Drainting

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Drainting Die Die Kunst, Kunst, Malen Malen und und Zeichnen Zeichnen zu zu verbinden verbinden

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Drainting Die Kunst, Malen und Zeichnen zu verbinden


Inhalt 7 Zeichnen vs. Malen

37 Kontraste

8 Scheidungsgründe

41 Farbige Schatten

10 Linien vs. Flächen

42 Vom Fleck zur Linie

14 Volumen

44 Vier Finger

16 Der Fisch im Fleck

47 Negatives Denken

19 » ... siehst Vater du den Erlkönig nicht?«

49 Automatisches Zeichnen

20 Pareidolie

50 Freund Zufall

23 Der Trick mit dem Knopf

52 Kochen und Kunst

25 Die Silhouette

55 Klein anfangen

27 Eine Zwischenbemerkung zum Umgang mit Farbe

57 Verdichtungen

28 Proportion ist (fast) alles … 31 Von der Fläche zur Perspektive 32 Wie ein Maulwurf gucken 34 Das Auto und die Birne

58 Perspektive, klassisch 60 Perspektive, Klein/Groß 62 Perspektive, mit Drainting 64 Raum aus der Fläche 67 Davor, daneben und dahinter


68 Schieflagen

109 Bilder beleben

70 Perspektive, runde Formen

111 Von Menschen und Hunden

72 Spezialfälle

114 Aktzeichnen 2.0

74 Der Trick mit dem Diarahmen

116 Schau mir in die ­Augen, Kleines

76 Vom Großen und vom Kleinen

118 Der Kuleschow-Effekt

78 Ruine Eldena im Riesengebirge

121 Lockerheit und Virtuosität

80 Analoger Photoshop

122 Stilfragen

84 Collagen

125 Gute und schlechte Motive

86 Eine Lanze für die Kopie

127 Idee!

88 Spieglein, Spieglein ...

128 Die Mutter der guten Idee ist oft eine schlechte.

90 Radieren 93 Matchbox-Autos 94 Kunst aufräumen 97 Struktur 98 Farbig vs. Bunt 101 Farben gezielt einsetzen 102 Führungs­farben 105 Nichts als die Wahrheit 106 Nachts sind alle Katzen grau

130 Vermeiden Sie Klischees. 134 Gruppendynamik 137 Serien, Reihungen und Wimmelbilder 139 Gegensätze suchen 141 Geduld 143 Sprechende Bilder 145 Fokussieren 147 Zeit im Bild 148 Gemalte Zeit 151 Über den Wert unserer Arbeit. 155 Der beste Selfie-Stick ist der Bleistift 157 Ein guter Grund 158 Über den Autor


Scheidungsgründe

Woher kommt die Trennung von Malen und Zeichnen eigentlich? Um zu verstehen, warum wir überhaupt zwischen Zeichnen und Malen unterscheiden, müssen wir eine kleine Zeitreise unternehmen, denn die Trennung, von der ich spreche, hat historische Ursachen. Zu Beginn waren Zeichnen und Malen eine einzige Tätigkeit. Die Aufsplittung wurde eigentlich erst in der Renaissance eingeführt. In dieser Zeit entstanden Werkstätten, und das Malen wurde in Arbeitsschritte unterteilt und industrialisiert. Insbesondere beim Fresko, also der Wandmalerei, kam es auf Geschwindigkeit an, weil die Bilder direkt in den weichen, schnell trocknenden Putz gemalt wurden. Um diese Aufgabe zu bewältigen, mussten die Maler lernen, arbeitsteilig zu arbeiten: Der Meister machte zunehmend die Entwürfe, und die Schüler malten sie aus, was nach und nach zur Aufspaltung der Genres führte. Hinzu kam die Verwendung von immer kostbareren Pigmenten. Manche Farbtöne waren buchstäblich teurer als Gold, und mit dem Preis wuchs die Notwendigkeit, die Farben nicht zu verschwenden. Daher war es nötig, den Entwurf möglichst sparsam anzulegen. Man verwendete nur eine Farbe, und wenn möglich eine günstige. Die ersten Vorzeichnungen wurden deshalb nicht zufällig in preis­­werten Medien wie Tinte, Kohle, Rötel oder Graphit angelegt. (Übrigens ist diese wirtschaftliche Arbeitsweise auch die Ursache unserer heutigen Auffassung, dass gemalte Bilder teurer als Zeichnungen sein müssten ...) Auch die Entwicklung der Drucktechnik, insbesondere der Holzund Kupferschnitte, begünstigte die Separierung. Im Spätmittelalter wurde nämlich in der Regel nur Schwarzweiß gedruckt, was die Drucke fast automatisch der Seite der Zeichnerei zuschlug. Die Separation der Genres hat also historische und wirtschaftliche Ursachen, doch hilfreich für uns heute ist sie nicht. In der Zeit vor dieser Trennung ist man viel gelassener mit Strich und Fläche umgegangen. Eine Zeichnung konnte sowohl unter wie über der Fläche liegen, oder auch gleichzeitig mit der Fläche entstehen. Es gab also nicht nur »Vorzeichnungen«, sondern auch »Nach­ zeichnungen«. Aber: Heute malen wir keine Fresken mehr. Höchste Zeit also, diese tradierte Trennung zu überdenken.

