SR-13_Finanzierung_des_Sozialstaates

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Sozialrecht SR 13

Martin Bolkovac/Marcel Fink/Kathrin Niedermoser

Finanzierung des Sozialstaates

INHALT Einleitung 3 Wohlfahrtsstaatliche Politik: zentrale Kategorien 4 Öffentliche Aufwendungen für wohlfahrtsstaatliche Politik in Österreich und im internationalen Vergleich 6 Aufwendungen für wohlfahrtsstaatliche Politik in Österreich 6 International vergleichende Perspektive 11 Die Finanzierung wohlfahrtsstaatlicher Politik in Österreich und im internationalen Vergleich 20 Finanzierung der Sozialeinkommen im Wirtschaftskreislauf 20 Die Finanzierung wohlfahrtsstaatlicher Politik in Österreich 21 Die Finanzierung wohlfahrtsstaatlicher Politik im internationalen Vergleich 25 Die Zukunft der Finanzierung des Wohlfahrtsstaates 30 Steigende Belastungen 30 Steuerungsoptionen 31 Keine Angst vor Steuern: Stärkere Steuerfinanzierung der sozialen Sicherheit? 36 Die Ökosteuer 44 Wertschöpfungsabgabe 45 Literaturverzeichnis 47 Beantwortung der Fragen 48

Inhaltliche Koordination: Josef Wöss

Stand: Oktober 2013

Dieses Skriptum ist für die Verwendung im Rahmen der Bildungsarbeit des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, der Gewerkschaften und der Kammern für Arbeiter und Angestellte bestimmt.


Wie soll mit diesem Skriptum gearbeitet werden?

Anmerkungen

Zeichenerklärung Frage zum Lernstoff im vorigen Abschnitt (vergleichen Sie Ihre eigene Antwort mit der am Ende des Skriptums ange­ gebenen).

Anmerkungen: Die linke bzw. rechte Spalte jeder Seite dient zur Eintra­ gung persön­licher Anmerkungen zum Lernstoff. Diese ei­ genen Notizen sollen, gemeinsam mit den bereits vorgege­ benen, dem Verständnis und der Wiederholung dienen.

Arbeitsanleitung – Lesen Sie zunächst den Text eines Abschnitts aufmerksam durch. – Wiederholen Sie den Inhalt des jeweiligen Abschnitts mit Hilfe der ge­ druckten und der eigenen Randbemerkungen. – Beantworten Sie die am Ende des Abschnitts gestellten Fragen (möglichst ohne nachzu­sehen). – Die Antworten auf die jeweiligen Fragen finden Sie am Ende des Skrip­ tums. – Ist Ihnen die Beantwortung der Fragen noch nicht möglich, ohne im Text nachzusehen, arbeiten Sie den Abschnitt nochmals durch. – Gehen Sie erst dann zum Studium des nächsten Abschnitts über. – Überprüfen Sie am Ende des Skriptums, ob Sie die hier angeführten Lern­ ziele erreicht haben.

Lernziele Nachdem Sie dieses Skriptum durchgearbeitet haben, sollen Sie – über die finanziellen Hintergründe von Sozialpolitik Bescheid wissen, – den österreichischen Sozialstaat im internationalen Kontext sehen und – Alternativen zu den bestehenden Finanzierungsmodellen kennen.

Viel Erfolg beim Lernen!

2


Einleitung

Anmerkungen

Dieses Skriptum gibt einen Überblick über die komplexe Materie der Finan­ zierung von staatlichen Sozialleistungen. Nach einem Blick auf die Ausga­ benseite (in Österreich und im internationalen Vergleich) betrachten wir die Einnahmenseite: Versicherungsbeiträge, Steueraufkommen und Bundeszu­ schüsse. In zwei Exkursen gehen wir der Frage nach, wie der Standortwettbewerb der Wirtschaft auf den Wohlfahrtsstaat Einfluss nimmt und untersuchen, welchen Zusammenhang es zwischen Wirtschaftswachstum und Sozialleis­ tungen gibt. Schließlich werden verschiedenste politische Optionen aufgezeigt, durch die der Staat auf die Höhe der Einnahmen und damit auf die Gestaltung seiner sozialpolitischen Maßnahmen Einfluss nehmen kann. Einen Schwer­ punkt bildet dabei die Diskussion über eine stärkere Steuerfinanzierung der sozialen Sicherheit. Steuern radikal zu senken und Leistungen zu kürzen sind jedenfalls keine nachhaltigen Antworten auf die sozialen Probleme unserer Zeit. Marcel Fink (Universitätsassistent am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien) Martin Bolkovac (Politischer Sekretär der GPA-djp, Lektor am Institut für Staatswissenschaft) Kathrin Niedermoser (Politologin)

3


Wohlfahrtsstaatliche Politik: zentrale Kategorien

Anmerkungen

Ausbau Sozialstaat

Die gesellschaftliche Entwicklung des 20. Jahrhunderts war in den west­ lichen Industriestaaten hinsichtlich der politischen Gestaltung der Lebensund Arbeitsbedingungen durch den Ausbau wohlfahrtsstaatlicher Maßnahmen geprägt. Obwohl in einzelnen Ländern erste Ansätze bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert feststellbar sind (z. B. in Deutschland und Österreich), ist sozialstaatliche Politik insbesondere nach 1945 zu einem bedeutenden Faktor für die Sicherung materieller und sozialer Teilhabe­ chancen der Bevölkerung geworden.

Begriffsdefinition

Der Begriff des Wohlfahrtsstaates stammt aus der angelsächsischen Tradi­ tion (welfare state), jener des Sozialstaates aus der deutschsprachigen. Dabei war der Begriff des Wohlfahrtsstaates im deutschen Sprachgebrauch lange Zeit negativ besetzt und – aufbauend auf einer einschlägigen Interpretation der Regierung Papen in der Endphase der deutschen Weimarer Republik – als Synonym für den „überlasteten Versorgungsstaat“ verwendet worden. Allerdings verwendet die deutschsprachige Sozialwissenschaft ab den 1970er Jahren unter dem Einfluss der internationalen wissenschaftlichen Diskussion die Begriffe „Wohlfahrtsstaat“ und „Sozialstaat“ weitgehend syno­nym. Was kann nun im Einzelnen unter „wohlfahrtsstaatlicher“ bzw. „sozial­ staatlicher“ Politik verstanden werden? Vorweg: Es existiert keine einheitliche Definition dessen, was ein „Wohlfahrtsstaat“ bzw. ein „Sozialstaat“ ist. Dennoch ist eine begriffliche Annäherung möglich. Wohlfahrtsstaat bzw. Sozialstaat meint allgemein „eine politische Organisations- und Herrschaftsform, in welcher dem Staat über die klassischen Funktionen der Gewährleistung äußerer und innerer Sicherheit sowie bürgerlicher Freiheitsrechte hinausgehend die Aufgabe zugewiesen ist, regulierend und korrigierend in wirtschaft­ liche und gesellschaftliche Abläufe einzugreifen, um anerkannten Grundsätzen einer erstrebenswerten Sozialordnung Geltung zu ver­ schaffen.“1 Der Wohlfahrtsstaat bzw. der Sozialstaat wird in diesem Sinn als Träger und Ergebnis vorsorglicher und nachträglicher kollektiver Korrektur gesellschaftlich unerwünschter Konsequenzen marktwirtschaftlicher Prozesse begriffen.

Sozialpolitik im „engeren Sinn“

Während manche Betrachtungsweisen dabei auch eher allgemein wirt­ schaftspolitische Interventionsformen (inklusive Beziehungen zwischen Unternehmertum und gewerkschaftlicher bzw. politischer Interessenvertre­ tung) zu den wohlfahrtsstaatlichen Maßnahmen zählen, konzentrieren sich die meisten auf die Institutionalisierung der Sozialpolitik im engeren Sinn. Aus einem solchen engeren Blickwinkel wird unter einem Sozialstaat bzw. einem Wohlfahrtsstaat eine spezifische Form des Staatsinterventionismus verstanden, der das Spiel der reinen Marktkräfte in mindestens dreierlei Hinsicht modifiziert:

1 Vgl.

Dieter Nohlen, Politische Begriffe, in: Dieter Nohlen/Rainer-Olaf Schultze/Suzanne S. Schüttemeyer (Hg.), Lexikon der Politik, Band 1, 1998, S. 601.

4


• Er garantiert Individuen und Familien unter bestimmten Voraussetzun­ gen ein Einkommensminimum unabhängig vom Markt (z. B. durch So­ zialhilfeleistungen), • er sichert gegen existenzielle Grundrisiken bei Unfall, Krankheit, Alter und Arbeitslosigkeit ab, • die sozial- bzw. wohlfahrtsstaatlichen Interventionen gründen sich – im Unterschied zur früheren Armenfürsorge – auf Rechtsansprüche bestimmter Gruppen bzw. der gesamten Bevölkerung.

Anmerkungen

Wir folgen im vorliegenden Skriptum dieser üblichen engeren Bestimmung sozialstaatlicher Politik. Aufwendungen und Finanzierung werden insbe­ sondere im Hinblick auf folgende Schwerpunktbereiche analysiert:

Schwerpunkte

Öffentliche Leistungen • für soziale Mindestsicherung (Sozialhilfe), • bei Krankheit und Unfall, • für Familien, • bei Arbeitslosigkeit sowie • im Alter und an Hinterbliebene. 1. Nennen Sie drei zentrale Merkmale wohlfahrtsstaatlicher Politik.

5


Öffentliche Aufwendungen für wohlfahrtsstaatliche Politik in Österreich und im internationalen Vergleich

Anmerkungen

Aufwendungen für wohlfahrtsstaatliche Politik in Österreich Die Sozialleistungsquote Sozialleistungsquote

Zur Darstellung der Entwicklung öffentlicher Aufwendungen für sozialstaatliche Leistungen bieten sich unterschiedliche Vorgehensweisen an. Einerseits können die jeweiligen absoluten Werte in der jeweils entspre­ chenden Währung abgebildet werden (für Österreich also in Mrd. Euro). Solche absoluten Werte können jedoch keine Auskunft darüber geben, wie sich die Höhe der Aufwendungen für sozialstaatliche Leistungen im Ver­ hältnis zur generellen Stärke einer Volkswirtschaft bzw. des Volkseinkom­ mens verhält. Ein besonders häufig verwendeter Indikator für diesen Zweck ist die so genannte Sozialleistungsquote. Sie stellt die Summe der öffentlichen Aufwendungen für sozialstaatliche Leistungen in Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts (BIP) dar. Sozialausgaben in Österreich 1960–2011 Sozialausgaben in Österreich 1960-2011 35

90

30

80 70

25 20

60 50

15

40 30

10

Sozialausgaben in % des BIP (linke Skala)

2011

2010

2009

2008

2007

2006

2005

2000

1995

1990

1985

1980

0 1975

0 1970

20 10 1960

5

Sozialausgaben in Mrd. EUR (rechte Skala)

Quelle: BMASK, ESSOSS-Sozialdatenbank und eigene Berechnungen Öffentliche Sozialausgaben

Zuletzt betrugen die öffentlichen Sozialausgaben nach diesen Daten insge­ samt jährlich über 87 Mrd. EUR. Eine längerfristige Betrachtung macht deutlich, dass die Expansionsphase des österreichischen Wohlfahrtsstaates insbesondere für die Zeit zwischen Anfang der 1960er Jahre und Beginn der 1980er Jahre zu verorten ist. Der Anteil der Sozialleistungen am BIP stieg in diesem Zeitraum um knapp 10 Prozentpunkte von 17,2  % (1960) auf knapp 26  % (1980). Danach flachte das Wachstum der Sozialausgaben ge­ messen am BIP merklich ab, seit Mitte der 1990er Jahre stagniert die Sozialquote bei ca. 28 bis 29  % des BIP. Der Anstieg ab 2009 muss vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise in diesen Jahren betrachtet werden. Eine singuläre Betrachtung der Sozialleistungen gemessen am BIP bietet freilich ein nur unzureichendes Bild von dem tatsächlichen Ausbaugrad 6


der jeweiligen sozialstaatlichen Systeme. Hier kann die Berücksichtigung unterschiedlicher „Belastungsfaktoren“ weiterhelfen. Es ist ja denkbar, dass die Ausgaben gemessen am BIP nicht nur wegen dem besseren Ausbau der Systeme gestiegen sind, sondern weil die sozialen Herausforderungen zugenommen haben. So führt höhere Arbeitslosigkeit oder ein höherer Anteil an Menschen im Pensionsalter quasi „automatisch“ zu vergleichs­ weise höheren Sozialausgaben, ohne dass sich an den Systemen etwas geän­ dert haben muss. Umgekehrt muss nicht jeder Rückgang der Sozialquote auf restriktive Politik, sprich Kürzungen in den Systemen sozialer Siche­ rung, zurückgehen. Auch ein Rückgang der Arbeitslosigkeit oder eine ver­ gleichsweise geringere Zahl an alten Menschen (sprich potenziellen Pensi­ onsbezieherInnen) kann hinter einer solchen Entwicklung stehen.

Anmerkungen

Um solche Einflussfaktoren möglichst zu eliminieren, wurden Verfahren entwickelt, um eine „bereinigte Sozialquote“ zu erhalten. Dabei werden die Sozialausgaben gemessen am BIP zur jeweiligen Altersstruktur der Be­ völkerung und zur Höhe der Arbeitslosigkeit in Beziehung gesetzt.

Bereinigte Sozialquote

Bereinigung der Sozialausgaben: Bei einer „Bereinigung der Sozialausgaben“ werden die Sozialausgaben gemessen am BIP mit unterschiedlichen „Belastungsfaktoren“ in Beziehung gesetzt. Zu diesen gehören die Quote der älteren Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung (je höher der Anteil, umso höher werden Leistungen für die Alterspensionen und Gesundheit ausfallen), die Quote der unter 15-Jährigen an der Gesamtbevölkerung (je höher, umso höher werden Familienleis­ tungen ausfallen) sowie die Arbeitslosenquote (je höher, umso höher werden die Ausgaben im Bereich der Arbeitslosenversicherung etc. ausfallen).2 Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der Sozialausgaben in Österreich nach einer Bereinigung um die jeweilige Arbeitslosenquote, die Quote der über 60-jährigen Bevölkerung sowie die Quote der unter 15-jährigen Bevöl­ kerung seit dem Jahr 1960. Zur besseren Vergleichbarkeit mit der nicht be­ reinigten Sozialquote wurde der Ausgangswert für das Jahr 1960 jeweils gleich hundert gesetzt. Diese Daten deuten darauf hin, dass der österrei­ chische Sozialstaat tatsächlich bis zum Ende der 1970er Jahre eine beträchtliche Expansion erfahren hat. Die 1980er Jahre sind von Stagnation bzw. wiederholten leichten Kürzungen geprägt. Diese Trendwende – weg von einer weiteren Expansion des Sozialstaates – vollzog sich vor dem Hinter­ grund einer Umgewichtung der politischen Prioritäten. Mit einer Abkehr vom „Austrokeynesianismus“ gewannen Budgetkonsolidierungsstrategien und angebotsorientierte Strukturpolitik zusehends an Bedeutung.

2

Die hier verwendete Berechnungsmethode lautet wie folgt: Bereinigte Sozialquote (Ber­ SozBIP) = Sozialquote am BIP (SozBIP) dividiert durch die Summe aus 2 × die Quote der über 60-jährigen Bevölkerung (Bev60plus) plus die Quote der unter 15-jährigen Bevölkerung (Bev0-15) plus die Arbeitslosenquote (ALQ).

