ZU FUSS DURCH TARTU: ARCHITEKTUR / LITERATUR

Page 1

ARCHITEKTUR

ZU FUSS DURCH TARTU LITERATUR


Tartu gilt in der Architekturgeschichte als klassizistische Stadt. Dank der 1802 wiedereröffneten Universität wurde Tartu auf dem Höhepunkt des Klassizismus zur geistigen Hauptstadt des Landes. Die Zeit ist jedoch nicht stehen geblieben und bis heute sind verschiedene Modeströmungen in die Baukunst von Tartu eingeflossen. Beim Spaziergang auf den Spuren der Architektur in und um den Altstadtkern findet man stilvolle und prächtige Gebäude aus zwei Jahrhunderten bis heute. Tartu ist auch eine Stadt der Kultur und Bildung mit starken Traditionen, die hiesige Literaturszene ist vielfältig. Traditionen werden gewahrt, gleichzeitig bleibt Raum für neue Ideen. Seit 2015 gehört Tartu zum UNESCO Netzwerk kreativer Städte. Die literarische Route richtet sich an Literatur- und Kulturinteressierte und ist in voller Länge am besten zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu erkunden. Wir wünschen viel Spaß beim Entdecken der Stadt!

Stadtverwaltung Tartu 2017, www.tartu.ee Text: A. Paatsi, L. Kängsepp, Artwerk Übersetzung: U. Kührt Fotos: A. Andresen, T. Grihin, T. Haud, K. Ilves, K. Kaldoja, I. Kruusamägi, M. Lokk, L. Lukka, K. Paalits, I. Parik, M. Toom, A. Tralla, M. M. Vaabel; J. Voolaid, Artwerk: O. Helm, K. Kutsar, A. Pluum, L. Vuks, www.visitestonia.com, www.visittartu.com, Archiv der Stadtverwaltung Tartu, et.wikipedia.org Gestaltung: Artwerk


AUF DEN SPUREN DER ARCHITEKTUR Beginn: Rathausplatz. Ende: Markthalle. 2 Stunden 7,6 km 10 000 Rathausplatz – Ülikooli-Straße – Jaani-Straße – Lutsu-Straße – Jakobi-Straße – Veski-Straße – Abstecher zu Kreutzwaldi 6 – Veski-Straße – Näituse-Straße – Kastani-Straße – J. Tõnissoni-Straße – J. Kuperjanovi-Straße – Pepleri-Straße – Õpetaja-Straße – Vanemuise-Straße – Riia-Straße – Era-Straße – Väike-Tähe-Straße – Tähe-Straße – Lille-Straße – Kalevi-Straße – Soola-Straße – Sadama-Straße – Väike-Turu-Straße – Soola-Straße – Vabaduse Allee.

1. Das Rathaus (Raekoja plats 1a) Das frühklassizistische Gebäude mit dem hohen Walmdach wurde nach dem Entwurf des Rostocker Baumeisters J. H. B. Walter 1789 fertiggestellt. Das dreistöckige Gebäude mit seinen Gewölbedecken weist sowohl in der Außen- als auch der Innengestaltung klassizistische Verzierungen auf. Die Fassade wird durch Pfeiler, Lisenen und Karniese aufgegliedert. Den von der Vorderseite hervorspringenden Risalit krönt ein Schmuckgiebel mit ovalem Fenster. Das für Bedienstete gedachte Erdgeschoss ist von den oberen Stockwerken an der Fassade durch ein Steinsims abgesetzt, was die unterschiedliche Nutzung der Stockwerke betont. Auf der Mittelachse am Ende der hohen Steintreppe liegt eine klassizistische zweiflügelige Eingangstür, die von Girlanden und Rosetten verziert ist. Im dritten Stock befindet sich der Ratssaal mit seinem prächtigen Stuckdekor. Als Erbe der Barockzeit prangt ein ausladender Glockenturm auf dem Dach. 2. Der Rathausplatz

Der Platz wird von hohen Steinhäusern eingefasst, die, wie das Rathaus, nach dem verheerenden Brand von 1775 erbaut wurden. Die Häuser an der Nordseite des Platzes haben die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges überstanden. Charakteristische Beispiele für den klassizistischen Baustil sind die

1 2


4

Gebäude Raekoja plats 8, 12, 16 und 18. An ihren Fassaden sieht man alle Einzelheiten, die diesen Stil ausmachen: Dreiecks- und Stufengiebel, Wandpfeiler und Halbsäulen, hängende Kränze im Stuckdekor, Reliefs mit Akanthus-Ornamenten, Karniese, Spiralmäander und doppelflügelige Eingangstüren. Die meisten Gebäude auf der Südseite des Platzes wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört, an ihrer Stelle wurden Anfang der 1950er Jahre Häuser im stalinistischen Stil errichtet.

3. Das schiefe Haus (Raekoja plats 18) Dieses Haus ist das eigentümlichste und auffälligste Gebäude an der Nordseite des Platzes. Das 1793 erbaute repräsentative klassizistische Wohnhaus schloss bis 1877 die Hausreihe auf der rechten Seite ab. Die dem Fluss zugewandte Längsseite des auf ein schmales Grundstück gebauten Hauses wurde auf die Überreste der mittelalterlichen Stadtmauer gesetzt, die andere Seite auf einen Untergrund aus Pfählen. Die Altstadt, die am Ufer des Flusses Emajõgi auf sumpfigen Untergrund gebaut ist, stützt sich zumeist auf Holzflöße. Der während der Jahrhunderte gesunkene Wasserspiegel führte zur Verrottung des Holzes und so ist das Haus ungleichmäßig abgesunken. Der Neigungsgrad des Hauses beträgt 5,8 Grad, mehr als beim Turm von Pisa. Neben seiner Schiefe bleibt das schöne Außendekor des Hauses oft unbemerkt. Die schmiedeeiserne Empore auf der Stirnseite zum Markt hin, die Wandpfeiler mit Kanneluren und dem Triglyphenfries unter dem Dachkarnies sowie der Zahnfries sind klassizistische Schmuckelemente. Die Hauptfassade des Gebäudes geht allerdings zur Kompanii-Straße hin, wo die dreieckigen Giebel über den Fenstern das Mittelrisalit betonen. Das (Un)gleichgewicht kann man auch innerhalb des Hauses erleben, seit 1988 befinden sich hier die Ausstellungssäle des Tartuer Kunstmuseums.


