1 VISCHER.COM SWISS LAW AND TAX Zürich | Basel | Genf STEUER UPDATE 2023
2
STEUER UPDATE 2023
INHALT
II UNTERNEHMENSSTEUERRECHT / VERRECHNUNGSSTEUER / STEMPELABGABEN
●
A) Mindestbesteuerung grosser Unternehmensgruppen
1 Vorgehen in der Schweiz
B) Kauf und Verkauf von eigenen Aktien
C) Neuerungen und Aktualitäten im Bereich der Verrechnungssteuer & der Stempelabgaben
1 Abgelehnte Abschaffung der Verrechnungssteuer auf Obligationenzinsen
2 Erweiterung des Meldeverfahrens im Konzern
3 Abgelehnte Abschaffung der Umsatzabgabe auf inländischen Obligationen
D) Entscheide
1 Beteiligungsabzug bei der Veräusserung eines Teilpaketes von weniger als zehn Prozent Aktien
2 Zeitpunkt der Entstehung der Verrechnungssteuerforderung bei geldwerter Leistung
3 Rückerstattung der Verrechnungssteuer bei stellvertretender Liquidation
III NATÜRLICHE PERSONEN
●
A) Neuerungen in der Gesetzgebung und in der Verwaltungspraxis
1 Ausgleich der Folgen der kalten Progression für das Steuerjahr 2023
B) Entscheide
1 Kapitalbezug von Vorsorgeleistungen zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit
2 Besteuerung der Entschädigung für eine missbräuchliche Kündigung
3 Entschädigung für Bauhöhenbeschränkung, Grundstückgewinnsteuer oder Einkommenssteuer
4 Private Vermögensverwaltung oder selbständige Erwerbstätigkeit
5 Angemessenheit genehmigter Pauschalspesen nicht gerichtlich überprüfbar
IV GRUNDSTEUERN
●
A) Aktuelles
1 Revision Grundstückgewinnsteuer im Kanton Basel-Stadt
B) Entscheide
1 Ein Steueraufschub ist bei der Grundstückgewinnsteuer zu gewähren, solange ein Vorsorgezweck besteht
2 Fondsleitungswechsel können zu Handänderungssteuern führen
3 Herabsetzung des Eigenmietwerts bei nur teilweiser Bewohnbarkeit einer Liegenschaft
4 Kein Härtefall beim Liegenschaftsverkauf aufgrund Pflegebedürftigkeit
3 INHALT
I EINLEITUNG ●
6 8 9 9 9 10 10 10 10 10 10 11 12 14 15 15 17 17 17 18 19 19 22 23 23 24 24 24 25 25
V MEHRWERTSTEUER
●
A) Gesetzesänderungen
1 Umsatz für die Mehrwertsteuerpflicht von Sport- und Kulturvereinen und gemeinnützigen Institutionen
2 Anhebung der Mehrwertsteuersätze zur Zusatzfinanzierung der Alters- und Hinterlassenenversicherung
B) Praxisänderungen und -präzisierungen
1 Trusts / Negativzinsen
2 Privatanteile
C) Entscheide
1 Zuordnung von Leistungen an den Leistungserbringer
2 Zuordnung von Leistungen an den Leistungsempfänger
3 Von der Steuer ausgenommene Finanzvermittlung
4 Teilweise Rechtskraft von Steuerforderungen
D) Ausblick
1 Entwurf Praxisanpassung Sacheinlagen
2 Entwurf Praxisänderung eng verbundene Personen
VI INTERNATIONALE STEUERN
●
A) Internationale Abkommen
1 Covid-19: (Update; Stand 9. Februar 2023): Auswirkungen auf die Besteuerung
und Sozialversicherungsunterstellung von Grenzgängern
B) Wesentliche politische Entwicklungen in der Schweiz
1 Aktueller Stand zur Einführung eines Schweizer Trusts
C) Wesentliche neue Entwicklungen in der OECD / EU
1 Besteuerung grenzüberschreitender Aktivitäten und globale Mindestbesteuerung
2 EU Shorts
D) Entscheide
1 Amtshilfeverfahren
es wird ernst
4 STEUER UPDATE 2023
–
WEITERE INFORMATIONEN ● KONTAKTPERSONEN ● 28 29 29 29 29 29 29 30 30 31 31 32 33 33 33 34 35 35 37 37 38 38 44 50 50 52 53
5 INHALT
KAPITEL I EINLEITUNG
STEUER UPDATE 2023 6
Die Kanzlei VISCHER verfügt über ein kompetentes Steuerteam bestehend aus fünfzehn Mitgliedern. Die Steuerexperten, Wirtschaftsprüfer, Anwälte und Treuhänder beraten nationale sowie internationale Unternehmen und Unternehmer in allen Bereichen des Steuerrechts, sei es bei Ansiedlungen, Umstrukturierungen, Finanzierungen, Übernahmen, Tax Audits oder bei der Gestaltung von Nachfolgeregelungen.
Auch die Unterstützung von vermögenden Privatpersonen ist Teil der täglichen Aufgaben.
Nebst den typischen Steuerberatungsdienstleistungen nimmt das Steuerteam auch Compliance-Aufgaben, wie Steuerrückstellungsberechnungen oder in komplexeren Fällen das Erstellen von Steuererklärungen, wahr. Schliesslich führen die Teammitglieder auch Steuerverfahren, sofern im Vorfeld keine angemessene Lösung mit den Behörden gefunden werden konnte. Dies ist zunehmend im Bereich der internationalen Amts- und Rechtshilfe der Fall.
Mit dem zwölften Steuer Update nutzt das Steuerteam von VISCHER wiederum die Gelegenheit, einem an Steuerfragen interessierten Publikum die Neuerungen in den wesentlichen Bereichen des Steuerrechts vorzustellen, welche sich im vergangenen Jahr ergeben haben und / oder im Jahr 2023 von Bedeutung sein werden.
7 I EINLEITUNG
KAPITEL II
UNTERNEHMENSSTEUERRECHT / VERRECHNUNGSSTEUER / STEMPELABGABEN
CHRISTOPH NIEDERER, RECHTSANWALT UND DIPL. STEUEREXPERTE DR. TOBIAS ROHNER, RECHTSANWALT UND DIPL. STEUEREXPERTE PHILIPP TSCHENETT, M.A. HSG IN LAW & ECONOMICS
STEUER UPDATE 2023 8
A) Mindestbesteuerung grosser Unternehmensgruppen
1 Vorgehen in der Schweiz
Rund 140 Staaten der OECD – darunter auch die Schweiz – haben im Jahr 2021 einer globalen Mindeststeuer zugestimmt, welche multinationale Konzerne betreffen soll. Die Schweiz plant eine Umsetzung per 1. Januar 2024.
Der Bundesrat hat am 22. Juni 2022 die Botschaft zum Bundesbeschluss über eine besondere Besteuerung grosser Unternehmensgruppen (Umsetzung des OECD/ G20-Projekts zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft) veröffentlicht.1
Der Bundesrat schlägt ein etappiertes Vorgehen für die Umsetzung in der Schweiz vor. Zuerst soll der Bundesrat durch eine Verfassungsänderung, welche dem Schweizer Stimmvolk voraussichtlich im Juni 2023 zur Abstimmung vorgelegt wird, die Kompetenz erhalten, vorübergehend mittels einer Verordnung, die Mindeststeuer per 1. Januar 2024 einzuführen. Die vorgeschlagenen Übergangsbestimmungen der Verfassungsänderung beinhalten hierbei rechtlich verbindliche Eckwerte, welche die vorübergehende Verordnung des Bundesrates berücksichtigen muss. Diese vorübergehende Verordnung soll sodann durch ein Bundesgesetz abgelöst werden. Für die Einzelheiten hierzu wird auf den Teil Internationale Steuern v.C.1. verwiesen.
B) Kauf und Verkauf von eigenen Aktien
Mit Urteil vom 18. Januar 20222 hat das Steuerrekursgericht des Kantons Zürich die Auffassung des kantonalen Steueramts Zürich gestützt, dass der aus dem Verkauf von eigenen Aktien realisierte Gewinn, der handelsrechtlich direkt über das Eigenkapital verbucht wurde, der Gewinnsteuer unterliege.
Das Gericht stellte die Handelsrechtskonformität der Jahresrechnung des börsenkotierten Unternehmens nicht in Frage. Insbesondere wurde nicht daran gezweifelt, dass der Kauf von eigenen Aktien gemäss Art. 959a Abs. 2 Ziff. 3 lit. 3d Obligationenrecht (OR) das Eigenkapital reduziert (eigene Kapitalanteile als Minusposten).
Der Rückkauf eigener Aktien wird mithin handelsrechtlich einer Kapitalherabsetzung gleichgestellt. Dieser Systematik folgend kann handelsrechtlich bei der Wiederausgabe eigener Aktien der Differenzbetrag zwischen dem Veräusserungspreis und den Anschaffungskosten analog einer Kapitalerhöhung erfolgsneutral im Eigenkapital (Gewinnreserve) erfasst werden.
Für die steuerliche Beurteilung zog das Steuerrekursgericht jedoch die Korrekturvorschrift von Art. 58 Abs. 1 lit. c Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer (DBG) heran. Gemäss dem Wortlaut dieser Bestimmung seien «der Erfolgsrechnung nicht gutgeschriebene Erträge» zu besteuern. Darunter würden auch jene Gewinne fallen, die handelsrechtlich nicht als Gewinn ausgewiesen werden dürfen. Der Kapitalgewinn sei das Resultat eines Veräusserungsvorganges und deshalb steuerbar, auch wenn dieser erfolgsneutral verbucht worden sei. Hätte der Gesetzgeber bei der Neuregelung der Rechnungslegung (insbesondere Art. 959a Abs. 2 Ziff. 3 lit. 3d OR) eine fundamentale Änderung im Steuerrecht gewollt, so hätte er sich hierzu äussern müssen. Zentrales Anliegen des Gesetzgebers war aber, dass die Neuregelung der Rechnungslegung steuerneutral zu erfolgen habe. Hätte das neue Rechnungslegungsrecht das Steuerrecht, insbesondere das Einkommens-, Gewinn- und Verrechnungssteuerrecht revolutionieren sollen, würde konsequenterweise im Zeitpunkt des Erwerbs von eigenen Aktien eine Teilliquidation vorliegen, weshalb über die Reserven einkommens- und verrechnungssteuerlich abzurechnen wäre.
Dieses Urteil wurde an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich (VGr) weitergezogen, welches am 11. Januar 20233 zur gegenteiligen Auffassung kam. Art. 58 Abs. 1 lit. c DBG könne nicht als Korrekturvorschrift herangezogen werden, soweit in einem Mitarbeiterbeteiligungsprogramm zurückgekaufte eigene Aktien ausgegeben werden. Vielmehr sei darin ein durch Art. 60 lit. a DBG für steuerfrei erklärter Kapitaleinlagevorgang zu sehen.
Aufgrund der fundamentalen Bedeutung dieser Rechtsfrage und dem sehr hohen Streitwert ist damit zu rechnen, dass das Kantonale Steueramt des Kantons Zürich das Urteil des VGr an das Bundesgericht (BGer) weiterziehen wird.
1 Botschaft zum Bundesbeschluss über eine besondere Besteuerung grosser Unternehmensgruppen, BBl 2022 1700, S. 3. 2 STRG 2 DB.2021.64 vom 18. Januar 2022.
9 II UNTERNEHMENSSTEUERRECHT / VERRECHNUNGSSTEUER / STEMPELABGABEN
3 VGr SB.2022.00006 vom 11. Januar 2022.
C) Neuerungen & Aktualitäten im Bereich der Verrechnungssteuer & der Stempelabgaben
1 Abgelehnte Abschaffung der Verrechnungssteuer auf Obligationenzinsen
In der Volksabstimmung vom 25. September 2022 wurde die geplante Abschaffung der Verrechnungssteuer auf Obligationenzinsen abgelehnt.
Die Verrechnungssteuer auf Obligationenzinsen steht seit längerem in der Kritik. Sie macht den Schweizer Fremdkapitalmarkt unattraktiv. Zwar sehen die meisten Doppelbesteuerungsabkommen der Schweiz für Zinsen die vollständige Entlastung von der Verrechnungssteuer vor – aufgrund des aufwendigen Rückerstattungsprozederes und dessen Dauer meiden ausländische Investoren aber inländische Obligationen, was zu einem Wettbewerbsnachteil der Schweizer Unternehmen auf dem Fremdkapitalmarkt führt. Gegen die von der Bundesversammlung am 17. Dezember 2021 beschlossene Gesetzesänderung zur Abschaffung der Verrechnungssteuer auf Obligationenzinsen hatte die sozialdemokratische Partei (SP) das Referendum ergriffen. In der Referendumsabstimmung vom 25. September 2022 wurde die Vorlage schliesslich mit einem Nein-Stimmenanteil von 52,01 % abgelehnt. In näherer Zukunft ist nicht mit einem neuen Anlauf zur Beseitigung des erwähnten Wettbewerbsnachteils zu rechnen.
2 Erweiterung des Meldeverfahrens im Konzern
Per 1. Januar 2023 wurde das Meldeverfahren im Konzernverhältnis aufgrund eines Beschlusses des Bundesrates erweitert.
Die Verordnung über die Verrechnungssteuer vom 19. Dezember 1966 wurde angepasst, so dass die erforderliche Beteiligungsquote für das Meldeverfahren von bisher 20 % auf neu 10 % sowie die Verlängerung der mit Formular 823 einzuholenden Bewilligung für das internationale Meldeverfahren von bisher drei auf neu fünf Jahre festgelegt wurde. Im internationalen Verhältnis wird das Meldeverfahren gemäss Regelung in der Verordnung über die Steuerentlastung schweizerischer Dividenden aus wesentlichen Beteiligungen ausländischer Gesellschaften vom 22. Dezember 2004 freilich wie bisher nur gewährt, wenn die Dividendenempfängerin eine Beteiligung an der Dividendenschuldnerin hält, die sie nach dem massgebenden Doppelbesteuerungs- oder dem AIA-Abkommen zur Beanspruchung einer zusätzlichen oder vollständigen Entlastung von der Verrechnungssteuer berechtigt. Die Anwendung des Meldeverfahrens im Konzern setzt
sodann weiterhin eine direkte Beteiligung voraus, weshalb bei Ausschüttungen an Schwester- oder Grossmuttergesellschaften das Meldeverfahren nicht gewährt wird. Dem Vernehmen nach prüft die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) aber zurzeit eine Ausweitung des Meldeverfahrens auch auf solche Konstellationen.
3 Abgelehnte Abschaffung der Umsatzabgabe auf inländischen Obligationen
In der Volksabstimmung vom 25. September 2022 wurde die geplante Abschaffung der Umsatzabgabe auf inländischen Obligationen abgelehnt.
Gleichzeitig mit der geplanten Abschaffung der Verrechnungssteuer auf Obligationenzinsen wollte der Bundesrat sowie die Bundesversammlung die Umsatzabgabe auf inländischen Obligationen abschaffen, um diese im Vergleich zu von Ausländern emittierten Obligationenanleihen wettbewerbsfähig zu machen.
Da diese Änderung mit der Gesetzesänderung zur Abschaffung der Verrechnungssteuer auf Obligationenzinsen zusammenhing, wurde auch diese vom Stimmvolk am 25. September 2022 an der Urne abgelehnt.
D) Entscheide
1 Beteiligungsabzug bei der Veräusserung eines Teilpaketes von weniger als zehn Prozent Aktien
Die Veräusserung eines Teilpakets von unter 10% einer Beteiligung berechtigt nur dann zum Beteiligungsabzug, sofern in der Vergangenheit mindestens einmal eine Paket derselben Beteiligung von über 10% verkauft wurde.
Dem Urteil des BGer vom 17. Dezember 20214 lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die A. AG hat ihren statutarischen und steuerrechtlichen Sitz im Kanton St. Gallen. Ihr statutarischer Zweck besteht in der Verwaltung von Vermögenswerten und der Durchführung von Finanzgeschäften aller Art. In diesem Zusammenhang hielt sie seit mehreren Jahren eine Beteiligung an der börsenkotierten B. AG, deren Sitz sich ebenfalls im Kanton St. Gallen befindet. Zu Beginn der relevanten Steuerperiode 2014 hielt die A. AG 10,86 % an der B. AG.
Am 30. April 2014 veräusserte die A. AG aus ihrem Aktienbestand ein Teilpaket von 3,14 % an der B. AG an einen unabhängigen Dritten.
10 STEUER UPDATE 2023
4 BGE 148 II 243.
Die A. AG erzielte durch diese Veräusserung einen Buchgewinn von CHF 49 510 800, welchen die A. AG in der Steuererklärung 2014 dem Beteiligungsabzug unterstellte.
Die Veranlagungsbehörde kam zum Schluss, dass der Buchgewinn von CHF 49 510 800 nicht dem Beteiligungsabzug unterstehe, «da eine Beteiligungstranche von weniger als zehn Prozent veräussert wurde». Dabei bezog sich die Veranlagungsbehörde auf ein früheres Urteil5 sowie auf das Kreisschreiben Nr. 27 vom 17. Dezember 2009 der ESTV. Das BGer kam im damaligen Urteil zum Schluss, dass der Tatbestand des Beteiligungsabzuges in der heute geltenden Fassung kumulativ eine Mindesthaltedauer von einem Jahr, eine Mindestbeteiligungsquote von zehn Prozent und eine Mindestveräusserungsquote von zehn Prozent voraussetze. Im streitbetroffenen Fall fehlte es somit am Erfordernis der Mindestveräusserungsquote.
Die A. AG nutzte die Möglichkeit der Sprungbeschwerde an die Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen, welche die Beschwerde abwies. Auch das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen wies die Beschwerde der A. AG ab.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gelangte die A. AG an das BGer. Das BGer hatte zu prüfen, ob die Veräusserung eines Teilpaketes von weniger als zehn Prozent an einer Zielgesellschaft zur Vornahme des Beteiligungsabzugs berechtigt, wenn von dieser Beteiligung zuvor noch nie ein Paket von mindestens zehn Prozent veräussert worden ist.
Mit Bezug auf frühere Fassungen des DBG sowie auf die dazugehörigen Botschaften kam das BGer zum Schluss, dass der Beteiligungsabzug bei einer Veräusserung eines Teilpaketes von weniger als zehn Prozent nur geltend gemacht werden kann, wenn zuvor mindestens einmal ein Teilpaket von mindestens zehn Prozent veräussert wurde. Die Beschwerde der A. AG wurde demnach abgewiesen.
2 Zeitpunkt der Entstehung der Verrechnungssteuerforderung bei geldwerter Leistung
Die Verrechnungssteuerforderung verjährt grundsätzlich fünf Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem sie entstanden ist. Wird kein Beschluss über die Verwendung des Gewinnes gefasst oder die Jahresrechnung nicht bis zum 30. Juni des dem Geschäftsjahr folgenden Jahr erstellt, wird die Verrechnungssteuer grundsätzlich per 30. Juli des dem Geschäftsjahr folgenden Jahr fällig.
Dem BGE vom 10. Juni 20226 lag der nachfolgende Sachverhalt zugrunde:
Die A. GmbH, welche im Bereich der Vermittlung von Versicherungsverträgen, Krediten, Liegenschaften und Reisen tätig ist, erbrachte in den Steuerperioden von 2009 bis 2012 geldwerte Leistungen an ihre beiden Gesellschafter. Diese erbrachte sie, indem die Gesellschafter der A. GmbH zustehende Provisionserträge über «schwarze» Konten vereinnahmten. Die daraus geschuldeten Verrechnungssteuern deklarierte die A. GmbH nicht. Die geschuldete Verrechnungssteuer wurde ebenfalls nicht entrichtet. Sie machte sich dadurch der Hinterziehung von Verrechnungssteuern schuldig.
Die ESTV informierte die A. GmbH sowie die beiden Gesellschafter mit Schreiben vom 23. September 2014 über die Eröffnung eines Verwaltungsstrafverfahrens aufgrund der Hinterziehung von Verrechnungssteuern in den Geschäftsjahren 2007 bis 2012.
Die ESTV stellte der A. GmbH mit Einspracheentscheid vom 19. September 2019 Verrechnungssteuern von CHF 230 068.30 in Rechnung. Eine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht blieb im Wesentlichen erfolglos.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 24. August 2021 gelangte die A. GmbH an das BGer. Darin machte sie in der Hauptsache geltend, der Anspruch auf Erhebung der Verrechnungssteuer des Jahres 2009 sei verjährt.
Das BGer verneinte die Verjährung gestützt auf Art. 17 Bundesgesetz über die Verrechnungssteuer (VStG).
Die im vorliegenden Fall streitbetroffenen geldwerten Leistungen betreffen die Geschäftsjahre 2009 bis 2012, welche mit den Kalenderjahren identisch waren. Das BGer folgte der Begründung der Vorinstanz, welche feststellte, dass die A. GmbH an jenem Tag auf die Erträge verzichtete, an welchem die Gesellschafterversammlung nach Gesetz die Jahresrechnung spätestens hätte genehmigen müssen, d.h. jeweils am 30. Juni des Folgejahres7 . Die darauf gründenden Verrechnungssteuerforderungen entstanden ebenfalls an jenem Tag und wurden jeweils auf den 30. Juli des dem Geschäftsjahres nachfolgenden Jahres8 fällig . Nach Art. 17 Abs. 1 VStG verjährt die Steuerforderung fünf Jahre nach Ablauf des Steuerjahres in dem sie entstanden ist. Jede Anerkennung der Steuerforderung durch den Steuerpflichtigen oder Geldendmachung der Steuerforderung durch eine Amtshandlung unterbricht die Verjährung und diese beginnt von neuem (Art. 17 Abs. 3 VStG). Somit begann die Verjährungsfrist nach Art. 17 Abs. 3 VStG für das Geschäftsjahr 2009 am 1. Januar 2011 zu laufen und hätte am 31. Dezember 2015 geendet. Durch das am 23. September 2014 zugestellte Schreiben an die A. GmbH sowie die beiden Gesellschafter wurde die Verjährung im Einklang mit Art. 17 Abs. 3 VStG unterbrochen.
11 II UNTERNEHMENSSTEUERRECHT / VERRECHNUNGSSTEUER / STEMPELABGABEN
5 Vgl. Urteil 2C_701/2015, 2C_702/2015 vom 22. April 2016. 6 BGer 2C_638/2021 vom 10. Juni 2022.
7 Art. 805 Abs. 2 Ziff. 5 i.V.m. Art. 805 Abs. 2 OR). 8 Art. 16 Abs. 1 lit. c VStG i.V.m. Art. 12 Abs 1 VStG.
Das BGer stellte zudem fest, dass auch eine Verjährung gemäss Art. 12 Bundesgesetz über Verwaltungsstrafrecht (VStrR) nicht gegeben wäre. Das BGer erachtete den objektiven Tatbestand von Art. 61 VStG als erfüllt. Für den Tatzeitpunkt sei darauf abzustellen, wann die Gesellschaft ihre Deklarationspflicht verletzt hat bzw. ihre Jahresrechnung hätte einreichen müssen. Die A. GmbH hätte nach Art. 21 Abs. 1 lit. c Verordnung über die Verrechnungssteuer (VStV) die Jahresrechnung 2009 bis zum 31. Juli 2010 einreichen müssen. Somit ist für die Tatbegehung der geldwerten Leistungen 2009 der 31. Juli 2010 massgebend. Die siebenjährige Frist gemäss Art. 12 VStrR hätte somit am 1. August 2010 zu laufen begonnen und am 31. Juli 2017 geendet. Die erlassenen Veranlagungsverfügungen vom 2. bzw. 7. Juni 2017 ergingen demzufolge fristgerecht und seitdem ruht die Verjährung9
3 Keine Rückerstattung der Verrechnungssteuer bei stellvertretender Liquidation
Die Rückerstattung der Verrechnungssteuer sowie die Anwendung des Meldeverfahrens wird von der ESTV nicht genehmigt, falls eine im Ausland wohnhafte Person ihre Anteile an einer Schweizer Gesellschaft im Hinblick auf eine bevorstehende Liquidation zum Zwecke einer Steuerumgehung verkauft.
Dem BGE vom 13. September 202210 lag der folgende Sachverhalt zugrunde:
Eine in Liechtenstein ansässige Anstalt, welche von einer in Grossbritannien ansässigen Person mit kanadischer Staatsbürgerschaft gehalten wurde, verkaufte am 4. Dezember 2013 sämtliche Anteile an der in Genf domizilierten Kapitalgesellschaft B. AG an die ebenfalls in Genf ansässige Kapitalgesellschaft A. AG (Drittpartei) für CHF 7 293 419. Am selben Tag verkaufte die B. AG das Hauptaktivum – eine Liegenschaft – für CHF 18 200 000. An der Generalversammlung vom 23. Oktober 2015 beschloss die B. AG eine Dividendenausschüttung von CHF 9 970 000 an ihre Alleinaktionärin A. AG und beantragte für diese am 30. Oktober 2015 das Meldeverfahren.
Die ESTV verweigerte indessen das Meldeverfahren unter Berufung auf Art. 21 Abs. 2 VStG. Darauffolgend lieferte die B. AG die Verrechnungssteuer von CHF 3 489 500 an die ESTV ab. Die A. AG stellte danach den Antrag auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer, welcher von der ESTV mit Bezug auf Art. 21 Abs. 2 VStG wiederum abgelehnt wurde. Über die verschiedenen Instanzen beharrte die A. AG auf der Rückerstattung der Verrechnungssteuer und gelangte schliesslich ans BGer.
Gemäss BGer stellt sich die Frage nach der Steuerumgehung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 VStG, sobald eine im Ausland wohnhafte Person – bei welcher die Verrechnungssteuer eine definitive Steuerbelastung darstellt – ihre Beteiligungsrechte an einer Schweizer Gesellschaft im Hinblick auf eine bevorstehende Liquidation an eine in der Schweiz ansässige natürliche oder juristische Person verkauft, um so die Rückerstattung der Verrechnungssteuer geltend zu machen.
Im vorliegend Fall wurde vom BGer festgestellt, dass die B. AG unter ihrem tatsächlichen Wert verkauft wurde. Wie auch die Vorinstanz kam das BGer zum Schluss, dass der Verkaufspreis die Verrechnungssteuerersparnis berücksichtigt habe. Des Weiteren sei zu prüfen, ob das gewählte Verfahren tatsächlich zu einer erheblichen Steuerersparnis geführt hätte, wenn es von der Steuerbehörde akzeptiert worden wäre.