7


Anmerkungen

Bereinigte und nicht bereinigte Sozialquoten 1960–2011 Bereinigte und nicht bereinigte Sozialquoten (auf Basis Prozent des BIP) 1960-2011; 1960=100

Nicht bereinigte Sozialausgaben

2011

2010

2009

2008

2007

2006

2005

2000

1995

1990

1985

1980

1975

1970

1960

190 180 170 160 150 140 130 120 110 100 90

Bereinigte Sozialausgaben

Quelle: BMASK, ESSOSS-Sozialdatenbank und eigene Berechnungen

Austrokeynesianismus Der Begriff Austrokeynesianismus wurde im Nachhinein auf die Arä von Bruno Kreisky angewandt. Keynes und dem Austrokeynesianis­ mus ging es um die Schaffung von Sicherheit für Unternehmen und ArbeitnehmerInnen auf marktwirtschaftlicher Grundlage. Kennzeichen einer solchen Politik waren: l vorhersehbare und moderate Lohnpolitik l stabile Preisentwicklung l Garantien für Investitionsförderungen (z. B. Exportsubventionen) für PrivatunternehmerInnen l stabile Zinsentwicklung

Bruno Kreisky

Im Prinzip war der Austrokeynesianismus nichts anderes als eine Mi­ schung aus den oben angeführten Elementen verbunden mit ange­ botsseitigen Maßnahmen. Die Regierung Kreisky wollte im Gegensatz zur Position von Keynes ihre antizyklische Konjunkturpolitik nicht durch Erhöhung der Ge­ winnsteuern und eine direkte Senkung der Profite, sondern ausschließ­ lich aus einer Erhöhung der Staatsschulden finanzieren. John Maynard Keynes Ende der Expansion

Zu Beginn der 1990er Jahre folgte eine neuerliche kurze expansive Phase (u. a. mit Einführung des Pflegegeldes), auf welche ab 1995 relativ ein­ schneidende reale Kürzungen folgten (zurückzuführen auf die wiederhol­ ten „Sparpakete“ ab Mitte der 1990er Jahre). Die Bereinigung der Sozialquo­ te fördert dabei insbesondere Folgendes zu Tage: De facto lagen die Sozialausgaben in Österreich im Jahr 2011 – gemessen am BIP und unterschied­ lichen „Belastungsfaktoren“ (Altersstruktur, Arbeitslosigkeit) – leicht über dem Niveau von 1980 und nicht wesentlich höher (wie die nicht bereinigte Sozialquote vermuten lassen würde).

8


Insgesamt ist evident, dass – wie in vielen anderen westlichen Ländern – auch in Österreich die Expansion des Wohlfahrtsstaates Ende der 1970er bzw. Anfang der 1980er Jahre weitestgehend ein Ende fand. Das sogenann­ te „golden age of the welfare state“ – wie die Expansionsphase auch be­ zeichnet wird – war damit bereits vor mehr als 30 Jahren vorbei.

Anmerkungen

2. Für welchen Zeitraum kann von einer expliziten Expan­ sionsphase des österreichischen Wohlfahrtsstaates gespro­ chen werden?

Sozialausgaben in Österreich nach Zweck Sozialausgaben werden gemeinhin nach folgenden Inhalten unterschieden: Ausgaben für das Gesundheitssystem, für Leistungen an AlterspensionistInnen und Hinterbliebene (Witwen, Witwer und Waisen), Leistungen für Arbeitslose, Leistungen für Invalidität und Gebrechen, Familienleis­ tungen sowie Leistungen betreffend Wohnen und soziale Ausgrenzung. Dabei entfällt in Österreich der weitaus größte Anteil der öffentlichen Auf­ wendungen für Sozialleistungen auf die Pensionsversicherung, gefolgt von Ausgaben für das Gesundheitssystem und Leistungen an Familien.

Verschiedene Inhalte

Sozialausgaben in Österreich nach Zweck 1980–2011 Sozialausgaben nach Zweck in Prozent des BIP 1980-2011 35,00 30,00 25,00 20,00 15,00 10,00 5,00 0,00

1980

1990

1995

2000

2005

2010

2011

Wohnen und S oz iale A usgrenz ung

0,32

0,39

0,38

0,30

0,39

0,43

0,42

A rbeitslosigk eit

0,54

1,19

1,62

1,34

1,62

1,68

1,5

2,97

3,06

2,82

3,25 2,62und eigene 3,15 Berechnungen 2,94 F amilie/K inder Quelle: BMASK, ESSOSS-Sozialdatenbank Hinterbliebene

2,96

2,62

2,54

2,29

2,08

1,97

1,9

A lter

8,02

9,36

10,40

10,88

11,36

12,73

12,56

Inv alidität/Gebrec hen

2,56

2,45

2,64

2,60

2,35

2,2

2,16

K rank heit/Gesundheitsv ersorgung

7,27

6,68

7,26

7,11

7,17

7,52

7,21


Anmerkungen

2011 beliefen sich die Leistungen für die Bereiche Alter und Hinterbliebene auf knapp über 43 Mrd. Euro. Die Aufwendungen für das Gesundheits­ system lagen bei 20,6 Mrd. Euro, jene für Familienleistungen bei knapp 8,5 Mrd. Euro. Es folgen Invalidität und Gebrechen mit 6,5 Mrd. Euro und Ausgaben im Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit (ca. 4,5 Mrd. Euro). Die Ausgaben für Wohnen und gegen soziale Ausgrenzung lagen 2011 bei 1,2 Mrd. Euro. Obwohl evident ist, dass die Ausgaben für Arbeitslosigkeit einen relativ kleinen Anteil der Sozialausgaben insgesamt ausmachen, stehen sie wieder­ holt im Brennpunkt der politischen und gesellschaftlichen Kritik: Die Debat­ te um „Sozialmissbrauch“ fokussiert damit auf einen Bereich des Wohl­ fahrtsstaates, der vergleichsweise geringe Kosten verursacht. Zuletzt entfie­ len über 49  % aller öffentlichen Sozialausgaben in Österreich auf die Alters­ sicherung (inkl. Hinterbliebenenversorgung), ca. 25  % auf den Gesundheits­ bereich und „bloß“ ca. 5  % auf das soziale Risiko Arbeitslosigkeit. Wie haben sich die Aufwendungen in den einzelnen Politikfeldern nun im Vergleich zur jeweiligen Problemstruktur entwickelt? Ähnlich wie bereits oben für die Gesamtsozialleistungsquote dargestellt, werden in Folge die Sozialquoten für ausgewählte inhaltliche Bereiche ebenfalls einer Bereinigung unterzogen. Aufwendungen für die Alterssicherung werden dabei um den Anteil der über 60-Jährigen an der Bevölkerung bereinigt3, die gleiche Methode wird (vor dem Hintergrund wachsender gesundheitlicher Risiken im Alter) für Gesundheitsausgaben angewendet. Die Ausgaben für Arbeits­ losigkeit werden um die Arbeitslosenquote bereinigt, jene für Familien um den Anteil der unter 15-Jährigen an der Gesamtbevölkerung. Schließlich wird jeweils der Ausgangswert im Jahr 1980 gleich hundert gesetzt. Bereinigte Sozialausgaben in Österreich nach Zweck 1980–2011 Bereinigte Sozialausgaben nach Zw eck 1980-2011; 1980=100 140 130 120 110 100 90 80 70 60 1980

1990

1995

2000

2005

Krankheit/Gesundheitsversorgung

2006 Alter

2007

2008

Familie/Kinder

2009

2010

2011

Arbeitslosigkeit

Quelle: Statistik Austria und eigene Berechnungen Ausgabeneinsparungen

Für das Beispiel Arbeitslosigkeit bedeutet das nichts anderes, als dass der Staat heute für den/die Einzelne/n deutlich weniger ausgibt als etwa 1980. Eine ähnliche Tendenz der relativen Ausgabeneinsparung ist auch im Ge­ sundheitsbereich festzustellen. Betreffend Familienleistungen zeigt sich – im Verhältnis zum Anteil der Bevölkerung im Alter unter 15 Jahren – hinge­ gen bis Mitte der 1990er Jahre und auch insgesamt im langfristigen Trend ein überproportionaler Anstieg (obwohl der Gesamtanteil der Ausgaben für Familienleistungen gemessen an allen Sozialleistungen seit 1980 sogar deut­ lich zurückgegangen ist). Ähnliches gilt – bis Mitte der 1990er Jahre – auch für die Alterssicherung. Allerdings bedeutet dies nicht, dass das Alterssicherungssystem tatsächlich im abgebildeten Ausmaß generöser wurde. Vielmehr stieg der Anteil der 3

10

Die jeweiligen Aufwendungen in Prozent des BIP werden durch die Quote der über 60-Jäh­ rigen an der Bevölkerung dividiert etc.


Personen im Alter über 60, die (entsprechend ausreichender Versicherungs­ zeiten) Anspruch auf eine staatliche Pension hatten. Umso mehr muss da­ von ausgegangen werden, dass die Stagnation bzw. der Rückgang der be­ reinigten Aufwendungen für die Alterssicherung ab Mitte der 1990er Jahre auf tatsächliche Leistungskürzungen zurückgeht.

Anmerkungen

3. Auf welchen Posten entfällt der relativ höchste Anteil der Sozialausgaben in Österreich?

International vergleichende Perspektive Die Sozialleistungsquote aus international vergleichender Perspektive International vergleichende Daten zu Sozialausgaben liegen aus unterschiedlichen Quellen vor. Für die Jahre ab 1990 liefert das Europäische Statistische Zentralamt (Eurostat) einheitlich definierte und relativ detail­ lierte Daten zu den Sozialausgaben der Mitgliedsländer der Europäischen Union. Für eine längerfristige Beobachtungsperspektive und für Länder, die nicht zu den „alten“ Mitgliedsländern der EU zählen, muss hingegen auf Daten der OECD bzw. der ILO zurückgegriffen werden. Dabei ist zu beachten, dass unterschiedliche Quellen mit unterschiedlichen Definiti­ onen arbeiten, sodass eine direkte Vergleichbarkeit häufig nicht gegeben ist. Zudem weisen viele Zeitreihen Brüche in Form von abgeänderten Defi­ nitionen des Inhalts „öffentlicher Sozialausgaben“ auf. Relativ weit zurückreichende Zeitreihen stellt die OECD zur Verfügung. Die folgende Grafik beinhaltet für ausgewählte Länder Daten der OECD zu öffentlichen Sozialschutzausgaben in Prozent des BIP seit 1960. Dabei wird deutlich, dass die expansive Phase sozialstaatlicher Politik in den meisten hier erfassten Ländern spätestens Mitte der 1990er Jahre zu einem Ende kam. Der Fall Österreichs stellt diesbezüglich also keineswegs eine Ausnahme dar. Der Anstieg der öffentlichen Sozialschutzausgaben in den letzten Jahren muss wie bereits erwähnt vor dem Hintergrund der „Krise“ betrachtet werden. 11


Anmerkungen

Öffentliche Sozialschutzausgaben in ausgewählten Ländern 1960–2011 Öffentliche Sozialschutzausgaben (gem. OECD) 1960-2011 in Prozent des BIP 35 30 25 20 15 10 5 0

USA

Kanada

UK

Österreich

Deutschland

Schw eden

1960

7,3

9,1

10,2

15,9

18,1

10,8

Dänemark

1970

10,4

11,8

13,2

18,9

19,5

16,8

19,1

1980

13,2

13,7

16,5

22,4

22,1

27,1

24,8

1990

13,6

17,0

16,7

23,7

21,7

30,2

25,1

1995

15,5

18,9

19,9

23,8

26,6

32,0

28,9

2000

14,5

16,5

18,6

26,6

26,6

28,4

26,4

2011

19,7

18,3

23,9

27,9

27,1

27,6

30,0

Quelle: OECD Große Bandbreite in Europa

Im Vergleich der heutigen EU-Mitgliedsländer zeigt sich nach der letzten Erweiterung eine beträchtliche Bandbreite sozialstaatlicher Ausgaben. Am unteren Ende finden sich die baltischen Staaten sowie Rumänien, Bulgari­ en, die Slowakei sowie Polen mit Sozialleistungsquoten bis zu 19  % BIP und weniger. Die höchsten Sozialausgaben existieren gemessen am BIP in Nord­europa (Dänemark, Finnland und Schweden) sowie im westlichen Kontinentaleuropa mit den breit ausgebauten Sozialstaaten in Frankreich, Niederlande, Deutschland, Österreich und Belgien. Sozialschutzausgaben in der EU 2010 Sozialschutzausgaben in der EU (Eurostat-Daten), 2010, in Prozent des BIP 40,0 35,0 30,0 25,0 20,0 15,0 10,0

Dänemark

Frankreich

Niederlande

Finnland

Deutschland

Österreich

Schweden

Italien

Belgien

EU-27

Griechenland

UK

Irland

Spanien

Portugal

Ungarn

Slowenien

Zypern

Luxemburg

Malta

Tschechische Republik

Polen

Litauen

Estland

Slowakei

Lettland

Bulgarien

0,0

Rumänien

5,0

Quelle: Eurostat

Eine Bereinigung um unterschiedliche Belastungsfaktoren (vgl. oben)4 ver­ ändert diese Rangfolge nur unwesentlich. Die vergleichsweise höchsten Sozialausgaben finden sich nach einer solchen Darstellung aktuell in den

Die Niederlande auf Platz 1

4

12

Methode der Bereinigung: BerSozBIP = SozBIP / (2*Bev65plus + Bevunter 15 + ALQ); wobei: BerSozBIP = Bereinigte Sozialquote; SozBIP = Sozialquote in  % des BIP; Bev65plus = Anteil der Bevölkerung im Alter über 65; Bevunter15 = Anteil der Bevölkerung im Alter unter 15; ALQ = Arbeitslosenquote.


Niederlanden gefolgt von Dänemark und Österreich. Am untersten Ende finden sich nach wie vor die baltischen Staaten, Rumänien und Bulgarien sowie auch die Slowakei.

Anmerkungen

Bereinigte Sozialschutzausgaben 2010 Bereinigte Sozialschutzausgaben (Eurostat-Daten; auf Basis Prozent des BIP), 2010, EU-27=100 130 120 110 100 90 80 70 60

Dänemark

Niederlande

Österreich

Frankreich

Irland

Finnland

Belgien

Schweden

EU-27

Deutschland

Italien

Vereinigtes Königreich

Slowenien

Luxemburg

Zypern

Griechenland

Ungarn

Portugal

Malta

Tschechische Republik

Polen

Spanien

Slowakei

Rumänien

Litauen

Bulgarien

Estland

40

Lettland

50

Quelle: Eurostat und eigene Berechnungen

• Alterssicherung und Hinterbliebenenpensionen Nach Angaben von Eurostat lagen die Aufwendungen für öffentliche Sozial­ leistungen in der Alterssicherung in Österreich im Jahr 2010 bei einer Summe von 12,7  % des BIP. Der EU-27-Durchschnitt liegt bei 11  %, wobei sich dieser Abstand in den letzten Jahren verringert hat. Höhere Aufwendungen für die Alterssicherung – gemessen am BIP – weist nur Italien mit 14,7  % auf. Vergleichsweise kostenintensive Systeme finden sich auch in Frankreich (12,5  %) und Dänemark (12,2  %) sowie in Schweden (12,1 %).

EU-Schnitt: Österreich vorne

Dies verschiebt sich leicht, wenn auch die Hinterbliebenenrenten mitberück­ sichtigt werden. Die höchsten Aufwendungen für die Summe der Ausgaben für Alters- und Hinterbliebenenpensionen im EU-weiten Vergleich weist nach wie vor Italien mit 17,3  % des BIP auf, gefolgt von Österreich mit 14,6  %. Danach folgen Frankreich (14,4  %), Griechenland (14,1  %) und Portugal (13,2 %), wobei das Vorrücken der beiden Letztgenannten vor dem Hinter­ grund der Krise in diesen Ländern betrachtet werden muss.