3 56

4. Das Hauptgebäude der Universität (Ülikooli 18)

Das Hauptgebäude wurde in den Jahren 1804–1809 nach dem Entwurf des Professors für Zivilarchitektur J. W. Krause erbaut. Das großzügige klassizistische Werk ist von der Straße abgesetzt und liegt wie ein antiker Tempel höher als seine Umgebung. Sechs toskanische Säulen und die Säulenhalle mit ihrem Dreiecksfrontgiebel verleihen dem schlichten dreistöckigen Gebäude Eleganz. Zwischen dem zweiten und dem dritten Stockwerk wird die Außenwand von Reliefs mit Akanthus-Motiven verziert, was dem Gebäude noch mehr Pracht verleiht. Das Gebäude ist Symbol der Stadt und der Universität, das die Architektur in Estland zu Beginn des 19. Jahrhunderts stark beeinflusst hat.

5. Das Universitätscafé (Ülikooli 20)

Aus dem alten Barockwohnhaus wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts das ausdrucksvollste Neorenaissance-Gebäude Tartus. Der Architekt O. Mohr entwarf das Gebäude 1876 auf Wunsch von E. von Nolcken als dessen Familienstadthaus. Vom Sockel an erheben sich zwei Stockwerke und ein Halbstockwerk, das Dach hat eine auffallend breite Traufe, die sich auf Konsolen stützt; die Rundbogenfenster, die renaissanceartig als Doppelfenster konzipiert sind, imitieren die Fassaden italienischer Renaissance-Palazzi. Die Innenarchitektur wurde stark verändert, nachdem das Haus 1924 als Studentenhaus aufgekauft wurde.

6. Ülikooli 21

In dem Eckhaus mit seiner schlichten Fassade und den massiven Wänden lebte 1843–1848 der Philologe und Schriftsteller


Fr. R. Faehlmann. Die Fassade zur Ülikooli-Straße hin weist eine der stilvollsten frühklassizistischen Eingangstüren in Tartu auf, die Tür ist wie zwei Pfeiler gestaltet, deren Sockel von amphorenförmigen Urnen verziert werden.

7. Das Tampere-Haus (Jaani 4) Bei dem frühklassizistischen Holzhaus sind Umfang und Form des Gebäudes aus dem 18. Jahrhundert erhalten, sowie die etwas später entstandenen Holztreppen und die im sog. Tartuer Stil gestalteten Innentüren mit ihren Holzornamenten. Die Außenfassade wird von Fenstern mit Fensterläden und einer doppelflügeligen klassizistischen Paradetür geprägt, die der Tischlermeister A. Ph. Paul nach dem Vorbild französischer frühklassizistischer Muster angefertigt hatte (wie auch beim Rathaus). Auf beiden Flügeln prangt ein Wandpfeilermotiv und in der Mitte auf dem Sockel eine Urne.

8 9

8. Das Haus der Prinzessin von Kurland

(Ecke Jaani- und Lüübeki-Straße) Das Haus, das zum Gebäudekomplex des Treffner-Gymnasiums gehört, wurde 1772 erbaut und wurde beim Großbrand 1775 kaum beschädigt. Nach 1784 gehörte das Haus für einige Zeit der Prinzessin von Kurland, H. E. Biron. Besonders reich verziert ist die Fassade zur Jaani-Straße hin, aber auch die der Kirche zugewandte Seite. Charakteristisch sind die klassizistischen Details: Kränze, Porträtmedaillons, sog. Tropfenornamente unter der Gipsumrahmung der Fenster. Einen weiteren Schmuck der Fassade stellt die doppelflügelige Eingangstür im klassizistischen Design dar.

9. Die Johanniskirche (Jaani 5)

Die ältesten Teile des Kirchengebäudes mit seiner verwickel-


ten Baugeschichte stammen aus dem 14. Jahrhundert. Die basilikaartige Backsteinkirche im gotischen Stil ist eine Besonderheit in ganz Europa. Sowohl innen als auch außen schmücken die Kirche individuelle Terrakottaskulpturen. Anfangs gab es ihrer etwa zweitausend, heute werden in den Archiven knapp eintausend 700 Jahre alte Exemplare aufbewahrt. Eine Auswahl gesäuberter und konservierter Figuren ist in der Kirche im Seitenschiff ausgestellt. Die Kirche hat im Nordischen Krieg gelitten und lag im Kriegssommer 1944 in Ruinen, doch wurde sie stets wiederaufgebaut. Die meisten Terrakottafiguren wurden jedoch in den Jahren 1820–1830 zerstört, als man versuchte, das Kircheninnere in einen antiken Tempel umzugestalten und man die hervorstehenden Figuren abschlug oder einmauerte.

7

9

10. Holzhäuser in der Lutsu-, Jaani- und Lai-Straße

(Lutsu 2 und 8, Jaani 7 und 16, Lai 24) Die ältesten Holzhäuser Tartus, die im 18. Jahrhundert erbaut wurden, blieben vom Großbrand von 1775 verschont. Es sind einfache, eingeschossige Häuser mit barocken Walm- und Halbwalmdächern oder frühklassizistischem Bauplan, in denen auch die Mantelschornsteine noch erhalten sind. Im Keller des Theaterhauses des Spielzeugmuseums (Lutsu 2) ist der mittelalterliche Warmluftofen erhalten, der auch ausgestellt ist. Dasselbe Haus hat die älteste, noch erhaltene ursprüngliche Eingangstür von Tartu.

