SYMPOSIUM Grüne Verkehrswende »durch« Brücken
Active Mobility als Idee und Perspektive von Bartlomiej Halaczek
Die Welt des Ingenieurbaus ist komplex und dessen Anforderungen zu erfüllen, bedingt Kreativität und Fachwissen. Bei Ausschreibungen und Auslobungen wird die Situation detailliert geschildert, verbunden mit dem Anspruch, eine dauerhafte, kostenneutrale und baubare Lösung für das (überwiegend) geometrische Problem zu liefern. Der Bauherr bittet um Antworten auf die Fragen »Was?« und »Wie?«: Was ist die angemessene Reaktion auf die gestellte Aufgabe und wie wird sie umgesetzt? Der Ingenieur bekommt in den seltensten Fällen ein Honorar, wenn er Fragen stellt, die jedes Infrastrukturprojekt am Anfang aufwerfen sollte: »Warum?« und »Für wen?«. Angesichts der Bedrohungslage durch die globale Erderwärmung muss die Frage nach dem Sinn eines Projektes jedes Mal aufs Neue gestellt werden. Es wird empfohlen, weniger zu bauen, und das, was gebaut wird, mit mehr Qualität und Inklusivität. Die Frage nach dem Nutzer, also »Für wen?« wird hierbei zentral, denn wir können es uns nicht mehr erlauben, Nutzergruppen, speziell die nichtmotorisierten, als nachrangig zu betrachten. Soll die für eine CO2-Einsparung notwendige Verkehrswende ein Erfolg werden, sind zuallererst die entsprechenden Voraussetzungen dafür zu schaffen.
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BRÜCKENBAU | 4/5 . 2021
1 Nutzungsintensität »Fahrrad«: qualitativer Vergleich Deutschland–Niederlande © Strava Heatmaps
1 Die Idee der Active Mobility Der Begriff »Active Mobility«, zu Deutsch »Aktive Mobilität«, auch bekannt unter dem weniger passenden Begriff »Active Travel«, umfasst sämtliche Fortbewegungsarten, bei denen Personen oder Güter, zur Gänze oder unterstützend, mit Hilfe von Muskelkraft transportiert werden. Fußgänger und Radfahrer machen den größten Prozentsatz der ActiveMobility-Gruppe aus, dennoch fallen weitere Fortbewegungsarten, wie Skaten, Tretrollerfahren, Rudern oder auch einfach Schwimmen, ebenfalls in die Kategorie der aktiven Mobilität. Die Idee der aktiven Fortbewegung ist nicht neu: Ein Umstieg vom Pkw auf das Fahrrad wird beispielsweise bereits seit Dekaden von Gesundheits- und Umweltorganisationen gleichermaßen propagiert. Die Debatte über das Thema hat jedoch seit Beginn des ersten Covid-Lockdowns im Frühjahr 2020 erneut Schwung aufgenommen. Die gesellschaftlichen Veränderungen, bewirkt durch Telearbeit, den Wegfall des Pendelverkehrs, das Freiwerden von Straßenflächen und die strikte Vorgabe, die Wohnung nur zu Sportzwecken zu verlassen, zeigten Möglichkeiten auf, wie ein massiver Wechsel zu gesünderen Fortbewegungsarten in der Bevölkerung erreicht werden kann. Folglich nahmen Regierungen weltweit die Idee der aktiven Mobilität in ihre Infrastrukturprogramme auf. So wurde beispielsweise die
Organisation »Active Travel England« von der britischen Regierung im vergangenen Jahr gegründet, nachdem die kumulativ zurückgelegte Radstrecke 2020 die Summe der letzten 20 Jahre um 50 % überschritten hatte! [1] 2 Vorteile einer Aktiven Mobilität Die vielen positiven Effekte einer Aktiven Mobilität wurden in unzähligen Studien bewiesen, sind aber auch ohne deren Kenntnis einleuchtend. Gesundheit: Einer von sechs Todesfällen in Großbritannien kann auf mangelnde Bewegung zurückgeführt werden. Die WHO empfiehlt eine tägliche Mindestmenge an Bewegung von 20 min, die viele Bürger angesichts der Bürotätigkeit im Sitzen sowie der Autofahrt zu und von der Arbeit kaum umsetzen. [2] CO2-Bilanz: Aktive Mobilität schafft speziell durch die Vernetzung unterschiedlicher Fortbewegungsmodi, wie zum Beispiel Fahrrad, Bahn und »Füße«, enorme Reduktionspotentiale in Bezug auf den Treibhausgasausstoß. Verkehrsfluss: Die Ineffizienz des motorisierten Individualverkehrs ist hinlänglich bekannt. Eine 3 m breite Pkw-Fahrspur kann von 700–1.100 Menschen/h passiert werden. Ein Fuß- und Radweg gleicher Breite vermag bis zu 6.500 Nutzer aufzunehmen. [3]