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Instandsetzung der König-Ludwig-Brücke in Kempten

Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst Instandsetzung der König-Ludwig-Brücke in Kempten

von Klement Anwander

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»Lunch atop König Ludwig Brücke in Kempten 2018« © Hermann Rupp

Die 168 Jahre alte König-LudwigBrücke in Kempten wurde 2017–2019 instand gesetzt. Ihre lange Geschichte steht für Technologietransfer, Anfänge der analytischen Tragwerksplanung, Bauen im Denkmalschutz, verschiedene Normengenerationen und hohe Anforderungen an Planung und Bau. Die zahlreichen Funktionen und Ereignisse, beginnend als Eisenbahnbrücke, dann als Straßenverkehrsbrücke dienend, über Sprengungen im Zweiten Weltkrieg und Notbehelfe bis hin zur Nutzung als Fußgängerbrücke reichend, haben immer neue Anforderungen an die Brücke herangetragen. Es grenzt an ein Wunder, dass sie nach fast 170 Jahren noch vorhanden ist. An ihr wird deutlich, dass ein robustes Bauwerk den Weg durch die Jahrhunderte findet, wenn sich die jeweiligen Beteiligten immer wieder aufs Neue mit dem Bauwerk identifizieren können. 1 Einführung Die König-Ludwig-Brücke, die in Kempten in 30 m Höhe über die Iller führt, ist historisches Kulturgut. Die zwischen 1847 und 1851 gebaute und am 1. April 1852 eröffnete, dreifeldrige, 120 m lange und bis 1905 durch die Bahn genutzte Fachwerkstruktur ist die älteste Holz-Eisenbahnbrücke Europas, die noch weitgehend im Originalzustand erhalten ist. Seit 2012 trägt sie den von der Bundesingenieurkammer verliehenen Titel »Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland« und befindet sich damit unter anderem in Gesellschaft mit dem Stuttgarter Fernsehturm, dem Flughafen Berlin-Tempelhof oder dem Alten Elbtunnel in Hamburg. Seit 2007 erhielten 22 Bauwerke in Deutschland diese Auszeichnung.

2 Wissenstransfer vor 170 Jahren Da in Bayern die Stahlproduktion bekanntlich nicht beheimatet und der »Import« teuer war, dominierte noch bis ca. 1860 der Werkstoff Holz den Brückenbau. Der Leiter der Eisenbahn-Kommission, August von Pauli, entschied sich bei der Illerüberquerung in Kempten für eine Fachwerkbrücke, mit der größere Spannweiten von über 50 m möglich waren. Seine Mitarbeiter, die Ingenieure Carl Cullmann, der auf einer AmerikaExkursion diese Bauweise kennenlernte und mit nach Europa brachte, und Carl Ruhland studierten das Howe’sche Fachwerksystem intensiv und konnten das Trageverhalten rechnerisch wie praktisch weiter optimieren. Aufgrund dieser Analysen wurde die König-Ludwig-Brücke mit ihren Spannweiten von 37 m im West-, 54,80 m im Mittel- und 28,60 m im östlichen Teil entworfen, geplant und errichtet.

3 Zur Bauingenieurausbildung Das 19. Jahrhundert brachte in der Geschichte des Bauingenieurwesens eine Neuordnung der Ausbildung mit sich. Bis etwa 1830 waren Planer reine Mathematiker und Naturwissenschaftler, August von Pauli noch ein Schüler des berühm ten Carl Friedrich Gauß. Erst langsam entwickelte sich eine eigenständige, akademische Ingenieurausbildung, die im Brückenbau nicht mehr auf Erfahrungswerte, sondern auf konkrete Berechnungen setzte. Die heutige Technische Universität München (TUM) hat ihre Wurzeln in der 1833 gegründeten Technischen Hochschule, die 1868 zur Polytechnischen Schule München wurde und ab 1877 und bis 1970 die Königlich Bayerische Technische Hochschule München war.

Ansicht, Draufsicht und Regelquerung der Illerquerung © Konstruktionsgruppe Bauen AG