11. Jakobi 25

Dieses Wohnhaus, das vom Büro „HG Arhitektuur OÜ“ entworfen wurde, trägt den Titel des besten Tartuer Bauwerks 2015 und fügt sich gut in die historische Umgebung ein.

10


12. Jakobi 52

Am Hang in der Jakobi-Straße erhebt sich ein historizistisches Wohnhaus aus dem Jahre 1902 mit einem großzügigen Aussichtsturm und einer verglasten Veranda. Das Gebäude ist mit üppigen Holzschnittornamenten verziert und die Fassade schmückt ein Beischlag mit Säulen. Erhalten ist auch das Einfahrtstor mit Bogensturz mit einem doppelten schmiedeeisernen Tor.

13. Die katholische Kirche (Veski 1a) Die Kirche wurde in den Jahren 1862–1899 nach dem Vorbild einer Kirche in Hannover gebaut. Die aus rotem Backstein gemauerte Kirche ist ein spätes Bauwerk der Neugotik in Estland, mit Strebepfeilern und einem mächtigen vierflächigen Glockenturm. 14. Veski 5

Die Villa aus dem Jahre 1927 im späten Heimatstil hat einen freien Bauplan. Das Wohnhaus hat ein Mansardenstockwerk und wird durch eine bogenförmige Veranda und Fenster in verschiedenen Formen und mit bunter Verglasung bereichert.

15. Die Villa Tammekann

(Empfehlenswerter Abstecher, Fr. R. Kreutzwaldi 6) Das Wohnhaus wurde 1932 von dem berühmten finnischen Architekten A. Aalto für die Familie des Geografieprofessors an der Universität Tartu A. Tammekann entworfen. Das Hauptaugenmerk des funktionellen Gebäudes mit seinem asketischen Flachdach liegt auf der Wirkung der Innenräume und dem räumlichen Interesse. In der unteren Etage sind Flur, Halle, Wohnzimmer, Bibliothek und Esszimmer miteinander verbunden und ein besonderes Bandfenster spannt sich über einem Kamin über die gesamte Breite des Zimmers. Die Fassa-

15

12


de geht – wie bei anderen Gebäuden von Aalto – von den Innenräumen aus. Die Außenfassade erhält durch Balkone und eine Pergola ihren Akzent. Die Geschichte des Gebäudes ist kompliziert. Die Familie Tammekann hat es nie ganz fertiggestellt und beim Bau wurde aus mehreren Gründen von Aaltos Entwurf abgewichen. Die vor dem Krieg geflohene Familie bekam das Haus 1990 in schlechtem Zustand zurück. Während der Sowjetzeit hatten dort 6-8 Familien gewohnt. 1998 kaufte die Stiftung der Universität Turku das Gebäude von Tammekanns Kindern auf und das Wohnhaus wurde möglichst genau nach Aaltos ursprünglichen Zeichnungen rekonstruiert. Heute beherbergt das Haus das Kooperationszentrum der Universitäten Turku und Tartu – das Granö Zentrum.

16. Das Baer-Haus (Veski 4) Das Wohnhaus wurde 1866 fertiggestellt und gehörte dem Mediziner und Naturforscher K.E. von Baer. Heute befinden sich hier das Baer-Museum und andere Einrichtungen. Das Haus ist eines der wenigen noch erhaltenen spätklassizistischen einstöckigen Holzgebäude mit einem Kniestock. Die Fassade wird durch ein Mittelrisalit mit einem Dreiecksgiebel charakterisiert. Auf der dem Kassitoome-Tal zugewandten Seite steht eine schöne Veranda mit vier runden Säulen, die den Balkon des oberen Stockwerks stützen. Das Wohnhaus liegt etwas abseits der Straße und hat eine bogenförmige Einfahrt, wie sie für Landgüter typisch ist. 17. Das Haus der Studentenverbindung Livonia

(Veski 13) Das Haus war das erste seiner Art und wurde 1893 nach dem Entwurf des Architekten der Universität R. Guleke fertiggestellt. Es ist ein typisches Beispiel für Backsteinklassizismus und das Werk Gulekes. Das Gebäude mit seinem einfachen Grundriss hatte ursprünglich ein Mittelrisalit mit Dreiecks-

14

16

13


17

18

frontgiebel und war drei Stockwerke hoch. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Haus in zwei Stockwerke umgebaut.

18. Veski 6

Historizistische Villa, die der Petersburger Architekt Prof. V. Schröter 1881 als Wohnhaus für den Eisenbahningenieur P. von Götte entworfen hatte. Die üppig gestaltete Hauptfassade blickt auf das Kassitoome-Tal. In der Silhouette des Gebäudes dominiert die wohlgeformte Spitze des dreistöckigen Türmchens. In der Außengestaltung wurden viele verschiedene eklektisch wirkende Bauelemente verwendet: Balkone, Nischen, Simse, Halbsäulen mit Kapitellen.

19. Das Deutsche Kulturinstitut Tartu (Kastani 1) Das Haus wurde 1902 als Konventsgebäude der Studentenverbindung Neobaltia nach dem Entwurf des Architekten R. von Engelhardt erbaut. Man befolgte die Tradition einer Villa im deutschen Heimatstil: betonte Asymmetrie, eine dekorative Fachwerkkonstruktion, ein Turm mit einer breiten Traufe, üppige Holzschnittornamente. Die ursprüngliche Anordnung der Innenräume wurde geändert, doch die Gestaltung des Interieurs im Jugendstil blieb erhalten. 20. Mietshäuser in der Kastani-Straße

(Kastani 3, 5, 9, 11, 17, 19, 21, 23, 25) Die Häuser wurden im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts errichtet. Die zweistöckigen Mietshäuser mit ihren üppigen Holzdekorationen bilden auf kleinem Raum ein einheitliches Ganzes. Es lohnt sich, auch einen Blick in die Hinterhöfe zu werfen, denn nicht alle Häuser stehen direkt am Straßenrand und es lassen sich erstaunlich guterhaltene Details entdecken:


20

19 21

schöne Eingangstüren im Jugendstil, Beischläge auf Säulen, Erker und Glasveranden und natürlich Holzschnittornamente, die sowohl die Vorder- als auch Hinterfassaden schmücken.

