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7IRTSCHAFT Bruno Rossmann, Christa Schlager
Der Üffentliche Sektor in Österreich – Teil I
Rahmenbedingungen, Umfang und Aufgaben
INHALT
Einleitung Neue Rahmenbedingungen fßr die Budgetpolitik Die Konvergenzkriterien des Vertrages von Maastricht Der Stabilitäts- und Wachstumspakt Qualität und Nachhaltigkeit der Üffentlichen Finanzen Der Öffentliche Sektor Umfang des Staates Aufgaben des Staates Der neoliberalen Herausforderung mit einer Reform des Wohlfahrtsstaates entgegentreten Wandel der budgetpolitischen Strategien in Österreich Beschäftigungs- und Umverteilungswirkungen Üffentlicher Haushalte Beschäftigungs- und Konjunkturpolitik Verteilungspolitik Gender-Budgeting Glossar Ausgewählte Literatur Beantwortung der Fragen Fernlehrgang
Inhaltliche Koordination: 3 4 4 6 9 11 11 14
GĂźnther Chaloupek
15 21 25 25 26 29 33 36 38 43
Stand: Juni 2006
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Wie soll mit diesem Skriptum gearbeitet werden?
Anmerkungen
Zeichenerklärung Frage zum Lernstoff im vorigen Abschnitt (vergleichen Sie Ihre eigene Antwort mit der am Ende des Skriptums ange gebenen).
Anmerkungen: Die linke bzw. rechte Spalte jeder Seite dient zur Eintra gung persönlicher Anmerkungen zum Lernstoff. Diese eigenen Notizen sollen, gemeinsam mit den bereits vorge gebenen, dem Verständnis und der Wiederholung dienen. Schreibweise: Wenn im folgenden Text männliche Schreibweisen ver wendet werden, so ist bei Entsprechung auch die weibliche Form inkludiert. Auf eine durchgehende geschlechtsneu trale Schreibweise wird zu Gunsten der Lesbarkeit des Textes verzichtet.
Arbeitsanleitung – Lesen Sie zunächst den Text eines Abschnitts aufmerksam durch. – Wiederholen Sie den Inhalt des jeweiligen Abschnittes mit Hilfe der ge druckten und der eigenen Randbemerkungen. – Beantworten Sie die am Ende des Abschnitts gestellten Fragen (möglichst ohne nachzusehen). – Die Antworten auf die jeweiligen Fragen finden Sie am Ende des Skrip tums. – Ist Ihnen die Beantwortung der Fragen noch nicht möglich, ohne im Text nachzusehen, arbeiten Sie den Abschnitt nochmals durch. – Gehen Sie erst dann zum Studium des nächsten Abschnitts über. – Überprüfen Sie am Ende des Skriptums, ob Sie die hier angeführten Lernziele erreicht haben.
Lernziele Nachdem Sie dieses Skriptum durchgearbeitet haben, sollen Sie – die neuen Rahmenbedingungen für die Budgetpolitik kennen; – über Umfang und Aufgaben des Staates Bescheid wissen; – begründen können, warum das „Nulldefizit“ keine sinnvolle ökonomi sche Strategie ist und die Argumente in Diskussionen verwenden kön nen; – über die Bedeutung des Staates für Verteilung und Beschäftigung spre chen können sowie wissen, was unter Gender-Mainstreaming zu verste hen ist.
Viel Erfolg beim Lernen!
Einleitung
Anmerkungen
Die Rahmenbedingungen für den öffentlichen Sektor haben sich in den letzten Jahrzehnten stark geändert.
Rahmenbedingungen
Die fortschreitende Globalisierung der Weltwirtschaft stellt die öffent liche Hand vor eine geänderte Wettbewerbssituation. l Der Beitritt zur Europäischen Union brachte weit gehende Änderungen für die Budgetpolitik mit sich (fiskalische Konvergenzkriterien, Stabili täts- und Wachstumspakt, Diskussion über die Qualität der öffentlichen Finanzen), ebenso Veränderungen im Verständnis wohlfahrtsstaatlicher Einrichtungen (Liberalisierung von Einrichtungen der Daseinsvorsor ge). l Modernisierungsstrategien des öffentlichen Sektors wurden auch in Österreich angewendet. l Die Anforderungen seitens der Bürger und Bürgerinnen haben sich ge ändert. l
Gleichzeitig steht der öffentliche Sektor vor neuen Herausforderungen. Die alternde Bevölkerung übt einen Druck auf die Finanzierung der Pensionen und des Gesundheitssektors aus. Die wissensbasierte Gesellschaft erfordert neue Weichenstellungen in der Bildungs- und Ausbildungspolitik. Eine weitere Herausforderung stellt die Erweiterung der Europäischen Union dar.
Neue Herausforderungen
Vor diesem Hintergrund und den herrschenden Megatrends Privatisierung, Deregulierung und monetäre Stabilisierung („Washington-Consen sus“) wurde der Staat in vielen Ländern zurückgedrängt – vielfach ohne entsprechende Überprüfungen und Diagnosen über den Status quo. Aus gewerkschaftlicher Sicht ist der Rückzug des Staates auf die so genannten Kernfunktionen – ohne zu benennen, was damit gemeint ist – wenig sinnvoll. Er ist daher notwendig, sich mit der Rolle des Staates ernsthafter auseinander zusetzen. Es stellt sich die Frage, welche Aufgaben der Staat heute noch erfüllen soll, und mit welchen Instrumenten er dies tun soll. Dabei stehen vor allem die Auswirkungen staatlicher Aktivitäten auf den Wohlstand, auf die Verteilung und Beschäftigung im Brennpunkt – dies vor dem Hintergrund der budgetpolitischen Rahmenbedingen, die sich im Zuge des Beitritts zur Europäischen Union entscheidend geändert haben.
Neoliberaler Mainstream
Neue Rahmenbedingungen für die Budgetpolitik
Anmerkungen
Die Konvergenzkriterien des Vertrages von Maastricht EU-Beitritt 1995
Mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union im Jahre 1995 haben sich die Rahmenbedingungen für die Budgetpolitik wesentlich verändert. Der im Dezember 1991 ausgehandelte Vertrag von Maastricht über die Euro päische Union sieht vor, dass die Budgetpolitik einer Disziplinierung zu unterwerfen ist. Als Zielvorgabe wurden in einem ersten Schritt zwei fiska lische Konvergenzkriterien festgelegt, deren Erreichung die Voraussetzung für den Eintritt in die dritte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) darstellte: das öffentliche Defizit darf nicht höher sein als 3 % des Brutto-Inlandsprodukts (BIP) und die öffentliche Verschuldung des Gesamtstaates nicht höher als 60 % des BIP.
Konvergenzkriterien
Diese beiden Kriterien stellen nach Ansicht der Europäischen Kommission eine dauerhafte Stabilitätsvoraussetzung dar. Gemäß Art. 104 EG-Vertrag (EG-V) verpflichten sich die Mitgliedstaaten, übermäßige öffentliche Defi zite zu vermeiden. Um dies zu garantieren, ist vorgesehen, dass die Euro päische Kommission die Entwicklung der Haushaltslage und der Höhe des Schuldenstandes überwacht. Auch für die Koordination der Wirtschafts politik und für die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank ist das öffentliche Defizit zu einer wichtigen Orientierungsgröße geworden. Es war daher wichtig, sich auf einheitliche Begriffe zu einigen. Dazu bedien te sich die Europäische Kommission eines international vereinheitlichten Rechnungssystems, das eine Volkswirtschaft systematisch und detailliert mit ihren wesentlichen Merkmalen beschreibt. Dieses Europäische System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen 1995, kurz ESVG 95, stellt auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise ab. Neu ist, dass nunmehr der Ge samtstaat im Zentrum des Interesses steht, also die Haushalte des Bundes, der Länder, der Gemeinden und der Sozialversicherungen. Neu festgelegt wurde auch der Begriff des öffentlichen Defizits, des so genannten Maas tricht-Defizits.
ESVG 1995
Staat, administratives/r und Maastricht-Defizit/Überschuss Nach dem ESVG 95 gehören zum Sektor Staat vier Teilsektoren: Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen. In den Teilsektoren Bund bzw. Ländern sind auch die Kammern enthalten, die in Österreich als Interessenvertretungen eine wichtige Rolle spielen. Unter dem Budgetdefizit/-überschuss des Bundes versteht man die Differenz zwischen den Budgeteinnahmen und den Budgetausgaben. Dieses Defizit bzw. dieser Überschuss, das bzw. der in den Voranschlägen und Rechnungsabschlüssen von Bund, Ländern und Gemeinden ausgewiesen wird, nennt man administratives Defizit bzw. administrativen Überschuss. Davon zu unterscheiden ist der Finanzierungssaldo des Sektors Staat, das so genannte Maastricht-Defizit bzw. der MaastrichtÜberschuss, bei dessen Berechnung bestimmte Finanztransaktionen ausgeschieden werden. Dazu gehören vor allem die Zuführung und Auflösung von Rücklagen, die Gewährung und Tilgung von Darlehen sowie der Verkauf und Erwerb von Beteiligungen. Auch bestimmte zeitliche Anpassungen werden vorgenommen.
Bisher verstand man unter dem Budgetdefizit/-überschuss die Differenz zwischen den Budgeteinnahmen und Budgetausgaben. Dieses Defizit bzw. dieser Überschuss, das bzw. der nach wie vor in den Voranschlägen und Rechnungsabschlüssen von Bund, Ländern und Gemeinden ausgewiesen wird, wird als administratives Defizit bzw. administrativer Überschuss bezeichnet. Zum Maastricht-Defizit/Überschuss gelangt man, indem aus dem administrativen Defizit/Überschuss bestimmte Finanztransaktionen ausgeschieden und verschiedene zeitliche Anpassungen vorgenommen werden. Von Bedeutung sind vor allem die Zuführung und Auflösung von Rücklagen, die Gewährung und Tilgung von Darlehen sowie der Verkauf und Erwerb von Beteiligungen.
Anmerkungen
Als Motiv für die fiskalischen Konvergenzkriterien wurde im Wesentlichen geltend gemacht, dass – beruhend auf den Erfahrungen der Vergangenheit – manche Länder ohne strikte Budgetvorschriften exzessive Defizite bzw. Verschuldungsquoten haben könnten. Die hohen Schulden in diesen Län dern würden dann – so wurde argumentiert – zu einem Zinsanstieg im ge samten Euroraum führen, wodurch alle beteiligten Staaten zur Bedienung ihrer Schulden höhere Zinsen in Kauf nehmen müssten. Darin kam ein gewisses Ausmaß an Misstrauen gegenüber Ländern mit hohen Defiziten bzw. Schulden zum Ausdruck (Italien, Belgien, Griechenland, Spanien). Die behauptete Übertragung von Zinserhöhungen auf andere Länder ist al lerdings theoretisch und empirisch wenig abgesichert. Das zeigen die nach wie vor unterschiedlichen Zinsniveaus für Staatsanleihen recht deutlich. Die Gründe für diese Zinsunterschiede liegen weniger in öffentlichen De fiziten und Schulden als vielmehr in der unterschiedlichen Liquidität und dem unterschiedlichen Kreditrisiko eines Landes. Auch psychologische und politische Faktoren dürften eine Rolle spielen.
Motiv für Konvergenzkriterien
Die Nützlichkeit und Sinnhaftigkeit der Fiskalkriterien wurden von wis senschaftlicher sowie von Seite der Arbeitnehmervertretungen von Anfang an in Frage gestellt. Dabei wurde vor allem kritisiert, dass l sie keinen Bezug zur Währungsunion haben, weil sich die Frage, ob die Verschuldungspolitik eines Landes auf Dauer möglich ist, unabhängig vom Geld- und Wechselkursregime stellt, l die Kriterien eine willkürliche Zielvorgabe darstellen und dass l sie keine Rücksicht auf die konjunkturelle Situation eines Landes neh men und die damit verbundenen sozialen und beschäftigungspolitischen Konsequenzen ignorieren.
Kritik
Es wurde weiters als Fehler betrachtet, dass die Budgetpolitik durch die Bindung an strikte Regeln in ihrem Spielraum eingeschränkt wird. Das deshalb, weil die einzelnen Länder in der Wäh rungsunion ohnehin bereits die Geld- und Wechselkurspolitik an die Europäische Zentralbank abgegeben haben. Ein bekannter amerikanischer Ökonom, Paul Krugman, ging sogar so weit, die Kriterien als glatten Unsinn („sheer nonsense“) zu bezeichnen. 1. Was versteht man unter dem Maastricht-Defizit?
Anmerkungen
2. Wie wurde die Einführung der fiskalischen Konvergenz kriterien begründet?
Der Stabilitäts- und Wachstumspakt Der Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP), der auf Betreiben Deutschlands für die dritte Stufe der WWU zu Stande kam und der bei der Tagung des Europäischen Rates in Amsterdam 1997 beschlossen wurde, brachte eine Verschärfung der Budgetkriterien mit sich. Der Europäische Rat unterstrich damit noch einmal die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, übermäßige öffentliche Defizite für immer zu vermeiden. Gesunde Staatsfinanzen wer den als Mittel zur Verbesserung der Voraussetzung für stabile Preise und für ein starkes Wirtschaftswachstum gesehen, das der Schaffung von Ar beitsplätzen förderlich ist. Mit dieser Wirtschaftspolitik, die die Preisstabi lität gegenüber der Vollbeschäftigung eindeutig in den Vordergrund stellt, ist Europa in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bisher nicht wirklich vorangekommen. Das zeigen die nach wie vor hohen Arbeitslosenquoten.
Preisstabilität statt Vollbeschäftigung
Europäische Zentralbank (EZB) als Hüterin der Preisstabilität Bei der Ausgestaltung der Wirtschaftspolitik hat die EZB eine wichtige Rolle. Sie ist als unabhängige Institution praktisch ausschließlich der Preisstabilität verpflichtet und sie kann dieses Ziel auf Kosten anderer Ziele wie Wachstum und Beschäftigung erreichen. Schlagen sich etwa hohe Lohnforderungen der Gewerkschaften tatsächlich in einer Erhöhung der Inflationsrate nieder, dann wird die EZB die Zinsen erhöhen, um dem Inflationsanstieg gegenzusteuern. Sie erreicht zwar ihr Ziel der Preisstabilität – und sichert sich damit ihren Ruf –, aber die gestiegenen Zinsen dämpfen das Wachstum und damit die Beschäftigung. Die EZB als Hüterin der Preisstabilität sieht ihre Rolle darin, eine strenge Mahnerin der Budgetkonsolidierung zu sein. Zentrale Elemente des SWP sind ein budgetäres Frühwarnsystem und der Sanktionsmechanismus. Das Frühwarnsystem zielt darauf ab, dass übermäßige Defizite von vornherein vermieden werden. Zu diesem Zweck müssen die Mitgliedstaaten der Währungsunion in jährlichen Stabilitäts programmen ihre mittelfristigen Budgetziele festlegen, die von der Euro päischen Kommission und vom Rat der Wirtschafts- und Finanzminister (ECOFIN-Rat) überwacht werden1). Dabei haben sich die Wirtschafts- und Finanzminister der EU zunächst mittelfristig auf einen nahezu ausgegli chenen Haushalt bzw. auf Budgetüberschüsse geeinigt. Besteht die Gefahr, dass ein Land die maximal zulässige Grenze von 3 % des BIP überschreitet, so wird es durch den ECOFIN-Rat aufgefordert, entsprechende Konsolidie rungsschritte in die Wege zu leiten. Für den Fall, dass keine Korrekturen
Frühwarnsystem
1)
Jene Länder der EU, die nicht an der Währungsunion teilnehmen, müssen so genannte Kon vergenzprogramme vorlegen.
erfolgen und der Grenzwert überschritten wird, kann der ECOFIN-Rat finanzielle Sanktionen über ein Mitgliedsland verhängen. Die Sanktions zahlungen sind in einem komplizierten Verfahren geregelt und bewegen sich zwischen 0,2 % bis 0,5 % des BIP.