Die Vorinstanz stellte fest, dass die übliche Vorgehensweise darin bestanden hätte, dass die A. AG die von der B. AG gehaltene Immobilie erworben hätte und in der Folge die B. AG liquidiert worden wäre. Dies hätte gemäss dem Doppelbesteuerungsabkommen mit dem Vereinigten Königreich von Grossbritannien11 zu einer definitiven Steuerbelastung von 15 % geführt. Die vollständige Rückerstattung der Verrechnungssteuer hätte demnach zu einer erheblichen Steuerersparnis geführt.
Aufgrund dessen kam das BGer zum Schluss, dass die Rückerstattung der Verrechnungssteuer aufgrund einer Steuerumgehung nach Art. 21 Abs. 2 VStG vollständig (und nicht bloss im Umfang der Reduktion der residualen Verrechnungssteuer von 15 %) zu verweigern sei. Mithin wären die Parteien besser gestellt gewesen, wenn sie gar keine Steuerplanung betrieben hätten.
12 STEUER UPDATE 2023
9 Vgl. hierzu Art. 11 Abs. 3 VStrR. 10 BGer 2C_359/2022 vom 13. September 2022.
11 Art. 10 Abs. 2 DBA UK.
13 II UNTERNEHMENSSTEUERRECHT / VERRECHNUNGSSTEUER / STEMPELABGABEN
KAPITEL III
NATÜRLICHE PERSONEN
NORA HEUBERGER, ADVOKATIN, CAS SOZIALVERSICHERUNGSRECHT PHILIPP FLÜCKIGER, TREUHÄNDER MIT EIDG. FACHAUSWEIS HUBERT STEFFEN, TREUHÄNDER MIT EIDG. FACHAUSWEIS
STEUER UPDATE 2023 14
A) Neuerungen in der Gesetzgebung und in der Verwaltungspraxis
1 Ausgleich der Folgen der kalten Progression für das Steuerjahr 2023
Berufskostenpauschalen und Naturalbezüge 2023 / Ausgleich der Folgen der kalten Progression bei der direkten Bundessteuer für das Steuerjahr 2023
Der Ausgleich der Folgen der kalten Progression erfolgt jährlich aufgrund des Standes des Landesindexes der Konsumentenpreise (LIK) am 30. Juni vor Beginn der Steuerperiode. Bei einem negativen Teuerungsverlauf ist ein Ausgleich ausgeschlossen (Art. 39 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer, DBG). Die Folgen der kalten Progression wurden letztmals für das Steuerjahr 2012 angeglichen (massgebender Indexstand vom 30. Juni 2011: 161,9 Punkte, Basis Dezember 1982 = 100). Am 30. Juni 2022 betrug der massgebende Index 165,2 Punkte, was einer Erhöhung von 2,04 % entspricht. Das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) hat am 16. September 2022 die Verordnung über den Ausgleich der Folgen der kalten Progression für die natürlichen Personen bei den direkten Bundessteuern (Verordnung über die kalte Progression) mit den neuen Tarifen und Abzüge erlassen, welche auf den 1. Januar 2023 in Kraft trat.
15 III NATÜRLICHE PERSONEN
Abzug & Rechtsgrundlage
Besteuerung nach dem Aufwand (Art. 14 DBG), steuerfreie Grenzbeträge (Art. 24 DBG), allgemeine Abzüge (Art. 33 DBG), Sozialabzüge (Art. 35 DBG), Tarif (Art. 36 DBG)
Steuerjahr 2022 Steuerjahr 2023
Besteuerung nach dem Aufwand (Art. 14 Abs. 3 lit. a DBG)
Feuerwehrsold (Art. 24 lit. f bis DBG)
Gewinnspiele (Art. 24 lit. i bis DBG)
CHF 400 000 CHF 421 700
CHF 5000 CHF 5200
CHF 1 000 000 CHF 1 038 300
Gewinnspiele (Art. 24 lit. j DBG) CHF 1000 CHF 1000
Höchstabzüge für Versicherungsprämien und Sparkapitalzinsen (Art. 33 Abs. 1 lit. g sowie Art. 33 Abs. 1 bis DBG)
Für verheiratete Personen in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe - mit Beiträgen an die Säulen 2 und 3a - ohne Beiträge an die Säulen 2 und 3a
Für die übrigen Steuerpflichtigen - mit Beiträgen an die Säulen 2 und 3a - ohne Beiträge an die Säulen 2 und 3a
Für die übrigen Steuerpflichtigen - mit Beiträgen an die Säulen 2 und 3a - ohne Beiträge an die Säulen 2 und 3a
CHF 3500 CHF
und Zuwendungen an politische Parteien
33 Abs. 1 lit. i DBG)
Kosten für die berufsorientierte Aus- & Weiterbildung (Art. 33 Abs. 1 lit. j
Zweiverdienerabzug (Art. 33 Abs. 2 DBG) Min. CHF 8100 Max. CHF 13 400 Min. CHF 8300 Max. CHF 13 600
Kinderdrittbetreuungsabzug (Art. 33 Abs. 3 DBG)
Einsatzkosten Geldspiele (Art. 33 Abs. 4 DBG)
Einsatzkosten Online-Geldspiele (Art. 33 Abs. 4 DBG)
Kinderabzug (Art. 35 Abs. 1 lit. a DBG)
Unterstützungsabzug (Art. 35 Abs. 1 lit. b DBG)
Verheiratetenabzug (Art. 35 Abs. 1 lit. c DBG)
Abzug vom Steuerbetrag pro Kind (Art. 36 Abs. 2 bis DBG)
Max. CHF 10 100 Max. CHF 25 000
Max. CHF 5000 Max. CHF 5200
Max. CHF 25 000 Max. CHF 26 000
CHF 6500 CHF 6600
CHF 6500 CHF 6600
CHF 2600 CHF 2700
CHF 251 CHF 255
16 STEUER UPDATE 2023
5250 CHF 3600 CHF 5400
CHF 1700 CHF 2550 CHF 1800 CHF 2700
CHF 1700 CHF 2550 CHF 1800 CHF 2700 Für
CHF 700 CHF 700 Für jede
CHF 700 CHF 700
CHF 10 100 CHF 10 300
DBG) CHF 12 000 CHF 12 700
jedes Kind
unterstützungsbedürftige Person
Mitgliederbeiträge
(Art.
B) Entscheide
1 Kapitalbezug von Vorsorgeleistungen zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit
Damit der Kapitalbezug, welcher zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit dient, auch steuerlich privilegiert behandelt wird, genügt es nicht bloss für Dritte und die Öffentlichkeit erkennbare Indizien zu erfüllen, sondern es muss auch effektiv ein Umsatz erzielt werden und es müssen Bemühungen zur Umsatzgenerierung vorhanden sein.
Im vorliegenden Fall, den das Bundesgericht (BGer) mit Urteil vom 11. März 20221 entschieden hat, ging es um eine verheiratete Frau, welche im 2015 die Ausbildung zur Versicherungsvermittlerin (VBV) abgeschlossen und sich im 2016 bei der Ausgleichskasse als selbständig Erwerbstätige in der Versicherungsbranche angemeldet hat, nachdem sie sich bereits im 2014 im Handelsregister hatte eintragen lassen, weil absehbar war, dass sie im Jahr 2015 mit einem Kunden ihren (einzigen) Umsatz von CHF 6625 erzielen würde. Im 2016 hat sie sich zusätzlich bei der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA) als VBV registrieren lassen. Um ihre Tätigkeit finanzieren zu können, bezog sie am 14. Juni 2016 ihr gesamtes Freizügigkeitskonto über CHF 115 866.55 sowie am 20. Juni 2016 ihr Säule 3a-Konto mit CHF 24 504. Seit 2015 mietete sie für mindestens zwei Jahre ein Geschäftslokal; trotzdem blieb ein Umsatz im 2016 wie auch im 2017 aus. Weiter haben in der Gewinn- und Verlustrechnung Posten für Kundenakquisition wie Telefon, Reisekosten, Werbung usw. vollständig gefehlt. Im Jahr der Vorsorgebezüge (2016) wurde in der Steuererklärung ein Verlust von CHF 12 172 ausgewiesen. Die Selbständigkeit wurde gemäss Ausgleichskasse dann per 30. September 2017 beendet. Korrekt bezogene Vorsorgegelder werden im Bezugsjahr separat vom Einkommen privilegiert besteuert. Zu Unrecht bezogene Vorsorgegelder müssen jedoch zurückbezahlt werden. Andernfalls werden diese mit dem übrigen Einkommen ordentlich besteuert. Bei der Prüfung, ob eine selbständige Erwerbstätigkeit vorliegt bzw. aufgenommen wurde, sind die Steuerbehörden nicht an die Schlussfolgerungen der Vorsorgeeinrichtungen gebunden, da diese in Steuerangelegenheiten keine Entscheidungsbefugnis haben.2 Die kantonale Steuerverwaltung des Kantons Wallis informierte die Steuerpflichtigen am 12. November 2018, dass der Bezug der Vorsorgegelder der Ehefrau missbräuchlich sei und somit der Vorsorgeeinrichtung zurückbezahlt werden müsse. Die Rückzahlung blieb aus, weshalb am 6. Dezember 2018
die definitive Veranlagung mit der vollen Aufrechnung vorgenommen wurde. An dieser wurde trotz Einsprache der Steuerpflichtigen festgehalten.
Die Steuerrekurskommission des Kantons Wallis hat mit Urteil vom 27. Mai 2021 die Beschwerde des Ehepaares teilweise gutgeheissen und die Selbständigkeit der Ehefrau anerkannt. Jedoch wurde ein Betrag von CHF 35 059 als Aufrechnung belassen, da dieser für den Erwerb eines Anteils an einer Liegenschaft verwendet worden war. Im Urteil wurde darauf hingewiesen, dass die Frau aufgrund der Krankheit ihres Sohnes nur 40 % arbeiten konnte und somit eine sofortige Rentabilität nicht verlangt werden könne, dies vor allem weil bekannt sei, dass der Aufbau eines Portfolios und einer Kundschaft im Versicherungsbereich eine längere Zeit benötigt. Die kantonale Steuerverwaltung zog den Fall ans BGer weiter.
Dieser Entscheid zeigt auf, dass anfänglich offensichtliche Indizien nicht immer für den Nachweis einer selbständigen Erwerbstätigkeit ausreichen. Gemäss dem BGer entspricht es dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der Lebenserfahrung, dass beim Aufbau einer selbständigen Erwerbstätigkeit der Aufwand den Ertrag übersteige. Es sei hingegen ungewöhnlich, dass in der Aufbauphase gar kein Umsatz erzielt werde. Dieser fehlende Umsatz spreche keineswegs für die Steuerpflichtige, umso weniger, als es erwiesen sei, dass sie keine Ausgaben für Werbemassnahmen oder für die Ansprache potenzieller Kunden verbucht hat, die ihr Geschäfte hätten einbringen können. Des Weiteren geht man davon aus, dass die Ehefrau wusste, wie wichtig Akquisitionen im Versicherungsgeschäft sind, da ihr Ehemann selber Versicherungsberater ist. Dass ausserdem ein Teil des Vorsorgegeldes in eine Liegenschaft anstatt in das Geschäft geflossen ist, sei ein weiteres Indiz dafür, dass, bei Berücksichtigung aller Umstände, keine selbständige Erwerbstätigkeit aufgenommen worden sei. Das BGer kommt desshalb zum Schluss, dass die Aufrechnung als Einkommen und die ordentliche Besteuerung zu Recht erfolgt ist.
2 Besteuerung der Entschädigung für eine missbräuchliche Kündigung
Die Entschädigung bei einer missbräuchlichen Kündigung wird als Genugtuung angesehen und ist somit steuerfrei.
Das BGer hatte in seinem Entscheid vom 31. Oktober 20223 zu beurteilen, ob eine vereinbarte Entschädigung im Zusammenhang mit einer missbräuchlichen Kündigung als Genugtuungssumme angesehen werden kann und somit steuerfrei ist.
Dem Entscheid lag der folgende Sachverhalt zugrunde: Nach 16-Jahren Dienstzeit wurde einer Angestellten am 27. Januar 2016 auf den 30. April 2016 gekündigt.
17 III NATÜRLICHE PERSONEN
1 BGer 2C_655/2021 vom 11. März 2022. 2 Vgl. Urteile BGer 2C_204/2016 vom 9. Dezember 2016; 2C_248/2015 vom 2. Oktober 2015; 2C_156/2010 vom 7. Juni 2011.
3 BGer 2C_546/2021 vom 31. Oktober 2022.
Da sie ab diesem Datum aufgrund depressiven Störungen in psychiatrischer Behandlung war, wurde das Ende des Arbeitsvertrags auf den 31. März 2017 verschoben.
Am 20. Juni 2017 reichte die Angestellte eine Klage gegen den ehemaligen Arbeitgeber ein, da sie der Ansicht war, dass die Gründe für ihre Entlassung missbräuchlich waren und beantragte eine Entschädigungszahlung von CHF 30 000 zuzüglich Zinsen, was etwas weniger als fünf Monatslöhnen entsprach. Bei der Schlichtungsverhandlung einigten sich der Arbeitgeber und die Arbeitnehmerin auf eine Zahlung von CHF 25 000. Der Betrag wurde auch auf dem Lohnausweis der Angestellten unter der Ziffer 3 «Unregelmässige Leistungen» als «Nicht unterstelltes Abgangsgeld» deklariert.
Die Angestellte hat in der Steuererklärung 2017 den Betrag als nicht steuerbar deklariert. Die Steuerverwaltung des Kantons Waadt folgte dieser Beurteilung nicht und hat den Betrag als steuerbares Erwerbseinkommen aufgerechnet. Im Einspracheentscheid wurde festgehalten, dass aus dem Wortlaut des Vergleichs nicht hervorgehe, dass der vereinbarte Betrag eine Entschädigung für eine missbräuchliche Kündigung darstelle, weshalb er voll zu besteuern sei.
Das Kantonsgericht Waadt hiess die Beschwerde der Pflichtigen gut. Es stellte im Wesentlichen fest, dass die Zahlung als eine Entschädigung für eine missbräuchliche Kündigung nach Art. 336a Obligationenrecht (OR) qualifiziert werden könne. Da solche Entschädigungen gemäss Lehre und kantonaler Rechtsprechung unter die Kategorie der Genugtuungszahlungen nach Art. 24 lit. g DBG fallen, sei der Betrag steuerfrei zu behandeln.
Die Beschwerde der Steuerverwaltung an das BGer wurde abgewiesen. Damit stellt das BGer erstmals klar, dass Entschädigungszahlungen aufgrund einer missbräuchlichen Kündigung im Sinne von Art. 336a OR steuerfrei sind.
3 Entschädigung für Bauhöhenbeschränkung, Grundstückgewinnsteuer oder Einkommenssteuer
Das Entgelt für die Einräumung einer Pflanzen- und Bauhöhenbeschränkung stellt Einkommen aus unbeweglichem Vermögen dar.
und Bauhöhenbeschränkung als Grunddienstbarkeit eine Veräusserung im Sinne von Art. 16. Abs. 3 DBG darstellt, aus der die Pflichtige einen Kapitalgewinn erzielt hat.
Zu den veräusserungsfähigen Vorgängen gehört insbesondere die Belastung eines Grundstücks mit privatrechtlichen Dienstbarkeiten oder öffentlich-rechtlichen Eigentumsbeschränkungen, wenn diese die unbeschränkte Bewirtschaftung oder den Veräusserungswert des Grundstücks dauernd und wesentlich beeinträchtigen und dafür ein Entgelt entrichtet wird. Die Entgeltlichkeit sowie die Dauerhaftigkeit der Beeinträchtigung wurden bejaht.
Näher zu prüfen blieb die Frage, ob die eingeräumte Dienstbarkeit eine wesentliche Beeinträchtigung der unbeschränkten Bewirtschaftung oder des Veräusserungswerts des Grundstücks darstellt.
Das BGer ging mit der Vorinstanz davon aus, dass die Pflanzen- und Bauhöhenbeschränkung keine wesentliche Beeinträchtigung darstelle. Die Pflichtige habe keine wesentlichen oder sogar die hauptsächlichen Eigentümerbefugnisse preisgegeben und die Entschädigung für die Einräumung der Grunddienstbarkeit von CHF 1 Million mache nicht einmal 2 % des Verkehrswertes des Grundstücks (CHF 52 511 000) aus.
Ist eine Beeinträchtigung durch eine Dienstbarkeit nicht wesentlich, kann die Belastung daher nicht einer Veräusserung gleichgestellt werden, weshalb auch ein (steuerfreier) Kapitalgewinn ausgeschlossen ist.
Im Urteil vom 19. Mai 2022 setzte sich das BGer4 mit der Frage auseinander, ob und wie die Entschädigung von CHF 1 Million für die vereinbarte Grunddienstbarkeit zu besteuern sei.
Zunächst war zu klären, ob die Errichtung der Pflanzen-
4 BGer 2C_730/2021 vom 19. Mai 2022.
Damit stand in Einklang, dass Art. 21 Abs. 1 DBG verschiedene Einkünfte, die mit rechtlichen (z. B. Baurecht, Nutzniessung) oder tatsächlichen (z. B. Ausbeutung von Kies, Sand und anderen Bestandteilen des Bodens) Verschlechterungen des Grundstücks zusammenhängen, als Erträge aus unbeweglichem Vermögen der Einkommenssteuer unterwirft, ungeachtet dessen, dass sich diese Verschlechterungen in der Regel ebenfalls negativ auf den Wert des Grundstücks auswirken, den der Eigentümer bei einer späteren Veräusserung erzielen kann. Aufgrund des Minderwerts aus einer entschädigten Verschlechterung wird nämlich dereinst der Veräusserungserlös und damit die Bemessungsgrundlage für die Grundstückgewinnsteuer nach Art. 12 Abs. 1 Steuerharmonisierungsgesetz (StHG) tiefer ausfallen. Bliebe das für die Verschlechterung empfangene Entgelt einkommenssteuerfrei, hätte dies eine doppelte Nichtberücksichtigung von Steuersubstrat bei der Einkommens- und der Grundstückgewinnsteuer zur Folge. Dies widerspräche gemäss BGer ebenso der Steuersystematik wie die doppelte Belastung desselben Vermögenszugangs bei derselben Person mit der (allgemeinen) Einkommens- und der Grundstückgewinnsteuer als Spezialeinkommenssteuer.
Ist der Anwendungsbereich von Art. 12 StHG (wie in casu) nicht erfüllt, greift nach Auffassung des BGer die Generalklausel von Art. 16 Abs. 1 DBG.
18 STEUER UPDATE 2023
Das BGer begründet diese Position unter anderem damit, dass ansonsten eine Besteuerungslücke entstehen würde. Gemäss bisheriger Praxis konnte der Minderwert in gewissen Kantonen bei der nächsten Handänderung von den Anlagekosten abgezogen werden. Indem das BGer die Minderwertentschädigung nun mit der Einkommenssteuer erfasst, ist eine solche Berücksichtigung bei den Anlagekosten künftig nicht mehr möglich.
4 Private Vermögensverwaltung oder selbständige Erwerbstätigkeit
Gewinnstrebiges Verhalten als Prämisse für eine selbständige Erwerbstätigkeit
Das BGer hatte in seinem Entscheid vom 17. Februar 20225 zu beurteilen, ob der Beschwerdeführer in der Steuerperiode 2014 einer selbständigen Erwerbstätigkeit als Liegenschaftshändler nachgegangen ist und er folglich die in diesem Zusammenhang geltend gemachten Aufwendungen und Verluste zum Abzug bringen durfte. Die beiden vorangehenden Instanzen sind zum Schluss gekommen, dass der Beschwerdeführer seine selbständige Erwerbstätigkeit im Jahr 2014 bereits aufgegeben hatte.
Das BGer hielt in seinen Ausführungen fest, dass bei einer selbständigen Erwerbstätigkeit die natürliche Person in jedem Fall gewinnstrebig am Wirtschaftsverkehr teilnimmt. Dabei setzt die geforderte Gewinnstrebigkeit eine generelle Gewinngeeignetheit des Vorgehens (objektives Element) sowie eine individuelle Gewinnerzielungsabsicht der betreffenden Person (subjektives Element) voraus. Ob die für eine selbständige Tätigkeit erforderliche Gewinnstrebigkeit vorliegt, ist gemäss BGer von Fall zu Fall aufgrund einer umfassenden Würdigung der tatsächlichen Umstände vorzunehmen.
Betreffend die objektive Seite der Gewinnstrebigkeit führt das BGer aus, dass der Beschwerdeführer aus der früheren Qualifikation als selbständig Erwerbender nichts zu seinen Gunsten ableiten könne, da eine solche in einem späteren Veranlagungszeitraum durchaus anders ausfallen könne. Gemäss BGer hielten sich die Bemühungen des Beschwerdeführers zum Abschluss eines – im Ergebnis nicht zustandegekommenen – Kaufs in der von der Beschwerde betroffenen Steuerperiode insgesamt in Grenzen. Weiter habe der Beschwerdeführer für drei weitere Liegenschaften zwar Interesse bekundet, jedoch vermochte er keine Abklärungen und Aufwendungen näher zu belegen. Aufgrund dessen stützt das BGer die Ansicht der Vorinstanz, wonach eine fehlende Planmässigkeit sowie mangelnde zielgerichtete Gewinnstrebigkeit besteht.
Das BGer führt weiter aus, dass auch wenn der Beschwerdeführer eine Gewinnerzielungsabsicht hatte und somit das subjektive Element der Gewinnstrebigkeit vorliegen würde, das Vorhandensein dieser für das Bestehen einer selbständigen Erwerbstätigkeit nicht ausreicht.
Das BGer kommt deshalb zum Schluss, dass – auch wenn dies nicht die Absicht des Beschwerdeführers war – er seine selbständige Erwerbstätigkeit aufgegeben hatte.
Das BGer stützte im Ergebnis die Ansicht der Vorinstanz, welche eine selbständige Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers und damit die geltend gemachte Abzugsfähigkeit der Verluste aus Liegenschaftshandel verneinte und wies die Beschwerde als unbegründet ab.
5 Angemessenheit genehmigter Pauschalspesen nicht gerichtlich überprüfbar
Erfolgt die pauschale Spesenvergütung in Anwendung eines von der Steuerbehörde genehmigten Spesenreglements kann die Angemessenheit zwischen den erhobenen Pauschalspesen und den tatsächlich getätigten Spesen nicht überprüft werden. Dies gilt selbst dann, wenn das Spesenreglement von einer Steuerbehörde eines anderen Kantons genehmigt worden ist.
Mit Urteil vom 14. Oktober 20226 hatte das BGer unter anderem zu beurteilen, ob die Angemessenheit zwischen Pauschalspesen und den tatsächlichen Kosten überprüft werden könne, wenn gleichzeitig ein genehmigtes Pauschalspesenreglement vorliegt. Der Entscheid basierte auf folgendem Sachverhalt:
A. war wohnhaft im Kanton Waadt und bei einer im Kanton Genf ansässigen Gesellschaft angestellt. Aufgrund eines vom Kanton Genf genehmigten Spesenreglements wurde A. eine jährliche Pauschalentschädigung von CHF 18 000 für die Nutzung eines Privatfahrzeuges zu beruflichen Zwecken gewährt. Die Steuerverwaltung des Kantons Waadt besteuerte die Pauschalentschädigung von CHF 18 000 teilweise als Einkommen. Das Kantonsgericht des Kantons Waadt stellte in der dagegen erhobenen Beschwerde fest, dass die jährliche Pauschale von CHF 18 000 kein steuerbares Einkommen darstelle. Dagegen erhob die kantonale Steuerverwaltung des Kantons Waadt Beschwerde beim BGer. Als Beschwerdeführerin machte sie geltend, dass eine genehmigte Spesenregelung wie ein Steuerruling zu behandeln sei, welches die Steuerbehörde nur dann bindet, wenn der damit antizipierte Sachverhalt demjenigen entspricht, der später Gegenstand der Veranlagung ist.
19 III NATÜRLICHE PERSONEN
5 BGer 2C_431/2021, 2C_432/2021 vom 17. Februar 2022.
6 BGer
2C_804/2021 vom 14. Oktober 2022.
Das BGer hält in einem ersten Schritt fest, dass eine Rückerstattung der im Zusammenhang mit Geschäftsfahrten entstandenen Kosten kein Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit darstellt, da keine Zunahme des Nettovermögens vorliegt. Übersteigt die Kostenerstattung die tatsächlichen Aufwendungen, so ist der übersteigende Teil dagegen als steuerbares Nebeneinkommen zu betrachten. Dies ist jedoch dann nicht der Fall, wenn die pauschale Spesenvergütung in Anwendung eines von der Steuerbehörde genehmigten Spesenreglements erfolgt. Dann ist gemäss BGer die Angemessenheit zwischen den erhobenen Pauschalspesen und den tatsächlich entstandenen Kosten anzunehmen.
Die Frage der Angemessenheit zwischen den erhobenen Pauschalspesen und den tatsächlich vom Arbeitnehmer getätigten Kosten stellt sich nicht, da diese im Voraus zwischen dem Arbeitgeber und der Steuerverwaltung geregelt wurde. Bei der Veranlagung des Arbeitnehmers kann die Steuerbehörde daher nicht die Angemessenheit prüfen, sondern nur, ob die ausbezahlten Spesen dem im Spesenreglement vorgesehenen Betrag der Pauschalspesen entspricht. Dies gilt – als Anwendungsfall des Grundsatzes von Treu und Glauben – auch dann, wenn die Veranlagungsbehörde nicht diejenige ist, die das Spesenreglement genehmigt hat. Das BGer kommt deshalb zum Schluss, dass die Beschwerdeführerin bzw. der Kanton Waadt an das durch den Kanton Genf genehmigte Spesenreglement gebunden ist und dieser lediglich überprüfen darf, ob die Pauschalentschädigung mit dem Spesenreglement übereinstimmt. Abschliessend hält das BGer fest, dass die Genehmigung eines Pauschalspesenreglements ihren Nutzen verlieren würde, wenn die Veranlagungsbehörde im Nachhinein von Fall zu Fall die Angemessenheit einer pauschalen Kostenerstattung überprüfen kann, obwohl zuvor von der zuständigen Steuerbehörde bereits genehmigt wurde, dass der Arbeitnehmer nicht die Effektivität der Kosten nachweisen muss.
