Roma am Arbeitsmarkt

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REIHE.VOLKSGRUPPENPOLITIK.UND.MINDERHEITENFORSCHUNG.–.BAND.1

rastislav Báchora / Marcus strohmeier (Hg.)

Roma

am Arbeitsmarkt

Problemdarstellungen und Perspektiven Beiträge aus der internationalen gewerkschaftlichen Konferenz zum Thema „Roma am Arbeitsmarkt – Ausgrenzungen überwinden“ Wien, Juni 2011



Diese Publikation erscheint in der vom Archiv der sozialen Bewegungen herausgegebenen Reihe „Volksgruppenpolitik und Minderheitenforschung“

Fotonachweis: El Morsi Das Foto zeigt die Produktion von Teigwaren in Hostice. Seit 2007 stellen in der slowakischen Gemeinde Hostice 14 Frauen, vorwiegend Romni, jedes Monat rund 1000 Packungen der „VinziPasta“ unter dem Motto „Arbeit statt Betteln“ her. Nähere Auskünfte über dieses Projekt sind erhältlich bei der Vinzenzgemeinschaft Eggenberg (Lilienthalgasse 20, 8020 Graz, Tel.: 0316 / 58 58 00, www.vinzi.at).



Inhaltsverzeichnis Vorwort, Clemens Schneider...........................................................................................7 Zur vorliegenden Publikation, Rastislav Báchora................................................9

Erster Teil 1. Einzelreferate und Präsentationen.................................................................. 13 1.1. Problemstellung aus der Sicht der österreichischen Roma, Rudolf Sarközi............................................................................................................. 13 1.2. EU-Maßnahmen zur Verbesserung der Integration der Roma, László Andor................................................................................................................ 20 1.3. Roma als gefährdete Minderheit in der EU, Hannes Swoboda....................................................................................................... 23 1.4. Probleme der Roma in der Slowakei, Peter Pollák.................................................................................................................. 25 1.5. Beispiele erfolgreicher Projekte mit Roma, Wolfgang Pucher........................................................................................................ 31 1.6. Zivilgesellschaft in Tschechien – IQ Roma Service, Wail Khazal.................................................................................................................. 43 1.7. Resümee, Rudolf Sarközi............................................................................................................. 53

Zweiter Teil 2. Podiumsdiskussion................................................................................................. 57 2.1. Einführende Statements der DiskussionsteilnehmerInnen..........................................................................................57 Hubert Přibil.......................................................................................................... 57 Igor Kmeťo............................................................................................................. 61 Miloš Nešpor......................................................................................................... 63 Petr Šulc................................................................................................................. 64


Petr Svojanský...................................................................................................... 67 Verena Fabris........................................................................................................ 69 2.2. Inhaltliche Vertiefung.................................................................................. 73 2.3. Fragen aus dem Publikum......................................................................... 83 2.4. Abschließende Statements....................................................................... 91 3. Schlusswort, Marcus Strohmeier........................................................................... 94 4. Anhang......................................................................................................................... 96 4.1. Vorstellung der vertretenen Organisationen.................................... 96 4.1.1. Kulturverein österreichischer Roma, Dokumentationsund Informationszentrum Rudolf Sarközi....................................................................................................... 96 4.1.2. Bürgerverein für die Unterstützung und Entwicklung der Regionen Peter Pollak......................................................................................................... 101 4.1.3. Die Vinzenzgemeinschaft Wolfgang Pucher............................................................................................... 106 4.1.4. IQ Roma Service / IQ Roma servis Wail Khazal......................................................................................................... 109 4.1.5. Neue Hoffnung Igor Kmeťo........................................................................................................... 113 4.1.6. Tschechische Gewerkschaftskonföderation (ČMKOS) Petr Šulc............................................................................................................... 114 4.1.7. Museum für Romakultur Petr Svojansý....................................................................................................... 116 4.1.8. THARA – ein Projekt der Volkshilfe Österreich Verena Fabris...................................................................................................... 119 4.1.9. Initiativen zwischen evangelischen Pfarrgemeinden Hermann Reining.............................................................................................. 124 4.2. Assotiationen der KonferenzteilnehmerInnen zum Thema „Roma“............................................................................................. 126 5. Über die Referenten.............................................................................................. 128


Vorwort Clemens Schneider

In der Europäischen Union zählen die Roma mit zehn bis zwölf Millionen Personen zu den größten ethnischen Minderheiten und sind durch Diskriminierung und soziale Ausgrenzung benachteiligt. Arbeitslosigkeit, Armut und nur eingeschränkter Zugang zu Bildungseinrichtungen prägen das Leben der Roma. Der Österreichische Gewerkschaftsbund hat bei allen Regelungen, die wir in Betrieben, den Branchen oder innerhalb der Sozialpartnerschaft erarbeiten beziehungsweise die wir auf gesetzlicher Ebene mitgestalten, immer die Interessen aller ArbeitnehmerInnen im Auge – seien sie in Österreich geboren, zu uns gekommen oder in Grenzräumen tätig. Durch die Arbeitsmarktdaten wird deutlich, dass Roma in allen EU-Staaten schlecht integriert sind – die Folge sind sehr schlechte Lebensbedingungen für die Betroffenen. Das zeigt deutlich, dass es hier noch viel zu tun gibt. Insofern sind Initiativen, die auf diese Missstände hinweisen und durch grenzüberschreitenden Dialog und Zusammenarbeit Fortschritt bringen, ein wichtiger Beitrag zur internationalen Solidarität. Um Zukunftsperspektiven für die individuelle Verbesserung der Lebensrealität von Roma herzustellen, ist es dringend notwendig für Chancengleichheit zu sorgen und Diskriminierung konsequent zu beseitigen. Dazu sind einerseits strukturelle Maßnahmen notwendig, andererseits aber auch Aufklärungsarbeit und Bildung. Für die Betroffenen bedeutet das, ihr Leben mit fairen Grundvoraussetzungen und ohne Vorverurteilung gestalten zu können – ein Recht, das jede und jeder von uns für sich selbst beansprucht und für welches wir uns auch bei anderen, insbesondere benachteiligten Minderheiten, einsetzen müssen. Roma am Arbeitsmarkt

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Aus einem weiter gefassten Blickwinkel möchte ich auch eindringlich darauf hinweisen, dass faire Lebensbedingungen für alle ein wesentlicher Eckpfeiler für den sozialen Frieden in Europa sind: Nur wenn wir darauf achten, dass es allen, besonders auch ethnischen Minderheiten wie den Roma, langfristig gut geht, können wir davon ausgehen, dass wir in einem – für alle – lebenswerten Europa leben.

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Zur vorliegenden Publikation Rastislav Báchora

Dieser Konferenzband stellt die Präsentationen von ReferentenInnen und DiskusionsteilnehmerInnen dar, die am 21. Juni 2011 an der Konferenz zum Thema „Roma am Arbeitsmarkt – Ausgrenzungen überwinden“ des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) teilgenommen haben. Diese Konferenz fand im Rahmen der beiden grenzüberschreitenden gewerkschaftlichen Projekte ZUWINS (Zukunftsraum Wien, Niederösterreich, Südmähren) und ZUWINBAT (Zukunftsraum Wien, Niederösterreich, Bratislava und Trnava) statt, die von Marcus Strohmeier initiiert wurden. Das zusammengewachsene Europa bietet Chancen und zugleich auch Herausforderungen für die ArbeiternehmerInnen. Insbesondere benachteiligten Minderheiten, wie jenen der Roma, muss von politischen und zivilgesellschaftlichen Entscheidungsträgern vermehrt Aufmerksamkeit gewidmet werden, um künftige Entwicklungen positiv steuern zu können. Dabei werden die Lebensbedingungen der Roma im Wesentlichen durch die Hürden des Arbeitsmarktes beeinflusst. Basierend auf den Vorarbeiten mit Prof. Rudolf Sarközi vom Kulturverein österreichischer Roma wurde auch die Konferenz mit einem arbeitsmarktspezifischen Schwerpunkt vor dem Hintergrund der Roma-Problematik organisiert. Besonderer Dank sei an dieser Stelle für die Projektkoordinatorinnen Mag. Lucia Kratochvilová (ZUWINS) and Dr. Hana Blažičková (ZUWINBAT) für die Unterstützung bei der Realisierung der Konferenz ausgesprochen. Die grenzüberschreitenden Projekte ZUWINS und ZUWINBAT haben aufgrund der Zusammenarbeit zwischen Österreich, Tschechien und der Slowakei und dem implizierten Ziel, die Roma am Arbeitsmarkt

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Vertiefung der gesellschaftspolitischen Verbindungen zwischen den Menschen in den Grenzregionen zu fördern, besondere Zugangsweisen zu der genannten Thematik. Einerseits können wichtige arbeitsmarktpolitische Entwicklungen in einem größeren Kontext über die Projektregionen hinaus beurteilt werden, andererseits eignen sich gewerkschaftliche Maßnahmen, um breite Bevölkerungsschichten für die Probleme der Roma zu sensibilisieren. Sowohl ZUWINS als auch ZUWINBAT werden vom Europäischen Fond für regionale Entwicklung (EFRE) und dem Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (BMASK) finanziert und in einer strategischen Partnerschaft zwischen dem ÖGB und der Tschechischmährischen Konföderation der Gewerkschaftsbünde (ČMKOS) sowie der Konföderation der Slowakischen Gewerkschaftsbünde (KOZ SR) durchgeführt. Die wichtigsten Ziele des Projektes sind die Optimierung der Kooperation zwischen allen, die an der Gestaltung des Arbeitsmarktes im Großraum der Bundesländer Wien, Niederösterreich und der Region Südmähren sowie Bratislava und Trnava beteiligt sind. Einen weiteren wesentlichen Aspekt stellt auch die Informationsvermittlung an die ArbeinehmerInnen in Fragen der grenzüberschreitenden Beschäftigung dar.

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Erster Teil Moderiert von Michal Vlasรกk



1. Einzelreferate und Präsentationen 1.1. Problemstellung aus der Sicht der österreichischen Roma Rudolf Sarközi

Herzlichen Dank für die Einladung. Ich wurde bereits kurz vorgestellt. Was ich noch hinzufügen möchte, ist, dass ich selbst Gewerkschaftsmitglied seit über 40 Jahren bin. Ich arbeitete für die Gemeinde Wien bei den Magistratischen Betrieben der MA 48 Müllabfuhr, Straßenpflege, Umweltabteilung und Vieles mehr. Ich habe dann diese Tätigkeit in der Gewerkschaft beendet, denn eine neue Aufgabe kam auf mich zu, die Anerkennungsphase der Roma in Österreich. Wir hatten gewusst welches Leid uns durch die Nationalsozialisten zugeführt worden ist. Ich selbst bin in einem Konzentrationslager in Österreich geboren. Ich weiß was Armut bedeutet, denn wenn man in Armut geboren und aufgewachsen ist, kann man damit ganz anders umgehen als jemand, der es Gott sei Dank nie erfahren musste. Aus meiner Sicht ist es für unseren Staat beschämend, dass es Gesetze braucht, um die sichtbare Armut durch Bettelverbote zu unterbinden. Ich weiß schon, es ist nicht immer sehr angenehm, vor vollgefüllten Läden zu stehen und einen für sein tägliches Essen bettelnden Mensch zu treffen. Da fühlen sich viele leicht beleidigt und man neigt dann dazu zu sagen: „Das ist sicher organisiert.“ Somit wird der ganze Sachverhalt pauschal kriminalisiert. Wenn eine vieroder fünfköpfige Roma-Familie, egal ob aus der Slowakei oder aus Rumänien, nach Österreich kommt und die Angehörigen gemeinsam durch Betteln versuchen, ihren Lebensstandard zu verbessern, dann wird das schon als organisiertes und vor allem kriminelles Handeln betrachtet. Statt dieser offensichtlichen Roma am Arbeitsmarkt

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und unangenehmen Armut mit Beschäftigungsmaßnahmen entgegenzutreten, wird ein gesetzliches Bettelverbot ausgesprochen. Unbedingt notwendig ist es, sich auch die Länder anzuschauen, aus denen die Bettler kommen. Denn dort ist die tatsächliche Armut am größten und bereits dort sollte begonnen werden, die Lebensqualität der Roma zu verbessern. Ich möchte mich als Österreicher auf keinen Fall in die Anliegen unserer Nachbarländer einmischen. Hier gibt es, so glaube ich, einige Roma-Aktivisten, die besser als ich, über die Probleme der Roma in diesen Staaten Bescheid wissen. Aber ich werde des Öfteren von Österreichern und Wienern, die aus den Tageszeitungen oder über das Internet erfahren, was sich in den Nachbarländern bei den Roma abspielt, nach meiner Meinung gefragt. Ich kenne selbst die Lage vor Ort, denn ich war vor einigen Jahren in Košice und habe dieses Elend dort gesehen. In Ungarn und auch am Balkan habe ich einige Siedlungen gesehen und ich muss sagen, dass die österreichischen Verhältnisse im Vergleich dazu ein Paradies sind. Wir haben im Arbeitsbereich auch Probleme mit jenen Personen, die meiner Generation oder der Generation meiner Kinder angehören, denn wir hatten kaum eine Ausbildung und unsere Kinder ebenso nicht. Die nächste Generation, die meines Sohnes, hat im Vergleich zur Mehrheitsbevölkerung die gleichen Chancen. Sie können die Schule besuchen und können auch maturieren. Es ist kein Zufall, dass mein neuzehnjähriger Enkelsohn heute vor seiner Maturaprüfung steht und weiß, dass er sie auch bestehen wird. Es ist vor allem deswegen bedeutend, weil er zu seiner Volksgruppe stehen kann und sich nicht verstecken muss. Es ist nicht einfach zu sagen, welche Identität wir aufweisen. Ich habe damit kein Problem. Ich habe niemals ein Problem damit gehabt, mich zu meiner Volksgruppe zu bekennen. Auch nicht zu der Zeit, in der ich im Burgenland aufgewachsen bin. 14

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Was uns damals gefehlt hat, war der Zugang zur Arbeit sowie zur Gesellschaft. Diese Ausgrenzung ist vielen in der Öffentlichkeit nicht bekannt, deshalb habe ich mich stets bemüht, auf diese Probleme aufmerksam zu machen. Wir haben am vergangenen Samstag 20 Jahre Kulturverein österreichischer Roma gefeiert und seitdem bin ich auch Vorsitzender dieses Vereins. Ich habe zwei Jahre davor mit meinen Freunden in Oberwart den ersten Roma-Verein in Österreich gegründet. Und mit der Vereinsgründung haben wir uns dann auch politisch bewegt und Vieles erreicht. In Österreich gibt es zurzeit sechs anerkannte Volksgruppen: die Ungarn, Kroaten, Tschechen, Slowaken, Slowenen und natürlich auch wir Roma. Das heißt, wir sind in unserem Bestehen, in unserer Muttersprache vom Staat aus geschützt und werden auch finanziell gefördert - jedoch nicht ausreichend, das habe ich schon des Öfteren betont. Leider Gottes gibt es seit 10 Jahren auch keine Erhöhung der Fördermittel. Jedoch haben mir meine Freunde vor einigen Tagen bestätigt, wären wir keine anerkannte Volksgruppe, so müssten wir jedes Jahr im wahrsten Sinne des Wortes betteln gehen, um die Finanzen aufzustellen. So wissen wir, dass wir jedes Jahr mit diesem Betrag rechnen können und das kommt auch unserer Jugend zugute. Wir haben begonnen unsere Jugendlichen auf dem zweiten Weg, d. h. außerschulisch, zu betreuen. Sie haben nicht nur in ihrer Muttersprache, sondern auch im Deutschen Defizite. Für uns war es wichtig, dass wir nicht nur unsere Muttersprache geschützt sehen, sondern auch ein Weiterkommen in der Landessprache gegeben ist. Deutsch ist für unsere Kinder und für jeden, der in diesem Land lebt, besonders wichtig. Und hier haben wir vom Staat auch dementsprechende Unterstützung erhalten, sodass diese außerschulische Lernbetreuung im südlichen Burgenland schon fast zwei Jahrzehnte durchgeführt wird. In Wien besteht dieses Angebot auch bereits seit einigen Jahren. Auch in anderen Staaten werden Roma unterstützt, Roma am Arbeitsmarkt

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jedoch gibt es große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern, in denen Roma leben. Anders als in Österreich, werden sie dort nicht in diesem Maße gefördert. Die Roma des Balkans, d. h. des ehemaligen Jugoslawiens, sind keine EU-Roma und viele von ihnen leben seit der Gastarbeiterwelle auch bei uns in Österreich. Ich habe selber bei der MA 48 einige Kollegen gehabt, die damals in den 1960-er Jahren als Gastarbeiter gekommen sind und sich bereits gut integriert haben. Sie bezeichnen sich selber als Wiener oder als Österreicher und besitzen die österreichische Staatsbürgerschaft. Andere, denen es nicht so gut geht, sind jene Roma, die bei den ethnischen Auseinandersetzungen am Balkan die Flucht ergreifen mussten. Plötzlich waren sie nicht mehr Jugoslawen, plötzlich waren sie Slowenen, Kroaten, Serben, Mazedonier und am schlimmsten war es im Kosovo. Die Kosovo-Roma leiden heute noch unter der Rückführung in ihr sogenanntes Heimatland, wobei man dort ja nichts mehr von dem vorfindet, was sie einmal besessen haben. Zuerst haben die Serben die Albaner vertrieben. Heute vertreiben die Albaner die Roma. Das ist eine kleine Auflistung des Zustandes. Jetzt kommen natürlich auch die Forderungen, die von Staatswegen, von uns selbst, aber auch von der Europäischen Union verlangt werden. Wir können heute nicht sagen, die Europäische Union muss alles machen. Aber durch diese große Staatenfamilie kann man den einen oder anderen Staat unter Druck setzen und fordern, dass dies und jenes nicht passieren soll. Ich denke hier an diese Mauern, die in Tschechien aufgestellt worden sind. Aber auch Übergriffe, die dann schlussendlich dort und da mit dem Tod geendet haben, wurden oft so hingestellt, als wäre es - wie man auf wienerisch sagt - „a bsoffene G’schicht”, also dass die Roma selber schuld sind. Oder ich denke auch an Ungarn, wo diese Garden aufmarschieren und in der Vergangenheit auch Roma getötet haben und Ähnliches mehr. 16

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Ich möchte diesen Staaten wirklich nicht unterstellen, dass sie gar nichts machen. Sie machen aber wahrscheinlich noch immer zu wenig. Man müsste mal dafür sorgen, dass die Leute eine Ausbildung erhalten und gleichzeitig in besseren Wohnverhältnissen leben können. Gesundheit kommt natürlich an erster Stelle. Wenn man gesund ist, ein besseres Wohnen und eine Ausbildung hat, dann hat man auch am Arbeitsmarkt Chancen. Aber der Arbeitsmarkt muss auch so gestaltet werden, dass sich in den Gegenden von Roma auch Betriebe ansiedeln können. Hier wäre auch meine Bitte an die Gewerkschaften, also an alle Gewerkschaftskollegen, unsere jungen Menschen in die Betriebe aufzunehmen, sie auszubilden und ihnen die Möglichkeit zu geben, in dem Betrieb an vorderster Stelle tätig werden zu können. Auch sollten Möglichkeiten für die Selbständigkeit geschaffen werden. Ich persönlich bemühe mich wo ich kann und so habe ich im Europarat in Straßburg vorgesprochen und versucht, auch hier die entsprechenden Möglichkeiten zu schaffen. Der Zufall will es so, dass mein Namensvetter französischer Staatspräsident ist und die Roma im Vorjahr sozusagen zu Tausenden mit einem Reisegeld ausgewiesen hat. Dies hat auf der anderen Seite bewirkt, dass man den Roma mehr Aufmerksamkeit gewidmet hat. Kommissarin Vivian Reding hat darauf reagiert und das französische Vorgehen wurde sofort eingestellt. Die Diskussion geht jedoch weiter. Jedes Land muss bis Ende 2011 ein Strategiepapier erarbeiten und nachweisen, was es für seine Volksgruppe der Roma macht. Ich habe von meinem Verein aus, und als Vorsitzender des Volksgruppenbeirates, 2007 bereits ein ähnliches Papier erarbeitet. Ich habe dieses Papier auch nach Brüssel bzw. nach Straßburg weitergeschickt und auch Barroso darauf hingewiesen, was wir wollen und was wir brauchen. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass es ohne unsere Menschen in diesen Ländern Roma am Arbeitsmarkt

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nicht geht. Es hilft uns nichts, wenn von oben herab durch die Gießkanne verteilt wird, aber die betroffenen Leute die Bedeutung nicht richtig erkennen. Ich verstehe es auch, wenn man Jahrzehnte- oder auch Jahrhunderte lang ausgegrenzt gelebt hat, dass viele die Situation nicht richtig einschätzen können. Das braucht natürlich eine Zeit und eine entsprechende Aufbauphase. Aber die Zukunft der Roma liegt nicht in den Händen meiner Generation, sondern in den Händen der Generation meines Sohnes bzw. meiner Enkelkinder und hier sehe ich die großen Chancen. Sie müssten nur wahrgenommen werden. Man sollte sich für seine Volksgruppe nicht schämen. Wir sind sowohl in der Wirtschaft, als auch in der Wissenschaft, in allen Bereichen des Lebens genauso gut oder genauso schlecht wie die Mehrheitsbevölkerung. Ich würde mir aber auch wünschen, dass es bei unseren benachbarten Ländern eine ähnliche Zusammenarbeit gibt. Bei uns setzen sich die Vertreter der sechs österreichischen Volksgruppen drei bis viermal im Jahr zusammen, um sich über Forderungen an die Regierung abzusprechen. Ich glaube, das ist eine ganz wichtige Sache und ich fordere unsere Leute deshalb auf, sich in den gesellschaftlichen Strukturen zu etablieren. Sie sollen in die Gewerkschaft sowie in die Politik einsteigen und somit Selbstverantwortung in die Hand nehmen. Ich habe es in Wien getan. Ich war zehn Jahre in der Kommunalpolitik tätig und ich habe nicht nur für Roma mein Mandat ausgeübt. Ich war in der Sozialdemokratie für die Wiener tätig. In so einer Tätigkeit kann man sich als Roma selbst beweisen. Wenn wir heute in die Parlamente, auch in Österreich hineinschauen, gibt es zwar mit den Hautfarben noch ein wenig Probleme, weil es noch immer eher hellhäutige als dunkelhäutige Mandatare gibt. Aber es sind schon Vertreter in den Rathäusern und Parlamenten tätig, die aus anderen Religionen und unterschiedlichen Erdteilen bzw. anderen Ländern kommen. Und ich glaube, hier kann man sich am besten für die Volksgruppe einbringen. 18

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Mein Appell von dieser Stelle aus kann deshalb nur Folgendes sein: Ich kann nicht das Große versprechen, das wäre eine Anmaßung, aber die Erfahrungen, die ich gemacht habe, gebe ich gerne weiter. Ich habe zwei Bücher geschrieben, eines ist vor drei Jahren erschienen, es thematisiert die Verfolgung unserer Volksgruppe bis zu ihrer Anerkennung. Wir sind ja durch die Nationalsozialisten sehr stark dezimiert worden und dies stellt ein sehr trauriges Kapitel in unserer Geschichte dar. Das letzte Buch ist erst am Samstag erschienen. Hier präsentiere ich die 20 Jahre erfolgreicher Arbeit im Kulturverein der österreichischen Roma. Hiermit möchte ich meinen Vortrag beenden und mich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken. Ich stehe heute den ganzen Tag hier für Diskussionen oder Informationen zur Verfügung. Danke vielmals.

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1.2. EU-Maßnahmen zur Verbesserung der Integration der Roma László Andor

(Videobotschaft) Sehr geehrte Damen und Herren! Leider ist es mir persönlich nicht möglich, an Ihrer Konferenz teilzunehmen, es freut mich jedoch, dass ich Ihnen meine Grüße mit diesem Video übermitteln kann. Ich möchte die Gelegenheit ergreifen und über unsere aktuelle Arbeit im Bereich der sozialen Eingliederung der Roma sprechen, welche eine Angelegenheit grundsätzlicher Bedeutung für die Europäische Kommission und mich persönlich darstellt. Die Roma sind die größte ethnische Minderheit Europas, welche Jahrhunderte lang am Rande der Gesellschaft lebte. Sie wurden von Europa nomadisiert und in den Peripherien unserer Städte und Dörfer haben sie ihre Lager aufgestellt. Ich bin der vollen Überzeugung, dass sich der Zivilisationsgrad einer Gesellschaft in der Art und Weise äußert, auf welche sie mit ihren am wenigsten privilegierten Mitgliedern umgeht. Ebenso bin ich der festen Meinung, dass die Hilfe, die der Roma-Bevölkerung bei der Suche nach geeigneter Arbeit, einen Schritt zur Integration darstellt. Sie ist nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht enorm wichtig, sondern stellt einen Moralimperativ der heutigen Zeit dar. Wie Sie wahrscheinlich wissen, nahm die Komission im April den Entwurf des EU-Rahmens für nationale Strategien zur Integration von Roma an. Diese Initiative wurde von 27 Ministern für Arbeit und Soziales verabschiedet. Sie vereinbarten, Ende des Jahres einzelne Nationalstrategien und Systeme der Integrationsmaßnahmen zu präsentieren. Der Schwerpunkt wird auf 20

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folgende Kernbereiche gelegt: Zugang zu Bildung, Gesundheitsfürsorge, Wohnraum und Beschäftigung. Die Tätigkeit der Komission betreffend Roma befindet sich im Einklang mit der EU-Strategie 2020 und fokussiert auf eine Integration mit klar definierten Zielen wie Beschäftigung, soziale Eingliederung und Bildung. Das EU-Beschäftigungsziel 2020 fordert, dass 75 Prozent der Bevölkerung von 20 bis 64 beschäftigt ist. Die Erwerbsquote der Roma unterschreitet diese Prozentzahl jedoch maßgeblich. Eine solche Verschwendung des menschlichen Potenzials dürfen wir uns auf keinen Fall leisten, wollen wir bis 2020 eine intelligente, nachhaltige Wirtschaft bilden, die alle Bevölkerungsschichten einschließt. Die Arbeitsämter können bei der Aquisition der Roma für den Arbeitsmarkt helfen, indem sie sich bemühen, die Roma anzusprechen, sie zu informieren und ihnen personalisierte Dienstleistungen als ersten wichtigen Schritt zur Integration in die Bildungs- und Beschäftigungssysteme anzubieten. Erlauben Sie mir ein erfolgreiches Beispiel aus der Praxis der bulgarischen Arbeitsämter zu zitieren, welchem alle Mitgliedsstaaten folgen könnten. Es gründet sich auf der Partnerschaft der Arbeitgeber mit den Sozialpartnern, lokalen und regionalen Ämtern und Nichtregierungsorganisationen. Der Schwerpunkt liegt auf der Aquisition und Ausbildung von Arbeitsmarktmediatoren, deren Aufgabe es ist, Roma-Gruppen zu informieren und nicht aktive Roma zur Anmeldung beim Arbeitsamt zu motivieren. Dank dem Programm meldeten sich fast 12.000 Roma. In der Folge wurden Basiskurse für Lesen, Schreiben und Mathematik, aber auch Berufbildungs- und Orientierungskurse sowie Fachberatungen zur Verfügung gestellt. Durch dieses Programm gelang es mehr als 1.500 Roma eine Arbeit zu finden. Die EU-Förderung für Romagemeinschaften wird aus EU-Strukturfonds mittels des Europäischen Roma am Arbeitsmarkt

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Progress-Mikrofinanzierungsinstruments finanziert. Die Kohäsionspolitik leistet einen wichtigen Beitrag für europäische Regionen. Für die Periode 2007 – 2013 wurde zwischen 27 Mitgliedsstaaten ca. 350 Mrd. Euro verteilt. Es wurden demnach beträchtliche finanzielle Mittel zugewiesen und wir müssen sicherstellen, dass sie auch sinnvoll genutzt werden. Konkret meine ich häufigere Investitionen in Romagemeinschaften. Wir haben also viele Pläne, verfügen über erfolgreiche Projekte, doch direkt vor Ort hat sich noch nicht viel geändert. Und das muss besser werden. Europäische Instrumente der Mikrofinanzierung unterstützen Gründungen eigener Unternehmen. Eine wichtige Aktivität, die zur Bildung von Arbeitsplätzen beiträgt. Den Menschen eröffnen sich dadurch Chancen, ihre Fähigkeiten zu nutzen und die Zukunft in eigene Hände zu nehmen und gerade die Romagemeinschaften gehören zu den Empfängern der Finanzmittel aus diesen Fonds. Meine Damen und Herren, der Weg zur gesellschaftlichen Inklusion der Roma ist steinig, mit Hindernissen gesäumt, doch wir sind verpflichtet, diesen Weg zu gehen. Ich bin überzeugt, dass diese Konferenz zur Integration der Roma in unsere Gesellschaft beitragen und uns beim Erreichen gemeinsamer Erfolge helfen kann. Ich wünsche Ihnen persönlich viel Erfolg und Ihrer Konferenz ein gutes Gelingen!