Sanktionen
Mit Fortdauer des SWP hat sich die Auslegung des ECOFIN-Rates in Be zug auf das mittelfristige Budgetziel zunehmend verschärft. Während ursprünglich lediglich dafür Sorge getragen werden sollte, dass die er laubte Grenze von 3 % im Konjunkturabschwung nicht überschritten wird, mussten später zusätzliche Spielräume für unvorhergesehene Ereignisse und zukünftige finanzielle Belastungen aus der zu erwartenden Bevölke rungsalterung geschaffen werden. Der ECOFIN-Rat ging daher dazu über, dass die Mitgliedstaaten im Allgemeinen ausgeglichene Budgets aufweisen müssen bzw. unter Berücksichtigung der demographischen Entwicklung sogar Budgetüberschüsse anzustreben sind. Das bildete den Maßstab, an dem die jeweils neuesten Stabilitätsprogramme der Mitgliedstaaten gemes sen werden. Ähnlich wie die fiskalischen Konvergenzkriterien wurde der Stabilitätsund Wachstumspakt auch deshalb kritisiert, weil er nicht ausreichend Rücksicht auf Konjunkturabschwünge nimmt. Diese Kritik wurde seit dem Einsetzen des Konjunkturabschwungs 2001 verstärkt vorgetragen. Selbst eine im März 2003 vom Europäischen Rat verabschiedete geringfügige Flexibilisierung des SWP brachte wenig Erleichterung, weil gleichzeitig eine striktere Einhaltung des Ziels solider und tragfähiger öffentlicher Fi nanzen festgeschrieben wurde: Alle Länder, die das Ziel eines ausgegli chenen Haushalts oder Haushaltsüberschusses noch nicht erreicht hatten bzw. hohe Staatsschulden aufwiesen, mussten ihren nicht-konjunkturellen Budgetsaldo jährlich um mindestens 0,5 % des BIP reduzieren. Diese Ver schärfung hat wesentlich dazu beigetragen, dass Europa seit dem Einbruch der Weltwirtschaft im Jahr 2001 in einer Wirtschaftskrise steckt. Die durch den Pakt erzwungenen Ausgabenkürzungen bzw. Einnahmenerhöhungen der öffentlichen Hand haben zu einer deutlichen Verschlechterung der Er wartungen von Haushalten und Unternehmen geführt. Ergebnis war und ist in vielen Ländern eine markante Schwäche der Binnennachfrage, insbe sondere des privaten Konsums. Gleichzeitig gingen aufgrund des Diktats des SWP die öffentlichen Investitionen in vielen EU-Staaten zurück. Diese sind immer noch der zuverlässigste Hebel, um wirksame Beschäftigungsef fekte auszulösen.
Kritik
Im Grunde ist der SWP doppelt „gescheitert“: Erstens hat er zu Ausmaß und Dauer der Stagnation beigetragen, und zweitens konnte er einen mar kanten Anstieg der Budgetdefizite in vielen Mitgliedstaaten nicht verhin dern. Immer mehr Mitgliedstaaten wiesen übermäßige Defizite auf bzw. überschritten die 3 %-Grenze – darunter mit Deutschland, Italien und Fran kreich die größten Volkswirtschaften der EU. Der Druck zu einer Korrektur des SWP stieg an, nachdem im November 2003 das Defizitverfahren gegen Deutschland und Frankreich entgegen den Empfehlungen der Europäischen Kommission ausgesetzt worden war und nachdem das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, den die Kommission daraufhin angerufen hatte, ergangen war (Juni 2004). Damit war der Weg für eine Reform des SWP und seiner grundsätzlichen Fehlkonzeptionen frei. Diese lagen im Zwang zu ausgeglichenen Haushalten selbst in wirtschaft lich schlechten Zeiten. Umgekehrt standen in wirtschaftlich guten Zeiten die Türen für Steuersenkungen und Ausgabenerhöhungen weit offen. Es bestanden keinerlei Anreize, die Budgets dann zu sanieren, wenn die Steu ereinnahmen wieder reichlich in die Staatskassen fließen und die Arbeits losigkeit sinkt. Durch das ausschließliche und hartnäckige Festhalten an der fiskalischen Nachhaltigkeit werden andere Ziele der Budgetpolitik, wie die Stabilisierung der Konjunktur, die Förderung des Wachstums, die
Reform des Stabilitätsund Wachstumspaktes
Anmerkungen
Verringerung der Arbeitslosigkeit und die ausreichende Bereitstellung von Infrastrukturinvestitionen hintangestellt. Und schließlich wird der Steuer unterbietungswettlauf im Bereich der Unternehmens- und Kapitalsteuern völlig ausgeblendet. Nach monatelangen, teils zähen Verhandlungen stimmte der Europäische Rat im Frühjahr 2005 einer Reform des SWP zu, der die Spielräume der nationalen Fiskalpolitik gegenüber dem bisherigen Vertrag erweitert. Die Reform setzt an der Neufestlegung des mittelfristigen Haushaltsziels und am Verfahren bei einem übermäßigen Defizit an. An der 3 %-Defizit-Grenze wird als Referenzwert festgehalten.
Berücksichtigung von Länderspezifika
Bei der Neufestlegung des mittelfristigen Haushaltsziels (Ausgleich oder Überschuss) werden nunmehr länderspezifische Unterschiede (Höhe des Schuldenstandes, Wachstumspotenzial) berücksichtigt. Ziel dieser Neure gelung ist die Schaffung von Spielraum für öffentliche Investitionen, wobei allerdings zur Sicherung der fiskalischen Nachhaltigkeit ein ausreichender Sicherheitsabstand zur 3 %-Defizit-Grenze einzuhalten ist. Länder mit nied rigen Schuldenquoten und hohem Wachstumspotenzial dürfen das (struk turelle) Defizit von 1 % des BIP nicht überschreiten, umgekehrt müssen Länder mit hohem Schuldenstand und niedrigem Wachstumspotenzial ausgeglichenen Haushalte oder sogar Überschüsse aufweisen. Jene Länder, die höhere Defizite aufweisen, müssen dieses wie bisher jährlich um min destens 0,5 % des BIP reduzieren. Ein vorübergehendes Abweichen von diesem Budgetpfad ist erlaubt für Länder, die Strukturreformen vorgenom men haben (Pensionsreformen mit einem Umstieg auf ein Mehr-SäulenSystem mit einer verpflichtenden, kapitalgedeckten Säule).
Gelockerte 3 %-Regelung
Gelockert werden zweitens die Bestimmungen, die eine vorübergehende Überschreitung der 3 %-Grenze zulassen: Nunmehr reicht dafür bereits eine negative Wachstumsrate des BIP aus, bisher ist das nur bei einem jährlichen Rückgang des realen BIP von mindestens 2 % möglich gewesen. Die Obergrenze darf auch bei Vorliegen anderer Ausnahmetatbestände vorübergehend überschritten werden. Dazu gehören Maßnahmen zur Ver besserung der Qualität der öffentlichen Finanzen (Ausgaben für Innova tionen, Forschung&Entwicklung), aber auch budgetäre Maßnahmen, die der Vereinigung von Europa dienen (Umstellungskosten der osteuropä ischen Volkswirtschaften, Kosten für die deutsche Wiedervereinigung). Auch die Fristen zur Beseitigung von Defiziten über 3 % des BIP wurden in besonderen Umständen verlängert, insbesondere dann, wenn eine uner wartete Verschlechterung der Wirtschaftslage mit negativen Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte eintritt.
Kritik an der Reform
Die Meinungen darüber, inwieweit diese Reform die budgetären Spielräu me tatsächlich erweitert hat, gehen weit auseinander. Es gibt viele Exper ten/-innen und Politker/-innen, denen die Flexibilisierung zu weit gegan gen ist. Aus gewerkschaftlicher Sicht greift diese Reform jedoch bei weitem zu kurz. Es tritt zwar eine Flexibilisierung ein, die wesentlichen Fehlkonzeptionen bleiben jedoch bestehen. Der neue SWP ist in unterschiedlichen wirtschaftlichen Situationen nach wie vor nicht symmetrisch. Überschrei tungen der Defizitobergrenze sind zwar möglich, aber die Neuregelung ist sehr vage, so dass Streitigkeiten zwischen der Europäischen Kommission und dem ECOFIN-Rat vorprogrammiert sind. Umgekehrt fehlen im neuen SWP Anreize zur Konsolidierung im Konjunkturhoch. Die Neufestlegung des mittelfristigen Haushaltsziels und des Anpassungspfads ist nach wie vor zu rigide festgelegt. Erleichterungen sind nur für Staaten mit niedrigen Schuldenquoten und hohem Wachstumspotenzial vorgesehen. Sie sind also zugeschnitten auf die neu beigetretenen Staaten und nicht auf Länder wie Deutschland, Frankreich oder Italien, die zum Zeitpunkt der Reform hohe Defizite aufwiesen. Die öffentlichen Investitionen finden im neuen Ver tragswerk zwar Erwähnung, eine Defizitfinanzierung ohne Anrechnung auf die Staatsschulden – also die so genannte „goldene Finanzierungs
regel“ – ist jedoch nicht vorgesehen. Insgesamt bleibt der SWP einseitig auf die fiskalische Nachhaltigkeit ausgerichtet, andere Ziele der Fiskalpolitik, insbesondere die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, bleibt weitgehend aus geblendet. Er war und ist ein Stabilitätspakt, aber kein Wachstumspakt, der geeignet wäre, das zentrale Problem der europäischen Wirtschaft, die schwache Binnennachfrage, zu beheben.
Anmerkungen
Die Gewerkschaften und Arbeiterkammern fordern daher fiskalpolitische Regeln, die es Europa ermöglichen, aus der Wirtschaftskrise herauszu wachsen. Dazu gehören:
Forderungen
Herausnahme der öffentlichen Investitionen aus der Defizitberechnung („goldene Finanzierungsregel“; zur Begründung siehe Abschnitt „Wan del der budgetpolitischen Strategien in Österreich“) l Sicherung der fiskalischen Nachhaltigkeit durch eine langfristig stabile Schuldenquote des Staates (Staatsschulden in Prozent des BIP) l erhöhte budgetpolitische Spielräume bei einem Anstieg der Arbeitslosig keit l Übergang zu einer Budgetsteuerung auf Basis verbindlicher Ausgaben obergrenzen, um einen Anreiz zur Budgetkonsolidierung im Konjunk turaufschwung zu schaffen l Koordination der Fiskalpolitik auf Ebene der EU sowie Übergang zu einer Geldpolitik der Europäischen Zentralbank, die sich vorrangig am Wirtschaftswachstum und an der Beschäftigung orientiert l Maßnahmen auf europäischer Ebene zur Senkung des Steuerwettbe werbs vor allem im Bereich der Unternehmensbesteuerung (Harmonisie rung der Körperschaftsteuer) l
Qualität und Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen Da viele der EU-Staaten vor dem Einsetzen des Konjunkturabschwungs (2001) ihre Budgets ausgeglichen bzw. Budgetüberschüsse erreicht hatten, verlegte sich die Diskussion über die Budgetpolitik auf EU-Ebene zuneh mend auf die Frage der Qualität und Nachhaltigkeit der öffentlichen Fi nanzen. Eingeleitet wurde die Diskussion bei der Tagung des Europäischen Rates in Lissabon im Frühjahr 2000. Bei der Verbesserung der Qualität und Nachhaltigkeit geht es vor allem um folgende Punkte: Ausgabenkürzungen und Verbesserungen der Finanzkontrolle Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte soll eher durch eine Zu rückhaltung bei den Ausgaben als durch Erhöhungen der Steuern und Abgaben erfolgen. Die öffentlichen Haushalte sollen über den gesamten Konjunkturzyklus mehr oder weniger ausgeglichen sein, und die Schul denquote soll kontinuierlich unter 60 % des BIP sinken. l
Strukturelle Umschichtung der Ausgaben Die öffentlichen Ausgaben sollen so umgeschichtet werden, dass zur Stärkung des Wirtschaftswachstums Investitionen in das Human- und Wissenskapital (Infrastruktur, Bildung und Ausbildung, Forschung und Entwicklung) möglich werden. l
Strukturelle Reformen bei den Steuer- und Sozialsystemen Die Abgabenbelastung soll gesenkt und die Effizienz des Steuersys tems erhöht werden. Die Sozialleistungssysteme sollen beschäftigungs fördernd und effizienter gestaltet werden sowie den demographischen Trends Rechnung tragen. Dazu werden langfristige Prognosen vorgelegt, die zeigen, dass es durch die alternde Bevölkerung zu einem beträcht l
Anmerkungen
lichen Druck in Richtung höherer Ausgaben für die Pensions- und Ge sundheitsvorsorge kommt. Es gehe daher darum, die langfristige Trag fähigkeit der öffentlichen Finanzen über die bereits erfolgten Reformen hinaus durch weitere Reformen, insbesondere der Pensions- und Ge sundheitssysteme, abzusichern.
Budgetstrukturpolitik vs. Budgetsaldos
Der Schwerpunkt wird also nicht mehr nur auf die Erreichung eines be stimmten Budgetsaldos gelegt. Es geht vielmehr um Budgetstrukturpolitik, also um die Frage, wofür der Staat Geld ausgeben soll. Bisher war das eine autonome Entscheidung Österreichs. Jetzt wird diese Diskussion zum Anlass genommen, um vor zukünftigen Risken zu warnen, insbeson dere jenen Risken, die sich aufgrund der demographischen Entwicklung ergeben. Zur Bewältigung der Probleme einer alternden Gesellschaft (Pen sionen, Gesundheitsversorgung, Pflege) werden von den Mitgliedstaaten weitere Überschüsse gefordert, um die öffentlichen Haushalte gegenüber möglichen Budgetbelastungen abzusichern. Da sich immer irgendwelche Begründungen für budgetäre Vorsorgen finden lassen, führen Empfeh lungen dieser Art zu weiteren Einschränkungen der nationalen Handlungsspielräume der Budgetpolitik, für die es keine wirtschaftspolitische Rechtfertigung gibt. Sie engen nicht nur den budgetpolitischen Spielraum ein, sie sind vor allem geeignet, einen schlankeren (Sozial)Staat im eigenen Land durchzusetzen. Als Eingriff in die nationale Budgethoheit sind solche Empfehlungen daher aus gewerkschaftlicher Sicht strikt abzulehnen. Ferner muss gesehen werden, dass budgetäre Umschichtungen hin zu zukunftso rientierten Ausgaben (Bildung, Forschung und Entwicklung) bei gleich zeitiger Forderung nach ausgeglichenen Haushalten und einer Senkung der Abgabenbelastung zwangsläufig zu Einschränkungen bei den Trans ferausgaben (z. B. Pensionen, Familienförderungen, Arbeitslosengelder) sowie bei öffentlichen Dienstleistungen (Bildung, Gesundheit etc.) führen müssen. Eine Umlenkung zu zukunftsorientierten Budgetausgaben ist nur dann möglich, wenn der Stabilitäts- und Wachstumspakt abgeschafft wird. Eine nachhaltige Budgetpolitik braucht keine ausgeglichenen Haushalte oder „Nulldefizite“, um die Staatsschuldenquote zu stabilisieren. Für eine moderate Senkung der Staatsschuldenquote ist es ausreichend, die Neuver schuldung des Staates im Durchschnitt knapp unter 2 % des BIP zu halten. Fazit: Neue budgetpolitische Rahmenbedingungen engen Handlungsspielraum ein Die in mehreren Schritten erfolgte Disziplinierung der Budget politik (Konvergenzkriterien, Stabilitäts- und Wachstumspakt, Vorgaben hinsichtlich der Budgetstrukturen) hat die Handlungsspielräume der staatlichen (Umverteilungs-)Politik stark eingeengt. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt erlaubt selbst nach seiner Reform bei Konjunkturabschwüngen noch immer kein ausreichendes Gegensteuern. Zusammen mit einer ausschließlich auf Preisstabilisierung ausgerichteten Geldpolitik der EZB schwächt dies das Wirtschaftswachstum und erhöht die Arbeitslosigkeit. Die Verschärfung der fiskalpolitischen Disziplin ist Ausdruck einer geänderten Auffassung bezüglich der Rolle des Staates. Die schrittweise Einengung der Spielräume für die Fiskalpolitik erleichtert zusammen mit der Zielsetzung sinkender Steuer- und Abgabenquoten die Durchsetzung eines schlankeren (Sozial)Staates sowie einen kontinuierlichen Abbau von arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen.