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Linien vs. Flächen

Beginnen wir erst mal mit dem, was wir sehen. Die Objekte, die wir malen, besitzen Volumen. Sie sind dreidimensional und bestehen aus Materie. Der »Trick« bei der Malerei ist ja, dass wir Linien oder Flächen in einem zweidimensionalen Raum, also auf dem Papier, so anordnen, dass sie mehr oder weniger den optischen Eindruck eines drei­ dimensionalen Objektes simulieren. Die Raum­ wirkung entsteht dann durch Kontraste, Überlappungen und den richtigen Einsatz von Proportion und Größenverhältnissen. Trotzdem bleibt alles natürlich nur eine Illusion. Ein Pferd ist ein Pferd, und ein gemaltes Pferd sind eben nur Striche auf dem Papier. Die klassische Zeichnung löst die optische Illusion der Dreidimensionalität durch Linien, das Licht wird durch Strukturen oder Schraffuren simuliert. In der Malerei geht man eher von der Fläche selbst aus. Und beides hat Vorteile. Die Linie grenzt die rechts und links von ihr liegenden Flächen ab. Die Fläche definiert sich zunächst einmal selber, begrenzt aber durch ihre Form auch den danebenliegenden Raum. Wenn wir uns darauf besinnen, was wir bei der Betrachtung eines Objektes wirklich sehen, kommt die Fläche der Realität wohl am nächsten. Dennoch benötigen wir auch klarere Begrenzungen (um beim Beispiel des Pferdes zu bleiben: die Augen, die Hufe, die Fellstruktur ...) Das ist der Grund, warum wir beides brauchen: Linien und Flächen, Zeichnung und Malerei.

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Volumen

Die ersten Maler haben das (Ur-)Pferd nämlich von beiden Seiten aufgezäumt: Sie haben es gleichzeitig gezeichnet und gemalt. Und diese Arbeitsweise hat viele Vorteile. Die Höhlenbilder sahen aus wie ausgemalte Schatten. Ein Pferd wurde aus einem Fleck heraus entwickelt. Dies ist insofern sinnvoll, weil es unserem Eindruck der Wirklichkeit viel besser entspricht. Wir sehen eigentlich so etwas wie bewegliche Flecken, wenn wir Pferde im Galopp beobachten. Einen Körper zunächst als Fleck oder Schatten zu begreifen, ihn also eher malerisch darzustellen, ist viel einfacher, als ihn mit einer Außenlinie zu umfassen. Daher rate ich Anfängern beispielsweise beim Aktzeichnen, das Volumen des Körpers erst einmal mit einem Farbfleck zu begreifen, der die Proportion und die Silhouette des Motivs einfasst, um dann erst in einem zweiten Schritt die Kontur

zu definieren.