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1.3. Roma als gefährdete Minderheit in der EU Hannes Swoboda

(Videobotschaft) Ich möchte alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Konferenz zu Roma-Fragen herzlich begrüßen. Ich habe mich seit Anbeginn im Europäischen Parlament immer wieder mit dieser Frage beschäftigt, zum Teil gemeinsam mit Rudolf Sarközi, der gerade in Österreich hier sein großes Engagement entwickelt hat. Die Roma-Problematik ist eine Problematik, die natürlich nicht nur Österreich, Tschechien und die Slowakei, sondern ganz Europa betrifft. Hier verzeichnen wir nach wie vor große Mängel. Ob es sich um den Arbeitsplatz und somit um die Arbeitslosigkeit handelt, ob die Erziehungs-, Gesundheits- oder die Wohnraumfrage im Vordergrund steht, in vielen Fällen sind alle diese Problematiken auf die Roma-Bevölkerung konzentriert. Dabei entsteht oft ein Teufelskreis, den wir noch nicht genügend verstanden haben, zu durchbrechen. Natürlich ist die Roma-Problematik auch eine Frage der sozialen Problematik in Europa. Und es wäre auch falsch, nur etwas für die Roma zu tun und nicht generell für die Sozialschwachen. Für mehr Jobs und Arbeitsplätze in Europa muss generell mehr getan werden. Aber es gibt natürlich auch den Faktor, dass Roma aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit diskriminiert werden. Wir haben vom Europäischen Parlament in verschiedenen Missionen, die wir in verschiedenen Ländern gemacht haben, furchtbare Dinge gesehen. Situationen wo wir kaum für möglich gehalten haben, dass sie heute noch in Europa stattfinden. Darum ist es immer wieder notwendig, gerade auf die Roma-Frage hinzuweisen und neue Initiativen zu setzen. Wir Roma am Arbeitsmarkt

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unterstützen die Kommission dabei. Wir fordern sie sogar auf, noch mehr zu tun, um den einzelnen Ländern zu helfen. Aber natürlich müssen auch die Mitgliedsländer selbst, die einzelnen Regionen und auch die Städte noch mehr tun. Es ist möglich, wie wenige Beispiele zeigen, wirklich aus dieser Falle herauszukommen und für die Integration der Roma in der Gesellschaft etwas zu unternehmen. Diese positiven Beispiele müssen wir heranziehen, um in Europa und insbesondere in der Nachbarschaft Österreichs den Roma jenen Raum in der Gesellschaft geben zu können, der ihnen gebührt. Zur Integration in der Gesellschaft gehört natürlich vor allem auch die Integration am Arbeitsplatz. Abschließend wünsche ich eine spannende Konferenz.

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1.4. Probleme der Roma in der Slowakei Peter Pollák

Einleitend möchte ich mich sehr herzlich für die Möglichkeit bedanken, dass ich an dieser Konferenz vor Ihnen sprechen darf. Meine Damen und Herren, es stimmt, die Roma unterscheiden sich von der Mehrheitsbevölkerung in Europa durch ihre Hautfarbe, durch ihre Kultur, ihre Traditionen und ihre Philosophie. Doch meiner Meinung nach gibt es keinen Grund dafür, warum sich die Roma und die Nichtroma am Arbeitsmarkt unterschiedlich verhalten sollten. Viele sind der Meinung, dass sich die Roma anders auf dem Arbeitsmarkt verhalten als die Mehrheitsbevölkerung, was jedoch nicht stimmt. Die Erfahrungen im Ausland haben gezeigt, dass die Roma in anderen Staaten, z. B. in Großbritannien eine Beschäftigung gefunden haben, was in der Slowakei selten der Fall ist. Deshalb haben wir erkannt, dass sich Roma von den Nichtroma am Arbeitsmarkt überhaupt nicht unterscheiden. In der Slowakei gibt es riesige Armut unter den Roma und der Hauptfaktor dieser Armutssituation ist die Arbeitslosigkeit. Und Roma sind deshalb arbeitslos, weil sie keine ausreichende Ausbildung haben. Diese Tatsache ist darauf zurückzuführen, dass Roma eine andere Hautfarbe haben und deshalb ist die Arbeitslosenrate in den Romasiedlungen sehr hoch. In der Slowakei ist im Schnitt nur jeder zehnte Roma beschäftigt. Wenn wir über die Armut in der Slowakei sprechen, ist die Armut in den Romasiedlungen eine Frage der Erbschaft. Wenn der Vater und die Mutter arm sind, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass der Sohn, die Tochter und die Enkeln ebenso arm bleiben. Diese Situation hat zur Folge, dass verschiedene soziologisch-pathologische Erscheinungen entstehen, die primär auf die Armut zurückzuführen sind und nicht auf die Ethnie selbst. Sobald der Mensch Roma am Arbeitsmarkt

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arm ist, treten in Folge mit hoher Wahrscheinlichkeit negative Erscheinungen in einer Gemeinschaft auf. Die Situation der Ausgliederung der Roma wird sehr schön in einer Studie von Herrn Anton Marcinčin beschieben, der zurzeit Abgeordneter im Slowakischen Parlament für die Christdemokraten KDH ist. In dieser 2009 erstellten Studie wird gezeigt, wie hoch die volkswirtschaftlichen Kosten der gesellschaftlichen Ausgliederung der Roma sind. Den Schätzungen der Studie nach, würde die Eingliederung der Roma in die Gesellschaft einen jährlichen Zuwachs von 7 bis 11 Prozent des Bruttoinlandsproduktes mit sich bringen. Der Hauptgrund für sehr hohe Ersparnisse sind nicht etwa Einsparungen der Sozialleistungen, es ist die Stärkung der Kaufkraft und somit die Erhöhung des Bruttoinlandsprodukts. Wären die Roma in der Slowakei besser am Arbeitsmarkt integriert, so wären nicht nur höhere Einsparungen in Form der nichtausbezahlten Sozialleistungen höher, sondern auch das BIP würde steigen. Somit stellt die Ausgrenzung der Roma für die Slowakei große finanzielle Verluste dar. Hohe Kosten für Sozialhilfe, Ausbildung, Gesundheitsfürsorge sowie indirekt das nichtproduzierte und nichtkonsumierte Bruttoinlandsprodukt, belasten den Staat zusätzlich. Das Potenzial der Arbeitskraft von Roma bleibt bis heute ungenutzt. Bereits 2008 hätte die Beschäftigungsquote um 7 Prozent höher sein können und 2025 könnten sogar 10 Prozent Zuwachs erreicht werden. Die Größe der potenziellen nutzbaren Arbeitskraft würde sich in der Steigerung des Bruttoinlandsproduktes widerspiegeln. Nach Schätzungen dieser Studie, wird 2030 ein großer Teil des Arbeitskräftepotenzials gerade durch die slowakischen Roma getragen werden. Dies wird deshalb bedeutend sein, weil die demografische Kurve in der Slowakei bei der Mehrheitsbevölkerung sinken wird. Bei den Roma ist es jedoch anders. Hier wird die demografische Kurve steigen. Es kann angenommen werden, dass 2030 die 26

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Roma den wesentlichen Teil des Arbeitsmarktes in der Slowakei einnehmen werden. Der Anteil der Roma im Produktivalter wird um 11 Prozent steigen und daraus ergibt sich, dass die beschäftigten Roma deutlich das Defizit der ersten Rentensäule verringern könnten. Die Anzahl der Beitragszahler wird zurückgehen und die Anzahl der Beitragsempfänger wird steigen. 2030 kann deshalb eine Situation entstehen, dass gerade die Roma mit ihren Beiträgen den Sozialfond stärken werden. In der Slowakei haben sich die bisherigen Regierungen der Roma-Frage angenommen und sich natürlich auch mit der Frage der Arbeitslosigkeit beschäftigt, denn die Situation ist katastrophal. Seit dem Fall des kommunistischen Regimes gibt es in der Slowakei eine höhere Arbeitslosenrate unter den Roma, diese beträgt 90 bis 95 Prozent. Seit 1989 steigt die Zahl der Roma, die ihre Lebensbedürfnisse nicht ausreichend befriedigen können. Also wenn wir das Jahr 1989 mit der Gegenwart vergleichen, so gibt es heute mehr verfallene Siedlungen, mehr Obdachlose und mehr Leute, die gesundheitliche Schwierigkeiten haben. Es gibt auch mehr Analphabeten und damit möchte ich sagen, dass die bisherigen slowakischen Regierungen keine geeigneten politischen Maßnahmen gefunden haben, um die Situation der Roma zu verbessern. Das heißt nicht, dass es keine Bereitschaft gäbe, etwas zu ändern. Die Regierungen waren dazu bereit, aber alles ist misslungen und nicht deshalb, weil man den Roma nicht helfen wollte, sondern deshalb, weil man nicht die richtigen politischen Maßnahmen gesetzt hat. Zudem kommt, dass die Roma bis in die Gegenwart keine Möglichkeit haben, an dieser Politik zu partizipieren. Jede Regierung hat in der Programmerklärung das Roma-Problem als oberste Priorität deklariert. Doch bis dato hat keine Regierung dieses Problem mit voller Verantwortung angepackt. Ein weitere Schwierigkeit kommt hinzu: einige Mitglieder von Regierungen, sowie von Parteien, die Bestandteil des politischen Roma am Arbeitsmarkt

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Systems sind, verhalten sich populistisch. Sie möchten mit einer Politik, die sich gegen Roma richtet, weitere Wähler finden. Leider haben viele Wähler eine negative Meinung über Themen, die die Roma betreffen. Was die aktuelle Politik der Regierung anbelangt, ist zu sagen, dass diese Regierung das bisher beste Programm betreffend der Behandlung der Roma-Politik hat. Doch leider sind im ersten Jahr dieser Regierung nur negative Erfahrungen im Zusammenhang mit den Roma publik geworden. In die Siedlungen der Roma sollen mehr Polizisten geschickt werden. Man soll die Sozialleistungen kürzen und besser kontrollieren. Das sind die Stichworte der aktuellen Regierung. Doch das Positive, das auch in der Programmerklärung festgehalten wurde, ist im letzten Jahr überhaupt nicht zum Vorschein gekommen. Viele Vertreter dieser Regierung haben bereits gewisse Erfahrungen mit der Roma-Problematik und trotzdem ist es nicht gelungen, die Schwierigkeiten zu lösen. Alle, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben, haben deklariert, dass die Roma an der Politik partizipieren müssen. Doch leider wurde die Partizipation nicht sichergestellt. Es wurde beschlossen, dass die Roma in diversen politischen Gremien tätig werden. Doch sie enden dort als Assistenten oder Hilfsarbeiter, das aber war nicht unser Ziel. Die Roma müssen zur politischen Entscheidungsfindung beitragen und somit in das Management der Politik aufsteigen, ansonsten können wir die weitere Entwicklung nicht beeinflussen. Wir müssen die Politik auf eine höhere Stufe bringen und somit die RomaProblematik in der Slowakei, aber auch in anderen Ländern, höher positionieren. Das Problem der Gegenwart in der slowakischen Republik und auch in Europa ist, dass diverse politische Repräsentanten das Wort Roma modifizieren, verschleiern und den Begriff Roma durch andere Wörter ersetzen möchten. In der Slowakei werden Roma als sozial ausgegrenzte oder 28

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ausgeschlossene Personen umschrieben. Die Roma werden durch diese terminologische Umschreibung nicht ganz erfasst. Roma sind mit einer Reihe spezieller Probleme konfrontiert, die zu respektieren sind. Wenn ein Unternehmer zwischen einem Roma und Nichtroma mit gleicher Ausbildung wählen soll, wird der Unternehmer den Nichtroma für die Besetzung des Arbeitsplatzes aussuchen. Man kann keine allgemeinen Maßnahmen für sozial ausgegrenzte Gemeinschaften mit der Absicht setzen, dass dies dann direkte Auswirkung auf die Roma haben wird. Es ist einfach nicht möglich. Zwanzig Jahre gibt es in der Slowakei Aktivitäten, die Unternehmer durch verschiedene Programme in diesem Bereich unterstützen. Es hat sich aber nicht auf die Situation der Roma am Arbeitsmarkt ausgewirkt. Ganz im Gegenteil, die Arbeitslosigkeit wächst von Jahr zu Jahr. Dieses Problem muss mit Verantwortung, offen und direkt behandelt werden. In erster Linie sollten die Roma nicht mit anderen sozial ausgegrenzten Gruppen gleichgestellt werden. Darauf sollte die Politik achten. Wenn wir das Leben der Roma positiv verändern möchten, dann müssen wir die Politik entsprechend präzise definieren und das ist in der Slowakei noch nicht gelungen. Ich versuche das Gesagte zusammenzufassen: Wenn jemand denkt, dass sich ein Roma am Arbeitsmarkt anders verhalten würde, entspricht das nicht der Wahrheit. Es gibt keinen Grund, weshalb sich die Roma und Nichtroma am Arbeitsmarkt unterschiedlich verhalten sollten. In der Slowakei spricht man darüber, dass wir uns nicht anpassen können, dass wir keine Arbeitsmoral haben und keine Arbeitsdisziplin besitzen. Im Ausland zeigen wir auf einmal die notwendige Disziplin und Moral und wir schaffen es auch, uns in den ausländischen Arbeitsmarkt einzubinden. Ich möchte unterstreichen: Ja, Roma in der Slowakei sind aus diversen Gründen arm. Einer der Hauptgründe ist die Arbeitslosigkeit. Die Roma sind vor allem deswegen arbeitslos, weil sie Angehörige einer ausgegrenzten Roma am Arbeitsmarkt

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ethnischen Minderheit sind. Vorurteile in der Slowakei sind so tief verwurzelt, dass sich Unternehmer bei der Arbeitsplatzvergabe fast immer für einen Nichtroma entscheiden. Es ist notwendig, diese Problematik direkt und offen zu behandeln, denn die Arbeitskraft der Roma wird nicht genützt. Wenn wir dieses Potenzial nutzen würden, würde sich das BIP erhöhen und damit würde sich die Wirtschaftlage des gesamten Landes bessern. Die wirtschaftlichen und die ökonomischen Kosten der Nichteingliederung der Roma in die Gesellschaft sind riesengroß, deswegen muss man sie in den Arbeitsmarkt integrieren. Ansonsten werden sich Europa und die Slowakei nicht vorwärts bewegen können. Wir müssen das europäische Potenzial der Roma in Europa nutzen, denn die Roma sind die größte Minderheit Europas.

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1.5. Beispiele erfolgreicher Projekte mit Roma Wolfgang Pucher

Grüß Gott meine Damen und Herren. Ich freue mich, dass ich heute das Glück habe, hier ein paar Gedanken, die mich sehr bewegen, auszusprechen. Ich habe viele notleidende Menschen kennengelernt, als Mensch und als Pfarrer. Ich war auch vier Jahre in der Türkei, habe dort 10.000 obdachlose Kinder auf der Straße gesehen. Aber was ich seit 1996 durch meinen Kontakt mit den Roma in der Slowakei vor Ort gesehen habe, übertrifft alles was ich bisher an Armut persönlich erlebt habe. Am 12. und 14. Februar 2004 haben 80 Roma einen Billa Supermarkt in Levoča betreten, und dort Lebensmittel ohne zu zahlen mitgenommen. Dieser Aufstand, war der erste Hungeraufstand in Europa, von dem ich je gehört habe. Er wurde mit einem Aufgebot von 2100 Polizisten und 1000 Soldaten niedergeschlagen. Insgesamt sind dann 55 Roma ins Gefängnis gesteckt worden. Das war ein Aufschrei einer verzweifelten Minderheit von Menschen, die nicht mehr wussten, wie sie überleben können. Dahinter verbirgt sich die unvorstellbare Armut der Roma. Wir haben von 56 Einzelpersonen einen Durchschnitt ausgerechnet. Demnach bleiben einem Roma 55 Cent pro Kopf und Tag zum Leben übrig, wenn er von der Sozialhilfe die Miete, die Heizung und die Energiekosten bezahlt. Das ist zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig. Als diese bereits extrem niedrige Sozialhilfe eines Tages halbiert wurde, hat ein Journalist den damaligen Sozialminister gefragt, ob er glaube, dass man davon leben könne. Und er gab zur Antwort, sie sollen auch nicht davon leben können. Sie sollen gezwungen werden, Arbeit zu suchen. Und das bei einer Arbeitslosenrate unter den Roma von 90-95 Prozent, wie Dr. Pollak heute gesagt hat. Mir selbst ist die Zahl 98 Prozent für die Roma in der Ostslowakei einmal gesagt worden. Sogar der damalige Staatspräsident Dr. Rudolf Schuster Roma am Arbeitsmarkt

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hat diese Politik als unsensibel bezeichnet. Ein am Aufstand beteiligter Roma zitierte folgendes: „Unsere Kinder sind am Verhungern. Wir wollen keine Almosen, wir wollen Arbeit.“ Ich war mit einem Kameramann vom ORF unterwegs im Dorf Pavlovce. Das ist ein Nachbardorf von jenem Dorf, wo die meisten Roma wohnen, die nach Graz kommen. Dort habe ich mit ihm eine in einem Container lebende Familie, eigentlich nur eine Frau mit fünf Kindern, aufgesucht. Kein Strom, keine Heizung, pures Elend. Dieser Journalist sagte, dass er schon viele Plätze der Armut auf dieser Welt kennengelernt hatte und es seine Aufgabe vom Beruf her ist, Distanz zu bewahren. Doch beim Anblick dieser Familien konnte er das nicht. Er ist am nächsten Morgen in ein Geschäft gegangen und kaufte Lebensmittel, die er dann dieser Frau brachte. An einem Sonntag im Winter besuchte ich ebenfalls in Pavlovce eine sehr armselige Hütte. Drinnen war eine relativ junge Frau mit einem Baby im Arm, mit der ich mich dann mithilfe eines Dolmetschers unterhielt und bemerkte, dass es gar nichts zum Essen gab. Auf dem Ofen stand ein dampfender Topf und ich fragte sie, ob ich hineinschauen dürfe. Ich habe den Deckel hochgehoben und es war außer kochendem Wasser Nichts drinnen. Auf die Frage, was sie denn essen wolle, sagte sie, dass sie es noch nicht wisse. Ihr Mann sei ins Dorf gegangen, um zu betteln. Und dann habe ich sie gefragt, wie sie ihr Baby ernährt. Daraufhin zeigte sie auf ihre, für meine Augen fast nicht sichtbare Brust. Dieses Elend ist sicher nicht für alle gültig, aber es ist ein Zeichen für den Generalzustand. In Osteuropa leben um die elf Millionen Roma und überall bietet sich dasselbe Bild der Arbeitslosigkeit. Wir haben es heute schon gehört, Elendswohnungen, schreckliche Slums, viele Kinder und vor allem, Dr. Pollak hat es auch schon gesagt, diese Diskriminierung in der Gesellschaft. Manchmal gibt es auch Vertreibungen. Ein Bürgermeister in der Slowakei hat vor der Wahl versprochen, wenn er gewählt wird, werde er die Roma 32

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aus der Ortschaft vertreiben. Er wurde natürlich gewählt und er hat sein Wahlversprechen eingehalten. Er hat sie vertrieben. Karl Markus Gauß, ein österreichischer Autor aus Salzburg hat sich monatelang in der Slowakei aufgehalten und hat die Situation der Roma in der Slowakei näher kennengelernt. Er schrieb das Buch „Die Hundeesser von Svinia” und er sagt dann zusammenfassend, das Leben in dieser Siedlung – wörtliches Zitat – „ist eine Vorhölle auf Erden.“ Weiteres Zitat: „Dort leben Roma, die als Unberührbare ausgestoßen wurden.“ Seine Reise durch die Roma-Gebiete in der Slowakei führte ihn – wiederum Zitat – mitten in Europa ans Ende der Welt. Aus diesem Buch möchte ich einen Bericht bringen, den viele kennen werden. In Jarovnice, dem größten Romadorf der Slowakei, lebten 3000 Roma und 800 Weiße, die sich durch einen Fluss getrennt in ihren Wohnungen aufhielten, als sie von einer Hochwasserkatastrophe heimgesucht wurden. Es war Juli 1998. Der Fluss ist über die Ufer getreten und wurde zu einem reißenden Sturzbach, der die wackeligen Hütten vieler Roma zum Einsturz brachte. Alles was übrig blieb, war Lehm, zäher Schlamm und 53 tote Roma. Schreckliche Bilder sind um die Welt gegangen und es wurde ziemlich viel Geld gesammelt. Ich kann mich noch an die Berichterstattung bei uns erinnern. Und jetzt kommt das Ergebnis: Nach dieser Spendenaktion, kam das Geld ins Dorf und die Wohnungen oder die Häuser der 800 Weißen waren plötzlich vom Wohlstand überschüttet gewesen. Die Roma-Häuser aber, die völlig zerstört waren, sind im Großen und Ganzen zerstört geblieben. Daraufhin hat man sich gefragt, warum das so ist. Der Gemeinderat besteht, obwohl es dort 3000 Roma und 800 Weiße gibt, aus acht Roma und zwölf Weißen. Dieser Gemeinderat hat beschlossen, alle Spendengelder zu halbieren. Die Hälfte bekommen die Weißen, die 800 Leute und die zweite Hälfte, die 3000 Roma. So wird das hier berichtet. Ich habe es aber selbst nicht überprüft. In diesem Fall Roma am Arbeitsmarkt

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wird deutlich, welchen gesellschaftlichen Stellenwert die Roma im praktischen Alltag haben. Und ich bin heute eingeladen, um von der Praxis etwas zu sagen. Sie sehen an meinem Rockrevers ein gelbes Band. Am 14. Februar dieses Jahres hat die Steiermark ein generelles Bettelverbot verhängt. Das betrifft fast nur Roma aus der Slowakei, aus dem Bezirk Rimavská Sobota und aus dem Dorf Hostice. Wir von der Vinzenzgemeinschaft haben uns von Anfang an auf ihre Seite gestellt und waren solidarisch. 1996 sind die ersten aus dem Dorf Hostice nach Graz gekommen. Das Dorf Hostice hat laut Internet momentan 970 Einwohner. Etwas mehr als die Hälfte der Bewohner sind Roma. Und wir haben in Graz den ersten Schritt gesetzt. Wir haben keinen Menschen gekannt, nicht gewusst, woher sie kommen, warum sie da sind, was ihnen fehlt. Was vielleicht auch europaweit einmalig ist, wir haben alle zu einer Bettlerversammlung eingeladen. Das war am 19. Februar 1997, im Kloster der Franziskaner sind wir untergekommen. Und wir haben sie mithilfe von Dolmetschern befragt, was ihnen am meisten wehtut, warum sie da sind etc. Sie hatten keinen Platz zum Schlafen in Graz. Die haben in öffentlichen Toiletten geschlafen. Sie hatten auch kein Geld für Essen. Viele haben von zuhause sogar Brot und Speck mitgebracht. Und sie wurden teils von Passanten, aber auch von Polizisten schikaniert. Es gab Beispiele, das habe ich mit eigenen Augen gesehen, dass plötzlich mehrere Roma Pässe hatten, von denen in der Mitte einige Blätter durchgerissen waren. Und alle haben uns erzählt, das hätten Polizisten gemacht. Wir haben Anzeige erstattet. Doch wie der Staatsanwalt Dr. Gruber bestätigte, waren die Täter nicht zu finden. Nachdem in jeder Polizeiwachstube die Anzeigen hangen, sind keine Pässe mehr zerrissen worden. Sie können selbst einen Schluss daraus ziehen.

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Das was wir ihnen als erstes gegeben haben, war der Ausbruch aus der Anonymität. Nach Rücksprache mit Roma haben wir Anstecker produziert, die von jedem getragen werden konnten. Darauf stand: „Der Vinzenzgemeinschaft sind meine Lebensumstände bekannt“. Auf der Rückseite waren ein Foto, die Passnummer und die Staatsbürgerschaft. Von dem Tag an hat sich in Graz etwas geändert. Menschen sagten, dass sie jenen, die einen Anstecker tragen, etwas geben werden. Darüber hinaus war es unglaublich schwierig Quartiere zu finden. Wir haben dann Pfarrgemeinden gefunden und bis Ostern 1997 ist es uns dann gelungen, alle Roma in Graz, die gebettelt haben, in ein warmes Bett zu bringen. Später haben wir sie nach und nach in eine Einrichtung der Vinzenzgemeinschaft gebracht, die heißt VinziNest. Das ist eine Ausländernotschlafstelle, die seit dem Jahre 1992 besteht. Dort befinden sich auch Rumänen, Bulgaren, Polen, Ungarn, Slowenen und Kroaten. Bis zu dem Zeitpunkt gab es meinem Wissensstand nach, niemanden in Österreich, der sich außer uns an ihre Seite gestellt hätte. Und niemand hat sich öffentlich zu Wort gemeldet. Wir haben auch mitbekommen, dass die Grazer Polizei, da war die Slowakei noch nicht bei der EU, einzelne Bettler zu sich gerufen und innerhalb kürzester Zeit aus Österreich ausgewiesen hatte. Ich bin zum Fremdenpolizeidirektor gegangen und habe ihm gesagt, dass es Unrecht sei und ich es bekämpfen werde. Er meinte lediglich, dass ich es ruhig tun solle. Daraufhin legten wir von der Vinzenzgemeinschaft beim Verwaltungsgerichtshof eine Beschwerde ein und bekamen am 13. Dezember 2002 Recht. Doch für die Betroffenen hat es nichts genützt, weil sie in der EU Einreiseverbot hatten. Als der Bürgermeister von Graz eine „Aktion Scharf“ durchführen wollte, sagte der Polizeidirektor vor dem Hintergrund der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes, dass dann der Pucher kommt. Das heißt, wir haben dort eine juristische Wende herbeigeführt. Willkür gegen Roma in Graz ist nicht mehr möglich, ohne dass sich jemand zur Wehr setzt. Roma am Arbeitsmarkt

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Die Stadt Fürstenfeld ist die erste Stadt Österreichs, die am 4. Oktober 2006 ein allgemeines Bettelverbot verhängte. Es hat in Fürstenfeld nie mehr als zwei Bettler gegeben und trotzdem wollte man aus wahltaktischen Gründen dieses Vorhaben durchsetzen. Wir sind dann zum Verfassungsgerichtshof gegangen und das Fürstenfelder Bettelverbot wurde aufgehoben. Dasselbe haben wir jetzt für Salzburg gemacht und dasselbe für die Steiermark. Laut Verfassungsrechtsexperten werden beim Bettelverbot zwei Grundrechte verletzt. Wir sind in die Slowakei gereist und haben Familienangehörige, Bürgermeister, Pfarrer, Bezirksleitung von Rimavská Sobota kennengelernt und vor allem haben wir österreichische Medien in die Ortschaft gebracht. Und das war ein wichtiger zweiter Schritt. Die Medien haben dann der österreichischen Bevölkerung mehr Berichte über die Realität der Roma in der Slowakei gebracht. Der erste Journalist Österreichs, der über das Problem berichtete, war Emil Bobi vom Profil, der in einem großen Bericht „Hunger am Rande der Zivilisation” das Thema präsentierte. Durch diesen Bericht wurde die Bevölkerung zumindest in Graz und in der Steiermark auf die notwendige Hilfe aufmerksam. Daraufhin wurden teilweise auch die Vorurteile abgebaut. Das größte Vorurteil jedoch lautet nach wie vor, dass sich hinter den Bettlern eine kriminelle Organisation verbirgt. Wir haben Gott sei Dank die Grazer Polizei dazu gebracht, dieses Vorurteil zu prüfen. Und jedes Jahr wurde von der Grazer Polizei ein Untersuchungsbericht durchgeführt. Es sollte geprüft werden, ob sich eine kriminelle Organisation dahinter verbirgt und ob man Drahtzieher finden kann. Jedes Jahr kam die gleiche Meldung, es ist nichts zu finden. Nun darf ich Ihnen so ein Reizwort präsentieren. Der berühmte Bettler-Mercedes. Jeder in Graz, der sich mir gegenüber kritisch geäußert hat, hat mir vom Bettler-Mercedes erzählt. Daraufhin habe ich bei Vorträgen einen Preis ausgeschrieben. Wer mir ein 36

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Foto vom Bettler-Mercedes mit erkennbarer Nummerntafel aus Rimavská Sobota bringt, bekommt von mir 1000 Euro. Diesen Preis habe ich schon vor fünf Jahren ausgeschrieben. Ich bin so glücklich, dass ich das Geld nicht hergeben musste, aber ich würde es gerne hergeben. Nun möchte ich ein bisschen über unsere Projekte erzählen. Wir haben heute von Dr. Pollak gehört, dass das Hauptproblem die schlechte Einbindung der Roma in den Arbeitsprozess ist. In Österreich ist es bis zum 1. Mai 2011 nicht möglich gewesen, Roma in den Arbeitsprozess einzubauen. Aber wir haben bereits im Jahre 1999 zum ersten Mal zwanzig Pfarren und Klöster gefunden, die jeweils zwei Roma, Männer und Frauen, aufnahmen, und im Rahmen eines Projektes bei sich kleine Arbeiten verrichten ließen. Jeder von ihnen erhielt mehr, als er pro Tag beim Betteln bekommen hätte, 30 Euro zusätzlich gratis Kost und Unterkunft. Diese Eingliederung in den Pfarren hat den Kontakt zur Bevölkerung ermöglicht. Selbst in meiner Nachbarpfarre Schutzengel, wo große Ressentiments gegen die Roma herrschten, haben die Leute langsam mit diesem Mann Kontakt aufgenommen und gelangen zur Einsicht, dass er einfach ein armer Mensch ist. Im Dorf Hostice haben wir mit dem Kauf eines Hauses begonnen. Wir nannten es auf Slowakisch VinziDom. Und dort hat eine Zweigorganisation angefangen mit Mädchen, die keine Schule besuchen und auch keine Arbeit haben, Trockenblumengebinden herzustellen. Wir haben einen Näh- sowie einen Computerkurs organisiert und einen Frauenarzt eingeladen. Die Frauen aus diesem Haus haben zum ersten Mal einen Frauenarzt besucht. Wir wissen ja, dass die Lebenserwartung der Roma in der Slowakei um fünf bis sieben Jahre niedriger, als die der Gesamtbevölkerung ist. Und dann ist eine Jugendorganisation namens WIKI aus Graz mit einem ganzen Team nach Hostice gekommen und hat einen ganzen Tag lang ein großes Roma am Arbeitsmarkt