4 Geschichte der Brücke Die König-Ludwig-Brücke hat eine bewegte Geschichte. Schon 17 Jahre nach ihrer Eröffnung wurde sie 1879 zum ersten Mal verstärkt und ertüchtigt, um den deutlich schwerer gewordenen Lokomotiven standzuhalten. 1905 wurde sie als Eisenbahnbrücke außer Dienst gestellt und zu einer Straßenbrücke umgebaut. Die Königlich Bayerische Staatseisenbahn hatte für die Zu- und Abfahrt des Kemptener Kopfbahnhofes zwischen 1904 und 1906 die beiden direkt benachbarten Oberen Illerbrücken errichten lassen, die als die größten Stampfbetonbrücken der Welt ebenfalls besondere Zeugnisse der frühen Ingenieurbaukunst sind. Das Ensemble dieser drei Brücken ist bauhistorisch beeindruckend und einmalig. 1911 erwarb die Stadt Kempten die KönigLudwig-Brücke. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, im April 1945, zerstörte die Wehrmacht durch Sprengung deren östliche Felder. Aber bereits im Juni desselben Jahres begann der Wiederaufbau. Ab 1970 floss der Verkehr, nachdem der Hauptbahnhof an den Stadtrand verlegt wurde, über die benachbarte Obere Illerbrücke II, die König-Ludwig-Brücke wurde gesperrt. 1986–1987 erfolgte ihr Umbau zur Geh- und Radwegquerung. Damals wurde die Fahrbahnbreite von zwei Brückenträgern auf einen Träger reduziert und auch die Verkleidung, als Schutz gegen Wind und Wetter, wurde entfernt, um die ursprüngliche Form sichtbar zu machen. Die damalige DIN 68800 erlaubte eine solche Ausführung, mit Verkleidung wäre die Windlast zu groß geworden. Bereits Ende der 1970er Jahre übertrug die Stadt Kempten der ortsansässigen Konstruktionsgruppe Bauen den Auftrag zur Bauwerksprüfung nach DIN 1076. Auch für den Umbau 1986–1987 trug das Kemptener Ingenieurbüro die Verantwor tung. Als Ende 2011 die Überprüfung auf Gebrauchstauglichkeit, Standsicherheit, Dauerhaftigkeit und Tragfähigkeit nur noch die ungenügende Zustandsnote 3,5 ergab, wurde der Illerübergang bald darauf für den Fußgänger- und Fahrradverkehr gesperrt. Im August 2015 entschied der Stadtrat, das Denkmal grundlegend für Fußgänger und Radfahrer zu sanieren und dieses außergewöhnliche Bauwerk somit zu erhalten.

5 Zu Beginn eine OSA Um eine Entscheidung für das weitere Vorgehen treffen zu können, erfolgte zunächst eine Objektbezogene Schadensanalyse (OSA), bei der verschiedene Verfahren zum Einsatz kamen. Die Kemptener Ingenieure haben unter anderem eine Ausbildung zu Industriekletterern absolviert, um über Seile und Sicherun gen die Schäden möglichst direkt zu erfassen. Neben der visuellen, handnahen Begutachtung wurden an bestimmten Stellen auch Feuchte- und Bohrwiderstandsmessungen sowie Impulstomographien und Schadstoffanalysen durchgeführt. Die größten Schäden, verursacht vor allem durch den Verwitterungsprozess, wurden an den Schwellen der Howe’schen Träger und an den Auflagerbzw. Lasteinleitungsbereichen festgestellt. Die im Laufe der Jahre ermittelten Schadensdaten und die aktuellen Ergebnisse aus der OSA wurden systematisch dokumentiert, kartiert und in einer Datenbank als Web-Interface abgelegt. Im nächsten Schritt wurde ein 3-D-Modell erstellt, mit dem die Auswirkungen der Schäden auf Baugruppen bzw. auf das gesamte Tragwerk simuliert werden konnten. Aus diesen Erkenntnissen wurde das konkrete Instandsetzungskonzept für das Gesamttragwerk abgeleitet. Mit Hilfe umfangreicher Tragwerksberechnungen ließen sich die zu ersetzenden Bauteile bestimmen. Dadurch, dass alle beteiligten Planer über das Web-Interface Zugriff auf die Daten hatten, war es möglich, im Laufe der langen Projektbearbeitungszeit sämtliche Schädigungskategorien und aktuelle Bewertungen einzupflegen.

6 Verkleidung-Test im Windkanal Ein besonderes Problem stellte die Windlast dar, für die eine Lösung gefunden werden musste. Bei einer geschlossenen, neuen Verkleidung zum Schutz der Brücke wäre die Lagesicherheit nicht gewährleistet gewesen. Als Lösung wurde eine windabtreibende Lamellenverschalung entwickelt, deren Effektivität über Versuche im Windkanal nachgewiesen werden konnte. Die Lamellen, die einen nahezu uneingeschränkten Blick auf das einzigartige Tragwerk zulassen, überneh men in Zukunft auch den Witterungsschutz für das Holz.

7 Finanzierung und Genehmigungen Bis es im September 2017 zum Aushub der drei Brückenteile und zu ihrer Instandsetzung in einer nahe gelegenen »Feldwerkstatt« kam, waren viele rechtliche und organisatorische Themen zu bewältigen. Zunächst wurden ab 2015 Förderanträge zur Finanzierung gestellt.