10
Der Öffentliche Sektor
Anmerkungen
Umfang des Staates Wie bereits eingangs erwähnt zählen zum öffentlichen Sektor folgende Sektoren: die Bundesebene, die Länderebene, die Gemeindeebene sowie Sozialversicherungen und die Kammern. Der öffentliche Sektor ist in ent wickelten Volkswirtschaften von beachtlichem Gewicht für Wirtschaft und Gesellschaft. Ein erster Blick in die Statistik zeigt dies: Die Staats(ausgaben)quote – das ist der Anteil der Ausgaben der öffent lichen Hand am Bruttoinlandsprodukt (BIP) – betrug im Jahr 2005 49,6 %. Damit wurden von den öffentlichen Haushalten über 122 Mrd. € ausge geben. Die Ausgabenquote lag damit erstmals seit 1980 unter 50 %. 1993 erreichte die Staatsquote ihren historischen Höchstwert mit 57,9 %. Lang fristig zeigte sich eine Tendenz steigender Staatsquoten. Diese Entwicklung wurde jedoch Mitte der Neunzigerjahre gebremst. Die Trendumkehr er folgte durch ausgabenseitige Budgetkonsolidierungen einerseits und durch verstärkte Budgetausgliederungen andererseits, die oft auch als „Flucht aus dem Budget“ oder „Budgettricks“ bezeichnet werden. Denn sie erlauben, dass die öffentlichen Defizite geringer dargestellt werden können, als sie tatsächlich sind. Durch solche statistischen Umklassifizierungen lassen sich die Maastricht-Kriterien leichter erfüllen, jedoch nimmt dadurch die Aus sagefähigkeit der Daten zum Sektor Staat stetig ab. Um ein vollständiges Bild zu bekommen, müssen für längerfristige Vergleiche diejenigen öf fentlichen Unternehmen, die statistisch zum „staatsnahen Bereich“ gezählt werden, in Analysen miteinbezogen werden.
Staatsquote
Kennzahlen über den Sektor Staat in Österreich gemäß ESVG 1995 (in % des BIP) Finanzie Maastrichtrungssaldo Defizit1)
Einnahmen
Ausgaben
Schulden stand
1976
43,9
47,5
–3,7
–3,7
–
1980
47,7
49,7
–2,0
–2,0
35,4
1985
50,2
53,2
–3,0
–3,0
48,1
1990
48,9
51,5
–2,5
–2,5
56,1
1995
50,3
56,0
–5,7
–5,6
67,9
2000
49,8
51,4
–1,6
–1,5
65,8
2001
50,7
50,8
–0,1
0,0
66,3
2002
50,0
50,7
–0,7
–0,5
66,0
2003 2004 2005
49,2 48,8 48,0
50,9 50,0 49,6
–1,7 –1,2 –1,6
–1,5 –1,1 –1,5
64,4 63,6 62,9
Quelle: Statistik Austria, Stand 3. April 2006, Rundungsdifferenzen nicht aus geglichen. 1)
Einschließlich Zinsströme aus Swap-Vereinbarungen, die der Staat abschließt.
Die Abgabenquote als wichtigste Maßzahl der Staatseinnahmen zeigt das Verhältnis von Steuern und Sozialabgaben am BIP. Analog zu den Ausga ben hatte sie über längere Zeiträume einen steigenden Trend. Auch dieser Trend wurde in den letzten Jahren umgekehrt. Für 2004 wird die Abgaben quote in Österreich auf 42,4 % des BIP geschätzt. Das Land mit der traditio nell höchsten Abgabenquote ist Schweden. Die mittel- und osteuropäischen Staaten haben weitaus niedrigere Abgabenquoten, aber wie aus der Tabelle
Abgabenquote
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Anmerkungen
ersichtlich ist, dadurch geringere Einnahmen und daraus resultierend auch viel niedrigere Sozialausgaben. Eine der aktuell politischen Fragestellun gen ist daher, wie ein ausgebauter Wohlfahrtsstaat wie Österreich bei sin kenden Einnahmen seine Sozialleistungen weiterhin auf hohem Niveau gewährleisten kann.
Steuersenkungs wettlauf in EU
Der Steuersenkungswettlauf auf EU-Ebene – vor allem im Bereich der Un ternehmenssteuern – folgt einer fatalen Logik: Weniger Steuern für Unter nehmen führen zu mehr Realinvestitionen und damit zu mehr Arbeitsplät zen. Übersehen wird dabei, dass im Kontext einer durch den Stabilitäts pakt erzwungenen restriktiven Budgetpolitik die durch Steuersenkungen entstehenden Mindereinnahmen für den öffentlichen Sektor durch Kür zungen der öffentlichen Ausgaben kompensiert werden müssen – mit all den negativen Auswirkungen auf Nachfrage und damit Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum, von den Folgen für den gesellschaftlichen Zu sammenhalt in den Mitgliedstaaten ganz zu schweigen. Eine Harmoni sierung der Körperschaftsteuer-Systeme durch eine Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlagen und die Etablierung eines Mindeststeuersatzes auf europäischer Ebene ist deshalb anzustreben. Einnahmen und Ausgaben des Sektors Staat 2004 für die EU-25 gemäß ESVG 95 in % des BIP Ein- Aus- Finan- Ab- Sozial nahmen- gaben- zierungs- gaben- ausgaben quote quote saldo quote1) quote2) Belgien 50,2 50,2 –0,1 45,3 30,7 Dänemark 56,8 55,1 1,7 49,0 35,6 Deutschland 43,2 46,9 –3,7 38,7 29,9 Estland 37,9 36,4 1,5 32,4 20,6 Finnland 53,0 51,1 1,9 44,2 31,6 Frankreich 49,8 53,4 –3,6 43,2 33,2 Griechenland 43,3 49,8 –6,5 35,1 23,9 Irland 35,1 33,7 1,4 30,0 19,2 Italien 45,3 48,6 –3,3 41,5 29,3 Lettland 35,3 36,2 –1,0 28,7 19,0 Litauen 31,8 33,2 –1,4 28,3 19,5 Luxemburg 44,6 45,3 –0,6 39,9 26,1 Malta 43,6 48,7 –5,1 34,9 25,4 Niederlande 44,5 46,6 –2,1 37,3 25,2 Österreich 48,8 49,9 –1,1 42,4 30,0 Polen 40,9 44,8 –3,9 34,6 26,8 Portugal 43,5 46,5 –3,0 34,6 – Schweden 58,7 57,3 1,4 50,8 37,7 Slowakei 37,4 40,6 –3,2 31,1 16,7 Slowenien 45,4 47,4 –2,0 39,5 28,7 Spanien 38,6 38,8 –0,2 34,7 – Tschechische Republik 41,4 44,3 –3,0 36,3 23,1 Ungarn 44,4 49,7 –5,4 39,0 27,3 Vereinigtes Königreich 40,7 43,7 –3,0 36,7 26,4 Zypern 39,9 44,1 –4,1 34,3 20,6 Quelle: Eurostat Datenbank New Cronos. 1)
Produktions- und Importabgaben, Einkommen- und Vermögensteuern, tatsächliche Sozial beiträge und vermögenswirksame Steuern. 2) Monetäre Sozialleistungen und soziale Sachtransfers.
12
Anmerkungen
Das öffentliche Defizit bzw. der Überschuss (Einnahmen minus Ausgaben) nach Maastricht-Kriterien setzt sich aus den Salden der einzelnen staatli chen Teilsektoren zusammen. Der Bundessektor umfasst dabei die Haus halte des Bundes, der Bundesfonds, der Bundeskammern und des Hoch schulsektors. Die Landesebene umfasst die Bundesländer (ohne Wien), die Landesfonds und die Landeskammern. Die Gemeindeebene beinhaltet die österreichischen Gemeinden inklusive Wien, die Gemeindefonds und Ge meindeverbände. Es zeigt sich, dass nicht alle Sektoren gleich bilanzieren. Der Bundessektor weist demnach durchwegs ein Defizit aus. Die Länderund Gemeindeebene tragen regelmäßig Überschüsse zur Erfüllung der ge samtstaatlichen Finanzierungsvorhaben bei. Diese Lastentragung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden wurde im innerösterreichischen Stabilitäts pakt geregelt (Näheres dazu siehe Kapitel Finanzausgleich). Öffentliches Defizit (–)/öffentlicher Überschuss (+) gemäß ESVG 95, Aufteilung nach Teilsektoren in % des BIP Staat 1988 –3,4 1990 –2,5 1995 –5,7 2000 –1,5 2001 0,0 2002 –0,5 2003 –1,5 2004 –1,1 2005 –1,5
Bundes- sektor –4,5 –3,4 –5,2 –1,6 –0,7 –1,1 –1,8 –1,4 –1,7
Landes- ebene 1,0 0,8 0,1 0,2 0,5 0,4 0,2 0,1 0,1
Gemeinde- SVebene Träger 0,4 –0,3 0,3 –0,2 –0,5 –0,1 0,0 –0,1 0,3 0,0 0,3 0,0 0,2 0,0 0,2 0,0 0,2 0,0
Quelle: Statistik Austria, Stand 3. April 2006. Anmerkungen: Rundungsdifferenzen nicht ausgeglichen.
Darüber hinaus schlägt sich ein wichtiger Teil staatlicher Maßnahmen gar nicht in Ausgaben oder Einnahmen öffentlicher Haushalte nieder, obwohl diese Maßnahmen erhebliche wirtschaftspolitische Bedeutung haben kön nen. Man denke dabei etwa an die wirtschaftlichen Effekte von Maßnahmen des Sozial- und Arbeitsrechtes (Schutzbestimmungen, Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall), der Umweltpolitik (Auflagen und Verbote) oder an die Möglichkeit des Staates, Private ganz oder teilweise zu unentgeltlichen Dienstleistungen zu verpflichten (Wehrdienst, Steuereinhebung). 3. Was ist die Abgabenquote? Hat Österreich im Vergleich zu anderen Staaten eine niedrige oder hohe Abgabenquo te? Kann eine sinkende Steuer- und Abgabenlast langfristig auch negative Effekte haben?
13
Aufgaben des Staates
Anmerkungen
In einer modernen Volkswirtschaft hat der öffentliche Sektor sehr verschie denartige Aufgaben zu erfüllen. In der wissenschaftlichen Literatur wird dabei üblicherweise von drei Arten öffentlicher Funktionen ausgegangen, der Allokationsfunktion, der Verteilungsfunktion und der Stabilisierungsfunktion. Allokationsfunktion: Hier handelt es sich um das Problem, dass der Marktmechanismus ohne staatliche Intervention zu einem gesellschaftlich unerwünschten Ergebnis führen kann. Aufgabe des Staates im Rahmen dieser Funktion ist es daher, das Marktgeschehen zu regulieren.
Allokationsfunktion
Bliebe nämlich das Marktgeschehen sich selbst überlassen – wie dies von konservativer Seite immer wieder gefordert wird –, können Ergebnisse zu Stande kommen, die wirtschafts-, sozial-, umwelt- oder regionalpolitisch nicht akzeptierbar sind. Dazu ein Beispiel: Würden seitens des Staates nicht umweltpolitische Rahmenbedingungen (etwa bestimmte Luftverschmut zungshöchstwerte) festgelegt, wäre der Umweltverschmutzung Tür und Tor geöffnet. Im Rahmen dieser Aufgabenstellung steht dem öffentlichen Sektor eine Vielzahl wirtschaftspolitischer Instrumente zur Verfügung.
Wirtschaftspolitische Instrumente
Dazu gehören etwa: l die direkte Bereitstellung von Gütern durch die öffentliche Hand wie etwa der Bau von Straßen, Schulen, Krankenhäusern usw. l Bereitstellung über öffentliche oder gemeinwirtschaftliche Unternehmen l Einsatz von Steuern und Gebühren als Lenkungsinstrument für Pro duktion und Verbrauch, Steuerbegünstigungen verschiedenster Art l eine Vielzahl von wirtschaftsfördernden Instrumenten (z. B. Investi tionsförderung) l ausgabenseitige Subventionstätigkeit, z. B. zur Forschungsförderung usw. l staatliche Risikoübernahmen durch Gewährung von Bürgschaften und Garantien (z. B. bei Exportgeschäften) l direkte administrative Vorschriften mit entsprechenden Strafsanktionen bei Verletzungen (wie z. B. die Festlegung von Emissionshöchstgrenzen, Arbeitsbewilligung für Ausländer/-innen). Verteilungsfunktion: Wenn die Einkommens- und Vermögensverteilung, die sich aus dem Marktprozess ergibt, nicht den gesellschaftspolitischen Vorstellungen entspricht, kann der Staat durch eine Reihe von Instrumenten Umverteilungseffekte bewirken.
Verteilungsfunktion
Dazu gehören: l der Einsatz von progressiven Steuern (Einkommen-, Lohnsteuer) als Instrument der Umverteilung l die direkte Bereitstellung öffentlicher Leistungen ohne Kostenbeteili gung der Benutzer/-innen (wie z. B. kostenloses Unterrichtswesen) l öffentliche Transferzahlungen zur Absicherung gegen soziale Risken wie Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter oder Invalidität l administrative Regelungen (wie etwa die Festlegung von Mindestlöh nen, Mietpreisregelungen und Ähnliches). 14
Stabilisierungsfunktion: Diese Aufgabenstellung beinhaltet vor allem die kurz- wie auch längerfristige Sicherstellung von Vollbeschäftigung. Ein entsprechender stabilisierungspolitischer Einsatz des öffentlichen Sektors ist insbesondere dann erforderlich, wenn es zu Konjunktureinbrüchen kommt, wie wir dies Mitte der 1970er Jahre, zu Beginn der 1980er Jahre, Anfang der 1990er Jahre und der stagnierenden Wirtschaft seit 2001 erlebt haben. Unterbleiben notwendige Interventionen, erhöht sich die Arbeitslosigkeit.
Stabilisierungsfunktion
Dabei kann sich der Staat u. a. auf folgende Instrumente stützen: l Erhöhung der Staatsausgaben zur Erhöhung der Beschäftigung, z. B. durch aktive Arbeitsmarktpolitik und Investitionen. l Veränderung von Steuern bzw. Gebühren und Tarifen l direkte und indirekte öffentliche Subventionen, etwa Stärkung der Investitions- und Innovationsförderungen zur Belebung der privaten In vestitionstätigkeit l bewusstes Inkaufnehmen von Steuerausfällen und Mehrausgaben im Budget als Folge einer Konjunkturabschwächung (= so genannte „automatische Stabilisatoren“). 4. Was sind die drei Aufgabenbereiche des Staates?