Damit stellt das BGer klar, dass genehmigte Spesenreglemente als rechtsverbindliche Auskunft und nicht bloss als administrative Entlastung zu sehen sind. Das Urteil des BGer ist klar gutzuheissen und sehr willkommen. Damit verstösst die teilweise leider noch immer herrschende kantonale Praxis, wonach gewisse kantonale Steuerverwaltungen ausserkantonal genehmigte Spesenreglemente nicht akzeptieren, sofern sie nicht der kantonalen Praxis entsprechen (z. B. Urteil des Steuergerichts vom Kanton Solothurn vom 28. September 2015, welches bereits im Steuerupdate 2019, S. 15 f. kritisiert wurde) nun gegen bundesgerichtliche Rechtsprechung.
20 STEUER UPDATE 2023
21 III NATÜRLICHE PERSONEN
KAPITEL IV GRUNDSTEUERN
STEUER UPDATE 2023 22
ADRIAN MANGOLD, MLAW
A) Aktuelles
1 Revision Grundstückgewinnsteuer im Kanton Basel-Stadt
Seit dem 1. Januar 2023 gelten im Kanton Basel-Stadt revidierte Bestimmungen zur Grundstückgewinnsteuer. Dabei hat es das Parlament verpasst, eine grundlegende Anpassung des Systems vorzunehmen. Mit der Revision verbleibt der Kanton Basel-Stadt schweizweit weiterhin ein Sonderfall bei den Grundstückgewinnsteuern.
Auslöser für die Revision der Bestimmungen bei der Grundstückgewinnsteuer war eine Motion1 im Grossen Rat. Ziel des Vorstosses war es, das bisherige System, in dem für vor 1977 erworbene Liegenschaften der Realwert der Liegenschaft vom 1. Januar 1977 Anwendung gefunden hat, durch einen moderneren und praktikableren Ersatzwert zu ersetzen und gleichzeitig die Steuersätze bei der Besteuerung der Grundstückgewinne anzupassen. Die nun in Kraft getretene Lösung ist ein Kompromiss, welcher zu Anpassungen beim Steuersatz und der Festlegung des Ersatzwerts geführt hat.
Bei der Ermittlung der Grundstückgewinnsteuer wird im Regelfall für die Anlagekosten der damalige Kaufpreis berücksichtigt. Liegt jedoch der Kauf der Liegenschaft bereits einige Jahrzehnte zurück und bestehen keine Angaben zum damaligen Kaufpreis, greifen die Kantone oftmals auf einen Ersatzwert zurück. Für die Bestimmung des Ersatzwerts kann ein dynamisches Modell Anwendung finden, welches vom Veräusserungszeitpunkt eine gewisse Anzahl Jahre zurückrechnet. Als Beispiel stützt der Kanton Zürich oder der Kanton Basel-Landschaft auf den Verkehrswert vor 20 Jahren ab. Im Gegenzug wird beim statischen Modell ein fixer Bewertungszeitpunkt für die Bewertung der veräusserten Liegenschaft verwendet. Der Kanton Basel-Stadt setzt für die Ermittlung des Ersatzwerts das statische Modell ein und ist somit schweizweit ein Sonderfall. Dieses Modell bleibt auch nach der erfolgten Revision bestehen.
Bisher konnten steuerpflichtige Personen bei Liegenschaften, welche vor dem 1. Januar 1977 erworben worden waren, anstatt den effektiven Anlagekosten den Realwert per 1. Januar 1977 anwenden. Die Höhe des Realwerts kann dabei auf Antrag bei der Steuerverwaltung angefragt werden und setzt sich aus der Summe des Gebäudeversicherungswerts und der Baunebenkosten mit Berücksichtigung der Altersentwertung und dem relativen Landwert zusammen. Wie in anderen Kantonen besteht für die steuerpflichtige Person die Möglichkeit einen allfällig höheren Erwerbspreis geltend zu machen, sollte ein solcher vorliegen und belegt werden können.
Da das bisherige Stichdatum bereits 45 Jahre zurückliegt, war eine Anpassung notwendig. Deshalb kommt ab dem 1. Januar 2023 neu der Realwert per 1. Januar 2002 zur Anwendung. Der gewählte Zeitpunkt hängt dabei mit der damals durch die Steuerverwaltung des Kantons BaselStadt vorgenommenen Neubewertung der Liegenschaften vom 31. Dezember 2001 zusammen.
Zusätzlich wurden Anpassungen bei der Bestimmung des im Einzelfall anwendbaren Steuersatzes vorgenommen. Dabei soll zukünftig die Grundstückgewinnsteuer im Kanton Basel-Stadt einfacher und transparenter ermittelt werden können. Bisher setzte sich der effektive Grundstückgewinnsteuersatz aus dem Steuersatz und dem Besitzdauerabzug zusammen. Neu wird nur noch ein abgestufter Steuersatz Anwendung finden, welcher den Besitzdauerabzug bereits berücksichtigt. Zusätzlich wird bei der Besitzdauer auf ganze Jahre abgestellt und nicht wie bisher auf einzelne Monate. Die Abgrenzung zwischen dauernd und ausschliesslich selbstgenutzten und nicht dauernd und ausschliesslich selbstgenutzten Liegenschaften bleibt jedoch bestehen. Bei den selbstgenutzten Liegenschaften bleibt der Steuersatz unverändert, er wird nun jedoch neu als ein einziger Steuersatz ausgewiesen, welcher die Besitzdauer bereits beinhaltet.
Bei den nicht dauernd und ausschliesslich selbstgenutzten Liegenschaften erhöht sich bei kurzer Besitzdauer der Steuersatz beträchtlich. Eine Steigerung um über 50 % gegenüber den bisherigen Steuersätzen ist bei einer Besitzdauer bis 10 Jahre festzustellen.
So betrug der effektive Steuersatz – bei einer Haltedauer von 10 Jahren – bei nicht dauernd und ausschliesslich selbstgenutzten Liegenschaften bisher 25,5 % und ab dem 1. Januar 2023 liegt dieser bei 40,5 %.
Die Revision führt ansonsten grundsätzlich zu keinen grösseren Änderungen. Es ist jedoch bedauerlich, dass sich der Kanton Basel-Stadt weiterhin auf das statische Modell stützt und damit schweizweit ein Sonderfall bleibt. Es wäre nachhaltiger gewesen, wenn der Kanton BaselStadt im Rahmen der Revision mit der Einführung des dynamischen Modells eine Anpassung an die anderen Kantone vorgenommen hätte. Die versteckte Erhöhung bei den vereinfachten Gewinnsteuersätzen ist ausserdem kritisch zu betrachten.
1 Motion Andreas Zappalà und Konsorten betr. Vereinfachung bei der Berechnung der Grundstückgewinnsteuer (Geschäft 15.5459).
23 IV GRUNDSTEUERN
B) Entscheide
1 Ein Steueraufschub ist bei der Grundstückgewinnsteuer zu gewähren, solange ein Vorsorgezweck besteht
Findet eine Übertragung von Liegenschaften zwischen Vorsorgeeinrichtungen im Austausch gegen Beteiligungsrechte statt, so ist von der Steuerverwaltung ein Steueraufschub bei der Grundstückgewinnsteuer zu gewähren. Dies gilt allerdings nur solange, wie die Liegenschaften dem gleichen Destinatärkreis dienen.
Mit Urteil vom 28. Februar 20222 hatte das Bundesgericht (BGer) zu prüfen, ob ein Steueraufschub bei der Grundstückgewinnsteuer zu gewähren ist, wenn Liegenschaften einer Pensionskasse in eine Anlagestiftung überführt werden.
Vorliegend übertrug eine Pensionskasse mit Sitz im Kanton Zürich mehrere Liegenschaften zum Verkehrswert auf eine Anlagestiftung, welche ihren Sitz ebenfalls im Kanton Zürich hat. Im Gegenzug erhielt die Pensionskasse eine Buchforderung gegenüber der Anlagestiftung. Während alle betroffenen Kantone einem Aufschub der Grundstückgewinnsteuer zugestimmt hatten, lehnte das Steueramt des Kantons Zürich einen entsprechenden Aufschub ab.
Entsprechend musste sich das BGer mit der Frage auseinandersetzen, ob sich die Vorsorgeeinrichtung auf einen Aufschub der Grundstückgewinnsteuer berufen kann. Insbesondere steht dabei Art. 80 Abs. 4 des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) im Vordergrund. Die Norm erwähnt im Zusammenhang mit Umstrukturierungen von Vorsorgeeinrichtungen den Tatbestand der «Aufteilung», welcher im Gesetz nicht genauer umschrieben wird. Entsprechend war vom BGer zu überprüfen, ob der Tatbestand der «Aufteilung» einer steuerneutralen Umstrukturierung entspricht. Hierbei legte das BGer den Begriff der «Aufteilung» so aus, dass solange keine Veräusserung stattfindet und das Vermögenssubstrat und der Vorsorgezweck beibehalten wird, von einer Umstrukturierung auszugehen sei. Die Frage einer „Mindestbeteiligung“ hat das BGer nicht diskutiert.
Hintergrund der Bestimmung in Art. 80 Abs. 4 BVG ist aus Sicht des BGer der Gedanke, dass grundsätzlich bei voller Zweckerhaltung des Vorsorgevermögens bei einer blossen Umstrukturierung ein Aufschub der Grundstückgewinnsteuer zu gewähren sei, solange das Vermögen dem bisherigen Vorsorgezweck erhalten bleibt. Sollte eine Pensionskasse jedoch Vermögenswerte an eine andere
Pensionskasse veräussern, so ist der Vorsorgezweck nicht mehr gewährleistet, da damit der Destinatärkreis ändert.
Nach Durchführung der Umstrukturierung dienen die Liegenschaften in der Anlagestiftung nicht mehr nur den Arbeitnehmenden der übertragenden Pensionskasse, sondern zusätzlich weiteren Pensionskassen, welche an der Anlagestiftung beteiligt sind. Davon profitieren alle betroffenen Arbeitnehmenden, auch solche von anderen beteiligten Pensionskassen, da durch die breitere Streuung des Vorsorgevermögens das Anlagerisiko erheblich vermindert wird und Skalierungseffekte die anfallenden Verwaltungsaufwendungen reduzieren. Aus Sicht des BGer würde es dem gesetzgeberisch gewollten Zweck zuwiderlaufen, solche Umstrukturierungen mit einer Grundstückgewinnsteuer zu belasten. Entsprechend diesen Ausführungen erachtete das BGer den Aufschub der Grundstückgewinnsteuer als gerechtfertigt und wies die Beschwerde des Steueramtes des Kantons Zürich ab.
2 Fondsleitungswechsel können zu Handänderungssteuern führen
Findet ein Wechsel bei der Leitung eines Immobilienfonds statt und werden dabei Liegenschaften auf einen neuen Eigentümer übertragen, so kann der Kanton eine Handänderungssteuer erheben. Die Wirtschaftsfreiheit wird damit nicht verletzt.
Mit Urteil vom 28. März 20223 hat sich das BGer mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Erhebung einer Handänderungssteuer bei einem Wechsel der Fondsleitung eines Immobilienfonds gegen die Wirtschaftsfreiheit verstosse.
Vorliegend hatte die A AG die Leistung eines Immobilienfonds vertraglich auf die B AG übertragen. Dabei wurde die B AG bei vier Liegenschaften im Kanton Freiburg als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. Zusätzlich wurde die B AG im Rahmen dieses Vertrages Alleinschuldnerin der Schuldbriefforderungen. Der Kanton Freiburg erhob die Handänderungssteuer auf den vier übertragenen Liegenschaften.
In erster Linie stellte das BGer fest, dass bei Investitionen in Liegenschaften die Fondsleitung des vertraglichen Anlagefonds Eigentümerin der Immobilie wird und als solche formell im Grundbuch einzutragen sei. Insofern stellte sich auch die Frage, ob für die Erhebung der Handänderungssteuer ein Gewinn aus dem Eigentümerwechsel resultieren muss. Das BGer stellte dazu fest, dass es sich bei der Handänderungssteuer um eine indirekte Steuer handle, welche unabhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erhoben werde. Entsprechend sei das Vorliegen eines Gewinnes nicht notwendig.
3 BGE 148 II 121.
24 STEUER UPDATE 2023
2 BGE 148 II 259.
Weiter musste sich das BGer mit der Frage befassen, ob die Erhebung von Handänderungssteuern bei einem Wechsel der Fondsleitung gegen die Wettbewerbsneutralität verstosse, da Investmentgesellschaften mit variablem Kapital (SICAV), die ihre Leitung wechseln, nicht der Handänderungssteuer unterliegen. Die Beschwerdeführerin sah darin eine Ungleichbehandlung.
Das BGer stellte im vorliegenden Fall keine Ungleichbehandlung fest, da sich die Argumentation der Beschwerdeführerin auf die direkten Steuern beziehe und die Handänderungssteuer als indirekte Steuer entsprechend nicht davon betroffen sei.
Zuletzt äusserte sich das BGer noch zur Höhe des angewendeten Steuersatzes, da die steuerpflichtige Person der Ansicht war, dass die Belastung durch die Handänderungssteuer den in Art. 34 Abs. 1 Kollektivanlagengesetz (KAG) vorgesehenen Wechsel der Fondsleitung verhindere oder gar verunmögliche und damit der Vorrang des Bundesrechts verletzt werde. Das BGer sah jedoch eine Handänderungssteuer von 3 % auf den Kaufpreis von Grundstücken beim Wechsel der Fondsleitung als nicht übermässig an und stellte fest, dass damit solche Wechsel von Grundstücken nicht wesentlich beeinträchtigt würden.
Aufgrund dieser Ausführungen wies das BGer die Beschwerde der steuerpflichtigen Person ab und urteilte, dass die Handänderungssteuer zu entrichten ist.
3 Herabsetzung des Eigenmietwerts bei nur teilweiser Bewohnbarkeit einer Liegenschaft
Wenn ein Wohnobjekt aufgrund von objektiven, äusseren Umständen nicht benutzt oder durch ernsthafte Bemühungen nicht vermietet oder verkauft werden kann, liegt beim Eigentümer kein Eigengebrauch vor und es ist auf die Erhebung eines Eigenmietwerts zu verzichten. Ist das Objekt nur teilweise unbewohnbar, so ist ein reduzierter Eigenmietwert zu berücksichtigen.
Das BGer hatte mit Urteil vom 20. September 20224 eine Beschwerde betr. die Bemessung des Eigenmietwerts zu beurteilen. Die Steuerpflichtige erbte eine unbewohnte Liegenschaft im Kanton Basel-Landschaft, für welche bis 2017 kein Eigenmietwert besteuert wurde. In der Steuerperiode 2018 rechnete die Steuerverwaltung des Kantons Basel-Landschaft bei der steuerpflichtigen Person einen Eigenmietwert von CHF 17 357 auf. Alle erhobenen kantonalen Rechtsmittel blieben erfolglos, weshalb sich das BGer mit der Frage befassen musste.
Grundsätzlich sind die Kantone verpflichtet, einen Eigenmietwert bei Liegenschaften im Eigengebrauch zu besteuern. Das BGer prüfte vorliegend jedoch die Frage, ob für eine
4 BGE 148 II 121.
objektiv unvermietbare Liegenschaft ein Eigenmietwert aufgerechnet werden darf. Denn es ist kein steuerbarer Eigengebrauch gegeben, wenn das Wohnobjekt aufgrund objektiver, äusserer Umstände leer steht – wie beispielsweise bei fehlender Beheizung in der Winterzeit oder wenn das Objekt trotz entsprechender Absicht und ernsthafter Bemühungen nicht vermietet oder verkauft werden kann.
Die steuerpflichtige Person legte mit Hilfe eines Berichts eines Architekten dar, dass für die Liegenschaft ein erhöhter Renovationsbedarf bestand, da eine 50 Jahre alte Küche und ein 45-jähriges Badzimmer ersetzt werden mussten. Dies führte zu Investitionen in der Höhe von ca. CHF 150 000. Dazu kamen noch Sanierungsarbeiten an den Leitungen und am Kanalisationsanschluss des Gebäudes.
Das BGer erkannte keine gänzliche objektive Unvermietbarkeit des Wohnobjekts, da selbst die steuerpflichtige Person betonte, dass es sich nicht um eine Ruine handle und bis anhin keine Bemühungen unternommen worden seien, die Liegenschaft zu vermieten. Entsprechend hätte die Liegenschaft grundsätzlich vermietet werden können, auch wenn ein grosser Renovationsbedarf bestand. Weiter führte das BGer aus, dass es unhaltbar sei, wenn die Vorinstanz es ablehne, dem Renovationsbedarf im Rahmen der Festsetzung des Eigenmietwerts Rechnung zu tragen. Es sei schliesslich unbestritten, dass die Liegenschaft einen erheblichen Renovationsbedarf aufweise und deshalb der am Markt zu erzielende Mietzins eher tiefer zu bemessen sei. Entsprechend hätte die Vorinstanz eine Reduktion des Eigenmietwerts in Betracht ziehen müssen.
Dieses Urteil ist zu begrüssen, da die Besteuerung des vollen Eigenmietwerts bei einer Liegenschaft, welche stark renovationsbedürftig ist, fragwürdig ist. Insbesondere bei einer Vermietung an Dritte könnten wohl nur tiefere Mietzinserträge generiert werden, weshalb zumindest eine Herabsetzung des Eigenmietwerts gerechtfertigt ist.
4 Kein Härtefall beim Liegenschaftsverkauf aufgrund Pflegebedürftigkeit
Bei der Beurteilung eines Härtefalls wird bei der Handänderungssteuer keine Rücksicht auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und andere subjektive Momente wie Scheidung, Alter oder Pflegebedürftigkeit genommen, da es sich um eine reine Rechtsverkehrssteuer handelt.
Das Steuergericht des Kantons Basel-Landschaft hatte mit Urteil vom 20. Mai 20225 den Fall einer steuerpflichtigen Person zu beurteilen, welche im Jahr 2021 eine Liegenschaft verkauft und eine Ersatzbeschaffung vorgenommen hatte. Aufgrund schwerer Krankheit und Verschlechterung des Gesundheitszustandes war es der steuerpflichtigen
25 IV GRUNDSTEUERN
5 StGE BLstPra 4/2022 57-62 vom 20. Mai 2022.
Person nicht möglich, die neue, ersatzbeschaffte Liegenschaft zu beziehen, obwohl dies ursprünglich geplant war. Als Folge davon erhob der Kanton Basel-Landschaft rückwirkend die Grundstückgewinn- und die Handänderungssteuer auf die verkaufte Liegenschaft, da keine Ersatzbeschaffung stattgefunden hatte. Diese wurde durch die steuerpflichtige Person ordentlich entrichtet. Ein bei der Taxations- und Erlasskommission eingereichtes Härtefallgesuch wurde abgelehnt.
Die Handänderungssteuer ist eine Rechtsverkehrssteuer, die auf der Stufe des Kantons erhoben wird und bei einem direkten oder indirekten Wechsel am Eigentum eines Grundstückes anfällt. Ein Verzicht oder Aufschub der Handänderungssteuer ist nur möglich, wenn einer der gesetzlich abschliessend geregelten Ausnahmetatbestände erfüllt ist.
In Frage stand vorliegend, ob eine nachweisbare gesundheitliche Verschlechterung ein Härtefall sei und entsprechend zu einer Befreiung von der Handänderungssteuer führen könne. Die Taxations- und Erlasskommission bzw. das Steuergericht haben die Befugnis, in Fällen besonderer Härte die Steuerleistung niedriger anzusetzen. Diese Härtefallnorm räumt den Behörden einen weiten Bemessungsspielraum ein, sie ist jedoch zurückhaltend anzuwenden und das Legalitätsprinzip muss eingehalten werden. Bei der Härtefallnorm ist zu unterscheiden, ob es sich um eine Steuer nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip handelt, wie dies bei der Einkommenssteuer der Fall ist, oder um eine Objektsteuer wie die Handänderungssteuer. Im ersten Fall ist der subjektiven Härte entscheidende Bedeutung zuzumessen, während beim zweiten Fall eine objektive Härte vorliegen muss.
Das Steuergericht des Kantons Basel-Landschaft führte weiter aus, dass eine objektive Härte erst dann vorliege, wenn ein Sonderfall anzunehmen ist, welcher durch den Gesetzgeber nicht gesetzlich festgeschrieben wurde, weil er nicht daran gedacht hatte. Grundsätzlich ist eine Steuer zu erheben, wo deren Tatbestand erfüllt ist.
Da es sich vorliegend bei der Handänderungssteuer um eine Rechtsverkehrssteuer handelt, die auf die persönlichen finanziellen Verhältnisse keine Rücksicht nimmt, sondern bei einer Handänderung eines Grundstücks anfällt, ist eine Befreiung davon eine Ausnahme, welche entsprechend im Gesetz geregelt sein muss. Da der Tatbestand einer gesundheitlichen Verschlechterung vorkommen könne und der Gesetzgeber bewusst in solchen Fällen keine Befreiung von der Handänderungssteuer vorgesehen habe, könne nicht auf die Erhebung der Handänderungssteuer verzichtet werden, da keine objektive Härte gegeben sei.
Weiter erwähnte das Steuergericht des Kantons BaselLandschaft die Tatsache, dass eine subjektive Härte ohnehin nicht gegeben gewesen sei, da die steuerpflichtige Person ein hohes Vermögen besitze und die Entrichtung der Handänderungssteuer keine übertriebene Härte darstellen würde. Im Hinblick zur Grundstückgewinnsteuer äusserte sich das Steuergericht des Kantons Basel-Landschaft nicht, da es einerseits nicht Gegenstand des Härtefallgesuches war und anderseits beim betroffenen Verkauf der Liegenschaft ohnehin ein Verlust resultiert hätte.
Das Steuergericht des Kantons Basel-Landschaft wies die Beschwerde entsprechend ab.
26 STEUER UPDATE 2023
27 IV GRUNDSTEUERN
KAPITEL V MEHRWERTSTEUER
STEUER UPDATE 2023 28
PATRIK FISCH, MLAW HSG, MACCFIN HSG, DIPL. STEUEREXPERTE
A) Gesetzesänderungen
1 Umsatz für die Mehrwertsteuerpflicht von Sport- und Kulturvereinen und gemeinnützigen Institutionen
Die Umsatzgrenze für die Mehrwertsteuerpflicht von ehrenamtlich geführten, nicht gewinnstrebigen Sportund Kulturvereinen sowie gemeinnützigen Institutionen wurde von CHF 150 000 auf CHF 250 000 angehoben. Die Gesetzesänderung ist auf den 1. Januar 2023 in Kraft gesetzt worden.
2 Anhebung der Mehrwertsteuersätze zur Zusatzfinanzierung der Alters- und Hinterlassenenversicherung
Mit der in der Volksabstimmung vom 25. September 2022 angenommenen Reform AHV 21 werden zur Zusatzfinanzierung der Alter- und Hinterlassenenversicherung (AHV) die Sätze der Mehrwertsteuer (MWST) angehoben. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 9. Dezember 2022 festgelegt, dass die Änderung des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung und die Anhebung der MWST-Sätze auf den 1. Januar 2024 in Kraft treten. Ab dem 1. Januar 2024 gelten folgende MWSTSätze: Normalsatz von 8,1 %, reduzierter Satz von 2,6 % und Sondersatz für Beherbergungsleistungen von 3,8 %.
B) Praxisänderungen und -präzisierungen
1 Trusts / Negativzinsen
Die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) hat am 17. Juni 2022 die überarbeitete MWST-Branchen-Info 14 (Finanzbereich) mit einzelnen Praxispräzisierungen betreffend Trusts publiziert. Wie bei den direkten Steuern werden bei der MWST Trusts in drei Gruppen unterteilt: Revocable Trusts, Irrevocable Discretionary Trusts und Irrevocable Fixed Interest Trusts. Mit Bezug auf den Revocable Trust ist in der MWST-Branchen-Info 14 neu geregelt, dass falls mindestens die Hälfte der Settlors ihr Domizil im Inland haben (Kopfprinzip), der Trust dem Inland zugeordnet wird. Als Folge davon gelten an den Trust erbrachte Dienstleistungen, deren Ort sich nach dem Empfängerortsprinzip bestimmt, als Inlandleistungen. Haben hingegen die Mehrheit der Settlors ihr Domizil im Ausland, handelt es sich um einen dem Ausland zuordenbaren Trust. Mit Bezug auf den Irrevocable Fixed Interest Trust und den Irrevocable Discretionary Trust ist neu geregelt, dass diese dem Inland zugeordnet werden,
wenn mindestens die Hälfte der Beneficiaries ihr Domizil im Inland haben. Liegt hingegen das Domizil der Mehrheit der Beneficiaries im Ausland, handelt es sich um einen dem Ausland zuordenbaren Trust. Sind die Beneficiaries nicht bestimmt oder bestimmbar, ist für die örtliche Zuordnung des Trusts auf das Domizil des Trustees abzustellen. Als geeignetes Beweismittel für den Nachweis der Zuordnung des Trusts dient bei Banken insbesondere das Formular T1 Sind darauf bestimmte Beneficiaries aufgeführt2 , ist für die Zuordnung des Trusts zum In- oder Ausland auf deren Wohnsitz/Sitz abzustellen.
Im Sinne einer erstmaligen Praxisfestlegung hält die MWST-Branchen-Info 14 ausserdem fest, dass Negativzinsen aus Sicht der MWST durch den Kapitalgeber als Minderung des Zinsertrags zu berücksichtigen sind, währenddem erhaltene Negativzinsen beim Kapitalnehmer eine Minderung des Zinsaufwands darstellen.
2 Privatanteile
Die ESTV hat am 17. September 2022 die vollständig überarbeitete MWST-Info 8 (Privatanteile) mit verschiedenen Praxisänderungen und -präzisierungen publiziert.