21. Das Haus des Vereins Studierender Esten

(J. Tõnissoni 1) „Ein Haus als Symbol,“ so hat der Architekturhistoriker A. Hein dieses Gebäude beschrieben. Das Konventsgebäude wurde 1901–1902 nach den Entwürfen von G. Hellat, einem der ersten Bauingenieure estnischer Herkunft, erbaut, doch der ursprüngliche Entwurf stammte von K. Menning, Mitglied des Vereins Studierender Esten und dem späteren Leiter und Regisseur des Theaters Vanemuine. Die Außenfassaden des Gebäudes mit seinem aufgegliederten Grundriss und dem hohen mehrteiligen Zeltdach sind üppig verziert. Die rote Backsteinwand wechselt sich mit weißen, verputzten Flächen ab, das Bogenfenster, die in Gruppen angeordneten hohen Fenster und der bogenförmige Haupteingang bilden eine unruhige, aber angenehme Fassade. Gekrönt wird das ganze von den rot-weiß gemusterten Friesen, die von estnischen Gürtelmustern inspiriert sind. In den 1920er Jahren wurden der Saalflügel an der Kastani-Straße und der Gebäudeteil zum Hinterhof angebaut. Das Gebäude hat auch eine bemerkenswerte Innendekoration.

22. Das Gebäude des Miina-Härma-Gymnasiums

(J. Tõnissoni 3) Das für das erste estnischsprachige Gymnasium gebaute Haus wurde unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg nach dem endgültigen Entwurf von G. Hellat fertiggestellt. Das Schulhaus


im neoklassizistischen Stil ist ein Symbol für die estnische Bildungsgeschichte.

23. J. Kuperjanovi 9

Der Architekt des ehemaligen Eisenbahnerklubs ist A. Amjärv. Das Haus wurde 1962 im damals verbreiteten Design quaderförmig mit einem großen Klubsaal und kleineren Ausstellungsund Vortragssälen gestaltet. 1993 wurde das Klubhaus dem Est-

24

nischen Nationalmuseum übergeben, das unter Raummangel litt, bis das neue Museumsgebäude 2016 fertiggestellt wurde.

24. Das Haus der Studentenverbindung Sakala

(Veski 69) Das Gebäude im Jugendstil wurde von dem berühmten finnischen Architekten A. E. Lindgren entworfen, Co-Architekt war W. Lönn. Die beiden hatten auch die Gebäude des Theaters Vanemuine (in der Vorkriegszeit) und des Theaters Estonia in Tallinn entworfen. Das quadratische, schlichte und elegante Gebäude mit seinem hohen Mansardendach wurde 1911 fertig. Das Haus hat einen auffallenden Eingang zum einstöckigen seitlichen Anbau, die Gartenfassade wird von einer bogenförmigen Terrasse und einem runden Vorsprung mit Balkon dominiert. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Haus von einer Bombe getroffen und brannte nieder. Beim Wiederaufbau wurden der Bauplan und die Fassade des Gebäudes geändert, später


wurden die ursprüngliche Form des Daches und die Außengestaltung im Jugendstil wiederhergestellt.

25. Das Haus der Studentenverbindung Ugala

(J. Kuperjanovi 16) Das repräsentative funktionalistische Gebäude, das der legendäre Stadtarchitekt A. Matteus entworfen hatte, wurde unmittelbar vor dem Krieg fertig – 1939. Das schlichte Äuße-

23

25

22

re wird von dem Treppenhaus und seinen Hochkantfenstern sowie von den schlanken Saalfenstern auf der Straßenseite, die durch ein oberes Gesims zusammen gehalten werden, geprägt. Erhalten sind die doppelflügelige Eingangstür und mehrere Elemente der Innengestaltung.

26. Der Kindergarten Naerumaa (Pepleri 1a)

Der Kindergarten, der vom Architekturbüro Boa entworfen und 2017 errichtet wurde, ist ein Fast-Nullenergiehaus mit Solarzellen auf dem Grasdach. Die Landschaft des Innenhofes ist genau wie die Innenräume kinderfreundlich und interessant gestaltet.

27. Die Marienkirche (Pepleri Street 1)

Die erste für eine estnische Gemeinde erbaute Kirche in Tartu ist im spätklassizistischen Stil gehalten und wurde in den Jahren 1836–1842 nach dem Entwurf von G. F. W. Geist errichtet. Während des Zweiten Weltkriegs brannte die Kirche ab, 1961




wurde sie in eine Turnhalle umfunktioniert und der sich stufig verschlankende Turm wurde abgerissen. Die Bogenfenster und Kranzgesimse sind noch erhalten. Die Kirche soll nach dem Entwurf „NOA“ des Architekturbüros „Koko arhitektid OÜ“ wiederaufgebaut werden.

Wenn Ihre Beine müde sind, können Sie an dieser Stelle den Weg ein kleines Stückchen zurückgehen und entlang der Vallikraavi-Straße wieder in die Stadt zum Startpunkt des Spaziergangs zurückkehren. Wer aber Interesse und Elan hat, kann den Spaziergang noch ausdehnen.

28. Das Wasserturm-Wohnhaus (Õpetaja 9)

Auf dem höchsten Plateau von Tartu steht ein ansehnliches Versorgungsbauwerk mit neoklassizistischer Fassade, das 1939–1940 nach dem Entwurf von V. Tippel gebaut wurde. In den ersten sechs Stockwerken befinden sich Wohnungen und Büros, den in 23,5 Metern Höhe liegenden Wassertank umgeben – dem klassizistischen Stil entsprechend – korinthische Halbsäulen.

