! In meinem Land wäre das undenkbar!» Die junge Chinesin stammt aus der Metropole Shenzhen, unweit von Hong Kong. In ihrer Heimat gibt es viel Lärm, viel Smog und viele beschäftigte Menschen. Ständig wird gearbeitet. Sie sehnte sich nach einer Abwechslung. Als ein Freund aus Düsseldorf ihr von Liechtenstein erzählte und der Möglichkeit, hier einen Master in Finance auf Englisch zu machen, bewarb sie sich sofort. Nach der Zusage stellte sich die grosse Frage: wo wohnen? Dabei war für Lin von Anfang an klar, dass ein Zimmer im Studentenwohnheim nicht infrage kommt. «Das hatte ich die letzten 5 Jahre während der Oberstufe und meines Bachelorstudiums. Glücklicherweise hat mir dann Wohnheimleiterin Gabriela Cortés das Zimmer bei Edith vermittelt.» «Im Grunde hat man als Student in Liechtenstein alles, was man braucht» erklärt Kate. Sie schätzt vor allem die Ruhe und wenige Ablenkung, sodass man sich ausgezeichnet auf sein Studium konzentrieren kann. Und wenn man doch mal raus will, dann sind Zürich, Mailand oder München schnell erreicht. Kate stammt aus der Ukraine und absolvierte in Kiev bereits einen Master. Ihr Zweitmaster in Architektur an der Universität Liechtenstein soll ihre Karriere zusätzlich voranbringen. Im Masterprogramm wird Architektur als sozialverantwortliche Profession gelehrt. Die Studierenden schliessen sich je nach Interesse einem Designstudio an, in dem die eigene

Das internationale Mehrgenerationenhaus stellt sich vor: Lin, Edith und Kate vor ihrem Zuhause in Liechtenstein.

Entwurfspraxis weiter verfeinert wird, vor allem mit Blick auf kulturelle Sinn- und Nachhaltigkeit. In ihrem ersten Semester befassten sich Kate und ihre Mitstudierenden im Studio mit dem Thema «Kulturelle Identität». Kate stiess bei ihrer Recherche auf den Stamm der Hunza, die im Karakorum Gebirge Nordpakistans leben. Diese Bergkette beheimatet den zweithöchsten Berg der Erde, den K2 mit 8611 m. Es faszinierte sie, wie der Mensch sich an ein Leben in solcher Höhenlage und mit extremen Wetterbedingungen über die Jahrhunderte angepasst hat. Die klassische Weidewirtschaft, als Beispiel, ist in der zerklüfteten Berglandschaft nicht möglich. Doch wie ein sinnvolles Baukonzept entwickeln, wenn sie selbst noch nie an diesem Ort der Erde war? Die Lösung ergab sich unverhofft bei einer Tasse Tee mit Edith. Sie sassen wie so oft zusammen und Kate erzählte von ihrer Projektidee, als Edith strahlend feststellte: «Aber da war ich doch schon! Vor 25 Jahren – damals sind wir mit dem Auto von Liechtenstein nach Indien gefahren, und wieder zurück.» Sogleich suchte sie ihre alten Fotos und Aufzeichnungen heraus, sammelte Reisesouvenirs zusammen und half Kate, sich ein besseres Bild von der Region zu machen. Es sind genau diese Momente, die das Zusammenleben von Edith, Kate und Lin ausmachen. Der offene Austausch, das Teilen von Erfahrungen und die Neugierde auf fremde Kulturen. Es ist nicht selbstverständlich, dass sich drei Menschen über verschiedene Kulturen und Altersgruppen hinweg so gut verstehen. Vom Zufall zusammengeführt, hätte man diese internationale Gemeinschaft nicht besser planen können.


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Schule und Studium führten Lin von China nach Malaysia und Liechtenstein. Immer dabei: ihr gepunkteter Rucksack als treuer Begleiter um die Welt.

«Mein verstorbener Mann und ich sind früher viel zusammen gereist – nach Afrika, Südamerika und Asien – und so entstand der Wunsch, Studierende aus dem Ausland aufzunehmen.» Edith

Eigentlich hatte Lin Angst vor Hunden – bis sie Sybilla kennenlernte. Nach nur einem Tag war ihr Herz erobert.

«Im Grunde hat man als Student in Liechtenstein alles, was man braucht», erklärt Kate. Sie macht derzeit ihren zweiten Master in Architektur.


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Lang, lang ist es her. Edith erzählt Kate über ihre abenteuerliche Reise von Liechtenstein nach Indien vor 25 Jahren.

«Wir machen regelmässig Ausflüge und entdecken gemeinsam die Region.» Edith


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Denkanstoss

Christine Rhomberg ist Kulturmanagerin und Geschäftsführerin der Hilti Foundation, Schaan ( FL ), verantwortlich für die Förderbereiche Kultur, Wissenschaft und Bildung.