Aus Sicht der MWST stellen Leistungen ans Personal grundsätzlich steuerbare Leistungen dar. Erfolgt die Leistung gegen Entgelt, ist die MWST grundsätzlich auf dem empfangenen Entgelt abzurechnen. Bei einer unentgeltlichen Leistung ist die MWST grundsätzlich auf dem im Lohnausweis deklarierten Privatanteil abzurechnen. Auf Gehaltsnebenleistungen, die auf dem Lohnausweis nicht deklariert werden müssen, ist hingegen keine MWST abzurechnen. Die Praxisänderungen betreffen insbesondere die Privatanteile für die Privatnutzung von Geschäftsfahrzeugen. Diese stellt aus Sicht der MWST eine entgeltliche Leistung dar, deren Bemessungsgrundlage wie bisher effektiv, pauschal oder mittels Vollkostenrechnung ermittelt werden kann. Neu wird für die pauschale Ermittlung zum Satz von 0,9 %3 des Kaufpreises (exkl. MWST) pro Monat wie bei den direkten Steuern nicht mehr vorausgesetzt, dass das Fahrzeug überwiegend geschäftlich genutzt wird. Hingegen stellt die Benutzung für den Arbeitsweg alleine aus Sicht der MWST keine entgeltliche Leistung dar. Die pauschale Ermittlung kann damit neu auch angewendet werden, wenn das Geschäftsfahrzeug mehrheitlich privat verwendet wird. Trägt das Unternehmen nur die Betriebskosten des auch geschäftlich genutzten Privatfahrzeugs, kann der Privatanteil wie bisher zum Pauschalsatz von CHF 150 pro Monat abgerechnet werden. Neu kann die Abrechnung auch so erfolgen, wenn das Fahrzeug nicht überwiegend geschäftlich genutzt wird. Bei einem dem Mitarbeiter zur Verfügung gestellten
29 V MEHRWERTSTEUER
1 Gemäss Art. 41 der Vereinbarung über die Standesregeln zur Sorgfaltspflicht der Banken vom 13. Juni 2018 (VSB). 2 Unter Ziff. 4 a). 3 Ab dem 1. Januar 2022 anwendbar (bisher 0,8 %).
Zweitfahrzeug, für das keine Notwendigkeit besteht, oder einem Fahrzeug, das ausschliesslich privat genutzt wird, ist wie bis anhin zwingend auf das Mietentgelt gemäss Vollkostenrechnung abzustellen.
Bei Leistungen an den Einzelunternehmer liegen aus Sicht der MWST im Gegensatz zu Leistungen ans Personal grundsätzlich keine Leistungsverhältnisse vor. Auf Leistungen an den Einzelunternehmer muss daher keine MWST abgerechnet werden. Stattdessen ist eine Vorsteuerkorrektur vorzunehmen. Die Vorsteuerkorrektur bemisst sich grundsätzlich analog zur Berechnung der Privatanteile beim Personal. Eine pauschale Berechnung der Vorsteuerkorrektur bei Geschäftsfahrzeugen ist jedoch wie bis anhin nur zulässig, wenn eine überwiegend unternehmerische Nutzung vorliegt. Dem Einzelunternehmer nahestehende, im Unternehmen mitarbeitende Personen werden neu nur noch wie Personal behandelt, wenn sie einen Lohnausweis erhalten (sollten). Ansonsten werden ihre Leistungsbezüge – wie die Leistungsbezüge von nicht im Unternehmen mitarbeitenden nahestehenden Personen – dem Einzelunternehmer zugerechnet.
Bei Leistungsbezügen durch eng verbundene Personen, das heisst Inhabern von mindestens 20 % des Stammoder Grundkapitals eines Unternehmens oder von einer entsprechenden Beteiligung an einer Personengesellschaft, und den diesen nahestehenden Personen liegen grundsätzlich steuerbare Leistungen vor. Für die Abrechnung der MWST ist allerdings auf den Preis abzustellen, der unter unabhängigen Dritten vereinbart worden wäre. Falls eng verbundene und diesen nahestehende Personen hingegen im Unternehmen mitarbeiten und einen Lohnausweis erhalten (sollten), werden die Leistungen wie Leistungen ans Personal behandelt.
Mit Bezug auf die Saldo- bzw. Pauschalsteuersatzmethode ist präzisiert worden, dass Leistungen an eng verbundene Personen, die einen Lohnausweis erhalten (sollten), nur noch als entgeltlich gelten, wenn die Leistungen im Lohnausweis aufzuführen sind. In diesem Fall sind sie wie bisher mit dem massgeblichen Saldo- bzw. Pauschalsteuersatz abzurechnen.
Die Praxisänderungen sind soweit zu Gunsten der Steuerpflichtigen ab dem 17. September 2022 rückwirkend auf sämtliche noch nicht rechtskräftigen Steuerperioden und sofern zu Ungunsten der Steuerpflichtigen ab dem 1. Januar 2023 anwendbar.
C) Entscheide
1 Zuordnung von Leistungen an den Leistungserbringer
Aus Sicht der MWST sind Leistungen grundsätzlich derjenigen Person zuzurechnen, die gegen aussen auftritt. Etwas Anderes gilt nur, wenn die Voraussetzungen der direkten Stellvertretung erfüllt sind.4
Dem Entscheid des Bundesgerichts (BGer) vom 11. Mai 2022 liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Eine mehrwertsteuerpflichtige Aktiengesellschaft (AG) betreibt eine Apotheke in einem Gebäude, in dem sie auch Therapieräume an verschiedene Therapeuten vermietet hat. Die von den Therapeuten angebotenen Therapieleistungen wurden von der AG im Internet beworben und konnten von Kunden über die AG gebucht werden. Nach einer Mehrwertsteuerkontrolle setzte die ESTV in der Einschätzungsmitteilung eine Steuerkorrektur zu ihren Gunsten von CHF 53 507 fest mit der Begründung, dass die von den Therapeuten erzielten Umsätze der AG zuzurechnen seien. Strittig im Verfahren vor BGer war die Frage, ob diese Zurechnung korrekt sei.
Das BGer hält in seinen Erwägungen fest, es gelte der Grundsatz, dass eine Leistung von derjenigen Person erbracht werde, die nach aussen als leistungserbringende Person auftrete.
Eine Zuordnung an eine andere Person komme nur infrage, wenn die unmittelbar nach aussen handelnde Person im Namen und für Rechnung einer anderen Person handele.
In diesem Fall werde die Leistung der vertretenen Person zugeordnet, sofern die Vertreterin nachweisen könne, dass sie als Stellvertreterin handelt, sie die vertretene Person eindeutig identifizieren könne und das Bestehen eines Stellvertretungsverhältnisses ausdrücklich den Kunden bekannt gegeben werde oder sich dieses aus den Umständen ergebe (sog. direkte Stellvertretung).
Sind diese Voraussetzungen für eine direkte Stellvertretung nicht erfüllt, ist die Leistung der Vertreterin zuzuordnen (sog. indirekte Stellvertretung).
Im konkreten Fall gelangte das BGer zum Schluss, dass bei objektiver Betrachtung der gesamten Umstände die Feststellung der Vorinstanz nicht offensichtlich unrichtig ist, dass die AG als Betreiberin des Therapiezentrums und nicht die Therapeuten nach aussen aufgetreten ist und dass die Therapieleistungen der AG daher zuzurechnen sind.
30 STEUER UPDATE 2023
4 BGer
2C_727/2021 vom 11. Mai 2022.
2 Zuordnung von Leistungen an den Leistungsempfänger
Zur Bestimmung des Leistungsempfängers ist die Rechnung bzw. der Rechnungsadressat ein wichtiges Indiz. Bei der Bezugsteuer gilt dies mit besonderer Bedeutung.5
Im Entscheid des BGer geht es um eine Gesellschaft im Fürstentum Liechtenstein, deren einziger Zweck die Durchsetzung einer Forderung gegenüber der Tschechischen Republik ist und die dafür Beratungsdienstleistungen von ausländischen Kanzleien in Anspruch genommen hat. Im Rahmen einer Mehrwertsteuerkontrolle hat die Liechtensteinische Steuerverwaltung festgestellt, dass die Gesellschaft aufgrund der Dienstleistungsbezüge mehrwertsteuerpflichtig ist und Bezugsteuer von insgesamt CHF 221 972 schuldet. Strittig im Verfahren vor BGer war die Frage, ob die Gesellschaft Leistungsempfängerin der Bezugsteuer unterliegenden Beratungsleistungen ist. Die Gesellschaft behauptet, sie sei nicht Empfängerin der Leistungen, zumal sie besagte Forderung veräussert und zediert habe und nur stellvertretend durchsetze. Das BGer führt in seinen Erwägungen aus, dass sich die subjektive Zuordnung von Erträgen und Aufwänden grundsätzlich aus dem Zivilrecht herleite. Rechtsverhältnisse und Rechtsgeschäfte seien jedenfalls vorbehältlich des Gegenbeweises derjenigen Person zuzuordnen, auf deren Namen sie lauten. Bei der MWST gelte sodann, dass eine Rechnung, falls sie den mehrwertsteuerlichen Anforderungen entspricht, ein wichtiges Indiz dafür darstellt, dass die fakturierende Person auch tatsächlich die leistungserbringende Person ist und die in der Rechnung ausgewiesene Leistung erbracht hat. Spiegelbildlich hat der Rechnungsadressat grundsätzlich als leistungsempfangende Person zu gelten. Angesichts dessen, dass die Fakturierung vorliegend durchwegs an die Gesellschaft erfolgte, sei diese grundsätzlich als Empfängerin zu betrachten.
Im Bereich der Bezugsteuer komme dem formellen Aspekt („wer ist Rechnungsadressat?“) eine herausragende Bedeutung zu. Selbst wenn auf materielle Aspekte abgestellt würde, könne sich im vorliegenden Fall nichts Anderes ergeben, zumal feststehe, dass die Gesellschaft die streitbetroffenen Rechnungen erfolgswirksam verbucht hat. Damit gebe sie zu erkennen, dass sie den Aufwand als ihren eigenen betrachte.
Ob es in der Folge zu einer Weiterbelastung an eine Drittperson gekommen sei, spiele keine Rolle. Die Gesellschaft macht sodann geltend, sie habe als Stellvertreterin gehandelt.
Eine Stellvertretung kann, so das BGer, auf Seite der leistungserbringenden wie auch der leistungsempfangenden Person vorliegen, aber nur dann, wenn die Voraussetzungen der direkten Stellvertretung gemäss Art. 20 Abs. 2 Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer (MWSTG) erfüllt sind.
Das BGer kommt zum Schluss, dass die Leistungserbringer vorliegend bei «objektiver Betrachtung» jedoch annehmen mussten, dass sie ihre Dienstleistungen zuhanden der Gesellschaft erbracht haben, weshalb keine direkte Stellvertretung vorliegt.
3 Von der Steuer ausgenommene Finanzvermittlung
Eine von der MWST ausgenommene Finanzvermittlung setzt voraus, dass kein Eigeninteresse der Leistungserbringerin am Vertragsabschluss vorliegt.6
Dem Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts (BVGer) liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die A. AG stand gestützt auf eine Kommissionsvereinbarung in einem Leistungsverhältnis mit der B. AG betr. den Verkauf von 326 050 Aktien der C. AG, die schliesslich von einer Tochtergesellschaft der A. AG, der E. AG, erworben wurden. Die ESTV kam anlässlich einer Kontrolle bei der A. AG zum Schluss, dass diese das als Vermittlungskommission bezeichnete Entgelt im Zusammenhang mit dem Verkauf der Beteiligung der B. AG an der C. AG zu Unrecht als von der Steuer ausgenommene Leistung qualifiziert hat. Strittig im Verfahren vor BVGer war die Qualifikation der gestützt auf die Kommissionsvereinbarung von der A. AG an die B. AG erbrachten Leistung.
Wie das BVGer in seinen Erwägungen festhält, sind von der MWST unter anderem bestimmte Umsätze im Bereich des Geld- und Kapitalverkehrs ausgenommen. Dazu gehören namentlich die Umsätze (Kassa- und Termingeschäfte), einschliesslich Vermittlung von Wertpapieren, Wertrechten und Derivaten sowie von Anteilen an Gesellschaften. Eine Vermittlung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 Ziff. 19 lit. a bis e MWSTG liege nach Rechtsprechung des BGer vor, wenn eine Person kausal auf den Abschluss eines Vertrags im Bereich des Geld- und Kapitalverkehrs zwischen zwei Parteien hinwirkt, ohne selber Partei des vermittelten Vertrags zu sein und ohne Eigeninteresse am Inhalt des Vertrags zu haben. Das Kriterium des fehlenden Eigeninteresses habe das BGer jüngst in einem Urteil7 zur Umsatzabgabe konkretisiert.
31 V MEHRWERTSTEUER
5 BGer 2C_680/2021
31. Mai 2022.
vom
6 BVGer A-2094/2022 vom 22. November 2022. 7 BGer 2C_638/2020 vom 25. Februar 2021.
Wie das BGer in jenem Urteil festgehalten habe, sei die Frage, ob die vermittelnde Partei ein (Eigen-)Interesse am Abschluss des Geschäfts hat, nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu analysieren. Vorliegend ergebe sich bereits daraus, dass die A. AG gestützt auf einen Dienstleistungsvertrag als Verwalterin und Promotorin der Zielgesellschaft tätig ist und sich schliesslich entschlossen hat, die Aktien der C. AG über eine neu gegründete Tochtergesellschaft selbst zu erwerben, um die von ihr als Verwalterin und Promotorin der Zielgesellschaft verfolgte Ausschüttungsstrategie fortsetzen zu können, dass sie ein Eigeninteresse am Aktienkaufvertrag hatte. Das Eigeninteresse am Inhalt des Aktienkaufvertrags zwischen der B. AG und der E. AG ergebe sich ferner aus der Kommissionsvereinbarung, wo festgehalten worden sei, dass die Beschwerdeführerin beabsichtigt, ihre Anteile an der E. AG zu einem späteren Zeitpunkt an Dritte zu veräussern.
4 Teilweise Rechtskraft von Steuerforderungen
Die vorbehaltlose Teilzahlung einer Steuerforderung gemäss Einschätzungsmitteilung hat zur Folge, dass die Steuerforderung in diesem Umfang in Rechtskraft erwächst und nicht mehr verjähren kann.8
Dem Entscheid des BGer liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Bei der A. Sàrl wurde im Jahr 2016 eine Mehrwertsteuerkontrolle betr. die Jahre 2011 bis 2015 durchgeführt. Dabei wurde festgestellt, dass die A. Sàrl gewisse Entgelte fälschlicherweise als von der Steuer ausgenommene Ausbildungsleistungen behandelt hat. Mittels Einschätzungsmitteilung vom 18. Juni 2018 hat die ESTV den Korrekturbetrag auf insgesamt CHF 70 323 beziffert. Die A. Sàrl hat daraufhin einen Teilbetrag von CHF 12 386.30, der sich auf Dienstleistungsbezüge aus dem Ausland und Privatanteile von Fahrzeugen bezog, vorbehaltlos beglichen. Unbeglichen liess sie hingegen die Steuerkorrektur betreffend die nach Auffassung der ESTV fälschlicherweise als ausgenommene Ausbildungsleistungen behandelten Entgelte.
Die Vorinstanz hatte die Beschwerde der A. Sàrl zu den Ausbildungsleistungen teilweise gutgeheissen und die Sache zur Neufestsetzung an die ESTV zurückgewiesen. Diese hat den Korrekturbetrag auf CHF 68 602 reduziert, wovon CHF 13 336 auf die Steuerperiode 2011 entfielen (Gesamtsteuer für 2011 von CHF 28 542).
Mit neuerlichem Entscheid vom 1. April 2022 hat die Vorinstanz die Beschwerde der A. Sàrl wiederum teilweise gutgeheissen und festgestellt, die Korrekturforderung im Umfang von CHF 12 336 pro 2011 sei vorbehältlich der
Teilzahlung von CHF 12 386.30, soweit diese die Korrekturforderung pro 2011 betreffe, verjährt (Eintritt der absoluten Verjährung am 31. Dezember 2021).
Dagegen erhob die ESTV Beschwerde ans BGer mit dem Begehren, die Korrekturforderung pro 2011 sei vollumfänglich verjährt und nicht im Umfang der Teilzahlung in Rechtskraft erwachsen. Sie macht geltend, dass gemäss Art. 43 MWSTG eine Steuerforderung nicht aufgrund einer Teilzahlung teilweise in Rechtskraft erwachsen könne. Gemäss Art. 43 MWSTG könne eine Steuerforderung nur in folgenden Fällen in Rechtskraft erwachsen: (a) durch in Rechtskraft erwachsene Verfügung, Einspracheentscheid oder Urteil; (b) schriftliche Anerkennung oder vorbehaltlose Bezahlung einer Einschätzungsmitteilung oder (c) den Eintritt der Festsetzungsverjährung. Nicht streitig ist, dass die ESTV die relative Verjährung des Besteuerungsrechts pro 2011 unterbrochen hat. Entgegen dem Entscheid der Vorinstanz macht die ESTV geltend, Art. 43 MWSTG schliesse aus, dass eine Forderung teilweise in Rechtskraft erwachse. Das BGer hält fest, dass die historische, teleologische und systematische Auslegung der Gesetzesbestimmung und die Doktrin dafürsprechen, dass durch Teilzahlung oder teilweise Anerkennung einer Steuerforderung gemäss Einschätzungsmitteilung diese in entsprechendem Umfang in Rechtskraft erwächst und nicht mehr verjähren kann. Die ESTV macht ferner geltend, die teilweise Rechtskraft der Steuerforderung durch vorbehaltlose Teilzahlung oder Anerkennung verkompliziere den Steuerbezug und führe zu einem doppelten Vollstreckungsverfahren. Das BGer relativiert dieses Vorbringen, da in Fällen, in denen eine vorbehaltlose Teilzahlung erfolgt ist, nur noch mit Bezug auf die restliche Forderung eine Vollstreckung überhaupt erforderlich sei. Eine vorbehaltlose (teilweise) Anerkennung der Steuerforderung sei ausserdem ein definitiver Rechtsöffnungstitel, weshalb vor dem Rechtsöffnungsrichter die Rechtmässigkeit der Forderung nicht mehr bestritten werden könne. Nur soweit die Forderung weder vorbehaltlos bezahlt noch anerkannt wurde, fehle ein definitiver Rechtsöffnungstitel, wobei für das Rechtsöffnungsverfahren die ESTV zuständig sei. Dieses Verfahren sei komplizierter, da es sich nicht auf die Zwangsvollstreckung der Forderung beschränkt.
Deshalb sei es effizienter, wenn dieses Verfahren nur für den Teil der Forderung, der weder vorbehaltlos bezahlt noch anerkannt wurde, zur Anwendung komme. Schliesslich verhindere die teilweise Rechtskraft, dass die gesamte Forderung verjähre, wenn kein definitives Urteil innert zehn Jahren ergeht.
32 STEUER UPDATE 2023
8 BGer 2C_392/2022 vom 15. November 2022.
D) Ausblick
1 Entwurf Praxisanpassung Sacheinlagen
Die ESTV hat am 7. Juni 2022 den ersten Entwurf der Praxisanpassung bzw. erstmaligen Praxisfestlegung betr. Sacheinlagen publiziert, die in die MWST-Info 04 (Steuerobjekt) einfliessen soll. Die Praxisfestlegung sieht vor, dass Sacheinlagen grundsätzlich als steuerbare Leistungen qualifizieren und zwar unabhängig davon, ob sie gegen Ausgabe von Aktien erfolgen oder nicht. Bemessungsgrundlage ist der Anrechnungswert in der Bilanz der übernehmenden Gesellschaft. Keine steuerbaren Leistungen liegen hingegen bei Bareinlagen/Barkapitalerhöhungen vor. Ob Leistungen von Gesellschaftern an die Gesellschaft, die auf Grundlage des Beteiligungsverhältnisses erfolgen, das heisst von Einlagen, steuerbar sind, wurde in der Literatur bisher kontrovers beurteilt. Das BGer hat sich zu dieser Frage noch nicht geäussert. Gemäss Art. 18 Abs. 2 lit. e MWSTG qualifizieren Einlagen in Unternehmen (generell) als Nicht-Entgelte, wenn der Einleger vom Unternehmen keine Leistung erhält.
2 Entwurf Praxisänderung eng verbundene Personen
Die ESTV hat am 28. Januar 2022 einen Entwurf der Praxisänderung bzw. erstmalige Praxisfestlegung betr. eng verbundene Personen publiziert, die in die MWSTInfo 05 (Subventionen und Spenden) und die MWST-Info 07 (Steuerbemessung und Steuersätze) einfliessen soll. Gemäss Praxisfestlegung qualifizieren als Spende neu auch freiwillige Zuwendungen an eng verbundene Personen, für die keine Gegenleistung im mehrwertsteuerlichen Sinn erwartet wird. Bei Naturalspenden an eng verbundene Personen liegt aber ein Leistungsverhältnis vor, wobei es sich aus Sicht der die Naturalspende ausrichtenden Person um eine entgeltliche Leistung handelt, die sich nach Art. 24 Abs. 2 MWSTG bemisst. Mit Bezug auf die Definition von eng verbundenen Personen wird neu festgelegt, dass eine Stiftung oder ein Verein gegenüber einer Person oder Organisation namentlich dann als eng verbunden gilt, wenn die Stiftung oder der Verein über keine eigenen Mittel und Ressourcen verfügt, welche es ermöglichen, den Zweck zu erreichen und die benötigten Mittel und Ressourcen von dieser Person oder Organisation zur Verfügung gestellt werden, von welcher die Stiftung oder der Verein wirtschaftlich und personell abhängig ist. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, sind sämtliche Leistungen zwischen der Stiftung oder dem Verein und der Person oder Organisation zu dem Wert, der unter unabhängigen Dritten vereinbart würde, in Rechnung zu stellen.
33 V MEHRWERTSTEUER
KAPITEL VI INTERNATIONALE STEUERN
NADIA TAROLLI SCHMIDT, ADVOKATIN UND DIPL. STEUEREXPERTIN ADRIAN BRINER, DIPL. WIRTSCHAFTSPRÜFER UND DIPL. STEUEREXPERTE JANNICK WALLESER, MLAW
STEUER UPDATE 2023 34
A) Internationale Abkommen
1 Covid-19 (Update; Stand 9. Februar 2023): Auswirkungen auf die Besteuerung und Sozialversicherungsunterstellung von Grenzgängern
Nach der Abflachung der Covid-19-Pandemie in Europa ist die Situation dergestalt, dass viele Grenzgänger ihren Arbeitsplatz wieder physisch aufsuchen könnten. Aufgrund vermehrter Arbeitstätigkeit im Home-Office während der Covid-19-Pandemie haben allerdings viele Arbeitnehmende die Vorzüge einer solchen Arbeitsweise kennen und schätzen gelernt. Nachfolgend werden die steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Regelungen aufgezeigt, welche es aktuell zu beachten gilt. Dabei ist es wichtig, die Bereiche Sozialversicherung und Steuern zu unterscheiden, da die Regeln je nach Nachbarstaat der Schweiz nicht kongruent ausgestaltet sind.
Die nachfolgende Tabelle gibt eine Übersicht zur aktuellen Abkommenssituation mit dem jeweiligen Staat:
Deutschland
Steuern: Sozialversicherungen:
Konsultationsvereinbarung vom 11. Juni 2020: Aufgehoben per 30. Juni 2022. Es gelten die Regelungen des Doppelbesteuerungsabkommens Schweiz / Deutschland (DBA CH / D). Arbeitstage im Home-Office gelten nicht als Nichtrückkehrtage im Sinne des DBA CH / D.
Frankreich
Neue Verständigungsvereinbarung vom 22. Dezember 2022: Nachhaltige Regelung der Grenzgängersituation (40 % Home-Office zulässig).
Italien
Verständigungsvereinbarung vom 19. Juni 2020: Aufgehoben per 31. Januar 2023. Es gelten die Regelungen des bestehenden Doppelbesteuerungsabkommens Schweiz / Italien (DBA CH / IT). Das Einkommen aus der Tätigkeit im Home-Office wird grundsätzlich im jeweiligen Wohnsitzstaat besteuert.
Liechtenstein
Verständigungsvereinbarung vom 20. Oktober 2020: Kündigung per 31. März 2022. Anwendung findet das Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz / Fürstentum Liechtenstein (DBA CH / FL). Eine Besteuerung des Erwerbseinkommens von Grenzgängern erfolgt im Ansässigkeitsstaat.
Österreich
Keine Covid-19-Sonderregelungen für Grenzgänger. Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz/Österreich (DBA CH / AT) kennt zudem keine speziellen Grenzgänger Regelungen.
Weiterführung Sonderregelung für Arbeitnehmende im Home-Office (im Verhältnis Schweiz / EU für Personen mit einer Staatsangehörigkeit der Schweiz oder EU und im Verhältnis Schweiz / EFTA für EFTA-Staatsangehörige): Bis zum 30. Juni 2023.
35 VI INTERNATIONALE STEUERN
a) Steuern: Uneinheitliche Grenzgänger Regelungen
Die Schweiz1 und Frankreich haben am 22. Dezember 2022 eine Verständigungsvereinbarung unterzeichnet, welche die Besteuerung von Einkommen aus der Tätigkeit im Home-Office temporär regeln wird. Zusätzlich ist ein Nachtrag zum ursprünglichen Abkommen von 1966 zwischen der Schweiz und Frankreich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vorgesehen, welcher eine nachhaltige Regelung der Grenzgängersituation beinhalten soll. Seit dem 1. Januar 2023 gilt bis auf Weiteres, dass Arbeitnehmende bis zu 40 % der Arbeitszeit im Home-Office verbringen können, ohne dass dies eine Änderung des bestehenden Grenzgängerstatus sowie der damit verbundenen Einkommensbesteuerungsregelungen zur Folge hätte. Anzumerken bleibt, dass im Verhältnis zu Frankreich der Grenzgängerstatus weiterhin daran geknüpft ist, dass im Jahr nicht mehr als 45 Nichtrückkehrtage2 vorliegen. Da die relevanten Schwellen für die Arbeitszeiten im Home-Office in steuerrechtlicher und sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht auseinanderfallen (eine Überschreitung der 25 %-Schwelle kann eine Sozialversicherungspflicht auslösen; siehe dazu sogleich) gilt es die Festlegung des Umfangs der Arbeitszeit im Home-Office genau zu prüfen.
