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Region um Hameln 1939-1945

Ausländische Zwangsarbeit in Deutschland und in der Region um Hameln 1939-1945 – Ein Überblick

Um die deutsche Wirtschaft während des Zweiten Krieges im Laufen zu halten, war aus Sicht des NS-Regimes der Einsatz von Zwangsarbeit unverzichtbar.3 Er geschah in einem unvorstellbar großen Ausmaß. Insgesamt mussten 1940-1945 13,5 Millionen Ausländer – Zivilarbeiter und Kriegsgefangene – in Deutschland arbeiten, in Hameln-Pyrmont waren es etwa 10.000. Sie hatten die zum Kriegsdienst eingezogenen Deutschen zu ersetzen. Der Anteil ausländischer Arbeitskräfte war mit 46 Prozent besonders hoch in der damals noch wenig mechanisierten Landwirtschaft. In der Industrie war immerhin jeder vierte Arbeitsplatz durch einen Ausländer besetzt.

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Soweit die Arbeitskräfte aus Polen und der Sowjetunion stammten, mussten sie in einem ihnen feindlich gesinnten Land leben, wurden massiv diskriminiert und waren faktisch rechtlos.

Waren sie in Industriebetrieben eingesetzt, mussten sie in umzäunten und bewachten Lagern leben und waren häufig Hunger und Kälte sowie katastrophalen hygienischen Zuständen ausgesetzt. Ihre Entlohnung war aufgrund hoher Steuern und Abgaben weit geringer als die anderer Arbeitskräfte und wurde mitunter gar nicht ausgezahlt.

Zwangsarbeiter kamen aus allen von Deutschland besetzten Ländern, die mit Abstand größten Gruppen aus Polen und der Sowjetunion; hier lag der Frauenanteil deutlich über 50 Prozent. Überwiegend wurden junge Leute nach Deutschland verschleppt, darunter viele Jugendliche und auch Kinder.4

Für Polen und Sowjetbürger galt ein diskriminierendes Sonderrecht, das in einer Vielzahl von Erlassen seine Umsetzung fand. Sein deutlichster Ausdruck war die Kennzeichnungspflicht.

3 Begriffe, Definitionen und Zahlen dieses Kapitels stammen aus dem Standardwerk von Mark Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz, Stuttgart und München 2001, sowie aus der regionalen Untersuchung von Bernhard Gelderblom und Mario Keller-Holte, Ausländische Zwangsarbeit 1939-1945 in Hameln und im Landkreis Hameln-Pyrmont, Holzminden 2006. 4 Der Altersdurchschnitt lag bei Polen und Sowjetbürgern bei 21 Jahren.

Der Kontakt zu Deutschen sollte auf ein Minimum beschränkt sein. Verboten waren das Verlassen des Arbeitsortes und die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ohne amtliche Genehmigung, nächtlicher Ausgang, Besuch deutscher Veranstaltungen kultureller, kirchlicher oder geselliger Art sowie von Gaststätten, Geschlechtsverkehr mit Deutschen (bei Todesstrafe) u. a. m. Die rechtliche Diskriminierung kam vor allem darin zum Ausdruck, dass sie nicht der Justiz, sondern der Polizei bzw. der Gestapo unterstanden und nicht in Gefängnisse, sondern in die grausamen „Arbeitserziehungslager“ eingewiesen wurden.

Das Verbot, Gottesdienste zu besuchen, bedeutete für die vielen gläubigen Katholiken unter den Polen, Russen und Ukrainern eine besonders stark empfundene Diskriminierung. Während ausländische Arbeitskräfte aus dem Westen ohne weiteres eine Kirche betreten durften, waren Polen und „Ostarbeiter“ einer abgestuften Diskriminierung ausgesetzt. Die russisch- bzw. griechisch-orthodox geprägten Menschen aus der Sowjetunion durften grundsätzlich an keinem Gottesdienst teilnehmen. Für die römisch-katholischen Polen galt nach anfänglicher Freizügigkeit eine Regelung, die einzelne Sondergottesdienste in deutscher Sprache (!) erlaubte.5 Selbst in den Kirchen wurden mithin rassistische Schranken errichtet.

Über eine etwaige „Betreuung“ der ausländischen Arbeitskräfte durch die evangelische Kirche liegen keine Nachrichten vor. Diese hat sich offenbar durch die seelische Not der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in keiner Weise angesprochen gefühlt. Wie haben sich die Bewohnerinnen des evangelischen Damenstifts Fischbeck verhalten?

Verantwortlich für den Einsatz von Zwangsarbeitern war in erster Linie der NS-Staat. Eine Verantwortung trug aber ebenso der einzelne Unternehmer, Handwerker und Landwirt. Diese hatten zwar oft keinen Spielraum bei der Frage, ob sie ausländische Arbeitskräfte einstellten; sie hatten aber durchaus einen Spielraum bei ihrer Behandlung. Sie konnten sie gut, aber auch schlecht behandeln.

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5 Dieses Kapitel folgt eng der Darstellung in Gelderblom/Keller-Holte, S. 76-81.

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