Bildquelle: bilderbank.at/E. J. Wodicka

13


Anmerkungen

Sozialausgaben in  % des BIP für die Zwecke „Alter“ und „Hinterbliebene“ (2010)

Alter

Hinterbliebene

Alter & ­Hinterbliebene

Italien

14,7

2,6

17,3

Österreich

12,7

2,0

14,6

Frankreich

12,5

1,9

14,4

Griechenland

11,9

2,2

14,1

Portugal

11,3

1,9

13,2

EU-27

11,0

1,7

12,7

Schweden

12,1

0,5

12,6

Dänemark

12,2

0,0

12,2

Deutschland

9,7

2,1

11,8

Niederlande

10,6

1,2

11,8

Finnland

10,7

1,0

11,7

UK

11,4

0,1

11,5

Polen

9,3

2,0

11,3

Belgien

9,1

2,1

11,3

Slowenien

9,6

1,7

11,2

Malta

8,9

1,8

10,7

Spanien

8,4

2,2

10,7

Ungarn

9,2

1,3

10,5

Zypern

8,5

1,2

9,7

Lettland

9,1

0,3

9,4

Tschechische Republik

8,5

0,7

9,2

Bulgarien

8,2

0,9

9,0

Rumänien

8,0

0,8

8,8

Luxemburg

6,1

1,9

8,1

Litauen

7,5

0,6

8,1

Estland

7,8

0,1

7,9

Slowakei

6,8

1,0

7,8

Irland

5,5

1,1

6,6

Quelle: Eurostat

Ist nun das österreichische Pensionssystem insgesamt generöser als jene in praktisch allen anderen EU-Ländern oder liegt die Ursache eventuell in ei­ ner „ungünstigeren“ Altersstruktur, sprich in einem besonders hohen An­ teil von Menschen im Pensionsalter? Um diese Frage zu beantworten, müs­ sen die Ausgaben um die jeweilige demographische Struktur bereinigt werden. Wir haben zu diesem Zweck Ausgaben für Alters- und Hinterblie­ benenpension im Verhältnis zum Bevölkerungsanteil im Alter über 65 Jah­ ren betrachtet.

14


Anmerkungen

Bereinigte Sozialausgaben für Alter und Hinterbliebene 2010 Bereinigte Sozialausgaben (auf Basis Prozent des BIP; Eurostat-Daten) für Alter & Hinterbliebene, 2010, EU-27=100 130,0 120,0 110,0 100,0 90,0 80,0

Frankreich

Polen

Italien

Zypern

Österreich

Dänemark

Niederlande

Portugal

Griechenland

Malta

EU-27

Vereinigtes Königreich

Finnland

Schweden

Belgien

Slowenien

Ungarn

Spanien

Slowakei

Tschechische Republik

Irland

Rumänien

Luxemburg

Lettland

Deutschland

Litauen

Bulgarien

60,0

Estland

70,0

Quelle: Eurostat

Hier zeigt sich, dass im EU-Vergleich die öffentlichen Sozialausgaben für Alters- und Hinterbliebenenpensionen in Prozent des BIP im Verhält­ nis zum Anteil der Bevölkerung im Alter von über 65 Jahren tatsächlich in Frankreich am höchsten sind. Österreich folgt erst nach Italien und Polen an vierter Stelle. Danach folgen Zypern und die Niederlande. Am unteren Ende der Skala liegen die baltischen Staaten und Bulgarien. • Familienleistungen Nicht nur im Bereich der Alterssicherung und bei den Hinterbliebenen­ pensionen gehört Österreich zu den Ländern mit – gemessen am BIP – ­vergleichsweise hohen Aufwendungen. Dasselbe trifft für den Bereich der Familienleistungen zu. Eurostat weist hier für das Jahr 2010 für Öster­ reich einen Wert von 3  % des BIP aus. Höhere Werte erreichen Dänemark, Luxemburg und Irland sowie Finnland, Deutschland und Schweden, hin­ ter welche Österreich in den letzten Jahren zurückgefallen ist. Betrachtet man Familienausgaben getrennt nach Geld- und Sachleistungen, so liegt Österreich im EU-27-Durchschnitt neben Ungarn an dritter Stelle hinter Luxemburg und ­Irland, während Aufwendungen für Sachleistungen (also Kinderbetreuungseinrichtungen etc.) sogar unter dem EU-27-Durch­ schnitt liegen.

15


Anmerkungen

Familienleistungen in  % des BIP (2010) Geldleistungen

Sachleistungen

Geld- und Sachleistungen

Dänemark

1,6

2,5

4,1

Luxemburg

3,3

0,6

4,0

Irland

3,2

0,4

3,6

Finnland

1,7

1,6

3,3

Deutschland

2,2

1,0

3,2

Schweden

1,5

1,6

3,1

Österreich

2,3

0,7

3,0

Ungarn

2,3

0,6

2,9

Frankreich

1,8

0,9

2,7

Estland

2,2

0,1

2,3

EU-27

1,5

0,8

2,3

Litauen

1,8

0,4

2,2

Slowenien

1,6

0,5

2,2

Zypern

1,8

0,3

2,1

Belgien

1,7

0,4

2,1

Bulgarien

1,3

0,7

2,0

UK

1,2

0,7

1,9

Griechenland

1,2

0,6

1,8

Slowakei

1,6

0,1

1,7

Rumänien

1,2

0,5

1,7

Spanien

0,6

0,9

1,5

Portugal

1,0

0,5

1,5

Lettland

1,2

0,2

1,4

Tschechische Republik

1,2

0,1

1,3

Italien

0,7

0,6

1,3

Niederlande

0,7

0,5

1,2

Malta

1,1

0,1

1,2

Polen

0,8

:

0,8

Quelle: Eurostat Dänemark führend

Familienleistungen gehen in erster Linie an Familien mit Kindern. Je ­höher der Anteil von Kindern an der Gesamtbevölkerung, umso höher – so lässt sich erwarten – die aufgewendeten Familienleistungen. Um ein kla­ reres Bild zu gewinnen, ist also auch hier eine Bereinigung angebracht: diesmal um den Anteil der 0- bis 14-Jährigen an der Gesamtbevölkerung. Eine solche Berechnung fördert folgendes Ergebnis zu Tage: Im Verhältnis zum Anteil der Bevölkerung im Alter unter 15 Jahren sind die Ausgaben für Familienleistungen gemessen am BIP mit Abstand in Deutschland und Luxemburg am höchsten, gefolgt von Dänemark und Österreich (142  % des EU-15-Durchschnitts). Am unteren Ende positioniert sind Polen, ­Niederlande, Malta und Italien.

16


Anmerkungen

Bereinigte Sozialausgaben für Familienleistungen 2010 Bereinigte Sozialausgaben (auf Basis Prozent des BIP; Eurostat-Daten) für Familien / Kinder, 2010, EU-27=100 180 160 140 120 100 80 60 40

Deutschland

Dänemark

Luxemburg

Österreich

Ungarn

Finnland

Irland

Schweden

Estland

Slowenien

Bulgarien

EU-27

Litauen

Belgien

Frankreich

Zypern

Griechenland

Slowakei

Lettland

Rumänien

Spanien

Vereinigtes Königreich

Portugal

Tschechische Republik

Malta

Italien

Polen

0

Niederlande

20

Quelle: Eurostat und eigene Berechnungen Struktur unklar

Über die tatsächliche Struktur der jeweiligen Familienpolitik geben diese aggregierten Daten nur sehr unzureichend Auskunft, weil sie jeweils Geld­ leistungen (wie Kinderbeihilfen) sowie auch Ausgaben für Sachleistungen (wie Kinderbetreuungseinrichtungen) enthalten. Eine Unterscheidung der Ausgaben nach Geld- und Sachleistungen führt zu stark modifizierten Er­ gebnissen.

Bereinigte Sozialausgaben für Familienleistungen nach Geld- bzw. Sachleistungen 2010 Bereinigte Sozialausgaben (auf Basis Prozent des BIP; Eurostat-Daten) für Familienleistungen nach Geld- und Sachleistungen; 2010; EU-27 = jeweils 100 300 250 200 150 100

0

Polen Estland Slowakei Malta Tschechische Republik Zypern Lettland Irland Litauen Belgien Niederlande Rumänien Portugal Luxemburg UK Slowenien Griechenland Ungarn Italien Frankreich Bulgarien Österreich EU-27 Spanien Deutschland Schweden Finnland Dänemark

50

Geldleistungen

Sachleistungen

Quelle: Eurostat und eigene Berechnungen

Vergleichsweise hohe Ausgaben für familienpolitische Geldleistungen fin­ den sich in Luxemburg, Ungarn, Deutschland und Österreich. Bei den Aus­ gaben für Sachleistungen kommt Österreich jedoch unter dem EU-27Schnitt zu liegen (bei ca. 96  % des Schnittes). An der Spitze liegen hier ­Dänemark, Finnland und Schweden. 17


• Arbeitslosigkeit Die Ausgaben für das Problemfeld Arbeitslosigkeit lagen in Österreich im Jahr 2010 (nach Angaben von Eurostat) bei ca. 1,7  % des BIP, das ent­ spricht dem Durchschnitt der EU-27. Spitzenreiter waren Belgien (3,8  %), Spanien und Irland (jeweils 3,5  %).

Extreme Streuung

Es erscheint logisch, dass das Ausgabenniveau für einschlägige Leistungen – neben der Systemausgestaltung – wesentlich vom jeweiligen Grad der Arbeitslosigkeit abhängt. Demgemäß haben wir auch hier eine Bereinigung durchgeführt und betrachten in Folge die Sozialausgaben im Bereich Arbeitslosigkeit im Verhältnis zum Arbeitslosigkeitsniveau. Eine solche Betrachtungsweise ergibt eine extreme Streuung. Die weitaus höchsten einschlägigen Aufwendungen finden sich im Vergleich zum BIP und dem Niveau der Arbeitslosigkeit in den Niederlanden, danach folgen mit ei­ nigem Abstand im oberen Mittelfeld Österreich und Dänemark. Bereinigte Sozialausgaben für Arbeitslosigkeit 2010 Bereinigte Sozialausgaben (auf Basis Prozent des BIP; Eurostat-Daten) für Arbeitslosigkeit; 2010; EU-27=100 400 350

332

300 250

241

200

203

Österreich

Niederlande

Belgien

160

Dänemark

150

Deutschland

Polen

Tschechische Republik

84

141

Irland

Rumänien

83

136

Finnland

Malta

Griechenland

77

124

Luxemburg

Estland

61

111

Italien

49

103

Schweden

42

100

EU-27

38

99

Spanien

37

Portugal

33

Zypern

32

Ungarn

29

47

22

Lettland

Slowakei

0

20

Litauen

50

Bulgarien

100

Slowenien

150

Frankreich

185

Quelle: Eurostat und eigene Berechnungen Anmerkung: Für das Vereinigte Königreich sind für das Jahr 2010 keine Daten vorhanden.

Auch hier verbergen sich hinter der jeweiligen Gesamtausgabensumme unterschiedliche inhaltliche Komponenten: einerseits Ausgaben für so genannte passive Arbeitsmarktpolitik (Arbeitslosengeldzahlungen etc.), ­ ­andererseits Aufwendungen für aktive Arbeitsmarktpolitik (Weiterbildung, Vermittlungsdienste etc.).

18


Anmerkungen

Bereinigte Sozialausgaben für Arbeitslosigkeit nach Ausgaben für passive bzw. aktive Arbeitsmarktpolitik 2010 Bereinigte Sozialausgaben (auf Basis Prozent des BIP; Eurostat-Daten) für passive bzw. aktive Arbeitsmarktpolitik, 2010, EU-27 = jeweils 100 350 300 250 200 150 100

0

UK Rumänien Malta Estland Bulgarien Litauen Slowakei Griechenland Lettland Tschechische Republik Spanien Italien Zypern Ungarn Portugal Irland Slowenien Polen EU-27 Deutschland Frankreich Luxemburg Schweden Finnland Österreich Belgien Niederlande Dänemark

50

passive Arbeitsmarktpolitik

aktive Arbeitsmarktpolitik

Quelle: Eurostat und eigene Berechnungen

(Für das Vereinigte Königreich sind keine Daten für „aktive Arbeitsmarkt­ politik“ vorhanden.) Gemessen an der herrschenden Arbeitslosigkeit geben die Niederlande und Österreich in beiden Feldern mehr als doppelt so viel Mittel aus als der EU-27-Schnitt. Überdurchschnittlich hoch sind auch die Ausgaben für ak­ tive Arbeitsmarktpolitik in Belgien und Dänemark.

4. In welchem EU-27-Land sind die bereinigten Sozialaus­ gaben für Alter und Hinterbliebene am höchsten?

19


Die Finanzierung wohlfahrtsstaatlicher Politik in Österreich und im internationalen Vergleich

Anmerkungen

Finanzierung der Sozialeinkommen im Wirtschaftskreislauf Steuern und Beiträge

Der Sozialstaat kann die benötigten Finanzmittel nicht aus sich selbst heraus produzieren, sondern muss diese von den im Wirtschaftsprozess erzielten Einkommen abzweigen. Diese „Abzweigungen“ werden durch Steuern und Beiträge eingehoben. Sowohl direkte Leistungen (z. B. Kindergeld, ­Sozialhilfe) als auch indirekte Leistungen (Steuererleichterungen) vermin­ dern das zur Verfügung stehende Budget und erfordern Steuereinnahmen in einer bestimmten Höhe. Direkt belastet werden unselbstständige und selbstständige Einkommen, dazu treten indirekte Steuern wie die Mehrwertsteuer. Diese belasten die Einkommen und vermindern dadurch die Kaufkraft. Das bedeutet aber auch, dass beispielsweise SozialhilfeempfängerInnen ihre Einkommen zu­ mindest zum Teil selbst mitfinanzieren. Diejenigen Personen, die keine ausreichenden Einkommen beziehen, erhal­ ten durch Umverteilung mittels Sozialleistungen Anteile von den Einkom­ men der anderen MitbürgerInnen. Einkommensumverteilung wird damit zum wesentlichen Kennzeichen von staatlicher Sozialpolitik. „Das Gesamtvolumen der in einer Volkswirtschaft erstellten Güter und Dienstleistungen, das in der Höhe des Sozialprodukts zum Ausdruck kommt, ist die einzige Quelle, die zur Einkommensverwendung und Einkommensumverteilung genutzt werden kann. ... Wachsende Ausgaben für Renten beispielsweise können bei gegebenem Sozialprodukt (Volkseinkommen) und bei Konstanz der anderen Staats­ ausgaben nur durch höhere Abzüge vom Primäreinkommen bzw. indi­ rekt über höhere Verbrauchssteuern durch steigende Preise finanziert werden. Immer muss die erwerbstätige mittlere Generation zugunsten der älteren Generation ihren Konsum einschränken.“ (Bäcker/Bispinck/Hofemann/Naegele 2000, S. 64)

20


Finanzierung des Sozialstaates im Wirtschaftskreislauf

Anmerkungen

Volkswirtschaftliche Wertschöpfung

Gewinn- und Vermögenseinkommen

Arbeitseinkommen

Privater Verbrauch

Steuern

Privater Verbrauch

SV-Beiträge

Öffentliche Hand

Sozialversicherungen

Sozialleistungen

Die Finanzierung wohlfahrtsstaatlicher Politik in Österreich Versicherungsbeiträge und Steuern

Die Finanzierung der Sozialausgaben erfolgt in Österreich zum weit überwiegenden Teil aus Versicherungsbeiträgen. Nur 34,7  % der Sozialaus­ gaben werden über allgemeine Steuern finanziert (in der unten stehenden Tabelle als „staatliche Zuweisungen“ bezeichnet). Knapp über 37  % der Aufwendungen werden durch ArbeitgeberInnenbeiträge finanziert, 26,4  % durch Sozialbeiträge der geschützten Personen. Da­ von entfällt der Hauptanteil auf Sozialleistungen durch ArbeitnehmerInnen­ beiträge (über 21  %), kleinere Teile fußen in dieser Kategorie auf Selbststän­ digenbeiträgen (2,7  %) und PensionistInnenbeiträgen (ca. 2,4  %). Andere Einnahmen, wie etwa private Aufwandersätze, spielen in Österreich eine untergeordnete Rolle. Längerfristig hat der Finanzierungsanteil geschützter Personen durch Sozialversicherungsbeiträge zugenommen, der Anteil der ArbeitgeberInnen blieb in etwa konstant. Der Finanzierungsanteil staatli­ cher Zuweisungen (34,7  %) ging ab Mitte der 80er Jahre merklich zurück und ist in den letzten Jahren vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise wie­ der angestiegen.