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Vielleicht beginnen Sie mit einem hellen Stift, etwa einem Gelb- oder Ockerton, und starten mit dem Volumen – ganz ähnlich den ersten Malern, die mit einem Schatten begannen. Denkbar wäre auch ein Fleck aus heller Tinte oder Wasserfarbe, wobei Sie in diesem Fall natürlich die Trockenzeit des Mate­ rials mit einbeziehen müssen. Wenn Sie nun ver­ suchen, dem Fleck eine Kontur zu verleihen, wird die Arbeit durch die darunterliegende Vorlage wesentlich einfacher. Drainting bedeutet dabei nicht, dass wir auf Linien verzichten. Aber es bedeutet, dass wir Zeichnen und Malen intuitiv verbinden. Wenn wir den Gedanken akzeptieren, dass man die Reihenfolge von Zeichnen und Malen beliebig verschieben kann, eröffnen wir uns ein viel größeres


TIPP

In feuchte Farbe zeichnet es sich am besten mit wasser­­löslichen Buntstiften. Ansonsten: Einfach abwarten bis sie trocken ist!

und freieres Universum der Darstellung. Wir müssten nicht immer nur »vorzeichnen«, sondern können uns durchaus auch »Nachzeichnungen« bedienen. Mit anderen Worten: Fangen wir an mit dem Schatten an der Wand, mit Flecken und mit Kinderzeichnungen. Wieder zurück an diesen Punkt zu gehen, ist meiner Ansicht nach ein wunderbar einfacher Weg, um Zeichnen zu lernen.

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Der Fisch im Fleck

Fangen wir einfach ganz einfach an. Um das Zeichnen aus dem Fleck heraus zu üben, eignet sich eine kleine Aufgabe: Malen Sie einen Fisch. Beginnen Sie mit einem einfachen Fleck, der die grobe Form eines Fisches hat. Das kann ein Klecks Wasserfarbe sein, eine Buntstiftfläche, aber auch ein ausgeschnittenes oder ausgeris­ senes Papier. Dann setzen sie Liniendarüber. Sie werden sehen: Wenn Sie durch den Fleck die Grundform vor Augen haben, können Sie die dazugehörigen Linien viel einfacher dazuzaubern, statt gegen die weiße Fläche zu arbeiten. Der Fleck hält Ihre Linien und alle Details – Augen, Flossen, Schuppen – ergänzen sich durch die Form wie von selbst.

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Pareidolie Doch was macht die Mustererkennung für uns eigentlich so interessant? Denn es geht ja nicht nur darum, Argumente gegen Alien-Verschwörungstheorien zu sammeln. Spannend ist, dass wir das Phänomen der Pareidolie als Mittel zur Anregung unserer Kreativität einsetzen können. Und das ist wirklich phantastisch, denn Pareidolie entsteht auch beim Zeichnen. Das beginnt schon bei unbewusstem Zeichnen, etwa bei »Telefonkritzeleien«, oder auch bei zu­­ fälligen Produkten oder scheinbaren Fehlern. Während wir so vor uns hinkritzeln, entdecken wir gerne Muster, die wiederum in uns Bilder hervor­rufen. Kreativ verwenden kann man dies, indem man Zufälliges als Ausgangspunkt nutzt, um dann die Entdeckungen jeweils bewusst zu ergänzen und so die entstandenen Bilder in eine lesbare visuelle Sprache zu übersetzen. In der Praxis funktioniert dies also in der Abfolge von Kritzeln – Schauen – Entdecken und Ergänzen. Durch den bewussten Einsatz dieser vier Schritte können wir die Tür zur Bilderdaten­bank unseres Unbewusstseins öffnen. (In der Psychologie versucht man zuweilen einen Zugriff auf diesen Speicher zu erlangen, ­indem man Menschen Tintenflecke deuten lässt, um mehr über ihr Innenleben zu erfahren. Bei dieser Methode handelt es sich um den bekannten Rorschachtest.)

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Ganz praktisch lässt sich beispielsweise durch das Übermalen einer Zeichnung oder eines zufällig entstandenen Fleckes spielerisch ein neues kreatives Potential entdecken. Hierfür betrachten und drehen Sie ein Blatt mit einem Fleck so lange, bis vor Ihrem geistigen Auge ein Muster (also eine Figur oder Szenerie) entsteht. Gerade zufällige Kreationen erweisen sich als wahre Goldgruben! So kann man durch Ergänzen, Vervollständigen oder Übermalen bewusst das visuelle Spiel weitertreiben. Ergänzen Sie die Gestalten, vervollständigen Sie die Formen, und Sie werden staunen, was für eine frische Quelle von Inspiration in der Pareidolie steckt!