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Kinderfest organisiert. Und mit diesem Kinderfest wurde neues Leben ins Dorf gebracht. Bobi vom Profil hat damals zu mir gesagt, nachdem er einen Tag lang das Dorf kennengelernt hatte, hier lebt nichts. Seit dem Kinderfest hat eine gewisse Lebendigkeit Platz gegriffen. In Hostice gibt es so wie in vielen Dörfern am Rande der Ortschaft eine armselige Siedlung von Roma zu der eine ganz armselige Straße führt. Da hat der Bürgermeister, und das ist das Schöne, sich entschlossen, mit Geld das wir aus Graz gebracht haben, diese Straße zu asphaltieren und in das normale Straßennetz des Dorfes einzubinden. Von da an wussten die Roma aus der Siedlung, dass sie gleichwertige Dorfbewohner sind und man miteinander leben will. Das war wie eine Nabelschnur zur normalen Welt. In dem Dorf gibt es ein sogenanntes Schloss. Dieses Schloss war ein großes Herrschaftshaus und war total zerfallen. Hier lebten zwölf Familien. Sie haben nicht gelebt, sondern sie vegetierten, ohne Strom, ohne Wasser, ohne WC und ohne Bademöglichkeit, vor sich hin. Sie hatten auch kein Brennmaterial. Im Winter waren die Zimmer eiskalt. Mit einer Journalistin vom Kurier, Ulli Janschner, war ich dort und wir haben einige dieser Behausungen besucht und sie hat sich dann geweigert, in eine weitere zu gehen. Sie hat das nicht ausgehalten, weil das Elend nicht mehr anzuschauen war. Die Kinder froren. Blankes Elend. Nach diesem Vorfall haben wir dann am 21.12.2005 eine kleine Siedlung für dieselben zwölf Familien gemeinsam eröffnet. Es wurde eine Sozialwohnungssiedlung gebaut und diese hat zunächst einmal den ärmsten Menschen im Dorf ein neues Heim gebracht. Das auf Ungarisch genannte VinziOtthon ist ein Dorf, in dem alle ungarisch sprechen. Otthon heißt Heimat. Der Bürgermeister hat dann selber eine zweite Siedlung mit einem EU-Projekt ins Leben gerufen. Man merkt, wie eine Idee 38

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auf die andere übergeht und es kommt Leben ins Dorf. Ganz besonders möchte ich hier betonen, dass in diesem Dorf zum ersten Mal ein Roma, Andre Berki, zum Bürgermeister gewählt wurde. Seine beiden Vorgänger haben fast nichts getan für das Dorf. Und dass das Dorf einen Roma, der noch dazu in Graz einmal als Bettler war, zum Bürgermeister wählte, war ein weiterer Schritt nach vorne. Im Dorf Hostice haben wir dann eine Vinzenzgemeinschaft gegründet. Auf einmal hat es im Dorf selber eine Gruppe von Roma gegeben, da waren aber auch Ungarn dabei, die sich für das Dorf selber gekümmert haben. Und sie haben als erstes im April 2007 einen Kleiderladen mit SecondHand-Ware eröffnet, den VinziShop. Wir haben wunderschöne gebrauchte Kleider hintransportiert, das tun wir alle vierzehn Tage heute noch. Das ist für mich eine der großartigsten Veränderungen in diesem Dorf. Die Gemeinde hat sich entschlossen, sich selbst ein Wappen zu geben. Ich habe es hierher gehängt. Es ist der heilige Andreas, der gekreuzigt wurde. Das X ist ein Symbol für die Kirche und für das Dorf. Dieses Dorfwappen wurde mit einem großen Dorffest, an dem ich auch teilgenommen habe, wunderbar präsentiert. Es war ein Riesenfest mit Gratisessen für alle. Zusätzlich wurde vor und hinter dem Dorf eine Ortstafel aufgestellt. Die geschnitzte Hinweistafel ist mit Blumentrögen geschmückt und sieht so aus, wie in einem Kurort. Auf dieser Tafel steht: „Willkommen in Hostice“. Das man den Mut und die Lust hat, Leute willkommen zu heißen, ist ein ganz großer Fortschritt. Der Bürgermeister hat dann ein weiteres EU-Projekt ins Dorf geholt. Er hat ein Waschhaus gebaut, völlig allein, damit jene, die noch keine Dusche oder Toilette haben oder keine Waschmaschine, sich dort waschen können. Ich habe gehört, dass derzeit das Waschhaus nicht in Betrieb ist, offenbar haben schon alle oder die meisten selber eine Waschmöglichkeit zuhause.

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Wir haben nachgedacht, was wir noch im Dorf machen können, damit die Leute Arbeit finden. Und ich gebe zu, diese Idee ist mir einmal in einer schlaflosen Nacht gekommen. Am 15.4.2007 haben wir eine Nudelproduktion eingerichtet. Ich habe ein Paket mitgebracht, das sind, ich sage das Wort Zigeuner nie, das wissen alle, aber da sage ich es absichtlich, Zigeunernudeln, also Roma-Nudeln. Wir beschäftigen 14 Frauen und diese Frauen produzieren pro Jahr an die 11.000 Pakete. Diese Produkte werden in der Steiermark, in Vorarlberg und auch in Wien verkauft. Der Preis beträgt 1 Euro 50 Cent für 200g. Dass Menschen auf einmal von ihrer Händearbeit im Dorf sich selbst am Leben erhalten können und damit neue Menschenwürde gewinnen, ist erst der Anfang. Eine zweite Gruppe, die hier auch vertreten ist und sich uns angeschlossen hat, ist die Direkthilfe Roma aus Hinterbrühl. Sie haben begonnen, Essiggurken anzubauen. Die Direkthilfe Roma hat in diesem Jahr 12.000 Gläser produziert, die auch österreichweit verkauft werden. Das sind ganz konkrete Schritte in einem Dorf. Als eine weitere Initiative haben wir VinziNest in Graz umgesetzt. Dort haben wir einen Arzt als Mitarbeiter, der etwas machen wollte, was auch in Österreich gut ankommt. Er stammt aus Murau und dort befindet sich ein Lions Club. Dieser Lions Club hat sich entschlossen, Mädchen aus dem Dorf Hostice nach Österreich zu holen und sie hier zu Pflegehelferinnen ausbilden zu lassen. Dazu haben wir von der Vinzenzgemeinschaft in Hostice einen Deutschkurs initiiert. Diesen Deutschkurs haben vier Mädchen bestanden, sie sind nach Österreich gekommen und haben auch die Aufnahmeprüfung in die PflegehelferInnenschule bestanden. Sie haben den ersten Kursabschnitt bestanden und werden im Jahre 2012 als ausgebildete PflegehelferInnen in Österreich tätig sein. Arbeitsplatzzusagen sind auch bereits da. Der ORF hat dieser Gruppe den Integrationspreis 2011 verliehen.

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Die Art und Weise wie in Europa mit den Roma umgegangen wird, ist eine Schande. Sie werden in ihren Herkunftsländern ihrer Grundrechte beraubt. Sie können nicht arbeiten, um menschenwürdig zu leben. Und in Österreich, Deutschland, egal wo Sie hingehen, versucht man, sie durch Bettelverbote zu vertreiben. Das ist die zweite Schande und die ist noch größer als die Schande vorort. Man will sie unter der heuchlerischen Begründung vertreiben, man würde sie vom menschenunwürdigen Betteln befreien. Ich frage immer, was ist menschenunwürdiger? Zu betteln, oder die Kinder zuhause hungern zu sehen? Jetzt, da das Bettelverbot in der Steiermark gültig ist, ist einer zurückgekommen und hat gesagt, er hat in einem Monat an vier Tagen mit seiner Frau nichts gegessen, weil es nur für die Kinder gereicht hat. Das ist eine Schande für Graz, die Steiermark und für Österreich. Der zweite Grund warum man sie vertreibt ist das Vorurteil, es solle sich um mafiöse Organisation handeln. Es wissen längst alle, dass das eine Lüge ist. Dr. Gernot Hauk, ein Ziganismusforscher aus Klagenfurt, klassifiziert besondere Formen von Antiziganismus. Ich glaube wirklich, dass ein Teil der Ablehnung der Roma, sowohl in ihren Ländern als auch bei uns, schlicht und einfach Antiziganismus ist. Die Betroffenen können sich zwar wehren, aber die Roma haben keine Lobby. Was kann man tun? Das was wir für diese am meisten diskriminierte Minderheit Europas tun können, ist Vorurteile abbauen. Ich habe von Dr. Pollak mit Freude vernommen, dass Roma in Großbritannien oder wo immer sie arbeiten, ganz normale Arbeitsverhältnisse eingehen und dort auch angenommen werden. Es gibt leider noch lange keine Lösung. Ich war beim Bischof in der Slowakei, der für die Roma zuständig ist und er war ein bisschen unrund als er mich sah. Er hat mich nach der Zahl der Roma in Graz gefragt. Ich sagte 100. Dann sagte er, nehmen Sie 100.000 und zeigen Sie uns dann, wie das gehen soll. Ich verstehe, dass in der Slowakei, Tschechien oder wo auch immer Roma sind, es nicht so einfach ist, zu Lösungen Roma am Arbeitsmarkt

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zu kommen. Aber bei uns gehört es zur Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit, dass wir in unserer Wohlstands- und Wegwerfgesellschaft diesen Menschen einen Platz geben. Es sind ja keine Massen, die zu uns kommen und wir lassen sie ein klein wenig von unserem Wohlstand mitnaschen. Zwei Historiker, die auch heute unter uns sind, das sind Frau Mag. Barbara Tiefenbacher und Herr Mag. Stefan Benedek haben in ihren Forschung folgendes festgehalten, ich zitiere wörtlich: „Betteln in der Steiermark bilde für die betroffenen Roma einen nachhaltigen und effizienten Ausweg aus den sehr negativen Lebensbedingungen in ihren Herkunftsländern.“ Nun möchte ich meinen Beitrag mit einem Zitat vom ehemaligen österreichischen UNO-Botschafter Dr. Walter Lichem abschließen. Dieser hat gesagt: „Eine Generallösung für alle diese Probleme wird es noch lange nicht geben. Wir brauchen Zwischenlösungen wie Partnerschaften zwischen Orten sowie die zwischen Graz und Hostice mithilfe der Vinzenzgemeinschaft.“ Viele europäische Ortschaften müssen einen Partnerort auswählen und für diesen Partnerort alles Mögliche machen. Denn man kann auch heute ein ganzes Dorf zum Leben erwecken. Wir geben dafür ein Zeugnis ab. Dankeschön.

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1.6. Zivilgesellschaft in Tschechien – IQ Roma Service Wail Khazal

Guten Tag meine Damen und Herren. Ich möchte Sie mit unserer Organisation bekanntmachen. Wie ich gesehen habe, gibt es viele Tschechen und Slowaken hier im Publikum, die die Situation in der Tschechischen Republik sehr gut kennen. Ich werde Ihnen jedoch die Situation aus der Sicht der Roma darstellen und dann auch auf unsere Dienstleistungen von IQ Roma Service eingehen. Ich bin von der Organisation IQ Roma Service und wir haben unseren Sitz in Brünn in Südmähren. Gegründet wurde IQ Roma Service als eine Freiwilligenorganisation 1997, und seitdem bieten wir professionelle Dienstleistungen an. Derzeit haben wir 62 Mitarbeiter. Finanziert werden wir zu 50% aus den Fonds der Europäischen Union, 40 % aus dem Budget der Tschechischen Republik und der Rest kommt von Privatstiftungen sowie Spendern. Wir setzen gegenwärtig insgesamt 22 Projekte um, wovon neun direkt mit der Beschäftigungsproblematik zu tun haben. Vor diesem Hintergrund möchte ich die Situation in der Tschechischen Republik beschreiben. In Tschechien gibt es keine Romasiedlungen, wie sie von Herrn Pollak beschrieben wurden. Also anders als in der Slowakei, gibt es das in der Tschechischen Republik in dieser Form nicht. Vielleicht gibt es eine oder zwei kleinere Ansiedelungen, aber diese lassen sich nicht mit jenen in der Slowakei vergleichen. Gemäß der letzten Volkszählung gibt es in der Tschechischen Republik ca. 12.000 Roma. Inoffizielle Schätzungen gehen aber von einer Zahl von 250.000 Roma aus, die sich jedoch nicht zu ihrer Nationalität bekennen. Manche von ihnen sagen sogar, dass sie Tschechen, Slowaken oder Ungarn sind. In Südmähren, wo wir tätig sind, gibt es ca. 16.000 Roma und hier möchte ich wieder an Herrn Pollak Roma am Arbeitsmarkt

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anknüpfen, da es sowohl gesellschaftliche als auch strukturelle Ähnlichkeiten zur Slowakei gibt. Von den Roma in unserem Gebiet sind 6.000 bis 10.000 sozial ausgeschlossen, weil sie entweder einen erschwerten Zugang zur Bildung und zum Arbeitsmarkt haben, oder weil sie in Orten leben, wo sie einfach keine Beschäftigung finden. Diesen Menschen wollen wir helfen. Warum machen wir im IQ Roma Service was wir machen? Wir gehen von Grundsätzen der Gerechtigkeit und der Freiheit aus. Wir glauben, dass jeder Staatsbürger, jeder Bewohner dieses Planeten, ohne Rücksicht auf die Hautfarbe, ein Recht auf ein gleichberechtigtes Leben ohne Diskriminierung hat. Das ist unsere Botschaft und wir haben vor, unsere Arbeit so lange auszuüben, bis sich die Situation ändert und niemand mehr darüber nachzudenken braucht, ob das jetzt ein Roma ist oder nicht. Leider wissen nicht, ob wir jemals so eine Situation erleben werden. Was konkret die Stellung der Roma am Arbeitsmarkt in der Tschechischen Republik anbelangt, kann ich ihnen zwei Zahlen aus einer Studie präsentieren. Fast 80% der Roma in Tschechien sind arbeitslos, die Arbeitslosenrate landesweit liegt aber zwischen 8% und 9 %. Von den 80% Roma ohne Arbeit, sind 75% Langzeitarbeitslose, das sind Zahlen für die gesamte Tschechische Republik. Wenn Sie detaillierte Zahlen möchten, kann ich ihnen diese zur Verfügung stellen. Wir sind der Meinung, dass die Situation in Brünn und Umgebung, also wo wir tätig sind, ein bisschen besser ist. Brünn ist eine große Stadt und viele Roma haben die Möglichkeit, auch auf einem anderen Weg Arbeit zu finden, z. B. Schwarzarbeit, kurzfristige Brigaden, Arbeiten in der Familie usw. Also das tatsächliche Ausmaß jener arbeitslosen Roma, die ohne Einkommen überleben und aus Notstandshilfe leben müssen, beträgt in unserer Region ca. 20-30%; das aber sind keine qualifizierten Schätzungen. Eines der Haupthindernisse für die meisten arbeitslosen Roma ist ihre niedrige Qualifizierung. Auf der anderen Seite muss man 44

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sagen, dass es gerade in Brünn ausreichend Arbeitsstellen mit einer Mindestqualifizierung gibt. Jedoch wurden während der Krise viele dieser Stellen am Arbeitsmarkt gestrichen. In der Tschechischen Republik ist dieser Stellenmarkt auf ein Zehntel geschrumpft, was sich besonders negativ auf die Situation der Roma auswirkte. Die langfristige Arbeitslosigkeit bei den Roma ist auf die Zeit nach der Revolution von 1989 zurückzuführen, als die ersten Entlassungswellen einsetzten. Wenn ich mit meinen Freunden über dieses Thema spreche, sagen sie mir, dass die Roma immer die ersten waren, die im Zuge von Entlassungen gehen mussten. Also ein Roma zu sein, heißt, sozial ausgeschlossen zu sein. In diesem Zusammenhang sind besondere Arbeitsgewohnheiten wie die Gewohnheiten von zwei Generationen zu erwähnen. Mir gefällt ein Beispiel aus England, wo es offiziell eine große Arbeitslosigkeit gab. Bei den zugewanderten Roma war es so, dass die Söhne mit den Vätern und die Töchter mit den Müttern gearbeitet haben. Somit entstand ein spezielles Modell von Arbeitsgewohnheiten, von denen beide Generationen profitierten, was auch Ausgrenzungen vorbeugte. Das wird vielleicht ein, zwei Generationen dauern, aber dies zeigt, dass Traditionen und Gewohnheiten erneuert werden können. Eine Diskriminierung gibt es in Tschechien sehr wohl und man muss erwähnen, dass die Instrumente der aktiven Arbeitsmaktpolitik ineffizient sind. Der Grund liegt darin, dass leider nur ein Mindestanteil von diesen Instrumenten sinnvoll für die Gruppe der Niedrigqualifizierten angewendet wird. Der größte Anteil von relevanten Maßnahmen kommt Personen mit Hochschuloder Mittelschulausbildung zu Gute. Jenen, die auch eine reale Möglichkeit haben, eine Anstellung am Arbeitsmarkt zu finden. Ich kenne Kunden, die sich seit zehn Jahren um Arbeit bemühen und in dieser Zeit nur ein einziges Arbeitsangebot bekommen haben. Diese Dinge kommen vor, aber es ist eher eine Roma am Arbeitsmarkt

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Frage der Strategie der Tschechischen Republik. Das System ist nicht wirklich motivierend. Zurzeit versuchen wir ein Grundsatzproblem zu lösen. Früher waren es die Sozialleistungen und jetzt ist es die Überschuldung der Roma, welche im Vordergrund unserer Aufmerksamkeit steht. Damit verbunden sind weitere Probleme, die auch weitere Teile der Bevölkerung betreffen. Wir haben einen sehr liberalen Markt und eine stark ausgeprägte Konsumgesellschaft mit einer Dominanz der Banken. Dies wirkt sich nicht nur auf die Roma, sondern auf alle Armen aus. Diese von Armut betroffenen Menschen haben sich in den letzten vier bis fünf Jahren stark und vor allem legal verschuldet. Das heißt, eine Mutter mit drei Kindern, die nie gearbeitet hat, bekommt eine Viertel Million tschechische Kronen legal als Darlehen, welches später zurückgezahlt werden muss. Bei Nichteinhaltung der Verpflichtungen kommt die Exekution. Der Eintritt in den Arbeitsmarkt bedeutet dann aber, dass viele Leute wieder einen Teil des Einkommens verlieren, d. h., sie suchen sich eine Beschäftigung als Schwarzarbeiter, damit ihnen nichts abgezogen wird. Die Schwarzarbeit in der Tschechischen Republik ist besonders in ungeschützten Branchen ein aktuelles Problem. In unserer Region ist aufgrund des offenen Marktes die Schwarzarbeit besonders im Bauwesen oder bei Hausarbeiten weit verbreitet. Das sind Erfahrungen, die wir aus unserer Praxis her kennen und deshalb haben wir uns dieser Problematik angenommen und starteten soziale und pädagogische Programme für betroffene Roma und deren Kinder. Wir haben mit sozialen Arbeiten begonnen, dann sind auch die Beschäftigungsdienstleistungen hinzu gekommen. Bei den Kindern konzentrieren wir uns auf den Übergang von der Grundschule in die Mittelschule. Wir möchten, dass sich die Kinder eine Schule aussuchen, die ihnen Spaß macht, diese auch abschließen und dann arbeiten gehen. Wie sieht es konkret bei 46

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der Beschäftigung aus? Alle Dienstleistungen unserer Organisation sind gratis und werden von der Tschechischen Republik sowie der Europäischen Union finanziert. Wir stellen eine konkrete Beratung für die Anforderungen am Arbeitsmarkt zur Verfügung und helfen den Betroffenen, ihre Lebensläufe und Bewerbungsschreiben zu erstellen. Obwohl es manchmal einfacher wäre, dies aufgrund unserer Erfahrung für den Kunden selbst zu machen - wir können die Bewerbungsunterlagen in wenigen Minuten anstatt von Stunden erstellen. Wir nehmen uns aber für jeden die Zeit und versuchen so zu helfen, damit die Betroffenen in Zukunft unsere Dienstleistungen nicht mehr brauchen. Als wir mit unserer Arbeit begonnen haben, haben wir eine Assistenz vor allem bei Fällen von Diskriminierung geleistet. Wir haben uns gedacht, dass es sehr gut wäre, wenn unsere Kunden vor dem Hintergrund möglicher Diskriminierung eine Begleitung bei der Arbeitssuche haben. Aber dann haben uns die Kunden gesagt, dass sie es gar nicht wollen. „Wir wollen nicht, dass ihr mit uns geht. Wir möchten selbstständig sein. Helft uns, unseren Weg selbst zu finden.“ Das bekamen wir oft zu hören. Jetzt stellen wir unsere Dienstleistungen so zur Verfügung, dass der Kunde zu uns kommt und selbst herausfindet, wo er Arbeit findet. Wir gehen davon aus, dass es in Südmähren und vor allem in Brünn sehr wohl freie Arbeitsstellen gibt, die sie auch über uns finden können. Natürlich gibt es in der Slowakei eine völlig andere Situation, wo es keine Arbeit gibt. Mehr als 80% unserer Dienstleistungen sind mit der Arbeitsfindung verbunden. Wir zeigen den Kunden, wo es diese Arbeitsstellen gibt und wir versuchen, sie auch dorthin zu vermitteln. Natürlich befassen wir uns auch mit der Diskriminierung, obwohl wir an einem Wendepunkt angelangt sind, wo wir begriffen haben, dass man einen Arbeitgeber nur schwer rechtlich belangen kann. Dieser sagt, einen Schwarzen nehme ich Roma am Arbeitsmarkt

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nicht in die Arbeit auf. Wir haben festgestellt, dass wir solche Arbeitgeber vor ein Gericht bringen oder diese Fälle medialisieren können, aber das hat nur wenig Wirkung gehabt. Mit der Zeit sind wir dazu übergegangen, einen anderen Ansatz zu probieren. Wir haben ein Konzept erstellt, in dem wir Bildungsaktivitäten anbieten. Wir haben ein Stadium erreicht, in dem wir Kompetenzen ausbilden, die sich nach dem Bedarf des Arbeitsmarktes orientieren. Wir haben aber auch leider erkannt, dass unsere erwachsenen Kunden wenig Interesse haben, sich weiterzubilden. Jemand, der 40 Jahre alt ist, eine Familie und eine Grundschulbildung hat, möchte sich nicht mehr weiterbilden. Er hat genug zu tun, um seine Familie zu ernähren und das Interesse in die Schule zu gehen, ist kaum gegeben. Also zurück zu der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Viele Maßnahmen sehen am Papier schön aus, jedoch sind sie für die relevanten Gruppen am Arbeitsmarkt nicht sehr funktionell. Ein Großteil des Geldes ist für die Lobbyarbeit, Arbeitsämter und Bildungsinstitutionen gedacht. Sie leben davon. Diese Einrichtungen haben eine Lobby und werden subventioniert. Stattdessen sollte man in Stellen der öffentlichen Arbeit investieren. Im Jahr 2006 hat die Stadt Brünn mit 400.000 Einwohnern insgesamt zwölf Stellen im öffentlichen Bereich geschaffen. In Brünn hat man es eben verstanden, die Vorteile daraus zu ziehen; es wird nach und nach besser. Aber der Zustand am Arbeitsmarkt und die finanzielle Unterstützung für die 5% der am schlechtesten Vermittelbaren ist nach wie vor schlecht. Nun möchte ich über andere beratungsrelevante Aspekte unserer Organisation sprechen. Eine wichtige Maßnahme ist vor allem das Ausbildungszentrum für Jugendliche, das die Kinder bei der Auswahl einer Ausbildungsmöglichkeit berät und darauf schaut, dass Jugendliche in der Mittelschule Praktika absolvieren und praktische Erfahrungen in Betrieben sammeln.

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Als ich 2003 in die Organisation gekommen bin, hatten wir sechs Mitarbeiter und vier davon waren Roma. Mittlerweile sind wir auf 60 Mitarbeiter angewachsen und haben bis zu dreizehn Roma bei uns angestellt. Wir würden sehr gerne, und das klingt vielleicht für sie etwas sonderbar, mehr Diskriminieren. Wir möchten das Risiko auf uns nehmen und 60 Roma in unsere Organisation aufnehmen. Wo liegt eigentlich das Problem, werden sich jetzt einige fragen. Das Problem ist jenes, dass wir des Gesetzes wegen qualifizierte Dienste anbieten und Sozialarbeiter brauchen, die heute eine spezifische Qualifizierung mit einem Hochschulstudium haben. Diese Voraussetzungen gelten auch bei den pädagogischen Tätigkeiten. Wir haben schon genügend geeignete Kandidaten, die die Tätigkeit bei uns mit Leichtigkeit bewältigen und die mit ganzem Herzen und mit vollem Einsatz arbeiten würden. Doch leider gibt es auch aufgrund unserer finanziellen Ressourcen, die wiederum von Subventionen abhängen, strikte Einschränkungen für unsere Beschäftigten. Unsere Perspektive ist nun langfristig angelegt. Wir haben festgestellt, dass es langfristig besser und einfacher ist, unsere Mitarbeiter selbst auszubilden. Ausgewählte Kunden versuchen wir für eine Bildung zu bewegen, und wir haben auch schon den ersten Output von so einem Bildungsprogramm. Eine ehemalige Kundin hat bei uns angefangen. Die Ergebnisse unserer Arbeit können als hard facts präsentiert werden. Ungefähr 600 Kunden und Kundinnen haben an unserem Programm teilgenommen und die meisten Teilnehmer davon sind Frauen. Ich möchte betonen, dass die meisten dieser Teilnehmer Frauen sind. Sie haben mehr Ausdauer, zeigen mehr Interesse und finden auch leichter eine Arbeitsstelle. Wir haben auch mit Bulgaren und Rumänen gesprochen und sie haben wirklich auf den Frauenfaktor gesetzt. Für kurzfristige Arbeiten sind die Männer eher leichter zu gewinnen aber unsere Erfahrung zeigt, dass es leichter ist, Frauen langfristig am Arbeitsmarkt unterzubringen. Roma am Arbeitsmarkt

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Im Jahr 2010 konnten wir mit unserer Assistenz, Arbeit für insgesamt 60 Kunden finden. Seit 2006 erreichen wir solche Zahlen, mit Ausnahme des Jahres 2008, da gab es einen großen Einbruch. Im Krisenjahr 2008 konnten wir nur drei Kunden vermitteln. Jetzt haben wir die Krise überwunden aber die Auswirkungen zeigen sich bei uns ganz stark. An der Beratung für die Schulwahl haben 700 Schüler teilgenommen. Davon haben sich 90 % für eine Mittelschule gemeldet und 85% davon haben auch wirklich mit der Schulausbildung angefangen. Früher waren es 40% und nur 8-10 % haben dann die Ausbildung auch tatsächlich begonnen. Wir können natürlich nicht garantieren, dass sie die Schule beenden und dann auch einen Job finden. Wir wissen, dass bei der Arbeitsberatung von Schülern teilweise Schulberater und Schulpsychologen eingesetzt werden. Wir möchten nicht mit ihnen konkurrieren, viel mehr wollen wir eine Kooperation, denn ihre zeitlichen Möglichkeiten für eine individuelle Beratung sind nicht in dem Maße vorhanden wie unsere. Deshalb versuchen wir, diese Dienstleistungen der staatlichen Institutionen durch unsere Tätigkeit zu ergänzen. Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist das Konzept ethnic friendly Arbeitgeber. Unsere Kunden haben es sich nicht gewünscht, dieses Thema offen zu behandeln. Doch die Menschen machen unterschiedliche Erfahrungen. Einer hat am Telefon mal gesagt, „Sie sind ein stinkender Zigeuner!“. Sie hören es das ganze Jahr, wollen sich aber nicht damit beschäftigen und somit wollen sie es auch nicht weiter verfolgen. Ich will damit sagen, dass Roma ihre spezifischen Alltagsprobleme haben, aber keine Möglichkeit, die Diskriminierung der sie ausgesetzt sind, zu bekämpfen. Unsere Kunden wollen ganz normal behandelt werden. Sie wollen nicht, dass wir immer wieder über die Roma als eine diskriminierte Minderheit sprechen. Ich verstehe das und bin damit einverstanden, aber es ist notwendig, die Politik auf die Roma nicht nur in der Tschechischen Republik, sondern auch in der EU auszurichten. Dabei muss man sich 50

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aber bewusst werden, dass in den meisten europäischen Staaten die Roma unter dem Existenzminimum leben. Die gesellschaftliche Diskriminierung stellt ein zusätzliches Problem dar. Dieses Thema wird im Wirtshaus oder im Kulturverein behandelt, aber auf dem Arbeitsmarkt will niemand damit konfrontiert werden. Eben deshalb haben wir mit dem Konzept ethnic friendly Arbeitgeber begonnen. Offen gesagt ist es eine riesige Blase. Wir versuchen einen Prozess zu initiieren. Wenn sich ein Arbeitgeber meldet, dann fragen wir ihn, ob er der Kategorie ethnic friendly angehören möchte. Dann besuchen wird diesen Arbeitgeber, halten Konsultationen ab und erklären, wie die internen Maßstäbe und die Personalaufnahme funktionieren. Besprochen wird auch, wie Probleme am Arbeitsplatz gelöst werden und welche Maßnahmen bei Entlassungen einzuhalten sind. Unsere Ansprechpartner sind die Personalchefs und Eigentümer von Firmen. Es werden aber auch die anderen Arbeitnehmer eingebunden. Uns geht es primär darum, die Firmenkultur so zu ändern, dass es egal ist, ob jemand Roma oder Nichtroma ist. In der Folge kommt es zur Medialisierung und zur Preisvergabe, wobei immer ein Prominenter die Schirmherrschaft übernimmt. Wir versuchen, möglichst viel Werbung zu machen. Unser Ziel ist es, dass diese Aktivitäten nicht nur auf Roma ausgerichtet sind, sondern sich auf alle Beteikligten positiv auswirken. Hauptzielgruppe ist die gesamte Öffentlichkeit der Tschechischen Republik. Unser Interesse besteht darin, dass die tschechische Bevölkerung begreift, dass ein Roma ein ganz normaler Nachbar und Mitarbeiter ist. Unser Schwerpunkt liegt ganz klar auf der Beschäftigung und das ist wohl das größte Problem der Gegenwart. Eine weitere harte Nuss, die es zu knacken gilt, betrifft den Wohnungsmarkt. Die Vermieter haben viele Vorurteile und somit ist ein Zusammenleben problematisch. Die Häuser gehören Privateigentümern. Diesen kann man nicht vorschreiben, wen sie in ihren Häusern wohnen lassen sollen. Aber eine langfristige Vision Roma am Arbeitsmarkt

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ist hier, genauso wie am Arbeitsmarkt, unbedingt notwendig. Wir sind uns dessen bewusst, dass wir mit der Öffentlichkeit arbeiten müssen, denn häufig liegen hier die meisten Probleme. Wenn Roma gut ausgebildet und auch arbeitswillig sind, hilft es ihnen nicht, wenn sie einem Menschen gegenübertreten, der seine Vorurteile spürbar an den Tag legt. Deshalb haben wir weitere Kampagnen mit diesen Schwerpunkten ins Leben gerufen. Wir versuchen unter anderem, unsere Kontakte mit den Verkehrsbetrieben für unsere Botschaften für mehr Toleranz zu nutzen. Auch das Tschechische Fernsehen hat uns kostenlos eine Werbebotschaft erstellt, die dieses schwierige Thema anspricht. Das sind ganz wesentliche Aspekte, um eine Verbesserung des Zusammenlebens und somit auch die Integration der Roma in unserer Gesellschaft zu ermöglichen. Abschließend möchte ich Ihnen einen Kurzfilm einer unseren Kampagnen präsentieren und mit einem Satz kommentieren. (Es folgte das Abspielen eines Kurzfilmes in der Länge von zwei Minuten, der im Tschechischen Fernsehen ausgestrahlt wurde). Die Kernbotschaft dieses Films lautet: „Wenn wir spielen, kennt uns jeder. Wenn wir arbeiten, sieht uns niemand. Gebt uns eine Chance!“ Das ist ein kleiner Beitrag dazu, wie wir ein Umdenken in der Mehrheitsbevölkerung bewirken wollen und die Lebenssituation von Roma verbessern möchten. Mit diesen Worten möchte ich meinen Beitrag beenden und mich für Ihre Aufmerksamkeit herzlich bedanken.