21


Anmerkungen

Finanzierung der Sozialausgaben 1980–2010 1980

1990

2000

2005

2010

Absolutzahlen in Mio. EUR Sozialbeiträge der ArbeitgeberInnen Sozialbeiträge der geschützten Personen Staatliche Zuweisungen Sonstige Einnahmen Insgesamt

7.666

13.956

23.005

26.234

31.292

4.594

8.811

15.927

19.004

22.273

7.016 320 19.595

12.290 418 35.476

18.970 768 58.670

22.994 1.065 69.297

29.344 1.536 84.445

in Prozent Sozialbeiträge der ArbeitgeberInnen Sozialbeiträge der geschützten Personen Staatliche Zuweisungen Sonstige Einnahmen Insgesamt

39,1 %

39,3 %

39,2 %

37,9 %

37,1 %

23,4 %

24,8 %

27,1 %

27,4 %

26,4 %

35,8 % 1,6 % 100,0 %

34,6 % 1,2 % 100,0 %

32,3 % 1,3 % 100,0 %

33,2 % 1,5 % 100,0 %

34,7 % 1,8 % 100,0 %

Quelle: BMASK, ESSOSS-Sozialdatenbank und eigene Berechnungen Beitragssätze angehoben

Die Beitragssätze zur Sozialversicherung sind nach Berufsgruppen (Arbei­ terInnen, Angestellte, Beamte/Beamtinnen, Selbstständige unterschied­ lichen Typs, Bauern/Bäuerinnen etc.) verschieden und wurden in den letz­ ten Dekaden wiederholt angehoben. Die folgende Tabelle enthält Sozial­ versicherungsbeiträge der ArbeiterInnen und Angestellten in den Jahren 1980 und 2012 (ohne die Beiträge zur Wohnbauförderung, Wohnungsbeihil­ fe, Zuschlag gem. Insolvenzausgleichsgesetz sowie der Arbeiterkammer­ umlage). Freie DienstnehmerInnen, deren Entgelt die Geringfügigkeitsgrenze über­ steigt, sind kranken-, unfall- und pensionsversichert. Seit 2008 sind freie DienstnehmerInnen auch in der Arbeitslosenversicherung gleichgestellt. Da­ mit wurde eine langjährige Forderung von AK und ÖGB erfüllt. Sozialversicherungsbeitragssätze für ArbeiterInnen und Angestellte 1980 und 2012 1980 2012 Dienst- DienstDienst- DienstArbeiterInnen geber nehmer Gesamt geber nehmer Gesamt Krankenversicherung 3,15 3,15 6,3 3,7 3,95 7,65 Unfallversicherung 1,5 1,5 1,4 1,4 Pensionsversicherung 10,75 9,75 20,5 12,55 10,25 22,8 Arbeitslosenversicherung 1,05 10,5 11,55 3 3 6 Angestellte Krankenversicherung 2,5 2,5 5 3,83 3,82 7,65 Unfallversicherung 1,5 1,5 1,4 1,4 Pensionsversicherung 10,75 9,75 20,5 12,55 10,25 22,8 Arbeitslosenversicherung 1,05 1,05 2,1 3 3 6 freie DienstnehmerInnen Krankenversicherung 3,78 3,87 7,65 Unfallversicherung 1,4 1,4 Pensionsversicherung 12,55 10,25 22,8 Arbeitslosenversicherung 3 3 6

Quelle: Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger

22


Stark angehoben wurden seit 1980 insbesondere die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung (von 2,1  % auf 6  %). Anstiege sind zugleich auch in der Pensionsversicherung und in der Krankenversicherung zu verzeichnen.

Anmerkungen

Die Beitragssätze für andere Berufsgruppen sind häufig wesentlich niedriger als jene für ArbeiterInnen und Angestellte der Privatwirtschaft. Dies galt und gilt weiterhin insbesondere in der Pensionsversicherung. Die im Jahr 2004 beschlossene so genannte „Pensionsharmonisierung“ brachte hier keine grundlegenden Änderungen, obwohl konsequenterweise nicht nur die Leistungsseite harmonisiert hätte werden müssen, sondern auch die Finanzierungsseite. Auch nach der so genannten Harmonisierung liegen die Beitragssätze der Gewerbetreibenden und Bauern/Bäuerinnen wesent­ lich unter jenen der ArbeiterInnen und Angestellten. Jener für Gewerbe­ treibende liegt jetzt bei 17,5 Prozent, jener der Bauern/Bäuerinnen beläuft sich nach der Harmonisierung auf 15,5  % (zuvor 14,5  %). Diese Beiträge werden seit der Pensionsharmonisierung durch eine so genannte „Partner­ leistung“ seitens des Bundes bis zum Gesamtpensionsversicherungsbeitrag der Unselbstständigen (22,8  %) aufgestockt. Der Bund berappt hier also ­einen „fiktiven Arbeitgeberbeitrag“.

Pensionsversicherungen

Sozialversicherungsbeiträge werden – mit wenigen Ausnahmen (insbe­ sondere der Pensionsbeiträge bei Beamten/Beamtinnen) – nicht für das ­gesamte Einkommen eingehoben, sondern nur für Einkommen bis zum Erreichen der so genannten Höchstbeitragsgrundlage. Diese liegt für ­ArbeiterInnen und Angestellte derzeit (2013) bei 4.440 EUR pro Monat, für Selbstständige und betriebsführende Bauern/Bäuerinnen bei 5.180 EUR pro Monat (hier kommen aber bei mittätigen Familienmitgliedern diverse Vergünstigungen zur Anwendung).

Höchstbeitragsgrundlage

Bundesbeitrag (Ausfallshaftung) in unterschiedlichen Zweigen der ­Pensionsversicherung Bundesbeitrag in Relation zum BIP in Prozent

Bundesbeitrag in Relation zum Pensionsaufwand in Prozent

Bundesbeitrag PV der Unselbst­ständigen

Bundesbeitrag SVA der gew. Wirtschaft

Bundesbeitrag SVA der Bauern

1970

2

30,6

26*

60*

85*

1985

2,6

27,8

19,4

72,3

81,6

2000

2

21,1

13,1

59,8

81

2005

1,8

18,7

13,3

35,4

76,8

2006

1,7

18,2

13,2

31,4

78

2007

1,6

17,2

12,4

32,3

79,7

2008

1,7

18,4

13

33,1

81,8

2009

2,2

21,3

16,3

33,5

83,6

2010

2,3

22,3

16,7

41,8

83,9

2011

2,2

21,8

16,4

39,4

83,1

* gerundete Werte Ab 2005: Werte wegen abweichender Berechnungsmethoden nicht direkt mit den vorherigen Jahren vergleichbar (Beitragserhöhung des Bundes bei Selbst­ ständigen und Bauern/Bäuerinnen bis zum Beitragssatz der Unselbstständigen wird nach der Pensionsharmonisierung nunmehr – weitgehend intransparent – zum Beitragsaufkommen gezählt). Quelle: Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger Bundesbeitrag

Der weit überwiegende Anteil steuerlicher Finanzierungselemente entfällt in den Zweigen der österreichischen Sozialversicherung auf die Pensions­ versicherung (daneben leistet die öffentliche Hand auch einen Beitrag zur 23


Anmerkungen

Kranken- sowie Unfallversicherung der Bauern/Bäuerinnen). Dabei fällt auf, dass der steuerfinanzierte Anteil in unterschiedlichen Zweigen der ­Pensionsversicherung höchst unterschiedlich ausfällt: Der so genannte ­Bundesbeitrag (die so genannte „Ausfallshaftung“) macht in den Pensions­ versicherungsanstalten der Selbstständigen und Bauern/Bäuerinnen ei­nen wesentlich höheren Anteil aus als in jenen der unselbstständig ­Beschäftigten.

Abnahme des Bundesbeitrages

Verglichen mit Mitte der 1980er Jahre hat der Bundesbeitrag bis zum Jahr 2008 sowohl im Verhältnis zum BIP wie auch als Anteil am gesamten ­Pensionsaufwand merklich abgenommen, ist in den letzten Jahren jedoch wieder angestiegen. Der Rückgang ging fast ausschließlich auf eine Reduktion des Bundesbeitrages im Bereich der ASVG-Versicherten zurück. Nur noch 16,4  % der Pensionen dieser Gruppe wurden 2011 durch allgemeine Steuern finanziert (nach über 26  % im Jahr 1970). Diese Reduktion des ­Bundesbeitrages ist vor dem Hintergrund gestiegener Beitragssätze sowie im Zusammenhang mit Leistungskürzungen ab Mitte der 1990er Jahre zu verstehen. Anders die Situation bei den Selbstständigen und Bauern/Bäuerinnen: Im Jahr 2011 wurden über 39  % (Selbstständige) bzw. knapp über 83  % (Bau­ ern/Bäuerinnen) der Pensionen aus dem allgemeinen Budget – und nicht durch Versicherungsbeiträge – aufgebracht. Dies muss zusätzlich vor dem Hintergrund gesehen werden, dass es sich ab dem Jahre 2005 um eine „gün­ stigere“ Berechnungsmethode handelt. Im Jahr 2003 war insgesamt ein merklicher Anstieg des Bundesbeitrages, insbesondere jedoch im ASVG, zu verzeichnen. Dies ist daraus erklärlich, dass der Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) im Jahr 2003 seine Zah­ lungen von 50  % der Kosten, die der Pensionsversicherung aus der Anrech­ nung von Kindererziehungszeiten entstehen, einstellte. Der FLAF war durch das neu eingeführte Kinderbetreuungsgeld bereits anderweitig an die ­Grenzen der finanziellen Belastbarkeit gestoßen. Als Reaktion auf den gestiegenen Bundesbeitrag wurde die so genannte „Pensionssicherungsreform 2003“ beschlossen, welche zum Teil – weitest­ gehend beschränkt auf den Bereich der Pensionen der ArbeitnehmerInnen – erhebliche Leistungskürzungen brachte.

5. In welchen inhaltlichen Bereichen spielt eine Steuerfinanzie­ rung von Sozialleistungen in Österreich die relativ größte Rolle?

24


Die Finanzierung wohlfahrtsstaatlicher Politik im internationalen Vergleich

Anmerkungen

Nicht nur die Höhe der Sozialausgaben und ihre Zusammensetzung nach Zwecken sind im internationalen Vergleich höchst unterschiedlich, auch in der Art der Finanzierung gibt es beträchtliche Differenzierungen. Daten hierzu liegen wiederum von Eurostat vor. Steuerfinanzierung

Zwei von Eurostat ausgewiesene Finanzierungsbestandteile sind steuer­ finanzierte Mittel aus dem allgemeinen Budget und „sonstige Einnahmen“ (wie etwa Aufwandersätze oder Gewinne veranlagter Gelder). Der weitaus höchste Steuerfinanzierungsanteil findet sich in Irland (65  %), Dänemark (64,6  %) sowie Bulgarien (54,6  %). Österreich liegt mit 35,3  % unter dem EU-27-Schnitt von 39,8  % im unteren Drittel. Besonders niedrig sind die Steuerfinanzierungsanteile (umgekehrt proportional zum Anteil der Beitragsfinanzierung) in Estland und der Tschechischen Republik. Glei­ ches gilt für Polen, die Slowakei und die Niederlande, wo zugleich auch „sonstige Einnahmen“ von überproportionaler Bedeutung sind. „Steuermittel und sonstige Einnahmen zur Finanzierung der Sozialausgaben…“ Steuermittel und sonstige Einnahme zur Finanzierung der Sozialausgaben in % der Gesamtausgaben 2010

80,0 70,0 60,0 50,0 40,0 30,0 20,0 10,0

Irland

Dänemark

Zypern

Portugal

Bulgarien

UK

Rumänien

Schweden

Lettland

Finnland

Luxemburg

Malta

Sonstige Einnahmen

Ungarn

Italien

Griechenland

EU-27

Spanien

Slowakei

Deutschland

Polen

Belgien

Österreich

Frankreich

Litauen

Slowenien

Niederlande

Estland

Tschechische Republik

0,0

Steuermittel

Quelle: Eurostat Beitragsfinanzierung

Ein weiterer wesentlicher Finanzierungsbestandteil sind Versicherungsbei­ träge, wobei hier zwischen den Beiträgen der ArbeitgeberInnen und den Beiträgen der geschützten Personen differenziert werden muss. Der weitaus niedrigste Beitragsfinanzierungsanteil (unter 50  %) durch Versicherungsbeiträge findet sich in Dänemark, Irland, Zypern, Bulgarien, Portugal, Rumänien, UK, Schweden, Finnland und Lettland. Ein hoher Bei­ tragsfinanzierungsanteil findet sich in Estland, der Tschechischen Republik, den Niederlanden, Litauen, Slowenien, Frankreich und Österreich. Ein hoher Anteil der Beitragsfinanzierung durch geschützte Personen findet sich in Slowenien, den Niederlanden, Deutschland, Österreich, Luxemburg und der Tschechischen Republik. In Österreich handelt es sich dabei zum allergrößten Teil (über 80  %) um Beiträge von ArbeitnehmerInnen, zum wesentlich kleineren Teil um solche von Selbstständigen (ca. 10  %) sowie von PensionistInnen und anderen geschützten Personen (ca. 9  %).

25


Anmerkungen

„Finanzierung der Sozialausgaben durch Versicherungsbeiträge…“

Sozialbeiträge der geschützten Personen

Estland

Tschechische Republik

Litauen

Niederlande

Slowenien

Frankreich

Polen

Österreich

Belgien

Deutschland

EU-27

Slowakei

Spanien

Griechenland

Malta

Sozialbeiträge der Arbeitgeber

Italien

Ungarn

Lettland

Luxemburg

Finnland

UK

Schweden

Portugal

Rumänien

Bulgarien

Irland

Zypern

90,0 80,0 70,0 60,0 50,0 40,0 30,0 20,0 10,0 0,0

Dänemark

Finanzierung der Sozialausgaben durch Versicherungsbeiträge in % der Gesamtausgaben 2010

Quelle: Eurostat

6. In welchen Ländern der EU-27 ist der steuerfinanzierte An­ teil aller Sozialleistungen wesentlich höher als in Österreich?

