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Stadt und Region St.Gallen Einmaliges in der Stiftsbibliothek St.Gallen

In der Stiftsbibliothek St.Gallen ist eine Büchersammlung von Weltrang erhalten geblieben, die nicht nur die Leistungen des Klosters St.Gallen dokumentiert, sondern auch eine Reihe von Werken der europäischen Kulturgeschichte überliefert, die wir sonst nicht kennen würden, sogenannte Einzigüberlieferungen. Begleitend zur Winterausstellung im Barocksaal der Bibliothek stellen ausgewiesene Fachleute drei bedeutende, nur in St.Gallen erhaltene Werke vor.

Den Anfang macht Michael I. Allen mit der Weltchronik Frechulfs, Bischof von Lisieux um 820/850. Frechulf widmete diese erste karolingische Weltgeschichte der Frau Ludwigs des Frommen, Kaiserin Judith. Vermutlich ist die Handschrift der Stiftsbibliothek sein Autograph.

Etwa zwei Jahrzehnte vor Frechulf, um 800, verfasste ein unbekannter Dichter – einige identifizieren ihn mit Einhard, dem Biographen Karls des Grossen – das sogenannte Paderborner Karlsepos. Es ist allein in einer St.Galler Handschrift überliefert, die im Rahmen des Kulturgüterstreits zwischen St.Gallen und Zürich 2006 der Stiftsbibliothek als Depositum zurückgegeben wurde. Das Epos schildert in hoher literarischer Qualität die Begegnung zwischen Leo III. und Karl dem Grossen 799 in Paderborn. Diese bildet die Vorgeschichte zu einem der wichtigsten Ereignisse der europäischen Geschichte, der Kaiserkrönung Karls des Grossen an Weihnachten 800. Darüber wird Matthias Becher berichten.

In der abschliessenden dritten Vorlesung wendet sich Franziska Schnoor zwei einzigartigen Musikhandschriften zu, mit denen Fürstabt Diethelm Blarer 1562/64 die musikalische Tradition des Klosters in vierstimmiger Form erneuern wollte. Dafür nahm er die Dienste des italienischen Komponisten Manfred Barbarini Lupus in Anspruch, der in der Schweiz und Süddeutschland tätig war. Dieser Ausflug in die Mehrstimmigkeit blieb zwar ohne Nachhall im Kloster St.Gallen, aber der erste der beiden grossformatigen Bände ist mit seinen ganzseitigen Illustrationen zu den Hochfesten und Darstellungen von zeitgenössischen Instrumenten eine der prächtigsten Musikhandschriften der Stiftsbibliothek.

Ergänzend zur Vorlesungsreihe wird

Cornelia Herberichs (Universität Freiburg) in der Festansprache zur Ausstellungseröffnung am Dienstag, 14. November im Pfalzkeller das ebenfalls nur in der Stiftsbibliothek erhaltene, sogenannte St.Galler Weihnachtsspiel vorstellen.

Montag, 18.15 bis 19.45 Uhr, Musiksaal im Dekanatsflügel des Konventsgebäudes, Klosterhof 6b, 9000 St.Gallen

23. Oktober

Menschheit, Gesellschaft und Berufung in der Weltchronik des Frechulf von Lisieux (822/829)

Prof. Dr. Michael I. Allen, Ausserordentlicher Professor für Klassische Philologie, Universität Chicago / US

30. Oktober

«Sie sprachen über mancherlei Dinge». Das sogenannte Paderborner Epos und die Verhandlungen Karls des Großen mit Papst Leo III. im Jahr 799

Prof. Dr. Matthias Becher, Professor für die Geschichte des Mittelalters, Universität Bonn / DE

6. November

Die vierstimmigen Choralbearbeitungen von Manfred Barbarini Lupus (1562/64)

Dr. Franziska Schnoor, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Stiftsbibliothek St.Gallen

Leitung | Dr. Cornel Dora, Stiftsbibliothekar, Stiftsbibliothek St.Gallen

«Erstaunliche Geräte»: Uhrmacherkunst und Astronomie in der deutschen Literatur

«Erstaunliche Geräte» nannte der Astronom, Physiker, Mathematiker und Naturphilosoph Johannes Kepler 1608 in der wohl ersten Science­Fiction­Erzählung der Literaturgeschichte, Der Traum, die Instrumente, mit denen er einen Dämon zum Mond reisen liess. Kepler, überzeugt davon, dass der Kosmos ein harmonisches und als solches berechenbares Weltganzes bildete, entwickelte die mathematischen Modelle für solche Instrumente. Der Däne Tycho Brahe, als dessen Assistent er an den Hof Kaiser Rudolfs II. in Prag kam, zeichnete genaue Beobachtungen von Planeten­ und Sternenbahnen auf. Und der Toggenburger Jost Bürgi baute auf diesen Grundlagen «erstaunliche Geräte» – mechanische Himmels­ und Planetengloben, oft in Verbindung mit Uhren, Zeichen­ und Messinstrumenten –, von denen einige ab September im St.Galler Kulturmuseum in der Ausstellung zu Jost Bürgi zu sehen sind. Die Vorlesung begleitet diese Ausstellung, indem sie den Spuren nachgeht, die die Werke Keplers und seiner Zeitgenossen in der Literaturgeschichte hinterlassen haben – Spuren, an denen nicht zuletzt zu sehen sein wird, wie viel Literatur mit Uhrmacherkunst und Astronomie gemeinsam hat: eben diejenige Kombination aus präzisem Handwerk und visionärer Vorstellungskraft, mit der bereits die Wissenschaft der frühen Neuzeit die Möglichkeit einer Mondreise aus den Sternen gelesen hat. Keplers Erzählung Der Traum, Friedrich Schillers Drama Wallenstein mit Keplers Porträt als Astrologe Seni und später die historischen Romane von Max Brod, Olaf Saile, George Gaio Mano und Christoph Ransmayr führen ihre Leserschaft auf weite und oft sehr abenteuerliche Reisen in die Welt der damaligen Uhren­ und Globenbauer – und erzählen dabei stets auch von ihrer eigenen Zeit.

Mittwoch, 18.15 bis 19.45 Uhr, Kulturmuseum, Museumstrasse 50, 9000 St.Gallen 20.9., 27.9., 4.10., 11.10., 18.10. und 25.10.2023

Dozentin | Prof. Dr. Ulrike Landfester, Ordentliche Professorin für Deutsche Sprache und Literatur, Universität St.Gallen

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