Die Verständigungsvereinbarung zwischen der Schweiz und Italien vom 18./19. Juni 2020, welche die Arbeit im Home-Office infolge der Covid-19-Massnahmen behandelte, wurde nicht verlängert. Die Sonderregelungen zur Besteuerung von Einkommen aus im Home-Office verichteter Arbeit endeten somit Ende Januar 2023. Dieser Verzicht auf eine Weiterführung der Sonderregelungen hat zur Folge, dass sich nun die steuerrechtliche Behandlung von Grenzgängern, die Arbeitszeit im Home-Office verbringen, nach dem bestehenden Abkommen zwischen der Schweiz und Italien über die Doppelbesteuerung richtet. Dadurch gilt, dass das Einkommen aus Arbeit, die zu Hause verrichtet wird, grundsätzlich im jeweiligen Wohnsitzstaat besteuert wird.
Die Sonderregelungen aufgrund der Covid-19-Massnahmen zwischen der Schweiz und Deutschland liefen am 30. Juni 2022 aus und wurden ebenfalls nicht erneuert. Somit gelten für deutsch-schweizerische Verhältnisse wieder die Regelungen des Doppelbesteuerungsabkommens (DBA CH / D). In einer anschliessenden Konsultationsvereinbarung zwischen den beiden Staaten wurde bekräftigt, dass Arbeitstage im Home-Office nicht als Nichtrückkehrtage im Sinne des DBA CH / D gelten
1 Von der neuen Vereinbarung betroffen ist die 1983 zwischen Frankreich und den Schweizer Grenzkantonen Bern, Solothurn, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Waadt, Wallis, Neuenburg und Jura abgeschlossene Vereinbarung zur Besteuerung von unselbständig erwerbstätigen Grenzgängern.
2 Nichtrückkehrtage sind Tage, an denen der Arbeitnehmende aufgrund des Arbeits- verhältnisses nicht an den Wohnort zurückkehrt. Davon sind unter dem DBA CH / D für die Qualifikation als Grenzgänger eine gewisse Maximalzahl pro Kalenderjahr erlaubt.
(maximal 60 Tage pro Kalenderjahr). Dies bedeutet, dass die Arbeitszeit im Home-Office für die Qualifikation als Grenzgänger nicht schädlich ist. Zu beachten ist aber das Risiko, dass Grenzgängern bei einer zu ausgedehnten Home-Office Tätigkeit die Grenzgängereigenschaft abgesprochen werden könnte (es bedarf mindestens eines Grenzübertritts pro Woche, um dies zu verhindern).
Betreffend das Fürstentum Liechtenstein erfolgte eine Kündigung der Verständigungsvereinbarung mit Wirkung auf den 31. März 2022. Im Verhältnis zum Fürstentum Liechtenstein gilt gemäss DBA CH / FL eine Besteuerung des Erwerbseinkommens von Grenzgängern im Ansässigkeitsstaat. Kehrt der Arbeitnehmende während mehr als 45 Tagen im Jahr nicht an den Wohnsitz zurück, erlischt der Grenzgängerstatus. Folglich steht dem Tätigkeitsstaat ein Besteuerungsrecht zu für den Anteil der Tage, die der Arbeitnehmende physisch am Arbeitsort verbringt.
Bezüglich der Grenzgängersituation mit Österreich gilt es zu erwähnen, dass das DBA CH / AT keine speziellen Grenzgänger Regelungen kennt, weshalb während der Covid-19-Pandemie zwischen den Staaten auch keine Verständigungsvereinbarung getroffen wurde. Damit gilt mit Blick auf Österreich – sowie für Sachverhalte im Verhältnis zu Deutschland, dem Fürstentum Liechtenstein, Italien und Frankreich, bei welchen der Arbeitnehmende die Eigenschaft als Grenzgänger nicht erfüllt – dass betreffend die Besteuerung des Erwerbseinkommens grundsätzlich die allgemeinen Zuteilungsnormen greifen. Home-Office Tage, welche im Wohnsitzstaat des Arbeitnehmenden geleistet werden, sind im Wohnsitzstaat steuerpflichtig. Zu beachten sind Sonderregelungen u. a. für leitende Angestellte oder Verwaltungsräte.
b) Sozialversicherungen:
Lockerungen bei der Versicherungsunterstellung
Die aufgrund der Covid-19-Pandemie eingeführte Sonderregelung für Arbeitnehmende im Home-Office wurde zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) / den Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) Staaten bis zum 30. Juni 2023 verlängert. Zu beachten ist, dass die Regelungen im Verhältnis Schweiz / EU nur für Personen mit einer Staatsangehörigkeit der Schweiz oder EU und im Verhältnis Schweiz / EFTA nur für EFTAStaatsangehörige gelten. Arbeitnehmende mit Wohnsitz im EU / EFTA-Ausland, welche für einen Arbeitgeber in der Schweiz arbeiten, unterliegen damit weiterhin dem schweizerischen Sozialversicherungsrecht, auch wenn ein wesentlicher Teil der Arbeit im Wohnsitzstaat ausgeübt wird. Umgekehrt gilt dasselbe. D. h. Arbeitnehmende mit Wohnsitz in der Schweiz, die vom Home-Office aus für einen Arbeitgeber im EU / EFTA-Ausland arbeiten, bleiben dem ausländischen Sozialversicherungsrecht unterstellt. Die Bescheinigung A1 ist grundsätzlich bei solchen Sachverhalten nicht erforderlich.
36 STEUER UPDATE 2023
Zusätzlich wird in Aussicht gestellt, dass ab dem 1. Juli 2023 die Unterstellungsregeln so angepasst werden, dass sogar ein grösserer Anteil der Arbeit im Wohnsitzland als Home-Office-Arbeit ausgeführt werden darf, ohne dass die Sozialversicherungsunterstellung in den Ansässigkeitsstaat des Arbeitnehmenden wechselt. Aktuell gilt die sog. 25 % Grenzgänger-Regelung3 , welche einer 40 % Regelung weichen könnte. Die Intention der angedachten Regel ist eine Vereinfachung der Situation. Wenn allerdings ein Arbeitnehmender in seinem Wohnsitzstaat versichert sein bzw. bleiben will, so muss er mit einem ausländischen Arbeitgeber neu verhandeln, dass er mindestens 40 % im Home-Office arbeiten darf, was je nach Tätigkeit nicht immer einfach sein dürfte.
B) Wesentliche politische Entwicklungen in der Schweiz
1 Aktueller Stand zur Einführung eines Schweizer Trusts
Wer derzeit in der Schweiz einen Trust errichten möchte, muss auf ausländische Rechtsordnungen zurückgreifen. In der Schweiz wird aktuell die Errichtung eines Trusts nach Schweizer Recht geprüft. Neben der Verankerung der neuen Regelung im Schweizer Obligationenrecht ist geplant, in den Steuergesetzen explizit zu regeln, wie Trusts (ausländische Trusts sowie der neu geschaffene Schweizer Trust) steuerlich behandelt werden sollen.
Derzeit erfolgt die Besteuerung nach Massgabe der allgemeinen steuerrechtlichen Grundsätze sowie zweier Kreisschreiben als Orientierungshilfe.4 Gegenwärtig resultieren für Trusts nur dann Steuerfolgen in der Schweiz, wenn der Begründer bei der Errichtung des Trusts Wohnsitz in der Schweiz hat(te) oder der Begünstigte in der Schweiz steuerpflichtig ist. Begründer oder Begünstigte mit Wohnsitz im Ausland unterliegen nach aktuellem Recht somit keiner Besteuerung in der Schweiz. Der Bundesrat schlug im Rahmen des Vorentwurfs vor, den unwiderruflichen Trust ohne feste Ansprüche der Begünstigten (sog. irrevocable discretionary trust) neu im Grundsatze analog zur Schweizer Stiftung zu besteuern. Dies bedeutet, dass der Trust als eigenständiges Steuersubjekt behandelt und das Trustvermögen und -einkommen dem Trust zugerechnet wird. Für eine unbeschränkte Steuerpflicht des Trusts in der Schweiz wird – anders als bei der Stiftung – aber
3 Diese besagt, dass eine sogenannte «wesentliche Tätigkeit» in einem Staat sozial- versicherungsrechtliche Verpflichtungen im ebendiesem Staat auslösen kann.
Eine wesentliche Tätigkeit wird dann angenommen, wenn mehr als 25 % der Arbeitszeit im jeweiligen Staat verrichtet wird.
4 Schweizerische Steuerkonferenz (SSK) Kreisschreiben Nr. 30 vom 22. August 2007; Eidgenössische Steuerverwaltung Kreisschreiben Nr. 20 vom 27. März 2008.
nicht auf den Ort der tatsächlichen Verwaltung abgestellt, sondern primär darauf, dass mindestens ein möglicher Begünstigter in der Schweiz aufgrund persönlicher Zugehörigkeit steuerpflichtig ist. Ist Letzteres der Fall, wird der Trust als eigenes Steuersubjekt in der Schweiz unbeschränkt steuerpflichtig (Besteuerung für den Anteil des Vermögens und Einkommens, der auf in der Schweiz ansässige Begünstigte entfallen).
Im Rahmen der Vernehmlassung äusserten sich, soweit bekannt, gerade Akteure aus dem Steuerbereich (namentlich Wirtschaftskanzleien), eher ablehnend.
Dies wird vor allem damit begründet, dass die gesetzliche Verankerung der Besteuerung des irrevocable discretionary Trusts zu steuerlichen Nachteilen gegenüber ausländischen Jurisdiktionen führt, da es für eine Besteuerung des Trusts ausreichen würde, wenn mindestens ein Begünstigter Wohnsitz in der Schweiz hat, unabhängig von tatsächlichen Ausschüttungen. Dies würde dazu führen, dass ausländische Trusts in der Schweiz steuerpflichtig werden können, ohne dass die hier wohnhaften Begünstigten je eine Ausschüttung erhalten. Zudem kann bis anhin die Besteuerung von Trusteinkommen und –vermögen in der Schweiz durch die Errichtung eines (ausländischen) Trusts vor Zuzug des Begründers in die Schweiz (sog. PreImmigration Trust) vermieden werden. Bei der Umsetzung des geplanten Schweizer Trustrechts – mit gesetzlicher Verankerung der Steuerkonsequenzen – wäre dies fortan nicht mehr möglich, da durch die spätere Ansässigkeit des Begründers (oder einer begünstigten Person) in der Schweiz hierzulande eine unbeschränkte Steuerpflicht des ausländischen Trusts entstünde. Die steuerlichen Regelungen des neuen Schweizer Trustrechts sind damit nicht nur für den Schweizer Trust abträglich, sondern führen aufgrund einer möglichen Besteuerung ausländischer Trusts auch dazu, dass die Schweiz als Wirtschaftsstandort und Zuzugsstaat für ausländische vermögende Privatpersonen unattraktiv würde.
Als Nächstes wird ein Bericht des Bundesrates zu den Vernehmlassungsergebnissen sowie eine allfällige Überarbeitung des Vorentwurfes erwartet. Anschliessend kommt es zur Behandlung des Anliegens im Parlament. Vermehrt sind hingegen aus Lehre und Praxis nicht nur kritische Stimmen zum Vorentwurf des Bundesrates zu vernehmen, sondern auch konkrete Vorschläge zu einer Änderung / Erweiterung des Instituts der Familienunterhaltsstiftung gemäss Art. 335 Zivilgesetzbuch (ZGB) anstelle der Einführung eines Schweizer Trusts.5
5 Vgl. Motion 22.4445 vom 15. Dezember 2022 von Thierry Burkart (eingereicht im Ständerat) «Die Schweizer Familienstiftung stärken. Verbot der Unterhalts- stiftung aufheben» wonach der Bundesrat beauftragt werden soll dem Parlament eine Änderung von Art. 335 ZGB vorzulegen, mit dem Ziel das Verbot von Familienunterhaltsstiftungen aufzuheben https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/ suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20224445 (zuletzt abgerufen am 09. Februar 2023); Vgl. ferner Andrea Opel und Stefan Oesterhelt «Der Schweizer Trust wird scheitern, die Alternative heisst Familienstiftung» Gastkommentar in der Neuen Zürcher Zeitung vom 6. Juli 2022 https://www.nzz.ch/meinung/familien stiftung-statt-trust-ld.1690294 (zuletzt abgerufen am 09. Februar 2023).
37 VI INTERNATIONALE STEUERN
C) Wesentliche neue Entwicklungen in der OECD / EU
1 Besteuerung grenzüberschreitender Aktivitäten und globale Mindestbesteuerung –es wird ernst
Die beabsichtigte Umsetzung der Neuverteilung von Besteuerungsrechten an Marktstaaten (Pillar One) und der globalen Mindeststeuer (Pillar Two) machte im Jahr 2022 grosse Fortschritte. Während der Zeitpunkt der Einführung von Pillar One ebenso wie die Frage, ob es überhaupt zu einer Einführung kommt, noch unsicher ist, wird Pillar Two mit grosser Wahrscheinlichkeit ab dem 1. Januar 2024 in der EU, der Schweiz und anderen Staaten in Kraft treten. Ende 2022 veröffentlichte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) insbesondere sogenannte Safe Harbour Rules, welche in gewissen Fällen für Konzerne wesentliche Erleichterungen vorsehen. Daneben hat das Schweizer Parlament das vom Bundesrat vorgeschlagene Vorgehen zur Umsetzung von Pillar Two gutgeheissen.
a) Besteuerung grenzüberschreitender Aktivitäten und globale Mindestbesteuerung
137 Staaten der OECD und der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20), das sogenannte Inclusive Framework – darunter die Schweiz –, haben am 8. Oktober 2021 einer umfassenden globalen Steuerreform zugestimmt. Mit der globalen Steuerreform sollen eine weltweite Umverteilung der Gewinne multinationaler Konzerne mit einem Umsatz von über 20 Milliarden Euro (Pillar One) und eine globale Mindestbesteuerung von 15 % für multinationale Konzerne mit einem Umsatz von über 750 Millionen Euro (Pillow Two) eingeführt werden. Die Umsetzung der Reform wird die Unternehmen, aber auch die Staaten vor grosse Herausforderungen stellen.
(i) Pillar One
Pillar One wird dazu führen, dass Unternehmen auch dann in einem Staat steuerpflichtig werden, wenn sie in diesem Staat über keine physischen Einrichtungen wie Büros, Fabriken oder andere Räumlichkeiten verfügen. Sie soll somit eine «gerechte» Besteuerung von Umsätzen aus digitalen Dienstleistungen, wie z. B. Netflix oder Amazon sicherstellen. Pillar One betrifft aber nicht nur die Gewinne aus solch digitalen Umsätzen. Grosse Konzerne werden nämlich ganz generell einen von der OECD definierten Übergewinn in den Markstaaten versteuern müssen – Ausnahmen sind nur für Unternehmen in den Branchen des Rohstoffabbaus und der regulierten Finanzindustrie vorgesehen. Mindestens 25 % des Gewinnes, welcher 10 % des Umsatzes übersteigt, der Betrag A,
soll unabhängig vom Vorhandensein einer physischen Präsenz in den Staaten besteuert werden, in welchen die Umsätze erzielt werden.6 Daneben enthält Pillar One auch noch einen sogenannten Betrag B, welcher einen vereinfachten Fremdvergleichsgrundsatz vorsieht, um die lokal vom Unternehmen erbrachten Routine-Marketing und Vertriebstätigkeiten abzugelten und um die Unternehmen vom heute noch notwendigen Nachweis des Fremdvergleichs zu entlasten. Dieser Betrag B wird voraussichtlich als Prozentsatz vom im Markt erzielten Umsatz festgelegt werden (sogenannte Transactional Net Margin Method).7 Daneben wird Pillar One auch einen Streitbeilegungs- und Präventionsmechanismus für den Betrag A enthalten, so dass eine Doppelbesteuerung des gleichen Gewinns durch zwei oder mehr Staaten verhindert werden soll. Staaten, welche Pillar One einführen wollen, werden sich voraussichtlich verpflichten müssen, bereits eingeführte (Umsatz-)Steuern auf digitalen Umsätzen aufzuheben.8
Im Jahr 2022 hat die OECD mehrere öffentliche Konsultationen bei ihren Mitgliedsstaaten und anderen Stakeholdern zu den geplanten Mustervorschriften durchgeführt, mittels welchen Pillar One implementiert werden soll.
Diese öffentlichen Konsultationen betrafen die Mustervorschriften zu (i) der Bestimmung der steuerlichen Anknüpfung und geographischen Herkunft der Erträge (Nexus and Sourcing), (ii) der Ermittlung der Bemessungsgrundlage (Tax Base Determination), (iii) dem Umfang der Besteuerung (Scope), (iv) der Definition einer Ausnahme von Pillar One für Unternehmen, welche direkt im Bereich Rohstoffabbau (Bergbau, Öl- und Gas) tätig sind (Extractive Exclusion), (v) der Definition einer Ausnahme für die Finanzindustrie (Regulated Financial Services Exclusion), (vi) den Regelungen zur Verhinderung von Doppelbesteuerungen (Tax Certainty Aspects), (vii), der Bestimmung des Betrags B und (viii) einem für Mitte 2023 geplanten multilateralen Übereinkommen, mittels welchem sich die Staaten zur Einführung der Pillar One unter gemeinsamen Regeln verpflichten sollen. Ausserdem wurden 2022 im Juli und im Oktober jeweils Zwischenberichte über den aktuellen Stand zu der Bestimmung des Betrags A veröffentlicht.
6 Vgl. Fact Sheet Amount AG, Progress Report on Amount A of Pillar One vom 11. Juli 2022, Seite 3, online abgerufen am 18. Dezember 2023 unter: https://www.oecd.org/tax/beps/oecd-invites-public-input-on-the-progress-report- on-amount-a-of-pillar-one.htm.
7 Vgl. Public Consultation Document: Pillar One – Amount B vom 8. Dezember 2022, Ziff. 2, online abgeru-fen am 18. Januar 2023 unter: https://www.oecd.org/tax/ beps/oecd-invites-public-input-on-the-design-elements-of-amount-b-under-pillar- one-relating-to-the-simplification-of-transfer-pricing-rules.htm.
8 Vgl. Public Consultation Document: Pillar One – Amount A: Draft Multilateral Convention Provisions on Digital Services Taxes and other Relevant Similar Measures, Seite 1, online abgerufen am 18. Januar 2023 unter: https://www.oecd.org/ tax/beps/oecd-invites-public-input-on-the-draft-multilateral-convention-provisions- on-digital-services-taxes-and-other-relevant-similar-measures-under-amount-a-of- pillar-one.htm.
38 STEUER UPDATE 2023
Einführung von Pillar One unsicher
Die OECD hofft, dass sich genügend Staaten des Inclusive Frameworks im Rahmen einer multilateralen Übereinkunft Mitte 2023 auf die Einführung von Pillar One und die vorgenannten Mustervorschriften einigen werden, so dass Pillar One per 1. Januar 2024 in Kraft treten kann. Ob dies gelingt, lässt sich zurzeit nicht beurteilen – eventuell verschiebt sich die Einführung auf 1. Januar 2025 oder Pillar One kommt gar nicht. Klar ist, dass je länger sich die Einführung von Pillar One hinzieht, desto mehr Staaten vermehrt unilateral Steuern auf Umsätzen aus digitalen Dienstleistungen einführen. Die Staaten benötigen für die Finanzierung der Corona-Staatshilfen, Massnahmen zur Dämpfung der Inflation, sowie weiterer Ausgaben laufend höhere finanzielle Mittel. Falls die Staaten jedoch unilateral wieder eigene Steuern auf digitalen Umsätzen einführen, birgt dies für die Unternehmen die Gefahr von Doppelbesteuerungen. Zudem hat die Vergangenheit gezeigt, dass insbesondere die USA auf die Einführung solcher Steuern mit Gegenmassnahmen reagiert. Ohne eine koordinierte Einführung von Pillar One sind daher zukünftig vermehrt Handelskonflikte zu erwarten.
Beträgt der so berechnete effektive Steuersatz weniger als 15 %, so sorgt ein ausgefeiltes Regelwerk dafür, dass die Differenz zwischen dem effektiven Steuersatz und dem Mindeststeuersatz, die Ergänzungssteuer (Top-up Tax), schliesslich trotzdem erhoben wird:
• Falls der Sitzstaat dieser Unternehmen selbst eine nationale Ergänzungssteuer eingeführt hat (Qualified Domestic Minimum Top-up Tax bzw. QDMTT), hat der Sitzstaat das Recht, die Ergänzungssteuer selbst zu erheben;
• Hat der Sitzstaat keine nationale Ergänzungssteuer eingeführt, so hat der Sitzstaat der obersten Mutter- gesellschaft (Ultimate Parent Entity bzw. UPE) das Recht, eine internationale Ergänzungssteuer zu erheben, bis die Mindeststeuer bezogen auf diese Unternehmen erreicht wird (Income Inclusion Rule bzw. IIR);
• Erhebt der Sitzstaat der obersten Muttergesellschaft keine internationale Ergänzungssteuer, so haben die darunterliegenden Muttergesellschaften (Sub-Holdings) aufgrund der IIR das Recht, diese Unternehmen zu besteuern;
Pillar Two wird eine globale Mindeststeuer von 15 % einführen. Dieser Mindeststeuersatz wird auf Stufe der jeweiligen Staaten und nicht auf Stufe der einzelnen Unternehmen berechnet (jurisdictional blending).
Für die Berechnung des effektiven Steuersatzes (GloBEEffective Tax Rate) werden dabei vereinfacht die von den Konzerngesellschaften und Betriebsstätten im jeweiligen Staat bezahlten und von der OECD anerkannten Steuern (Covered Taxes) ins Verhältnis zu den von diesen Unternehmen im jeweiligen Staat erzielten Gewinnen gesetzt (GloBE-Income). Um der vorhandenen Substanz des Konzerns vor Ort Rechnung zu tragen, soll ein Teil des Gewinns, je 5 % auf dem Buchwert der Sachanlagen und auf dem Personalaufwand ausschliesslich dem Sitzstaat zugewiesen werden (Substance-based Carve Outs).
Zudem werden für die Berechnung der globalen Mindeststeuer der steuerbare Gewinn und das steuerbare Nettoeinkommen nach einem anerkannten Rechnungslegungsstandard, z. B. IFRS, US GAAP oder Swiss GAAP FER, und nicht der Gewinn nach der lokalen Gesetzgebung, wie z. B. das Schweizerische Handelsrecht, massgeblich sein.
• Ist keine IIR anwendbar, weil z. B. weder die oberste Muttergesellschaft noch die darunterliegenden Zwischengesellschaften eine IIR erheben, so kann die Differenz zu der Mindeststeuer von sämtlichen Staaten erhoben werden, in welchen sich Unternehmen des Konzerns befinden und welche die sogenannten «Under taxed Payment Rule» (UTPR) eingeführt haben. Falls mehrere Staaten die UTPR erheben, so wird diese anhand der in diesen Staaten vorhandenen Substanz
Personalaufwand und Sachanlagen – verteilt.
Daneben enthält Pillar Two auch eine sogenannte «Subject to Tax Rule» (STTR), welche in den bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen festgeschrieben werden soll. Die STTR soll gewissen wirtschaftlich schwachen Staaten erlauben, eine zusätzliche nicht rückforderbare Quellensteuer auf Lizenz-, Zins- oder ähnlichen Zahlungen zu erheben, falls diese Zahlungen im Empfängerstaat mit einem statutarischen Steuersatz von unter 9 % besteuert werden.
39 VI INTERNATIONALE STEUERN
(ii) Pillar Two
–
(iii) Entwicklungen 2022
Im Jahr 2022 nahm die Umsetzung der globalen Mindeststeuer konkrete Formen an. Noch im Dezember 2021 hat die OECD ihre Mustervorschriften zur Implementierung inkl. Berechnung der Mindeststeuer veröffentlicht (Global Anti-Base Erosion (GloBE) Rules – Pillar Two).9
Im März 2022 wurde der Kommentar zu diesen Mustervorschriften veröffentlicht, welcher auch einzelne Beispiele zur Umsetzung und Berechnung der Mindeststeuer enthielt. Im April 2022 führte die OECD eine öffentliche Konsultationsveranstaltung über das Vorgehen zur Implementierung der Mindeststeuer durch.10
Die bei dieser Veranstaltung besprochenen Punkte führten schliesslich im Dezember 2022 zur Veröffentlichung von drei wichtigen Dokumenten, welche die Umsetzung der globalen Mindestbesteuerung weiter konkretisieren: (i) Safe Harbour and Penalty Relief, (ii) Tax Certainty for the GloBE rules und (iii) GloBE Information Return.
Safe Harbour and Penalty Relief11
Die OECD schlägt vor, dass für einen Übergangszeitraum, für Geschäftsjahre, die bis zum 31. Dezember 2026 beginnen, die Pflicht zur Zahlung einer Ergänzungssteuer vereinfacht abgeklärt werden kann, ohne die umfangreichen Vorschriften von Pillar Two berücksichtigen zu müssen. Die Konzerne, welche von ihrer Grösse her unter die globale Mindeststeuer fallen, müssen bei Erfüllen bestimmter Bedingungen keine Ergänzungssteuer zahlen. Die zur Prüfung dieser Bedingungen notwendigen Daten sollen vor allem dem Country-by-Country Reporting (CbCR) entnommen werden können, welche diese Konzerne bereits heute erstellen und mit den Steuerverwaltungen austauschen müssen.12 Zur Berechnung der nachfolgenden Tests sollen diese Daten nur noch geringfügig angepasst werden. So sind z. B. Steuern, die gemäss den GloBE-Mustervorschriften nicht berücksichtigt werden dürfen, z. B. Rückstellungen für unsichere Steuerpositionen vom Steueraufwand, der im CbCR für einen Staat gemeldet wurde, abzuziehen. Latenter Steueraufwand wird jedoch berücksichtigt. Daneben
sollen die Staaten aber auch das Recht erhalten, eine Berechnung auf Basis des CbCR eines Konzerns abzulehnen, falls dieser bestimmte Mindeststandards nicht erfüllt. Ausserdem bestehen Sonderregeln, falls sich in einem Staat Unternehmenseinheiten befinden, welche unter dem CbCR oder den GloBE-Mustervorschriften nicht berücksichtigt werden (z. B. Unternehmenseinheiten, die verkauft werden sollen [held for sale]).