Exkurs: Finanzierung des Wohlfahrtsstaates im Standortwettbewerb Kürzung der Sozialbudgets

Überall in der industrialisierten Welt kürzen Regierungen ihre Sozial­ budgets. MeinungsmacherInnen sehen generell die Sozialpolitik als haupt­ verantwortlich für Investitions- und Wachstumsschwächen der Wirtschaft mit der damit verbundenen schlechten Lage auf dem Arbeitsmarkt. Sozial­ leistungen seien zu teuer und unfinanzierbar geworden. Der globale Wett­ bewerb zwänge zu Anpassungen, um den jeweiligen Wirtschaftsstandort attraktiver zu gestalten. Praktisch alle OECD-Staaten haben ihre Steuer­ sätze gesenkt, um ihre Wettbewerbsposition zu verbessern. Die Hauptargumente der KritikerInnen des Sozialstaates sind u. a.: • Sozialausgaben führen über steigende ArbeitgeberInnenbeiträge zu ­einer Verteuerung der Produktion. • Durch den durch hohe Steuern verursachten strukturellen Nachteil gegenüber kostengünstiger produzierenden Ländern kommt es zu ­ ­Firmensitz- und Arbeitsplatzverlagerungen ins Ausland. • Demographische Veränderungen (vor allem durch einen höheren Pro­ zentsatz an PensionistInnen gekennzeichnet) führen zu einer Unfinanzierbarkeit der derzeitigen Sozialleistungen. 26


Anders sehen das folgende Kommentatoren:

Anmerkungen

„Die offensichtlichste Möglichkeit, durch die ein Unternehmen seine Steuerlast reduzieren kann, besteht darin, Betriebsstätten und Tochterun­ ternehmen in ein Niedrigsteuerland zu verlegen. Diese Möglichkeit wird aber nur selten genutzt. ... Offenbar sind nicht-steuerliche Faktoren, wie beispielsweise die Verfügbarkeit von Know-how und neue Technologien, der Zugang zu großen Märkten oder die Verfügbarkeit gut ausgebildeter Arbeitskräfte wichtigere Determinanten der Standortwahl.“ Philipp Genschel, Politologe in Deutschland

Philipp Genschel

„Für die Mehrheit der Menschen ist der Standortwettbewerb kein Selbstzweck: Sie wollen soziale Sicherheit, humane Arbeitsplätze, ­Lebensqualität, Umweltschutz. Daher: Wenn diese vorrangigen Ziele – angeblich oder tatsächlich – mit dem Standort nicht vereinbar sind, dann dürfen nicht sie geopfert, sondern muss der Standortwettbewerb abgeblasen werden. ... Die EU ... ist mächtig genug, um Konzerne mit Sitz in der EU zu ver­ pflichten, auch außerhalb ihres Hoheitsgebietes dieselben Steuer-, ­Sozial- und Umweltstandards einzuhalten wie zu Hause. Dann wären Abwanderungsdrohungen wirkungslos. Störrische Steueroasen kann die EU über Nacht schließen: Ob der Kapitalverkehr auf die Cayman Islands, nach Monaco oder in die Schweiz frei ist, ist eine rein politische Entscheidung – und weder Sachzwang noch Schicksal.“ Christian Felber, ehemaliger Sprecher von ATTAC Österreich (Netzwerk für eine demokratische Kontrolle der internationalen Finanzmärkte)

Christian Felber

Steuerliche Überbelastung?

Was das Argument der steuerlichen Überbelastung betrifft, so bleibt festzu­ halten, dass es gerade bei höheren Einkommen verstärkt zu Steuer- und Beitragsentlastungen gekommen ist. In der EU sind in den letzten beiden Jahrzehnten die Körperschaftsteuersätze von 45 auf unter 25 Prozent gesun­ ken. Die tatsächlich bezahlten Steuern liegen noch deutlich darunter. Die Spitzensteuersätze der Einkommensteuer sind EU-weit von mehr als 60 auf ca. 38,5 Prozent gesunken. Vor allem die neuen osteuropäischen Beitrittslän­ der haben den Trend nach unten beeinflusst. Tendenz fallend. Für Österreich sei in diesem Zusammenhang auf die Senkung der Körper­ schaftsteuer von 34 Prozent auf 25 Prozent hingewiesen. Der tatsächliche Satz lag nach Studien schon vorher nur bei 18 Prozent, Österreich gehörte also schon vor der Senkung zu den Schlusslichtern unter den Industrie­ staaten, was die Besteuerung von Gewinnen betrifft. VITO TANZI, der ehemalige Leiter der Abteilung Finanzpolitik des Interna­ tionalen Währungsfonds (IWF), sprach schon vor einigen Jahren von „fiskalen Termiten“, die am Fundament des staatlichen „Steuerhauses“ nagen und einen Steuersenkungswettbewerb ankurbeln: 1. Zum einen erlaubt der zunehmende Reiseverkehr von Einzelpersonen diesen, teure Waren dort zu kaufen, wo die Verbrauchsteuern geringer sind. Dies schafft vor allem für kleine Länder Anreize, Steuern zu senken und ausländische KäuferInnen anzulocken. 2. Gut ausgebildete Einzelpersonen entfalten zunehmend Aktivitäten außer­ halb ihres Landes. Dies führt dazu, dass sie ihre ausländischen Einkünfte niedrig oder überhaupt nicht angeben. Oder man legt gleich die Erspar­ nisse im Ausland an, und zwar so, dass man dabei nach Möglichkeit die Steuer umgeht.

Vito Tanzi

3. Der Anstieg des elektronischen Handels ist enorm. Er findet aber im ho­ hen Ausmaß außerhalb des Steuersystems statt: „In einigen Jahren könnte 27


Anmerkungen

ein großer Anteil des Welthandels, besonders des Handels zwischen den Unternehmen, über das Internet erfolgen. Der elektronische Handel wird sich für die Steuerbehörden zu einem Alptraum auswachsen.“

Autonomie

Aber: Trotz Globalisierung werden immer noch gut 80 Prozent aller Güter und Dienstleistungen im Inland produziert und konsumiert. Die Autono­ mie der entwickelten Volkswirtschaften ist größer, als wir oft wahrhaben wollen. Die skandinavischen „Vorzeige“-Wohlfahrtsstaatsmodelle wiesen während der 1990er Jahre genauso viel Wirtschaftswachstum und Beschäf­ tigung auf wie die angelsächsischen Wohlfahrtsstaaten, trotz quantitativ und qualitativ höherer Sozialleistungen. Mehr internationale Kooperation könnte zweifelsohne die Steuerflucht von Unternehmen eindämmen. Die einzelnen Staaten müssten sich dabei aber gegenseitig über das Auslandskapital ihrer BürgerInnen informieren oder eine einheitliche Steuer einführen. 7. Welche Argumente werden häufig gegen den Sozialstaat angeführt?

Exkurs: Die Finanzierung des Wohlfahrtsstaates und wirtschaftliche Prosperität KritikerInnen des Wohlfahrtsstaates haben wiederholt vorgebracht, dass „zu viel Sozialstaatlichkeit“, wie auch überhaupt eine „zu hohe Staats­ quote“, das Wirtschaftswachstum bremse. Allerdings sind die wissen­ schaftlichen Ergebnisse aus vergleichenden Untersuchungen dazu uneinheitlich. Schubeffekt

FRANCIS G. CASTLES und STEVE DOWRICK kamen 1990 in einer an­ spruchsvollen Studie zu dem Schluss, dass es keine schlüssigen Anhalts­ punkte dafür gibt, dass ein hoher Staatskonsum das mittelfristige Wirt­ schaftswachstum dämpft. Vielmehr kamen sie zu dem Ergebnis, dass ge­ wisse Teilkomponenten der öffentlichen Ausgaben – wie Sozialtransfers – das Wirtschaftswachstum fördern. Ein solcher Schubeffekt eines aus­ gebauten Wohlfahrtsstaates auf das Wirtschaftswachstum wird auch in einer Reihe anderer Untersuchungen – wenn auch mit inhaltlichen Ab­ strichen – prinzipiell bestätigt. Zu einem komplett diametralen Ergebnis kommt ERICH WEEDE. Nach seinen Ergebnissen wirkt sich eine hohe ­Sozialtransferquote negativ auf das Wirtschaftswachstum aus.

Brems­effekt

Uneinheitliche Ergebnisse zeigen auch Untersuchungen, die versuchen, den Effekt der Höhe der Steuerbelastungsquoten auf das Wirtschafts­ wachstum zu messen. So kommt ENRIQUE MENDOZA zusammen mit anderen ForscherInnen in einer 1997 veröffentlichten Untersuchung zu dem Schluss, dass die Höhe der effektiven durchschnittlichen Steuersätze keinen direkten Einfluss auf das Wirtschaftswachstum hat, wenngleich sich ein Bremseffekt auf die Investitionen feststellen lässt. Demgegenüber fanden FABIO PADOVANO und EMMA GALLI in einer jüngeren Untersu­ chung einen negativen und signifikanten Zusammenhang zwischen den effektiven Grenzsteuersätzen und dem Wirtschaftswachstum. 28


Insgesamt gibt es gute Argumente dafür, dass ein ausgebauter Wohlfahrts­ staat das wirtschaftliche Wachstum nicht bremst, sondern sogar direkt und indirekt fördert:

Argumente

• Sozialpolitik greift zwar in den volkswirtschaftlichen Kreislauf ein, ent­ zieht ihm aber keine Mittel: die Gelder fließen weitestgehend als durch­ laufende Posten von den Privathaushalten in andere Privathaushalte zurück. • Auf dem Weg der Umverteilung fließen dabei Mittel von den höheren zu den niedrigeren Einkommensschichten. Es kann argumentiert werden, dass diese einen größeren Teil ihres Einkommens umgehend konsumie­ ren als die höheren Einkommensschichten, was sich unmittelbar positiv auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage auswirkt. • Sozialpolitische Maßnahmen sichern ökonomische Prosperität, indem sie die Gesundheit und die langfristige Arbeitsfähigkeit der Arbeitskraft sowie die Qualifikation der Beschäftigten fördern: die Arbeitsproduktivi­ tät wird erhalten und gesteigert. • Sozialpolitische Maßnahmen erfüllen eine wesentliche politisch-gesell­ schaftliche Stabilisierungs- und Integrationsfunktion, was als entschei­ dende Voraussetzung für ein leistungsfähiges Wirtschaftssystem ange­ sehen werden kann. 8. Gibt es stichhaltige empirische Beweise dafür, dass ein aus­ gebauter Wohlfahrtsstaat im Widerspruch zu Wirtschafts­ wachstum steht?

29


Die Zukunft der Finanzierung des Wohlfahrtsstaates

Anmerkungen

Steigende Belastungen Finanzierungsprobleme

Viele Befunde deuten in die Richtung, dass die Finanzierung des Wohl­ fahrtsstaates mittelfristig mit beträchtlichen Problemen konfrontiert sein wird. Als Hauptursache dafür wird die sich verändernde Altersstruktur der Bevölkerung angesehen. Durch den Anstieg des Anteils der Bevölke­ rung im Pensionsalter verschiebt sich einerseits das Verhältnis von poten­ ziellen aktiven Beitragszahlern und Beitragszahlerinnen im erwerbsfähigen Alter und PensionistInnen. Zugleich impliziert eine betreffend ihres Bevöl­ kerungsaufbaus „ältere“ Gesellschaft auch vergleichsweise höhere finan­ zielle Aufwendungen für das Gesundheits- und Pflegesystem. Eine Übersicht über wahrscheinliche Veränderungen gibt die folgende Ta­ belle. Das Verhältnis der ab 60-Jährigen zu den 15- bis 59-Jährigen liegt derzeit bei ca. 1:2,63. Nach Prognosen von Statistik Austria soll es sich bis 2050 auf bis zu 1:1,52 verändern. Kommen also gegenwärtig auf eine Person im Alter über 59 knapp 2,6 Personen im erwerbsfähigen Alter, so sollen es – nach dieser Prognose – im Jahr 2050 nur mehr ca. 1,5 sein. Bevölkerungsprognose nach Altersgruppen, Hauptvariante Bevölkerung 15 bis unter 60 Jahre

60 und mehr Jahre

Verhältnis der 15bis 59-Jährigen zu Personen im Alter 60+

2010

5.184.072

1.937.716

2,68:1

2011

5.195.813

1.963.565

2,65:1

2012

5.218.087

1.987.610

2,63:1

2015

5.256.913

2.079.134

2,53:1

2020

5.185.478

2.286.986

2,27:1

2025

5.033.157

2.562.493

1,96:1

2030

4.904.445

2.812.671

1,74:1

2035

4.876.843

2.955.005

1,65:1

2040

4.896.808

3.037.737

1,61:1

2045

4.880.638

3.134.596

1,56:1

2050

4.857.366

3.204.159

1,52:1

Quelle: Statistik Austria, Demographisches Jahrbuch 2011 und eigene Berechnungen Anmerkung: Die Zahlen 2013, 2014 lassen sich leider nicht (seriös) eruieren, des­ halb die Lücke. Pensionsquote

Entscheidend ist in beitragsfinanzierten Systemen jedoch das Verhältnis nach demographischen Altersstrukturen nur indirekt – was zählt, ist viel­ mehr das Verhältnis der BeitragszahlerInnen zu den PensionsbezieherInnen. Dieses Verhältnis wird in der Pensionsquote – der Zahl der aktu­ ellen Pensionen je 1000 BeitragszahlerInnen – ausgedrückt. 1950 kamen auf 1000 BeitragszahlerInnen 345 Pensionen, 2006 waren es 621 (WIFO). Manche Szenarien gehen davon aus, dass die Pensionsquote bis zum Jahr 2050 um fast 50 Prozent auf einen Wert von 941 steigen könnte. Dieses Sze­ nario geht jedoch von einer Stagnation der Erwerbsquote auf dem heutigen Niveau aus. Das „Wachstumsszenario“ hingegen geht von einer Zunahme der Beschäftigten von 0,4  % pro Jahr aus. Demnach würden bis zum Jahr 2045 auf 1000 BeitragszahlerInnen 795 Pensionen kommen. 30


Anmerkungen

9. Was drückt die Pensionsquote aus?

Steuerungsoptionen Vor dem Hintergrund der sich verändernden demographischen Struktur und der damit zu erwartenden finanziellen Mehrbelastungen werden von unterschiedlicher Seite unterschiedliche Steuerungsoptionen diskutiert. Dabei ist eine bloße Kürzung von Leistungen nur eine Möglichkeit. Ande­ re Optionen setzen auf der Finanzierungsseite an. Mögliche Maßnahmen reichen von einer Anhebung der Versicherungsbeiträge bis zu neuen For­ men der Besteuerung wie etwa der so genannten Tobin-Tax, die europaoder weltweit Finanztransaktionen besteuern soll.

Anhebung der Versicherungsbeiträge Eine mögliche Anhebung der Versicherungsbeiträge wäre für sich genom­ men kein Novum – es wurden ja die Sozialversicherungsbeiträge bereits in der Vergangenheit wiederholt erhöht, wie zum Beispiel 2007, als die Kran­ kenversicherungsbeiträge der ArbeiterInnen und Angestellten um 0,15  % angehoben wurden. Das brachte jährliche Mehreinnahmen von ca. 153 Mil­ lionen Euro. Argumente

KritikerInnen wenden ein, dass durch solche Erhöhungen der ohnehin schon stark belastete Faktor Arbeit durch zusätzliche Abgaben weiter verteuert wird – mit, wie häufig argumentiert wird, potenziell negativen Aus­ wirkungen auf den Arbeitsmarkt. Ein zweites Argument geht in die Rich­ tung, dass höhere Versicherungsbeiträge zur Finanzierung der aktuellen Pensionen die Realeinkommen der erwerbstätigen Bevölkerung schmälern und der Aufrechterhaltung der intergenerationalen Gerechtigkeit widersprechen würden. Berechnungen aus Deutschland zeigen jedoch, dass letzteres Argument so aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zutrifft. Höhere „Beitragssätze müssen nicht mit einer absoluten Verschlechte­ rung im Einkommens- und Lebensstandardniveau einhergehen, da zu erwarten ist, dass Produktivität und Wertschöpfung auch weiter stei­ gen werden und damit das zwischen der Bevölkerung aufzuteilende Sozialprodukt größer wird. ... Das heißt, dass die höheren Belastungen aus den Zuwächsen der Bruttoeinkommen getragen werden könnten und dass für die erwerbstätige Generation die Finanzierung der Alters­ generation auch ohne Konsumverzicht zu bewältigen wäre.“ (Bäcker/Koch 2003, S. 115) 31


Anmerkungen

Bildquelle: ATTAC Österreich

10. Welches Hauptargument spricht aus volkswirtschaftlicher Perspektive gegen eine Erhöhung der Sozialversicherungs­ beiträge?