ENSEMBLES, N ICHT SOLISTEN Text: Christine Rhomberg Foto: Anna Janson

Vor mehr als vierzig Jahren gründete der venezolanische Ökonom und Musiker José Antonio Abreu ein Projekt, das zur Lösung der sozialen Probleme seines Landes beitragen sollte. Ausgangspunkte waren die Perspektivlosigkeit und Gewaltbereitschaft einer Gesellschaft, in der damals mehr als 70% der Menschen unter der Armutsgrenze lebten. Mangelnde Qualität in der Schulbildung und hohes Aggressionspotenzial schon unter sehr jungen Menschen waren Hauptauslöser für Abreus Initiative, ein MusikSozialprogramm, das heute weltweit unter der Kurzbezeichnung «El Sistema» bekannt ist. Die Idee scheint verblüffend einfach und klar: Durch gemeinschaftliches Musizieren – das Singen in Chören und das Erlernen eines Instruments in der Gemeinschaft eines Orchesters – sollten Kinder und Jugendliche in einem neuen und anderen Wertebewusstsein aufwachsen. Von Beginn an Mitglied einer Gruppe, realisieren sie, dass sie gebraucht werden. Das Musizieren in der Gruppe fördert den Gemeinschaftssinn, entwickelt Verantwortungsbewusstsein füreinander und lehrt das gegenseitige Zuhören. Ganz selbstverständlich entwickeln sich auch Disziplin, Verlässlichkeit, Respekt und Konzentrationsfähigkeit. Werte

also, die, welchen Beruf auch immer diese Menschen einmal ausüben werden, hilfreich sind für die persönliche Entwicklung.

verfeindeten Gruppen, bauen Brücken und schaffen Empathie für die Bedürfnisse des Anderen.

Doch damit nicht genug: Auch die schulischen Leistungen verbessern sich, wachsendes Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl wirken sich auf das familiäre und gesellschaftliche Umfeld aus und haben so eine unmittelbare Ausstrahlung weit über das Individuum hinaus.

Im April 2017 trafen sich 300 Kulturschaffende, NGOs und Opinion Leaders aus der ganzen Welt in Abu Dhabi zum Culture Summit 2017. Im Mittelpunkt der Konferenz stand die Frage nach der Relevanz der Kultur, wenn es um die Lösung der dringlichsten Probleme unserer Gesellschaft geht. Und es ist richtungsweisend, dass diese Konferenz unter anderem «El Sistema» und das «West-Eastern Divan Orchestra», ein musikalisches Friedensprojekt, in dem israelische, palästinensische und andere arabische Musiker zusammenarbeiten, mit dem «Cultural Diplomat Award» ausgezeichnet hat.

Ein gemeinschaftlicher Ansatz, der stark macht und der die Teamleistung über die Leistung des Einzelnen stellt, ohne diesen jedoch aus der Verantwortung zu entlassen oder individuell zu unterfordern. Im Orchester und im Chor weiss jeder Einzelne, wo sein Platz ist und dass er sein Bestes geben muss, um das gemeinsame Ziel zu erreichen. Zudem übernehmen fortgeschrittenere Musiker die Verantwortung für die jüngeren Kollegen, unterstützen sie und tragen damit wesentlich zu deren positiver Entwicklung bei. Über 2 Millionen Jugendliche sind in den vergangenen vierzig Jahren durch dieses Programm gegangen, und aktuell sind es über 850 000 Kinder und Jugendliche, die in den zahlreichen Musikschulen Venezuelas ein Instrument lernen oder im Chor singen. Und diese Philosophie von «Sozialem Wandel durch Musik» hat Schule gemacht – in unzähligen Projekten auf allen Kontinenten dieser Erde sind ähnliche Initiativen entstanden, angepasst an die Bedürfnisse des jeweiligen Landes. Sie dienen der Integration, stiften Frieden zwischen

Man mag das werten als deutliches Zeichen einer weltweiten Zustimmung zur ursprünglichen Idee von José Antonio Abreu, aber auch als Geste, der weitere Taten folgen müssen. Der Amerikaner Geoffrey E. Walker bringt es auf den Punkt: «Um die grössten Probleme unserer Welt zu lösen, braucht es Ensembles, nicht Solisten.» Handeln wir danach – nicht nur in der Musik!

In der Rubrik «Denkanstoss» äussern Autoren ihre persönliche Meinung. Diese spiegelt nicht zwingend die Auffassung der Redaktion oder der Universität Liechtenstein wider.


