UZH Magazin 2/21

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SCHLEICHERS TRAUM D O S SI E R — Wie der Mensch zur Sprache kam

Der Homo sapiens hat sich von Afrika aus über den ganzen Globus ausgebreitet und mit ihm die menschliche Sprache. Jetzt wird der Stammbaum unserer Sprachen nachgezeichnet, mit modernsten Methoden aus Big Data, Genetik und Geostatistik.

Text: Roger Nickl

D

ie Geschichte des modernen Menschen, des Homo sapiens, beginnt vor etwa 300 000 Jah­ ren. Man nimmt an, dass er von Afrika aus die Welt erobert hat. Im Gepäck hatte er die Sprache. Sie hat sich genauso vielfältig entwickelt wie der Mensch. Gemeinsam haben sie sich unterschiedlichen äusseren Bedingungen angepasst, um zu überleben. In der Genealogie der Sprachen spiegelt sich deshalb die Geschichte der Menschheit – kulturell, räumlich, aber auch genetisch. «Die Entwicklung der Sprachen ist ein Evolutionsprozess», sagt Linguist Balthasar Bickel, «die Sprache wird wie die Gene von Generation zu Generation weitergegeben. Sie verändert sich dabei ähnlich wie unser genetisches Erbe durch Mutation und Selektion – ständig kommen neue Wörter und sprachliche Strukturen dazu, und solche, die nicht mehr benötigt werden, gehen verloren». Balthasar Bickel ist Professor für Vergleichende Sprachwissenschaft an der UZH und leitet den Na­ tionalen Forschungsschwerpunkt (NFS) «Evolving Language». Zu den Zielen des NFS gehört, den Stamm­ baum der menschlichen Sprache nachzuzeichnen. Das heisst, erklären zu können, woher sie kommt, wie sie sich entwickelt hat und in welchem Verwandt­ schaftsverhältnis die insgesamt 24 Sprachfamilien und 7000 Sprachen stehen, die es heute auf der Welt gibt. Um dies herauszufinden, werden modernste

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Kommunikative Bauern:

Heute gibt es weltweit 24 Sprachfamilien. Ihr gemeinsamer Stammbaum wurzelt in der Neolithischen Revolution, als unsere Vorfahren zu Bauern wurden und sich ihre sozialen Netzwerke ausweiteten.

wissenschaftliche Methoden eingesetzt. Auch solche, die nicht zum ursprünglichen Feld der Sprachwissen­ schaften zählen. So arbeitet Bickel mit der Populations­ genetikerin Chiara Barbieri und dem Geoinformatiker Robert Weibel zusammen. Weibel ist Professor für Geografische Informationswissenschaft, Barbieri lei­ tet die Forschungsgruppe «Human Genetic Diversity across Languages and Cultures» am Institut für Evo­ lu­tions­biologie und Umweltwissenschaften der UZH. Gemeinsam versuchen die Forschenden, den Zusam­ men­hang zwischen der Ausbreitung des Menschen über den Globus und der Entwicklung der verschie­ denen Sprachen zu erforschen. Dabei teilt die Sprachwissenschaft die Entwick­ lung der menschlichen Sprache grob in zwei Phasen, in die Zeit vor und nach der Neolithischen Revolution. Vor der Neolithischen Revolution waren unsere Vor­ fahren als Jäger und Sammler unterwegs. Sie ernährten sich von Beeren und Pflanzen und vom Fleisch erlegter


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