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1.7. Resümee Rudolf Sarközi

Da ich schon mehr als 20 Jahre ein Volksgruppenreisender in allen möglichen Staaten bin, höre ich auch heute noch fast immer die gleichen Worte. Ich hoffe, ich werde noch 20 Jahre älter werden und werde diese Worte nicht mehr hören müssen. Es ist wirklich eine untragbare Situation in diesen Ländern. Warum gelingt es gerade von Österreich aus, wie Pfarrer Pucher eben gesagt hat, in den Ländern wo Hilfe gebraucht wird, tätig zu werden. Es ist klar, man kann die Hilfe nicht über das ganze Land verbreiten. Aber was mir hier in Österreich aufgefallen ist, man kann den Regierungschef und die Minister einladen und diese werden öffentlich für uns Roma eintreten. Warum sehe ich das in den benachbarten Ländern nicht? Hier lässt man die Roma ganz schön alleine. Das Credo könnte lauten. „Die sollen sich selber den Schädel einschlagen“. Doch so wird es nicht funktionieren. Wenn man jetzt nichts ändert, wird es auch in 20 Jahren wieder die gleichen Berichte über eine ähnliche Lage der Roma geben und es wird keine Änderung herbeigerufen werden. Die Regierungschefs und die Minister müssen jetzt öffentlich auftreten und sagen: „Wir wollen eine Kampagne starten“. Die Politiker müssen klar zum Ausdruck bringen, dass eine Verbesserung der Situation der Roma, egal in welchem europäischen Land sie heute leben, eintreten muss. Die Roma sind Bürger dieser Länder und sie wählen auch ihre Politiker. Leider haben die Roma bis heute noch keine politische Partei, die sie selber wählen würden. Hingegen stellen die Roma in der Slowakei oder in Ungarn ein großes politisches Potential dar. In der Slowakei und in Ungarn leben jeweils bis zu 400.000 Roma. In diesen Staaten müsste man mindestens zehn Abgeordnete ins Parlament bringen; und wie viele haben Sie? Selbst eine Roma am Arbeitsmarkt

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ungarische EU-Abgeordnete, wie beispielsweise die Jarovka, kann kaum allein etwas bewegen. Deshalb glaube ich, dass die Roma und vor allem ihre Politiker selbst eine Veränderung intensiver angehen müssten. Der letzte Politiker in den Nachbarstaaten, an den ich mich erinnern kann, der sich öffentlichkeitswirksam für die Roma eingesetzt hat, war Václav Havel. Er hat sogar ein Roma-Festival besucht. Bei solch einem Anlass kann man sich in der Öffentlichkeit präsentieren. Dort wo es Armut gibt, dort wird nichts oder nur sehr wenig getan. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

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Zweiter Teil Moderiert von Sabrina Kopf



2. Podiumsdiskussion 2.1. Einführende Statements der Diskussionsteilnehmer Innen Sabrina Kopf

Zu Beginn möchte ich daher auch gleich Herrn Přibil fragen, welche Initiativen es am Arbeitsmarkt gibt. Gibt es spezielle Initiativen, um Roma in den Arbeitsmarkt zu integrieren, vor allem da wir gehört haben, dass 80 % der Arbeitslosen in Tschechien Roma sind und von diesen Arbeitslosen 75 % Langzeitarbeitslose, d.h., gibt es hier spezielle Initiativen für Roma und insbesondere für langzeitarbeitslose Roma? Hubert Přibil

Guten Tag meine Damen und Herren, und danke für die Einladung. Ich bin der Stellvertreter des Arbeitsamtes in Brünn in Südmähren und bevor ich die Frage beantworte, möchte ich zuerst kurz etwas zu meinen Vorrednern sagen. Ich bin der Leiter der Staatshilfe, d. h. der Sozialhilfe, die von der Tschechischen Republik an die sozialschwachen Bevölkerungsschichten ausbezahlt werden. In Brünn haben wir ca. 50.000 Klienten, die Sozialhilfe bekommen. Die Auszahlung ist eng an die Arbeitslosigkeit und die Beschäftigung gebunden. D. h. es ist Sozialhilfe, die alle Betroffenen erhalten. Von den 50.000 Kunden, die wir haben, sind ca. ein Zehntel Roma. Bevor ich über die Statistiken und tatsächlichen Angaben spreche und somit die Realdaten präsentiere, mit welchen wir konfrontiert sind, möchte ich eines hinzufügen, was mein Vorredner bereits angesprochen hatte. Aufgrund der Ergebnisse und der Dienstleistungen, sowie der Beziehungen zwischen Mitarbeitern und Klienten, führt das Arbeitsamt das Zertifikat eines ethnic friendly Arbeitgeber.

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Bevor ich die einzelnen Fälle aus der Praxis kommentiere, möchte ich darauf aufmerksam machen, dass ein Beamter wirklich Interesse daran hat, mit allen Kunden gleich gut auszukommen, in ruhiger und angenehmer Atmosphäre zu arbeiten. Deswegen besteht Interesse daran, mit allen unseren Kunden gut zusammenzuarbeiten. Nur wenn wir einen zufriedenen Kunden haben, ist eine erfolgreiche Arbeit für alle Beteiligten sichergestellt. Es gibt hier unter uns einige Historiker, und manche Vertreter der Geschichtswissenschaft vergleichen die Geschichte der Roma in Europa mit jenen der Juden. Es gibt in den letzten 500 bis 800 Jahren einige parallele Entwicklungen. Beide ethnischen Gruppen waren in Europa und auch in der restlichen Welt unerwünscht. Heute können beide Gruppen auch nach deren weltweiten Erfolgen beurteilt werden, was aber den Historikern überlassen werden sollte. Das bringt jedoch keine Lösungen für die vielseitigen Probleme, mit welchen die ethnische Gruppe der Roma konfrontiert ist. Die Mehrheitsbevölkerung in Tschechien hat Vorurteile gegenüber den Roma. Sie bezeichnet sie als nicht anpassungsfähig was Hygiene, Ausbildung, arbeitsmarktpolitische Integration und Qualifizierung betrifft. Das sind nur einige Problemfelder, wo es auch viele Praxiserfahrungen gibt. Wir versuchen im Rahmen unserer Tätigkeit, die Roma in den gesamten Arbeitsprozess so einzugliedern, dass es zu keiner Diskriminierung kommt. Aus der Sicht einer staatlichen Einrichtung, welche Sozialhilfe auszahlt und im Zusammenhang mit der Frage, ob sich die Roma-Bevölkerung in vergleichbarer Armut wie in der Slowakei befindet, möchte ich ein paar Basisdaten präsentieren. Das Gehalt eines Mitarbeiters des Arbeitsamts beträgt 400 bis 600 Euro Brutto im Monat. Unsere Kunden, egal ob das jetzt Roma oder Nichtroma sind, haben aufgrund von Sozialleistungen 500 bis 1000 Euro Einkommen pro Monat zur Verfügung. Dieses absolute Unverhältnis ist ungefähr so, wie wenn ein 58

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berufstätiger Österreicher 2000 Euro im Monat verdient und einem arbeitsloser Roma und Nichtroma 3000 Euro zur Verfügung stehen würden. Das muss deshalb erwähnt werden, damit das Verhältnis zwischen sozialen Schichten klar dargestellt wird, um auch uns besser zu verstehen. In der Tschechischen Republik können wir nicht darüber sprechen, dass die Romaund Nichtroma-Bevölkerung, was die Sozialhilfe und Arbeitslosenunterstützung betrifft, jenes große Ausmaß annimmt. Diese Einkommen sind statistisch belegt, das ist keine Ideologie. Bei der Auszahlung von Sozialhilfe wird nicht zwischen Roma und Nichtroma unterschieden, somit erhalten beide Gruppen die gleichen Geldleistungen. Also es geht darum, so wie gesagt wurde, dass die sozialschwachen Gruppen in den Arbeits- und Bildungsprozess eingegliedert werden. Wenn wir über die Roma sprechen, dann gibt es viele Beispiele aus der Praxis, die für diesen Eingliederungsprozess nicht förderlich sind. Es kommen Roma zu uns und sagen, dass sie arbeiten möchten. Ich rufe dann meine Kollegin an, die für die Arbeitsvermittlung zuständig ist, gebe ihr Namen, Geburtsdatum und alle anderen notwendigen Daten des Kunden durch und versuche zu helfen. Es kommt nicht selten vor, dass die Kollegin sagt: „Ja, aber wir haben ihn schon dreimal zu einer Umschulung eingeladen. Einmal ist er krank geworden, einmal hat er die Einladung verloren und einmal ist seine Frau mit dieser Einladung in die Slowakei gefahren“. Das ist ein Beispiel aus der alltäglichen Praxis unserer Arbeit mit den Kunden der Roma-Minderheit. Natürlich ist die Situation sehr oft auch durch andere Faktoren zugespitzt. Was die Anzahl der Kunden betrifft, kommen die meisten zwischen 13 und 15 Uhr. So müssen wir in dieser Zeit bis zu 300 Kunden betreuen, was mit viel Nervosität verbunden ist und fast einer Massenpsychose gleichkommt. Deshalb möchte ich gerne Agenturen oder Bürgerinitiativen einladen, die sich mit der Roma-Problematik beschäftigen und uns in diesem Bereich helfen. Die Massenpsychose muss Roma am Arbeitsmarkt

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gesteuert werden, die Nervosität der Kunden, die nicht warten möchten und manchmal die Formulare selbst nicht ausfüllen können, muss man beruhigen. Wir können unsere Kunden beraten, aber wir können für sie nicht die Formulare ausfüllen, dazu haben wir keine Zeit. In der Vergangenheit ist es auch zu Situationen gekommen, wo wir von den Kunden – sowohl von Roma als auch von Nichtroma – physisch angegriffen wurden und wir deshalb die Polizei holen mussten. Wir müssen sehr viele Beleidigungen und Beschimpfungen über uns ergehen lassen. Wir möchten uns nicht beklagen, denn es bringt nichts. Es gibt auch keine Lösungen, es wird nur aufgeschoben. Also unser Bemühen besteht in erster Linie darin, allen, ohne Unterschiedung auf den ethnischen Hintergrund, zu helfen. Natürlich bemühen wir uns, dass die Kunden eine Arbeit finden. Wenn sie arbeiten, werden sie keine Zeit haben, uns zu beschimpfen oder kleine Diebstähle zu begehen. Es geht um die Armut der Sozialgruppen und darum, in welcher Umgebung und in welchem Umfeld diese Gruppen leben, egal ob Roma oder Nichtroma. Deswegen sind wir schließlich da, um Probleme zu besprechen. Dabei sollten wir uns sicherlich nicht auf die Schulter klopfen und sagen, dass alles in Ordnung ist. Die Probleme hängen alle zusammen, Arbeitslosigkeit, Beschäftigung und Sozialhilfe. (Es gab im Saal einige Zwischenmeldungen, die von der Technik nicht aufgezeichnet werden konnten, eine Person hat aber sichtlich erbost den Saal verlassen). Die Kollegin hat den Saal verlassen, das ist ihr Problem. Wir müssen die Schwierigkeiten offen ansprechen und zusammen vorgehen und begreifen, dass die Probleme der Sozialhilfe sowie die Arbeitsmarktproblematik gemeinsam gelöst werden müssen, denn diese hängen sehr eng zusammen. Danke. Sabrina Kopf

Zum Ablauf dieser Podiumsdiskussion möchte ich sagen, dass wir jedem der TeilnehmerInnen am Podium zunächst die Gelegenheit 60

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geben möchten, ein Eingangsstatement zu halten und die Situation der speziellen Sicht zu erläutern. Es wird danach eine zweite Runde geben, d. h., es werden dann auch nochmal spezifische Fragen gestellt und danach soll es natürlich auch für alle ZuhörerInnen die Gelegenheit geben, Fragen an die TeilnehmerInnen am Podium zu richten. Daher möchte ich auch alle bitten, hören Sie sich bitte die Eingangsstatements und dann auch die zweite Runde an. Danach haben Sie Zeit, gezielte Fragen zu stellen. Ich denke, dass ist auch im Sinne aller und es ist auch gerecht, sodass jeder zu Wort kommen kann. Ich möchte nun Herrn Kmeťo um sein Eingangsstatement bitten. Da sie ja in einer NGO tätig sind, möchte ich von Ihnen gerne wissen, welche Aufgaben, welche Projekte diese NGO verfolgt. Igor Kmeťo

Sehr geehrte Damen, geehrte Herren. Ich stehe vor Ihnen, um zu Ihnen als Vertreter der Assoziation der Arbeitsgeber für Roma zu sprechen. Aber ich bin auch ein statutärer Vertreter der Non-Profit-Organisation Neue Hoffnung, in der wir versuchen, die Lebensqualität, das Lebensniveau, die Möglichkeit der Ausbildung für Roma zu verbessern. Die breite Masse der Mehrheitsgesellschaft hat die Tendenz, die Roma in der Gesellschaft auszugliedern. Leider geht es der Öffentlichkeit immer nur um solche Roma, die Sozialleistungen für ihre Familie in Anspruch nehmen. Dabei wird den Roma vorgeworfen, dass sie nicht arbeiten wollen. Die Roma haben Interesse zu arbeiten, aber sie haben es nicht einfach. Denn am Arbeitsmarkt, wo die Arbeitslosenquote hoch ist und stetig steigt, ist es für Roma unmöglich, sich zu integrieren. Als Vertreter einer Nichtregierungsorganisation versuchen wir alles zu tun, um diese Situation zu verbessern. Aber ohne einer europäischen Donation oder Subvention ist es unmöglich. Wir stellen uns sehr oft die Frage: Wo sind die Gelder, die freigestellt wurden? Wofür werden sie genutzt? Es ist irgendwie immer so verschleiert und viele Leute wissen nicht, wo das Geld hinkommt. Wir wissen es Roma am Arbeitsmarkt

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leider auch nicht. Ich weiß, dass wir vielleicht nicht allen Roma helfen können, aber wir könnten einigen von den Ärmsten helfen. Sie würden zu einer beruflichen Basisausbildung sowie zu einer Arbeitspraxis kommen und folgend sind wir imstande, sie am Arbeitsmarkt bei konkreten Arbeitgebern zu platzieren, die auch bereit wären, in dieser Sache mit uns zu kooperieren. Die Roma wissen es ja auch, sie wollen arbeiten. Sie sind geschickt, sie haben Fähigkeiten und sie sind verantwortungsbewusst und verlässlich. Mit der Hoffnung auf Verbesserung dieser nicht leichten Situation, wurden wir Mitglieder der Konferenz der Organisation des 3. Sektors der Slowakischen Republik, die Nichtregierungsorganisationen aus der gesamten Slowakei verbindet. Wir hoffen, dass man mit uns endlich auf gleicher Augenhöhe sprechen wird, weil die Situation ernsthaft und bedrohlich ist. Wenn wir die Situation weiter schleifen lassen, die staatlichen Organe uns weiter ausweichen und Probleme verschleiert werden, dann werden solche Leute wie Kotleba an Macht gewinnen. (Marian Kotleba ist Vorsitzender einer neonazistischen Vereinigung in der Slowakei). Vor drei Tagen war ein großes Zusammentreffen von Skinheads und Anhängern von Kotleba, die Roma bedrohten. Ich gebe zu, es gibt auch Roma, die nicht anpassungsfähig sind. Aber die Medien, die sehr oft auch Werbung für solche Skinheads machen, oder Berichte verbreiten, in denen rechte Extremisten als die Guten und die Roma als die Schlechten dargestellt werden, sind für die Lösung der Probleme sowie für den Abbau von Vorurteilen nicht förderlich. Dagegen müssen wir Widerstand leisten und etwas machen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Sabrina Kopf

Herzlichen Dank an Herrn Kmeťo für sein Eingangsstatement. Ich möchte nun das Wort an Herrn Nešpor weitergeben. Eine Forderung von Herrn Prof. Sarközi an diesem Vormittag war, auch 62

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jungen Roma die Gelegenheit zu geben, in Betrieben Fuß zu fassen, d. h., in Betrieben Ausbildung zu erhalten und dort auch die Möglichkeit, Aufstiegschancen zu bekommen bzw. auch, ihren Weg in die Selbständigkeit zu finden. Meine Frage an Sie wäre nun: Gibt es Ausbildungs-Initiativen in der Gewerkschaft für junge Roma bzw. wie viele Roma sind denn in der Gewerkschaft organisiert? Miloš Nešpor

Sie haben mir eine sehr schwierige Frage gestellt und ich werde mich bemühen, die Frage sehr offen zu beantworten. Es liegt keine Statistik vor, wie viele Roma Mitglieder bei den slowakischen Gewerkschaften sind. Wir haben uns nie mit dieser Problematik auseinandergesetzt. Für mich ist es eine sehr angenehme Überraschung, dass im Rahmen des ZUWINBATProjekts der Gewerkschaftsverband der Slowakischen Republik eine neue Seite der Geschichte aufgeschlagen hat. Zum ersten Mal haben wir die Möglichkeit, auf diesem Forum über die Themen zu sprechen, die die Roma betreffen. Es ist für uns eine Herausforderung. Wir haben diese Problematik zum ersten Mal von Frau Hana Blažičková gehört, die Koordinatorin des Projektes auf der slowakischen Seite ist. Ehrlich gesagt waren wir alle über den Themenvorschlag sehr überrascht. An den Gesichtern vieler Kolleginnen und Kollegen konnte man die Verwunderung ablesen. Wir haben uns die Frage gestellt: Was haben die Gewerkschaften mit der Roma-Problematik gemeinsam? Wieso die Gewerkschaften und wieso Roma? Das ist ja eine Diskriminierung gegenüber den Nichtroma, wir können ja keinen RomaGewerkschafter von einem Nichtroma-Gewerkschafter trennen, das war die erste Idee, die da zum Vorschein kam. Und ich muss gestehen, es dauerte länger bis die Kollegen begriffen haben, warum sich die Gewerkschaften in dieser Problematik engagieren sollen. Das Problematische an dem Thema ist nicht die Angst unserer Generation, dass die Ausgrenzung der Roma Roma am Arbeitsmarkt

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behandelt wird. Es ist eher das Problem, dass wir uns dieser Problematik unbedingt annehmen müssen und die zentrale Frage dabei ist, was der Gewerkschaftsverband der Slowakischen Republik den Roma anbieten kann. Was können wir für die Roma tun? Das ist eine sehr schwierige Frage und wie meine Vorredner bereits heute Vormittag sagten, es ist ein dornenreicher und steiniger Weg. Und ich kann auch in meinem eigenen Namen nicht konkret sagen, was wir als Vertreter von Gewerkschaften für die Roma in der Slowakei tun können. Aber ich kann eine Sache versprechen. Im Rahmen der Aktivitäten und der Kooperationen, die hier im Gewerkschaftsverband laufen, oder auch im Zusammenhang mit der Stiftung von Herrn Kmeťo, werden wir alle unsere Kräfte einsetzen, um gemeinsam mit unseren Kollegen von anderen Gewerkschaftsorganisationen entsprechend handeln zu können. Das ist das Einzige, was ich zur Einleitung versprechen kann. Sabrina Kopf

Man braucht Rahmenbedingungen, um Roma in den Arbeitsmarkt zu integrieren, unter anderem gibt es hier auch die Antidiskriminierungsrichtlinie der Europäischen Union. Herr Dr. Šulc, sind Sie der Meinung, dass Antidiskriminierungsrichtlinien ausreichen, um Diskriminierung von Roma am Arbeitsmarkt sinnvoll und effektiv zu bekämpfen oder ob es auch noch andere rechtliche Rahmenbedingungen hierfür braucht? Petr Šulc

Meine Damen und Herren, wir haben in der Tschechischen Republik ein Antidiskriminierungsgesetz und dieses besagt, dass niemand aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit diskriminiert werden darf und die betroffene Person natürlich Schadenersatz verlangen kann. Aber man muss sagen, dass die Tschechische Republik seitens der internationalen Institutionen wiederholt kritisiert wird, weil die Antidiskriminierungsrichtlinien der EU nicht erfüllt werden. Und in der Tat gelingt es 64

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uns nicht, diese Antidiskriminierung in der Praxis zu verankern. In der Realität sieht es so aus, dass die meisten Arbeitgeber die Roma nicht beschäftigen wollen, und zwar nur aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Diese Diskriminierung basiert nicht darauf, dass die Roma eine schlechtere Qualifizierung hätten, es ist wirklich nur die ethnische Zugehörigkeit dieser Bevölkerungsgruppe, die ausschlaggebend ist. Und leider fehlt es seitens unserer Regierung an politischem Willen, hier etwas zu unternehmen. Es gibt auch Organisationen, wo Gewerkschaften, Arbeitgeber, Regierung vertreten sind und darauf hinzuweisen versuchen, dass diese Situation geändert werden muss. Aber leider vertritt unsere Regierung rechtsgerichtete Standpunkte und deswegen gelingt es uns nicht, diese Situation zu ändern. Wir denken, dass die Stellung der Roma bei uns, genauso wie in anderen Mitgliedsstaaten der EU ähnlich ist. Sie werden entlassen in Zeiten der Krise, weil sie in nicht qualifizieren Berufen beschäftigt sind. Anfang der 1990er Jahre, zur Zeit der Wirtschaftstransformation und der Wirtschaftsreformen, kam es zu ersten großen Entlassungen. Dies spiegelt sich auch in der heutigen Situation wieder. Die Regierung bemüht sich zwar, die Roma einzugliedern, aber nur mit geringen Finanzmitteln und mit ungenügenden Maßnahmen. Wir sehen hier eine große Wichtigkeit, was die Ausbildung betrifft. Die Kinder haben eine Sprachbarriere. Sie werden benachteiligt, schikaniert und unsere Regierung investiert nur 0,5% des Bruttoinlandsproduktes für diese Maßnahmen. Wir bieten zwar Antidiskriminierungsmaßnahmen für Roma und Nichtroma an, aber die Roma brauchen sie wirklich. Wir haben regionale Beratungszentren für alle Arbeitnehmer. Es kommen Roma und Nichtroma zu uns. Wir haben eine 24-Stunden Beratungshotline, bei der sich jeder über das Arbeitsgesetzbuch und Antidiskriminierung informieren kann. Wenn eine Beratung am Telefon nicht ausreicht, gibt es Zentren, wo man ausführlichere Beratungsgespräche führen kann. Wir arbeiten Roma am Arbeitsmarkt

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mit NGOs zusammen, etwa mit der Organisation „La Strada“, die sich vor allem mit Problemen des Menschenhandels beschäftigt. Dieses Thema betrifft im hohen Maße auch die Roma. Beim Menschenhandel geht es um die Ausbeutung fremder Arbeitnehmer wie zum Beispiel auch im Betrieb der staatlichen Forstverwaltung der Tschechischen Republik, da werden bekannterweise Ausländer ausgebeutet. Aber auch andere ethnische Gruppen, vor allem Roma sind von dieser Form der Ausbeutung betroffen. Leider sind die Behörden an der Klärung der Vorfälle nicht interessiert. Nachdem einmal eine Anzeige eingebracht wurde, hat sich gezeigt, dass die Polizei kein Interesse an der Lösung dieser widrigen Umstände hatte. Da sich „La Strada“ speziell um Zwangsprostitution kümmert, stehen die Fälle der Ausbeutung von Arbeitern nicht im Vordergrund. Was diese Form der Prostitution anbelangt, so ist diese weit verbreitet. In diesem Bereich gibt es viel Missbrauch. Im strafrechtlichen Bereich gibt es bei der Bekämpfung des Menschenhandels ein Problem, denn die NGO-Mitarbeiter sind verpflichtet, namentlich anzuführen, mit wem sie zusammenarbeiten. Sie müssen aber Vertrauen aufbauen und daher weigern sich viele, ihre Kontakte bei der Polizei anzugeben. Die Vertreter von NGOs würden dann ihre Informanten preisgeben und sich Bedrohungen an Leib und Leben aussetzen. Im Rahmen der Europäischen Gewerkschaftskonföderation unterstützen wir entsprechende Initiativen und Gegenmaßnahmen und mittels des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses beteiligen wir uns an der Bekämpfung von Diskriminierung. Um die Situation im Bereich des Roma-Schutzes zu verbessern, braucht man aber den politischen Willen aller Mitgliedsstaaten, insbesondere unserer Regierung. Unsere Regierung lässt hier aber bei Vielem zu wünschen übrig, obwohl wir ständig nach einer Verbesserung der Situation suchen. Leider muss man feststellen, dass die jetzige Regierung schlimmer als jene 66

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vor 20 Jahren ist. Es fehlt uns der Wille, den es anfänglich noch gab. Zudem hat die Verwaltung und Selbstverwaltung keine Lösungsinitiativen wie zu Beginn der 1990er Jahre. Somit entstehen bei uns Ausschlusszonen am Rande der Gesellschaft für die Roma. Abschließend möchte ich sagen, dass wir einen umfassenden Zugang mit Einbindung von Roma brauchen sowie den politischen Willen, um etwas verändern zu können. Danke. Sabrina Kopf