Während der Übergangszeit soll bei Erfüllen eines der folgenden Tests auf die Erhebung einer Ergänzungssteuer verzichtet werden (Transitional CbCR Safe Harbour):
De minimis test:
Der Umsatz im einzelnen Staat beträgt weniger als 10 Millionen Euro und der in diesem Staat erzielte Gewinn ist unter 1 Million Euro oder im Staat wird ein Verlust erzielt.
Simplified ETR test:
Der auf Basis des CbCR nach Vornahme der erwähnten Korrekturen ermittelte effektive Steueraufwand in einem Staat muss mindestens gleich hoch sein wie der von der OECD definierte Übergangssatz (2024: 15 %, 2025: 16 %, 2026: 17 %).
Routine profits test:
Der in einem Staat erzielte Gewinn vor Steuern ist gleich hoch oder kleiner als der vorerwähnte Substance-based Carve Out. Der von den Konzerneinheiten im Staat erzielte Gewinn übersteigt in diesem Fall den RoutineGewinn nicht. Wird in einem Staat insgesamt ein Verlust realisiert, so ist dieser Test ebenfalls erfüllt.
9 Tax Challanges Risisng from the Digitalisation of the Economy – Global Anti-Base Erosion Model Rules (Pillar Two) vom 20. Dezember 2022, online abgerufen am 18. Januar 2023 unter: https://www.oecd.org/tax/beps/tax-challenges-arising- from-the-digitalisation-of-the-economy-global-anti-base-erosion-model-rules-pillar- two.htm.
10 Präsentation zum Public Consultation meeting on the implementation of the framework for the global minimum tax, durchgeführt am 25. April 2022, online abgerufen am 18. Januar 2023 unter: https://www.oecd.org/tax/beps/public-consultation-meeting-implementation- framework-global-minimum-tax-25-april-2022.htm.
11 Vgl. Safe Harbour and Penalty Relief: Global Anti-Base Erosiion Rules (Pillar Two), online abgerufen am 19. Januar 2023: https://www.oecd.org/tax/beps/further- progress-on-two-pillar-solution-oecd-releases-consultation-document-on-the-with- drawal-of-digital-service-taxes-and-other-relevant-similar-measures-under-pillar- one-and-an-implementation-package-for-pillar-two.htm.
12 Beim CbCR handelt es sich um den automatischen Austausch länderbezogener Berichte multinationaler Unternehmen. Sie beinhalten die weltweite Verteilung der Umsätze, der bezahlten Steuern, weiterer Kennzahlen nach Ländern und Angaben über sämtliche Rechtsträger eines multinationalen Konzerns. Dies ermöglicht es den Steuerverwaltungen, Verrechnungspreise und Gewinnverschiebungen zu bewerten (vgl. Website der ESTV, Country-by-Country-Reporting CbCR, online abgerufen am 19.1.2023: https://www.estv.admin.ch/estv/de/home/ internationales-steuerrecht/international-cbcr.html.
Sofern das CbCR des Konzerns von der lokalen Steuerbehörde anerkannt wird, bietet der Transitional CbCR Safe Harbour eine willkommene Erleichterung von den umfangreichen Dokumentationspflichten im Zusammenhang mit der globalen Mindestbesteuerung – sofern der Konzern einen der vorgenannten Tests erfüllt. Allerdings lässt sich erst nach Abschluss eines Geschäftsjahres definitiv bestimmen, ob der Transitional CbCR Safe Harbour erfüllt wird. Wird Ende Jahr festgestellt, dass dies nicht der Fall ist oder beurteilt die lokale Steuerbehörde eines Staates das CbCR als ungenügend, so muss der Konzern trotzdem sämtliche Dokumentationspflichten der globalen Mindestbesteuerung erfüllen. Die Konzerne werden also meist nicht umhinkommen, sicherzustellen, dass die zur Erfüllung der umfangreichen Dokumentationsvorschriften notwendigen Daten erhoben werden und falls nötig Ende Jahr zur Verfügung stehen.
Neben dem Transitional CbCR Safe Harbour soll auch eine definitive Regelung (Permanent Safe Harbour) bzw. ein Simplified Calculations Safe Harbour eingeführt werden. Die dazu notwendigen Berechnungen sollen dabei nicht an die Daten aus dem CbCR knüpfen, sondern auf einer vereinfachten Bemessung des Gewinns, des Umsatzes und der Steuern beruhen.
40 STEUER UPDATE 2023
Trotzdem sollen die auf diesen vereinfachten Daten basierenden Berechnungen zum selben Ergebnis wie diejenigen unter den umfangreichen Regeln der globalen Mindestbesteuerung führen. Der Simplified Calculations Safe Harbour besteht wiederum aus den vorgenannten drei Tests, von welchen wenigstens ein Test zu erfüllen ist. Der für den Simplified ETR Test zu erfüllende effektive Steuersatz wird dem globalen Mindeststeuersatz, zurzeit bei 15 %, entsprechen.
Bislang hat die OECD aber erst allgemeine Grundsätze zur vereinfachten Bemessung bestimmt, ohne konkrete Vorschläge dazu abzugeben. Es ist abzuwarten, wie gross die Vereinfachungen letzten Endes sein werden. Ausserdem arbeitet das Inclusive Framework zurzeit an einem Qualified Domestic Minimum Top-up Tax (QDMTT) Safe Harbour, welcher es Konzernen erlauben würde, auf die Einreichung einer GloBE-Berechnung (für den jeweiligen Staat) zusätzlich zur Berechnung der nationalen Ergänzungssteuer zu verzichten.
Schliesslich sollen gemäss dem Vorschlag der OECD in der Übergangsphase Sanktionen entfallen, wenn ein Konzern «angemessene Massnahmen» unternommen hat, um eine korrekte GloBE-Steuererklärung abzugeben.
Tax Certainty for the GloBE rules13
Pillar Two, also die globale Mindestbesteuerung, soll von den Mitgliedern des Inclusive Frameworks nach gemeinsamen Regeln, den GloBE-Mustervorschriften (Model Rules), umgesetzt, also in die Steuergesetze der teilnehmenden Staaten implementiert werden. Jeder Staat implementiert diese Model Rules selbständig in seine Gesetze und Verordnungen. Die konsistente Umsetzung soll in erster Linie durch die gemeinsamen Model Rules, dem Kommentar dazu und weiteren gemeinsam vereinbarten Regeln, wie z. B. die vorgenannten Transitional CbCR Safe Harbour sichergestellt werden. Es ist jedoch bereits heute klar, dass die Model Rules in den Staaten unterschiedlich interpretiert werden und dadurch Gewinne doppelt besteuert werden könnten, z. B. wenn ein Staat eine nationale Ergänzungssteuer und der andere Staat auf dem gleichen Einkommen eine internationale Ergänzungssteuer erhebt, weil er die nationale Ergänzungssteuer des anderen Staates nicht anerkennt. Die OECD möchte daher staatenübergreifende Konfliktlösungsmechanismen einführen, die solche Kontroversen möglichst vermeiden (dispute prevention mechanisms) oder im Nachhinein lösen (dispute resolution mechanisms). Zu den dazu von ihr vorgeschlagenen Instrumenten hat sie am 20. Dezember 2022 eine öffentliche Konsultation gestartet. Wichtigstes Instrument zur Vermeidung von Konflikten soll gemäss dem Vorschlag der OECD ein multilateraler Prüfprozess werden, durch welchen die Umsetzung der
13 Public Consultation Document: Pillar Two – Tax Certainty fort he GloBE Rules, 20. Dezember 2022, online abgerufen am 20. Januar 2023 unter: https://www.oecd.org/tax/beps/oecd-invites-comments-on-compliance-and- tax-certainty-aspects-of-global-minimum-tax.htm.
GloBE-Regeln, also der IIR, QDMTT und UTPR, in den Staaten geprüft und als konform bestätigt wird (Qualified Rule Status). Bei der Lösung von Doppelbesteuerungskonflikten wird unter anderem vorgeschlagen, ein ähnliches System wie das heute von den Doppelbesteuerungsabkommen bekannte Verständigungsverfahren einzuführen, wo der Konzern bei einem Besteuerungskonflikt seinen Fall präsentieren kann und sich die betroffenen Staaten danach auf eine gemeinsame Lösung einigen müssen. Dies ändert nichts daran, dass über Jahre Unsicherheit bestehen wird.
GloBE Information Return14
Zeitgleich wurde eine öffentliche Konsultation zu einer möglichen GloBE-Steuererklärung gestartet, mittels welcher die Konzerne den nationalen Steuerbehörden die für die Erhebung der globalen Mindeststeuer notwendigen Informationen mitteilen sollen.
Diese GloBE-Steuererklärung ist auch bei Erfüllen der Transitional Safe Harbours einzureichen, um die gruppenweite Erfüllung der GloBE-Mindeststeuer nachzuweisen. Der Aufbau der GloBE-Steuererklärung besteht aus zwei allgemeinen Kapiteln (General Information und Corporate Structure) und aus zwei Kapiteln, welche sich mit den notwendigen Berechnungen befassen (ETR Computation and Top-up Tax Computation und Top-up Tax allocation and attribution). Die Steuererklärung ist systematisch aufgebaut und hilft zu verstehen, wie der effektive Steuersatz unter Pillar Two, der GloBE-ETR und die internationale Ergänzungssteuer (Top-up Tax) berechnet wird. Konzerne, welche von der globalen Mindestbesteuerung betroffen sind, können anhand der GloBE-Steuererklärung bestimmen, welche Daten sie benötigen, um die GloBEETR zu berechnen bzw. die GloBE-Dokumentationsvorschriften zu erfüllen.
(iv) Fazit
Die Umsetzung der GloBE-Mindeststeuer nahm im Jahr 2022 konkrete Formen an. Insbesondere die im Dezember 2022 veröffentlichte GloBE-Steuererklärung hilft Konzernen zu erkennen, welche Daten im Konzern auf Stufe der Geschäftseinheiten vorhanden sein müssen, um die GloBE-Effective Tax Rate des Konzerns in einem Staat berechnen zu können.
Die Transitional Safe Harbour Rules sind eine willkommene Erleichterung, allerdings nur, wenn bereits im Vorfeld mit grosser Wahrscheinlichkeit klar ist, dass der Konzern in einem Staat einen der drei Tests erfüllt. Ist dies unsicher, müssen die zur Berechnung der GloBE-ETR notwendigen Daten trotzdem bereitliegen, um gegebenenfalls eine detaillierte Berechnung der GloBE-ETR sicherzustellen.
41 VI INTERNATIONALE STEUERN
14 Public Consultation Document: Pillar Two – GloBE Information Return, 20. Dezember 2022, online abgerufen am 20. Januar 2023 unter: https://www.oecd.org/tax/beps/oecd-invites-comments-on-compliance-and- tax-certainty-aspects-of-global-minimum-tax.htm.
b) Umsetzung in der Europäischen Union und der Schweiz
(i) Europäische Union
Am 15. Dezember 2022 hat der Europarat die EU-Direktive zur Umsetzung von Pillar Two angenommen und dabei gleichzeitig den Willen bekräftigt, Pillar One umzusetzen.15 Dieser Beschluss wurde erst möglich, nachdem Ungarn der Umsetzung von Pillar Two zugestimmt hatte und damit die in der EU notwendige Einigkeit in Steuerfragen erreicht wurde. Die EU-Mitgliedsstaaten werden nun auf nationaler Ebene die für die Einführung notwendigen Gesetze erlassen, so dass die globale Mindeststeuer in der gesamten EU per 1. Januar 2024 in Kraft treten kann.
(ii) Schweiz
Auch die Schweiz war im Jahr 2022 aktiv und wird die globale Mindeststeuer voraussichtlich per 1. Januar 2024 einführen können. Nachdem der Bundesrat am 12. Januar 2022 beschlossen hatte, die Mindeststeuer mit einer Verfassungsänderung umsetzen zu wollen16, startete er am 11. März 2023 eine Vernehmlassung zum geplanten Bundesbeschluss über eine besondere Besteuerung grosser Unternehmen, mittels welchem die Verfassung geändert werden soll.17
Die Verfassungsänderung gibt dem Bundesrat insbesondere das Recht, temporär auf dem Verordnungsweg die für die Umsetzung der globalen Mindestbesteuerung notwendigen Bestimmungen zu erlassen. Diese sollen dann bis zum Inkrafttreten der vom Bundesparlament genehmigten gesetzlichen Bestimmungen gelten.
Am 23. Juni 2022 veröffentlichte der Bundesrat schliesslich seine Botschaft zum Bundesbeschluss über eine besondere Besteuerung grosser Unternehmensgruppen.18
Der Bundesrat schlägt vor, Pillar One und Pillar Two umzusetzen. Bei der Umsetzung der globalen Mindeststeuer will er sämtliche Regeln umsetzen, also auch eine nationale Ergänzungssteuer einführen (QDMTT) und so sicherstellen, dass das zusätzliche Steuersubtrat in der Schweiz bleibt und nicht in andere Staaten abfliesst. Das zusätzliche Steuersubtrat soll zu 75 % den jeweiligen Sitzkantonen dieser Gesellschaften und zu 25 % dem Bund zufliessen.
Bereits am 17. August 2022 startete der Bundesrat die
15 Internationale Besteuerung: Rat erzielt Einigung über Mindestbesteuerung der größten Unternehmen, Rat der EU, online abgerufen am 20. Januar 2023 auf: https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2022/12/12/ international-taxation-council-reaches-agreement-on-a-minimum-level-of-taxation- for-largest-corporations/.
16 Vgl. OECD Mindeststeuer: Umsetzung mit einer Verfassungsänderung, vom 13. Januar 2022, online abgerufen am 20. Januar 2022 unter: https://www.efd.admin.ch/efd/de/home/das-efd/nsb-news_list.msg-id-86783.html.
17 Vgl. Bundesrat eröffnet Vernehmlassung zur Umsetzung der OECD/G20- Mindestbesteuerung, vom 11. März 2022, online abgerufen am 20. Januar 2023 unter: https://www.efd.admin.ch/efd/de/home/das-efd/nsb-news_list.msg- id-87569.html.
18 Der Bund regelt die Umsetzung der OECD-Mindeststeuer in der Schweiz, 23. Juni 2022, online abgerufen am 20. Januar 2023 unter: https://www.efd.admin.ch/efd/de/home/das-efd/nsb-news_list.msg-id-89425.html.
Vernehmlassung zur Verordnung über die Mindestbesteuerung grosser Unternehmensgruppen (Mindestbesteuerungsverordnung, MindStV).19
Konkrete Umsetzung der globalen Mindeststeuer in der Schweiz (Mindestbesteuerungsverordnung)
Die Verordnung übernimmt die vom inclusive Framework der OECD erarbeiteten Mustervorschriften mittels eines statischen Verweises auf GloBE-Model Rules vom 14. Dezember 2021. Die Verordnung sieht weiter die Einführung sämtlicher Regeln inkl. einer Schweizerischen Ergänzungssteuer (QDMTT) vor. Materiell gesehen verweist die Verordnung einzig auf die Model-Rules vom 14. Dezember 2021 und erklärt diese direkt bzw. in Bezug auf die Schweizerische Ergänzungssteuer, welche nicht in den Model-Rules geregelt ist, als sinngemäss anwendbar. Innerhalb der Schweiz wird die IIR der obersten Muttergesellschaft in der Schweiz zugerechnet. Die Schweizerische Ergänzungssteuer wird den Geschäftseinheiten in der Schweiz im Verhältnis des Ausmasses zugerechnet, in dem sie die Unterbesteuerung verursacht haben. Die Mehreinnahmen sollen also grundsätzlich den Kantonen und Gemeinwesen zu Gute kommen, in welchen die niedrig besteuerten Geschäftseinheiten ihren Sitz haben. Nur 25 % dieser Mehreinnahmen sollen dem Bund zufliessen. Mehr als die Hälfte des erläuternden Berichts befasst sich mit der Verteilung der erwarteten Mehreinahmen – wobei jedoch allgemein davon ausgegangen wird, dass es sich hauptsächlich um temporäre Mehreinnahmen handeln wird, da die Konzerne auf das gesteigerte Steuerniveau ihrerseits reagieren werden. Für grosse Konzerne werden tiefe Steuern in Zukunft weniger wichtig sein, so dass andere Standortfaktoren wie die Nähe zu Kunden, das Vorhandensein qualifizierter Arbeitskräfte oder die Verfügbarkeit staatlicher Subventionen bei der Standortwahl einen höheren Stellenwert einnehmen werden. Immerhin ist festzustellen, dass auf dem Gewinn, welcher dem Substance-based Carve Out zugewiesen wird, also auf je 5 % des Buchwerts der Sachanlagen und des Personalaufwands, keine Mindeststeuer erhoben wird und hier ein tiefer effektiver Steuersatz für grosse Konzerne immer noch attraktiv sein kann. Auch kleinere Konzerne oder Unternehmen, welche nicht unter die Mindeststeuer fallen, profitieren weiterhin von tiefen effektiven Steuersätzen. Ob sich allerdings die grossen Konzerne auch in Zukunft im gleichen Ausmass wie bisher in der Schweiz niederlassen oder hier ihre Gewinne anfallen lassen werden, wird sich erst mit der Zeit zeigen. Gemäss Bundesbeschluss sollen die Kantone unter Aufsicht des Bundes für die Erhebung der globalen Mindeststeuer verantwortlich sein (föderalistisches System).
19 OECD/G20-Mindestbesteuerung: Bundesrat eröffnet Vernehmlassung, 18. August 2018, online abgerufen am 20. Januar 2023 unter: https://www.efd.admin.ch/efd/de/home/das-efd/nsb-news_list.msg-id-89967.html.
42 STEUER UPDATE 2023
Das Verfahrensrecht dazu wird erst im Laufe des Jahres 2023 in die Vernehmlassung gehen.
Nächste Schritte
Am 16. Dezember 2022 wurde der Bundesbeschluss über eine besondere Besteuerung grosser Unternehmensgruppen und die darin enthaltene Aufteilung der erwarteten Mehreinnahmen (75 % Kantone, 25 % Bund) schliesslich vom National- und Ständerat angenommen.20 Da der Bundesbeschluss eine Verfassungsänderung vorsieht, untersteht dieser dem obligatorischen Referendum. Das Schweizer Volk wird daher am 18. Juni 2023 über die Einführung der globalen Mindestbesteuerung in der Schweiz, insbesondere die Einführung einer Schweizerischen Ergänzungssteuer, abstimmen. Sofern das Volk die Verfassungsänderung annimmt, wird die Schweiz die globale Mindestbesteuerung voraussichtlich per 1. Januar 2024 einführen.21
Beurteilung der Umsetzung der globalen Mindeststeuer in der
Schweiz
Die föderalistische Umsetzung der globalen Mindeststeuer – die Mindestbesteuerung soll von den Kantonen unter Aufsicht des Bundes erhoben werden
wurde grossmehrheitlich begrüsst.22 Bei der Vernehmlassung zu der Mindestbesteuerungsverordnung äusserten sich jedoch unter anderem die Wirtschaftsverbände economiesuisse und EXPERTsuisse kritisch zum statischen Verweis auf die Mustervorschriften vom 14. Dezember 2021 und es wurde ein dynamischer Verweis verlangt – obwohl dies aus Sicht des Bundesrates verfassungsrechtlich problematisch ist. Nur mit einem dynamischen Verweis werde sichergestellt, dass die Umsetzung der Mindeststeuer in der Schweiz von den anderen Staaten des Inclusive Frameworks anerkannt wird (vgl. oben Ausführungen zu Tax Certainty for the GloBE-Rules). Ebenfalls kritisch sehen diese beiden Verbände die Einführung der UTPR durch die Schweiz. Mittels der UTPR sollen ja Gewinne von Geschäftseinheiten, die steuerlich nicht der Schweiz zugehörig sind, in der Schweiz besteuert werden, sofern im Ausland eine Unterbesteuerung vorliegt und in keinem Ansässigkeitsstaat die oberste Muttergesellschaft oder eine darunterliegende Muttergesellschaft die Ergänzungssteuer erhebt. Die Einführung einer UTPR wird als kaum ergiebig und hoch komplex angesehen, zudem würde ein Verzicht ein
20 Bundesbeschluss über eine besondere Besteuerung grosser Unternehmensgruppen (Umsetzung des OECD/G20-Projekts zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft), Curia Vista, online abgerufen am 20. Januar 2023 unter: https://www.parlament. ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20220036.
21 Der Bundesrat geht aus heutiger Sicht von einem Inkrafttreten per 1. Januar 2024 aus. Bei seinem Entscheid zur Inkraftsetzung des Regelwerks wird der Bundesrat prüfen, wie weit die Umsetzung in anderen Ländern fortgeschritten ist. Sollte sich die Umsetzung in anderen Ländern verzögern, wir der Bundesrat die Inkraftsetzung der Verordnung erneut prüfen (vgl. Erläuternder Bericht zur Mindestbesteuerungsverordnung, Ziff. 2.2).
22 Vgl. Christoph A. Schaltegger, Andrea Opel, Föderalistische Umsetzung der OECD- Minimalsteuer (Bestmögliche Lösung durch den Bundesrat), in: Expert Focus 2022, S. 160 ff.
Zeichen zu Gunsten eines für die internationale Wirtschaft attraktiven und wettbewerbsfähigen Standorts setzen.23 Unklar ist dabei, ob die Schweiz bei einem Verzicht auf die Einführung der UTPR von den anderen Staaten noch als konform im Sinne der GloBE-Mustervorschriften angesehen würde. Ausserdem sei in Bezug auf die Berechnung der Schweizerischen Ergänzungssteuer (QDMTT), welche in den Model-Rules nicht geregelt wird, auch nicht klar, wie Steuern aus einem ausländischen CFC-Regime, z. B. der deutschen Zinsschranke oder der US-Mindeststeuer (Global Intangible Low Taxed Income; GILTI), zu behandeln sind. Die Model-Rules sehen vor, dass diese Steuern an eine allfällige internationale Ergänzungssteuer anzurechnen sind. Dasselbe sollte gemäss EXPERTsuisse auch bei der Schweizer Ergänzungssteuer gelten, da ansonsten im Umfang der CFC-Steuer eine zusätzliche Steuerbelastung entstehen würde. Daneben wurde im Jahr 2022 auch klar, dass die Model-Rules, insbesondere diejenigen zur Berechnung des effektiven Steuersatzes, also des GloBE-ETR, teilweise nicht kompatibel mit dem Schweizer Steuersystem sind.24 Die Beurteilung der steuerlichen Auswirkungen der globalen Mindeststeuer auf die von Schweizer Geschäftseinheiten zu zahlenden Steuern ist in vielen Fällen nicht einfach. Um zu erkennen, welche steuerlichen Auswirkungen eine Transaktion oder Buchung in einer schweizerischen Geschäftseinheit hat, wird sowohl ein Verständnis des schweizerischen Steuer- und Handelsrechts als auch der Model-Rules und der anerkannten Rechnungslegungsstandards (u. a. IFRS, US GAAP, Swiss GAAP FER) benötigt. Auch wenn ein Unternehmen in der Schweiz nicht unter die Mindestbesteuerungsvorschriften fällt, können diese z. B. bei einer Übernahme dieses Unternehmens durch ein Unternehmen, welches diesen Mindestbesteuerungsvorschriften unterliegt, einen Einfluss auf die Strukturierung der Transaktion haben.
(iii) Fazit
Wir gehen davon aus, dass die globale Mindeststeuer per 1. Januar 2024 in der Schweiz, den Mitgliedsstaaten der europäischen Union und weiteren Staaten eingeführt werden wird. Konzernen und Unternehmen empfehlen wir daher abzuklären, ob sie von der globalen Mindestbesteuerung betroffen sind und deren Auswirkungen zu prüfen – falls dies nicht bereits geschehen ist. Die Auswirkungen der globalen Mindestbesteuerung auf Unternehmen mit Sitz in der Schweiz sind je nach individueller Situation unterschiedlich. Insbesondere die Differenzen des Schweizer Steuersystems mit dem Steuersystem, welches den Model-Rules zu Grunde liegt, sowie die Differenzen zwischen der für die Schweizer Steuern massgeblichen Rechnungslegung nach dem schweizerischen Handelsrecht und der für die globale Mindest-
23 Die Nichteinführung der UTPR würde insbesondere Unternehmen mit Sitz in Staaten zu Gute kommen, welche die globale Mindestbeteuerung nicht eingeführt haben.
24 Vgl.
43 VI INTERNATIONALE STEUERN
–
dazu und zu folgendem: Daniel Gentsch, Alain Horat, Principles of Calculation of the GloBE Tax Rate (A Swiss view on the calculation principles), in: Expert Focus 2022, S. 132 ff.
besteuerung massgeblichen Rechnungslegung nach einem internationalen Rechnungslegungsstandard können zu unerwarteten Steuerfolgen führen. Falls ein Unternehmen in der Schweiz über eine Patentbox verfügt, zusätzliche Forschungs- und Entwicklungsabzüge geltend macht oder von anderen steuerlichen Instrumenten der letzten Steuerreform profitiert, ist zu beachten, dass es sich bei diesen Instrumenten aus Sicht der globalen Mindestbesteuerung um «schädliche» Instrumente handelt, da sie zu einer Reduktion des effektiven Steuersatzes führen. Falls der GloBE-ETR durch den Einsatz dieser Instrumente unter den Mindeststeuersatz von momentan 15 % sinkt, profitiert das Unternehmen unter Umständen nur noch im Rahmen des Substance-based Carve Outs von einer Besteuerung unter 15 %. Es ist daher in diesen Fällen zu prüfen, ob die erwähnten Regimes noch Sinn machen, zumal sie ebenfalls mit einem gewissen Aufwand verbunden sind. Das Ergebnis hängt in der Tat von den konkreten Umständen ab.
Es ist zu erwarten, dass das Pillar One und Pillar Two Projekt der OECD nicht das letzte Projekt sein wird, mit welchem die OECD eine «gerechtere» Besteuerung von Unternehmen durchsetzen will. Zurzeit ist noch kein Ende dieser Entwicklung abzusehen, wobei nicht auszuschliessen ist, dass in Zukunft auch eine «gerechtere» Besteuerung von vermögenden natürlichen Personen angestrebt werden könnte.25
2 EU Shorts
Auch im Jahr 2022 hat die EU im Steuerbereich neue Projekte angepackt und bestehende weiter vorangetrieben.