29. Das Institutsgebäude (Vanemuise 46) Das große, strenge, symmetrische neoklassizistische Gebäude steht gegenüber dem ehemaligen Garten des Deutschen Handwerkervereins (dem Vanemuise-Park) an der Straße. Das Haus wurde in den Jahren 1912–1914 als Lehr- und Museumsgebäude der Universität gebaut. Die Fassade wird von Mittelund Seitenrisaliten, Pfeilern und einem Giebeldreieck geziert. Auf der Rückseite des Gebäudes befindet sich zwischen den Seitenflügeln ein steil aufsteigender Hörsaal. Im Haus befindet sich auch das Naturkundemuseum der Universität Tartu, das man von der geräumigen Eingangshalle aus mit dem Lift

28


erreicht und dessen Wand das große Secco-Gemälde „Serata Vitae“ von I. Malin schmückt.

30. Das kleine Haus des Theaters Vanemuine

(Vanemuise 45a) Das erste, allen Ansprüchen genügende Theatergebäude der Stadt, das Gebäude des ehemaligen Deutschen Theaters in Tartu und das größte Jugendstilgebäude von Tartu, wurde in den Jahren 1914–1918 gebaut. Der endgültige Bauplan stammt vom Stadtarchitekten A. Eichorn, der ihn auf der Grundlage der prämierten Beiträge eines Architekturwettbewerbs entworfen hatte. Bei dem Wettbewerb wurden 52 Vorschläge eingesandt! Das stufige Haus mit seinem für Tartu typischen klassizistischen Dekor und verschiedenförmigen Schieferdächern fügt sich gut in den nebenan liegenden Park ein. Die Hauptfassade ähnelt der eines Schlosses: eine breite Treppe aus Stein, zwischen den Fenstern hohe Säulen, die in mit Ähren verzierten Kapitellen enden. Charakteristisch für den Jugendstil sind auch die kleinen runden Balkone mit den schmiedeeisernen Geländern, der Bogengiebel mit dem runden Fenster und die Verzierung mit Girlanden. Beinahe zur Perfektion gebracht wurde die Architektur des Hauses nach der Renovierung 2014. Auch im Inneren des Hauses finden sich Jugendstilelemente und die blau-schwarz-weiße Farbwahl macht einen eleganten Eindruck.

31. Die Pauluskirche (Riia 27)

Das monumentale und großzügige Backsteingebäude ist im finnischen nationalromantischen Jugendstil gebaut. Die Kirche wurde 1913 von E. Saarinen, dem anerkanntesten finnischen Architekten des angehenden 20. Jahrhunderts, entworfen. Trotz der schwierigen Zeiten wurde die Kirche mit ihrem kreuzförmigen Grundriss 1917 fertiggestellt (die Innenaus-

30

29

31


stattung 1919). Die von der Straße abgesetzte Hauptfassade wirkt aufgrund ihres stufenförmigen Portals aus Beton, dem mächtigen breiten Turm und den hängenden Erkern ein wenig schwerfällig. Von den ursprünglich geplanten Seitenflügeln wurde 1931 nur der auf der linken Seite fertig. Im Zweiten Weltkrieg brannte die Kirche ab. Der Wiederaufbau der Kirche unter den Bedingungen der Sowjetherrschaft war schwierig und zeitaufwendig. Als Sakralgebäude vollständig fertig wurde die Kirche erst 2015.

32. Era 1 und Era 2

Villen im Heimatstil, die 1912 ( Era 1, Ingenieur V. Kessler) und 1913 (Era 2, Architekt E. Grannts) gebaut wurden. Beide Häuser haben dem Stil entsprechend ein Mansarddach und eine lebhafte Fassade.

33. Die Villa Margaretha (Tähe 11)

Das repräsentative jugendstil-historizistische Holzwohnhaus hat einen prächtigen Turm mit Bogenfenstern, eine bunt verglaste Veranda und Fachwerkimitation. Das Eckhaus an der Straßenecke Tähe und Väike-Tähe ist der ältere Teil, erbaut

32

36

1911–1919. Der Anbau mit dem Café wurde ein Jahrzehnt später hinzugefügt. Die Gebäude, die während der Sowjetzeit eine schwierige Geschichte durchgemacht haben, wurden renoviert und in ein gemütliches kleines Hotel mit poetischer Jugendstileinrichtung umfunktioniert.

34. Das Verbindungshaus (Tähe 3)

Das neoklassizistische Verbindungshaus wurde von der Studentenverbindung Estonia in Auftrag gegeben und 1886 vom


Universitätsarchitekten R. Guleke entworfen. Das Gebäude trägt Gulekes Handschrift: ein unverputztes Backsteingebäude, ein stufiges Mittelrisalit und ein Dreiecksgiebel. Klassizistische Elemente sind auch das Hauptportal und der Balkon mit den zwei Rundsäulen. In den 1930er Jahren kaufte die Studentenverbindung Rotalia das Haus, in ihrem Besitz ist es auch heute.

35. Das Naturhaus Tartu (Lille 10) Das dreiflügelige Gebäude mit seinen energiesparenden Passivhaus-Elementen wurde von der Firma „Karisma arhitektid OÜ“ entworfen und es wurde 2012–2013 erbaut. Die umliegende Landschaft wurde bei der Projektierung gut erhalten und ausgenutzt – das Haus fügt sich nahtlos in den Park ein. Beim Bau wurden widerstandsfähige und umweltfreundliche Materialien und Technologien eingesetzt. 36. Das Zentrum für Kreativwirtschaft (Kalevi 13) Die Steinvilla im Heimatstil wurde 1913 nach dem Entwurf des Ingenieurs V. Kessler als Wohnhaus für eine Arztfamilie errich-

33

34

tet. Die hohen Mansarddächer, die prächtige Steintreppe und der auf Säulen ruhende Balkon darüber sind der Jugendstilarchitektur entlehnt. Das Haus war Vorbild für mehrere zur selben Zeit entworfene Gebäude in Tartu.