5. Warum werden bestimmte Aufgaben vom Staat wahr ge nommen?
Der neoliberalen Herausforderung mit einer Reform des Wohlfahrtsstaates entgegentreten Staat, zivilgesellschaftliche Institutionen und Märkte bilden die wesent lichen Regulierungsformen des ökonomischen und sozialen Zusammen lebens. Die dominante „Mode“ im öffentlichen Diskurs, aber auch die kon krete Politikausgestaltung innerhalb der Europäischen Union misst derzeit einer Ausdehnung der Rolle der Märkte vor allem zu Lasten jener des Staates hohe Bedeutung zu. 15
Anmerkungen
Die Reduktion des Staates auf seine Kernkompetenzen, Deregulierung/Liberalisierung, Privatisierung und Stabilisierung der Finanzen sind ausgehend von den USA – dort bekannt unter dem Namen „Washington-Consensus“ – nunmehr auch in Österreich zu geläufigen Begriffen geworden, die die Diskussion über den staatlichen Einfluss auf die Entwicklung der sozialen und wirtschaftlichen Situation unseres Landes beherrschen. Diese Tendenzen können unter dem Begriff neoliberale Wirtschaftspolitik zusammengefasst werden.
Schlagwort „Schlanker Staat“
Aktuell wird die Willkür dieser Vorschläge am besten an der Forderung nach Senkung der Abgabenquote auf unter 40 % bis 2010 und langfristig sogar auf 33 % des BIP sowie der Forderung eines „schlanken“ Staates durch eine Reduktion der Staatsausgaben deutlich. Nicht die Staatsaufga ben und -funktionen sollen diskutiert und gegebenenfalls reformiert wer den, Ziel allein ist, den Staatseinfluss zu beschränken. Da das österreichische Abgabensystem eine nur schwach progressive Gesamtwirkung aufweist, sind die Staatsausgaben der wichtigste Hebel für eine Umverteilung von oben nach unten. Die sozialen Transferzahlungen (Familienförderungen, Arbeitslosengelder u. a.) und viele öffentliche Dienstleistungen (Bildung, Gesundheit etc.) kommen den wirtschaftlich und sozial schwächeren Ein kommensschichten stärker zugute als den oberen. Die beabsichtigte Reduk tion der Staatsausgaben zielt damit auf eine Umverteilung zugunsten der oberen Einkommensbezieher/-innen. Verstärkt werden diese Tendenzen mit der Forderung nach einer Senkung der Abgabenquote. Diese „Politik der leeren Kassen“ zielt darauf ab, dem Staat durch Steuersenkungen die finanziellen Ressourcen zu entziehen. Mit dem Hinweis auf Finanzierungs lücken in den öffentlichen Haushalten lassen sich dann Forderungen nach dem Ausbau öffentlicher Güter und Dienstleistungen sowie die Aufrechter haltung (sozial)staatlicher Leistungen leicht zurückweisen.
Verteilungsinteressen
Dadurch wird völlig in den Hintergrund gedrängt, worum es bei der De batte Staat oder Markt gehen soll. In erster Linie geht es um die Aus einandersetzung über die Wichtigkeit unterschiedlicher gesellschaftlicher Aufgaben, d. h. es geht bei der Entscheidung Staat bzw. Markt um die Verteilungsinteressen verschiedener sozialer und ökonomischer Gruppen und die spezifischen Auswirkungen der Maßnahmen auf die Geschlechter. Erst in zweiter Linie geht es um Fragen der Effizienz und Effektivität in der Aufgabenerfüllung. Effizienz und Effektivität Die Effizienz ist ein Maß für die Wirtschaftlichkeit des Mitteleinsatzes. Sie stellt die Kosten der eingesetzten Mittel den erbrachten Leistungen gegenüber. Im Vordergrund steht die Frage: Tut der Staat die Dinge richtig? Die Effektivität vergleicht den tatsächlich erreichten Nutzen der erbrachten öffentlichen Leistungen mit dem angestrebten Ziel. Im Vordergrund steht damit die Frage, inwieweit die erzielten Wirkungen mit den gewählten Zielen übereinstimmen: Tut der Staat die richtigen Dinge? Marktversagen wie auch Staatsversagen sind negative Effekte, die privat wirtschaftliches bzw. staatliches Handeln mit sich bringen. Diese Phäno mene sind ernst zu nehmen, und angemessene Lösungsmöglichkeiten sind von staatlicher Seite her zu entwickeln. Gegen Marktversagen auftreten, heißt die Staatsaufgabe wahrnehmen, um Leistungen für wirklich alle zur Verfügung zu stellen. Im Prinzip lassen sich Leistungen wie Gesundheits wesen, Erziehung, Landesverteidigung, Verkehr usw. auch von privaten 16
Institutionen erbringen. Was die privaten Institutionen jedoch nicht bewerk stelligen können, ist ein vom Einkommen unabhängiger chancengleicher Zugang zu erstellten Leistungen. Darin liegt aus gewerkschaftlicher Sicht der Grund, warum die Verantwortung für und die öffentliche Leistungs erstellung selbst nicht leichtfertig in Frage gestellt werden dürfen.
Anmerkungen
Daher muss auch den Phänomenen des Staatsversagens mehr Beachtung geschenkt werden. Bürokratische Strukturen, mangelnde Mitbestimmung, eklatante Schwächen in der Vermeidung von Kosten und Intransparenz bei Entscheidungen in der öffentlichen Verwaltung beeinträchtigen die Aufgabenerfüllung. Eine umfassende Reorganisation des Staates ist unumgänglich, da eine unbewegliche Verwaltung, die Strukturreformen verschläft, und ineffiziente föderale Strukturen dem neoliberalen Gegenmodell vom „schlanken“ Staat Tür und Tor öffnet. Denn Privatisie rungsforderungen sind vielfach nur eine Reaktion darauf, dass öffentliche Organisationen die notwendige Flexibilität vermissen haben lassen und zu langsam und starr auf gesellschaftliche Veränderungen reagiert haben. Eine österreichische Spielart der Reorganisationsreform waren und sind Budgetausgliederungen von öffentlichen Einheiten, die seit dem Beginn der 1990er Jahre – zunächst beschränkt auf die Bundesebene – verstärkte Bedeutung erlangt haben. „Echte“ Privatisierungen mit Eigentumsübertra gung hat es im Rahmen der Erstellung öffentlicher Güter und Dienstleis tungen in Österreich bisher selten gegeben. Die Erwartungen bei Budget ausgliederungen bestehen vor allem darin, dass durch Anwendung mo derner Methoden der Unternehmensführung und betriebswirtschaftlicher Grundsätze (New Public Management) ein Weg beschritten wird, der zur Budgetkonsolidierung beitragen und einen Weg zur Reform staatlicher Aufgabenwahrnehmung weisen soll. Als Motive für Ausgliederungen wer den üblicherweise folgende Argumente genannt: Erzielung eines höheren Kostendeckungsgrades l Steigerung der Effizienz und Rationalität l höhere wirtschaftliche Flexibilität und mehr Transparenz l
New Public Management (NPM) NPM wird als neue ökonomisch definierte Rolle von Staat und Verwaltung und damit verbunden als neue, an Kategorien des (betriebswirtschaftlichen) Managements ausgerichtete Steuerung der öffentlichen Aufgabenerfüllung verstanden. NPM strebt neue Wirkungsmechanismen im öffentlichen Sektor an und hat das Ziel, die Qualität, die Effizienz und die Effektivität der öffentlichen Aufgabenerledigung zu verbessern. Eine Modernisierungspolitik des öffentlichen Sektors, die jedoch zu einseitig an betriebswirtschaftlichen Grundsätzen anknüpft, läuft Gefahr, den Staat mehr und mehr zu einem Wirtschaftsunternehmen verkommen zu lassen. Es wird dabei außer Acht gelassen, dass sich der Staat grundlegend von der Privatwirtschaft unterscheidet. Der Staat hat im Gegensatz zur Privatwirtschaft gesellschaftspolitische Verantwortung in sozialer, ökonomischer und ökologischer Hinsicht und kann daher nicht ausschließlich an betriebswirtschaftlichen Kriterien gemessen werden. Ein weiteres Defizit des New Public ManagementModells liegt in der mangelnden Einbeziehung der Politik und der fehlenden Beteiligung der Bürger/-innen am Reformprozess.
New Public Management
Auf der Internetseite der Statistik Austria werden mehr als 300 ausgegli ederte Einheiten bei Bund, Ländern und Gemeinden ausgewiesen (Stand Juni 2005). Seit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union werden Ausgliederungen auch vorgenommen, um das Maastricht-Defizit zu senken und damit positive Effekte auf den Schuldenstand zu erreichen und um – oft 17
Anmerkungen
durch Maßnahmen der „kreativen Buchführung“ – die Vorgaben des Sta bilitäts- und Wachstumspakts leichter erfüllen zu können. Besonders deut lich wurde das in den beiden markanten Ausgliederungsjahren 1997 und 2001. Einige wichtige Beispiele für Ausgliederungen sind: Österreichische Bundesbahnen, Wasserstraßendirektion, Bundesimmobiliengesellschaft, Bundesamt für Zivilluftfahrt, Post und Telekom, die Arbeitsmarktverwal tung, die Krankenanstaltenbetriebsgesellschaften, die Gebührenhaushalte der Gemeinden sowie die Universitäten. Der Trend zu Ausgliederungen hält weiter an.
Analyse über Ausgliederungen
Analysen über die bisherigen Ausgliederungen haben gezeigt, dass die Aus gliederungsprojekte zwar zu Budgetentlastungen geführt haben, dass sie aber gleichzeitig auch eine Reihe von Schwachstellen aufweisen. Die bud getäre Entlastung betrug in den Jahren 2001 bis 2004 mehr als 1 Mrd. € oder rund 0,5 % des BIP. Ohne Ausgliederungen wäre somit der ausgeglichene Maastricht-Haushalt im Jahr 2001 nicht realisierbar gewesen. Die Schwach stellen von Ausgliederungen liegen darin, dass häufig keine Erfolgskriterien für die ausgegliederten Unternehmen definiert werden. Weiters fehlen zu Beginn Unternehmenskonzepte ebenso wie begleitende Maßnah men der Organisations- und vor allem der Personalentwicklung. In einigen Fällen wurden durch Ausgliederungen Parallelorganisationen aufgebaut, so dass eine Aufblähung der Bürokratie die Folge war. Schließlich fehlen bis heute Transparenz und effiziente Steuerungs- und Kontrollmechanismen, insbesondere durch das Parlament. Letztere sind insbesondere dann von Bedeutung sind, wenn der Markt als Kontrollmechanismus versagt.
Kritik
Aus gewerkschaftlicher Sicht sind Ausgliederungen jedoch kritisch zu be urteilen, weil sie erstens ein Schritt weg vom Wohlfahrtsstaat hin zum liberalen Wettbewerbsstaat sind und weil zweitens die Budgetentlastungen zum Teil die Folge von Personalabbau sowie von geänderten Dienst- und Pensionsrechten waren. Demgegenüber ist festzuhalten, dass der Konsoli dierungsbedarf zur Erreichung der Vorgaben des Stabilitäts- und Wachs tumspakts ohne Budgetausgliederungen erhebliche Sparmaßnahmen zur Folge gehabt hätte, die sich negativ auf Wachstum und Beschäftigung aus gewirkt hätten. Wenn Ausgliederungen daher volkswirtschaftlich sinnvoll sein sollen und zu einer nachhaltigen Budgetentlastung führen sollen, ist es notwendig, genaue Anforderungen an künftige Budgetausgliederungen zu formulieren, um die bisherigen Fehlentwicklungen zu korrigieren. Mit der Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen auf internationaler Ebene (GATS) und auf der Ebene der Europäischen Union (Gemeinschafts recht) wird ein weiterer Schritt in Richtung des neoliberalen Wettbewerbs staats gesetzt. Im Rahmen der Liberalisierung wurden staatliche Regulierungsbehörden eingerichtet, die den Wettbewerb fördern und überwachen sollen. Trotzdem sind bei weitem nicht alle Liberalisierungsversuche als geglückt zu bezeichnen. Als Beispiele können die Britische Bahn oder das Kalifornische Stromnetz genannt werden. General Agreement on Trade in Services (GATS) Das GATS (General Agreement on Trade in Services) ist ein internationales, multilaterales Vertragswerk der Welthandelsorganisation (WTO), das den grenzüberschreitenden Handel mit Dienstleistungen regelt und dessen fortschreitende Liberalisierung zum Ziel hat. Das GATS gilt nicht nur für den Handel mit Dienstleistungen, sondern auch für den Konsum von Dienstleistungen im Inland sowie die Erbringung von Dienstleistungen durch ausländische Investoren. Das Abkommen hat weitreichende Auswirkungen. Grundsätzlich können die WTO-Mitgliedstaaten selbst bestimmen, welche Dienstleistungsbereiche sie für den Markt öffnen. In den so genannten Länderlisten verpflichten sich die einzelnen Staaten, 18
Anmerkungen
welche Dienstleistungen sie freigeben, bzw. legen fest, welche Einschränkungen es in Bezug auf Marktzutritt und Inländerbehandlung gibt. Der zentrale Diskussionspunkt umfasst die Frage, welche öffentlichen Dienstleistungen unter das GATS fallen. Aus gewerkschaftlicher Sicht besonders problematisch sind Dienstleistungen in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Soziales.
Liberalisierung durch das Gemeinschaftsrecht der EU Die Liberalisierung ist als strategischer Mechanismus zur Vollendung des Binnenmarktes zu sehen. Sie umfasst zwei Ebenen. Die horizontale Ebene umfasst maßgebliche Regulierungsbereiche, die den gesamten Sektor betreffen. Hierzu zählen die Wettbewerbspolitik, das öffentliche Auftragswesen und staatliche Beihilfen. Damit werden insbesondere die Gemeinden von einem weitreichenden Restrukturierungsprozess erfasst, der über einen verpflichtenden Ausschreibungswettbewerb ihren autonomen Entscheidungsspielraum eingeschränkt. Auf der vertikalen Ebene erfolgt die Liberalisierung einzelner Dienstleistungen durch spezifische Regulierungen (Telekommunikation, Strom/Gas, Verkehr etc.). Das Credo der Gewerkschaften – dort, wo es Schwächere gibt, auf ihrer Seite stehen – bedarf weiter der staatlichen Vermittlung. Zur Absicherung sozialer Risken wie Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter oder Invalidität gibt es keine Alternative zur staatlichen Vorsorge. Umverteilung durch öf fentliche Leistungen, durch Steuern und durch Einkommenstransfers ist direkte Hebel zur Durchsetzung der Solidarität in unserer Gesellschaft. Der Staat befindet sich dabei im Spannungsfeld zwischen steigenden Ansprüchen, wachsender Kritik an staatlicher Bevormundung und geänderten supra- und internationalen Rahmenbedingungen. Deshalb muss, und das ist als eine der großen Herausforderungen der Zukunft zu sehen, eine Debatte über einen zukunftsfähigen Wohlfahrtsstaat geführt werden. Dabei gilt es, die traditionellen Stärken des europäischen Sozial modells hervorzuheben, so wie es der US-amerikanische Vordenker Jeremy Rifkin getan hat. Er sieht die europäische Gesellschaftskonzeption, den Europäischen Traum, als globales Zukunftsmodell. Es kann daher nicht angehen, dass dieses europäische Gesellschaftsmodell weiter durch eine Politik der fortgesetzten Liberalisierung, Privatisierung und budgetären Stabilisierung weiter ausgehöhlt wird. Viele Beispiele zeigen, dass das Vertrauen in den Markt bei der Erstellung öffentlicher Güter und Dienst leistungen unbegründet ist. Das Ziel der Gewerkschaften ist ein reformierter, auf die Bedürfnisse der Bürger/-innen ausgerichteter Wohlfahrtsstaat, der auch im Zeitalter der Globalisierung möglich ist. Voraussetzung dafür ist eine Staatsdebatte, in der drei Aspekte von zentraler Bedeutung sind: die Neufestlegung der Funktionen des Staates l die Reorganisation der Aufgabenerfüllung und l die Klärung der Art der Finanzierung. l
Ausgangspunkt für eine so verstandene Neubegründung des Staates ist eine umfassend angelegte Aufgabenreform mit den Zielen der Aufgaben festlegung und der Klärung der Art der Aufgabenerfüllung (öffentlich, erwerbswirtschaftlich, gemischt, autonomer Sektor), ihrer konkreten Um setzung sowie der Klärung der Finanzierung (auf die häufig vergessen wird). Dabei darf jedoch die Kontroverse um die politische Ausgestaltung des (Wohlfahrts-)Staates nicht verwechselt werden mit der Diskussion über die Effizienz und Effektivität der staatlichen Leistungserbringung. Bei der 19
Anmerkungen
e rsten Fragestellung geht es um die Festlegung der Aufgaben des Staates, also um das „Was soll der Staat tun und wo soll er sich zurückziehen?“ und „Für wen soll er es tun?“. Im Gegensatz dazu geht es bei der Reorganisation des Staates in erster Linie um die Art und Weise der Bereitstellung, Gewähr leistung oder Regulierung, also um das „Wie“. Welche Organisationsform heranzuziehen ist, ist jeweils von der Aufgabenstellung abhängig. Jeden falls aber muss die Aufgabenerfüllung bei der Vielfalt der Formen durch den Staat als Garant sichergestellt werden. Die Beantwortung der Fragen des „Was“ und des „Wie“ sowie der Art der Finanzierung sind Fragen, die sich letztlich nur über politische Willensbildungsprozesse bestimmen las sen. Ökonomische Betrachtungen über Markt- und Staatsversagen liefern jedoch wichtige Anhaltspunkte dafür. Eine umfassende Aufgabenreform in diesem Sinn wurde zwar immer wieder gefordert, zuletzt etwa im Rahmen des Österreich-Konvents, sie steht aber nach wie vor aus. In der zu führenden Staatsdebatte müssen von gewerkschaftlicher Seite die Prioritäten klar genannt werden. Vor allem die Auswirkungen staatlicher Aktivitäten auf den Wohlstand, auf die Vertei lung, die Beschäftigung und die soziale Sicherheit müssen im Brennpunkt dieser Analyse stehen. Der Fortbestand des Wohlfahrtsstaates europäischen Zuschnitts wird ohne Kampf um die öffentlichen Güter und Dienstleistun gen nicht zu gewinnen sein. Dieser Kampf muss daher zu einem – welt weit vernetzten – Kernanliegen fortschrittlicher, kollektiver Organisationen – Gewerkschaften, Arbeiterkammern, Parteien – werden. 6. Gibt es Alternativen zum neoliberalen („schlanken“) Wett bewerbsstaat?