Der administrative Aufwand für die Unternehmen und die Überwachung der Steuerpflichtigen wird laufend erhöht.
a) Vorgehen gegen Briefkastenfirmen (EU Unshell-Directive bzw. ATAD 3)
Briefkastenfirmen (auf Englisch: Shell-companies) werden in der Praxis häufig zur Steueroptimierung eingesetzt, ohne dass wirtschaftliche Motive für diese Unternehmen bestehen. Im Dezember 2021 hat die EU-Kommission einen Vorschlag für eine neue Richtlinie zur Verhinderung der missbräuchlichen Nutzung solcher Briefkastenfirmen für Steuerzwecken innerhalb der EU veröffentlicht (Anti-
25 Vgl. David D. Stewart, Stephanie Soong, Advancing The Pillars: An OECD Tax Reform Project Update, 30. November 2022, in Forbes, online abgerufen am 18. Januar 2023 unter: https://www.forbes.com/sites/ taxnotes/2022/11/30/advancing-the-pillars-an-oecd-tax-reform-project- update/?sh=2931adb65782 und Stewart Lipeles, John D. McDonald, Emily Berg, Ethan Kroll, Julia Skubis Weber, Understanding the Real-Wold Consequences of Pillar II, Ziff. S.13. September 2022, in: International Tax Watch.
Tax Avoidance Directive 3 oder ATAD 3). Der Vorschlag konkretisiert die Substanzkriterien, welche von einer Unternehmung zu erfüllen sind, um nicht als Briefkastenfirma zu gelten bzw. um als in einem EU-Mitgliedstaat «steuerlich ansässig» anerkannt zu werden.26
Im Verlauf des Jahres 2022 fanden verschiedene Konsultationen zum Vorschlag der EU-Kommission statt.27 Die finale Version wurde im November 2022 verabschiedet.28 Dieser wurden im Januar 2023 vom EU-Parlament angenommen. Zwar sind die Änderungsvorschläge für die EU-Kommission nicht bindend, ihnen kommt aber in der Regel trotzdem ein gewisser Stellenwert zu.
Da die Annahme der ATAD 3 Einstimmigkeit aller Mitgliedstaaten voraussetzt, wird nun eine Verhandlungsphase folgen, mit dem Ziel einen Kompromisstext zu erarbeiten. In Anbetracht der vorgebrachten Bedenken der verschiedenen Interessengruppen scheint ein Inkrafttreten auf den 1. Januar 2024 ein sehr ambitioniertes Unterfangen. Die Angelegenheit ist zurzeit keine Priorität der EU-Kommission – es scheint wahrscheinlich, dass das Inkrafttreten verschoben wird. Trotzdem sollten Unternehmen diese Thematik nicht vernachlässigen, denn der derzeitige Entwurf sieht vor, dass bei der künftigen Beurteilung auf im Sitzstaat vorhandene Substanz der beiden Vorjahre abgestellt werden soll. Die Substanzkriterien wären demnach bei Einführung per 1. Januar 2024 bereits für die Jahre 2022 und 2023 bzw. bei Einführung per 1. Januar 2025 für die Jahre 2023 und 2024 zu erfüllen.
Während die ATAD 3 nur auf Unternehmungen mit Sitz in EU-Mitgliedstaaten Anwendung finden soll, hat die EU-Kommission zu verstehen gegeben, auch gegen Briefkastenfirmen mit Sitz ausserhalb der EU vorgehen zu wollen.29 Von Juli bis Oktober 2022 fand eine öffentliche Konsultation zu einer Initiative zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung und aggressiven Steuerplanung in der EU statt. Ausgangspunkt ist das Problem, dass einige Vermittler (auf Englisch: Enablers) Strukturen in NichtEU-Ländern gestalten, vermarkten und unterstützen, welche die Steuerbemessungsgrundlage der Mitgliedstaaten durch Steuerhinterziehung oder aggressive Steuerplanung aushöhlen – wie zum Beispiel die Zahlung von Lizenzen oder Beraterkosten in Tiefsteuer-Staaten. Solche Strukturen machen auch von Briefkastenfirmen mit Sitz ausserhalb der EU Gebrauch. Ziel dieser Initiative ist eine verstärkte Bekämpfung dieses Problems, indem direkt gegen die Rolle dieser Vermittler vorgegangen
26 In der letztjährigen Ausgabe wurde der Vorschlag der EU-Kommission detailliert behandelt. Abrufbar unter: https://www.vischer.com/know-how/publikationen- praesentationen/steuer-update-2022-39540/.
27 Zusammenfassung auf EUR-Lex, online abgerufen am 12. Januar 2023, unter: https://eur-lex.europa.eu/procedure/DE/2021_434.
28 Europäisches Parlament, Procedure file 2021/0434(CNS), online abgerufen am 12. Januar 2023, unter: https://oeil.secure.europarl.europa.eu/oeil/popups/ ficheprocedure.do?reference=2021/0434(CNS)&l=en.
29 Europäische Kommission, Questions and Answers on the Commission‘s proposal to end the misuse of shell entities, online abgerufen am 12. Januar 2023, unter: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/qanda_21_6968.
44 STEUER UPDATE 2023
wird (Securing the Activity Framework of Enablers oder SAFE).30
Die EU-Kommission skizziert drei Optionen:
• Option 1: Verbot für Vermittler, sich an der Erleichterung von Gestaltungen im Ausland zu beteiligen, die Steuerhinterziehung und aggressive Steuerplanung ermöglichen und die Vorgabe spezielle Verfahren zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht durchzuführen;
• Option 2: Zusätzlich zu Option 1 würde noch eine Registrierungspflicht für Vermittler eingeführt, welche für Steuerpflichtige oder Gebietsansässige in der EU Beratung oder Dienstleistungen steuerlicher Art erbringen
von dieser Pflicht würden voraussichtlich auch in der Schweiz ansässige Vermittler erfasst.
• Option 3: Verhaltenskodex für Vermittler in Verbindung mit Verfahren zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht und der Verpflichtung der Vermittler, sich in der EU registrieren zu lassen. Eine Verletzung des Verhaltenskodexes hätte Sanktionen zur Folgen. Darüber hinaus schlägt die EU-Kommission vor, dass EU-Steuerzahler in ihren Steuererklärungen jede Beteiligung an einem nicht börsenkotierten Unternehmen mit Sitz ausserhalb der EU, die 25 % der Anteile, der Stimmrechte, der Beteiligungen, der Inhaberaktien oder der Kontrolle in anderer Form überschreitet, angeben müssen.31
Die EU-Kommission beabsichtigt noch im ersten Quartal 2023 über das weitere Vorgehen zu entscheiden.
Wir empfehlen Unternehmen, ihre Strukturen auf substanzschwache Gesellschaften zu überprüfen und sich Gedanken zu den möglichen Auswirkungen von ATAD 3 auf die steuerliche Behandlung dieser Gesellschaften bzw. der Transaktionen mit diesen Gesellschaften zu machen. Gegebenenfalls ist es empfehlenswert, die Substanz von Gesellschaften zu stärken oder die Geschäftsstrukturen neu aufzustellen, damit diese aus steuerlicher Sicht zukunftssicher sind.
b) Unternehmensbesteuerung
Bis Ende Januar 2023 lief eine öffentliche Konsultation zu einer Initiative der EU-Kommission, welche die Einführung eines gemeinsamen Regelwerks für die Berechnung der Steuerbemessungsgrundlage der Unternehmen in der EU
30 Europäische Kommission, Steuerhinterziehung & aggressive Steuerplanung in der EU – Vorgehen gegen Vermittler («Enabler»), online abgerufen am 12. Januar 2023, unter: https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say/ initiatives/13488-Steuerhinterziehung-aggressive-Steuerplanung-in-der-EU- Vorgehen-gegen-Vermittler-Enabler-_de.
31 Europäische Kommission, Aufforderung zur Stellungnahme zu einer Folgeabschätzung, online abgerufen am 12. Januar 2023, unter: https://op.europa. eu/de/publication-detail/-/publication/c4ac104e-febc-11ec-b94a-01aa75ed71a1.
und die Gewährleistung einer effektiveren, formelbasierten Verteilung der Gewinne zwischen den EU-Mitgliedstaaten zum Ziel hat (Unternehmen in Europa: ein Rahmen für die Unternehmensbesteuerung bzw. Europe: Framework for Income Taxation oder BEFIT). Nebst der Schaffung einheitlicher Besteuerungsvorschriften erhofft sich die EU-Kommission durch das neue Regelwerk auch einen Abbau der Bürokratie, die Beseitigung von Steuerhindernissen, die Schliessung von Steuerschlupflöchern, den Erhalt von Arbeitsplätze in der EU und die Förderung von Investitionen im Binnenmarkt. Ein erster Entwurf wird im dritten Quartal 2023 erwartet.32 Es ist zu hoffen, dass damit nicht primär zusätzlicher administrativer Aufwand für die Unternehmen entsteht.
c) Einführung eines Freibetrags für die Eigenkapitalfinanzierung von Unternehmen
Im Mai 2022 veröffentlichte die EU-Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie zur freiwilligen Einführung eines Freibetrags für die Eigenkapitalfinanzierung (Debt-Equality Bias Reduction Allowance oder DEBRA). Hintergrund dieser Vorlage ist die steuerliche Ungleichbehandlung von Fremd- und Eigenkapitalfinanzierung: Zinszahlungen für Kredite sind grundsätzlich steuerlich absetzbar, Kosten im Zusammenhang mit der Eigenkapitalfinanzierung (z. B. Dividenden) meist nicht. Diese Ungleichbehandlung veranlasst Unternehmen bei Investitionsentscheidungen eher auf Fremdkapital zu setzen, was tendenziell zu einer hohen Verschuldung im europäischen Unternehmenssektor führt. Die Freibetragsgrundlage entspricht der Differenz zwischen dem Eigenkapital am Ende des Steuerjahres und dem Eigenkapital am Ende des vorangegangenen Steuerjahres, d. h. dem Anstieg gegenüber dem Vorjahr. Auf diesem Freibetrag wird ein fiktiver, steuerlich abzugsfähiger Zins gewährt. Eine Erhöhung des Eigenkapital führt somit zu einem einmaligen zusätzlichen Steuerabzug. Der Abzug wird dabei auf 30 % des EBITDA (Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen) beschränkt.
Im Dezember veröffentlichte der Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) des EU-Parlaments einen ersten Bericht zum Vorschlag mit Änderungsvorschlägen.33 Weitere Änderungsvorschläge und Konsultationen sind zu erwarten. Auch mehrere Mitgliedstaaten haben Bedenken zum vorliegenden Vorschlag geäussert, so dass unsicher ist, ob und wann ein Freibetrag für die Eigenkapitalfinanzierung EU-weit eingeführt wird.
32 Europäische Kommission, Unternehmen in Europa: ein Rahmen für die Unternehmensbesteuerung (BEFIT), online abgerufen am 12. Januar 2023, unter: https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say/initiatives/13463- Unternehmen-in-Europa-ein-Rahmen-fur-die-Unternehmensbesteuerung-BEFIT-_de. 33 Europäisches Parlament, Procedure file,2022/0154 (CNS), online abgerufen am 12. Januar 2023, unter: https://oeil.secure.europarl.europa.eu/oeil/popups/ ficheprocedure.do?lang=en&reference=2022/0154(CNS).
45 VI INTERNATIONALE STEUERN
–
d) Einführung eines EU-Quellensteuersystems
Das System der Quellensteuern zwischen den Mitgliedstaaten der EU ist uneinheitlich und fragmentiert. Dies führt zu Schlupflöchern, welche Steuervermeidung ermöglichen, aber auch zu Missbrauch und unerwünschten Doppelbesteuerungseffekten. Das derzeitige System erschwert überdies grenzüberschreitende Investitionen. Es wird insbesondere angestrebt, dass Steuerpflichtige die Rückforderung sämtlicher in der EU erhobenen Quellensteuern über ein einziges Web-Portal beantragen können.
Im Frühjahr 2022 führte die EU-Kommission eine öffentliche Konsultation zu einer möglichen Reform der Quellensteuer auf europäischer Ebene durch und kündigte für 2023 einen Legislativvorschlag zu Quellensteuerentlastungsverfahren an.
f) Harmonisierung von grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen
Im Jahr 2019 wurde eine neue EU-Richtlinie verabschiedet, welche die Harmonisierung der Unternehmensabläufe bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen von Kapitalgesellschaften innerhalb der EU (auch «Mobility Directive» genannt) zum Ziel hat. Die Richtlinie sieht u. a. vor, dass die zuständigen Behörden im Wegzugmitgliedstaat vor der Transaktion ein Zertifikat ausstellen müssen, welches die Einhaltung der relevanten Voraussetzungen, Verfahren und Formalien bescheinigt. Ein solches Zertifikat darf nicht ausgestellt werden, wenn aufgrund des nationalen Rechts davon ausgegangen werden muss, dass die Transaktion zu missbräuchlichen, betrügerischen oder kriminellen Zwecken oder zur Gesetzesumgehung dienen soll.
e) Änderung der Energiebesteuerung
im Rahmen des «Fit für 55» Pakets
Das Europäische Klimagesetz sieht eine Senkung der Treibhausgasemissionen in der EU bis 2023 um mindestens 55 % gegenüber 1990 und Klimaneutralität bis 2050 vor. «Fit für 55» ist ein Paket an Vorschlägen für neue Initiativen und Überarbeitung bzw. Aktualisierung existierender Rechtsvorschriften zur Erreichung dieser Ziele.
Als Teil dieses Pakets «Fit für 55» ist eine Überarbeitung der bestehenden Energiebesteuerungsrichtlinie geplant, die sicherstellen soll, dass die Besteuerung der verschiedenen Energieprodukte deren Umweltauswirkung widerspiegelt. Im Zentrum stehen zwei Bereiche: eine neue Struktur der (Mindest-)Steuersätze auf Kraft- und Brennstoffe, welche auf dem tatsächlichen Energiegehalt und der Umweltverträglichkeit beruhen sowie eine Erweiterung der Steuerbemessungsgrundlage durch Einbezug von zusätzlichen Produkten und die Streichung einiger Ausnahmen und Ermässigungen. Verhandlungen sind zurzeit im Gang.34
Die EU-Mitgliedstaaten mussten die neue Richtlinie bis am 31. Januar 2023 implementieren. Es ist zu erwarten, dass die Verfahren für grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen innerhalb der EU länger und aufwändiger werden.
Wir empfehlen Unternehmen, welche zurzeit innerhalb der EU grenzüberschreitende Umstrukturierung planen oder in naher Zukunft durchführen möchten, sicherzustellen, die dafür notwendigen Bescheinigungen vorgängig einzuholen.
g) Windfall Tax für Fossilindustrie
Im Herbst 2022 hat die EU eine Verordnung des Rates über Notfallmassnahmen als Reaktion auf die hohen Energiepreise angenommen. Nebst Massnahmen zur Verringerung der Energiekosten sieht die Verordnung einen befristeten und obligatorischen Solidaritätsbeitrag für die Gewinne von Unternehmen im Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Raffineriebereich vor. Betroffen sind Unternehmen, deren steuerpflichtiger Gewinn mehr als 20 % über dem Durchschnitt der jährlichen steuerpflichtigen Gewinne seit 2018 liegt. Der für die Berechnung des Solidaritätsbeitrags geltende Satz beträgt mindestens 33 % (Mitgliedstaaten dürfen auch einen höheren Satz bestimmen) und wird zusätzlich zu den nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten geltenden regelmässigen Steuern und Abgaben erhoben. Daneben wurde für den Verkauf von Strom ein Preisdeckel von 180 Euro je Megawattstunde eingeführt. Bei Strom, der über diesem Preis verkauft wird, wird die Differenz von den EU-Staaten eingezogen.
34 Rat der Europäischen Union, Infografik – «Fit für 55»: EU will Energiebesteuerung ändern, online abgerufen am 13. Januar 2023, unter https://www.consilium. europa.eu/de/infographics/fit-for-55-energy-taxation/.
46 STEUER UPDATE 2023
h) Massnahmen zur Steuertransparenz
(i) Meldepflicht für digitale Plattformen (DAC 7)
Ab dem 1. Januar 2023 müssen Betreiber von digitalen Plattformen bestimmte Informationen über die Verkäufer, welche ihre Plattform nutzten, sowie deren Aktivitäten sammeln und bis spätestens am 31. Januar des folgenden Kalenderjahrs den zuständigen Steuerbehörden melden. Die Verkäufer können dabei in der EU oder in einem Drittstaat domiziliert sein.
Betroffen sind Betreiber digitaler Plattformen (Websites, Apps, andere Software), welche zum Verkauf von materiellen und immateriellen Gütern, zur Vermietung von Immobilien sowie Transportmitteln jeglicher Art oder zum Anpreisen von persönlichen Dienstleistungen genutzt werden können. Auch Betreiber ausserhalb der EU fallen für Aktivitäten von EU-Verkäufern sowie für die Vermietung von Immobilien, welche sich in der EU befinden, unter den Anwendungsbereich dieser neuen Richtlinie. Wir empfehlen, dass Plattformunternehmen mit Sitz in der Schweiz prüfen, ob sie von der Meldepflicht betroffen sind und gegebenenfalls die notwendigen Daten unter dem Jahr sicherstellen. Ausserdem raten wir Verkäufern in der EU, die eine Plattform nutzen, zu prüfen, ob sie die erforderlichen Steuervorschriften einhalten.
(ii) Meldepflichten für Anbieter von KryptoDienstleistungen (DAC 8)
Die EU plant ausserdem, eine Meldepflicht für Anbieter von Krypto-Dienstleistungen einzuführen. Dies soll Steuerbehörden helfen, die Angaben der Steuerpflichtigen zu überprüfen und der Steuerhinterziehung im Rahmen von Kryptohandel entgegenwirken. Die EU-Kommission hat hierfür im Dezember 2022 einen Vorschlag für eine neue Richtlinie (genannt DAC 8), welche an das «CryptoAsset Reporting Framework der OECD (CARF)»35 angelehnt ist, veröffentlicht. Bis März 2023 besteht für Interessensgruppen die Gelegenheit, sich dazu zu äussern.
(iii) Öffentliches Country-by-Country Reporting (Public CbCR) und Veröffentlichung der effektiven Steuerlast (Effective Corporate Tax Rate)
Im November 2021 hat die EU-Kommission eine neue Richtlinie verabschiedet, welche in der EU eine «Countryby-Country Reporting»-Pflicht einführt. Multinationale Unternehmen mit ihrem Hauptsitz in der EU, aber auch bestimmte multinationale Unternehmen ohne Hauptsitz in der EU sowie deren Tochtergesellschaften, müssen ab spätestens Mitte 2024 auf ihren Websites Angaben
35 CARF soll den bereits bestehenden Common Reporting Standard (CRS) auf dem der automatischen Informationsaustausch (AIA) basiert ergänzen und durch den jährlichen, automatischen Austausch von Informationen über Krypto-Vermögens- transaktionen zwischen den teilnehmenden Ländern für Transparenz in Bezug auf Krypto-Vermögenstransaktionen sorgen. Die finalen Richtlinien zu CARF wurden von der OECD am 10. Oktober 2022 publiziert.
machen, wie viele Steuern sie in welchem EU-Mitgliedstaat zahlen.
Zusätzlich arbeitet die EU-Kommission zurzeit an einem Vorschlag, welcher multinationale Unternehmen mit Aktivitäten in der EU verpflichten soll, ihre effektive Steuerbelastung zu veröffentlichen.
3 Deutschland Short
Lockerung bei der Besteuerung der Einkünfte aus der befristeten Überlassung von Rechten, die in ein inländisches Register eingetragen sind, bei welchen die Lizenzgebühren von einem ausländischen Lizenznehmer gezahlt werden (sog. Registerfälle). Verschärfung der Anforderungen an Schweizer Unternehmen zur Gewährung der Quellensteuerentlastung aufgrund von § 50d des deutschen Einkommenssteuergesetzes
a) Änderung der Regelung für die Besteuerung aus in einem deutschen Register eingetragenen Rechte (Registerfällen)
(i) Um was geht es?
In Deutschland besteht eine beschränkte Steuerpflicht aus der Veräusserung oder Überlassung (Lizenzierung) von Rechten allein aufgrund deren Eintragung in ein inländisches – gemeint ist deutsches – öffentliches Buch oder Register (z. B. Patente und Marken, sog. Registerrechte). Selbst wenn keine der Vertragsparteien in Deutschland ansässig ist oder dort eine Betriebsstätte hat, unterliegen sowohl die Lizenzzahlung als auch der Veräusserungserlös auf solchen Rechten grundsätzlich der deutschen Besteuerung: Bei Lizenzzahlungen hat der Lizenzzahler einen Steuerabzug vorzunehmen (Quellensteuer), die Steuer abzuführen und eine Steueranmeldung beim Bundeszentralamt für Steuern einzureichen. Bei der Veräusserung solcher Registerrechte muss der Veräusserer beim zuständigen Finanzamt den Gewinn aus der Veräusserung im Rahmen seiner Steuerveranlagung erklären. Ebenfalls heikel können Umstrukturierungen sein, welche solche Rechte mitumfassen.
Besteht zwischen dem Staat des Veräusserers bzw. Lizenzgebers und Deutschland ein DBA, stehen die Chancen gut, dass dieses das alleinige Besteuerungsrecht dem Staat des Veräusserers bzw. Lizenzgebers zuweist. Trifft dies zu, darf Deutschland nur besteuern, falls der Lizenzempfänger in Deutschland über eine Betriebsstätte verfügt, welcher diese Rechte oder Vermögenswerte zuzuordnen sind. Anders als bei der Veräusserung griff dieser Schutz bisher bei der Lizenzierung nicht automatisch. Der Lizenzgeber musste in jedem Fall vorgängig einen Antrag auf Freistellung oder Erstattung der deutschen Quellensteuer beim Bundeszentralamt für Steuern einreichen und genehmigen lassen.
47 VI INTERNATIONALE STEUERN
(ii) Änderungen durch das Jahressteuergesetz 2022
Mit dem im Dezember 2022 verabschiedeten Jahressteuergesetz 2022 wurde die Besteuerung der Registerfälle neu geregelt.36
Bei Zahlungen aus der Veräusserung oder Lizenzierung von Registerrechten an Dritte entfällt die Steuerpflicht rückwirkend für alle offenen Fälle. Steuerpflichtig bleiben lediglich Zahlungen, welche an einen Dritten gehen, der in einem sog. nichtkooperativen Steuerhoheitsgebiet (”Steueroase”) ansässig ist. Zurzeit sind folgende 12 Staaten als Steueroasen eingestuft: Amerikanisch-Samoa, Amerikanische Jungferninseln, Anguilla, Bahamas, Fidschi, Guam, Palau, Panama, Samoa, Trinidad und Tobago, Turks- und Caicosinseln sowie Vanuatu.37
Bei Registerfällen zwischen nahestehenden Personen (z. B. bei Konzernen) blieb die Besteuerung jedoch grundsätzlich bestehen. Ab dem 1. Januar 2023 entfällt sie nun auch für konzerninterne Transaktionen – wiederum mit Ausnahme von Steueroasen.
b) Deutschland verschärft die Anforderungen an Schweizer Unternehmen zur Gewährung der Quellensteuerentlastung
Dividenden und Lizenzen, welche Unternehmen oder Personen aus Deutschland an ausländische Empfänger zahlen, unterliegen grundsätzlich der deutschen Quellensteuer. Die Quellensteuer beträgt 26,375 %. Haben die Empfänger ihren Sitz bzw. Wohnsitz in der Schweiz, können sie grundsätzlich das DBA CH / D in Anspruch nehmen. Die Quellensteuer auf Lizenzerträgen wird in diesem Fall auf 0 % reduziert und diejenige auf Dividenden auf 15 % bzw. auf 0 %, falls die dafür notwendigen Voraussetzungen erfüllt sind.38 Zusätzlich zu den im DBA CH / D genannten Voraussetzungen prüft Deutschland, ob das DBA missbräuchlich in Anspruch genommen wurde. Diese Prüfung basiert auf dem § 50d des Einkommenssteuergesetzes (EStG). Im Jahr 2021 wurde dieses Gesetz angepasst. Neu kommt es nicht mehr darauf an, ob der Empfänger den Sitz in der EU oder in einem Drittstaat, wie zum Beispiel der Schweiz hat. Die Entlastungsberechtigung bzw. der Ausschluss werden in beiden Fällen auf gleiche Art ermittelt.
(i) Wieso ist die Verschärfung für Schweizer Unternehmen relevant?
Was sich zuerst positiv anhört, hat für Holding-Gesellschaften mit Sitz in der Schweiz nicht zu unterschätzende negative Auswirkungen. In unserer Praxis stellen wir fest, dass Deutschland Gesellschaften mit Sitz in der Schweiz, welche bisher eine Entlastung von der Quellensteuer erhalten haben, diese Entlastung nicht mehr bzw. erst nach umfangreichen Abklärungen gewährt. Die Gesetzesänderung führte zu vertieften Abklärungen der wirtschaftlichen Hintergründe von Unternehmensstrukturen, insbesondere bei Schweizer Holding-Gesellschaften. Das Risiko besteht, dass bei einer Dividendenausschüttung aus einer deutschen Beteiligung an ihre Schweizer Holding-Gesellschaft, die deutsche Gesellschaft die Quellensteuer von 26,375 % entrichten muss, ohne dass die Schweizer Dividendenempfängerin die Möglichkeit hätte, diese Quellensteuer zurückzufordern oder sich die Quellensteuer an die zu zahlenden Schweizer Steuern anrechnen zu lassen.39 Der Gewinn der deutschen Gesellschaft würde dann de facto zweimal besteuert: Einmal mit der deutschen Gewinnsteuer40 von ca. 30 % und danach nochmals mit der Quellensteuer von 26,375 % – also mit insgesamt über 56 %.
(ii) Welche Anforderungen müssen Unternehmen in der Schweiz erfüllen, um in den Genuss einer vollständigen Rückerstattung zu kommen?