37. Das Wissenschaftszentrum AHHAA (Sadama 1)

Das Gebäude mit seiner konstruktivistischen Architektur wurde vom Architekturbüro „Künnapu ja Padriku“ entworfen. Das Haus hat ein Gerüst aus Stahlbeton, die auf mehreren Ebenen liegenden Ausstellungssäle haben unterschiedliche Formen

37

35


und daher hat auch das Haus unterschiedliche Dachkonstruktionen (eine Kuppel, eine Halbkuppel und ein Kasten). Unter der silbernen Kugel steht das vollsphärische Planetarium aus dem Gebäude hervor. Das Zentrum öffnete seine Türen am 7. Mai 2011.

38. Der Schneckenturm (Väike-Turu 5) Das Landzeichen von Tartu, das höchste Gebäude der Stadt, ist ein Wohnhaus aus Stahlbeton mit 23 Stockwerken, das als Grundriss die Form eines Schneckenhauses hat. An den Turm schließt sich ein dreistöckiges Parkhaus an. Zusammen mit dem AHHAA-Wissenschaftszentrum bildet das Haus ein harmonisches Tandem – beide wurden vom selben Architekturbüro entworfen. Das Gebäude wurde 2007 fertiggestellt.

41

39. Das Emajõe Geschäftszentrum und das Einkaufszentrum Tasku (Soola 8 / Turu 2)

Das erste „Hochhaus“ von Tartu, ein 14-stöckiges beeindruckendes Bürogebäude, wurde bereits 1998 von der Firma AS Estiko entwickelt und bekam aufgrund seines Aussehens sofort den Spitznamen „Plasku“ (dt. Flachmann). Das Geschäftsund Freizeitzentrum Tasku kam 2008 hinzu, seine Erweiterung 2012. Zu diesem Komplex gehört auch das Hotel Dorpat. Mit den großen Glasflächen machen die Gebäude einen großstädtischen Eindruck.

40. Das Einkaufs- und Freizeitzentrum Kvartal (Riia 2) Das neueste Einkaufs- und Freizeitzentrum der Stadt wurde 2016–2017 fertig. Das Haus hat sieben Stockwerke, von denen drei unterirdisch liegen, und erstreckt sich über eine Fläche von einem Hektar. Die unterschiedlichen Baumaterialien und die vielen Türen unterteilen die Fassade visuell, so dass das Gebäude wie viele einzelne Häuser wirkt. Im obersten Stockwerk liegt die größte Spa-Landschaft Tartus. Das Gebäude wurde von der Firma „Kadarik Tüür Arhitektid OÜ“ gestaltet. 41. Die Markthalle (Vabaduse pst 1) Die Markthalle ist ein großes funktionalistisches öffentliches Gebäude aus dem Jahr 1937. Das basilikaartige, von tos-


kanischen Halbsäulen umgebene Haus lässt seine einfache Funktion als Marktgebäude kaum erahnen. Die Markthalle hat zwei Säle: die große und hohe Fleischhalle und die daran angeschlossene niedrigere Fischhalle. Auf dem Markt wird eifriger Handel betrieben, trotz der mehreren Supermärkte auf den anderen Seiten der Kreuzung. 2008 wurde vor das Marktgebäude zum 70. Jubiläum des Marktes die Skulptur „Bronzeschwein“ von M. Karmin aufgestellt, auf dessen Sockel ein Gedicht von I. Hirv und ein Schema der Fleischteile des Schweins abgebildet sind. Das Schwein steht für Reichtum und den Handel.

40

Sie sind nun wieder im Herzen der Stadt angelangt. Hier am Flussufer können Sie beim Betrachten der gemächlichen Strömung an alle früheren Generationen zurückdenken, die diese schöne Stadt erschaffen haben.

AUF DEN SPUREN DER LITERATUR Beginn und Ende: Rathausplatz (Raekoja plats). 1,5 Stunden 3,9 km 5200 Rathausplatz – Ülikooli-Straße – die sog. Professorenallee hinauf auf den Domberg – von den Tennisplätzen zur K. E. von Baer-Straße – Vallikraavi-Straße – Pepleri-Straße – VanemuiseStraße – W. Struve-Straße – Vallikraavi-Straße – Poe-Straße – Vabaduse Allee – Rathausplatz – Kompanii-Straße – Gildi-Straße – Magistri-Straße – Vabaduse Allee – Rathausplatz.

1. Das Café Werner (Ülikooli 11) Das Café Werner ist schon seit jeher der Lieblingstreffpunkt der Tartuer Intellektuellen, Schriftsteller und Studenten. Im Jahr 1895 wurde J. Werner Besitzer des Cafés und nach ihm wurde das Geschäft auch benannt. Im Werner konnte man fast alle namhaften Tartuer Schriftsteller antreffen. Stammgästen wurden auch Briefe ins Café geschickt. Fr. Tuglas erle-

1


digte im Werner seine Arbeit als Redakteur. Der Literaturwissenschaftler G. Suits hatte die Angewohnheit, hier Prüfungen abzunehmen. Das Werner war einer der Lieblingsorte des Lyrikers A. Alliksaar. M. Kõiv hat das Werner in seinem Theaterstück „Endloses Kaffeetrinken“ verewigt.