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Lamellenverschalung aus Lärchenholz © Konstruktionsgruppe Bauen AG

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Schalung: Ansicht und Querschnitt © Konstruktionsgruppe Bauen AG

9 10 Windverband am Pfeiler © Konstruktionsgruppe Bauen AG

Die größte Fördersumme stammt aus dem »Bundesprogramm Nationale Projekte des Städtebaus«, das von den gesamten Projektaufwendungen in Höhe von 5,20 Mio. € den stolzen Teil von 2,20 Mio. € übernahm. Weitere Fördergeber, die die Stadt Kempten als Bauherr gewinnen konnte, waren die Bayerische Landesstiftung, das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege, der »Entschädigungs fond« und der Bezirk Schwaben. Außerdem galt es wasser- und naturschutzrechtliche Genehmigungen einzuholen. Kritisch war zunächst die denkmalschutzrechtliche Erlaubnis, da die Behörde zu Beginn der Ausschreibungsphase noch eine Instandsetzung vor Ort verlangt hatte. Bautechnisch und wirtschaftlich betrachtet, hätte dies wesentlich höhere Kosten verursacht als das finale Aushubkonzept. Daher stimmte das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege dem Ausheben und der »externen Instandsetzung« zu.

11 12 Einhub von Seiten- und Mittelfeld © Eva Bartussek/Hermann Rupp

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13 Erneuerte Elemente wieder in alter Position © Eva Bartussek

8 Aushub, Umbau und Retoure Der Aushub durch den Generalunternehmer aus Memmingen erfolgte planmäßig zwischen 5. und 7. September 2017. Die benachbarte Stampfbeton-Südbrücke, einer der mit ca. 30.000 Kfz/d meistbefahrenen Verkehrswege der Stadt, war bereits einige Tage zuvor für Vorbereitungen gesperrt worden. Zwei Schwerlastkräne mit 750 t bzw. 700 t maximaler Traglast wurden von Teams einer Spezialkranfirma aus München in Position gebracht, um die drei Brückenteile, pro Tag eines, sicher an den Haken zu nehmen und auf der Südbrücke dann auf bereitstehende Fahrzeuge zu verladen.

14 Blick ins Innere der instandgesetzten Brücke © Konstruktionsgruppe Bauen AG

Die Tragfähigkeit der Südbrücke war im Vorfeld einer detaillierten Bauwerksprüfung und -berechnung zur Bestimmung der Festigkeit und Tragfähigkeit unterzogen worden. Bis zum Juli 2018 erfolgten dann in einer Feldwerkstatt alle Instandsetzungsarbei ten: Reparaturen, Verstärkungen, Holzaustausch; 14 t zusätzliches bzw. auszutauschendes Material waren erforderlich. Im Vergleich zur Aushublast von insgesamt 126 t betrug die Einhublast des Mittelteils im Juli 2018 dann 140 t. Der Einhub bzw. die nicht weniger spektakuläre »Retoure« der drei Brückenteile wurde für den Zeitraum 10.–17. Juli 2018 terminiert – dieses Mal mit insgesamt vier Kränen mit 700 t, 750 t und 2 x 500 t maximaler Traglast auf der Südbrücke. Die erneute Sperrung der Südbrücke, 9.–20. Juli 2018, stellte nochmals einen massiven Eingriff in den Verkehr dar.

9 Stolz auf die »neue« Brücke Eine sehr aktive und ausführliche Berichterstattung der lokalen Tagespresse, der Allgäuer Zeitung, und die Informationen der Stadt Kempten über die sozialen Medien haben bei den Bürgerinnen und Bürgern für viel Verständnis und anhaltendes Interesse gesorgt. Die Kemptener sind stolz auf ihre historische Brücke, deshalb will die Stadt Kempten ein Ausstellungskonzept extra für interessierte Besucher erarbeiten. Und so sieht dieses Allgäuer Baudenkmal, das im Herbst 2018 als Geh- und Radwegbrücke eröffnet und dessen Gesamtfertigstellung im Frühjahr 2019 im Rahmen eines Festakts mit ca. 10.000 Bürgern gefeiert wurde, nun einer soliden und substantiell sicheren Zukunft entgegen.

Autor: Dipl.-Ing. (FH) Klement Anwander Konstruktionsgruppe Bauen AG, Kempten Bauherr Stadt Kempten

Entwurf und Ausführungsplanung Konstruktionsgruppe Bauen AG, Kempten

Bauüberwachung IBB Ingenieurbüro Böck, Memmingen

Prüfingenieure Prof. Dr.-Ing. Stefan Winter, München Prof. Dr.-Ing. Detleff Schermer, München

Bauausführung Josef Hebel GmbH & Co. KG, Memmingen Holzbau Buhmann GmbH & Co. KG, Weitnau Schmidbauer GmbH & Co. KG, Gräfelfing

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