Und um den Bogen zu den Viking-Aufnahmen aus den 70ern zu schlagen: Ich muss zugeben, dass die Aliens zu meinem großen Bedauern verschwanden, als neuere Aufnahmen der Sonde »Mars Global Surveyor« aus dem Jahr 2001 den damaligen Irrtum offenbarten: Das berühmte Aliengesicht entpuppte sich aus anderen Blickwinkeln als schnöde, natürlich erodierte Felsformation, die in einem Spiel von Licht und Schatten das Phänomen Pareidolie in der Öffentlichkeit der 70er Jahre ausgelöst hatte. Doch so ernüchternd die Erkenntnis zunächst scheinen mag, so spannend wird sie, wenn man den Effekt für die Entdeckung von etwas wirklich Faszinierendem einsetzt: Unserer uns höchst eigenen und durch nichts begrenzten Fähigkeit zur Kreativität.

Beispiele von Pareidolie: Zeichnungen aus Espresso oder Kaffeeflecken

TIPP

Versuchen Sie doch einfach mal, einen Klecks weiterzuentwickeln. Besonders schöne Struk­turen entstehen durch Abreibungen oder Andrucke von pastöser Farbe, etwa Acryl oder Gouache. Aber auch ein Klecks Kaffee, wie hier im Bild, enthält ein grandioses kreatives Potenzial.


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Der Trick mit dem Knopf Wie man vom Fleck zum Portrait kommt

Eigentlich genügt oft ein einziger Punkt, um einen Fleck zu »lesen«. Ein guter Kniff ist es, mit einem Auge anzufangen. Ich lege mir hierzu immer ein paar Knöpfe bereit (bestimmt finden Sie auch welche in irgendeiner Schublade, ganz hinten zwischen alten Schlüsseln und der 3D-Brille vom letzten Kinobesuch ...) Versuchen Sie doch einfach mal, einen Knopf als Auge in Ihre gemalte Form zu legen. So entsteht aus einer Silhouette plötzlich eine Persönlichkeit. Augen – auch Knopfaugen – beleben jede Form und erleichtern es uns, die Figur zu kon­kre­tisieren. Dieser Trick ist schon deshalb erwäh­nenswert, weil wir den Knopf als Orientierungshilfe in der Form verwenden können, ohne uns zu früh festlegen zu müssen. Einmal Gezeichnetes lässt sich nämlich nicht wie ein Hosenknopf herumschieben. Der Knopf bildet einen Kristallisationskern für unsere Phantasie und hilft uns, den Rest der Silhouette zu lesen.

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Von der Fläche zur Perspektive

Proportionen aus einem Fleck heraus gestalten Aus einem Fleck heraus zu arbeiten, schafft aber noch mehr Vorteile. Nicht nur, dass wir die Proportionen eines Objekts besser beherrschen und die Form dadurch geschickter darstellen können – der Fleck erleichtert es uns auch, Größenverhältnisse zu erfassen. Manchmal erscheint es nämlich schon als das erste zeichnerische Problem, ein großes Gebäude (wie hier etwa eine Burg) auf Blattgröße zu verkleinern. Betrachtet man sein Motiv aber zunächst als reine Silhouette, erweist sich das Anpassen als wesentlich leichter. Einen großen »Fleck« zu einen kleinem »Fleck« zu schrumpfen, ist eben viel überschaubarer, als ein komplexes Gebilde mit Giebeln, Türmchen und Schießscharten proportional zu verkleinern.

Wenn man in der räumlichen Darstellung einen Körper aus seinem Inneren heraus formt, kann man die Arbeit in einzelne Schritte aufteilen. Zunächst schafft man die Außenform und spart sich die Details für später auf. So umschiffen Sie die damit verbundenen perspektivischen Fallstricke wie etwa Fensterfronten, Fluchtpunkte und Ähnliches, um sich erst im zweiten Schritt voll und ganz auf sie zu konzentrieren. Durch die Entzerrung dieser Problematik arbeitet es sich einfacher und somit ist Drainting eine geeignete Technik, komplizierte zeichnerische Probleme zu lösen.

Schloss Langeais an der Loire in Frankreich.

INFO

Auch beim Abu-Nabbut-Tor habe ich zunächst die Form farblich vorgelegt und die Details erst später ergänzt. Die Zeichnung von Schloss Langeais wurde aus einem Fleck Aquarellfarbe heraus geschaffen, die Details wurden erst in einem zweiten Schritt hinzugefügt.