2. Das Universitätscafé (Ülikooli 20)

Das Universitätscafé war in den 1960er und 1970er Jahren das Zentrum der spontanen Literaturszene von Tartu und auch später noch ein glamouröser Ort. Im Café gab es früher für die Studenten und für die Lehrkräfte getrennte Säle und an diese Trennung hielt man sich zumeist streng. Eine Ausnahme war der Sprachwissenschaftler P. Ariste, der demonstrativ Studenten an seinen Tisch einlud. Einen Überblick über die Klubjahre des alten Cafés bekommt man im estnischen Spielfilm „Supernova“, wo sich ein junger Student der Astrophysik (dargestellt von A.-E. Kerge) ins Tartuer Studentenleben der 1960er stürzt.

3. Das Denkmal für Kristjan Jaak Peterson auf dem Domberg

K. J. Peterson (1801‒1822) war ein estnischer Dichter, der in Riga geboren war und in Tartu studiert hatte. Er hatte es sich

2

zum Ziel gesetzt, eine eigene estnische Literatur zu schaffen und nannte sich Sänger des Landvolkes. Allgemein bekannt ist die Tatsache, dass er einmal zu Fuß von Tartu nach Riga ging. Das Denkmal ist eine Verbeugung vor dem Wegbereiter der modernen estnischen Dichtkunst und vor der estnischen Sprache. Petersons Werk wurde zu seinen Lebzeiten nicht veröffentlicht, die Manuskripte seiner Gedichte fand V. Reiman 1901 im Archiv der Gelehrten Estnischen Gesellschaft. Die Bedeutung des früh verstorbenen Dichters wurde von G. Suits hervorgehoben. Die Autoren des Denkmals sind J. Soans und A. Murdmaa, die Skulptur wurde 1983 aufgestellt.


4. Gedenkstein für den Wohnort von Juhan Liiv

(Kreuzung K. E. von Baer / J. Liiv-Straße) Hier wohnte J. Liiv 1892 und hier schrieb er seine bekannteste Erzählung „Vari“ (Der Schatten). An Liivs Wohnort erinnert ein Denkmal von A. Starkopf.

5. Das KGB-Zellen-Museum und Alexander Solschenizyn (Riia 15b)

In diesem Haus befand sich in den 1940er–1950er Jahren die Tartuer Abteilung des Ministeriums für Staatssicherheit der Estnischen SSR. Das Kellergeschoss, wo sich die Haftzellen befanden, ist für Besucher geöffnet. Unter anderem erfährt man in der Ausstellung über den Bezug des Nobelpreisträgers A. Solschenizyn zu Estland. In den 1960er Jahren hielt sich Solschenizyn wiederholt in Estland auf und hier in Estland entstand das Manuskript seines Werks „Archipel Gulag“.

6. Das Literaturhaus (Vanemuise 19)

Im Zentrum der Literaturstadt sind die Tartuer Abteilung des estnischen Schriftstellerverbands, die Gesellschaft für estnische Literatur, der Verlag Ilmamaa, die Zeitschrift Värske Rõhk, das Buchgeschäft Utoopia und die Kulturbar Arhiiv unterge-

6

bracht. In der Sowjetzeit befand sich in diesem Gebäude eine Abteilung des KGB. Das Haus wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Neorenaissance-Stil als Adelswohnhaus mit Einflüssen des sog. Berliner Villentyps erbaut und gehörte u.a. bekannten deutschbaltischen Familien wie von Roth, von Knorring und von Sievers.

7. Die Skulptur von Juri Lotman

Der langjährige Professor an der Universität Tartu J. Lotman (1922–1993) war einer der schillerndsten Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts in Tartu. Lotman untersuchte die russische Literatur- und Kulturgeschichte und allgemeine Gesetzmäßig-


keiten von Kultur. Er legte den Grundstein für die Kultursemiotik und war der Begründer der Semiotik-Schule Tartu-Moskau. Die Skulptur von M. Karmin und A. Lunge stellt ein abstraktes Porträt Lotmans dar. Sie besteht aus Stahlrohren, aus denen Wasser fließen kann. Die Idee für die Skulptur mit ihren fünf 15 Meter langen Rohren basiert auf einem Selbstporträt Lotmans.

8. Die Universitätsbibliothek (W. Struve 1)

Als Geburtsjahr der Universitätsbibliothek zählt das Jahr 1802, als die Universität in Tartu wiedereröffnet wurde. Die Grundlage für den Bestand der Bibliothek bildeten Bücherspenden (eine Sammlung von über 350 Bänden der Gräfin M. A. von Lestocq und die Bibliothek des Großfürsten K. Pawlowitsch (682 Bände), die ursprünglich Alexander dem I. gehört hatte) und Bücherkäufe (die Sammlung von J. G. von Loewenwolde vom Gutshof Ropka mit 1137 Bänden und die Sammlung von J. F. Ungern-Sternberg mit fast 900 Bänden). Der erste Direktor der Bibliothek war J. K. S. Morgenstern (1770–1852). Die Bibliothek befand sich auf dem Domberg, im Chorteil der Domkirche, bis sie 1982 in dieses Gebäude an der Adresse W. Struve 1 verlegt wurde.

9. Das Theater Vanemuine (Vanemuise 6)

1906 wurde auf die Initiative von J. Tõnisson hin und mithilfe der finanziellen Unterstützung des estnischen Volkes ein neues Theatergebäude erbaut, eines der schönsten Jugendstilgebäude von Tartu. Der Entwurf stammte von dem finnischen Architekten A. Lindgren. Hier begann mit der Inszenierung von „Tuulte pöörises“ (zu deutsch etwa „Im Wirbel der Winde“) von A. Kitzberg die Geschichte des Vanemuine als dem ersten professionellen Theater in Estland. Die Skulptur des legendären Theaterdirektors K. Menning, die vor dem Theatercafé (Café Shakespeare) steht, wurde zum 100. Jahrestag dieses

8


Ereignisses aufgestellt. Das Theater Vanemuine war auch ein wichtiger Veranstaltungsort vor dem Ersten Weltkrieg. Das jetzige Gebäude entstand 1967 anstelle des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Theaterhauses.