20
Wandel der budgetpolitischen Strategien in Österreich
Anmerkungen
Die Entwicklung der öffentlichen Finanzen ist seit dem Beitritt zur Euro päischen Union stark von den oben dargestellten Rahmenbedingungen ge prägt. Hier ist von Interesse, welche politischen Strategien die fiskalischen Konvergenzkriterien bzw. der Stabilitäts- und Wachstumspakt in Öster reich ausgelöst haben. Einen geeigneten Anhaltspunkt für die Suche nach diesen Strategien liefern die Budgetpfade, die die jeweiligen Regierungen ihren Konvergenz- bzw. Stabilitätsprogrammen1 zugrunde gelegt haben. Aus den Österreichischen Konvergenzprogrammen geht hervor, dass die Budgetpolitik in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre zunächst darauf ausgerichtet war, das Maastricht-Defizit bis zum Jahr 1997 unter die er laubte Grenze von 3 % des BIP zu senken, um die Teilnahme an der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion zu sichern. Nach der Errei chung dieses Ziels wurden die Zügel der Budgetpolitik wieder deutlich gelockert, und es trat eine Konsolidierungspause ein. Das budgetpolitische Ziel bestand nach dem ersten Österreichischen Stabilitätsprogramm vom November 1998 darin, das Defizit soweit zu reduzieren, dass es bei normalen Konjunkturschwankungen auch ohne gegensteuernde Maßnahmen unter der 3 %-Grenze gehalten werden kann. Für das Jahr 2002 wurde im Rahmen einer behutsamen Konsolidierung eine Rückführung des Maastricht-Defizits des Staates auf den Zielwert von 1,4 % des BIP angestrebt (siehe Tabelle). Dieses Stabilitätsprogramm entsprach noch dem „Geist“ des Stabilitäts- und Wachstumspakts und wurde vom ECOFIN-Rat auch als zieladäquat ange sehen. Die in der Folge verschärfte Auslegung des Stabilitäts- und Wachs tumspakts durch die Europäische Kommission und den ECOFIN-Rat führte dazu, dass das im März 2000 präsentierte Stabilitätsprogramm mit einem Zielwert von 1,3 % für 2003 von der Europäischen Kommission und vom ECOFIN-Rat heftig kritisiert wurde, weil es wenig ambitioniert sei.
Budgetpolitik im Wandel
Maastrichtsalden für den Staat gemäß Konvergenz-*) bzw. Stabilitätsprogrammen in % des BIP
1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008
Mai 1995
–4,4 –3,8 –3,1 –2,6
Mai 1996
–6,2 –4,5 –3,0 –2,9 –2,6
Oktober 1997
–4,0 –2,7 –2,5 –2,2 –1,9
November 1998
–2,2 –2,0 –1,7 –1,5 –1,4
März 2000
–2,0 –1,7 –1,5 –1,4 –1,3
November 2000
–1,4 –0,75 0,0
November 2001
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,2
0,5
März 2003
–0,6 –1,3 –0,7 –1,5 –1,1 –0,4
November 2003
–0,1 –1,3 –0,7 –1,5 –1,1 –0,4
November 2004
–1,1 –1,3 –1,9 –1,7 –0,8
November 2005 tatsächliches Ergebnis
–5,6 –3,9 –1,7 –2,3 –2,2 –1,5
0,0
–1,0 –1,9 –1,7 –0,8
0,0 0,0
–0,5 –1,5 –1,1 –1,5
Quelle: Österreichische Konvergenz- bzw. Stabilitätsprogramme und Fort schreibungen, Statistik Austria *) bis 1997
1
Zur Zielsetzung und Definition dieser Programme siehe WI-8 „Der öffentliche Sektor in Österreich – Teil II.
21
Anmerkungen
Diese Kritik wurde von der ÖVP/FPÖ-Koalitionsregierung nach der poli tischen Wende zum Anlass für einen Kurswechsel der österreichischen Budgetpolitik genommen. Es ging in der Folge nicht mehr darum, das Budgetdefizit behutsam in Richtung ausgeglichener Haushalte abzusen ken, vielmehr wurde im Stabilitätsprogramm vom November 2000 mit dem abrupten Übergang zu einem „Nulldefizit“ innerhalb von zwei Jahren eine neue budgetpolitische Strategie angekündigt. Dabei wurde in der Debatte immer wieder der Eindruck erweckt, als handle es sich bei der „Nulldefizit“ Regel um eine Konsolidierungsregel, die auf Dauer jährlich ausgeglichene Haushalte anstrebt. Verstärkt wurde dieses Bild durch die Stabilitätspro gramme vom November 2000 und 2001. In einer aus öffentlichen Mitteln fi nanzierten Kampagne „Zukunft ohne Schulden“ versuchte die ÖVP/FPÖKoalitionsregierung permanent das Bild zu vermitteln, dass der Staat vor einem Bankrott stünde und daher ein Sanierungsfall sei.
Staat vs. privater Haushalt
Diese Argumentation greift zu kurz, weil den Schulden des Staates natür lich der Aufbau von Vermögenswerten gegenüberstand, die auch von künf tigen Generationen genutzt werden und die zur Wohlstandssteigerung in Österreich erheblich beigetragen haben. Österreichs Platz im europäischen Spitzenfeld – gemessen am BIP pro Kopf – ist ein Beleg dafür. Auch der in dieser Kampagne häufig strapazierte Vergleich des Staates mit einem pri vaten Haushalt mag zwar für ökonomisch nicht geschulte Menschen plau sibel erscheinen, er übersieht aber, dass sich der Staat von einem privaten Haushalt grundlegend unterscheidet: Er ist quasi „unsterblich“, weil er sich immer wieder neu verschulden kann und er hat im Gegensatz zum privaten Haushalt gesellschaftspolitische Verantwortung zu tragen.
Notwendigkeit von Investitionen
Zudem ist es ökonomisch sinnvoll, bestimmte öffentliche Ausgaben – insbe sondere öffentliche Investitionen mit langfristigen volkswirtschaftlichen Er trägen – durch Kredite zu finanzieren, um auch die künftigen Generationen, denen diese Erträge zugute kommen, über Zins- und Tilgungszahlungen an der Finanzierung zu beteiligen. Die Verteilung der Finanzierungslasten auf künftige Generationen ist daher gerechtfertigt, Staatsschulden sind daher keine unzumutbare Belastung zukünftiger Generationen.
Kriterium: Ausmaß der Staatsschuld
Es sind somit weniger das Budgetdefizit und die Staatsschulden als Quali tätsmaßstab heranzuziehen, entscheidend ist das Ausmaß, in dem der Staat seinen Aufgaben – Bereitstellung von öffentlichen Gütern, Stabilisierung der Konjunktur und Schaffung einer gerechten Verteilung – nachkommt. Das Budget ist in erster Linie ein gesellschaftspolitisches Lenkungsinstru ment, und ein ausgeglichener Staatshaushalt ist kein Ziel an sich. Damit soll nicht einer Verschuldungspolitik das Wort geredet werden. Die kritische Variable ist die aus den Staatsschulden resultierende Zinsenbelastung, vor allem, wenn sie sich sehr dynamisch entwickelt. Sie engt den budge tären Spielraum ein und erzeugt verteilungspolitische Schieflagen, weil die höheren Einkommensgruppen als Kreditgeber von den hohen Schulden profitieren, während sämtliche Steuerzahler/-innen zur Finanzierung der Zinsenzahlungen des Staates beitragen. Der Übergang zu einer beschleunigten Konsolidierung kann allerdings nicht nur auf die striktere Auslegung des Stabilitäts- und Wachstumspakts zurück geführt werden, da die Erreichung eines ausgeglichenen Haushalts damals vom ECOFIN-Rat und der Europäischen Kommission noch als mittelfristi ges Haushaltsziel angesehen wurde. Das „Nulldefizit“ öffentlicher Haus halte als langfristige Politikregel kann sich auch nicht auf die Erkenntnisse der modernen Finanzwissenschaft stützen. Wenngleich die beiden vorherr schenden Finanztheorien (neoklassische Theorie, postkeynesianische Theo rie) keine eindeutige Antwort ermöglichen, so lässt sich doch sagen, dass das „Nulldefizit“ von keiner der beiden als „optimale“ langfristige Budgetregel empfohlen wird. Im Gegenteil, ein „Nulldefizit“ stellt in einer Vielzahl von ökonomischen Situationen eine schädigende Politik dar. Jede der beiden 22
Theorien sieht Gründe für Abweichungen von der „Nulldefizit“-Regel. Die neoklassische Theorie argumentiert mit der Lastenverteilung zwischen den Generationen und die postkeynesianische Theorie mit dem Einsatz des Bud gets für Zwecke der Konjunkturstabilisierung.
Anmerkungen
Politisch begründbar war der Kurswechsel allemal, denn mit der perma nenten Forderung nach einem Sparkurs und nach dem Ende des Schulden machens sollte offensichtlich in der Bevölkerung die Opferbereitschaft er zeugt werden, um die Zustimmung zu den folgenden Sparmaßnahmen zu erhalten. Das politische Symbol „Nulldefizit“ diente dabei als Maßstab für eine solide Finanzpolitik. Aus ökonomischer Sicht unverständlich war es auch, das „Nulldefizit“ zur höchsten wirtschaftspolitischen Priorität hoch zu stilisieren. Sparen wird besonders bedenklich, wenn die Erreichung des „Nulldefizits“ zum alleinigen Erfolgskriterium gemacht wird, denn dann gelten alle Maßnahmen als Erfolg, die zur Zielerreichung beitragen. Zusätzlich versteifte sich die Regierung darauf, den Abbau des Budget defizits über die Ausgabenseite herbeizuführen. Sie stützte sich dabei auf sehr umstrittene ökonomische Thesen, wonach nur ausgabenseitige Kon solidierungen – insbesondere Kürzungen bei den Sozialtransfers und beim Personal – nachhaltigen Erfolg hätten.
„Nulldefizit“ und Folgen
Im Anschluss an den Europäischen Rat von Lissabon im März 2000 ge wann die Frage nach der Qualität und der Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen zunehmend an Bedeutung. In der österreichischen Strategie zur Nachhaltigen Entwicklung, die von der Bundesregierung im April 2002 be schlossen wurde, wurden drei Kernelemente einer nachhaltigen Entwick lung solider öffentlicher Finanzen genauer spezifiziert: nachhaltig solide Staatsfinanzen l keine neuen Schulden und l nachhaltige Rückführung der Steuer- und Abgabenlast l
Damit wurde neuerlich ein Wechsel der budgetpolitischen Strategie voll zogen: Das starre Ziel des „Nulldefizits“ machte der Formel „ausgeglichener öffentlicher Haushalte über den Konjunkturzyklus“ Platz. Diese Kurskor rektur bildete sich fortan in den Budgetpfaden der Stabilitätsprogramme ab März 2003 ab. Es wird davon ausgegangen, dass eine Verschuldungsquote dann nachhaltig ist, wenn der Staat die Schuld finanzieren kann, ohne dass zentrale Staatsaufgaben eingeschränkt werden müssen. Ausgeglichene Haushalte über den Konjunkturzyklus – so wird argumentiert – führen zu einer Stabilisierung der absoluten Verschuldung und damit bei einer wach senden Wirtschaft zu einer Abnahme der Schuldenquote. Nach diesem Verständnis der Nachhaltigkeit tendiert die öffentliche Schuldenquote im Zusammenspiel mit dem SWP sehr langfristig gegen Null. Begründet wird die Notwendigkeit zur Budgetkonsolidierung mit der intergenerationalen Lastenverschiebung. Demgegenüber stützt sich die moderne Finanzwis senschaft heute auf ein anderes Konzept der Nachhaltigkeit. Sie versteht darunter jenen Budgetsaldo (Budgetüberschuss bzw. -defizit), der geeignet ist, eine als optimal empfundene Staatsschuldenquote zumindest zu stabili sieren. Dafür bedarf es nicht notwendigerweise ausgeglichener Haushalte.
Kurskorrektur
Für die Senkung der Abgabenquote wird als Zielwert 40 % des BIP bis 2010, festgesetzt, langfristig soll sie sogar auf 33 % reduziert werden. Diese „Poli tik der leeren Kassen“ zielt darauf ab, dem Staat durch Steuersenkungen die finanziellen Ressourcen zu entziehen. Mit dem Hinweis auf Finanzierungs lücken in den öffentlichen Haushalten lassen sich dann Forderungen nach dem Ausbau öffentlicher Güter und Dienstleistungen sowie die Aufrechter haltung (sozial)staatlicher Leistungen leicht zurückweisen. Hinter der Stra tegie einer Verknappung der Einnahmen bei gleichzeitig ausgeglichenen Haushalten steht das Ziel der Reduktion der Staatsausgaben und damit der neoliberale „schlanke“ Staat. 23
Anmerkungen
Nicht zuletzt bedingt durch die Vorgabe von fiskalischen Grenzwerten steht seit dem EU-Beitritt ein ausgeprägter Salden- und Quotenfetischismus im Zentrum der budgetpolitischen Strategie Österreichs. Der Aspekt der fiskalischen Nachhaltigkeit verdrängte weitgehend andere Ziele der Bud getpolitik, wie die Stabilisierung der Konjunkturentwicklung, Förderung des Wachstums, ausreichende Bereitstellung an öffentlicher Infrastruktur, Verteilungsgerechtigkeit und die Verringerung der Arbeitslosigkeit. Zu dem ist Nachhaltigkeit ja nicht nur fiskalische/ökonomische Nachhaltigkeit sondern auch ökologische und soziale.
