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Einführung Ausländische Zwangsarbeit in Deutschland und in der
Einführung
Thema dieser Broschüre sind die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Polen und der Sowjetunion, die während des Zweiten Weltkrieges auf dem Stiftsgut Fischbeck arbeiten mussten. Vom NSRegime während des Krieges aus ihrer Heimat nach Deutschland verschleppt und mit Gewalt zum Arbeitseinsatz gezwungen, ersetzten sie die Arbeitskräfte, die nun als Soldaten gegen ihr eigenes Vaterland kämpften. Spät, allzu spät, wird hier versucht, ihre Geschichte zu erzählen.
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Dass auch die übrigen niedersächsischen Klöster und Stifte auf die aus dem Osten rekrutierten Arbeitskräfte zurückgegriffen haben, hat jüngst eine wissenschaftliche Untersuchung zur Klosterkammer in den Jahren 1931 bis 1955 in aller Breite dargelegt.1
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter gehörten wie selbstverständlich zum Kriegsalltag des NS-Staates, besonders auf dem Lande. Wohl deswegen entwickelte sich das Bewusstsein für das große Unrecht, das diesen Menschen angetan wurde, nur in einem sehr geringen Ausmaß. Bis heute haben viele Menschen in Deutschland keine Vorstellungen vom Umfang und dem Charakter der Zwangsarbeit in der NS-Zeit.
Für den ehemals zu Schaumburg gehörenden Teil des Landkreises Hameln-Pyrmont, also auch für Fischbeck, ist dies die erste Veröffentlichung zum Thema Zwangsarbeit. Wegen der sehr lückenhaften amtlichen Überlieferung liegen für Fischbeck nur unvollständige Personendaten vor. 75 Jahre nach Kriegsende ist es kaum noch möglich, unter den Bewohnern Fischbecks Zeitzeugen zu finden; und die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter Fischbecks zu befragen, ist so gut wie aussichtslos, weil sie zumeist nicht mehr am Leben sind.
Um ein in Teilen anschauliches Bild der Zustände auf dem Stiftsgut Fischbeck während des Zweiten Weltkrieges zu bekommen, greift der Verfasser deswegen auf Schilderungen aus Orten des Kreises Hameln-
1 Vgl. Detlef Schmiechen-Ackermann, Dominik Dockter, Christian Hellwig, Carina Pniok und Christiane Schröder (Hrsg), Die Klosterkammer Hannover 1931-1955: eine Mittelbehörde zwischen wirtschaftlicher Rationalität und Politisierung, Göttingen 2018.
Pyrmont zurück, die mit Fischbeck vergleichbar sind. Für den Altkreis Hameln-Pyrmont haben Mario Keller-Holte und der Verfasser unter dem Titel „Ausländische Zwangsarbeit 1939-1945 in Hameln und im Landkreis Hameln-Pyrmont“ 2006 eine Darstellung vorgelegt. Sie basiert auf einem großen Bestand an Behördenakten und Aussagen deutscher Zeitzeugen. Hinzu kommt ein umfangreicher Briefwechsel, den der Verfasser 1998 bis 2003 mit 115 ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern führen konnte, die in Hameln-Pyrmont hatten arbeiten müssen.2 Die Briefe sind als Quelle deswegen so wertvoll, weil sie die Sichtweise der Betroffenen selbst enthalten.
Der erste Teil der Broschüre enthält – veranschaulicht an Zeitzeugenberichten – eine Überblicksskizze zur Zwangsarbeit in NSDeutschland und in der Region um Hameln.
Der zweite Teil thematisiert die Verhältnisse auf dem Stiftsgut selbst. Das erste Kapitel ist den Arbeitskräften aus Italien gewidmet, die 1938 nicht als Zwangsarbeiter, sondern freiwillig kamen und aus einer mit NS-Deutschland damals verbündeten Nation stammten. Sie fanden vergleichsweise gute Bedingungen vor.
Wahrscheinlich Anfang 1942 rückten dann anstelle der Italiener Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion in die sogenannte „Russenkaserne“ ein, die damals ihren Namen erhielt.
Das Leid, das die zumeist jugendlichen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Deutschland und auch auf dem Stiftsgut Fischbeck erfahren haben, ist nur schwer zu beschreiben. Jede und jeder Einzelne war in einer anderen Situation und hat diese anders erlebt. Es gab auf den großen Gütern vielfältige Erscheinungsformen und Akteure von Gewalt, von Seiten des Gutspächters, seines Verwalters, des Ortspolizisten, deutscher Knechte und Mägde, aber auch unter der „Ostarbeiterinnen“ und „Ostarbeitern“ selbst. Die Verhältnisse
2 Vgl. http://www.gelderblom-hameln.de/zwangsarbeit. Viele der ausländischen Zeitzeugen haben mehrere Seiten umfassende Briefe geschrieben und Dokumente wie Arbeitskarten, Fotos und Tagebücher beigelegt. Mehrere Briefeschreiberinnen und -schreiber erwähnten, wie schwer es ihnen wurde, sich aus dem Abstand von über 50 Jahren an den Aufenthalt in Deutschland zu erinnern. Für die allermeisten war es eine schlimme, als traumatisch erlebte Zeit, die bis heute nicht verarbeitet ist. Auf den Briefwechsel folgten Reisen des Verfassers nach Polen wie in die Ukraine. Im September 2005 besuchten ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Polen die Stadt Hameln und die Orte ihrer Zwangsarbeit, ein Jahr später kamen ehemalige Zwangsarbeiterinnen aus der Ukraine. Vgl. auch dazu http://www.gelderblom-hameln.de/ zwangsarbeit.
änderten sich im Laufe des Krieges und konnten am Kriegsende lebensgefährlich sein. Es gab gewiss auch glückliche Momente, die diese Menschen im Miteinander und hoffentlich auch von Seiten einzelner Deutscher erfuhren.
Das Leid der Deportierten geht über die in Deutschland verbrachte Zeit weit hinaus. Die Menschen kamen zurück in zerstörte Dörfer und Städte. Der unterbrochene Schulbesuch, die nicht abgeschlossene Ausbildung waren nicht nachzuholen. Die Zwangsarbeit in Deutschland hatte lebenslange negative Folgen.
Zu danken habe ich Mario Keller-Holte, der mit seiner profunden Sachkenntnis auf dem schwierigen Gebiet der NS-Zwangsarbeit eine große Hilfe war, und Renate Oldermann, die ihr Wissen über das Stiftsgut bereitwillig zur Verfügung gestellt hat. Äbtissin Katrin Woitack hat die nicht selbstverständliche Anregung zur Abfassung dieser Broschüre gegeben und die Recherchen des Verfassers ermutigt und begleitet.
Bernhard Gelderblom Hameln, im November 2020
Helena Wojcinska, deportiert aus Polen im Alter von 11 Jahren
(Kreisarchiv Hameln-Pyrmont, im Folgenden abgekürzt KA HM-Pyr)
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Kennzeichnung der Polen und der Ostarbeiter
(Deutsches Historisches Museum Berlin)