Perspektive, mit Drainting Wir sind es gewohnt, den Begriff Perspektive mit einer Zeichnung in Verbindung zu bringen: Perspektive wird »gezeichnet«, und darin liegt eigentlich auch schon der Schlüssel zu den Schwierigkeiten, die viele Anfänger mit ihr haben. Wir begreifen Räumlichkeit nämlich fast ausschließlich konstruktiv. Bemerkenswerterweise geschieht dies dadurch, dass wir die uns umgebende Welt ebenfalls konstruktiv gestalten. Finden Sie mal eine klassische Zwei-Punkt-Perspektive in Wald und Wiesen. Dort wird Räumlichkeit viel besser durch Größenverhältnisse, durch Licht und Schatten, Verdichtungen, Überlappungen oder dem Verblassen von entfernten Objekten sichtbar. Erst seit wir angefangen haben, die Welt in rechten Winkeln zu bebauen, verfügen wir über Kanten und Linien, um die Gesetze der Räumlichkeit mit Hilfe von Fluchten zu erklären. In einer Stadt, einem Haus, einer Straße oder ähnlichem »Menschengemachten« erweist sich die konstruktive Perspektive als hilfreiches Werkzeug. Das bedeutet aber nicht, dass dies der einzige Weg sein muss, Räumlichkeit zu vermitteln. Wenn man Räumlichkeit als Entfernung vom eigenen Standpunkt betrachtet und nicht als Linienkonstruktion, dann begreift man sie einfach leichter. Ich würde Ihnen daher dazu raten, zunächst einmal von der Fläche auszugehen und alle konstruktiven Linien zu vernachlässigen.



Raum aus der Fläche Perspektive malerisch vereinfachen

Räumlichkeit kann man mit Hilfe des Drainting auch als eine Kombination aus Malen und Zeichnen darstellen. Der Witz daran ist: Mit dem Wegfallen der Linien verschwinden auch alle Fluchtpunkte. Aus der Fläche heraus betrachtet existiert nämlich nur noch Nah und Fern. Plötzlich spielt das eig­ entliche Element der Räumlichkeit, nämlich das Größenverhältnis, die wichtigste Rolle und alle geraden Linien und Fluchten treten erst einmal zurück. Wenn Sie nun Ihre Zeichenobjekte mit dem »Maulwurfsblick« betrachten, können Sie auch die Perspektive auf die Raumwirkung von Nah und Fern reduzieren. Ganz praktisch ist es so möglich, sich eine Häuserzeile als geometrische Form vorzustellen, etwa als ein Trapez. Und über diesem »ersten Fleck« lassen sich die konstruktiven Linien recht leicht ergänzen. Zudem halten wir uns wie immer mit einer vorgelegten Fläche die Möglichkeit eines zweiten Versuches offen – anders als mit einem gesetzten Strich. So können Sie die Fläche als Orientierung begreifen und die Grenzen mit der gezeichneten Linie über- oder unterschreiten. Versuchen Sie deshalb doch einmal, eine perspek­ tivische Zeichnung nicht mit Linien zu beginnen, sondern mit einer Silhouette. Diese können sie sehr hell anlegen, damit man sie bei späteren Übermalungen nicht wahrnimmt. Wenn Sie auf diese Fläche erst in einem zweiten Schritt die Linienzeichnungen setzen, teilen Sie die zeichnerische Problematik auf. Zunächst definieren wir mit der Silhouette Proportionen und Größenverhältnisse. Und erst hinterher klären wir mit den Linien Details und Kontur. Wenn wir in zwei Schritten zeichnen, arbeitet es sich viel leichter. Denn dadurch, dass wir nicht beides auf einmal machen, machen wir auch nur halb so viele Fehler.

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TIPP

Eine helle Silhouette verhilft Ihnen nicht nur zu einer ersten Orientierung und dadurch zu einem entkrampften Umgang mit dem Thema Perspektive, sie schafft schlicht die Möglichkeit für einen zweiten Schuss, falls der erste nicht präzise genug war. Linien lassen sich nämlich nur schlecht entfernen. Eine helle Fläche zu überzeichnen ist dagegen immer möglich.