Budgetstruktur
Viel entscheidender als der Budgetsaldo sind die Budgetstrukturen, und dafür lassen sich in beiden widerstreitenden ökonomischen Theorien An knüpfungspunkte finden. Bei aller Unterschiedlichkeit der Ansätze sind sich beide Theorien darüber einig, dass die Struktur der öffentlichen Ausga ben von großer Bedeutung und daher eine investitionsorientierte Verschul dung der öffentlichen Haushalte sogar angezeigt ist, und zwar im Sinne einer Wachstums- und Beschäftigungspolitik (postkeynesianische Theorie) bzw. im Sinn der Optimierung der Lastenverteilung (Neoklassische Theo rie). Auf diesen Aspekt hat schon Lorenz von Stein (1878) hingewiesen, indem er meinte: „Ein Staat ohne Staatsschulden tut entweder zuwenig für seine Zukunft, oder er fordert zuviel von seiner Gegenwart.“ 7. Warum ist eine starre „Nulldefizit“-Regel keine sinnvolle ökonomische Strategie?
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Beschäftigungs- und Umverteilungswirkungen öffentlicher Haushalte
Anmerkungen
Beschäftigungs- und Konjunkturpolitik Aufgaben von öffentlichen Haushalten
Den öffentlichen Haushalten kommt im Rahmen der Konjunktur- und Beschäftigungspolitik eine wichtige Aufgabe zu. Für die Beschäftigung sind die öffentlichen Haushalte in zweifacher Hinsicht von Bedeutung: Einerseits beschäftigt der öffentliche Dienst rund 500.000 Personen (Bund, Länder und Gemeinden). Damit ist der öffentliche Sektor nach wie vor der größte Arbeitgeber unseres Landes. Zum anderen werden durch Staatsausgaben und durch Staatseinnahmen Einkommens- und Beschäftigungswirkungen ausgelöst. So führen etwa zusätzliche Staats ausgaben zu Einkommenssteigerungen, deren Ausmaß die Höhe der ur sprünglichen Mehrausgaben übersteigt. Dadurch wird ein so genannter Multiplikatoreffekt ausgelöst.
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Untersuchungen haben gezeigt, dass die Höhe des damit verbundenen Beschäftigungseffektes davon abhängt, wofür das Geld verwendet wird. Den größten Beschäftigungseffekt haben demnach Personalausgaben im öffentlichen Dienst, gefolgt von Infrastrukturinvestitionen (vor wiegend jenen im Hochbau) und von öffentlicher Nachfrage in anderen Industriebereichen. Vergleichsweise geringer sind die Beschäftigungs wirkungen von Einkommenstransfers (Arbeitslosenunterstützung, Pen sionen usw.).
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Aus beschäftigungspolitischer Sicht muss demnach der Staat – insbeson dere in Zeiten knapper Budgetmittel – danach trachten, die Ausgaben in jene Kanäle zu lenken, von denen der größtmögliche Beschäftigungseffekt zu erwarten ist.
Beschäftigungseffekte
Dieser Weg der Nachfragestützung über (kreditfinanzierte) Erhöhungen der Staatsausgaben wurde in Zeiten der Konjunkturabschwächung Mitte der 1970er und zu Beginn der 1980er Jahre nicht zuletzt auf Drängen des Öster reichischen Gewerkschaftsbundes beschritten. Diese Politik, die zusammen mit der Einkommens- und Hartwährungspolitik als „Austro-Keynesianismus“ bezeichnet wird, hat wesentlich dazu beigetragen, den Anstieg der Arbeitslosigkeit zu bremsen. Im Konjunkturabschwung zu Anfang der 1990er Jahre wurden bewusst Steuerausfälle und Mehrausgaben im Sozial bereich in Kauf genommen, um stabilisierend eingreifen zu können. Hohe Zinsenzahlungen aus vergangenen Schuldaufnahmen können jedoch eine kreditfinanzierte Erhöhung zukünftiger Staatsausgaben verteuern. Im Zuge des Beitritts zur Währungsunion, aber auch seit der Realisierung der Währungsunion hat in Österreich ein Paradigmenwechsel stattgefun den. Seither steht die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte im Vor dergrund. Diese Vorgangsweise ist aber in den letzten Jahren verschärft zum Tragen gekommen: Im 2001 einsetzenden Konjunkturabschwung ver zichtete die Regierung Österreichs auf ein aktives Gegensteuern zu Guns ten der Erreichung des „Nulldefizits“. Diese anhaltend restriktive Vor gangsweise in der Budgetpolitik führte zu einer Rekordarbeitslosigkeit in der 2. Republik. Viel zu spät wurde von Seiten der Regierung eine Reihe von Ad-hoc-Maßnahmen gesetzt, die allerdings keine schlüssige Beschäfti gungs- und Wachstumsstrategie erkennen lassen. So wurden jeweils gegen Jahresende Konjunkturprogramme (2001 und 2002) sowie ein Wachstums25
Anmerkungen
und Standortpaket (2003) beschlossen. 2003 folgten die Pensionsreform, 2004 die Pensionsharmonisierung, 2004 bzw. 2005 die 1. und 2. Etappe der Steuerreform. Durchaus sinnvolle, allerdings zu spät und ungenügend erfolgte, antizyklische Konjunkturpolitik wurde damit mit prozyklisch wir kenden Strukturreformen konterkariert. Diese Mischung von Maßnahmen hat vermutlich kaum wachstumssteigernde Effekte gehabt, sondern bloß Konjunkturpolitik für längere Zeit diskreditiert. Auch die Arbeitslosigkeit wird nach jüngsten Prognosen weiterhin auf Rekordniveau verbleiben. Aber auch auf europäischer Ebene wurden die beschäftigungspolitischen Zielsetzungen verfehlt: Im März 2000 beschlossen die Mitgliedstaaten die Lissabon-Strategie, die die EU bis zum Jahr 2010 zum wettbewerbsfä higsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt aufrücken – mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größe ren sozialen Zusammenhalt. Dieses Ziel soll mit Hilfe eines Anstiegs der Wachstumsraten des realen BIP auf 3 %, der Gesamtbeschäftigungsquote auf 70 % und der Forschungs- und Entwicklungsausgaben auf 3 % des BIP erreicht werden. Sechs Jahre nach Lissabon ist die EU in mancher Hinsicht weiter als im März 2000 von diesem Ziel entfernt. Um die Zielvorgabe einer EU-Gesamtbeschäftigungsquote von 70 % im Jahr 2010 zu erreichen, müss ten in der EU-25 mehr als 22 Mio. neue Arbeitsplätzen entstehen. Unmittelbar nach Verabschiedung der Lissabon-Strategie schlitterte die EU in die längste Wachstumsschwäche in der jüngeren europäischen Wirt schaftsgeschichte. Die EU änderte aber ihre restriktive wirtschaftspolitische Ausrichtung nicht und verursachte damit ein Nachhinken des europäischen Raums gegenüber anderen großen Wirtschaftsräumen wie den USA oder Asien. Auch die Arbeitslosigkeit innerhalb Europas blieb mit der andau ernden Wachstumsschwäche auf hohem Niveau. 9 % Arbeitslosigkeit der EU-25 standen 2004 5,5 % in den USA gegenüber. Mehr Beschäftigung kann nur mittels einer expansiven, wachstumsorientierten Wirtschaftpolitik erreicht werden. Dafür müssen allerdings auf EUEbene auch die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden. So wäre etwa eine weiterführendere Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes (SWP) notwendig, die den Mitgliedstaaten klar festgelegte Möglichkeiten zu konjunkturellem Gegensteuern und den notwendigen budgetären Frei raum für sozial verträglich gestaltete Strukturreformen gibt. Nur mit einer europäischen Wirtschaftspolitik, die auf eine Überwindung der Konjunk turschwäche ausgerichtet ist, lässt sich die Beschäftigung steigern. Investitio nen müssen auf europäischer Ebene in folgende Richtung fließen: Ausbau der Kommunikations- und Verkehrsinfrastruktur, Offensive für Forschung und Entwicklung, Klimaschutz, massive Förderung der Aus- und Weiter bildung, aktive Arbeitsmarktpolitik und Qualität der Arbeitsplätze.
Verteilungspolitik Neben der Beschäftigungspolitik kommt den öffentlichen Haushalten im Rahmen der Umverteilungspolitik eine wichtige Rolle zu. Umverteilungs politik umfasst einen vertikalen Aspekt (die Umverteilung von oben nach unten) und einen horizontalen Aspekt (die ausgleichende Wirkung über verschiedene Lebenslagen, wie Gesundheit und Krankheit, Erwerbstätig keit und Pension, Haushalte mit und ohne Kinder usw.). Beide Komponen ten der Umverteilung sind in einem modernen Wohlfahrtsstaat wichtig. In der öffentlichen Debatte rückt meist der vertikale Aspekt ins Zentrum. Missbräuchlicherweise wird oft von sozialer Treffsicherheit und von So zialleistungen nur für die, die sie wirklich brauchen gesprochen. Tatsäch lich macht diese Art des Sozialschutzes nur einen Teil der wohlfahrtsstaat
Umverteilungspolitik
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lichen Leistungen aus. Ein Sozialstaat bemüht sich um Risken- und Lastenausgleich. Mit einer Reduktion sozialstaatlicher Leistungen auf sozial Bedürftige würde unser Leistungssystem nicht weiter bestehen können, weil gerade der Risikoausgleich innerhalb der Bevölkerung dem System Bestand gibt.
Anmerkungen
Umverteilungswirkungen öffentlicher Haushalte Bei der Analyse der Verteilungswirkung von öffentlichen Abgaben wird zwischen direkten und indirekten Steuern (und Abgaben) unterschieden. Diese Unterscheidung knüpft an der vermuteten Überwälzbarkeit an. Bei indirekten Steuern, wie der Umsatzsteuer wird eine Überwälzbarkeit an die Verbraucher angenommen, bei der Einkommensteuer, einer direkten Steuer, nicht. Bei der Untersuchung der Sozialversicherungsbeiträge (die als eine direkte Abgabe angesehen werden) zeigte sich, dass sie durch die Höchstbeitragsgrundlage und die steuerliche Absetzbarkeit regressiv wir ken. Regressiv wirken aber auch Gebühren, Selbstbehalte und Verbrauchs steuern. So wurde z. B. errechnet, dass die Erhöhung der Gebühren und Abgaben im Frühjahr 2000 (u. a. Autobahnvignette, Reisepass, Energiesteu er, motorbezogene Versicherungssteuer) das unterste Einkommensdrittel doppelt so stark belastete wie das oberste.
Einnahmenseitige Umverteilung durch Steuern und Abgaben
Lohn- und Einkommensteuern wirken hingegen progressiv, doch gleichen sich die progressiven Effekte der Lohnsteuer und die regressiven Effekte anderer Abgaben aus. Weiters wirken eine zu niedrige Besteuerung der Ka pitaleinkünfte und die fehlende Vermögensteuer (neben den SV-Beiträgen und Verbrauchssteuern) der Progression entgegen. Zählt man alle Steuern, Abgaben und Sozialversicherungsbeiträge zusam men, kommt eine Studie des österreichischen Wirtschaftsforschungsinsti tuts (WIFO) zu den Umverteilungswirkungen des öffentlichen Sektors zu dem Ergebnis, dass das gesamte Steuer- und Abgabensystem in Österreich für alle Haushalte (ohne Selbstständige) mäßig progressiv ist, für Arbeit nehmerhaushalte eher proportional. Durch die Steuerreformen wurde die Progression der Einkommensteuer in den letzten Jahren entschärft. Untere Einkommen wurden nicht entlastet, für Selbstständige und Vermögende gab es aber umfangreiche Erleichterungen:
Umverteilungswirkung des öffentlichen Sektors
Der Steuer- und Abgabenpolitik seit 2000 wurde von Experten/-innen ver teilungspolitisch ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Das Senken der Abga benquote seit 2001 kam überwiegend der Unternehmensseite zu Gute. Sie konnte mindestens 1,7 Mrd. Euro Entlastung (durch die Senkung des Kör perschaftsteuersatzes von 34 % auf 25 %, günstige Gruppenbesteuerung, Halbierung des Steuersatzes für nicht entnommene Gewinne für Personen gesellschaften) lukrieren. Die Steuerreform 2004/05 bringt im Gegenzug den unselbständig Beschäftigten nur eine Nettoentlastung von 1,3 Mrd. Euro. Wenn die Zahl der betroffenen Unternehmen in Relation zu den Unselbstständigen gesetzt wird, ist dies eine krass ungleiche Entlastung. Zudem wurden die ganz kleinen Einkommen gar nicht entlastet, weil diese bereits vorher steuerfrei gestellt waren. Hohe Vermögen blieben hingegen von Steuererhöhungen weitgehend verschont, so dass die Besteuerung von Vermögen im europäischen Vergleich nach wie vor sehr niedrig bleibt. Ausweich- und Entzugsmöglichkeiten für Selbstständige wurden eben falls in Studien untersucht mit dem Schluss, dass eine genaue Abschätzung des Volumens der Schattenaktivitäten bzw. der Gestaltungsmöglichkeit mit den vorhandenen Daten nicht möglich sei, aber dass die Steuerhinterzie hung entweder einen erheblichen Umfang haben muss oder dass die Unter nehmer über so große legale Gestaltungsmöglichkeiten verfügen, dass sie gegenüber den Unselbstständigen privilegiert sind. 27
Anmerkungen
Problematisiert werden in der Diskussion in Österreich auch die Ausweichund Entzugsmöglichkeiten für Vermögen und hohe Einkommen. Denn damit wird die Gerechtigkeit des Steuersystems in Frage gestellt. Ein ge rechtes Steuersystem muss dem Prinzip der sachlichen Universalität ge nügen, das verlangt, dass das gesamte Einkommen des Steuerpflichtigen in das System einbezogen wird und nicht bestimmte zugeflossene Ein kommensbestandteile ausgeklammert bleiben. Diese Ungleichbehandlung erlaubt jetzt besonders großen Vermögen, sich in Österreich paradiesisch zu fühlen. Dabei können Lücken des Steuerrechts konkret benannt werden. Steuer rechtsexperten/innen kritisieren immer wieder das österreichische Privat stiftungsrecht, das großen Vermögen (etwa ab 1,5 Mio. €) erlaubt, in Öster reich äußerst steuerschonend zu agieren. Maßgeblich für die Umverteilung von oben nach unten ist in Österreich weniger das Steuersystem, sondern vielmehr die Ausgabenseite der öf fentlichen Haushalte. Bei den Reformen des Wohlfahrtsstaates wird jedoch meist von „ausgabenseitigen Konsolidierungen“ also Ausgabenkürzungen gesprochen. So genannte Pensionssicherungsreformen sind da ein Beispiel für unausgewogene Verteilungspolitik. Besonders umverteilungswirksam sind monetäre Sozialtransfers, wo nach Berechnungen mehr als 60 % auf die untersten drei Einkommensde zile von Haushalten und nur 7 % auf die obersten drei Einkommensdezile fallen. Bei Beschränkung auf Haushalte im erwerbsfähigen Alter bekom men die untersten drei Einkommensdezile insgesamt 54 % und die obersten drei Dezile 9 % der Transfers. Auch die familienpolitischen Transferzahlungen leisten einen wesent lichen Beitrag zur Verminderung der Kinderarmut. Das WIFO zeigt, dass rund 40 % der Mittel in das untere Einkommensdrittel der Haushalte flie ßen, 34 % in das mittlere und 26 % in das obere Drittel. Die Großzügigkeit der österreichischen Familienpolitik der letzten Jahre hat die Familienarmut aber nicht sinken lassen, da Erwerbstätigkeit als effektivste Armutsvermei dungsmaßnahme gilt, und die steigende Arbeitslosigkeit zu einem Anstieg der Armutsgefährdung in der Bevölkerung geführt hat. Insgesamt konstatierte die WIFO-Studie eine beträchtliche vertikale Um verteilung durch den staatlichen Sektor. Das obere Drittel der Haushalte (ohne Selbstständige, mit Pensionisten), das über 60 % des Brutto-Haus haltseinkommens verfügt, zahlt 62 % der Abgaben und Steuern und erhält 43 % der erfassten öffentlichen Transfers. Für das obere Drittel der Haus halte machen diese Transfers aber nur 12 % ihres Bruttoeinkommens aus, die Abgaben dagegen 37 %. Das mittlere Drittel verfügt über 28 % des Brutto-Haushaltseinkommens, zahlt 28 % der Abgaben und bezieht 35 % der Transfers. Das untere Drittel der Haushalte verfügt nur über 12 % des Brutto-Haus haltseinkommens, zahlt knapp 10 % aller Abgaben, erhält aber 22 % aller Transfers. Diese Transfers machen für das untere Drittel der Haushalte 31 % ihres Einkommens aus. Staatliche Verteilungspolitik ist daher keines wegs überholt. Da die Einkommens- und Vermögensverteilung in Öster reich insbesondere an den oberen und unteren „Rändern“ erodiert, – große Vermögenseinkommen werden kaum steuerlich erfasst, die Armutsgefähr dung steigt – ist eine Zunahme der sozialen Ungleichheit in Österreich festzustellen. Daher ist an einer Reform des Steuersystems sowie an einer bedarfsorientierten Mindestsicherung zu arbeiten.