Eine Gesellschaft mit Sitz in der Schweiz kann auf vier Arten nachweisen, dass sie Anspruch auf die Anwendung des DBA CH / D hat und es sich bei der Gesellschaft um keine Struktur handelt, welche in erster Linie aus steuerlichen Gründen errichtet wurde:41
• Persönliche Entlastungsberechtigung;
• Sachliche Entlastungsberechtigung;
• Nachweis, dass die Erlangung eines Steuervorteils keiner der Hauptzwecke der Struktur ist (Principal Purpose Test);
• Börsentest.
36 Vgl. Bundesministerium der Finanzen, Jahressteuergesetz 2022 (JStG 2022), online abgerufen am 13. Januar 2023, unter: https://www.bundesfinanzministerium.de/ Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Gesetzesvorhaben/Abteilungen/Abteilung_ IV/20_Legislaturperiode/2022-12-20-JStG-2022/0-Gesetz.html.
37 Vgl. Bundesministerium für Finanzen, Verordnung zur Änderung der Steueroasen-Abwehrverordnung, online abgerufen am 13. Januar 2023, unter: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_ Gesetzesvorhaben/Abteilungen/Abteilung_IV/20_Legislaturperiode/2022-12-21- AendStAbwV/0-Verordnung.html.
38 Für die Reduktion der Quellensteuer auf Dividenden auf 0 % wird verlangt, dass die Dividendenempfängerin eine in der Schweiz ansässige Gesellschaft ist, welche an der Dividenden zahlenden Gesellschaft während eines ununterbrochenen Zeitraums von 12 Monaten unmittelbar mindestens 10 % des Kapitals hält (vgl. Art. 10 Abs. 3 DBA CH-DE).
39 Da die Schweiz Dividendenzahlungen, welche von solch massgeblichen Beteiligungen stammen mittels dem Beteiligungsabzug von den Steuern ausnimmt, ist eine Anrechnung der ausländischen Quellensteuern auf Beteiligungserträgen ausgeschlossen (vgl. Art. 5 der Verordnung über die Anrechnung ausländischer Quellensteuern) bzw. wird bei der Inanspruchnahme von missbräuchlichen Unternehmensstrukturen die Anrechnung von Quellensteuern generell negiert. 40 In Deutschland gibt es nicht eine einzige Gewinnsteuer. Deutschland besteuert Unternehmen mit Sitz in Deutschland mit der Körperschaftssteuer zzgl. Solidaritätszuschlag und mit der Gewerbesteuer.
41 Vgl. § 50d Abs. 3 EStG e contrario.
48 STEUER UPDATE 2023
Persönliche Entlastungsberechtigung
Es wird ein sogenannter «look-through-approach» angewendet: Falls z. B. der an der Schweizer Holding-Gesellschaft beteiligte Gesellschafter ebenfalls in der Schweiz ansässig ist und somit hypothetisch direkt die Entlastung gemäss dem DBA CH / D Anspruch nehmen könnte, wird die Entlastung von der Quellensteuer grundsätzlich gewährt. Sind mehrere Gesellschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen dazwischengeschaltet, ist bei der Prüfung der hypothetischen Entlastungsberechtigung ebenfalls § 50d Abs. 3 Einkommenssteuergesetz (EStG) zu berücksichtigen, d. h. es wird stets auf den Endbegünstigten abgestellt. In der Lehre und Praxis ist zurzeit jedoch umstritten, ob die persönliche Entlastungsbegrenzung auch für den Fall der Ansässigkeit einer mittelbar beteiligten natürlichen Person im gleichen Staat mit einem geringeren DBA-Entlastungsanspruch auf den Quellensteuersatz von 15 % (statt 0 %) gilt, da diese Person nicht den exakt gleichen, sondern nur einen reduzierten Anspruch hat. Die Praxis geht vorsichtigerweise davon aus, dass die persönliche Entlastungsbegrenzung im Regelfall kaum mehr Anwendung finden wird, so dass der sachlichen Entlastungsberechtigung sowie dem Principal Purpose Test (PPT) eine umso höhere Bedeutung zukommt.42
Sachliche Entlastungsberechtigung
Liegt keine persönliche Entlastungsberechtigung vor, so ist zu prüfen, ob eine sachliche Entlastungsberechtigung geltend gemacht werden kann. Im Ergebnis muss dabei wirtschaftlich nachvollziehbar sein, warum gerade die Schweizer Holding-Gesellschaft – und nicht die Anteilsinhaber dieser Gesellschaft direkt – die Beteiligung hält.43 Dies kann sowohl der Fall sein, wenn die Beteiligung der aktuellen Wirtschaftstätigkeit dient, als auch dann, wenn sie lediglich der früheren Wirtschaftstätigkeit gedient hat oder aus ihr entstanden ist, indem aus der eigenen Wirtschaftstätigkeit entstandene Mittel in die Beteiligung investiert wurden.
In Bezug auf Holding-Gesellschaften gilt, dass eine passive Beteiligungsverwaltung, bei der die Gesellschaft, welche über die Empfangnahme der Dividenden und ggf. ihrer Weiterleitung
zum Beispiel als Darlehen an ihre Anteilseigner
hinaus keine wesentliche Tätigkeit entfaltet, nach deutschem Recht keine Wirtschaftstätig-
42 Vgl. Winfried Ruh, Neugestaltung der deutschen Anti-Treaty-Shopping-Regel zur Quellensteuerentlastung bei Dividenden und Lizenzen, abrufbar unter: https:// www.handelskammerjournal.ch/de/neugestaltung-der-deutschen-anti-treaty- shopping-regel-zur-quellensteuerentlastung-bei-dividenden-und-lizenzen (zuletzt abgerufen am 13. Februar 2023); vgl. Erläuterungen zum Entwurf des Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetzes (Erläuterungen AbzStEntlModG), S. 58. 43 Vgl. hierzu und zu Folgendem: Erläuterungen AbzStEntModG, S. 60.
keit ausführt. Damit eine Holding-Gesellschaft nach den erwähnten Regeln eine Wirtschaftstätigkeit ausführt, muss sie eine aktive Beteiligungsverwaltung ausüben. Eine solche Führungsholding liegt nur vor, wenn sie die Geschicke der Beteiligungen planmässig steuert, also langfristige strategische Entscheidungen für die Tochtergesellschaften trifft. Da der Nachweis der aktiven Wirtschaftstätigkeit von der Holding-Gesellschaft erbracht werden muss, ist die schriftliche Dokumentation der aktiven Beteiligungsverwaltung sicherzustellen, z. B. mittels Protokollierung der Geschäftsleitungs- und Verwaltungsratssitzungen, in welchen die jeweiligen Entscheide getroffen werden.
Zudem muss die Holding-Gesellschaft in der Schweiz über einen für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb, also Büroräumlichkeiten, Einrichtungen und Personal44 , verfügen. Neu wird dabei nicht mehr ausschliesslich auf Substanz bei der Holding-Gesellschaft selbst abgestellt. Es soll nun eine Gesamtwürdigung vorgenommen werden, so dass wohl auch die Substanz verbundener Unternehmen, sowie auf Dritte ausgelagerte Tätigkeiten (Outsourcing) miteinbezogen werden könnten. In wie weit diese beiden Punkte tatsächlich berücksichtigt werden, wird jedoch erst die zukünftige Anwendung von § 50d Abs. 3 EstG durch die deutschen Steuerbehörden zeigen.45
Bei der Beurteilung, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, besteht offensichtlich Ermessen, was eine klare Einordnung erschwert, zumal noch keine klare Praxis besteht.
Widerlegung der Vermutung eines Abkommensmissbrauchs: Principal Purpose Test und Börsentest
Werden weder die Voraussetzungen der persönlichen noch der sachlichen Entlastungsberechtigung erfüllt, gilt die Zwischenschaltung einer Schweizer Holding-Gesellschaft grundsätzlich als missbräuchlich (Gestaltungsmissbrauch). Diese Vermutung kann allerdings auf zwei Arten widerlegt werden.
PPT:
Die Holding-Gesellschaft kann nachweisen, dass (betriebswirtschaftliche) Gründe für die Zwischenschaltung bestehen – diese können sich auch aus einem Konzernverhältnis ergeben. Sie muss nachweisen, dass keiner der
44 Kann auch durch Outsourcing oder Rückgriff auf personelle oder sachliche Ressourcen verbundener Unternehmen erfüllt werden (vgl. Hagena in Hermann/ Heuer/Raupach, EStG, §50d Abs. 3, Tz. J21-10.
45 Vgl. Neufassung des § 50d Abs. 3 EStG («Anti-Treaty-Shopping») durch das AbzStEntlModG, mazars, online abgerufen am 2.2.2022 unter: https://www.mazars.de/Home/ber-uns/Aktuelles/Nachrichten/Archiv-2021/ Neufassung-des-50d-Abs.-3-EStG.
49 VI INTERNATIONALE STEUERN
–
–
Hauptzwecke der Gestaltung die Erlangung eines steuerlichen Vorteils ist. Dabei werden sämtliche Umstände des Einzelfalls gewürdigt. Solche betriebswirtschaftlichen Vorteile könnten z. B. geringere gesellschaftsrechtliche und regulatorischen Anforderungen, einfacher Zugang zum Kapitalmarkt, politische Stabilität oder unternehmensfreundliches Klima sein.46
Es ist zu erwarten, dass der PPT schwierig zu erfüllen sein wird, da sich die Steuervorteile auch aus dem Steuerrecht des Ansässigkeitsstaates der an der Holding-Gesellschaft beteiligten Personen, bei in der Schweiz ansässigen Personen, also z.B. auch aus dem Schweizer Steuerrecht, ergeben können.47
Börsentest:
Ist die Hauptgattung der Aktien der Schweizer HoldingGesellschaft an einer anerkannten Börse kotiert und findet mit diesen Aktien ein regelmässiger Handel statt, so kann damit ebenfalls die Missbrauchsvermutung umgestossen werden.48 Ist nicht die Holding-Gesellschaft selbst an einer Börse kotiert, wird sie beispielsweise durch eine börsenkotierte Gesellschaft gehalten, so wird verlangt, dass diese börsenkotierte Gesellschaft im selben Staat wie die Holding-Gesellschaft ansässig ist – bei einer Schweizer Holding-Gesellschaft also in der Schweiz.
(iii) Was können Schweizer Unternehmen mit Beteiligungen in Deutschland tun?
Da die Ausführungen zum PPT im Gesetz und den dazugehörenden Erläuterungen und dem Merkblatt sehr knapp und darüber hinaus schwammig gehalten sind, empfehlen wir Schweizer Holding-Gesellschaften mit Beteiligungen in Deutschland, in erster Linie eine sachliche Entlastungsberechtigung anzustreben. Dafür sind die Beteiligungen aktiv zu verwalten und diese aktive Verwaltung ist mittels schriftlicher Dokumente gegenüber den deutschen Steuerbehörden nachzuweisen. Alternativ wäre allenfalls auch der Weg über eine deutsche Zwischenholding in der Rechtsform einer Personengesellschaft (Holding-KG) möglich, wobei hier wiederum sicherzustellen wäre, dass diese Holding-KG von den Schweizer Steuerbehörden als deutsche Betriebsstätte der Schweizer Holding-Gesellschaft anerkannt wird.49 Möglich wäre auch die Fusion der Schweizer Holdinggesellschaft mit einer aktiven Tochtergesellschaft, wenn keine anderen Gründe gegen eine solche Fusion sprechen, zumal das Holdingprivileg in der Schweiz ja nicht mehr besteht.
46 Vgl. Neufassung des § 50d Abs. 3 EStG («Anti-Treaty-Shopping») durch das AbzStEntlModG, mazars, online abgerufen am 2.2.2022 unter: https://www.mazars.de/Home/ber-uns/Aktuelles/Nachrichten/Archiv-2021/ Neufassung-des-50d-Abs.-3-EStG.
47 Vgl. Merkblatt zur Entlastungsberechtigung nach §50d Abs. 3 EStG des Bundeszentralamts für Steuern vom 1.6.2021, Ziff. 3.
48 Die BX Swiss und die SIX Swiss Exchange sind vom Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFIN) zugelassene Börsen und organisierte Märkte (vgl. Liste der zugelassenen Börsen und der anderen organisierten Märkte gemäss § 193 Abs. 1 S.1 NR. 2 und 4 des Kapitalanlagegesetzbuchs, online abgerufen am 12. Februar 2023 unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/ Auslegungsentscheidung/WA/ae_080208_boersenInvG.html).
49 Vgl. GmbH & Co. KG als attraktive Rechtsformalternative für eine deutsche Euro-Holding, Wolfgang Kessler, Max-Burkhard Zwosta in Steuer Revue 56/2001, S. 466 ff.
D) Entscheide
1 Amtshilfeverfahren
a) Verfahrensgegenstand und -stellung der betroffenen Person
Im ersten der zwei nachfolgenden Entscheide hat das Bundesgericht (BGer) in einem Leitentscheid die Grundsätze für ein Verbot der Weiterleitung von Informationen aufgrund der Preisgabe von Handels-, Industrie-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnissen oder Geschäftsverfahren der betroffenen Person konkretisiert. Im zweiten Entscheid geht es um die Frage der Weiterführung des internationalen Amtshilfeverfahrens in Steuersachen bei Tod der betroffenen Person.
Art. 25 Abs. 3 des Doppelbesteuerungsabkommens Schweiz / Peru (DBA CH / PE) gibt dem im Rahmen der internationalen Amtshilfe in Steuersachen ersuchten Staat die Möglichkeit, die Übermittlung von Informationen zu verweigern, welche ein Handels-, Industrie-, Gewerbeoder Berufsgeheimnis oder ein Geschäftsverfahren preisgeben würden. Der dieser Norm zugrundeliegende Gedanke ist die Verhinderung eines Missbrauchs des Informationsaustausches zu Zwecken der Wirtschaftsspionage und damit dem Schutz der steuerpflichtigen Person. Gemäss dem BGer50 verbiete das DBA CH / PE (bzw. Art. 16 Abs. 3 OECD-Musterabkommen) eine Weitergabe solcher Informationen aber nicht generell, sondern gibt dem ersuchten Staat die Möglichkeit, den Austausch einer wahrscheinlich relevanten Information zu verweigern. Der ersuchte Staat verfügt somit über einen gewissen Ermessensspielraum, um zum Schutz der Interessen des Steuerpflichtigen die erbetenen Auskünfte zu verweigern. Der Steuerpflichtige hat aber kein Recht, die Verweigerung der Weiterleitung der Informationen zu fordern und kann sich folglich auch nicht auf einen Verstoss der Geheimhaltungsvorschrift berufen. Ein solches Verbot zur Weiterleitung von Informationen, welche dem Handels-, Industrie-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnis unterstehen, kann sich hingegen aus den staatlichen Vorschriften (Gesetze oder Staatsverfassung) des ersuchten Staates ergeben. Vorliegend hatte das BGer letzteren Punkt nicht zu prüfen, da es sich bei den angefragten Informationen grösstenteils um Buchhaltungsunterlagen handelte, welche – so das BGer – naturgemäss keine Handels- oder Industriegeheimnisse enthalten.
Das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) hat mit Urteil A-6201/2020 vom 11. Januar 2022 entschieden, dass eine internationale Amtshilfe in Steuersachen auch betreffend verstorbene Personen erbracht werden kann.
50 STEUER UPDATE 2023
50 BGE 148 II 336 (franz.); Urteil des BGer 2C_481/2021 vom 19. Mai 2022.
Die vor BVGer beschwerdeführende Person starb nach Rechtshängigkeit der Beschwerde aber bevor eine Übermittlung der Informationen an die spanischen Behörden stattgefunden hat. Da die verstorbene Person am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen hatte und als Adressat von der Schlussverfügung der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) betroffen war, sei sie zur Beschwerdeführung legitimiert (gewesen). Das BVGer verwies auf Art. 18a StAhiG, wonach Amtshilfe betreffend verstorbene Personen geleistet werden könne und führte aus, dass die nach schweizerischem Recht fehlende Partei- und Prozessfähigkeit, welche mit dem Tod eintrete, nicht dazu führen dürfe, dass die Schweiz staatsvertraglich geschuldeten Amtshilfe-Leistungen nicht mehr nachkommen könne. Einer verstorbenen Person komme deshalb «Parteistellung» zu und das streitige Verfahren sei weiterzuführen.
b) Prüfung der voraussichtlichen Erheblichkeit der angefragten Informationen durch den ersuchten Staat
In den nachfolgenden drei Fällen stand die Frage im Zentrum, wieweit der Prüfungsumfang des ersuchten Staates (Schweiz) hinsichtlich der voraussichtlichen Erheblichkeit der angefragten Informationen reicht. Das BGer bekräftigte den Grundsatz, wonach die Verwertbarkeit der Informationen in einem Rechtsmittelverfahren des ersuchenden Staates geklärt werden müsse. Allerdings sei die voraussichtliche Erheblichkeit gegeben, wenn im Zeitpunkt der Gesuchstellung eine vernünftige Möglichkeit bestehe, dass sich die angefragten Angaben als erheblich erweisen werden. Schliesslich können sich auch Informationen als voraussichtlich erheblich erweisen, welche sich auf Dritte beziehen.
Das BGer51 bekräftigte in seinem Entscheid den Grundsatz, wonach ein Rechtsmittelverfahren betreffend die Verwertung der im Amtshilfeverfahren ersuchten Informationen in jenem Staat anzustreben sei, in welchem das entgegenstehende Recht (vorliegend die Verjährung einer zurückliegenden Steuerperiode) bestehe. Dies bedeute
Anders verhält es sich nur, wenn gewichtige Gründe bestehen, wie namentlich die Verletzung elementarer Verfahrensgrundsätze oder anderweitige schwerwiegende Verfahrensmängel im ausländischen Verfahren vorliegen.
Das BGer bekräftigte im Urteil 2C_455/2021 vom 31. Mai 2022 ferner den Grundsatz, wonach die Steuerbehörde des ersuchten Staats (vorliegend ESTV) nach der Edition der verlangten Unterlagen zu prüfen habe, ob die betreffenden Informationen für die Erhebung der Steuer voraussichtlich erheblich sind. Dem «voraussichtlich» komme dabei eine doppelte Bedeutung zu: Der ersuchende Staat müsse die Erheblichkeit voraussehen und deshalb im Amtshilfeersuchen geltend machen und der ersuchte Staat müsse nur solche Unterlagen übermitteln, die voraussichtlich erheblich sind. Die Voraussetzung der voraussichtlichen Erheblichkeit sei erfüllt, wenn im Zeitpunkt der Gesuchstellung eine vernünftige Möglichkeit besteht, dass sich die angefragten Angaben als erheblich erweisen werden. Vorliegend stützte das BGer den Entscheid des BVGer, wonach die Jahresrechnung und Steuererklärung der betroffenen Person voraussichtlich erheblich seien, da der ersuchende Staat daraus Rückschlüsse auf die konzerninternen Verrechnungspreise ziehen könne (vgl. auch Urteil des BGer 2C_282/2021 vom 15. Juni 2022).
Im vorliegenden Fall ersuchte ein ausländischer Staat um Amtshilfe bezüglich einer natürlichen Person, die Begünstigte eines Trusts ist, für den eine Gesellschaft bei einer schweizerischen Bank ein Konto hält.
wie vorliegend
dass die betroffene Person unter Umständen ein Rechtsmittelverfahren im ersuchenden (ausländischen) Staat anstreben müsse. Der ersuchte Staat habe das Verfahrensrecht des ersuchenden Staates, welches einer Verwertung der Informationen aus der Amtshilfe entgegenstehe, nicht zu prüfen. Die Prüfung der voraussichtlichen Erheblichkeit der ersuchten Informationen beschränke sich nämlich grundsätzlich auf eine Plausibilitätskontrolle. Ferner durfte der ersuchte Staat gestützt auf das völkerrechtliche Vertrauensprinzip annehmen, dass die erfragten Informationen auch bei einer drohenden Verjährung im ausländischen Staat noch nützlich sein könnten.
Umstritten und zu klären war in diesem Zusammenhang die Rechtsfrage, ob und in welchem Umfang Bankinformationen, die sich auf dieses Konto beziehen, voraussichtlich erheblich sein können. Das BGer hielt fest, dass die beschwerdeführende Person unstrittigerweise wirtschaftlich am Trust berechtigt sei.52 Der Umstand, dass es sich bei Informationen über Bankkonten eines Trusts im Prinzip um Informationen über einen Dritten handelt, stehe deren Übermittlung damit nicht entgegen, zumal der Trust selbst kein Rechtsmittel ergriffen hatte und die Beschwerdeführerin nicht dazu legitimiert sei, vorliegend dessen Interessen durchzusetzen. Die Prüfung der steuerrechtlichen Behandlung des Trusts und allfälliger Ausschüttungen im gegen die Beschwerdeführerin gerichteten ausländischen Steuerverfahren obliege zudem nicht den schweizerischen Behörden.
51 VI INTERNATIONALE STEUERN
–
–
51
Urteil des BGer 2C_662/2021 und 2C_663/2021 vom 18. März 2022.
52 Urteil des BGer 2C_936/2020 vom 28. Dezember 2021.
c) Beschwerdevoraussetzung vor dem Bundesgericht
Im ausgewählten Entscheid (Urteil des BGer 2C_282I2021 vom 15. Juni 2022) geht es um die Voraussetzung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung für die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vor BGer. Diese Voraussetzung prüft das BGer, bevor es auf die Beschwerde inhaltlich überhaupt eintritt und diese materiell behandelt. Vorliegend wurde der massgebenden Rechtsfrage eine grundsätzliche Bedeutung zuerkannt, weshalb das BGer auf die Beschwerde eingetreten ist.
Gemäss Art. 83 lit. h Bundesgesetz über das Bundesgericht (BGG) ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen Entscheide auf dem Gebiet der internationalen Amtshilfe grundsätzlich unzulässig. Eine Ausnahme besteht für internationale Amtshilfe in Steuersachen, sofern eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung besteht oder es sich aus anderen Gründen um einen besonders bedeutenden Fall handelt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ist regelmässig zu bejahen, wenn der Entscheid für die Praxis wegleitend sein kann – namentlich, wenn vor unteren Instanzen viele gleichartige Fälle zu beurteilen sein werden. Ferner, wenn es sich um eine erstmals zu beurteilende Rechtsfrage handelt, deren Entscheid für die Praxis wegleitend sein kann und von ihrem Gewicht her nach einer höchstrichterlichen Klärung ruft. Im vorliegenden Falle anerkannte das BGer die Frage betreffend die Übermittlung der Steuererklärung der betroffenen Gesellschaft in Verrechnungspreisfällen als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, da die ESTV ihre Praxis in diesem Punkt geändert hatte. Hintergrund ist, dass die vormalige Praxis der ESTV darin bestand, die Steuererklärungen der betroffenen Gesellschaften bei Anfragen ausländischer Staaten zum Thema Verrechnungspreise nicht von sich aus zu übermitteln. Mittlerweile – so die ESTV – würden die ersuchenden Staaten regelmässig um die Herausgabe der Steuererklärung der betroffenen Gesellschaften ersuchen, weshalb die ESTV ihre Praxis angepasst hat und solchen Gesuchen um Herausgabe der Steuererklärungen grundsätzlich stattgibt.
Weitere Informationen
VISCHER ist ein unabhängiges Schweizer Anwaltsbüro mit über 100 Anwältinnen und Anwälten und Steuerexpertinnen und -experten. Zu unserer nationalen und internationalen Klientschaft zählen sowohl namhafte Unternehmen wie auch vermögende Privatpersonen.
Die angesprochenen Themen sind nur in gedrängter Form dargestellt. Die Lektüre ersetzt eine gründliche Rechtsberatung nicht. Sollten Sie im Einzelfall Beratungs- oder Handlungsbedarf haben, würden wir uns freuen, wenn Sie Ihren vertrauten Anwalt bei VISCHER ansprechen oder sich direkt beim Steuerteam melden.
52 STEUER UPDATE 2023
Kontaktpersonen
Nadia Tarolli Schmidt
Advokatin und dipl. Steuerexpertin
T +41 58 211 33 54 ntarolli@vischer.com
Christoph Niederer Rechtsanwalt und dipl. Steuerexperte
T +41 58 211 34 37 cniederer@vischer.com
Dr. Tobias F. Rohner
Rechtsanwalt und dipl. Steuerexperte
T +41 58 211 34 76 trohner@vischer.com
Weitere Mitglieder des Steuerteams
Erwin R. Griesshammer Rechtsanwalt
T +41 58 211 34 43 egriesshammer@vischer.com
Adrian Briner
Dipl. Wirtschaftsprüfer und dipl. Steuerexperte
T +41 58 211 32 18 abriner@vischer.com
Patrik Fisch
MLaw HSG, MAccFin HSG und dipl. Steuerexperte
T +41 58 211 34 31 pfisch@vischer.com
Adrian Hayato Mangold
MLaw
T +41 58 211 32 46 amangold@vischer.com
Philipp Flückiger
Treuhänder mit eidg. Fachausweis
T +41 58 211 39 48 pflueckiger@vischer.com
Nora Heuberger
Advokatin, CAS Sozialversicherungsrecht
T +41 58 211 32 06 nheuberger@vischer.com
Beatrice Leistner
Rechtsanwältin und dipl. Steuerexpertin
T +41 58 211 36 31 beatrice.leistner@vischer.com
Dr. Bruce G.A. Pollock
MLaw
T +41 58 211 34 98 bpollock@vischer.com
Hubert Steffen
Treuhänder mit eidg. Fachausweis
T +41 58 211 32 01 hsteffen@vischer.com
Philipp Tschenett
M.A. HSG in Law & Economics
T +41 58 211 36 15 ptschenett@vischer.com
Jannick Walleser
MLaw
T +41 58 211 32 51 jwalleser@vischer.com
Cindy Wehrli
Fachspezialistin Treuhand
T +41 58 211 32 38 cwehrli@vischer.com
53 KONTAKTPERSONEN | WEITERE INFORMATIONEN
Schützengasse 1
Postfach 8021 Zürich
Schweiz
T +41 58 211 34 00
Aeschenvorstadt 4
Postfach 4010 Basel Schweiz
T +41 58 211 33 00
Rue de Cloître 2 -4
Case postale 1211 Genève 3
Suisse
T +41 58 211 35 00
54 VISCHER.COM SWISS LAW AND TAX