32


Erweiterung des versicherten Personenkreises, Ausweitung der Bemessungsgrundlage

Anmerkungen

Weitere diskutierte Steuerungsoptionen sind die Erweiterung des versicherten Personenkreises und Ausweitungen der Bemessungsgrundlage. Den versicherten Personenkreis betreffend existiert in Österreich heute kaum noch Gestaltungsspielraum. Unter dem Schlagwort „Integration al­ ler (Erwerbs)Einkommen in die Sozialversicherung“ wurden in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre auch Einkommen aus Werkvertragsarbeit ohne Ge­ werbeschein (so genannte „Neue Selbstständige“), aus freien Dienstverträ­ gen sowie aus geringfügiger Beschäftigung grundsätzlich – wenn auch mit einigen Lücken – sozialversicherungspflichtig.

Integration aller Einkommen

Menschen ohne Krankenversicherung Lücken in der Sozialversicherung zeigen sich vor allem bei der Kranken­ versicherung. 2009 waren 100.000 Menschen in Österreich nicht kran­ kenversichert. Die größten Gruppen sind hier Arbeitslose, die noch kei­ ne Anwartschaften aus der Arbeitslosenversicherung erworben haben, AsylwerberInnen ohne Grundversorgungsansprüche bzw. Studen­ tInnen, geringfügig Beschäftigte und Geschiedene, die sich nicht selbst versichern. Ein Verzicht auf Selbstversicherung erfolgt oft auf Grund von Informationsdefiziten, aber auch aus Gründen der Kostenersparnis. Die meisten Menschen ohne Krankenversicherung haben einen nied­ rigeren Bildungsstand, schlechte Einkommen und schlechte Wohnver­ hältnisse. Einige von ihnen verzichten aus Scham und Angst, als „Sozi­ alschmarotzer“ bezeichnet zu werden, auf Sozialhilfeleistungen und den damit einhergehenden Versicherungsschutz. Müssen sie Notfallsbe­ handlungen in Spitälern in Anspruch nehmen, drohen Regresszah­ lungen in astronomischer Höhe. Eine andere Möglichkeit, die Finanzierungsbasis zu erweitern, wäre die Bemessungsgrundlage für Sozialversicherungsbeiträge auszudehnen. Dann wären nicht nur Erwerbseinkommen sozialversicherungspflichtig, sondern z. B. auch Einkommen aus Vermögen (Kapitalertrag), Vermietung oder Verpachtung. Ein Hauptargument gegen eine solche Vorgangsweise ist verteilungspolitischer Natur. Bei einer Beibehaltung der Höchst­ beitragsgrundlagenregelung wären davon nur die unteren Einkommens­ bezieherInnen bzw. der Mittelstand betroffen. Wer jedoch bereits Erwerbs­ einkommen oberhalb der Höchstbeitragsgrundlage bezieht, wäre von der Regelung nicht betroffen.

Bemessungsgrundlage

Eine dritte Möglichkeit läge in der Erhöhung bzw. Aufhebung der Höchstbeitragsgrundlage in der Krankenversicherung (betreffend Sachleis­ tungen). Die Höchstbeitragsgrundlage führt dazu, dass mit über die Höchst­ grenze steigenden Einkommen die faktische relative Beitragsbelastung sinkt. Übersteigt z. B. das Arbeitseinkommen die Beitragsbemessungs­ grundlage um das Doppelte, so halbiert sich der durchschnittliche Beitrags­ satz. Liegen hingegen in einem Haushalt zwei Einkommen knapp unter­ halb der Höchstbeitragsgrundlage vor, so sind für beide Einkommen in vollem Umfang Sozialversicherungsbeiträge zur Krankenversicherung zu entrichten.

Höchstbeitragsgrundlage

33


Anmerkungen

Mehreinnahmen durch Anhebung der Höchstbeitragsgrundlage 2006 in Millionen Euro Arbeite­ rInnen

Angestellte

Beamte/ Beamtinnen

Mehrertrag

Anhebung 25  %

um

4,6

165,9

50,4

220,9

Anhebung 50  %

um

4,8

260,9

63,8

329,5

5

467,5

90,9

563,4

Aufhebung Quelle: WIFO Bemessungsgrundlage

Schon eine Anhebung der Höchstbeitragsgrundlage um 25  % hätte 2006 knapp 221 Millionen Euro mehr in den Staatshaushalt gebracht. Die 2007 erfolgte allgemeine Anhebung der Krankenversicherungsbeiträge um 0,15  % bringt „nur“ knapp über 150 Millionen Euro und verfestigt den ne­ gativen Umverteilungseffekt der Sozialversicherungsbeiträge.

Bemessungsgrundlage

Kapitaldeckung statt Umlageverfahren? Was würde der Umstieg vom Umlageverfahren5 auf ein kapitalgedecktes Pensionssystem bedeuten? Kapitaldeckung

Ein solches System, das die gesamte Bevölkerung absichern müsste, wäre stark abhängig von dem Entwicklungsniveau der Volkswirtschaft im Jahr der Rentenauszahlung. Den PensionistInnen stünde dann nur das Volksein­ kommen der jeweils aktuellen Periode zur Verfügung. • In Pensionsfonds angelegte Mittel sind dem Risiko des freien Marktes ausgesetzt. Fehlspekulationen führen immer wieder zu empfindlichen Pensionseinbußen bei den betroffenen EinzahlerInnen, weil das ange­ legte Kapital von der Pensionsversicherung nur unter Verlust verkauft werden kann. Als Folge müssen die Zahlungen eingeschränkt werden. • Ansparen von Kapital belastet die ArbeitnehmerInnen, weil sie den größten Teil der Vorsorge tragen und die ArbeitgeberInnen in der Regel keine Beiträge abführen. Als größtes Problem hinsichtlich eines Umstiegs zu einem kapitalgedeckten Verfahren stellt sich der Aufbau eines Kapitalstocks dar. Beitragserhö­ hungen sind erforderlich, da aus den Einnahmen auch die bestehenden Pensionen und die bereits erworbenen Anwartschaftszeiten finanziert wer­ den müssen. Dies würde über Jahrzehnte hinweg eine Doppelbelastung für die BeitragszahlerInnen darstellen.

Exkurs: Zwei Pensionsreformen in Österreich Die österreichische Bundesregierung präsentierte 2003 Pensionsreformplä­ ne, die auf Sofortkürzungen um bis zu 20  % hinausgelaufen wären. Außer­ dem waren die Abschaffung des vorzeitigen Pensionsantritts und Kür­ zungen für die Jüngeren zwischen 30 und 50  % geplant. Erst nach massiver Gegenwehr der Gewerkschaften war die Regierung bereit, gewisse Abstriche von den geplanten Kürzungen vorzunehmen. Insbesondere wurde ein 10-Prozent-Verlustdeckel (plus zwei Prozent ­ ­Anpassungsverlust) und eine etwas längere Übergangsfrist für die von der 5

34

Beim Umlageverfahren werden die einbezahlten Beiträge in die Sozialversicherung unmit­ telbar für die Finanzierung der erbrachten Leistungen herangezogen. Aktive Arbeitneh­ merInnen zahlen für die laufenden Pensionen. Beim Kapitaldeckungsverfahren werden die Beiträge direkt einem Kapitalfonds zugeführt, sodass dessen Erträge selbst die jeweils fällig werdenden Ansprüche der Versicherten abdecken können.


Regierung angestrebte Abschaffung der vorzeitigen Alterspension bei ­langer Versicherungsdauer zugestanden. Nach Sichtbarwerden der über­ fallsartig in Kraft getretenen Pensionskürzungen und weiterem Protest ­seitens der ArbeitnehmervertreterInnen wurden die Verluste gegenüber der alten Regelung für alle Leute, die 2004 in Pension gingen, in einer ­weiteren Reform auf 5  % begrenzt. Dieser Prozentsatz wird bis zum Jahr 2024 auf 10  % steigen.

Bildquelle: www.unitedaliens.at

Jedenfalls hat Österreich durch die beiden Pensionsreformen 2003 und 2004 nun eines der kompliziertesten Pensionssysteme der Welt. Besonders schwierig wird es für die Gruppe der nach 1954 Geborenen, die vor dem 1. 1. 2005 Versicherungszeiten erworben haben. Hier gilt nämlich die soge­ nannte „Parallelrechnung“. Die zuerkannte Pension ist ein Mischbetrag aus der „alten“ ASVG-Pension und der sogenannten „neuen“ Pensionskontopension (mit jährlichen Kontomitteilungen über erworbene Anwart­ schaften). Die Pensionsreformen brachten u. a. in der 2008 geltenden Version fol­ gende Änderungen: • Der Durchrechnungszeitraum zur Ermittlung der Pensionsbemessungs­ grundlage wird über einen Zeitraum von 25 Jahren bis zum Jahr 2028 von derzeit 15 auf 40 Jahre angehoben. • Die Steigerungspunkte (= Pensionsprozente) werden schrittweise von 2  % auf  1,78  % abgesenkt. • Ein Pensionskorridor ab 62 Jahren wird eingeführt. Wer allerdings vor dem Regelpensionsalter (65) mit 62, 63 oder 64 in Pension gehen will, muss mit zusätzlichen Abschlägen von 2,1  % pro Jahr rechnen. • „Schwerarbeiterregelung“: bei 45 Versicherungsjahren sind mindestens 10 Jahre Schwerarbeit (= psychisch oder physisch extrem belastende ­Arbeit, z. B. Arbeit bei extremen Temperaturen, Schichtdienst etc.) inner­ halb der letzten 20 Jahre für diese Leistung erforderlich. Damit kann man mit 61 Jahren und drei Monaten in Pension gehen. Bei 20 Jahren Schwer­ arbeit erfolgt der Pensionsantritt mit 60. • Zeiten der Kindererziehung werden bis zu vier Jahren angerechnet (derzeit 1.350 EUR monatliche Bemessungsgrundlage), Zeiten der ­ ­Arbeitslosigkeit werden mit mindestens 70  % der Bemessungsgrundlage des Arbeitslosengeldes bewertet. • Die „Hacklerregelung“: Männer können mit 45 Beitragsjahren und Frauen mit 40 Beitragsjahren abschlagsfrei in Pension gehen. Diese Rege­ lung gilt jedoch nur befristet und läuft im Jahr 2013 aus. 11. Welche Probleme würde eine Umstellung auf ein Kapital­ deckungsverfahren im Pensionssystem aufwerfen?

35


Keine Angst vor Steuern: Stärkere Steuerfinanzierung der sozialen Sicherheit?

Anmerkungen

Vielfach werden stärkere Steuerbeiträge gefordert, um die soziale Sicher­ heit auch in Zukunft finanzierbar zu machen. Dabei ist immer zu beachten, wie die Gegenfinanzierung erfolgt, d. h. ob es Ausgabenminderungen an anderer Stelle gibt, Einkommensteuern, Gewinnsteuern oder Mehrwert­ steuern angehoben oder verschiedene Maßnahmen kombiniert werden. • Einkommensteuer und Flat Tax Progressive Steuersätze, wie sie in Österreich üblich sind (Freibetragsgren­ ze von 11.000 Euro, Eingangssteuersatz 36,5  %, Höchststeuersatz 50  %) ga­ rantieren eine gewisse Umverteilung, wenn der Abstand zwischen Ein­ gangs- und Höchststeuersatz entsprechend hoch ist.

Steuerkürzungstrend

Mit der Steuerreform 2009 wurde der Eingangssteuersatz zwar wieder leicht gesenkt (um knapp 2  %) im Gegenzug dazu wurden aber auch die höheren Einkommen begünstigt, weil der Höchststeuersatz von 50  % nun erst ab einer Bemessungsgrundlage von über 60.000 Euro (vorher 50.000 Euro) schlagend wird. Nicht nachvollziehbar ist dabei, dass vor allem der Mittelstand und noch viel mehr die SpitzenverdienerInnen profitieren, wohingegen für Kleinver­ dienerInnen kaum positive Effekte spürbar sind. AK und ÖGB fordern in diesem Zusammenhang eine Senkung des Ein­ gangssteuersatzes, der mit 36,5  % zum höchsten innerhalb der Industrie­ nationen zählt. Außerdem braucht es eine zusätzliche Entlastung für die bereits bisher steuerfreien Einkommen (unter 11.000 Euro). Dies würde sich auch positiv auf die Einkommensschere zwischen den Geschlechtern aus­ wirken. Massive Finanzierungsprobleme in den USA führten übrigens in den 1990er Jahren dazu, dass Präsident BILL CLINTON (1993–2001) die Steuer­ senkung von Vorvorgänger RONALD REAGAN (Senkung des Spitzen­ steuersatzes auf 31  %) rückgängig machte und wieder einen Steuersatz von 41  % einführte. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, dass bereits zuvor der republikanische Präsident GEORGE BUSH SR. sein ­Wahlversprechen, keinesfalls neue Steuern einzuführen, nicht einhalten konnte. Und der „Third Party“-Kandidat ROSS PEROT setzte sich im Wahlkampf von 1992 für Steuererhöhungen in der höchsten Einkom­ mensklasse ein! Aktuell ist das Budgetdefizit in den USA wieder unüber­ sehbar. Verantwortlich dafür sind nicht nur hohe Militärausgaben und die Finanzkrise, sondern in erheblichem Maße auch die traditionelle Niedrig­ steuerpolitik. Flat Tax

Hierzulande fordern dennoch konservative und liberale Gruppierungen die Einführung eines Einheitssteuersatzes (Flat Tax)6 für alle, unabhängig vom jeweiligen Einkommen. Die FPÖ, Ex-Finanzminister KARL-HEINZ GRASSER, Finanzministerin MARIA FEKTER und zuletzt Parteigründer FRANK STRONACH brachten Vorschläge in diese Richtung ein. Eine der­ art große Entlastung würde zweifelsohne die Sozialbudgets weiter aushöh­ len. Die Slowakei hatte 2004 gegen den Protest der Gewerkschaften eine all­ gemeine Flat Tax von 19  % für Einkommen-, Körperschaft- und Mehr­ 6

36

Einkommensteuer, Mehrwertsteuer, Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer weisen bei so einer radikalen Form der Flat Tax alle den gleichen Einheitssteuersatz auf.


wertsteuer eingeführt. ExpertInnen bezweifelten bereits bei der Ein­führung die seitens der slowakischen Regierung vorhergesagten positiven Effekte, die auch ausgeblieben sind. Die Flat Tax wurde daher 2012 wieder abgeschafft. Eine „reine“ Flat Tax gibt es noch in Bulgarien und Rumänien.

Anmerkungen

Progressionsstufen in der österreichischen Einkommensteuer Steuersatz

Jährliches Einkommen in Euro

0  %

0–11.000

36,500  %

11.001–25.000

43,214  %

25.001–60.000

50  %

>60.001

Quelle: BMF

Einkommensteuerspitzensätze 2010

Quelle: Bundesministerium für Finanzen Deutschland

Körperschaftsteuer unter Schnitt

• Körperschaftsteuer Körperschaftsteuer (KöSt) ist von „Körperschaften“, die nicht der Einkom­ mensteuer unterliegen, zu entrichten: das sind Gesellschaften, Vereine und Genossenschaften. Im Gegensatz zur Einkommensteuer obliegt die KöSt keinem progressiv gestaffelten Tarif, sondern einem für alle gleichen Steuer­ satz. Sie war nie eine besonders effektive Quelle zur Finanzierung von ­Sozialleistungen. Ihr Aufkommen war seit jeher zu gering und der inter­ nationale Trend geht in Richtung einer weiteren Senkung. Dabei gibt es einen nachweislichen Zusammenhang zwischen niedrigen Körperschaftsteuersätzen und niedrigen Sozialausgaben! Die tatsächlich bezahlten Körperschaftsteuersätze lagen in Österreich schon vor der Absenkung des Satzes von 34  % auf 25  % weit unter dem Schnitt.