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In Kürze

Rückschau

DIPLOMFEIER MIT AUSZEICHNUNGEN

An der Diplomfeier der Universität Liechtenstein wurde am Freitag, 7. April 2017, ein Doktortitel verliehen und 48 Absolventinnen und Absolventen erhielten ihre Bachelor- und Masterdiplome. Rektor Jürgen Brücker und die jeweiligen Studienleiter sowie der Doktorvater verliehen den anwesenden Absolventinnen und Absolventen die akademischen Grade in den Bereichen Architektur und Wirtschaftswissenschaften, die Festrede hielt Prinz Michael von und zu Liechtenstein. Aussergewöhnliche Leistungen Vier Absolventen wurden für ihre aussergewöhnlichen Leistungen mit Preisen von Liechtensteiner Unternehmen und Verbänden ausgezeichnet. Auszeichnungen im Bereich Architektur Die LIA, die Liechtensteinische Ingenieur- und Architektenvereinigung, zeichnet traditionell die besten Absolventen des Bachelor- und Masterstudiengangs Architektur aus. Die Auszeichnung im Bachelorstudiengang ging mit der Thesisnote von 6.0 und einem Notendurchschnitt von 5.4 an Diogo Filipe Da Silva Elias. Im Masterstudiengang ging die Auszeichnung an Alena Tkachenka mit der Thesisnote 5.5 und einem Notendurchschnitt von 5.2. Preise für die Wirtschaftswissenschaften Die Stiftung «Förderung des technischen Nachwuchses» der Firma Hilti AG zeichnete die innovativsten Diplomarbeiten aus den Bachelorund Masterstudiengängen Wirtschaftswissenschaften aus. Die Auszeichnung im Bachelorstudiengang Betriebswirtschaftslehre wurde an Inga Hämmerle mit einer Thesisnote von 6.0 und einem Durchschnitt von 5.4 verliehen. Der Preis im Masterstudiengang Business Process Management ging mit einer Thesisnote von 6.0 und einem Durchschnitt von 5.4 an Bastian Wurm. Doktorwürde im Bereich Wirtschaftwissenschaften Sarah Zelt wurde die Doktorwürde für ihre Dissertation «On the Concept and Role of Context in Business Process Management» im Bereich der Wirtschaftsinformatik verliehen, Doktorvater Jan vom Brocke stellte die Dissertation kurz vor und übergab Urkunde und Doktorhut an die frischgebackene Doktorin.

Vorschau Mittwoch 7. Juni 2017 | 14.30 – 16.00 Uhr Universität Liechtenstein

Kinder-Uni Spezial: Rund ums Geld Forschende aus dem Bereich Finance beantworten Kindern im Alter von 8 – 12 Jahren Fragen rund um das Thema Geld. Wofür brauchen wir überhaupt Geld? Seit wann gibt es Geld? Wie kann ich prüfen, ob Geld echt ist? Was passiert mit dem Geld in meinem Sparschwein? In Kooperation mit: Schweizerische Nationalbank und Liechtensteinischer Numismatischer Zirkel. www.uni.li/kinder-uni

Mittwoch, 14. Juni 2017 | 18.00 – 20.00 Uhr Universität Liechtenstein, Auditorium

Preisverleihung: Businessplan Wettbewerb 2017 Der Businessplan Wettbewerb 2017 endet mit der Auszeichnung der besten 5 Gründerteams an diesem Abend. Zu gewinnen sind Preisgelder im Wert von CHF 40 000. Unterstützt wird der Businessplan Wettbewerb von der Regierung des Fürstentums Liechtenstein, der Industrie- und Wirtschaftskammer und vielen mehr. Ein idealer Ort für eine gute Prise Inspiration und spannendes Netzwerken. www.uni.li/businessplan

Donnerstag, 29. Juni 2017 | ab 18.00 Uhr Universität Liechtenstein, Architektur Atelier und Foyer

Architektur Sommerausstellung und Fest 2017 Das Institut für Architektur und Raumplanung lädt ein zur Eröffnung der diesjährigen Sommerausstellung. Besucher können sich auf spannende Arbeiten, die Präsentation des neuen Jahrbuches «Architektur und kulturelle Identitäten» sowie die neue Modellwerkstatt freuen. www.uni.li/de/alle-veranstaltungen-architektur

Samstag, 25. November 2017 | 13.00 – 16.00 Uhr Universität Liechtenstein

Infotag 2017 Welche Uni ist die richtige für mich? Diese Frage stellt sich sicher jedem Studieninteressierten. Weil der Eindruck vor Ort am meisten zählt, lädt die Universität Liechtenstein am 25. November 2017 zwischen 13 und 16 Uhr zum Infotag. Hier kann man an Schnuppervorlesungen teilnehmen, sich persönlich beraten lassen und bei Führungen mit Studierenden den Campus erkunden. Denn Studieren ist schliesslich viel mehr als reine Wissensvermittlung. www.uni.li/infotag


BACHELOR (BSc) Architektur Betriebswirtschaftslehre MASTER (MSc) Architecture Entrepreneurship Finance Information Systems DOCTORATE (PhD) Architecture and Planning Business Economics Weiterbildung in den Bereichen Architektur, Entrepreneurship, Finanzdienstleistungen und Wirtschaftsinformatik

www.uni.li


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