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Anmerkungen
8. Kann der Staat im Konjunkturabschwung einen Beitrag zur Beschäftigungspolitik leisten? Wenn ja, wie?
9. Welche Verteilungswirkungen hat das Abgabensystem in Österreich? Begründen Sie ihre Antwort!
Gender Budgeting Das Budget reflektiert die gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Prioritäten der Regierung und spiegelt damit auch ein bestimmtes gesell schaftspolitisches Leitbild wider. Es bildet die Machtverhältnisse in der Gesellschaft ab, da darin festgelegt wird, wie die Regierung die öffentlichen Gelder aufbringt und wie diese verteilt werden. Budgetpolitik ist in Zah len gegossene Gesellschaftspolitik. Diese Aussage verdeutlicht, dass das Budget einerseits als Ergebnis eines politischen Prozesses und gleichzei tig als gesellschaftspolitisches Lenkungsinstrument zu verstehen ist. Aber Budgetpolitik ist neben Gesellschaftspolitik auch Geschlechterpolitik. Im Rahmen der Budgetpolitik werden Geschlechterverhältnisse verhandelt, Budgetpolitik kann emanzipatorisch wirken oder auch ungleiche Struktu ren verfestigen. Frauen und Männer nehmen unterschiedliche ökonomische und soziale Po sitionen ein, sowohl als Arbeitskräfte, als auch im Haushalt, in der Familie, in der Gemeinde und in der Gesellschaft (Frauen verdienen weniger, haben weniger Spitzenpositionen inne, die Interessenvertretungen sind männ lich dominiert). Daher haben vermeintlich neutrale wirtschaftspolitische Entscheidungen ganz unterschiedliche Auswirkungen auf Frauen und Männer. Bislang werden Budgetpolitik und makroökonomische Politikin strumente wie Geld- und Fiskalpolitik aber weitgehend als neutral in Bezug auf ihre genderspezifischen Auswirkungen wahrgenommen. Diese vermeintliche Neutralität des Budgets ist ein Mythos. Ein wichtiger Grund für die verengte Wahrnehmung ist, dass die tradi tionelle Gegenüberstellung Staat/Markt in der gängigen Wirtschaftspolitik die Einflussgrößen des „informellen“ bzw. „dritten“ Sektors und der Haus arbeit ausschließen und damit als Ausgangslage für oft unvollständige Analysen dienen. Die praktizierte Wirtschaftspolitik des Staates bezieht sich vorwiegend auf den Marktbereich bzw. auf das Eingreifen bei Markt 29
Anmerkungen
versagen. Dabei wird von der Politik außer Acht gelassen, dass der Markt eine Regulierungsform ist, in der auch männliche Machtstrukturen herr schen. Auch im Markt spiegeln sich eben gewisse gesellschaftliche Struktu ren wider. Zeigen lässt sich dies anhand des wissenschaftlichen Selbstver ständnisses der Ökonomie, wobei Maßnahmen die geschlechtsspezifischen Auswirkungen weitgehend ausgeblendet bleiben (Ausnahme Arbeitsmarkt politik) und die Auswirkungen auf Nicht-Marktbereiche erst gar nicht mitgedacht werden. Damit geht der Staat davon aus, dass immer genug unentgeltliche Arbeit da ist, um von ihm gesetzte Maßnahmen im Markt bereich auszugleichen. Da die unentgeltliche Arbeit mehrheitlich von Frau en geleistet wird, zeigt sich, dass die Wirtschaftspolitik strukturell einen männlichen Fokus hat und damit unverhältnismäßig starkes Augenmerk auf männliche Anliegen legt.
Beispiel Steuerpolitik
Budgetpolitik hat immer auch geschlechtsspezifische Verteilungswirkungen, was am Beispiel Steuerpolitik gezeigt werden kann: Wenn wir von drei großen Einnahmenquellen der Abgabenseite, Arbeit, Kapital und Verbrauch (Konsum) ausgehen, lässt sich als Gesamteinschät zung Folgendes sagen: Es gibt in Österreich eine hohe Steuerlast auf Arbeit, aber eine niedrige Steuerlast auf Kapital- und Vermögensbesitz. Da (wie es auch internatio nale Statistiken belegen) die Kapitalbesitzer traditionellerweise männlich sind, gibt es in Bezug auf Kapital und Vermögen einnahmenseitig eindeutig einen Bias zu Gunsten der Männer. Bei der Besteuerung von Arbeit war die Einführung der Individualbesteue rung (jedes Einkommen wird einzeln besteuert, im Gegensatz zu einer Haushaltsbesteuerung, die die Einkommen der Partner/-innen zusammen zählt und dann einem Steuersatz unterwirft) ein wesentlicher positiver Impuls für die Erwerbsbeteiligung von Frauen. Gleichzeitig wirken aber die Sozialversicherungsbeiträge mit zuneh mendem Einkommen regressiv, was wiederum auch die Männer, (die 80 % der über der Höchstbeitragsgrundlage liegenden Bruttoeinkommen haben) bevorzugt. Außerdem gibt es im Steuerwesen Begünstigungen, wie z. B. der so genannte Alleinverdienerabsetzbetrag, die Anreize für ein männ liches Familienernährermodell bieten und auch überwiegend von Männern in Anspruch genommen werden. Die Verbrauchssteuern treffen ebenfalls die kleinen Einkommen härter als die großen, weil kleine Einkommen weniger sparen können und große Teile ihres Einkommens zur Deckung des Lebensunterhalts ausgeben müssen. Gebühren- und Abgabenerhöhungen sowie hohe Umsatz – und Verbrauchs steuern gehen also auch in hohem Maße zu Lasten von Frauen. Durch Staatsinterventionen können sich also auch negative Effekte für Frauen ergeben. Dies ist aber nicht immer der Fall: Frauen können aus staat lichen Aktivitäten durchaus auch Vorteile ziehen. Dies soll im Folgenden anhand einiger Beispiele gezeigt werden.
Wo Frauen vom öffentlichen Sektor besonders profitieren können Beschäftigung im öffentlichen Dienst Obwohl im öffentlichen Dienst noch immer doppelt so viele Männer wie Frauen beschäftigt sind, ist dies jener Bereich, in dem der Einkom mensnachteil von Frauen am geringsten ist (von den staatsnahen Betrie ben vielleicht abgesehen). Ein Vergleich von Vollzeiteinkommen zeigt, dass im Jahr 2003 Arbeiterinnen 68 Prozent der Einkommen von Män nern erzielten, bei den Angestellten lag dieser Wert bei 66 Prozent. Im l
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öffentlichen Dienst waren die Einkommensunterschiede geringer: Hier erhielten Frauen 88 Prozent der mittleren Einkommenshöhe der Männer. Zudem lag der Durchschnittsverdienst einer öffentlich bediensteten Ar beitnehmerin mit brutto 29.830,– Euro bei Vollzeitbeschäftigung deutlich über dem einer weiblichen Angestellten mit 26.400,– Euro brutto und einer Arbeiterin mit 19.210 Euro brutto.
Anmerkungen
„Lebenschancen-relevante“ Infrastruktur Da Frauen generell deutlich weniger als Männer verdienen, ist die Gra tisbereitstellung bzw. die Subventionierung „lebenschancen-relevanter“ Infrastruktur im Kultur-, Gesundheits- und Verkehrsbereich von beson derer Bedeutung. Frauen benützen z. B. öfter öffentliche Verkehrsmittel als Männer. Im Bildungsbereich hat sich gezeigt, dass der Gratiszugang zu Schulen und Universitäten dazu geführt hat, dass die Inanspruchnah me der öffentlichen Bildungseinrichtungen durch Mädchen und Frauen in den letzten Jahrzehnten enorm gestiegen ist. An den allgemein bilden den höheren Schulen und Universitäten stellen Mädchen/Frauen bereits deutlich die Mehrheit. l
Sozialtransfers Da Sozialtransfers für sozial schwächere und damit einkommensschwä chere Gruppen gedacht sind, profitieren Frauen auf den ersten Blick überdurchschnittlich stark von Sozialleistungen. Auf die untersten 30 % der Einkommen entfallen 60 % der monetären Sozialleistungen, auf die obersten 30 % dagegen nur 7 %. Eine Untersuchung der Arbeiterkammer Wien bestätigt dies. Frauen zahlen auf Grund ihrer niedrigeren Markt einkommen weniger ins Sozialsystem ein als Männer und können aber auf Grund dessen, dass der Sozialstaat nach unten absichert (z. B. durch die Ausgleichszulagen bei Pensionen), große Vorteile aus dem Sozial staat ziehen. l
Der Ausbau des Wohlfahrtsstaates hat Frauen viele Chancen eröffnet. Das soziale Sicherungssystem führt auch dazu, dass Einkommensschwächere – und das sind überwiegend Frauen – gegen Risken abgesichert sind und Sozialschutz genießen können. Im internationalen Vergleich kann festgestellt werden, dass Frauen dort am ehesten gleichberechtigt sind, wo es ausgebaute Wohlfahrtsstaatssysteme gibt. Wenn also darüber diskutiert wird, dass die Zukunft für alle dadurch gesi chert werden soll, dass der Spruch: Weniger Staat mehr privat umgesetzt, d. h. dauerhaft weniger Ausgaben getätigt werden sollen, ist auch zu be rücksichtigen, dass generelle Kürzungen im Bildungs-, Sozial- und Gesund heitsbereich gravierende Einschnitte in das soziale Leben und die soziale Teilhabe niedriger Einkommensbezieher/-innen bedeuten. Kürzungen im Sozialbereich – Ohne Sozialtransfers und Pensionen wären 42 % (statt 13 %) der Bevölkerung armutsgefährdet. Frauen sind von Kürzungen besonders betroffen, weil sie im stärkeren Maße auf Sozi altransfers angewiesen sind. Die Armutsgefährdung von Frauen ist in den letzten Jahren gestiegen und liegt mit 14 % über der der Männer (12 %). Im Jahr 2003 wurden bereits 31 % der Alleinerzieherinnen als armutsgefährdet angesehen. Die Pensionsreformen der letzten Jahre ha ben zu einer weiteren Verschlechterung der Frauenpensionen geführt. Vor allem lange Zeiten von Teilzeitbeschäftigung sind Pensionsfallen, da eine angemessene Anrechnung von Kinderziehungszeiten im Zuge der Reform nicht erfolgte.
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Abbau von Stellen im öffentlichen Dienst – bedeutet geringere Verdienstund Karrieremöglichkeiten für Frauen, da Frauen im öffentlichen Dienst im Allgemeinen deutlich besser verdienen als in der Privatwirtschaft und
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Anmerkungen
es im öffentlichen Dienst verpflichtende Frauenförderungspläne gibt. Die Einkommensdifferenz zwischen weiblichen und männlichen Ange stellten hat sich in den letzten Jahren stetig ausgeweitet und lag 2003 im Jahresdurchschnitt bei 14.600,– Euro. Bezogen auf ein durchschnittliches weibliches Angestellteneinkommen (18.540,– Euro) verdienten männ liche Angestellte 2003 (mit 33.140,– Euro) bereits 79 % mehr. Dies des halb, weil die „Flexibilisierung“ der Arbeitsmärkte primär ein Ansteigen von Teilzeit- und geringfügiger Beschäftigung von Seiten der Frauen war und ist. Dies heißt nicht, dass Frauen allgemein weniger arbeiten, sie arbeiten nur weniger gut bezahlt und verrichten im Allgemeinen mehr unbezahlte Arbeiten, was aber zu einer Prekarisierung ihrer sozialen Lage führen kann.
Gender Budgeting
Gender Budgets haben zwei große Stoßrichtungen. Zum einen inhaltliche Analysen der Budgetpolitik. Zum Zweiten bezieht sich Engendering Bud gets auf den Budgetprozess, der transparenter und partizipativer, d. h. demokratischer gestaltet werden soll. Eine Öffnung des Budgetprozesses ist notwendig, damit die Budgeterstellung nicht wie bisher ein technokra tisches Instrument für einige spezialisierte Experten/-innen bleibt. Interna tionale Erfahrungen zeigen, dass Gender Budgeting dort am erfolgreichsten ist, wo es gleichermaßen von Regierungsseite wie auch von außerhalb Un terstützung findet. Gender Budgeting ist Teil eines umfassenden Konzeptes an Gleichstellungs maßnahmen, des Gender Mainstreaming. Es hat sich nämlich als notwen dig und wichtig herausgestellt, dass die Grundlagen jeder Politik, einem Gender-Mainstreaming, d. h. einer soliden (statistischen) Analyse der Situation von Frauen und Männern in den verschiedenen Lebensbereichen und der sich in unseren Gesellschaften vollziehenden Veränderungen un terzogen werden müssen. Nur dann können geschlechtsspezifische Aspekte wirtschafts- und sozialpolitischer Maßnahmen sichtbar gemacht werden. Gender-Mainstreaming Bei der bisherigen Trennung in „allgemeine“ und „frauenspezifische“ Politiken und Maßnahmen wurde oft übersehen, dass die „allgemeine“ Perspektive meist eine männliche war. Deshalb wurden geschlechtsspezifisch unterschiedliche Problemlagen und Bedürfnisse häufig nicht wahrgenommen und die Anliegen von Frauen zu wenig berücksichtigt. Gender-Mainstreaming heißt, soziale Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern in allen Bereichen und bei allen Planungs- und Entscheidungsschritten immer bewusst wahrzunehmen und zu berücksichtigen. Dies bedeutet, dass unterschiedliche Situationen und Bedürfnisse von Frauen und Männern berücksichtigt und alle Vorhaben auf ihre geschlechtsspezifischen Wirkungen hin überprüft werden. Alle Maßnahmen werden so gestaltet, dass sie die Gleichstellung von Frauen und Männern fördern.