10. Das Denkmal für Eduard Vilde und Oscar Wilde (Vallikraavi 4) Die Skulptur von T. Kirsipuu an der Ecke des Café Vilde stellt die beiden Schriftsteller mit den so sehr ähnlichen Namen nebeneinander auf einer Bank sitzend dar. Der Bildhauer, der die Figuren der Schriftsteller nach der Vorlage von Fotos modelliert hat, merkte an, dass er bei der Schaffung der Doppelfigur das Jahr 1890 im Auge hatte, in dem sich Vilde und Wilde tatsächlich hätten treffen können. Obgleich Wilde es nie nach Tartu geschafft hat, ist die Skulptur auch ein Zeichen dafür, dass Schriftsteller und Leser aus der ganzen Welt eingeladen sind, Tartu zu entdecken.

11. Graffiti Edgar Allan Poe in der Poe-Straße

Geistreiches und gut gemachtes Graffiti kann eine Stadt beleben. Als ein positives Beispiel kann das Wortspiel an einer Hauswand in der Poe-Straße (deutsch: Ladenstraße) genannt werden: ein Porträt von Edgar Allan Poe.

12. Das schiefe Haus (Raekoja plats 18) Das schiefe Haus, das im Volksmund der Tartuer Turm von Pisa genannt wird, wurde 1793 an die mittelalterliche Stadtmauer gebaut. Di dem Fluss zugewandte Seite des Hauses stützt sich auf die alte Stadtmauer, die andere Seite aber auf einen Unterbau aus Pfählen. Dies bedingt auch das Umsinken des Hauses. Der Schriftsteller O. Luts, der Anfang des 20. Jahrhunderts in diesem Haus als Apotheker arbeitete, saß gerne auf einer Bank vor dem Haus, beobachtete die Leute oder las. Heute steht an derselben Stelle die Skulpturengruppe „Maanaised“ (deutsch:

7

9


Die Landfrauen) von M. Mikof (aus dem Jahre 1974), die hier 2013 angebracht wurde. In dem Haus befindet sich heute das Tartuer Kunstmuseum.

13. Die Stadtbücherei (Kompanii 3) Gründer der Tartuer Stadtbücherei war der Volksbüchereiverein, der am 7. 4. 1913 in der Raatuse-Straße die erste öffentliche Bücherei in Tartu eröffnete. In die heutigen, erstmals speziell für eine Bücherei umgebauten Räume zog die Bücherei 1936. In den Jahren 1952–1986 war die Bücherei nach N. Gogol benannt; seit 1987 heißt sie nach O. Luts. An Luts‘ letztem Wohnort (Riia 38) befindet sich in dem im funktionalistischen Stil gebauten Haus ein dem Schriftsteller gewidmetes Museum. Ein dem Schriftsteller gewidmetes Denkmal steht in der Nähe der Bücherei, am Fluss nahe der Bogenbrücke. 14. Anton Hansen Tammsaare (Darstellung von Edward

von Lõngus) (Straßenkunst an der Wand der Stadtbücherei) Die Darstellung stammt von Tartus bekanntestem Straßenkünstler E. von Lõngus: A. H. Tammsaare ist arbeitslos geworden, nachdem in Estland am 1. Januar 2011 der Euro eingeführt und er deshalb entlassen wurde (Tammsaare war auf dem 25-Kronen-Schein abgebildet).

15. Lydia Koidula (Darstellung von Edward von Lõngus)

(Straßenkunst in der Magistri-Straße) E. von Lõngus stellt hier seine Version von L. Koidula vor, die arbeitslos geworden ist, nachdem in Estland der Euro eingeführt wurde und auch sie entlassen wurde (Koidula war auf dem 100-Kronen-Schein abgebildet.) Das Bild entstand gleichzeitig

13

14


mit der Darstellung von A. H. Tammsaare. Die Darstellung von Koidula und Tammsaare auf Leinwand stellte im Frühjahr 2012 einen Rekord bei der Versteigerung junger Tartuer Kunst auf, das Bild erzielte einen Verkaufspreis von 1200 Euro.

16. Das Denkmal für Friedrich Reinhold Kreutzwald

Fr. R. Kreutzwald (1803-1883) war der Schöpfer der estnischen nationalen Literatur, Schriftsteller, Volksaufklärer und Arzt. Zu seinen Großwerken zählen das estnische Nationalepos „Kalevipoeg“ (Sohn des Kalev) und die auf Volksdichtung basierenden „Eesti rahva ennemuistsed jutud“ (Vorzeitliche Geschichten des estnischen Volkes). Das Denkmal am Fluss wurde 1952 anstelle der Figur des Kalevipoeg aufgestellt. 2003 wurde das Kreutzwald-Denkmal versetzt, so dass die wiederhergestellte Figur des Kalevipoeg wieder an ihre ursprüngliche Stelle passte. Die Autoren des Denkmals sind die Bildhauer J. Hirv und M. Saks, die Architekten sind H. Karro, A. Mellik und M. Port.

17. Die Figur des Kalevipoeg

Kalevipoeg ist ein vorzeitlicher Recke, der Titelheld des estnischen Nationalepos. A. Adamson erschuf das Monument als Denkmal für die im estnischen Unabhängigkeitskrieg (1918– 1920) gefallenen Soldaten. Das Denkmal wurde 1933 eröffnet, 1950 wurde es durch die Sowjetmächte zerstört. Gespräche über die Wiederherstellung der Figur begannen bereits Ende der 1980er Jahre, doch bis zur Wiedereröffnung dauerte es noch bis 2003. Der Bildhauer E. Väli fertigte mit Hilfe erhaltener Fotos eine Kopie der ursprünglichen Figur an.

17


AR CH ITE KT UR

LIT ER AT UR

BESUCHERZENTRUM TARTU Rathaus, +372 744 2111 info@visittartu.com www.visittartu.com


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.