UZH Magazin 2/21

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MENSCH UND SCHIMPANS D O S SI E R — Wie der Mensch zur Sprache kam

Wir Menschen können viel komplexer kommunizieren als alle anderen Tiere. Doch: Formen von Sprache finden sich beispielsweise auch bei Affen und Erdmännchen. Die Erforschung von Tiersprachen hilft, die Evolution der menschlichen Sprache zu verstehen.

Text: Thomas Gull

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ir haben es geschafft. Unsere nächsten Ver­ wandten nicht. Der Mensch hat im Verlauf der Evolution eine Sprachfähigkeit ent­ wickelt, zu der es im Tierreich nichts Vergleichbares gibt. Kein anderes Tier hat ein Kommunikationssystem, das so vielfältig ist wie unsere Sprache. Doch was unterscheidet den Menschen vom Schimpansen, ausser den «Hemmige» (Mani Matter), das uns ermöglicht hat, die menschliche Sprache hervorzubringen? Diese Frage stellen sich Linguisten, Evolutions­ biologinnen und Anthropologen des Nationalen For­ schungs­schwerpunkts (NFS) «Evolving Language». Der Titel des NFS verweist auf den Kern des Unter­ fangens: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen, wie sich die menschliche Sprache ent­wickelt hat und wie sie weiter evolviert: «Wir wollen verstehen, weshalb diese absolut verrückte Kom­mu­ ni­ka­tions­form, über die wir verfügen, so ist, wie sie ist», sagt der Leiter des NFS, der UZH-Linguist Bal­ thasar Bickel. Einer der Ausgangspunkte dieser Suche nach den Ursprüngen der menschlichen Sprache sind die Tiersprachen. Viele Tiere verfügen über einfachere Kom­mu­ni­ka­tions­formen, die als Vorläufer der mensch­ lichen Sprache interpretiert werden können. Das gilt für alle drei zentralen Merkmale unserer Sprache: Struktur, Laute und Inhalt. Sprache ist wie ein Bau­ kasten, in dem diese drei Elemente in unterschiedlicher Komplexität vorkommen. «Wir wollen verstehen, welche Komponenten unserer Sprache älter sind und bei Tieren schon vorhanden waren und welche neu

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sind, das heisst erst vom Menschen ausgebildet wur­ den», erklärt Balthasar Bickel. Konkret heisst das: Welche Formen von Sprache finden sich bereits bei Tieren, welche sind «exklusiv» menschlich und wann und weshalb sind diese entstanden? Sicher ist: Die Menschenaffen wie Schimpansen oder Orang-Utans haben grosse Gehirne und kogni­ tive Fähigkeiten, die gar nicht so weit weg sind von unseren. Trotzdem hat ihnen das gewisse Etwas ge­ fehlt, um mit uns mitzuhalten. Uns Menschen ist es gelungen, unsere nächsten Verwandten weit hinter uns zu lassen und die Welt und das Tierreich zu be­ herrschen. Verantwortlich dafür, sagen Anthropologen wie der emeritierte UZH-Professor Carel van Schaik, ist unsere Fähigkeit, kulturelle Errungenschaften zu kumulieren, das heisst, unser Wissen von einer Ge­ neration an die nächste weiterzugeben und es ständig zu erweitern und zu vertiefen. Die Sprache ist ein zentraler Bestandteil dieser kumulativen Kultur und gleichzeitig das Vehikel, das uns dazu dient, unser Wissen zu tradieren. Sprache ist eng verknüpft mit unserem Gehirn, das uns erlaubt, die kognitiven Fähigkeiten zu ent­ wickeln, die es für Kultur und Sprache braucht. Es scheint deshalb naheliegend, nach einer Erklärung für die Entstehung unserer Sprache zu suchen, die sich an jene anlehnt, mit der die Evolutionsbiologie die Herausbildung unseres potenten Gehirns erklärt.

HIER GIBT’S WAS ZU FRESSEN! Eine Strategie, um den Ursprüngen der Sprache auf die Spur zu kommen, ist ein Blick ins Tierreich. Die Frage ist, ob es bei den Tieren vergleichbare Formen


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