37


Seite 32 KÜrperschaftssteuersätze 2011

Anmerkungen

KÜrperschaftsteuersätze 2011

KÜrperschaftsteuersätze 2011 in % 45 40 35 30 25 20 15 10

Japan

USA/New York

Frankreich

Deutschland

Kanada/Ontario

Schweden

GroĂ&#x;britannien

Niederlande

Dänemark

Ă–sterreich

Schweiz/ZĂźrich

Slowakei

0

Tschechien

5

Quelle: Bundesministerium der Finanzen Deutschland

OECD Durchschnitt

USA

Schweden

Niederlande

Italien

Ungarn

Dänemark

Kanada

Ă–sterreich

Australien

Dem Staat entgehen durch die sogenannte „Verrechnungspreismanipula­ tion“ groĂ&#x;e Einnahmen. Multinationale Unternehmen reduzieren ihre steu­ erpflichtigen Gewinne z. B. dadurch, dass sie konzerninterne Lieferungen an Tochterunternehmen in Hochsteuerländern zu ĂźberhĂśhten Preisen durchfĂźhren. Das Tochterunternehmen macht dadurch weniger Gewinn Seite 33 weniger Steuern zahlen. Umgekehrt kauft das Unternehmen mit und muss Steuerstruktur der OECD 2011, Anteil‌ Sitz in einem in Niedrigsteuerland vom Tochterunternehmen Produkte zu kĂźnstlich niedrigen Preisen. Auch so wird der Gewinn des Tochterunter­ nehmens absichtlich gering gehalten. Die Steuerbelastung von multinatio­ nalen 60 Unternehmen hat sich auf Grund der „Verrechnungspreismanipulati­ on“ gegenĂźber kleinen und mittleren Betrieben deutlich reduziert. 50 Bei der Besteuerung von Zinsen und Dividenden von Anleihen, Aktien und Bankguthaben herrscht ein ähnliches Problem vor: Auch hier werden durch 40 Verlagerung der Einnahmen ins Ausland dem Staat wichtige Steuer­ einnahmen entzogen. Neben der klassischen Steuerhinterziehung tragen 30 auch eine lockere Steueraufsicht und massive SteuervergĂźnstigungen vieler 20 Anlageformen zum mangelnden Aufkommen bei. So werden langfristige Sparguthaben oder Lebensversicherungen von der Steuer begĂźnstigt oder 10 Ein ZurĂźckschrauben dieser BegĂźnstigungen und strengere Steuer­ befreit. kontrolle von Unternehmen kĂśnnten dagegen das Sozialbudget des Staates 0 erhĂśhen. Firmen wie Coca-Cola, Tele.ring oder Raiffeisen zahlen trotz Gewinnen in MillionenhĂśhe weniger als 5  % Steuern. Die EinfĂźhrung eines EU-weiten MindestkĂśrperschaftsteuersatzes wäre ein wichtiger Schritt, dem Steuer­ dumping entgegenzuwirken. Mehrwertsteuer

• Mehrwertsteuer Die EU strebt eine weitere Senkung der Lohnnebenkosten und damit eine Verbilligung des Faktors Arbeit an. Als Ausgleich und Gegenfinanzierung wurden ErhĂśhungen der Verbrauchsteuern diskutiert. Die Mehrwertsteuer hat jedoch eine sogenannte „regressive Verteilungswirkung“. D. h., ärmere Haushalte geben in der Regel einen hĂśheren pro­ zentuellen Anteil des Einkommens aus als Besserverdiener. Dadurch tragen sie mehr zum Mehrwertsteueraufkommen bei. Neben dem Gerechtigkeits­ problem dämpfen hohe Mehrwertsteuersätze auch die Beschäftigungsent­ 38


wicklung und fördern die Schattenwirtschaft. Ist der Abstand zwischen Brutto- und Nettopreis zu groß, wächst die Bereitschaft für Geschäftstrans­ aktionen ohne Rechnung und auf Kosten des Finanzamtes.

Anmerkungen

In Österreich bringen die Sozialversicherungsbeiträge und die Mehrwert­ steuer (beide regressiv) die meisten Steuereinnahmen. In Nordeuropa oder im angloamerikanischen Raum dient zumeist die progressive Einkom­ mensteuer als Haupteinnahmequelle. Auch die Körperschaftsteuer nimmt einen größeren Stellenwert bzgl. des Gesamtsteueraufkommens ein, was die Steuergerechtigkeit ungleich erhöht. Aber auch im Schnitt der OECD-­ Staaten spielt das Mehrwertsteueraufkommen eine überproportionale Rolle. Steuerstruktur in der OECD 2010, Anteile der einzelnen Steuern und Abgaben in Prozent der Gesamtsteuereinnahmen 2010 60 50

Einkommenssteuer

40

Körperschaftssteuer

30

SV-Beiträge

20

Mehrwertsteuer

OECD Durchschnitt

USA

Schweden

Niederlande

Italien

Ungarn

Dänemark

Kanada

Österreich

0

Australien

10

Quelle: OECD Vermögensteuer

• Steuern auf Vermögen Der Capgemini und Merrill Lynch World Wealth Report 2007 zeigte auf, dass das Gesamtvermögen wohlhabender PrivatanlegerInnen 2007 weltweit um 2,5  % auf 40,7 Billionen Dollar angestiegen ist. Durch die Wirtschaftkrise sank dieses Vermögen zwar 2008 auf 32,8 Billionen Dollar, für das Jahr 2013 wird jedoch ein Gesamtvermögen von 48,5 Billionen US-Dollar prognosti­ ziert. Es erscheint aus Gerechtigkeitsgründen nicht unlogisch, neben Einkommen und Gewinn auch Vermögen zu besteuern. Erstens hat die Vermögensteuer eine Umverteilungswirkung, zweitens „bestraft“ sie Leute, die massiv Ver­ mögen horten. Eine stärkere Besteuerung von Vermögen wäre in Österreich dringend erforderlich, um die sich immer weiter vergrößernde Ungleich­ verteilung von Vermögen zumindest abzumildern. Die obersten 10  % besit­ zen 54  % des privaten Geldvermögens, während die untere Hälfte nur 8  % besitzt. Das oberste halbe Prozent besitzt sogar mehr als ein Drittel. Beim Immobilienbesitz vereinigen die oberen 10  % gar 61  % des Vermögens auf sich, während 40 % der Bevölkerung überhaupt keine Immobilien besitzt.7 Die GPA-djp ging 2009 als erste Gewerkschaft mit einem eigenen Vermö­ gensteuermodell an die Öffentlichkeit. In vielen Zeitungen und TV-Diskus­ sionen wurden daraufhin die Pros und Kontras einer Anhebung von ver­ mögenbezogenen Steuern diskutiert. Ein oft vorgebrachtes Argument gegen die Einführung einer Vermögensteu­ er ist der Hinweis auf die bereits sehr hohe Steuer- und Abgabenquote Ös­ terreichs. Ein Großteil dieser Abgabenlast wird hierzulande jedoch von den 7

Vortrag von Martin Schürz, 12.03.2011.

39


ArbeitnehmerInnen getragen, denn Vermögen und Kapital wird im interna­ tionalen Vergleich nur sehr gering belastet. Mit einer Vermögensteuer könnten nicht nur sinnvolle Projekte finanziert werden, sondern sie würde auch genügend finanziellen Spielraum bieten, um die Steuerbelastung der ArbeitnehmerInnen deutlich zu reduzieren und so ein höheres Maß an Steuergerechtigkeit zu erreichen.

Anmerkungen

Im April 2011 beschloss der ÖGB-Bundesvorstand ein gesamtgewerkschaft­ liches Modell, das mit progressiv gestaffelten Sätzen alle Haushaltsvermö­ gen ab 700.000 Euro erfasst: Vermögen in Euro

Steuersatz

700.000–2,000.000

0,5  %

2,000.000–3,000.000

1,0  %

>3,000.000

1,5  %

Das Steueraufkommen des ÖGB-Vorschlags beträgt bis zu 3 Mrd. Euro pro Jahr. Erfasst werden land- und forstwirtschaftliches Vermögen, Grundver­ mögen, Gebäude, Beteiligungen an Unternehmen (aber keine Substanzbe­ steuerung von Kapitalgesellschaften), Wertpapiere, Derivative, Spareinla­ gen, Bargeld. Im Grunde handelt es sich um eine Reichensteuer. Denn jene Menschen, die in Österreich Immobilien besitzen (also der/die durch­ schnittliche ImmobilienbesitzerIn), haben ein mittleres Immobilienvermö­ gen von 202.300 Euro und sind daher von der Steuer gar nicht betroffen. Die zu besteuernden Immobilien sind jedenfalls marktnah zu bewerten. Eine wesentliche Voraussetzung für die Einführung einer solchen Steuer wäre auch die Adaptierung des strengen österreichischen Bankgeheim­ nisses. Dieses müsste gegenüber der Finanz abgeschafft werden. Die Bank würde aber ansonsten selbstverständlich weiter der Verschwiegenheits­ pflicht unterliegen. Somit müsste niemand Angst haben, dass persönliche Daten öffentlich werden könnten. Die oft vorgebrachte Kritik, dass die klassische Vermögensteuer internatio­ nal keine Rolle mehr spielt, ist nicht wirklich nachvollziehbar. Internationale Zugänge

Die internationalen Zugänge sind einfach sehr verschieden. In unserem Nachbarland Schweiz hat zum Beispiel jeder der 26 Kantone eine andere Regelung zur Einhebung der Vermögensteuer. Gemeinsam sind diesen Re­ gelungen die sehr niedrigen Steuersätze und die niedrigen Freibeträge. In Zürich zahlt man bereits ab einem Vermögen von 76.000 Euro Vermögen­ steuer, wenn auch nur 0,02 %. Dieser Satz wächst maximal auf 0,07 % an. In manchen anderen Kantonen kann die Besteuerung schon ab 20.000 Euro einsetzen. Trotz der sehr niedrigen Sätze kann die Schweiz auf Grund des niedrigen Freibetrages ein beachtliches Steueraufkommen lukrieren, das allein im Kanton Zürich an die 450 Mio. Euro pro Jahr beträgt. In den USA gibt es ein Grundsteuermodell, das einer Vermögensteuer ziem­ lich ähnlich ist. Wie in der Schweiz ist die Ausformung dieser Steuer keine Bundeskompetenz, doch entscheiden in den USA die kleinsten Verwal­ tungseinheiten, die Counties, wie hoch die Steuer sein soll. In manchen Gebieten werden neben Immobilien und Grund und Boden auch mobile Werte erfasst, z. B. teure Autos, Boote oder Privatflugzeuge, was einer klas­ sischen Vermögensteuer schon ziemlich nahekommt. Die Steuersätze vari­ ieren zwischen 0,2 % und 4 %, je nach Region und Vermögensstand. Zum Beispiel müsste man in Los Angeles 1,25 % pro Jahr (die Freibetragsgrenze liegt bei 5.000 Euro, was die Vermögensteuer zu einer der wichtigsten Ein­ nahmequellen macht) zahlen und in Burlington/Vermont 2 %. In Letzterem ist der größte Teil der Einnahmen für das Bildungssystem zweckgebunden. Auf Grund der großen budgetären Schwierigkeiten im Zuge der Finanzkri­ se hat heuer (2012) auch Irland trotz heftigster Proteste der Hausbesitze­ 40


rInnen eine neue Property Tax in der Höhe von 100 Euro pro Haushalt ein­ geführt. Für Zweitwohnsitze bzw. Immobilien, die nicht als Hauptwohnsitz dienen, wurde schon bisher ein höherer Satz, nämlich 200 Euro eingehoben.

Anmerkungen

Im Hochsteuerland Dänemark wird neben einer aufkommensstarken natio­ nalen Property Tax von 1 % bzw. 3 % (bei Besitz mit einem Wert über 400.000 Euro) des Handelswertes der entsprechenden Immobilie auch zusätzlich eine Grundsteuer auf lokaler Ebene eingehoben. Diese variiert zwischen 1,6 % und 3,4 % des Handelswertes des Grundstückes, je nach Region. In Frankreich wurde unter Präsident Mitterand 1981 eine klassische Ver­ mögensteuer eingeführt, die bis heute gilt und die, obwohl oft totgesagt, lebendiger scheint denn je zuvor. Sie trägt heute immerhin 3,4 % zum Brut­ toinlandsprodukt bei. Mehr als eine halbe Million EinwohnerInnen zahlen im Jahr insgesamt 3,2 Mrd. Euro in die französische Staatskasse. Der aktu­ elle französische Präsident François Hollande hält die Vermögensteuer für ein notwendiges steuerpolitisches Korrektiv zur Mehrwertsteuer, die keine Steuerprogression kennt und deshalb schon im Ansatz verteilungspo­ litisch ungerecht ist. Daher wurde 2013 das Einnahmensaufkommen aus der Vermögensteuer um weitere 2 Mrd. Euro erhöht. Auch in Spanien und Norwegen gibt es eine Vermögensteuer im Sinne des ÖGB-Modells. Vermögensbezogene Steuern als Anteil der Gesamtsteuereinnahmen 2010 Vermögensbezogene Steuern (als Anteil am Gesamtsteueraufkommen) 14

12,8

12,1

12

11,5

10

9,3

8,5

8

7,4

6,4

6

5,4

4,8

4,2

4,0

4

2,4

2

2,3

1,3

1,3

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Quelle: OECD Erbschaftssteuer

Ein falscher Weg? Abschaffung der Erbschaftssteuer Hohe Vermögen kann man in der Regel nur dann haben, wenn man etwas geerbt hat. Auch im Bereich der höheren Einkommen verdient man im Lauf eines Erwerbslebens nicht so viel, dass man ein großes Vermögen auf­ bauen kann. Das ist nur möglich, wenn es zu Erbschaften kommt. Die Erbschaftssteuer war ein Mittel, um die sich vergrößernde Ungleichverteilung von Vermögen zumindest abzumildern. Die Erbschaftssteuer als eine der wenigen vermögensbezogenen Steuern in Österreich brachte trotz Steuerfreiheit für Sparguthaben immerhin Einnahmen von 130 bis 140 Mio. Euro. Insofern ist die Abschaffung der Erbschaftssteuer im Zuge des Spruches des Verfassungsgerichtshofes vom 17. März 2007 ein weiterer Schritt in die falsche Richtung, der einerseits zu einer höheren Vermögenskonzentration führt und andererseits dazu, dass die Reichsten immer weniger zum Steuer­ aufkommen beitragen. Anstelle der Abschaffung der Erbschaftssteuer wären verschiedene Arten der Reform möglich gewesen. Mit einer Neu­gestaltung des Einheitswertverfahrens (Hauptkritikpunkt des VfGH) und einer regel­ 41


Anmerkungen

mäßigen Neubewertung bzw. Wertanpassung von Grund- und Immobilien­ vermögen wäre schon viel getan gewesen. Auch hätte man die Anzahl der Steuerklassen reduzieren oder die Freibeträge anders festlegen können. Nachdem knapp die Hälfte des Aufkommens auf 1,3  % der Erbfälle entfiel, kann man der Erbschaftssteuer eine stark umverteilende Wir­ kung nach­sagen. Konkret sorgten zum Beispiel im Jahre 2006 811 ErbInnen für 50   % des Steueraufkommens (bei einer Gesamtzahl von 62.399 ErbInnen!)8. Das AK-Modell

Neuer Vorschlag

Die Arbeiterkammer hat ein eigenes Modell zur Reform der Erbschafts(und Schenkungs-)steuer entworfen: • Finanzvermögen sind wie jede Art des Vermögens steuerpflichtig (das bezieht sich auch auf Bargeld, Sparbücher, Aktien, Kunstsammlungen etc.) • es gibt nur mehr zwei Steuerklassen (nahe Verwandte und andere) statt fünf • die Steuersätze bewegen sich „nur“ mehr zwischen 2  % und 20  % • bis zu 300.000 Euro Steuerfreibetrag • Faire Bewertung von Grundstücken (= jede Gemeinde erstellt einen Grundpreiskataster aufgrund der im Grundbuch ersichtlichen Kauf­ preise und Markterfahrungen; zu den so festgestellten Preisen wird der Gebäudewert nach pauschalen Kubikmeterpreisen je nach Bebauungsart und Alter des Gebäudes dazuaddiert). • Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 Als Reaktion auf die Finanzkrise 2009 und deren Auswirkungen auf die Staatshaushalte wurde in vielen Ländern seitens der Gewerkschaften und vieler NGOs die Einführung einer Finanztransaktionssteuer und einer Ban­ kenabgabe gefordert. Letztere war in Schweden bereits 2009 eingeführt worden, bevor die anderen Länder, auch Österreich, nachzogen.