Wir haben im Laufe des Vormittags auch gehört, dass Bildung der erste Schritt ist, um am Arbeitsmarkt Fuß fassen zu können. Das bedeutet auch, dass Roma im Bildungssystem aber auch außerhalb des Bildungssystems Förderungen benötigen. Ich möchte nun Herrn Svojanovský um ein Statement bitten und ihn auch bitten kurz vorzustellen, welche Aktivitäten es im Museum für RomaKultur in Brno gibt. Petr Svojanský

Ich möchte zur Diskussion aus einer anderen Sicht beitragen. Obwohl wir uns im Museum mit der Frage der Beschäftigung der Roma nicht gezielt befassen, denke ich trotzdem, dass unsere Tätigkeit mit dieser Problematik sehr eng zusammenhängt. Unsere Hauptaufgabe ist ähnlich oder gleich wie in anderen Museen, nur mit dem Unterschied, dass wir uns nicht nur mit der Roma-Geschichte befassen, sondern uns auch für die Roma-Gemeinschaft in anderen Bereichen aktiv einsetzen. Dabei konzentrieren wir uns vor allem auf die Schüler und Studenten. Das Museum befindet sich im Zentrum einer periphären Lokalität, wo auch die Kinder wohnen, die wir unterrichten. Diese Kinder besuchen Schulen, die bis zu 95% nur von Roma-Kindern besucht werden. Es handelt sich zwar nur um normale Grund- und Mittelschulen, also staatliche Schulen, ihre Qualität und somit das Niveau ist verglichen mit anderen Schulen viel niedriger. Unser Ziel ist es, diesen Roma-Kindern Roma am Arbeitsmarkt

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Nachhilfestunden zu geben und die Übergänge in andere Schulen zu organisieren. Das sehen wir als das Hauptziel und die effizienteste Methode, wenn die Roma-Kinder eine bessere Ausbildung erreichen können und überhaupt einen Weg zur Ausbildung finden. Diese Kinder brauchen natürlich von uns große finanzielle und personelle Unterstützung, um dieses Ziel zu ereichen. Wir bemühen uns also um Prävention, denn die Arbeitslosigkeit der Roma in der Gesellschaft resultiert unserer Meinung nach vor allem aus der fehlenden Qualifizierung. Die Ausbildung ist ein wesentlicher Faktor, der Arbeitslosigkeit und Beschäftigung beeinflusst. Deswegen appelliere ich, die Ausbildung nicht zu vergessen und sie verstärkt als Weg zur Lösung des Problems anzusehen. Wenn wir über die Erwachsenen am Arbeitsmarkt nachdenken, müssen wir also im Vorhinein schon über die Kinder sprechen, die die künftigen Teilnehmer am Arbeitsmarkt sein werden. Damit hängen dann auch noch andere Faktoren zusammen. Die Roma-Kinder leben in einer Umgebung mit anderen pathologischen Erscheinungen, mit denen sie sich auseinandersetzen müssen. Wenn Sie nicht die richtige Methode entwickeln, sich mit der Umgebung zu konfrontieren, dann unterliegen sie ihr. Wir bringen den RomaKindern Grundgewohnheiten bei, auf die sie im Arbeitsprozess, aber auch im persönlichen Leben nicht verzichten können. Dazu zählen Konsequenz, Planung, Geduld, die Fähigkeit, Dinge zu Ende zu führen und nicht zuletzt auch eine positive Freizeitgestaltung, die ebenfalls sehr wichtig ist. Danke. Sabrina Kopf

Vielen Dank an Herrn Svojanovský. Ich möchte nun zum Schluss Frau Verena Fabris das Wort geben. Wie gesagt, ist Frau Fabris Leiterin des THARA-Projekts, das ist ein arbeitsmarktpolitisches Projekt für Roma und Sinti. Dieses Projekt besteht schon seit mehreren Jahren. Ich denke, dass bei diesem Projekt einiges an Erfahrungswerten mitgeteilt und ausgetauscht werden könnte. Ich möchte Frau Fabris nun bitten, dieses Projekt vorzustellen. 68

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Verena Fabris

Guten Tag. Zuerst einmal möchte ich mich ganz herzlich für die Möglichkeit bedanken, hier das Projekt THARA vorstellen zu können. Ich bin die zuständige Bereichsleiterin der Volkshilfe Österreich für das Projekt, aber koordiniert wird es von meiner Kollegin Usnija Buligovic, die das THARA-Projekt von Beginn an kennt und selbst eine Romni ist. Und das ist vielleicht auch etwas, was unser Selbstverständnis kennzeichnet. Uns geht es nicht darum, für Roma/Romnja etwas zu machen, sondern gemeinsam mit Roma/Romnja etwas zu erreichen. Wir haben schon sehr viel über die spezifische Situation von Roma/Romnja und Sinti/Sintizze in Europa gehört. Ich möchte hier nur einen kleinen Punkt hinzufügen, dass auch hier nicht immer alles so schwarz-weiß ist. Österreich war mal eine Monarchie, hatte eine Kaiserin namens Maria Theresia, die selbst noch einige Roma in den Adelsstand erhoben hat. Es gab in der Zeit der Romantik Bilder von Roma und Sinti als fahrendes musizierendes Volk, die durchaus nicht nur negativ oder eigentlich gar nicht negativ behaftet waren, sondern es waren Bilder von Freiheit und Lebenslust. Die Vorurteile, die entstanden und gegenwärtig verbreitet sind, sind nicht seit Jahrtausenden immer so gewesen. Deshalb ist mir wichtig zu sagen, dass nicht alles nur schwarz-weiß ist, was besonders im historischen Kontext bedeutend ist. Ich möchte nun genauer auf das Projekt THARA eingehen und auch noch etwas zu unserem Selbstverständnis sagen, wobei ich eine Sache besonders betonen möchte. Uns geht es darum, Roma/Romnja, Sinti/Sintizze sowohl als ExpertInnen in ihrer Situation als auch als Angehörige diverser gesellschaftlicher Gruppen wahrzunehmen. Roma sind überhaupt keine heterogene Gruppe in Europa. Sie müssen jedoch sehr wohl als Angehörige einer marginalisierten Gruppe, einer Gruppe, der sehr viel Diskriminierung entgegengebracht wird, wahrgenommen Roma am Arbeitsmarkt

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werden. Und das ist eine spezifische Erfahrung, die auch die Leute, die zu uns gekommen sind, eigentlich alle teilen. Es ist eine Diskriminierungserfahrung, egal woher die Menschen kommen, ob sie in Serbien, in Österreich oder wo auch immer geboren wurden. Diese Erfahrung ist natürlich auch vom sozialen Status abhängig, aber dennoch glaube ich, dass man das nicht einfach so konstatieren kann. Worum es uns konkret geht, sind die beruflichen und sozialen Anliegen von Roma und Sinti. Es geht uns darum, einen Zugang zum Arbeitsmarkt zu öffnen. Aber nicht nur zum Arbeitsmarkt, sondern auch zu bestehenden arbeitsmarktpolitischen Einrichtungen, weil wir davon ausgehen, dass Roma/Romnja aufgrund ihrer spezifischen historischen Diskriminierungserfahrung eine spezifische Beratung brauchen. Es ist auch eine Pflicht, ihnen diese zukommen zu lassen. Uns geht es auch darum, eine Brücke zu schlagen. Einerseits zwischen unterschiedlichen Roma-Gemeinschaften und andererseits auch zwischen Roma/Romnja und der Mehrheitsgesellschaft. In diesem Zusammenhang sehen wir, dass es auf der einen Seite zahlreiche Vorurteile gibt. Manche haben wir heute auch schon gehört, z.B.: „sie betteln“, „sie kommen zu spät“, etc. Auf der Seite der Roma/Romnja gibt ein Misstrauen gegenüber den Institutionen der Mehrheitsgesellschaft. Das ist sehr oft auch durch die historische oder auch durch die persönliche Erfahrung geprägt. Was wir auch in Österreich speziell merken ist, dass sehr viele Roma/Romnja nicht sagen, dass sie zu dieser Minderheit gehören. Sie sagen nicht: „Ich bin ein Rom oder eine Romni“. Gerade die Roma/Romnja, die nach Österreich zugewandert sind, sagen eher: „Ich bin ein Exjugo“. Das hat natürlich sehr viel mit Erfahrungen zu tun, die diese Menschen machen, wenn man das offen ausspricht. Vielleicht noch ganz kurz zur Situation in Österreich insgesamt. Es ist sehr schwierig, genaue Zahlen über die Roma/ Romnja zu präsentieren. Es ist schwierig zu sagen wie viele Roma/Romnja in Österreich leben, weil eben nicht differenziert 70

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wird, ob jemand ein Roma, eine Romnja ist, sondern es wird nach Staatsangehörigkeit differenziert. Unseren Schätzungen zufolge, die sind sehr vage, leben in Wien 50.000 bis 100.000 Roma und Romnja. Sehr viele sind aus dem ehemaligen Jugoslawien, vor allem aus Serbien, zugewandert. Aber auch aus der Slowakei, Tschechien und Rumänien sind viele nach Österreich gekommen. Jetzt aber zu THARA. THARA gibt es seit 2005. THARA war eine equal-Initiative und seit 2007 werden THARA-Projekte mit unterschiedlichen Schwerpunkten vom Ministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz gefördert. Da ich Herrn Hanak vom Ministerium auch gerade direkt mir gegenüber sitzen habe, möchte ich mich auch ganz offiziell noch einmal in dieser Runde für diese Unterstützung bedanken. Ich habe schon gesagt, es war eine equal-Initiative und wir haben mit einem sehr breiten Spektrum angefangen. Es ging um Bildung und um Kultur und in den ersten zwei Jahren haben 335 TeilnehmerInnen an verschiedenen Angeboten teilgenommen. In dieser Zeit wurden in Wien auch 15 neue Roma-Vereine gegründet. Dann hat sich das Projekt mehr in Richtung spezifische Arbeitsmarktpolitik ausdifferenziert. Ich werde jetzt nicht sagen, was in den unterschiedlichen Projekten genau passiert ist, sondern aufzählen, was wir alles machen und gemacht haben. Es gibt einerseits individuelle Berufs- und Bildungsberatung. Es gibt ein spezielles Kursangebot namens Nevodrom. Nevodrom heißt auf Romanes „Neuer Weg” und ist für Jugendliche gedacht, um sie bei der Suche nach einer Lehrstelle zu unterstützen, den Einstieg in ein anderes arbeitsmarktpolitisches Projekt zu finden oder im besten Fall gleich einen Job zu finden. Wobei das nach unserer Erfahrung oft ein sehr langer Weg ist. Es ist auch in dieser Konferenz immer wieder gesagt worden, dass Bildung ein Schlüsselfaktor ist und das ist auch unsere Erfahrung. Wenn Roma am Arbeitsmarkt

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ich mit 15 Jahren keinen positiven Schulabschluss habe, dann ist es schwierig, einen Job zu finden. Wie schon bereits gesagt, haben wir auch eine Drehscheiben- oder eine Brückenfunktion zwischen unterschiedlichen Romani-Gemeinschaften, zwischen Institutionen der österreichischen Gesellschaft und Roma-Vereinen, aber auch zwischen individuellen Roma/Romnja. Was wir hier in den letzten Jahren verstärkt machen, sind Schulungen für MultiplikatorInnen, also für Leute, die zum Beispiel am Arbeitsmarktservice oder in arbeitsmarktnahen Einrichtungen mit der Zielgruppe arbeiten und oft gar nicht wissen, dass Roma/Romnja unter ihren TeilnehmerInnen sind. Das aktuelle THARA-Projekt hat noch einen anderen Schwerpunkt. Wir haben zweimal als Pilotprojekt einen Workshop für UnternehmerInnen, also für Roma/Romnja, die entweder schon selbstständig sind oder sich selbstständig machen wollen, angeboten. Das hat gemeinsam mit dem Service für Unternehmen des Arbeitsmarktservice Wien und mit der Wirtschaftskammer Wien stattgefunden. Das ist etwas, was wir in Zukunft ebenso wie die MultiplikatorInnen-Schulungen, verstärken wollen. Nach wie vor wichtig ist aber die individuelle Berufsund Bildungsberatung, in der wir schon viel Erfahrung haben. Danke.

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2.2. Inhaltliche Vertiefung Sabrina Kopf

Ich möchte nun mit der zweiten Runde dieser Podiumsdiskussion starten. Es hat sich in dieser ersten Runde gezeigt, dass es bereits Erfahrungen aus Projekten gibt, beispielsweise dem Thara-Projekt. Es gibt auch in Österreich zahlreiche Roma-Vereine und Organisationen, die sich für Roma einsetzen. Ich denke auch hierbei an das Romano Centro. Es sind auch heute VertreterInnen bei dieser Konferenz, die ganz gezielt Nachhilfe und außerschulische Betreuung für Kinder und Jugendliche anbieten. Das Romano Centro hat unter anderem auch Roma-Assistentinnen in den Schulen. Insofern möchte ich hier auch gleich anknüpfen und eine Frage gleich zu Beginn an Herrn Svojanovský stellen. Roma-Assistentinnen, die an den Schulen selbst tätig sind, vermitteln zwischen den Familien, aber auch zwischen LehrerInnen und der Schuldirektion. Ist das eine Möglichkeit, die auch Sie in Betracht ziehen würden? Haben Sie im Museum überhaupt auch die finanziellen Möglichkeiten, um ein solches Projekt durchzuführen? Petr Svojanský

Im Museum der Roma-Kultur sind wir räumlich und personell limitiert, denn die primäre Tätigkeit des Museums ist wirklich eine museale Tätigkeit. Gerade einmal 20% der Tätigkeit, die wir ausüben, hat mit Nachhilfestunden oder Freizeitaktivitäten zu tun. Wir sind also nicht imstande, andere Projekte durchzuführen als die, die wir im Moment begonnen haben. Nachhilfe, Freizeitaktivitäten und die Integration der Kinder in die Mehrheitsschulen ist das was wir machen. Sabrina Kopf

Wenn wir bei dem Stichwort Kooperation sind, stellen sich weitere Fragen: Sie haben von sehr begrenzten finanziellen Mitteln gesprochen, mit denen natürlich nicht nur ein Museum, sondern Roma am Arbeitsmarkt

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besonders stark NGOs zu kämpfen haben, d.h. Roma-Vereine und andere NGOs, sei es nun in Österreich, Tschechien oder in der Slowakei. Meine Frage nun an Herrn Kmeťo. Wie stark sind die Kooperationen zwischen den Roma-Vereinen und Roma NGOs in der Slowakei? Gibt es hier eine verstärkte Zusammenarbeit? Wie beurteilen Sie diese? Igor Kmeťo

Die Kooperation ist so wie sie ist. Es gibt Bemühungen diese auszubauen, denn es gibt große Ressourcen die genützt werden könnten. Es wurde bisher sehr wenig getan. Auch wenn die bestehenden NGOs und andere Vereine mit geringen Kosten einiges geleistet haben, liegt noch enorm viel Arbeit vor uns, die erledigt werden muss. Wenn die Regierung uns entgegenkommt, werden auch die staatlichen Organe zugänglicher für uns werden und vieles könnte leichter werden. Es gibt da spezielle EU-Fonds, die nicht genügend genützt werden. Somit steht Geld zur Verfügung, doch manchmal werden uns Hindernisse in den Weg gestellt, weswegen wir entsprechende Ressourcen nicht nützen können. Die Aktivitäten von NGOs müssen weiter ausgebaut werden und dazu brauchen sie vor allem jene finanzielle Mittel, die ihnen zustehen. Sabrina Kopf

Es sind EU-Förderungen angesprochen worden, die Möglichkeiten für finanzielle Unterstützung für großangelegte Projekte bieten. Insofern bieten vielleicht auch die Projekte ZUWINS und ZUWINBAT die Möglichkeit zu weiteren Projekten. Ich möchte nun die beiden Vertreter der Gewerkschaftsbünde um ein kurzes Statement bitten, wie sie die Kooperation in diesem Projekt denn beurteilen. Welche Möglichkeiten sehen Sie in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, Roma den Weg in den Arbeitsmarkt zu erleichtern? Ich möchte auf der linken Seite mit Herrn Nešpor beginnen.

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Misloš Nešpor

Was die Kooperation zwischen Roma und den Gewerkschaften in der Slowakei betrifft, befinden wir uns am Beginn. Es ist jetzt sehr schwer, über konkrete Schritte zu sprechen. Ich würde eher bitten, wenn die Möglichkeit gegeben wäre, meinen Kolleginnen und Kollegen vom ZUWINBAT-Projekt das Wort zu übergeben, die diese Problematik besser kennen. Ich bin ein Neuling und ich möchte mir nicht das Privileg herausnehmen, über die künftigen Pläne und Kooperationen, was die Gewerkschaften betrifft, zu sprechen. Also wenn es möglich ist, möchte ich Frau Blažičková, der Koordinatorin des Projekt ZUWINBAT in der Slowakei, das Wort übergeben. Hana Blažičková

Herzlichen Dank. Ich möchte zunächst meinen Dank Marcus Strohmeier aussprechen, denn er ist der Initiator der gemeinsamen grenzüberschreitenden Projekte und auch verantwortlich dafür, dass die slowakischen Gewerkschaften überhaupt begonnen haben, über die Problematik der Roma zu sprechen. Dankeschön. Ich denke, er verdient mehr als einen Applaus. Doch was ist bei uns in der Slowakei bis zu dem Moment passiert, als wir mit Marcus begonnen haben, über dieses Thema zu sprechen? Die slowakischen Gewerkschaften, die das Arbeitsgesetzbuch buchstäblich Seite für Seite durchforsten müssen, um Beschäftigungsmaßnahmen mit sozialen Sicherheiten finden zu können, haben die größte Gruppe nicht berücksichtigt, die auch den Arbeitsmarkt beeinflussen kann – die Roma. Nachdem wir dieses Thema in Diskussionen aufgenommen haben, haben wir erstmals begonnen, entsprechend zu handeln. Wir nähern uns dieser Problematik aber nicht im Rahmen von Kulturveranstaltungen, Empfängen oder Abendprogrammen, sondern wir versuchen uns mit der zentralen Fragestellung nach Beschäftigung und sozialer Stabilität für Roma am Arbeitsmarkt

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die Minderheit der Roma auseinanderzusetzen. Zugegeben, es waren und sind ernsthafte Themen und die Frage, ob wir überhaupt die Thematik der Roma und Gewerkschaften angehen sollen, wurde immer wieder gestellt. Dabei blieben auch die politischen Aspekte dieser Thematik nicht unberücksichtigt. Letztendlich haben wir entschieden, eine Variante zu wählen, die die Betroffen direkt einbindet. Sehen Sie, meine Kollegen hier sind der beste Beweis dafür. Da sind vier starke Gruppen, die tatsächlich aus dem Milieu kommen und wir haben auch direkte Vertreter einer neuen Institution und einer neuen Philosophie, die entstanden ist und das verkörpert, was auch die Europäische Union fordert – den sozialen Dialog. Der soziale Dialog zwischen Arbeitgebern, Arbeitnehmern und dem Staat erforderte die Gründung einer Assoziation der Arbeitgeber für Roma als eine neue Institution zur Lösung vieler Probleme im Zusammenhang mit der Integration von Roma am Arbeitsmarkt. Die zweite wichtige Ebene ist die Konkurrenz des dritten Sektors, die gegenwärtig in der Slowakei ca. 20.000 Mitglieder hat. Dank der Zivilgesellschaft haben wir hier einen starken Opponenten zur staatlichen Politik, die momentan auch die Strukturfonds in der Slowakei beeinflusst. Die Strukturfonds in der Slowakei sind ein wichtiges Kapitel für sich. Eine weitere Stütze sind die Mitglieder der Gewerkschaften als Einzelpersonen, die zu diesem Thema Stellungnahmen abgeben und dieses wichtige Thema intern diskutieren. Aber an dieser Stelle muss auch gesagt werden, dass man auch Ordnung vor der eigenen Tür haben muss. Dabei muss man sich eingestehen, dass viele in den eigenen Reihen dieser Problematik sehr kritisch gegenüberzustehen. Daher bedarf es auch in den Gewerkschaften Kräfte, die keine Angst haben zu sagen, wo die künftigen Prioritäten der Gewerkschaften liegen. Daher muss man sich klar äußern, wer oder was vertreten werden soll. In erster Linie steht der Mensch im Mittelpunkt. Dank der offenen Diskussion und der Behandlung der Thematik, so wie 76

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Marcus sie initiiert hatte und die auch durch diese Konferenz gewürdigt wird, hat in den slowakischen Gewerkschaften ein Umdenkprozess begonnen, der dazu führt, dass man sich dieser wichtigen Problematik widmen wird. Ich bin eine für die Gewerkschaften tätige externe Managerin und deshalb kann ich sagen, dass eine entsprechende qualitative Bearbeitung des Themas sehr wichtig ist. Bereits jetzt können wir sagen, dass wir etwas durchgesetzt haben, weil darüber gesprochen wird. Was die gegenwärtige Situation betrifft, so haben wir insgesamt acht Grundaufgaben zu lösen und ich habe diese meinen Kollegen als zu erledigende Hausaufgaben aufgeschrieben. Ich habe meinen Kollegen auch gesagt, was sie von dieser Konferenz zu erwarten haben und was sie konkret erledigen müssen. Diese Aufgaben werden nicht als ein Zuckerl für die Konföderation der Gewerkschaften, die eine ganz wichtige Funktion haben, präsentiert. Die Konföderation ist der Basispartner, der den runden Tisch vorbereitet, um wesentliche Systemelemente in die Slowakei transportieren und auch implementieren zu können. Das ist auch die Grundlage des Themas, welches hier diskutiert wird. Es ist sehr gut, dass wir über die Systemelemente, wie die der Ausbildung für Roma, sprechen. Jetzt müssen konkrete Konzepte ausgearbeitet werden, wie Roma systematisch ausgebildet werden können. Ich persönlich spreche deshalb über dieses komplexe und wichtige Thema, da ich studierte Psychologin bin. Ohne Änderung der Rechtslage und somit der Legislative kann ich nichts umsetzen. Eine Veränderung kann nur erreicht werden, in dem man auf etliche Stellen systematisch einwirkt, wie es Peter Pollak auf dieser Konferenz am Vormittag bereits gesagt hat. Er selbst war ein Mitarbeiter des Regierungsamtes der Slowakischen Republik und übt diese Funktion wegen seiner persönlichen Ansichten nicht mehr aus, er arbeitet jetzt freiberuflich. Ich denke, dass sich die Kollegen Roma am Arbeitsmarkt

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von den Gewerkschaften und vom dritten Sektor die Arbeit systematisch aufteilen müssen und wenn ich meine Leute hier sehe, dann bin ich enthusiastisch, was die weitere Entwicklung betifft. Wenn ich sehe, was für Arbeit einige Institutionen, NGOs oder auch das Museum für die Kultur der Roma leisten, dann ist Optimismus berechtigt. Mit all jenen, die heute vertreten sind, wie auch mit anderen Institutionen, werden wir intensiv kooperieren. Wir möchten Sie jetzt schon zu unserer Konferenz, die nächstes Jahr stattfinden wird, einladen. In Brüssel wird im August ein Grundschema erarbeitet und ich werde mich dafür einsetzen, dass wir eng mit den griechischen und bulgarischen Kollegen zusammenarbeiten. Wir werden uns loben können, weil wir etwas gemacht machen. Zum Abschluss noch einmal an Marcus Strohmeier - vielen Dank für diese Initiative. Sabrina Kopf

Vielen Dank für das Statement. Die Frage nach der Kooperation möchte ich auch Herrn Šulc stellen. Gibt es bereits nationale Kooperationen zwischen den Gewerkschaftsbünden und lokalen Behörden sowie NGOs? Welche Möglichkeiten sehen Sie für die Integration der Roma am Arbeitsmarkt durch ein solches grenzüberschreitendes Projekt? Petr Šulc

Der tschechische Konföderationsverband der Gewerkschaften ist ein Bestandteil dieses Integrationsprozesses, indem wir das Thema öffentlich machen. Bezüglich der Kooperationen, die sehr wichtig sind, stehen wir am Anfang. Als best practise für künftige Entwicklungen sehe ich die Assoziation der Arbeitgeber für Roma aus der Slowakei und die Zertifikate der ethnic friendly Arbeitgeber, die Roma beschäftigen. Diese Initiativen können wirklich als vorbildlich angesehen werden. Diese Kooperation zwischen den Arbeitgebern und der Zivilgesellschaft 78

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sollte auch über die Grenzen hinweg weiterverbreitet werden. Mit Verlaub möchte ich zu etwas anderem Stellung nehmen. In Tschechien haben wir ein weiteres schwerwiegendes Problem und zwar mit Wucher. In letzter Zeit mehren sich die Fälle, bei denen Roma Opfer von Wucherern werden. Sie bekommen keine Kredite von den anerkannten Banken, sondern von privaten Unternehmen mit extrem hohen Zinssätzen, was die Verarmung der Roma weiter verstärkt. Die Gewerkschaften sind Teilnehmer einer Arbeitsgruppe im Arbeitsministerium gegen Wucher. Offensichtlich ist, dass Finanzinstitutionen eine wirkungsvolle Lobby für die Beibehaltung der hohen Zinssätze haben und ein Höchstlimit bekämpfen, das per Gesetz festgelegt werden sollte. Das ist deshalb ein großes Problem, weil dadurch die schlechte Lebenssituation der Roma zusätzlich negativ beinflusst wird. Dagegen muss unbedingt etwas gemacht werden, jedoch gibt es vorerst keinen politischen Willen dazu. Sabrina Kopf

Vielen Dank. Ich möchte zu etwas zurückkommen, das Frau Fabris in ihrem Eingangsstatement gesagt hat. Sie hat erwähnt, dass es bereits Sensibilisierungsschulungen für MitarbeiterInnen am Arbeitsamt gibt. Eine Frage an Herrn Přibil. Sie haben gemeint, dass die Arbeitssituation am Arbeitsamt eine schwierige ist, dass MitarbeiterInnen sehr oft überfordert sind, weil sie sehr viele KlientInnen haben. Nun wäre meine Frage an Sie: Gibt es für Ihre MitarbeiterInnen Supervision, um den Arbeitsalltag zu meistern bzw. gibt es schon spezifische Schulungen für Ihre MitarbeiterInnen und wenn nicht, können Sie sich vorstellen, solche zu übernehmen, solche zu initiieren, so wie das beispielsweise im THARAProjekt gemacht wird? Hubert Přibil

Danke. Um uns, den Beamten, die Arbeit zu erleichtern, würde es helfen, wenn wir elektronische Eingaben in Form von Roma am Arbeitsmarkt

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elektronischen Jobanträgen bearbeiten könnten. Aber das ist eine Frage von Jahren. Grundsätzlich ist die Zusammenarbeit aller an der Gesellschaft beteiligter Akteure notwendig, sodass wir der Roma-Mitbevölkerung nur wünschen können, dass sie sich binnen zweier Generationen nicht nur auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch in der Politik durchsetzen. Nicht zufällig habe ich hier über die Juden gesprochen. Binnen zwei Generationen nach dem Krieg haben sie sich so durchsetzen können, dass sie bestimmte Märkte und Branchen beherrschen. Die Afroamerikaner konnten in den USA binnen drei Generationen einen Präsidenten stellen. So etwas wünsche ich den Roma, damit sie auch wirklich im politischen Leben und auch auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen können. Sabrina Kopf

Danke für Ihre Stellungnahme. Nun möchte ich Frau Fabris, die ja bereits mit dem equal-Projekt THARA grenzüberschreitende Erfahrungen gemacht hat, eine Frage stellen. Es gab in diesem Projekt auch einen Projektpartner in der Slowakei. Welche Erfahrungswerte, welche Tipps an die hier am Podium vertretenen Personen aus der Slowakei und Tschechien können sie weitergeben? Verena Fabris

Ja, danke für diese schwierige Frage. Die Situationen sind nicht immer vergleichbar, weil eben Roma und Romnja in Europa ganz unterschiedliche Lebenssituationen haben, auch wenn sie eine gemeinsame historische Diskriminierungserfahrung teilen. Darum glaube ich, dass es eben gerade grenzüberschreitende Projekte braucht, in denen dann gemeinsam Erfahrungen ausgetauscht werden können und gemeinsam analysiert wird, was man voneinander lernen kann. Es ist nicht zielführend, eine Maßnahme direkt in ein anderes Land zu übertragen. Was ich aber dennoch glaube und was unsere Erfahrung gezeigt hat ist, dass gerade die Sensibilisierungsworkshops mit Menschen, die in arbeitsmarktnahen Institutionen arbeiten, sehr viel gebracht 80

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haben. Nämlich eine Sensibilisierung der MitarbeiterInnen, die dann auch anders mit Problemen oder mit schwierigen Situationen umgehen konnten, die bereits geschildert worden sind. Dass jemand zu spät kommt oder einmal zu einem ausgemachten Termin nicht auftaucht, weil der Großvater Geburtstag hat und weil es wichtig ist, beim Geburtstag des Großvaters anwesend zu sein. Und weil man sich vielleicht in einer Gesellschaft, in der man diskriminiert wird, nicht zu sagen traut, dass es bei uns wichtig ist, beim Geburtstag des Großvaters anwesend zu sein. Wenn man aber darüber redet, dann können auch einfach sehr viele Missverständnisse ausgeräumt und Vertrauen aufgebaut werden. Denn erst wenn es Vertrauen gibt, kann auch jemand sagen, ja, in meiner Kultur, in meiner Familie ist es wichtig, diese Anlässe zu besuchen, wie können wir eine gemeinsame Lösung für dieses Problem finden. Das ist vielleicht auch so ein genereller Tipp, was getan werde müsste. Was wir betonen und auch immer mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern besprechen, die zu uns kommen oder Beratungsangebote in Anspruch nehmen, ist zu versuchen zu zeigen, dass es kein Gegensatz ist, eine Identität als Rom oder Romnja und eine Identität als ArbeiternehmerIn in einem europäischen Arbeitsmarkt zu haben. Wir sind immer ein und dieselbe Person, jedoch spielen wir alle unterschiedliche Rollen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Situationen. Wir benehmen uns zum Beispiel zuhause beim Familienessen anders als am Arbeitsplatz und deshalb ist es wichtig, diese Rollen zu integrieren. Ich habe auch die tiefe Überzeugung, dass es spezifischer Anti-Diskriminierungsmaßnahmen und auch Gesetze bedarf, um schwierige Sachverhalte regeln zu können. Aber Gesetze sind nur der erste Schritt, denn Gesetze müssen auch gelebt und umgesetzt werden. Wir haben in einem anderen Volkshilfeprojekt gerade eine rechtswissenschaftliche Studie zum Thema Diskriminierung Roma am Arbeitsmarkt

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am Wohnungsmarkt von MigrantInnen und ethnischen Minderheiten gemacht und eine der Empfehlungen dieser Studie an die Politik ist: wenden Sie das Gesetz an. Das heißt, Gesetze sind die eine Sache und deren Umsetzung eine ganz andere. Ganz wichtig finde ich auch, aber das ist auch eher so etwas Allgemeines, dass sich Menschen mit Respekt begegnen müssen. Weiters denke ich, es geht auch darum, was die einzige RomaAbgeordnete im Europäischen Parlament gesagt hat, dass auch Roma/Romnja ihr Misstrauen überwinden müssen. Wir haben unser Projekt auch deshalb THARA genannt, weil THARA in Romanes „Morgen” und auch „Zukunft” heißt und wir an einen positiven Weg in die Zukunft glauben. MultiplikatorInnen-Schulungen, vielleicht auch mit RegierungsvertreterInnen, Bildungsinitiativen, Maßnahmen des Arbeitsmarktservice, längerfristige Projekte und nicht Projekte, die nach einem halben Jahr zu Ende sind, stellen wesentliche Faktoren dar. Diese Initiativen müssen bei bildungsfernen Gruppen umgesetzt werden und wir wissen, dass es nicht nur bei Roma/Romnja, sondern bei vielen bildungsfernen Gruppen so ist, dass man innerhalb eines halben Jahres keinen Job finden kann, wenn es an der Bildung fehlt. Also müssen längerfristige Projekte finanziert werden. Das Problem mit der Finanzierung von spezifischen Projekten für Roma/Romnja ist mir bekannt. Wie ich bereits des öfteren erwähnt habe, sind Schulungen für MultiplikatorInnen eben ganz wichtig.

