Brückenbau 4-5/2021

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SYMPOSIUM Entwicklung und Perspektiven eines neuartigen Holzbrückentypus

Integrale Massivholzbrücken in Städten von Thorsten Helbig

Der nachwachsende Baustoff Holz wird heutzutage im Brückenbau nur noch selten verwendet, seit im 19. Jahrhundert Stahl und im 20. Jahrhundert dann Stahlbeton den traditionellen Brückenbauwerkstoff mehr und mehr verdrängten. Neuartige Füge- und Klebetechnologien im Holzbau und eine verstärkte öffentliche Wahrnehmung der Notwendigkeit eines emissionsund ressourceneffizienten Bauens eröffnen dem Holzbrückenbau nun neue Perspektiven. So wurden das Konzept der Massivholzbrücken mit dem Deutschen Holzbaupreis 2017 und das erste realisierte Projekt mit dem Staatspreis Baukultur BadenWürttemberg 2020 und der Auszeichnung des Deutschen Brückenbaupreises 2020 prämiert. Dieser Beitrag stellt die Entwicklung, erste Realisierungen und Perspektiven des neuartigen Brückentypus vor.

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1 Werkstoff im Brückenbau: Holz Holz, der älteste Brückenbauwerkstoff, wurde ab dem frühen 19. Jahrhundert von Stahl und seit Beginn des 20. Jahrhunderts dann von Stahlbeton – beides technologisch stetig weiterentwickelte, industriell herstellbare Baustoffe – im Wettkampf um große Spannweiten und wirtschaftliche Lösungen im Brückenbau fast vollständig verdrängt. Aus Holz errichtete Brücken machen heutzutage nur noch einen verschwindend geringen Anteil der Bestands- und Neubauten aus. Bei sehr vielen der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts realisierten Holzbrücken sind schon nach relativ kurzer Standzeit feuchtebedingte Schäden, verursacht vor allem durch mangelhaften konstruktiven Holzschutz, aufgetreten. Auch dadurch verfestigte sich die Auffassung, dass Holzbrücken nicht dauerhaft und zu aufwendig im Unterhalt seien. So waren von den insgesamt 9.200 Brücken im Bestand des Landes BadenWürttemberg im Jahr 2012 nur noch 62 als Holzkonstruktion ausgeführt. Zwar haben diese Schäden meist mit mangelhafter konstruktiver Durchbildung und unzureichender Wartung zu tun, aber die dadurch geprägte Wahrnehmung verstellt wohl auch den Blick auf die Chancen und Möglichkeiten des Holzbrückenbaus angesichts des sich nun vermehrt auch bei Infrastrukturprojekten durchsetzenden Paradigmenwechsels: Die maßgeblichen Parameter für Entwurf und Optimierung werden nicht mehr nur aus einer angestrebten technisch-wirtschaftlichen Effizienz abgeleitet. Heute sind zunehmend auch ein bewusster Ressourcenein-

1 Querschnitt der Brücke in Arnsberg: zweiter Preis im Wettbewerb 2005 © Cheret Bozic Architekten

BRÜCKENBAU | 4/5 . 2021

satz und eine Betrachtung der über den gesamten Lebenszyklus resultierenden Umwelteinwirkungen wesentlicher Bestandteil der Entwurfsüberlegungen. Und da weist der einzige nachwachsende Brückenbauwerkstoff unvergleichliche Qualitäten auf. Der Einsatz von Holz substituiert die emissions- und energieintensiven Werkstoffe Stahl oder Beton, er speichert zudem das während des Baumwachstums gebundene Kohlendioxid und entzieht es so seiner klimaschädlichen Wirkung in der Atmosphäre. Es ist also an der Zeit, den nachwachsenden Werkstoff Holz auch für den Brückenbau neu zu entdecken. Das erfordert jedoch nicht nur die Entwicklung neuer Technologien und konstruktiver Anwendungen, die dauerhafte und wirtschaftliche Lösungen ermöglichen, sondern ebenso das Suchen nach einer eigenständigen, modernen Gestaltsprache, die dem Verständnis einer nachhaltigen Brückenbaukultur selbstbewussten Ausdruck verleiht und im Wettbewerb mit den von Stahl und Beton geprägten Entwurfsformen bestehen kann. 2 Annäherung an einen neuen Holzbrückentypus In mehreren Wettbewerbsbeiträgen, die wir als entwerfende Ingenieure auch als interdisziplinäres Experimentierfeld für den Einsatz innovativer Konstruktionsformen und neuartiger Materialkombinationen verstehen, haben wir uns den gestalterischen und konstruktiven Aspekten eines neuen Holzbrückentypus angenähert. Bei dem 2005 von der Stadt Arnsberg ausgelobten Realisierungswettbewerb für eine Fuß- und Radwegbrücke über die junge Ruhr in Alt-Arnsberg wurde nicht nur eine Flussquerung gesucht, sondern darüber hinaus ein Landschaftssignet, das Aussichts- und Aufenthaltsqualitäten mit der verkehrlichen Funktion verbindet.

2 Modell der Brücke in Arnsberg: zweiter Preis im Wettbewerb 2005 © Cheret Bozic Architekten


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