Finanzkrise

Auch andere vermögensbezogene Steuern wurden in vielen EU-Ländern wieder eingeführt oder angepasst. In Österreich wurde die Vermögenszu­ wachssteuer auf Aktiengewinne und Gewinne aus Immobilienspekulation erweitert. • Finanztransaktionssteuer innerhalb der EU Im Jahr 1972 schlug der Nobelpreisträger JAMES TOBIN die Einführung einer geringen Steuer auf Devisentransaktionen vor. Diese auch als „TobinTax“ bekannte Steuer soll die destabilisierende Wirkung von kurzfristigen Anlagen eindämmen helfen. 80  % des Kapitals, das an der Börse verscho­ ben wird, sind kurzfristige Anlagen mit Laufzeiten unter zwei Monaten.

Finanztrans­ aktionssteuer

Im Jänner 2013 wurde in 11 Länder (Belgien, Estland, Deutschland, Frank­ reich, Griechenland, Italien, Österreich, Portugal, Slowakei, Slowenien und Spanien) innerhalb der EU die Finanztransaktionssteuer beschlossen. Mit der tatsächlichen Einführung ist frühestens Anfang 2014 zu rechnen. Dabei soll der Handel mit Aktien bzw. Anleihen mit 0,1 Prozent und der Kauf von Derivaten mit 0,01 Prozent besteuert werden. Die Steuer kommt zur An­ wendung, sobald der/die KäuferIn, der/die VerkäuferIn oder das Wert­ papier selbst aus einem der elf teilnehmenden Länder kommt. Kritisch ­bewertet werden muss die Tatsache, dass die wichtigen Finanzplätze Groß­ britannien und Luxemburg nicht dabei sind. Prognosen gehen von Mehr­ einnanmen von 31 Mrd. Euro aus, in Österreich soll die Steuer zwischen 500 Mio. und 1 Mrd. Euro in die Staatskasse bringen. 8

42

Siehe WIFO, Perspektiven der Erbschafts- und Schenkungssteuer in Österreich (Mai 2007).


Anmerkungen

12. Welche vermögensbezogene Steuern kennen Sie?

13. In welchen Ländern gibt es eine Vermögensteuer?

43


Ökosteuer in Deutschland

Ökosteuer

Die rot-grüne Regierung von GERHARD SCHRÖDER führte in Deutschland 1999 eine Ökosteuer ein. Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) konnten dadurch bis zu 250.000 neue ­Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Ökosteuer sah eine schrittweise Erhöhung des Kraftstoffpreises, der Stromsteuer und des Heizöls bis 2004 vor. Ein großer Teil der Mehreinnahmen wird für die Pensionsver­ sicherung aufgewendet. Für Produktionsbetriebe gibt es ermäßigte Steuersätze auf Strom und Heizöl, um die Wettbewerbsfähigkeit nicht zu gefährden. Der ökologische Lenkungseffekt lässt sich daran ablesen, dass die Deutschen 2005 um über 22 % weniger Benzin verbraucht ha­ ben als 1999. Die ehemalige rot-grüne Regierung (1998 bis 2005) zur Ökosteuer: „Die zusätzlichen Einnahmen aus der Ökologischen Steuerreform ver­ wendet der Staat zur Senkung der Sozialversicherungsbeiträge und damit der Lohnnebenkosten. Trotz der demographischen Entwicklung in Deutschland – es gibt zunehmend ältere Menschen, die nicht mehr arbeiten und Rentenbezüge erhalten – konnte der Rentenversiche­ rungsbeitrag bereits um 1,2 Prozentpunkte gesenkt werden.“ „Wenn bei der Produktion oder dem Gebrauch eines Produktes Schä­ den entstehen, die nicht der Verursacher zahlt, sondern Dritte, spricht man von externen Kosten. Der Straßenverkehr, zum Beispiel, verur­ sacht jährlich externe Kosten in Höhe von 160 Milliarden Mark (das ist mehr als das Vierfache der Ökosteuer-Einnahmen im Jahr 2003). Das sind zum Beispiel Unfallkosten, Schäden an Gebäuden und Kosten für Lärmschutzmaßnahmen. Wenn die externen Kosten mittels Ökosteu­ ern in den Benzinpreis eingerechnet werden, wird das Verursacher­ prinzip und damit ein Stück Gerechtigkeit verwirklicht.“ „Gerade untere Einkommensschichten fühlen sich durch die Öko­steuer besonders belastet. Isoliert betrachtet führt die ökologische Steuer­ reform in privaten Haushalten, die nicht von der Senkung der Lohn­ nebenkosten profitieren, zu einer geringfügig größeren finanziellen Belastung. Doch in der Gesamtbetrachtung mit der gesenkten Einkom­ mensteuer und erhöhtem Kindergeld werden fast alle Haushalte finan­ ziell entlastet. Für Sozialhilfeempfänger erhöhen sich die Leistungen automatisch, da ihre Heizkosten von den Sozialämtern übernommen werden.“

Ökosteuern

Ökosteuer

Als sogenannte „Ökosteuern“ bzw. Umweltsteuern gelten laut einer inter­ national akkordierten Definition solche Steuern, deren Bemessungsgrund­ lage eine nachgewiesene schädliche Wirkung auf die Umwelt hat. Eine Ökologisierung des Steuersystems ist eine sinnvolle Investition in die Zukunft. Der Energie- und Ressourcenverbrauch muss eingedämmt wer­ den, nachhaltigere Energieformen sollen ausgebaut werden, der öffentliche Verkehr einen höheren Stellenwert einnehmen. Es ist wichtig, in Zukunft einen Anreiz für umweltrelevante Investitionen zu setzen und die Wettbe­ werbsfähigkeit erneuerbarer Energie zu erhöhen. Ökosteuern müssen aus gewerkschaftlicher Sicht aber jedenfalls sozial verträglich eingeführt werden und dürfen die Wertschöpfung und Wettbe­ werbsfähigkeit der Industrie in Österreich nicht gefährden. Wird Energie verteuert, muss auf einer anderen Ebene ein Ausgleich für die Betroffenen 44


geschaffen werden: z. B. durch Steuersenkungen, Ökobonus-Modelle, Miet­ zinsbeihilfenerhöhung, Sanierungsförderungen und geförderte Kredite für überproportional betroffene Haushalte, Lohnnebenkostensenkung für Un­ ternehmen (Kommunalsteuer oder Wohnbauförderungsbeitrag könnten durch Ökosteuern gespeist werden) etc.

Anmerkungen

Neben der stärkeren Besteuerung von Energie gibt es auch viele andere Diskussionsbeiträge und Vorschläge zur Ökologisierung des österreichi­ schen Steuersystems, wie z.B.:

Verschiedene ­Vorschläge

• flächendeckende Kerosinbesteuerung im Flugverkehr (Treibstoff im Luftverkehr wird bislang nicht besteuert) • flächendeckende LKW-Maut • Anhebung der Mineralölsteuer auf Diesel auf das Niveau von Benzin (Diesel ist bzgl. Feinstaubbelastung und CO2-Ausstoß schädlicher als Benzin) • Erhöhung der Normverbrauchsabgabe (NoVA) für Autos mit hohem Verbrauch • Steuerbefreiung für „Bio“-Sprit abschaffen (hoher Flächenbedarf, ­Konkurrenz zu Nahrungsmittelproduktion, Umweltbelastungen durch Dünger) • KFZ-Steuerprivileg für Bauern abschaffen (= Steuerbefreiung für land­ wirtschaftliche Zugmaschinen) • Bodenschutzabgabe (auf verwendete Menge von Pestiziden und Dünge­ mittel)

Wertschöpfungsabgabe Bereits in den 1980er Jahren wurde die Umstellung der Arbeitgeberbeiträge von der traditionellen lohn- auf eine wertschöpfungsbezogene Bemes­ sungsgrundlage gefordert. Der Grund lag im durch zunehmende Rationalisierung und Arbeitslosig­ keit verursachten Einnahmensentgang. Ein Wertschöpfungsbeitrag bezieht sich auf die gesamte Wertschöpfung eines ­Betriebes (= Löhne, Gehälter, Gewinne, Abschreibungen, Zinsen, Mieten, Investitionen etc.). Das bringt folgende Vorteile: • Kostenwahrheit: die Lohnstückkosten (= Arbeitskosten im Verhältnis zur Produktivität) gehören in Österreich zu den niedrigsten in der EU. • Durch eine stärkere Belastung von Kapital kommt es zu einer geringe­ren Belastung des Faktors Arbeitskraft. ArbeitnehmerInnen werden „billiger“, Arbeitslosigkeit sinkt. • Betriebe, die mit hohem Kapitaleinsatz arbeiten, werden dazu animiert, arbeitsintensivere Technologien einzusetzen. • Unternehmen, die nur Rationalisierungsinvestitionen vornehmen und ArbeitnehmerInnen kündigen, entziehen sich dadurch der Finanzie­rung des Sozialstaats. Durch eine Wertschöpfungsabgabe wird das unter­ bunden. Genauer aufgeschlüsselt besteht die Bemessungsgrundlage für eine Wert­ schöpfungsabgabe aus folgenden Komponenten:

Bemessungsgrundlage

• Lohn- und Gehaltssumme • + ArbeitgeberInnenbeiträge (Lohn, DienstgeberInnenbeitrag zum Fami­ lienlastenausgleichsfonds/FLAF, Konsumsteuer) • + Gewinne (– Verluste) • + Abschreibungen • + Fremdkapitalzinsen (hier: Zinsaufwand, der in die Erstellung des Un­ ternehmensproduktes eingeht), Mieten und Pachten 45


Anmerkungen

• + indirekte Steuern (Mineralöl- und Energiesteuern, Tabak- und Alkohol­ steuern) – Subventionen Eine aufkommensneutrale Einführung einer Wertschöpfungsabgabe in Österreich könnte laut einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstitutes (WIFO) durch eine Senkung des lohnbezogenen Beitragssatzes zum FLAF erreicht werden: nämlich von derzeit 4,5  % auf 2,5  %. Bisher gibt es die Wertschöpfungsabgabe nur in Italien. 14. Ökosteuer und Wertschöpfungsabgabe haben beide einen ähnlichen Lenkungseffekt. Welchen?

46


Literaturverzeichnis

Anmerkungen

AK Wien (Hg.): Verteilungspolitik. Wo bleibt die Verteilungsgerechtigkeit? 2 Bände (Wien 2012). Bäcker, G./R. Bispinck/K. Hofemann/G. Naegele (2000): Sozialpolitik und soziale Lage in Deutschland, 3. Auflage, Band 1: Ökonomische Grundlagen, Einkommen, Arbeitsmarkt, Arbeit und Gesundheit, Wiesbaden. Bäcker, Gerhard/Angelika Koch: Die Jungen als Verlierer? Alterssicherung und Generationengerechtigkeit, in: WSI-Mitteilungen 2/2003, 111–117. Bundesministerium der Finanzen (Deutschland): Die wichtigsten Steuern im Internationalen Vergleich 2011 (Berlin 2012). Der Überblick Nr. 1/2001: Wege der sozialen Sicherung. Flora, P. (1986): Introduction, in: ders. (Hg.): Growth to Limits, Vol. 1, Berlin/ New York, XI–XXXVI. Gall, Franz: Einzelwirtschaftliche Bemessungsgrundlagen einer Wertschöp­ fungsabgabe. In: WISO 01/2004, 91–106. Genschel, Philipp (2000): Der Wohlfahrtsstaat im Steuerwettbewerb, in: Zeit­ schrift für Internationale Beziehungen 7 (2), 267–296. Genschel, Philipp (2003): Die Globalisierung und der Wohlfahrtsstaat. Ein Literaturrückblick. MPJfG Working Paper 03/5, Mai 2003. Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger (2007): Handbuch der österreichischen Sozialversicherung. Nohlen, Dieter/Rainer-Olaf Schultze/Suzanne S. Schüttemeyer (1998): Lexikon der Politik, München. Katzian, Wolfgang/Lucia Bauer/David Mum (Hg.): Verteilen statt verspielen. Wege zu mehr Verteilungsgerechtigkeit, Wien 2012. Obinger, Herbert (2003): Die Politische Ökonomie des Wirtschaftswachstums, in: ders./U. Wagschal/B. Kittel (Hg.): Politische Ökonomie, Opladen, 113–150. Obinger, Herbert/Emmerich Tálos (2006): Sozialstaat Österreich zwischen Kontinuität und Umbau. Eine Bilanz der ÖVP/FPÖ/BZÖ-Koalition, Wiesbaden. Schürz, Martin (2007): Erbschaften und Vermögensungleichheit in Österreich. In: Wirtschaft und Gesellschaft (Heft 2/2007) 231-254. Tálos, Emmerich (2005): Vom Siegeszug zum Rückzug. Sozialstaat Österreich 1945–2005, Innsbruck. Tanzi, Vito (1999): Globalisierung und Finanzierung von Sozialschutz. Wahl, Peter (2005): Internationale Steuern. Globalisierung regulieren – Ent­ wicklung finanzieren. WIFO (2007): Perspektiven der Erbschafts- und Schenkungssteuer in Öster­ reich.

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Beantwortung der Fragen

Anmerkungen

F 1:

Wohlfahrtsstaatliche Politik garantiert unter gewissen Voraussetzun­ gen ein Einkommen unabhängig vom Markt, sie ist auf existenzielle Grundrisiken wie Krankheit, Arbeit und Arbeitslosigkeit gerichtet; wohlfahrtsstaatliche Interventionen gründen sich (im Unterschied zur früheren Armenfürsorge) auf Rechtsansprüche.

F 2: Für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis Ende der 1970er Jahre. Danach folgten Stagnation und zum Teil Rückbau. F 3:

Auf das Pensionsversicherungssystem.

F 4: Frankreich. F 5:

In der Pensionsversicherung, und hier insbesondere in der Pensions­ versicherung der Selbstständigen und der Bauern.

F 6:

In Irland, Dänemark und Belgien.

F 7: Sozialausgaben führen über steigende Arbeitgeberbeiträge zu Ver­ teuerung der Produktion; struktureller Nachteil gegenüber kosten­ günstiger produzierenden Ländern; Firmensitz- und Arbeitsplatz­ verlagerungen ins Ausland; demographische Veränderungen führen zu einer Unfinanzierbarkeit der derzeitigen Sozialleistungen. F 8: Nein, die diesbezüglichen Untersuchungsergebnisse sind wider­ sprüchlich. F 9:

Das Verhältnis von BeitragszahlerInnen zu Pensionen.

F 10: Eine Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge würde den Produk­ tionsfaktor Arbeit weiter verteuern (d. h. die Lohnnebenkosten anhe­ ben) – verbunden mit potenziell negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. F 11: Teure Umstellung, hohe Verwaltungskosten, Marktrisiko, Kosten für Marketing, unsichere Ersatzraten. F 12: Vermögensteuer, Erbschaftssteuer, Schenkungssteuer, Besteuerung von Privatstiftungen, Tobin-Tax. F 13: Frankreich, Schweiz, Spanien, USA, Kanada, Australien. F 14: Lohnnebenkosten sinken, Arbeit wird billiger.

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