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2.3. Fragen aus dem Publikum Sabrina Kopf

Nun möchte ich das Podium erweitern und Ihnen die Möglichkeit geben, Fragen an die Teilnehmerinnen/Teilnehmer am Podium zu richten. Bitte formulieren Sie wenn möglich kurze und knappe Fragen und geben Sie auch an, an welche Person am Podium Sie diese Frage richten. Vielleicht sammeln wir zwei drei Fragen, sodass dann die ReferentInnen die Gelegenheit haben, über ihre Antwort nachzudenken. Frage an Hubert Přibil

Guten Tag, meine Damen und Herren. Ich hätte eine Frage an den Vertreter des Arbeitsamtes aus der Tschechischen Republik. Es wurde darüber gesprochen, dass die Integration der RomaBevölkerung in ein normales Leben mindestens zwei Generationen dauert. Also bleiben wir bei der jetzigen jungen Studierendengeneration. Stellen wir uns einen Roma-Jungen oder ein Mädchen vor, die eine Mittelschule besuchen, kurz vor der Matura stehen und es steht ihm/ihr eine Entscheidung bevor, was er oder sie weiter macht. Hat das Arbeitsamt eine Möglichkeit, diesen noch nicht fertigen Studenten/Schüler, zumindest eine Einsicht in praktische Berufsfelder oder die künftigen Studienberufe zu gewähren? Kann man ihnen irgendwie helfen? Frage an Petr Svojanský

Mein Name ist Johanna Brechová und ich habe eine Frage an Herr Svojanovský, der den Übergang von der Minderheitenschule in die Mehrheitsschule erwähnt hat. Was bedeutet das eigentlich? Wie kann eine Minderheitenschule existieren? Ich weiß sehr wohl, dass es eine Schule gibt, die nur Roma besuchen. Aber wie ist das überhaupt aufgrund der Gesetzgebung möglich und wie kann das funktionieren? Ist das eine beabsichtigte Segregation? Roma am Arbeitsmarkt

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Frage an Hubert Přibil

Was Sie gesagt haben, hat mich wahnsinnig empört. Ich frage mich, warum jemand vom Arbeitsamt zu einer Konferenz zum Thema Roma am Arbeitsmarkt geschickt wird, der nach eigener Aussage bei der Abteilung für Sozialhilfe ist. Also, ich hätte mir erwartet, dass jemand kommt, der uns irgendwas erzählt, was man da alles unternimmt, um die Roma in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Was Herr Přibil uns erzählt hat, war, was für Probleme die Roma machen, wie furchtbar, wie kriminell und natürlich wie faul sie sind, weil sie erst nach 11 Uhr kommen. Aber uns wurde nicht gesagt, was für Schritte unternommen werden, um die Roma in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Das ist jetzt für Tschechien und für die Slowakei gleich, wo für Roma keine Arbeitsplätze vorhanden sind. Wir haben gehört, dass über 90% der Roma in der Slowakei arbeitslos sind und in Tschechien ist es nur etwas besser aber im Prinzip genauso schlimm. In der Slowakei werden die Roma in Gegenden abgeschoben, wo es keine Arbeit gibt. Ich erinnere mich an die Umsiedlung der Roma, ich glaube aus Prešov, in Gegenden, wo überhaupt keine Arbeit ist und wahrscheinlich auch nie sein wird. Also wie sollen sie da in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden? Danke. Frage an Verena Fabris

Aus österreichischer Sicht ist es manchmal ein Problem, anderen Staaten Tipps zu geben. Sie haben es ja angesprochen, dass, was die Roma-Problematik anbelangt, unterschiedliche Lebensumstände vorherrschen. Was wäre aber Ihrer Meinung nach trotzdem sinnvoll, den Nachbarstaaten zu raten? Soweit ich weiß hat es mal auch ein THARA-Haus gegeben, das jetzt nicht mehr existiert. Können sie etwas dazu sagen?

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Frage an Miloš Nešpor

Ich möchte Herrn Nešpor fragen, ob es Möglichkeiten gibt, junge Roma nach ihrer Schulausbildung in ihrem Betrieb aufzunehmen und ob die Entlassungen von denen wir gehört haben, auch bei Slovnaft hauptsächlich die Roma betroffen haben, falls es dort welche gab? Antwort von Hubert Přibil

Danke für das erteilte Wort. Zunächst muss ich einiges klarstellen. Ich bin kein Politiker, ich wurde nicht von einer politischen Partei entsandt und ich werde auch zu der Aussiedlung der Roma in der Slowakei aus Prešov nichts sagen. Was den Arbeitsmarkt in Brünn und in Tschechien betrifft, habe ich ein Beispiel im Zusammenhang von Umschulungen angeführt. Bei den Umschulungen werden keine Unterschiede zwischen den Kunden gemacht, es werden alle Antragsteller und Kunden des Arbeitsmarktservices gleich behandelt. Nun zu dem, was die jungen Leute anbelangt. Pro Jahr haben wir einige junge Personen, die Studenten sind und der RomaMinderheit angehören. Einer dieser Studenten war ein Mittelschüler, er wurde geschult, bekam einen Sommerjob und wurde ausgezeichnet bewertet. Dieser Schüler heißt Jaroslav Marek und wir waren mit ihm sehr zufrieden. Das ist ein Beispiel für viele. Ich möchte noch was ergänzen. Im Rahmen des Regionalrates nehme ich an den Sitzungen des Arbeitsamtes im Ausschuss für Beschäftigung teil. Da kann ich mich auch zur Problematik der arbeitslosen Roma äußern. Das haben meine Vorredner bereits gesagt. Wir bemühen uns in unserem Ausschuss, wo Projekte beurteilt werden, nach Notwendigkeiten und Anforderungen zu unterscheiden. Also wenn ein Arbeitsloser selbstständig werden will, bekommt er eine Subvention vom Europäischen Roma am Arbeitsmarkt

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Entwicklungsfonds und kann somit den Weg in die Selbständigkeit beschreiten. Jedoch wird es auch passender Schulungen bedürfen. Aus Erfahrung aber wissen wir, dass für einen vierzigjährigen Roma mit einer Grundschulausbildung dieser Weg sehr schwierig ist. Ich will nicht sagen, er wäre nicht im Stande dazu, aber es ist sehr schwer für ihn, einen Umschulungskurs zu absolvieren oder ein Gewerbe zu eröffnen. Seine Priorität ist es einfach, seine Familie zu ernähren und er sagt offen, er habe keine Zeit zur Weiterbildung, das ist das wesentliche Problem. Dieses Problem haben jedoch auch meine Vorredner bereits angesprochen. Antwort von Miloš Nešpor

Wie ich das sehe, ist das eigentliche Problem die Ausbildung in der Grundschule und in der Mittelschule. Die eigentliche Frage lautet daher, wie können wir die Mittelschüler unterstützen? Das betrifft in erster Linie das Arbeitsamt in Bratislava und es wird wahrscheinlich keine großen Unterschiede zu Brünn geben. Im Allgemeinen wird es spezieller Maßnahmen bedürfen, ich nenne diese Erscheinung positive Diskriminierung. Was die Anstellung der Roma und die Entlassungen bei uns anbelangt, so können wir auf einen anderen Umgang mit den Roma bei Slovnaft verweisen. Ich bin schon seit 20 Jahren bei den Gewerkschaften der Slovnaft Erdölraffinerie tätig und während dieser Zeit gab es bereits viele Massenentlassungen. Aber es ist in den letzten 20 Jahren nie passiert, es mag vielleicht auch ein Zufall sein, dass ein Roma entlassen wurde. Wir haben viele Roma, die in verschiedenen Positionen in der Firma Slovnaft arbeiten. Ich habe auch als einfacher Mitarbeiter bei Slovnaft angefangen und 80% meiner Kollegen waren Roma, die bis heute dort arbeiten. Also niemand von ihnen wurde entlassen. Damit wollte ich an dieser Stelle auch eine positive Nachricht übermitteln.

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Antwort von Verena Fabris

Ganz kurz möchte ich noch mal etwas zu den Tipps sagen. Ich glaube schon, dass man von Erfahrungen auch grenzüberschreitend lernen kann. Eine Erfahrung, die wir auch in den letzten sechs Jahren gemacht haben und die ich zuerst nicht erwähnt habe, mir aber sehr wichtig erscheint, ist, dass keine Projektinitiative geplant werden kann, ohne die Zielgruppe der Roma und Romnja zu fragen, was ihre Bedürfnisse sind. Leider passiert es sehr oft, dass man zwar ein Projekt plant und man glaubt das richtige zu tun, jedoch ohne die Leute zu fragen, ob für diese das Projekt überhaupt geeignet ist. Das ist einfach eine Erfahrung, die wir gemacht haben und die eben sehr wichtig ist. Zum THARA-Haus. Ja, das THARA-Haus gibt es nicht mehr. Das THARA-Haus gab es nur von 2005 bis 2007, aber es gibt seitdem kontinuierlich eine Reihe von THARA-Projekten, die, wie ich schon erwähnt habe, aus nationalen Geldern vom Ministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz finanziert wurden. Wir haben unterschiedliche Aktivitäten gesetzt und ich habe in meinem Eingangsstatement einige davon erwähnt. Eine wichtige Aktivität, die ich nicht erwähnt habe, war unsere große Konferenz. Wir haben im Juni 2010 eine große internationale Konferenz unter dem Titel „Romani vuci“ organisiert. Vuci heißt auf Romanes Arbeit. Das Hauptthema dieser internationalen Konferenz waren Perspektiven und Erfolgschancen von Roma und Romnja am europäischen Arbeitsmarkt. Kurz zusammengefasst kann man sagen, dass es keine heterogene Gruppe ist und dass es eben auch kein Patentrezept gibt, um dieses Problem zu lösen. Aber es gibt sehr wohl unterschiedliche Zugänge, von denen man auch lernen kann. Was wir jetzt im aktuellen THARA-Projekt machen, oder machen werden weil das neue THARA-Projekt - unter Vorbehalt Roma am Arbeitsmarkt

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einer offiziellen Förderung durch das Ministerium - im August 2011 starten wird, ist, dass wir weiterhin individuelle Berufsund Bildungsberatung machen werden. Da haben wir auch eine Kooperation mit dem Romano Centro. Wir machen weiterhin, wie schon erwähnt, die Sensibilisierungsworkshops für MitarbeiterInnen. Die involvierten Institutionen wollen das Projekt auch für Unternehmen ausweiten. Da muss man schauen, inwieweit große Unternehmen da auch bereit sind, so ein Workshop-Angebot in Anspruch zu nehmen. Wir wollen eine Art Imagebroschüre zum Thema „Roma/Romnja und der Arbeitsmarkt“. Wir werden das Curriculum, das wir entwickelt haben, auch verschriftlichen, sodass vielleicht auch andere das nutzen und die Zusammenarbeit mit UnternehmerInnen stärken können. Wir haben ja schon ein Pilotprojekt mit zwei Workshops für UnternehmerInnen gemacht. Ein konkreter Erfolg war, dass die Wirtschaftskammer Wien, die sehr viele Zielgruppenangebote für unterschiedliche Ethnien hat, eine Broschüre für UnternehmerInnen oder die, die es werden wollen, auf Romanes übersetzt hat. Und das ist, glaube ich, auch schon ein kleiner aber wichtiger Schritt. Antwort von Petr Svojanský

Ich befasse mich nicht mit der Legislative und der Grund, warum es bei uns getrennte Schulen gibt, ist wahrscheinlich, dass sich die Eltern aussuchen können, wohin sie ihr Kind schicken. Wobei die Kinder aus der Mehrheitsgesellschaft nicht eine Schule besuchen wollen, die eine Mehrheit von RomaKindern aufweist. Die Roma-Eltern denken nicht so und schicken die Kinder in die nächstgelegene Schule. Also wenn es eine Gegend gibt, wo soziale Ausgrenzung stattfindet, kann es mehrere solche Schulen geben, wo mehr oder weniger nur Roma-Kinder hingehen.

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Bemerkung von Barbar Paulová

Ich bin für das Museum der Roma-Kultur hier und ich möchte meinen Kollegen ergänzen. Ich glaube, es ist einfach um den terminus technicus gegangen. Es gibt keinen gesetzlichen Begriff der Bezeichnung Segregation und meiner Meinung nach ist es für uns eher eine Arbeitsbezeichnung, dass wir die Schule so nennen. Das wäre nur eine Ergänzung zu meinem Kollegen. Es geht nicht darum, ob es jetzt eine Sonderschule ist oder eine andere, sondern nur darum, von welcher ethnischen Gruppe die meisten Kinder kommen. Frage an Verena Fabris

Ich möchte Frau Fabris fragen, welche Erfahrungen sie mit Kursen für beginnende Roma-UnternehmerInnen haben und wie erfolgreich Roma am Anfang ihrer unternehmerischen Tätigkeit sind? Wir probieren so etwas Ähnliches und ich möchte gerne etwas über ihre Erfahrungen in Österreich hören. Antwort von Verena Fabris

Ja, wir haben erst zwei Workshops mit ungefähr 16 Leuten durchgeführt, wo ein Teil schon unternehmerisch tätig war. Ein Teil wollte dies tun, und unsere Annahme war, dass es sehr viele Roma/Romnja gibt, die sich gerne auch selbstständig machen wollen. Unsere Erfahrung war, dass die, die schon selbstständig waren, nicht wussten, dass es vorhandene Angebote der Wirtschaftskammer oder des Arbeitsmarktservice gibt. Die Fragen, die bei diesen Workshops gestellt wurden, waren in keiner Weise Roma-spezifisch, sondern Fragen, die alle jungen UnternehmerInnen einfach stellen. Der Punkt war, dass sie nicht wussten, dass sie überhaupt diese Fragen stellen konnten. Und ich glaube, das ist einfach das Wichtigste, einen Zugang zur Zielgruppe zu schaffen. In Wien zum Beispiel macht das die Wirtschaftskammer mit der türkischen Community schon sehr lange. Mit dem „erfolgreich“ oder „nicht erfolgreich“ sein, Roma am Arbeitsmarkt

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ist es schwierig, weil es eine kleine Gruppe war und ein Teil davon war bereits selbstständig. Es bewegen sich manche, würde ich sagen, auch so ein bisschen in einer Grauzone. Wenn Sie aber wissen, welche Möglichkeiten es beim KleinunternehmerInnentum gibt, dann funktioniert das auch. Aber die Gruppe war einfach auch zu klein, um globale Erfolgsfaktoren für Selbstständigkeit zu nennen. Ich glaube auch, dass sie sich nicht sehr von anderen unterscheiden, die sich selbstständig machen. Das ist jetzt aber nur eine Vermutung. Es kommt viel mehr darauf an, einen realistischen Plan zu haben, zu wissen, was man kann und wo man sich die notwendige Unterstützung holen kann. Also das ist das, was wir bis jetzt sagen können und wir hoffen, mehr Erfahrungen mit weiteren Workshops machen zu können, die wir anbieten werden.

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2.4. Abschließende Statements Sabrina Kopf

Ja vielen Dank. Ich möchte nun zum Abschluss unseren Referenten/Innen die Gelegenheit geben, ein abschließendes Statement zu halten. Igor Kmeťo

Danke für das erteilte Wort. Liebe Freunde, ich bin froh, dass wir uns heute hier aus drei Ländern getroffen haben und über dieses Thema diskutieren konnten. Es ist mir eine große Ehre, teilgenommen zu haben und ich bin überzeugt davon, dass es nicht umsonst war. Wir haben viele Sachen erfahren, die auch für meine NGO „Neue Hoffnung“ nützlich sind. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass die Institutionen und die Organe in der Slowakei, in Tschechien und bei Ihnen in Österreich und auch in Ungarn existieren, diese Problematik verantwortlicher behandelt wird. Die Roma sind hier präsent und das kann man nicht verleugnen, wir sind ein Bestandteil Mitteleuropas. Leider sind wir dunkler, dafür können wir ja nichts. Die, die nicht anpassungsfähig sind, die sind halt nicht anpassungsfähig, das muss man akzeptieren. Aber die, die sich anpassen wollen, müssen die Möglichkeit bekommen, um sich im Land zu etablieren, damit sie ihre Kinder anständig erziehen können und vor allem damit sie glücklich sind. Ich wünsche ihnen allen viel Glück und viel Verständnis füreinander. Petr Šulc

Ich bin auch froh, dass diese Konferenz stattgefunden hat. Es ist wirklich sehr nützlich Veranstaltungen zu haben, bei denen man Erfahrungen austauschen und reale Probleme offen ansprechen kann. Also ich würde mir wünschen, dass es auch in der Zukunft weitergehen wird, weil das was wir hier machen eben sehr wichtig ist. Roma am Arbeitsmarkt

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Miloš Nešpor

Kurz und bündig. Ich bedanke mich dafür, dass ich die Möglichkeit hatte, an dieser Konferenz teilzunehmen. Es ist für mich eine Herausforderung und eine Herausforderung für die Konföderation und möglicherweise werde ich mich wiederholen aber: „Marcus, Dankeschön!“ Verena Fabris

Ich kann mich dem Dankesreigen nur anschließen. Ich möchte aber auch noch sagen, dass ich Veranstaltungen wie diese, wo sich auch der Österreichische Gewerkschaftsbund dem Thema widmet, sehr wichtig finde und ich glaube, dass das auch ein wichtiger Schritt ist, um Diskriminierungen entgegenzuwirken. Und Europa hat das ja auch im Rahmen der Europa 2020 Strategie anerkannt, in dem die Integration von Roma/Romnja in den Arbeitsmarkt oder in die Bildungsinstitutionen ein wesentlicher Schwerpunkt ist und ich würde mir wünschen, dass alle europäischen Länder da entsprechende Maßnahmen setzen. Danke. Hubert Přibil

Ich unterstütze voll und ganz das, was hier bereits gesagt wurde. Ich möchte mich explizit einer speziellen Meinung anschließen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn es mehr Seminare, Konferenzen und Workshops zum Erfahrungsaustausch gäbe, weil das für die Praxis und künftige Entwicklungen in diesem Problembereich sehr nützlich ist. Sabrina Kopf

Ich möchte mich auch ganz herzlich bei allen TeilnehmerInnen am Podium für ihre Bereitschaft bedanken, über ihre Erfahrungen zu sprechen aber auch über ihre Wünsche für die Zukunft. Ich denke, dass gerade die grenzüberschreitende Zusammenarbeit eine sehr wichtige ist, um Verbesserungen für Roma in 92

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Tschechien und der Slowakei erreichen zu können. Ich möchte aber auch Ihnen sehr herzlich für Ihr Interesse an dieser Podiumsdiskussion danken und möchte damit die Podiumsdiskussion beschließen und das Wort an den Kollegen Michael Vlasák übergeben. Vielen Dank. Michal Vlasák

Dankeschön. Was haben wir heute alles gehört? Nun eine kleine Retrospektive. Wir haben im Zusammenhang von Roma über historisch behaftete Vorurteile und Diskriminierung gehört. Wir haben auch über Roma gehört, die ausgegrenzt und benachteiligt werden. Wir haben über Roma gehört, die soziale Netze ausnutzen möchten. Wir haben aber auch über Roma gehört, die nach besseren Chancen für die Zukunft suchen, diese brauchen und auch bekommen müssen. Die Botschaft dieser Konferenz könnte also lauten: Zuerst einmal selbst aktiv werden und Unterstützung bei NGOs suchen. Gemeinsam für Umdenken in allen Bevölkerungsgruppen sorgen, das Bildungsniveau heben, Konfrontationen nicht meiden, sondern erleben und kritisch reflektieren. Arbeitsbedingungen und Arbeitsangebot verbessern, die Gewerkschaftsaktivität steigern, den internationalen Erfahrungsaustausch und Kooperation intensivieren und dadurch auch Druck auf die Politik ausüben. Stichwort „Druck“: Ohne den Druck auszuüben, wird in der Politik wahrscheinlich nichts passieren. An dieser Stelle möchte ich mich auch herzlich für die Teilnahme bedanken, nicht nur bei den Diskussionsteilnehmern, sondern auch bei Ihnen als Gäste. Ich möchte zum Abschluss den Projektleiter der Projekte ZUWINS und ZUWINBAT um ein Abschlussstatement bitten. Herr Mag. Marcus Strohmeier. Bitte sehr.

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3. Schlusswort Marcus Strohmeier

Ich erlaube mir als Vertreter des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, diese Konferenz heute abzuschließen. Ich möchte mich beim Kollegen Vlasák für diese gute und wirklich wichtige Zusammenfassung dieser Konferenz bedanken, die hoffentlich nicht ein einzigartiges Erlebnis bleiben wird, sondern ein Impuls für weitere Veranstaltungen und weitere Diskussionen sein soll. Ich selbst habe heute wieder viel gelernt. Ich habe viel mitbekommen über die Situation und Problematik und bin immer wieder erschüttert, wie zum Beispiel Pfarrer Pucher über das Lebens- und Arbeitsumfeld der Roma in der Slowakei erzählt hat. Wenn ich daran denke, dass Roma in Ungarn ermordet worden sind, dann bin ich darüber enttäuscht, was hier in Mitteleuropa passiert und das beweist auf sehr schmerzvolle Art, dass sehr viel zu tun ist. Deshalb müssen wir die Diskussion mehr in das Zentrum unserer Gesellschaft bringen, das uns bisher nicht ausreichend gelungen ist. Ein wichtiger Teil dieser Gesellschaft sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und diese vertreten wir ja als Gewerkschaftsbund. Deswegen haben wir zu dieser Konferenz eingeladen und wir hoffen auch, dass der heutige Tag ein Impuls für unsere Kolleginnen und Kollegen in Tschechien und in der Slowakei war, mit uns gemeinsam hier aktiver zu werden. Es gilt die Betriebsräte, die Personalvertreter, Gewerkschaftssekretäre in den Betrieben zu nutzen, um für junge Roma Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen. Ich glaube, dass die Gewerkschafter durchaus viel Einfluss in manchen Betrieben haben und die Gewerkschaften können, denke ich mir, gute Partner für die Zivilgesellschaft und für Vereine sein, die sich mit der Roma-Problematik auseinandersetzen. So hoffe ich, wie bereits gesagt, dass diese Konferenz erst der Anfang war. Dem ÖGB jedenfalls ist dieses Thema nicht fremd. 94

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Wir setzen uns schon sehr lange mit dieser Problematik auseinander. Kollege Sarközi, den Sie heute kennengelernt haben, war selbst Betriebsrat und ist ein gutes Beispiel für die Zusammenarbeit und Integration. Ich möchte mich bei denen bedanken, die hier heute wichtige Referate gehalten und uns die Augen geöffnet haben. Ich möchte mich generell bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern bedanken, aber ganz besonders bei jenen, die aus der Slowakei und aus Tschechien angereist sind. Vielen vielen Dank, dass ihr diesen Weg auf euch genommen habt. Und ich möchte mich ganz herzlich bei Michael Vlasák für die Moderation und bei Sabrina Kopf, die das Podium moderiert hat, bedanken. Danke euch beiden dafür. Ich möchte mich ebenso herzlich beim Organisationsteam dieser Konferenz, bei den ProjektassistentInnen von ZUWINS und ZUWINBAT, bedanken, die eine sehr gute Arbeit geleistet haben. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und für diesen sehr informativen und interessanten Tag. Und ich hoffe wirklich, dass wir, ich habe das mit dem Kollegen Sarközi schon besprochen, in Österreich zumindest gemeinsam Schritte setzen werden. Ich würde mich sehr freuen, wenn das in Tschechien und der Slowakei auch der Fall wäre, um gemeinsam einen weiteren Schritt miteinander machen zu können.

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4. Anhang 4.1. Vorstellung der vertretenen Organisationen Da die meisten Referenten dieser Konferenz Vertreter/Innen von NGO’s waren, wurde ihnen die Möglichkeit eingeräumt, ihre Organisation oder ihre Projekte zu beschreiben. Diese Texte wurden ohne weitere Überarbeitung (außer Übersetzung ins Deutsche) durch die Herausgeber in dieser Broschüre übernommen, damit der originäre Charakter der Texte bewahrt wird. Das Engagement eines Konferenzteilnehmers für die Verbesserung des Lebensalltags der Roma in der Tschechischen Republik, Herrn Hermann Reining, wird mit der Präsentation seiner Projekte ebenfalls hier gewürdigt.