Radieren

und der Trick mit dem Wasser Radieren Sie nicht so viel herum. In der Zeit, die Sie benötigen, um eine »schlechte« Zeichnung aus­ zuradieren, haben Sie meist schon zwei neue, bessere gemalt. Außerdem kann man aus den vielen »missratenen Zeichnungen« später noch etwas anderes machen. Betrachten Sie sie einfach ein oder zwei Tage später noch mal. Drehen, übermalen oder verarbeiten Sie sie zu etwas Neuem. Man sollte auch nicht vergessen, dass man eine Reihe Fehlversuche durchmachen muss, wenn man etwas lernen will. Betrachten Sie Ihre Versuche deshalb als Trophäen, und nicht als Leichen, die Sie verste­ cken müssen. Wenn Sie allerdings Probleme damit haben, für Ihre Versuche Material zu verschwenden, möchte ich Ihnen einen tollen Trick verraten, den chinesische Künstler zum Üben verwenden: Nehmen Sie sich einen Becher Wasser und einen großen, alten Pinsel und zeichnen Sie damit an einem Sommertag auf den warmen glatten Straßenbelag. Was Sie damit erzeugen, sind Bilder für den Augen­ blick. Ihre Zeichnungen bleiben ein paar Minuten auf der Oberfläche und verschwinden dann mit der Verdunstung des Wassers. Dadurch, dass Sie üben können, ohne Spuren zu hinterlassen, entsteht ein entspannter Umgang mit dem Sujet. Kein Blatt wird verschwendet, kein Radierer angefasst, und Sie müssen sich nicht um Ihre Fehlversuche sorgen. Diese Übung ist vom Zen beeinflusst, der chine­ sischen Lehre von der Konzentration auf den Moment. Alles was bleibt, ist Ihr Lernzuwachs. Und Ihr immer besserer Strich.

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Nachts sind alle Katzen grau Ohne Licht kein Schatten Es klingt paradox – aber wenn Sie Dunkelheit darstellen wollen, benötigen Sie dafür Licht. So können Sie beispielsweise eine Nachtszene nicht einfach kohlrabenschwarz malen. Nutzen Sie auch hier Kontraste. Dunkelheit stellt man am besten dadurch dar, indem man eine Lichtquelle dagegenhält. Zu­­ mindest sollten Sie eine Kerze anzünden oder einen Mond am Himmel stehen lassen. Denn andernfalls wäre Ihre Dunkelheit nichts als eine schwarze Fläche.

TIPP

Verwenden Sie kein reines Schwarz, um Dunkelheit zu malen. Probieren Sie stattdessen ein dunkles Blau, ein tiefes Violett oder eine andere dunkle Farbe – das wirkt malerisch interessanter.

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Fokussieren

Warum Bilder keine Fotos sind Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung zum Thema Fotos: Wenn wir von Bildvorlagen und nicht von der Wirklichkeit abmalen, lernen wir nicht richtig Zeichnen. Wir lernen abpausen. Nicht nur, dass wir keine eigenen Motive suchen – was Künstler sollten – wir lernen auch nicht, die Räumlichkeit der dreidimensionalen Realität in die zweidimensionale Welt der Bilder zu übertragen. Die scheinbare Vereinfachung fängt dadurch irgendwann an, uns im Weg zu stehen, weil wir keine Lernfortschritte erzielen. Was mir aber noch wichtiger erscheint ist, dass Bilder, die von Fotos abgemalt sind, oft seltsam fremd wirken. Dies liegt daran, dass wir beim »echten Sehen« fokussieren. Wir betrachten unsere Motive nicht

demokratisch, wir konzentrieren uns in der wirklichen Welt auf das, was für uns bedeutsam ist. Wenn Sie sich mit jemandem unterhalten, werden Sie auch kaum gleichzeitig eine Zeitung lesen oder etwa einen Kalender an der Wand hinter Ihrem Gesprächspartner begutachten. Tatsächlich würde uns eine solche Betrachtung auf Dauer verrückt machen. Unsere Wahrnehmung wird durch Fotos deshalb nur bedingt wiedergegeben und sie taugen darum auch nur begrenzt als Referenzen. Wir sehen nicht wie eine Kamera, wir fokussieren von Natur aus und suchen und zeigen das, was uns wirklich wichtig ist. Legen Sie deshalb die Fotos einen Moment zur Seite und verzichten auf die Bildersuche im Internet.

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Über den Wert unserer Arbeit.