4.1.1. Kulturverein österreichischer Roma, Dokumentationsund Informationszentrum Rudolf Sarközi

Am 20. Juni 1991 wurde in Wien von Prof. Rudolf Sarközi der Kulturverein österreichischer Roma gegründet, der seit Anbeginn dem Verein als Obmann vorsteht. Die Tätigkeit dieser Roma-Vereinigung erstreckt sich über ganz Österreich. Die Stärkung des Volksgruppenbewusstseins unter den Roma und Sinti, der Erhalt von Sprache und Kultur, die wissenschaftliche Arbeit hinsichtlich Aufarbeitung und Archivierung der Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte der Roma und Sinti, die Verbesserung der sozialen und politischen Integration der Roma und Sinti in Österreich, die Erforschung der Geschichte und Kultur der Volksgruppe, Errichtung und Erhaltung von Gedenkstätten, sowie die Organisation von Gedenkveranstaltungen in 96

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Erinnerung an die während des NS-Regimes ermordeten Roma und Sinti, gehören zu den wesentlichen Arbeitsschwerpunkten des Vereines. Anerkennung als Volksgruppe Das wichtigste Ziel des Kulturvereins österreichischer Roma war die Anerkennung als Volksgruppe in Österreich. Die intensiven Bemühungen wurden zwei Jahre nach der Vereinsgründung belohnt. Mit dem einstimmigen Beschluss im Hauptausschuss des Nationalrates vom 16. Dezember 1993 wurden die österreichischen Roma- und Sintigruppen als „Volksgruppe der Roma“ (Roma als Überbegriff für die verschiedenen in Österreich lebenden autochthonen Untergruppen) anerkannt. Der Beschluss erlangte mit der 895. Verordnung der Bundesregierung im Bundesgesetzblatt 323/1993 am 23. Dezember 1993 Rechtskraft. Am 5. September 1995 fand die konstituierende Sitzung des Volksgruppenbeirates der Roma statt. Damit steht seither der Volksgruppe erstmals ein Gremium zur Verfügung, das aus 8 Personen besteht, wobei je vier Personen von Romaund Sintivereinen nominiert werden. Gewählter Vorsitzender des Beirates ist Prof. Rudolf Sarközi. Roma-Doku Ein weiteres wichtiges Ereignis in der Vereinsgeschichte war die Eröffnung des Dokumentations- und Informationszentrums (Roma-Doku) in der Devrientgasse 1, in 1190 Wien, am 3. Juni 1996, das zugleich seit diesem Tag der Vereinssitz ist. Bis zu diesem Zeitpunkt liefen die Vereinstätigkeiten in den Privaträumlichkeiten des Obmannes. Die Eröffnungsreden hielten Bundespräsident Dr. Thomas Klestil, der damalige Bundeskanzler Dr. Franz Vranitzky sowie Dr. Michael Häupl, Bürgermeister von Wien. Das Roma-Doku verfügt über ein eigenes Archiv, dessen wichtigste Exponate in einer Dauerausstellung zu sehen sind. Auf Roma am Arbeitsmarkt

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64 Informationstafeln ist die Geschichte der österreichischen Roma und Sinti, vom Beginn der Wanderzüge nach Europa, bis in die Gegenwart dargestellt. 2001 wurde eine zweisprachige, deutsch-englische Wanderausstellung „Roma-Politik in Österreich“ über die Geschichte und aktuelle Situation der Volksgruppe präsentiert, die seither in mehreren europäischen Ländern gezeigt und mittlerweile thematisch aktualisiert wurde. Im Roma-Doku sind zwei Mitarbeiter hauptberuflich beschäftigt. Der Obmann übt seine Tätigkeit ehrenamtlich aus. Die Institution ist von Montag bis Freitag, 08.00 Uhr bis 16.00 Uhr geöffnet und die Ausstellung kann jederzeit besichtigt werden. Ein vorheriger Anruf ist wünschenswert, da von Fall zu Fall die Mitarbeiter auch außer Haus tätig sind. Öffentlichkeitsarbeit Die Informationszeitschrift Romano Kipo (Roma Bild) erscheint seit 1994 viermal jährlich für Mitglieder des Kulturvereins österreichischer Roma, für Volksgruppenangehörige und interessierte Personen aus dem Kreis der Mehrheitsbevölkerung. Berichtet wird über wichtige Entwicklungen, gesellschaftliche und politische Beziehungen auf dem Gebiet der österreichischen und internationalen Volksgruppenpolitik, über neue Volksgruppenprojekte, sowie Hinweise und Ankündigungen auf wichtige Ereignisse und Veranstaltungen in Wien, Burgenland und fallweise in anderen Bundesländern. Um ein möglichst breites Leserpublikum zu erreichen, erscheint Romano Kipo in Deutsch. Neben der Herausgabe eines Printmediums sind die kulturellen Aktivitäten ein weiterer wichtiger Bestandteil der Vereinsarbeit, um sich der Mehrheitsbevölkerung zu präsentieren. Zwei Fixpunkte eines Kalenderjahres sind im Februar der „Ball des Kulturvereins österreichischer Roma“ im Haus der Begegnung Döbling und im Dezember die Lesung „Roma-Advent“, 98

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die in den Räumlichkeiten des Roma-Doku stattfindet. Die Roma-Vereinigung ist auch Mitorganisator und Unterstützer von Kulturereignissen, die sich mit Fremdenfeindlichkeit, Diskriminierung, Ausgrenzung beschäftigen und versuchen dabei aufklärend mitzuwirken. Publikationen Am 20. Oktober 2008 präsentierte Prof. Rudolf Sarközi auf Einladung von Nationalratspräsidentin Mag.a Barbara Prammer im österreichischen Parlament sein Buch „ROMA-Österreichische Volksgruppe. Von der Verfolgung bis zur Anerkennung“. Das Werk behandelt eines der interessantesten Kapitel in der Geschichte der österreichischen Minderheitenpolitik und Nachkriegsgeschichte. Im Rahmen der Feier zum 20-jährigen Bestehen des Kulturvereins österreichischer Roma wurde der Jubiläumsband „Vom Rand in die Mitte - 20 Jahre Kulturverein österreichischer Roma“ erstellt. Das 220 Seiten umfassende Buch - mit zahlreichen Fotos und Texten in Deutsch und Englisch - ist ein Querschnitt der Vereinsgeschichte, beginnend mit jener der Vereinsgründung, die Anerkennung als 6. Österreichische Volksgruppe, Gedenkstättenarbeit, gesellschaftliche Anerkennung, Forschungsprojekte, Internationale Tätigkeit u.v.m. Das Vorwort hat Bundespräsident Dr. Heinz Fischer verfasst. Forschungsarbeit – „Die Burgenland-Roma 1945-2000“ Bereits im Zuge der Gründung suchte der Kulturverein österreichischer Roma die Kooperation mit Forschern und Fachexperten, um seine Anliegen auch wissenschaftlich untermauern zu können. In den folgenden Jahren entwickelte sich der Verein zunehmend zu einer Koordinationsstelle der österreichischen Romaforschung. Auf Anregung von Prof. Rudolf Sarközi finanzierte Wissenschaftsminister Dr. Caspar Einem ein Forschungsprojekt der Burgenländischen Forschungsgesellschaft, in Roma am Arbeitsmarkt

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dessen Verlauf die Situation der überlebenden Roma und Sinti nach 1945 detailliert erhoben und die weitere Entwicklung der Volksgruppe bis ins Jahr 2000 analysiert wurde. Das von Mag. Dr. Gerhard Baumgartner und Univ. Doz. Dr. Florian Freund geleitete Forscherteam konnte in dem 2004 publizierten Forschungsbericht „Die Burgenland-Roma 1945-2000“ erstmals konkrete Daten zur sozialen, wirtschaftlichen, arbeits- sowie bildungspolitischen Situation der Roma und Sinti vorlegen. „Namentliche Opfererfassung“ Das zwischen 2003 und 2008 durchgeführte Forschungsprojekt zur „Namentlichen Erfassung der Holocaustopfer unter den österreichischen Roma und Sinti“ stellt den bislang einmaligen Versuch dar, sämtliche Opfer unter den Roma und Sinti namentlich in einer Datenbank zu erfassen. Ein Forscherteam unter der Leitung von Univ.-Doz. Dr. Florian Freund und Mag. Dr. Gerhard Baumgartner bereisten über mehrere Jahre die Gedenkstätten der wichtigsten Konzentrationslager sowie die Landes-, Bezirks- und Gemeindearchive der österreichischen Bundesländer, sowie Archive im Ausland wie z. B. das des Internationalen Suchdienstes des Roten Kreuzes in Bad Arolsen, um Dokumente zu sichten. Die Datenbanken werden laufend aktualisiert und können von betroffenen Personen im Dokumentations- und Informationszentrum österreichischer Roma eingesehen werden. Kontakt: Kulturverein österreichischer Roma, Dokumentations- und Informationszentrum Devrientgasse 1, 1190 Wien Tel.: +43/1/310 64 21, Fax: DW 12 E-mail: office@kv-roma.at Home: www.kv-roma.at

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4.1.2. Bürgerverein für die Unterstützung und Entwicklung der Regionen Peter Pollak

Der Bürgerverein für die Unterstützung und Entwicklung der Regionen entstand im Jahr 1993. Seine Tätigkeit richtet sich auf die Verwirklichung von Projekten zugunsten der schwächsten, sozial ausgeschlossenen Gruppen der Bevölkerung, der Arbeitslosen, der Jugend und vor allem der Roma. Die programmatische, institutionelle und finanzielle Strategie ist so gewählt und vor allem in der Praxis darauf orientiert, dass auch mit minimalen Aufwendungen im Endresultat das bestmögliche Ergebnis und ein maximaler Effekt bei den einzelnen Aktivitäten erzielt wird. Auf inhaltlicher Ebene wird der Akzent auf Bildungs-, Wirtschafts-, Rechts-, Beratungsprogramme und Programme zur kulturellen Entfaltung gelegt, die ein Hauptziel verfolgen: die Stärkung der sozioökonomischen Integration marginalisierter Gruppen. In geographischer Hinsicht handelt es sich um Zielgruppen, die vor allem in den Dörfern und Städten der Bezirke Prešov, Vranov nad Topľou, Sabinov und Bardejov leben. Die Aktivitäten des Vereins in seiner derzeitigen Form umfassten und umfassen vier Hauptbereiche: •

Beschäftigungsförderung (Projekte: Unternehmerische Tätigkeit als Ausweg aus der Arbeitslosigkeit, Zentrum für Handwerk und Bildung der Roma, Durch soziale Inklusion zur Prosperität, Feder Dživipen – Besseres Leben)

Bildung und Erziehung (Projekte: Gemeindezentrum Hanušovce nad Topľou, Vorschulerziehung für Roma-Kinder, Bildungsaktivitäten für Roma-Abgeordnete, Ausbildung der Projektmanager für Strukturfonds)

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Information und Beratung (Informations- und Beratungszentrum für Roma in Prešov – gehört zum IPCR - Netz, das von der Open Society Foundation gegründet wurde, Rechtsinformation und Beratung im IPCR)

Kultur und individuelle Entfaltung (im Rahmen unseres Vereins sind verschiedene Musik-, Gesangs- und Tanzgruppen aktiv, die nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland auftreten)

Kurzbeschreibung einiger erfolgreicher Programme des Vereins für die Unterstützung und Entwicklung der Regionen: •

Schaffung von Bedingungen zur Entfaltung ethnischer Minderheiten und zur Erhöhung der Beschäftigungsquote Jugendlicher – The creation of the conditions for the increase of ethnic minorities and youth employment level

Hauptziel des Projekts ist es, Knowhow zur Verfügung zu stellen, also den Transfer von Fachwissen zu ermöglichen, um Studienprogramme zu erstellen, die im Bereich der KarphatoUkraine, Uzhgorod, Sozialprogramme zur Beschäftigungsförderung möglich machen. Lead Beneficiary / Hauptrealisator/ Antragssteller: Transcarpathian Regional Charitable Foundation “Romske dovhe zhyttya“ (“Romano lungo trayo“), Projektpartner: Verein für die Unterstützung und Entwicklung der Regionen, Slowakische Republik. Das Projekt wird aus dem grenzüberschreitenden Programm ENPI gefördert. •

„Durch eine Änderung der Lebensweise und durch Arbeit zur gesellschaftlichen Integration der Roma“

Das Hauptziel dieses Projekts besteht darin, durch Bildungsaktivitäten, die sich an eine spezifische Personengruppe richten, 102 |

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60 Männer und 60 Frauen so auszubilden, dass gesamtgesellschaftliches Interesse an den Roma aus den Bezirken Prešov, Vranov nad Topľou und Bardejov in den Bereichen Bauwesen, Tischlerei/Zimmerei, Herstellung eigener Heilprodukte und Kenntnis von Heilpflanzen entsteht. Ein spezifisches Ziel des Projekts ist die Erarbeitung spezieller/individueller Programme, die auf die Erfordernisse des „regionalen Markts“ Rücksicht nehmen und dem Einzelnen die Durchsetzung auf dem Arbeitsmarkt ermöglichen. Projektleiter: Verein für die Unterstützung und Entwicklung der Regionen. Das Projekt wird aus den Strukturfonds der EU gefördert •

„Chance für die Roma aus der Region Šariš – Rückkehr zur Tradition des Obstanbaus“

Das Ziel des Projekts besteht darin, die Zahl der Arbeitsgelegenheiten und die Beschäftigung der Bewohner separierter und segregierter Roma-Gemeinden zu erhöhen, indem die Kenntnisse der Zielgruppe im Bereich des Obstanbaus gefördert werden, eines traditionellen Zweiges der Landwirtschaft in Sabinov und Chminianské Jakubovany. Im Rahmen des Projekts wird eine Gruppe von 40 Roma geschult, die unter fachmännischer Anleitung in angemessener Form theoretische Kenntnisse und praktische Fertigkeiten im Obstanbau in Zusammenarbeit mit Partnerinstitutionen erhalten. Für 20 Roma-Frauen bietet das Projekt die Gelegenheit, sich die Grundsätze der Vereinbarkeit des Familienlebens mit dem Arbeitsleben anzueignen und zu lernen, wie man die vorhandenen Mittel des Familienbudgets effektiv einsetzt. Indem die gering qualifizierten Arbeitskräfte in lokalen Entwicklungsstrategien zur Geltung kommen, trägt das Projekt zur sozialen Inklusion der Zielgruppe bei. Projektleiter: Verein für die Unterstützung und Entwicklung der Regionen. Das Projekt wird aus den Strukturfonds der EU gefördert. Roma am Arbeitsmarkt

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„FEDER DŽIVIPEN – EIN BESSERES LEBEN“

Hauptziel des Projekts war es, ein „Aktivierungsunternehmen“ zu gründen und zu betreiben. Dieses Sozialunternehmen zur Beschäftigungsförderung diente sozial bedürftigen Bevölkerungsgruppen aus Prešov, nämlich Roma, die seit mindestens einem Jahr als Arbeitslose geführt wurden. Das Projekt unterstützte zugleich die Entwicklung grundlegender Fertigkeiten und Kenntnisse, die zur Durchsetzung der Zielpersonen auf dem Arbeitsmarkt notwendig sind. Antragsteller und Realisatoren des Projekts: Vertreter der Entwicklungspartnerschaft – Amt der Regierung der Slowakischen Republik. Projektpartner: Verein für die Unterstützung und Entwicklung der Regionen, Prešov; Euroškolitelia, Bratislava. •

„Durch soziale Inklusion zur Prosperität“

Das Projekt zielte darauf, Instrumente zu schaffen und zu testen, um die soziale Inklusion Arbeitssuchender mit geringer Qualifikation oder ohne Qualifikation einschließlich Langzeitarbeitsloser zu verbessern. Es wurde die Arbeitsgruppe Prosperita gegründet, die sich aus Vertretern aller bedeutenden Akteure der gegebenen Lokalität zusammensetzte, die Einfluss auf die Entwicklung der Lokalität haben. Die Arbeitsgruppe erarbeitete einen Aktionsplan zur Erhöhung der Beschäftigung in der gegeben Lokalität mit Blick auf die Schaffung von Arbeitsplätzen für die genannte Zielgruppe und mit allen Möglichkeiten für die Nutzung von Finanzmitteln aus verschiedenen Fonds und Förderungen. In Zusammenarbeit mit dieser Arbeitsgruppe und ausgewählten Handwerksvereinigungen, allenfalls Arbeitgebern, wurde ein alternatives Qualifikationssystem für ausgewählte Berufe ausgearbeitet. Aufgrund dieser Qualifikationsanforderungen 104 |

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wurden die Bewerber aus der Zielgruppe für die Arbeitgeber vorbereitet. Hauptpartner des Projekts: Stiftung Škola dokorán, Žiar nad Hronom. Projektpartner: ASED, n.o. Agentur für wirtschaftliche und soziale Entwicklung, Košice; Verein für die Unterstützung und Entwicklung der Regionen, Prešov. •

„Roma, reichen wir uns die Hände“: Kommunalwahlen 2002

Ziel des Projekts war Hilfe für Roma-Kandidaten bei der Beteiligung an den Kommunalwahlen zu bieten, damit sie auch im Rahmen ihrer bescheidenen Möglichkeiten eine effektive Wahlkampagne organisieren und vor ihrer möglichen Wahl die wichtigsten Informationen über Bedeutung, Möglichkeiten und Verfahren der Kommunalpolitik erhalten konnten. Es ist erwähnenswert, dass von 28 Projektteilnehmern, die bei den Gemeinderatswahlen kandidierten, 18 tatsächlich gewählt wurden, also 65 %. Projektleiter: Verein für die Unterstützung und Entwicklung der Regionen, Prešov. •

„Wahlinformationskampagne ROMA 2002“

Das Projekt diente dazu, eine Informations- und Aufklärungskampagne unter den Roma der Bezirke Prešov und Vranov nad Topľou zu organisieren, damit sie durch ihre Beteiligung an den Parlamentswahlen des Jahres 2002 unter Beweis stellten, dass die Slowakische Republik ein demokratischer Rechtsstaat ist, der durch breite Partizipation der Bürger in der öffentlichen Sphäre gekennzeichnet ist, und dass unsere Roma vollwertige Staatsbürger sind, die der politischen Realität verantwortungsvoll gegenübertreten. Projektleiter: Verein für die Unterstützung und Entwicklung der Regionen, Prešov. •

„Rechtsinformation und Beratung im IPCR Prešov“

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Dieses Projekt wird durch die Open Society Foundation gefördert. Es handelt sich um ein langfristiges Projekt, das dazu beitragen soll, dass die Werte der offenen Gesellschaft unterstützt, entwickelt und geschützt werden, indem kostenlose Rechtsberatung und Rechtshilfe im Bereich der Menschenrechte und Grundfreiheiten, des Minderheitenschutzes, des Schutzes und der Durchsetzung weiterer Rechte und rechtlich geschützter Interessen von Bürgern angeboten wird, und zwar insbesondere für die schwächsten, verletzlichsten und am stärksten bedrohten Gruppen der Gesellschaft.

4.1.3. Die Vinzenzgemeinschaft Wolfgang Pucher

Als Priester bin ich Mitglied einer Kongregation, die vom Hl.Vinzenz von Paul, dem Erfinder der Caritas, im 17.Jahrhundert gegründet worden ist. Wir nennen uns Lazaristen, in Deutschland Vinzentiner. Unser Lebensmotto lautet: „Den Armen eine frohe Botschaft zu bringen, hat er uns gesandt!“ Man könnte uns auch Armenpriester nennen. Als Mitglied dieser Gemeinschaft bin ich gleichzeitig geistlicher Beirat der Vinzenzgemeinschaften Österreichs. Im Rahmen der Arbeit innerhalb der Vinzenzgemeinschaft sind wir in Graz auf das schreckliche Schicksal der Roma gestoßen und haben uns dieser Minderheit, soweit sie sich in Graz befinden, besonders angenommen. Die Vinzenzgemeinschaft ist eine christliche Laienorganisation, die 1833 von Frédéric Ozanam (1813-1853) gegründet wurde. Dieser Mann war ein tiefgläubiger Christ und gleichzeitig äußerst interessiert an den sozialen Problemen seiner Zeit. Der Beginn der industriellen Revolution hat die zunehmende 106 |

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Zahl der Arbeiter in den neu entstandenen Fabriken in großes Elend gestürzt. Es hat ihn tief betroffen gemacht, dass weder der Staat, noch die Kirche eine Antwort wusste. Als Student der Rechtswissenschaften und späterer Professor hat er einen Kreis von jungen Intellektuellen um sich gescharrt, mit denen er ein Modell für eine gerechtere Welt entwickeln wollte. Schon sehr bald, bereits 12 Jahre vor dem kommunistischen Manifest, hat er Forderungen erhoben, die uns aus einem anderen Zusammenhang sehr bekannt erscheinen: „Vom Staat verlangte er eine ausreichende soziale Gesetzgebung, welche die Arbeitsruhe regelt, den Familienlohn garantiert und die Altersversorgung der Werktätigen sichert.“ Er forderte Bildungseinrichtungen für Arbeiterkinder und gründete mit Kollegen für sie eine kostenlose Abendschule. „Für die Arbeiter müsse der Staat „écoles d’adultes“ und „Sorbonnes populaires, Fortbildungs- und Volkshochschulen errichten. Der Sohn eines Arbeiters habe den gleichen Anspruch auf Bildungsmöglichkeiten, wie der Sohn eines Akademikers.“ Er forderte auch den Anteil für die Arbeiter an den Produktionsmitteln. Schon frühzeitig erkannte er den Ernst der Lage: „Die Frage, welche die Menschen unserer Tage scheidet, ist…eine soziale Frage. Es dreht sich darum, ob die Gesellschaft nur eine große Ausbeutung zum Vorteil der Stärkeren oder die Aufopferung des Einzelnen für das Wohl aller, besonders für den Schutz der Schwachen, sein wird (zitiert aus Gisbert Kranz, Frédéric Ozanam, Verlag Pustet). Wegen seiner Einstellung nennt man ihn den „christlichen Karl Marx.“ Eine Gruppe, die sich um ihn scharrte, begann 1833 mit einer neuen Art sozialen Engagements. Sie haben in ihrem Umfeld Ausschau nach Menschen gehalten, die Hilfe brauchen, und sie sind ihnen nachgegangen, um bei ihnen zu sein und mit ihnen gemeinsam das Leben zu verbessern. Diese Einstellung ist für die Vinzenzgemeinschaft bis heute ein entscheidendes Merkmal.

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Derzeit gibt es weltweit in 147 Ländern 45.000 Gruppen. Alle sind vollkommen selbständig, aber sie haben das Ideal ihres Gründers und des von ihm gewählten geistigen Vaters, Vinzenz von Paul, der gesagt hat: Armendienst ist Gottesdienst! In Österreich existieren 120 Gruppen. Eine davon ist die Vinzenzgemeinschaft Eggenberg, die von mir 1990 gegründet wurde. Sie bestand ursprünglich aus 14 jungen Menschen, die mit einem großen Engagement und kreativen Ideen auf die Menschen zugegangen sind. Ihre erste Einrichtung war der VinziBus, mit dem sie seit 1991, bis heute, jeden Abend an bedürftige Menschen auf der Straße belegte Brote und Tee weitergeben. Dabei fanden sie Kontakt zu jenen Obdachlosen, die in keine Einrichtung aufgenommen wurden, weil sie sich vom Alkohol nicht trennen konnten. So entstand das VinziDorf in Graz, eine Containersiedlung für 40 alkoholkranke Männer. Für obdachlose Ausländer, die zum damaligen Zeitpunkt nirgends eine Unterkunft hatten, gründeten sie das VinziNest, eine Notschlafstelle für 80 Männer. Schritt für Schritt sind bis jetzt 30 Werke entstanden, die wir VinziWerke nennen: Obdachloseneinrichtungen für Männer und Frauen, Kleider- und Lebensmittelmärkte (VinziShop bzw. VinziMarkt) und Einzelquartiere für Menschen in besonders schwieriger Situation. Derzeit arbeiten etwa 400 Ehrenamtliche mit. Die Zielgruppe, um die sich die Vinzenzgemeinschaft Eggenberg bemüht sind besonders solche Personen, die von einer überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung gemieden werden: Alkoholkranke, Drogenabhängige, psychisch Belastete, Haftentlassene und Bettler. Mit ihrem Engagement hat die Vinzenzgemeinschaft Eggenberg erreicht, dass Graz obdachlosenfrei ist. Die ersten drei in Wien gegründeten Einrichtungen, VinziRast, VinziBett und VinziPort, nehmen ausschließlich solche Menschen auf, die weder vom Fonds Soziales Wien, noch von der Caritas aufgenommen werden. Das große Ziel der 108 |

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Vinzenzgemeinschaft Eggenberg ist es, in der Gesellschaft und in den verschiedenen Einrichtungen ein Umdenken herbeizuführen, damit auch jene Menschen ein Quartier bekommen, die bis heute ausgeschlossen blieben. Ebenso sollen die bisherigen Einrichtungen durch weitere ergänzt werden. Wolfgang Pucher C.M. Gründer der VinziWerke

4.1.4. IQ Roma Service / IQ Roma servis* Wail Khazal

Die Bürgerinitiative IQ Roma servis wurde 1997 in Brünn gegründet. 2003 wurde sie neu aufgestellt und präsentiert sich seitdem als eine professionelle, dynamisch wachsende, nicht auf Profit orientierte Nichtregierungsorganisation. IQ Roma servis ist ein fundierter Ansprechpartner für Klienten, öffentliche Verwaltungsorgane, Arbeitgeber und andere, nicht nur in der heimischen südmährischen Region, sondern in ganz Tschechien und auf EU-Ebene. Der offizielle Sitz der Organisation ist Cejl 49 in Brno. Eine Zweigstelle befindet sich in Hybešova ul. 41 in Brno. Hier befindet sich die Zentrale und alle Dienstleistungen werden hier angeboten. Eine weitere Niederlassung wurde in Třída 1. Máje in Břeclav eröffnet. Der Schwerpunkt der direkten Klientenbetreuung liegt im Kreis Südmähren, die indirekte fachliche und methodische Arbeit erstreckt sich auf ganz Tschechien und hat Berührungspunkte mit der EU. IQ Roma servis ist Mitglied der EU-weiten Netze: European natipoverty network – www.eapn.org, European network against racism – www.enar-eu.org, und im tschechischen Forum für Integration – www.forint.cz. Die Aktivitäten * Im folgenden Text wird die tschechische Schreibweise IG Roma servis verwendet Roma am Arbeitsmarkt

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des IQ Roma servis sind auf das Erfassen und die Analyse der Bedürfnisse und Ressourcen der lokalen, sozial ausgegrenzten Romakommunitäten ausgerichtet sowie auf die Schaffung von Voraussetzungen und Möglichkeiten zur Förderung und zum Ausbau von sozialen, wirtschaftlichen, Bildungs- und Arbeitschancen und –erfolgen von Einzelpersonen und Familien der Roma und ähnlich Bedürftigen. Alle Tätigkeiten beruhen auf dem Prinzip der Unparteilichkeit, Unabhängigkeit, Offenheit und Antidiskriminierung. Die Bürgerinitiative hat sich zum Ziel gesetzt, „ein Mittler zu sein, um die Möglichkeiten, Chancen und die Bereitschaft der Roma zum Wachstum und zur Anerkennung in der Gesellschaft zu fördern und ihre Rechte und ihre Würde in der Gesellschaft zu schützen“. Das umfassende und kostenlose Angebot professioneller Dienstleistungen von IQ Roma servis:

Sozialprogramm (komplexe, die ganze Familie einschließende Herangehensweise, Vorbeugung und Abhilfe bei sozialer Ausgrenzung und in Krisen) •

Sozialarbeit in der Kommune und als Besuchsdienst (BesuchsdienstmitarbeiterInnen für Brünn und Gemeinden im Kreis Südmähren)

Sozialberatung durch Fachleute

Arbeitsberatung und Beschäftigungsdienstleistungen, Umschulungsangebote und Job-Clubs

Rechtsberatung und –beistand

Schutz vor Diskriminierung und Hilfe bei Diskriminierung

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Pädadogisches Programm (Aufbau von Potentialen und Erfolgsförderung für die junge Romageneration) •

Bildungsaktivitäten: Nachhilfe einzeln oder in Gruppen, ITKurse (Grundlagen der PC-Arbeit, Windows, Word, Arbeiten im Internet, Multimedia usw.), Schulungen von administrativen Fertigkeiten, Kommunikation mit den Eltern, Kontakt zu Schulen und anderen Institutionen, Aufklärungsvorträge an Grund- und Mittelschulen usw.)

Motivation und Initiative: Berufswahlberatung, EEG Biofeedback, Persönlichkeitsbildung und Kurse, darstellende Kunst und Theater Divadlo Fórum, musikalische Erziehung, Freizeitaktivitäten (Fotokurs, Tanzkurs), Roma-Jugendzeitschrift, Web www.jaktovidimja.cz, Wochenendveranstaltungen, Sommerlager und andere Motivations- und Initiativveranstaltungen, Kennenlernen von Arbeitsstätten usw.

Fachliche methodische Arbeit Neben der direkten Klientenbetreuung befasst sich IQ Roma servis mit themenbezogener analytischer, konzeptueller, methodischer und PR-Arbeit: Zertifizierung als Ethnic-FriendlyArbeitgeber, Gemeinschaftsplanung von Sozialdiensten in der Stadt Brünn, Untersuchungen und Evaluierungen, fachliche Methodenarbeit und Entwürfe für Konzeptlösungen, Kampagnen usw.