Aus dem antiken Rom ist folgende Geschichte überliefert: Bei Kaiser Tarquinius erschien eines Tages eine Magierin, die ihm neun versiegelte Bücher zum Kauf anbot. In den ersten drei Büchern, so sagte sie, befände sich alles Wissen und alle Geheimnisse, die die Vergangenheit Roms beträfen. In den nächsten drei, so fuhr sie fort, würde die Gegenwart Roms beschrieben – dort wäre alles Bekannte wie alles Unbekannte, jede Politik, jede Intrige und jedes noch so kleine gegenwärtige Ereignis verzeichnet. In den letzten drei aber, so schloss sie, stünde die Zukunft Roms. Jeder Herrscher, jede Hoffnung und jeder Schicksalsschlag wäre zwischen den Seiten verborgen, und der Kaiser könne alle Bücher für 1000 Goldstücke erwerben. Der Kaiser, der einen gesunden Geschäftssinn besaß, befand den Preis als zu hoch und lehnte ab. Daraufhin nahm die Alte die drei Bücher der Vergangenheit, trug sie auf den Marktplatz, schichtete Holz auf und verbrannte die Bände öffentlich. Anderntags erschien sie erneut im Palast. Sechs verbleibende Bücher hätte sie anzubieten, die Gegenwart und die Zukunft Roms zum Preis von 1000 Goldstücken. Tarquinius reagierte fassungslos: 1000 war der Preis für neun Bücher gewesen, ein Preis, der ihm zu hoch gewesen war – und nun wollte die Magierin dieselbe Summe für die verbliebenen Bücher? Voller Wut wies er der Magierin die Tür. Daraufhin ging die Frau erneut zum Marktplatz. Sie schichtete Holz und verbrannte die drei Bücher der Gegenwart. – Und was soll man sagen? Nachdem die Asche verflogen war erhielt sie vom Kaiser für die verbleibenden drei Bücher 1000 Goldstücke.

Diese Geschichte erzählt viel über Wert und Wertschätzung, und ich schildere sie hier, weil diese Themen für angehende Künstler existenziell sind. Bilder zu malen wird oft als ein schönes, aber auch nutzloses Hobby angesehen. Eine der ersten Fragen, die man als Künstler gestellt bekommt, ist, ob man denn davon leben könne. Mir fallen (neben dem »Ja klar«) darauf eigentlich nur längere Antworten ein: Wir leben in einer Welt, die wirtschaftlichen Erfolg sehr hoch einschätzt. So gesehen verwundert es auch nicht, dass gesellschaftliche Anerkennung eigentlich nur der Kunst zuteil wird, die sich gut verkauft. Das ist zwar oberflächlich logisch, geht aber am Kern der Sache vorbei. Die Funktion von Kunst ist es ja gerade nicht, nur eine Ware zu sein. Nicht nur, dass wir sie auch für uns selber machen (was in anderen Berufen übrigens ebenfalls wünschenswert wäre), sie bringt uns alle ein Stück weiter. Der Nutzen einer Sache steht aber nicht immer in einem Verhältnis zu deren Anerkennung. Im Gegenteil sind Tätigkeiten, denen wir (monetäre) Anerkennung zukommen lassen, gerne von geringem allgemeinem Nutzen. Es gibt und gab einige barbarische Gesellschaften, die nur auf Wirtschaft und Gewinnstreben gebaut wurden – aber dort wollen wir eben nicht leben. Der Stoff, der eine funktionierende Gesellschaft zusammenhält, ist nicht ihr Gewinnstreben – es ist ihre Kultur. Der Wert von Kunst wird leider eher unter- als überschätzt. Auch wenn es gerade sie ist, die bleibt, wenn aller Reichtum verweht ist. In der öffentlichen Meinung liegt Kultur (und damit eben auch Malen, Zeichnen usw.) gleich hinter Singen und Klatschen: ein Selbstverwirk­lichungshobby von Leuten, die ansonsten der Gesellschaft auf der Tasche liegen.

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Drainting, die intuitive Kombination von Malen und Zeichnen, hebt die jahrhundertealte – heute vollkommen unnötige – Trennung zwischen Flächen malen und Linien zeichnen auf – und verbindet das Beste aus beiden Welten. Ob Urban Sketching, Skizzenbuch, Graphic Novel oder Illustration – Felix Scheinberger weckt in 71 kurzen Kapiteln Ihre Freude am Machen mit hilfreichen Anregungen und wertvollen Praxistipps. Und ebnet Ihnen einen neuen, einfacheren Zugang zum besseren Bild.

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ISBN 978-3-87439-897-8

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