Ethnic-Friendly-Arbeitgeber Der Ethnic-Friendly-Arbeitgeber bewährte sich als eine Zertifizierungsmaßnahme zur positiven Hervorhebung von Arbeitgebern, die Gleichbehandlung der ethnischen Minderheiten in Roma am Arbeitsmarkt

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der Praxis umsetzen. Der leitende Gedanke ist die Förderung der Gleichbehandlungsgrundsätze und die Unterstützung einer rascheren Verbreitung des Antidiskriminierungsklimas auf dem Arbeitsmarkt. 1997 entstand die Idee, Unternehmen auszuzeichnen, die sich zur Gleichbehandlung bekennen und sie auch umsetzen. Nachdem die MitarbeiterInnen von IQ Roma servis im Zuge ihrer sozialrechtlichen Beratungsaktivitäten wiederholt mit Diskriminierung von ethnischen Minderheiten, insbesondere der Roma auf dem Arbeitsmarkt konfrontiert wurden. Diese negative Erfahrung führte zur Idee des Ethnic-FriendlyArbeitgeber – einer Auszeichnung für Gesellschaften, in deren Personalwesen Gleichbehandlung gegenüber den MitarbeiterInnen und BewerberInnen auf allen Beziehungsebenen gelebt wird. Diese Auszeichnung kann für die Öffentlichkeitsarbeit genutzt werden und reiht die ausgezeichneten Unternehmen zu den zukunftsorientierten in Europa. Die Auszeichnung ist für ein möglichst breites Spektrum an Arbeitgebern gedacht; mittlerweile wurde sie an mehr als 30 Gesellschaften aus ganz Tschechien vergeben. Auf der Liste der Auszeichnugsträger finden sich kleine sozial ausgerichtete Unternehmen und geschützte Werkstätten ebenso wie Großunternehmen wie die Aktiengesellschaften ZETOR TRACTORS a.s., OHL ŽS a.s., GUMOTEX a.s. sowie Organe der Staats- und Selbstverwaltung, etwa die Polizeidirektion für den Kreis Südmähren, einige Arbeitsämter oder die Stadtverwaltung von Hodonín. Die Auszeichnung wird nach einer objektiven Prüfung des Antragstellers verliehen. Bei der Prüfung wird nicht nur der Stand der Organisationskultur gegenüber den MitarbeiterInnen ermittelt; nach Absprache mit der Firmenleitung können 112 |

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auch Empfehlungen für Veränderungen oder Maßnahmen zur Verbesserung der Firmenkultur ausgesprochen werden. Die Verleihung ist kostenlos, die Prüfung nimmt wenig Zeit in Anspruch. Mehr Informationen über die Auszeichnung sind im internet abrufbar: www.ethnic-friendly.eu

4.1.5. Neue Hoffnung Igor Kmeťo

Die slowakische Non-Profit-Organisation Nová nádej, n. o. Die Non-Profit-Organisation Nová nádej (auf Deutsch Neue Hoffnung) mit Sitz in Segnerova 6, 841 04 Bratislava, wurde am 14. Februar 2006 durch Igor Kmeťo.gegründet. Die Non-Profit-Organisation Nová nádej, n. o. wurde am 3. März 2006 unter der Nummer OVVS-635/179/2006 – NO im Kreisamt Bratislava, Sektion allgemeine innere Verwaltung, Staromestská 6, 814 71 Bratislava eingetragen. Die NPO Nová nádej, n. o. wurde gegründet, um soziale Hilfestellung und humanitäre Hilfe im Sinne des § 32 des Gesetzes Nr. 195/1998 SLG. über soziale Hilfe in der Fassung späterer Vorschriften zu gewährleisten.

Tätigkeitsfelder der Organisation: Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Begründung, Entwicklung, Bewahrung, Wiederherstellung und Darstellung der geistigen und kulturellen Werte •

Kultur- und Sportveranstaltungen Roma am Arbeitsmarkt

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Veranstalten von Seminaren, Schulungen, Tagungen in den genannten Tätigkeitsfeldern

Hilfestellung für die Roma-Minderheit und ausgegrenzte Roma

Bildungsmaßnahmen und Hilfe bei Arbeitssuche für Roma und sozial benachteiligte Einwohner

Vom Verwaltungsrat wurde dem Direktor der NPO aufgetragen, gemäß den Statuten, Punkt III. über die soziale Hilfestellung, in der Zukunft ein Resozialisierungszentrum zu gründen, falls es künftig nicht möglich sein sollte, den nicht rückzahlbaren finanziellen Beitrag aus dem Europäischen Sozialfonds sowie aus den Strukturfonds zu erhalten.

4.1.6. Tschechische Gewerkschaftskonföderation (ČMKOS) Petr Šulc

Die Themen Beschäftigung und Arbeitsmarktbeobachtung bilden einen wichtigen Bestandteil des Programms der Tschechischen Gewerkschafts­konföderation ČMKOS. Die Stellung der Roma auf dem Arbeitsmarkt in der Tschechischen Republik gleicht der Situation in anderen EU-Staaten. Die Roma sind als vorwiegend Minderqualifizierte das erste Opfer des freien Arbeitsmarkts. In der Regel sind sie die Ersten, die in einer Wirtschaftskrise entlassen werden. Einen spürbaren Einschnitt hinterließ ebenfalls die Transformation zu Beginn der 1990er Jahre. Es gibt Bemühungen, die Beschäftigungsrate der Roma zu steigern, doch in der Praxis scheitern sie an mangelnden finanziellen Mitteln und fehlenden praktischen und politischen Maßnahmen. ExpertInnen, die sich mit dieser Problematik etwa in 114 |

Reihe Volksgruppenpolitik und Minderheitenforschung – Band 1


Nichtregierungsorganisationen befassen, führen an, dass die Situation derzeit wesenlich schwieriger als vor 20 Jahren ist – die zu Beginn vorhandene Ethik ist abhanden gekommen (der Glaube und die Hoffnung sind verschwunden); seitens des Staates, der Selbstverwaltungen und auch der Roma selbst fehlt es an erklärtem gutem Willen nach Lösungen zu suchen, es entstehen neue sozial ausgegrenzte Gebiete. Es wurde zwar eine rechtliche Grundlage für die Antidiskriminierung geschaffen, die Aktivitäten gehen jedoch an den Bedürfnissen vorbei. Die Tschechische Gewerkschaftskonföderation befasst sich mit der Situation der Roma zunächst auf allgemeiner Ebene im Rahmen der Bekämpfung jeglicher Diskriminierung. Das Antidiskriminierungsprinzip ist im Gewerkschaftsprogramm verankert und wird von der ČMKOS im Gesetzgebungsprozess eingefordert. Das Diskriminierungsverbot ist im Arbeitsgesetzbuch festgelegt. Im Anti­diskriminierungsgesetz werden die Antidiskriminierungsmaßnahmen beschrieben. Die praktischen Maßnahmen werden in erster Linie von den Gewerkschaftsbünden mit ihrer offenen Mitgliedschaft umgesetzt, die sich mit den Problemen ihrer Mitglieder, darunter der der Roma befassen. Allen ArbeitnehmerInnen steht die Rechtsberatung und der Schutz nach dem Arbeitsgesetzbuch offen. Die Konföderation unterhält regionale Beratungszentren, die allen ArbeitnehmerInnen, Mitgliedern wie Nichtmitgliedern kostenlose Rechtsberatung anbieten. Auch die kostenlose telefonische Nonstop-Hotline beruht auf denselben Prinzipien wie die regionalen Zentren. Die Tschechische Gewerkschaftskonföderation ist ein Ansprechpartner für Nichtregierungsorganisationen, die an einer gemeinsamen Förderung der Roma interessiert sind, etwa La Strada, mit der eine Kooperation im Zusammenhang mit Roma am Arbeitsmarkt

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Menschenhandel, konkret mit Arbeitsausbeutung und Ausbeutung zwecks Prostitution besteht. In den Jahren 1998 bis 2000 wurde in der Konföderation ein Projekt mit Schwerpunkt Schwierigkeiten der Roma am Arbeitsmarkt durchgeführt. Die größten Herausforderungen bestehen im Bildungssystem – der problematische Zugang zu den Roma beginnt an den Schulen; die Romakinder haben eine sprachliche Barriere sowie abweichende kulturelle Einstellungen zu überwinden. Die Konföderation erhebt die Forderung nach besseren Bedingungen für Roma an den Schulen und in der Berufsvorbereitung. Angesichts der Tatsache, dass die tschechische Regierung lediglich 0,05% BIP für die aktive Beschäftigungspolitik aufwendet, ist Optimismus nicht angebracht. Wir begrüßen und schätzen die Aktivitäten der EU in diesem Bereich. Die Tschechische Konföderation beteiligt sich an der Diskussion sowie an Aktivitäten im Zusammenhang mit Antidiskriminierung durch die Europäische Gewerkschafts­ organisation sowie durch den Europäischen Sozial- und Wirtschaftsausschuss, in dem die ČMKOS Mitglied ist. Erforderlich ist ein politischer Wille, eine vielseitige Herangehensweise an diese Problematik sowie die Einbindung der Roma in Programme, die sie betreffen.

4.1.7. Museum für Romakultur Petr Svojansý

Das Museum für Romakultur in Brünn ist eine weltweit einzigartige Institution, die der Erhaltung und Veröffentlichung 116 |

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der Kultur und Geschichte der Roma dient. Es beherbergt Sammlungen traditioneller historischer Roma-Berufe und Handwerke, Inneneinrichtungsgegenstände, Kleidung und Schmuck, bildende Kunst, Audio-, Foto- und Videodokumente sowie eine Bibliothek. Die Museumssammlungen werden in der ständigen Präsentation sowie in Einzelausstellungen vermittelt. Organisiert werden zahlreiche Veranstaltungen für die Öffentlichkeit – die jährliche Museumsnacht, Vorträge und Diskussionen, Modenschauen, Konzerte und Videoprojektionen. Das Museum befasst sich nicht ausschließlich mit der Geschichte, sondern auch mit dem gegenwärtigen Leben der Romagemeinschaft. Die Museumsaktivitäten zielen darauf ab, das gegenseitige Verständnis zwischen der Mehrheitsbevölkerung und der Romaminderheit zu stärken. Für die wichtigste Aufgabe des Museums wird die Förderung des kulturübergreifenden Denkens und der Toleranz angesehen. Neben den beschriebenen Aktivitäten setzt das Museum edukative Maßnahmen, die auf Roma und Nichtroma ausgerichtet sind, um seine Ziele mit Leben zu erfüllen. Die Lehrendenabteilung des Museums sorgt für multikulturelle Bildungsförderung von SchülerInnen aus der Mehrheitsbevölkerung in Form von interaktiven Bildungsprogrammen. Die Programme setzen sich zum Ziel, die Geschichte, Kultur und die Traditionen der Roma im Zusammenhang mit den gegenwärtigen Problemen verständlich zu machen. Die BesucherInnen sind aufgerufen, sich aktiv mit Vorurteilen und Stereotypen auseinanderzusetzen, die im täglichen Leben vorkommen. Sie sollen über die Ursachen der aktuellen Probleme im Zusammenleben der Roma und Nichtroma nachdenken. Der zweite wichtige Pfeiler der bildungs- und erziehungsorientierten Museumstätigkeit ist die Nachhilfe und Freizeitgestaltung für SchülerInnen der sogenannten Romaschulen, d.h. Grundschulen mit einem mehr als 90%igen Anteil von Roma am Arbeitsmarkt

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Romakindern. Das Museum hat seinen Sitz inmitten eines sozial ausgeschlossenen Stadtteils, in unmittelbarer Wohnnähe der betroffenen Kinder. Bei den Schülerinnen und Schülern mangelt es häufig an elementaren, für das Lernen wichtigen Routinen und an persönlichen Vorbildern. Ihre Eltern haben größtenteils die Grundschule abgebrochen und können ihren Kindern keine Unterstützung bieten. Das Umfeld in den segregierten Romaschulen bietet keinen ausreichenden Anreiz für bessere Schulleistungen. Den MuseumspädagogInnen ist es ein Anliegen, ausgewählte Kinder in den sogenannten Mehrheitsschulen anzumelden und auch die Eltern dazu zu ermuntern. An diesen Schulen haben die Romakinder höhere Bildungschancen und die Aussicht auf eine längere Ausbildung mit Erfolg auf dem Arbeitsmarkt. Auch die gemeinsame Edukation und Interaktion zwischen der Mehrheitsbevölkerung und den Romakindern ist von klein auf wichtig. Durch das gemeinsame Aufwachsen lassen sich Vorurteile und festgefahrene Meinungen, die bei beiden Kommunitäten zu beobachten sind, am effektivsten abbauen. Die Eingliederung der Romakinder in Mehrheitsschulen gilt derzeit als die sinnvollste und effizienteste Maßnahme, um die Ausgrenzung in Brünn zu überwinden. Einige Romafamilien, deren Kinder Majoritätsschulen besuchen, werden vom Museum finanziell und personell unterstützt. Fahrgeld in weiter entfernte Schulen außerhalb der Romalokalität in Brünn, Mittagessen in der Schule, Begleitung und Nachhilfe zahlt das Museum aus dem Roma Education Fund. Die Romakinder wachsen in einem Umfeld auf, in dem sie soziopathologischen Erscheinungen ausgesetzt sind (sehr verbreitet sind leicht zugängliche Drogen, Kriminalität usw.). Wenn sie keinen anderen Ausweg aus dieser tagtäglichen Realität kennen, können sie diesen negativen Einflüssen leicht erliegen. Wir bemühen uns, ihnen durch unsere Tätigkeit eine Alternative zu bieten. Wir betrachten die Bildung als eine grundlegende Voraussetzung für eine gute Qualifizierung und Anerkennung in 118 |

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der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt. Bei uns lernen die Kinder elementare Routinen, die im Arbeitsleben und im Privaten unentbehrlich sind. Regelmäßigkeit, Planen und Geduld bei der Arbeit. Darüber hinaus bekommen sie die Möglichkeit, die Freizeit sinnvoll zu verbringen. Petr Svojanovský, BA Tutor im Museum für Romakultur doucovani@rommuz.cz Museum für Romakultur Bratislavská 67 602 00 Brno Tschechien Tel.: (+420) 545 571 798 Fax: (+420) 545 214 418

4.1.8. THARA – ein Projekt der Volkshilfe Österreich Verena Fabris

Seit über sechs Jahren finden unter der Leitung der Volkshilfe Österreich eine Reihe von in Österreich, aber auch in Europa einzigartigen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen für Roma und Sinti in Wien statt. Vor dem Hintergrund und mit dem Bewusstsein, dass Romnja und Roma, Sintize und Sinti zu den größten Minderheiten in Europa gehören und jahrhundertelang ausgegrenzt und diskriminiert wurden, startete die Volkshilfe vor sechs Jahren die Initiative THARA. Durch diverse THARA-Projekte ist es gelungen, in Österreich einzigartige und auch für Europa sehr besondere Arbeit zu leisten: arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen speziell für Romnja und Roma durchzuführen, die Orientierung in Roma am Arbeitsmarkt

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der Arbeitswelt und (ethnische) Identität nicht als getrennte, sondern voneinander abhängige Felder begreifen. Die Angebote von THARA stehen allen Romnja und Roma, Sintize und Sinti offen, unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu einer der Romani-Gemeinschaften und/oder einem Roma-Verein, unabhängig von der sozio-politischen Zugehörigkeit zur österreichischen Volksgruppe der Roma und Romnja, unabhängig vom jeweiligen Status auf dem Arbeitsmarkt, bzw bildungspolitischen und sozialen Status sowie von der nationalen und konfessionellen Zugehörigkeit. 2005 bis 2007: THARA Haus Das THARA-Haus, das im Rahmen einer europäischen Partnerschaft entstand, wurde zu einer wichtigen Anlaufstelle für Roma und Romnja. Das breitgefächerte, kostenlose Bildungsund Aktivierungsprogramm für Jugendliche umfasste Lernhilfe, einen Hauptschulabschlusskurs, Qualifizierungsmaßnahmen wie z.B. Computer- und Medienworkshops, Bildungsberatungund Sozialberatung sowie Berufsorientierung und Berufs- und GründerInnenberatung. THARA löste eine Welle der Begeisterung aus. Roma und Sinti fühlten sich gestärkt und gründeten fünfzehn neue Vereine in Wien. Der Leitfaden „Amtsdeutsch – leicht gemacht“ verminderte die Barriere zwischen Institutionen der Mehrheitsgesellschaft und Roma und Sinti. Die Publikation „Roma-Jugendliche in Wien“ war der erste Leitfaden zur Jugendarbeit mit Angehörigen der Roma-Community. 2007 bis 2009 THARA Amarotrajo und THARA Roma in Transition Aufbauend auf den gewonnen Erfahrungen arbeitete THARA Amarotrajo (Unser Leben) mit einem Konzept, das sich auf die 120 |

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Berufsberatung konzentrierte. Erstmals wurde der Berufsorientierungskurs NEVODROM, der Praktika zur Berufs- und Lehrstellenfindung beinhaltete, angeboten. Im Kurs ging es darum, den jungen TeilnehmerInnen zu vermitteln, dass sie ihre eigene Kultur leben und in der Arbeitswelt (der Mehrheitsgesellschaft) zurechtkommen können, dass Rückschläge bewältigbar sind und wertvolle Erfahrungen darstellen. Mit dem Beginn von THARA Roma/Romnija in Transition im Jahr 2008 erweiterte man das Angebot um das Element der „Drehscheibe“, das der Vernetzung von ExpertInnen im nationalen Feld diente und in maßgeschneiderten Angeboten für MultiplikatorInnen und ExpertInnen das im Projekt erarbeitete Wissen an breite Schichten transportierte. 2009-2011 THARA Beratung & Dialog Auf der individuellen Ebene wurden weiter Beratungen rund um arbeitsbezogene Themenfelder (AMAROTRAJO) und Vorbereitungskurse für Jugendliche und junge Erwachsene, die ins Berufsleben einsteigen wollen (NEVODROM) angeboten. Auf der Ebene der Struktur sprach das Projekt von Dialog, um die Vielfalt der angesprochenen Zielgruppen zu verdeutlichen und um gleichzeitig den Ansatz des gesamten Projektes zu transportieren. Dieser besteht darin, durch die Wahrnehmung von Roma/Sinti als ExpertInnen ihrer eigenen soziokulturellen und arbeitsbezogenen Situation einen Rahmen zu schaffen, in dem Nicht-Roma und Roma einander auf gleicher Höhe begegnen können. Das geballte Know-How, dass THARA mittlerweile aufgebaut hat, ist einzigartig in Wien. MitarbeiterInnen aus Schulen, Institutionen der Jugendarbeit und des Arbeitsmarktes konsultierten THARA regelmäßig, um ihr Wissen im Bezug auf die Arbeit mit Roma und Sinti zu erweitern. Roma am Arbeitsmarkt

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Ein großer Erfolg war die internationale Konferenz „Romani Butj – Erfolgsgeschichten und Perspektiven am europäischen Arbeitsmarkt“, die im Juni 2010 im Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz stattfand. Erstmals wurde in Österreich unter Beteiligung maßgeblicher AkteurInnen das komplexe Thema Arbeit und Roma-Communities in der Öffentlichkeit diskutiert. Das Projekt, das ursprünglich mit 31. August 2010 beendet werde sollte, wurde bis Juli 2011 in reduzierter Form verlängert. Angeboten wurden Sensibilisierungsworkshops für MitarbeiterInnen des Arbeitsmarktservice Wien und arbeitsmarktnaher Wiener Einrichtungen. Als Pilot wurden Workshops für Roma-UnternehmerInnen in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftskammer Wien und dem Service für Unternehmen des Arbeitsmarktservice Wien durchgeführt. Die Arbeit mit der Gruppe der Roma/Romnja bedeutet einen langfristig ausgelegten Prozess, zeitlich beschränkte Maßnahmen sind bei dieser spezifischen Gruppe nicht zielführend. Um nachhaltige Veränderung zu bewirken, muss außerdem auf unterschiedlichen Ebenen agiert werden: der strukturellen Ebene des Dialogs mit verschiedenen Gruppen (Politik, Stadt, Community, Medien), der Antidiskriminierungsarbeit sowie der individuellen Ebene der Beratung und Unterstützung. Mit dem am 1. August 2011 gestarteten Projekt „THARA Romani Butji“ wird der erfolgreiche Weg weiter beschritten. Schwerpunkt im neuen Projekt sind neben individueller Berufs- und Bildungsberatung, die in Kooperation mit dem Romano Centro durchgeführt wird, die Sensibilisierung bestehender Einrichtungen im arbeitsmarkpolitischen Bereich für die Gruppe der Romnja und Roma, Workshops für Gründerinnen sowie eine Sensibilisierung der breiteren Öffentlichkeit, die unter anderem mit einer Broschüre „Roma und Romnja in der Arbeitswelt“ gelingen soll. 122 |

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Auch wenn THARA erfolgreiche Arbeit leistet, bleibt noch viel zu tun. Nicht zuletzt braucht Österreich – so wie andere europäische Länder auch – einen nationalen Aktionsplan zur Integration von Roma und Romnja bzw. Sinti und Sintize. Kontakt: Verena Fabris, verena.fabris@volkshilfe.at, T. +43 676/83 402 220 Usnija Buligovic, usnija.buligovic@volkshilfe.at, T. +43 676/83 402 232 Das THARA Haus wurde aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit der Republik Österreich finanziert. Alle weiteren THARA-Projekte wurden / werden vom Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz gefördert.

Volkshilfe in Österreich Die Volkshilfe, 1947 gegründet, ist eine gemeinnützige, überparteiliche und überkonfessionelle Organisation, die österreichweit mit starken Landesorganisationen umfassende soziale Dienstleistungen anbietet. Als soziale Bewegung ist die Volkshilfe Teil der Zivilgesellschaft, leistet Hilfe im In- und Ausland und wirbt dafür um Spenden und Unterstützung. Das Herz der Volkshilfe sind die tausenden haupt- und ehrenamtlichen MitarbeiterInnen und Mitglieder, die sich aus Überzeugung, mit dem Ziel einer solidarischen, gerechteren Welt, in deren Mittelpunkt der Mensch steht, sozial engagieren. www.volkshilfe.at

Roma am Arbeitsmarkt

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4.1.9. Initiativen zwischen evangelischen Pfarrgemeinden Hermann Reining

Seit der Eiserne Vorhang eingerollt worden ist (1989), betreue ich eine Initiative zwischen zwei evangelischen Pfarrgemeinden: eine in Wien I und die andere in Brno II (CZ). Seit etwa 5 Jahren haben wir einen dritten Partner: die Evangalische Diakonie in Vsetin (Bezirksstadt in Ostmähren). Dort gibt es einige Dutzend Familien, die zur Volksgruppe der Roma gehören. Sie leben in Blechcontainern, früher in der Altstadt, jetzt aber am Rand der Stadt. Die Leitung der Evangelischen Diakonie bietet nun Eltern von Kindern, die den Kindergarten besuchen, folgendes an: im letzten Kindergartenjahr können interessierte Kinder in der tschechischen Landessprache unterrichtet werden. Das bedeutet: wenn diese Roma-Kinder zur Prüfung für die Aufnahme in die Volksschule antreten, können sie soviel Tschechisch, dass sie in die erste Klasse der Volksschule aufgenommen werden und ihnen dann der normale Bildungsweg offensteht!

Warum erzähle ich Ihnen das? •

Weil alle, denen das Schicksal von Roma-Menschen nahe geht und keine Ruhe lässt, neue Hoffnung haben. Denn mit der Schulung der Kinder in der Landessprache – noch vor Beginn der Volksschule – wird eine schwere Hürde genommen. Wer neben Romanes auch Tschechisch kann, dem steht jede Ausbildung offen.

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Wer dagegen nur seine Muttersprache kann (also Romanes), der wird keine weitere Schulbildung schaffen, der „Kreislauf des Elends“ wird sich weiter drehen! Hermann Reining (hermann.reining@aon.at)

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4.2. Assotiationen der KonferenzteilnehmerInnen zum Thema „Roma“ Zu Beginn der Konferenz wurden die BesucherInnen der Veranstaltung vom Moderator Michal Vlasák aufgefordert, Stichwörter zum Thema „Roma“ aufzuschreiben. Somit sollten die Eindrücke, die Meinung und die Einstellung des Publikums eingefangen werden. Folgendes wurde von den Besuchern/Innen in den jeweiligen Sprachen festgehalten:

Auf Deutsch • Hilfe notwendig • Ausgrenzung, Verfolgung und Ausbildungsmangel • Roma haben keine Lobby • ausgegrenzte Minderheit, die nicht bei allen willkommen ist! • Chancengleichheit??? • Rollenmodelle gesucht • Kinder in Sonderschulen • Roma sind eine bedrohte Minderheit in Europa, und es ist eine Pflicht, diese Minderheit zu schützen • Armut, Schmutz und stickige Wohnung • Rassistische Ausgrenzung • multiple Benachteiligung • Roma wurden in der Vergangenheit „Zigeuner“ genannt. Ausstellung in Krems – „Idealisierend“. Kontakte am Arbeitsplatz. Als Musiker bekannt. Ich kenne viele Stereotype, darum bin ich hier, um mehr erfahren zu können. Auf Tschechisch • ausgestoßen und nicht angenommen in der Gesellschaft, unerreicht, Recht auf Arbeit • Kultur, Tanz, Kunst, Lebensstil, Sprache • Intuition 126 |

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• • • • • •

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Vorurteile, Stigmatisation Temperament Roma und Kriminalität nomadenhaft, Rassismus ehrliche Menschen Roma = Problem mit der Sicherstellung von Bildung und eines Arbeitsplatzes. Sie müssen sich aber selbst bemühen und zwingen ihre soziale Lage zu verbessern. Roma sind anders und deshalb nicht annehmbar Roma – eine problematische Ethnie Integration Integration der Roma in das Alltagsleben ist ein mühsamer, langwieriger und niemals abgeschlossener Weg. Familie, Arbeitslosigkeit, Kinder, Bildung, Zukunft, Rassismus, Problem Roma sozial ausgeschlossen

Auf Slowakisch • Mitschülerin • ausgegrenzte Minderheit, Verurteilung wegen ihrer Hautfarbe, alle werden unter einem Kamm geschert, Kinderreichtum, Vorurteile gegenüber von Roma • Musiker • Integration, Träger von Kultur • Roma in Skalica • Integration in die Gesellschaft, Verantwortung für sich selbst • andere Kultur, Erziehung der Kinder • Armut, Rassismus, Musik, Schönheit • Musik • Arbeitslosigkeit • Roma sind eine Gruppe von Menschen in der Gesellschaft, die sich mit ihrer Kultur von der Mehrheitsbevölkerung – Majorität – unterscheiden.

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5. Über die Referenten (alpabetisch geordnet) Dr. Laszlo Andor EU-Kommissar für Beschäftigung, Soziales und Integration. Mag. Verena Fabris Volkshilfe Österreich, Leiterin des langjährigen Projektes THARA, ein arbeitsmarktpolitisches Projekt für Roma/Romnja und Sinti/Sintizze in Österreich. Mag. Wail Khazal Wail Khazal arbeitet bei der Bürgervereinigung IQ Roma Service mit Sitz in Brünn und ist unter anderem für europäische Projekte zur Unterstützung von Roma verantwortlich. Igor Kmeťo Begründer der Musikgruppe „Kmeťoband“, einer der bekanntesten Vertreter des Roma-Pop in der Slowakei. Vertreter der NGO Nova nádej (Deutsch Neue Hoffnung). Mag. Miloš Nešpor Gewerkschaftssekretär in der Raffinerie Slovnaft, Mitglied der Fachgewerkschaft ECHOZ und stellvertretender Vorsitzender des Gewerkschaftsregionalrates Bratislava. Dr. Peter Pollak Lektor an der Universität in Nitra und an der Hochschule für Gesundheitswesen in Bratislava. Er ist Vertreter des Arbeitgeberverbandes der Roma, der Europäischen Roma-Union und des Europäischen Forums der Roma beim Europäischen Rat in Straßburg. Ing. Hubert Přibil Leiter der Abteilung der staatlichen Sozialhilfe am Arbeitsamt in Brünn, Kreisstelle des Arbeitsamtes des südmährischen Landes.

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Wolfgang Pucher Wolfgang Pucher ist Pfarrer und Gründer von 30 Vinzi-Werken, die eine breite Palette an Sozial- und Hilfsleistungen anbieten. Im Jahre 2005 wurde er von der Zeitung „Die Presse“ zum Österreicher des Jahres für soziale Projekte gewählt. Prof. Rudolf Sarközi Vorsitzender des Volksgruppenbeirates der Roma, Obmann des Kulturvereins Österreichischer Roma. Dr. Petr Šulc Jurist in der Rechtsabteilung der südmährischen Konföderation der Gewerkschaftsbünde. Seine Schwerpunkte sind das Bürger-, Handels- und Arbeitsrecht. Dr. Hannes Swoboda EU-Abgeordneter, Vizepräsident und Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialisten und Demokraten im Europäischen Parlament, Mitglied in unterschiedlichen Ausschüssen des EU-Parlaments. Petr Svojanský, BA Lektor im Museum für Romakultur in Brünn, zuständnig für Nachhilfe und Freizeitbeschäftigung.

Moderatoren Mag. Michal Vlasák Absolvent der Wirtschaftsuniversität Wien und Initiator des ersten interdisziplinären Studienprogramms zum Thema “Bildung für nachhaltige Entwicklung”, das unter der Schirmherrschaft der Österreichischen UNESCO Kommission,

an

vier

großen

Wiener

Universitäten

realisiert

wurde.

Mag. Sabrina Kopf Sabrina Kopf ist Dissertantin und Lektorin an der Universität Wien. Sie beschäftigt sich in ihrer Forschung mit der Situation der Roma in Europa.

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Reihe Volksgruppenpolitik und Minderheitenforschung – Band 1

Herausgeber Dr. Rastislav Báchora, eMA Studium der Politikwissenschaft an der Universität Wien und Belgrad. Seine bisherigen wissenschaftlichen Forschungsarbeiten fokusierten sich auf sicherheitspolitische Fragestellungen in Mittelost- und Südosteuropa. Er ist Forschungsleiter eines wissenschaftlichen Projektes im Bereich der Migrations- und Integrationsforschung und lehrt am Institut für Europäische Studien und Internationale Beziehungen an der Comenius-Universität in Bratislava.

Mag. Marcus Strohmeier Ist Politikwissenschafter und beschäftigt sich intensiv mit den Rechten von Minderheiten sowie der Geschichte und Entwicklung sozialer Bewegungen. Beruflich ist er für politische Bildung und internationale Projekte (dzt. Projektleitung der Projekte ZUWINBAT und ZUWINS) im Bildungsreferat des Österreichischen Gewerkschaftsbundes tätig. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Veröffentlichungen zu gewerkschaftlichen Themen.


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