10. Was ist „Gender-Budgeting“?
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Glossar
Anmerkungen
Abgestufter Bevölkerungsschlüssel: Da ungleiche Wirtschafts- und Bevöl kerungsstruktur von Gebietskörperschaften gleicher Ebene Auswirkungen auf Steueraufkommen und Ausgabenbedarf haben, kommen bei der Ver teilung des Steueraufkommens verschiedene Verteilungsschlüssel zur An wendung. Einer der wichtigsten ist der abgestufte Bevölkerungsschlüssel, der einer Gebietskörperschaft mit höherer Bevölkerungszahl mehr Geld mittel zugesteht als einer mit niedrigerer Bevölkerungszahl. Administratives Budgetdefizit: Einnahmen minus Ausgaben einer Gebiets körperschaft laut Voranschlag oder Rechnungsabschluss. Allokationsfunktion: Unter Allokation versteht man den Einsatz der Pro duktionsfaktoren zur Herstellung von Gütern und Dienstleistungen gemäß den Präferenzen der Bürger/-innen. Marktversagen führt dazu, dass der bestmögliche Einsatz von Produktionsfaktoren verfehlt wird. Allokations politische Eingriffe des Staates zielen auf die Korrektur von Marktversagen ab. Außerbudgetäre (Sonder)Finanzierungen: Darunter versteht man, dass bestimmte Investitionen des Bundes, insbesondere Großprojekte, außerhalb des jährlichen Budgets finanziert werden (vor allem Infrastrukturinvestiti onen in Schiene und Straße). Bruttoinlandsprodukt (BIP): Gesamtwert der im Inland in einem Jahr pro duzierten Sachgüter und Dienstleistungen; für das Jahr 2005 wird der Wert in Österreich auf ca. 243 Mrd. € geschätzt. Bruttonationaleinkommen (BNE): Gesamtwert der Inländer/-innen in einem Jahr produzierten Sachgüter und Dienstleistungen; für das Jahr 2005 wird der Wert in Österreich auf ca. 247 Mrd. € geschätzt. Budgetkonsolidierung: Darunter wird Budgetpolitik, die auf die Senkung des Budgetdefizits abzielt, verstanden. Mögliche Maßnahmen sind Steuer erhöhungen bzw. Ausgabenkürzungen. Crowding-Out: Das Verdrängen der privaten Wirtschaftsaktivitäten durch staatliche Aktivität auf den Märkten. Deregulierung: Ist die Zurücknahme staatlicher Regulierung, worunter Eingriffe des Staates zur Beseitigung von Marktverzerrungen oder zur Übernahme von Marktfunktionen bei fehlendem Markt verstanden werden können. ECOFIN-Rat: Europäischer Rat der Finanz- und Wirtschaftsminister. Effektiver Steuersatz: Der Steuersatz, der unter Ausnutzung aller Gestal tungsspielräume und Abschreibungsmöglichkeiten tatsächlich gezahlt wird. Insbesondere jene Gruppen, die selbst ihr Einkommen veranlagen (z. B. Selbstständige, Freiberufler), können ihren effektiven Steuersatz rela tiv leicht unter den nominellen senken. Eigenmittel: Einnahmen des EU-Haushalts, bestehend aus Zöllen, Agrar abgaben, Mehrwertsteuereigenmitteln und BNE-Eigenmitteln. Einheitswert: Der Einheitswert ist die einheitliche steuerrechtliche Bewer tung von Grund und Boden und somit die Basis für die Besteuerung von Liegenschaften. Der Einheitswert ist weit geringer als der Verkehrswert (der Wert, der bei Verkauf einer Liegenschaft am Markt tatsächlich erzielbar ist), was eine erhebliche steuerliche Begünstigung des Immobilienbesitzes und der Landwirtschaft darstellt. Ermessensausgaben/Gesetzliche Verpflichtungen: Unter gesetzlichen Ver pflichtungen sind jene Budgetausgaben zu verstehen, die dem Grunde und der Höhe nach in einem Gesetz so eindeutig festgelegt sind, dass sie nur 33
Anmerkungen
durch gesetzliche Änderungen beeinflusst werden können (z. B. Zahlung des Arbeitslosengeldes). Ausgaben, für die keine gesetzliche Verpflichtung gegeben ist, nennt man Ermessensausgaben (z. B. Investitionen). Europäischer Rat: Versammlung der Staats- und Regierungschefs der EUMitgliedstaaten. Er legt die allgemeinen politischen Ziele für die weitere Entwicklung der Union fest. EZB: Europäische Zentralbank: Verantwortlich für die Geldpolitik der EURO-Staaten und unabhängig von politischer Einflussnahme. Sie verfolgt vorrangig das Ziel der Preisstabilität. Wünschenswert wäre jedoch auch eine gleichwertige Verfolgung des Wachstums- und Beschäftigungszieles. Finanzausgleich: Die Regelung der Verteilung der Staatseinnahmen auf die unterschiedlichen Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Gemeinden). Im Rahmen des Finanzausgleiches werden zwischen den unterschiedlichen Ebenen der Gebietskörperschaften entsprechend ihren Aufgaben die vor handenen Geldmittel verteilt (vertikaler Finanzausgleich). Weiters wer den die öffentlichen Einnahmen zwischen gleichrangigen Gebietskörper schaften verteilt, um einen regionalen Ausgleich zu erhalten (horizontaler Finanzausgleich). Finanzielle Vorausschau (FIVO): mittelfristiger Finanzrahmen des EUHaushalts. In der Periode 2007–2013 wird die FIVO im Durchschnitt rund 1 % des BNE der EU-Mitliedstaaten betragen. Fiskalpolitik: Der Einsatz der öffentlichen Finanzen im Dienste der Kon junktur- und Wachstumspolitik wird Fiskalpolitik genannt. Föderalismus: Bezeichnet ein Organisationsprinzip unterschiedlicher poli tischer Gesamtheiten, die trotz des Zusammenschlusses ihre Eigenart be wahren. Österreich ist ein föderalistischer Staat, der in Länder gegliedert ist. Wirtschaftlich bedeutend ist dabei die Kompetenzverteilung öffentlicher Aufgaben. Gender-Mainstreaming: Wahrnehmung und Berücksichtigung der sozia len Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern in allen gesellschaft lichen Bereichen und bei allen Planungs- und Entscheidungsschritten. Gemeinsame Argrarpolitik (GAP): Mit im Schnitt 43 % des EU-Budgets größte Ausgabenposition des Haushalts. Haushaltsbesteuerung: Ein Besteuerungssystem, in dem die Einkünfte von Personen, die zusammen in einem Haushalt leben, nicht getrennt vonein ander versteuert werden. (Nachteil: Die zweite, dritte etc. Person mit eige nen Einkünften unterliegt von Anfang an einer höheren Besteuerung.) Individualbesteuerung: Jede steuerpflichtige Person versteuert ihre jewei ligen Einkünfte alleine, egal ob sie allein oder gemeinsam mit anderen in einem Haushalt lebt. In Österreich kommt dieses Steuerprinzip zur Anwen dung. Lohnnebenkosten: Sind Kosten, die neben dem Lohn vom Arbeitgeber bezahlt werden müssen, also zum Nettolohn hinzukommen, wie z. B. Ar beitgeberbeiträge zur Sozialversicherung, andere lohnabhängige Unterneh menssteuern, aber auch arbeitsfreie Zeiten wie Urlaub und gelten deshalb als Lohnbestandteile i. w. S. Für die internationale Wettbewerbsfähigkeit eines Staates sind die jedoch die Lohnstückkosten relevant. Maastrichtdefizit: vereinheitlichte Zielvorgabe im Rahmen der Wirtschaftsund Währungsunion. Es errechnet sich dadurch, dass das administrative Defizit um verschiedene zeitliche Anpassungen und um bestimmte Fi nanztransaktionen berichtigt wird. (z. B. die Zuführung und Auflösung von Rücklagen, Gewährung und Tilgung von Darlehen sowie der Kauf und Verkauf von Beteiligungen.) Maastrichtkriterien/Konvergenzkriterien: Zielvorgaben für die Budget politik für den Eintritt in die dritte Stufe der Währungsunion und in der 34
Währungsunion selbst. Der Anteil der jährlichen staatlichen Neuverschul dung darf höchstens 3 % des BIP sein (Maastrichtdefizit). Staatsschulden sollen maximal 60 % des BIP betragen.
Anmerkungen
Multiplikator: Das Multiplikatorprinzip beantwortet die Frage, wie stark zusätzliche Ausgaben (Staatsausgaben) das gesamtwirtschaftliche Einkom men verändern. Nettozahler/empfänger-Position: Der Saldo zwischen den Zahlungen an den EU-Haushalt und den Rückflüssen im Rahmen der Landwirtschaft und diverser anderer EU-Programme. (New) Public-Management: (Neue) Managementmethode für den öffent lichen Sektor, mit dem Ziel, die Qualität, die Effizienz und die Effektivität der öffentlichen Aufgabenerledigung zu verbessern. Nominalzinssatz: Ist der um die Inflation nicht bereinigte Zinssatz. Das heißt der Geldbetrag, der zu diesem Zinssatz veranlagt ist, steigt um den entsprechenden Prozentsatz. Wie viel nach Abzug der Inflation tatsächlich übrig bleibt, sagt der Realzinssatz. Nominaler Steuersatz: Der gesetzlich vorgeschriebene Steuersatz für ein bestimmtes Einkommen und eine bestimmte Einkommensart. Dieser Steuer satz sollte grundsätzlich bei der Besteuerung zur Anwendung kommen. Auf Grund zahlreicher Abzugsmöglichkeiten liegt der effektive Steuersatz bei manchen Steuern (z. B. Gewinnsteuern) deutlich unter dem nominalen. OLAF: Betrugsbekämpfungsbehörde in der Europäischen Union. Rat/Ministerrat der EU: zentrales Entscheidungsorgan der EU ist die Ver sammlung der jeweiligen Fachminister der einzelnen Mitgliedstaaten. Regression: Mit steigender Bemessungsgrundlage sinkt die durchschnitt liche Steuerbelastung. Realzinssatz: Ist der um die Inflation bereinigte Zinssatz. Um den echten Einkommenszuwachs durch Zinseinkommen zu ermitteln, muss vom No minalzinssatz die Inflation abgezogen werden. Der Realzinssatz gibt dann den Einkommenszuwachs bei konstanter Kaufkraft der Währung an. Rente: Über der normalen Kapitalverzinsung liegender Ertrag; z. B. Erträge aus Immobilien in guter Lage. Staatsquote/Abgabenquote: Werden die gesamten Staatsausgaben bzw. Abgaben in Beziehung zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) gesetzt, so wird von der Staats(ausgaben)quote bzw. der Abgabenquote gesprochen. Beide sind Maßzahlen für die Staatstätigkeit. Staatstätigkeit: Ökonomische Aktivität des Staates. Hinsichtlich der wirt schaftlichen Wirkung wird die Struktur der Staatstätigkeit von der Finanz wissenschaft in drei Bereiche zerlegt: Allokationswirkungen, Stabilisie rungs- und Verteilungswirkungen. Staatsverschuldung: Kreditaufnahme des Staates bei Banken, privaten Wertpapierbesitzer/-innen im Ausland etc., für die Zinsen zu bezahlen sind. Stabilitäts- und Wachstumspakt: Vereinbarung der EU-Mitgliedstaaten, in der festgesetzt wurde, dass Verletzungen der Konvergenzkriterien mit Sanktionen (Geldstrafen) belegt werden. Mittelfristig soll auch „close to balance“, d. h. nahezu ausgeglichen budgetiert werden oder sogar Über schüsse erzielt werden. Stabilitätspakt, innerösterreichisch: Legt fest, wie viel die einzelnen Ge bietskörperschaften in der Finanzausgleichsperiode 2005-2008 zur Budget konsolidierung beitragen müssen. Erlaubt dem Bund weiterhin Defizite zu haben, weil sich die Bundesländer verpflichtet haben, Überschüsse zu produzieren und die Gemeinden ausgeglichene Haushalte haben müssen. 35
Anmerkungen
Steuern, Gebühren, Beiträge: Steuern sind öffentliche Abgaben mit Zwangs charakter ohne spezielle Gegenleistung. Beiträge sind spezielle Abgaben, denen eine spezielle Gegenleistung gegenübersteht. Gebühren sind eben falls Abgaben, die als Entgelt für eine bestimmte Gegenleistung erhoben werden. Steuerbemessungsgrundlage: Als Bemessungsgrundlage wird die der Be steuerung zu Grunde gelegte mengen- oder wertmäßige Größe des Steuer gegenstandes (z. B. Einkommen, Konsum) bezeichnet. Steuerprogression: Ist jene Form eines Steuertarifs, die bei direkten Steu ern durch einen mit steigender Bemessungsgrundlage steigenden Durch schnittssteuersatz gekennzeichnet ist (z. B. Lohnsteuer, Einkommensteuer). Steuerregression: Eigenschaft der Verbrauchsteuern (z. B. Umsatzsteuer, aber auch Gebühren), niedrige Einkommensschichten stärker zu belasten als höhere. Steuertarif: Er gibt Auskunft über den Verlauf des Durchschnittssteuer satzes bei steigender Bemessungsgrundlage. Der Verlauf kann progressiv (steigend), regressiv (fallend) oder proportional (gleich bleibend) sein. Strukturfonds: zweitgrößter Ausgabenbereich des EU-Haushalts, mit etwa 35 % der Gesamtausgaben. Zentrales Instrument der EU zur Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts innerhalb der Gemein schaft. Transferausgaben (Transfers): Geldleistungen der öffentlichen Hand an private Haushalte (Sozialausgaben), öffentliche Rechtsträger, an Unterneh men (Subventionen) oder an das Ausland ohne marktliche Gegenleistung. Verteilungsfunktion: Aufgabe des Staates, die sich aus dem Marktprozess ergebende Einkommens- und Vermögensverteilung zu verändern.
Ausgewählte Literatur AK Frauenbericht 1995 – 2005, Arbeit – Chancen – Geld, Kammer für Arbei ter und Angestellte für Wien, Wien 2006. Angelo, S./Marterbauer, M./Mozart, I./Rossmann, B./Schratzenstaller, M./ Templ, N., Ein alternativer Stabilitäts- und Wachstumspakt – Vorschläge für ein neues fiskal-politisches Regime, Materialien zu Wirtschaft und Gesell schaft 91(2005). Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen BEIGEWUM, Frauen Macht Budgets, Wien 2002. Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen BEIGEWUM, Mythen der Ökonomie. Anleitung zur geistigen Selbstver teidigung in Wirtschaftsfragen, Wien 2005 Bundesarbeitskammer, Reformprogramm für Wachstum und Beschäftigung, Wien 2005. Einhaus, Arnd/Kitzmantel, Edith/Rainer, Anton, Ist die Einkommensbesteu erung geschlechtsneutral?, Working Paper 2/2006, Bundesministerium für Finanzen. Finanzausgleich 2005, Das Handbuch – mit Kommentar zum FAG 2005, hrsg. vom KDZ-Zentrum für Verwaltungsforschung in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Städtebund, Wien–Graz 2005. Guger, A. (Koord.), Umverteilung durch öffentliche Haushalte in Österreich, Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung, Wien 1996. 36
EU Kommission, Allocation of 2004 EU Expenditure by Member State, Brüs sel 2005.
Anmerkungen
Ey, F./Schlager, C., Der EU-Haushalt – Status quo und Reformvorschläge für den Finanzrahmen 2007–2013, in: Wirtschaft und Gesellschaft, 31. Jg., Heft 3/2005, S. 355–383. Kropf, K., Leitsmüller, H., Rossmann, B., (Hrsg.), Ausgliederungen aus dem öffentlichen Bereich, Verlag des ÖGB, Schriftenreihe Arbeit – Recht – Ge sellschaft, Bd. 21, Wien 2001. Kramer, H., Überlegungen zu den Verteilungswirkungen der österrei chischen Budgetpolitik, in: WIFO-Monatsberichte, Jg. 74, 1/2001, 27–39. Marterbauer, M./Walterskirchen, E., Verteilungseffekte des Regierungspro gramms, in: Wirtschaft und Gesellschaft, 26. Jg. 2/2000, 183–197. Marterbauer, M., Interessenpolitik und ihre Grenzen – sechs Jahre rechts liberale Wirtschaftspolitik in Österreich, in: Intervention – Zeitschrift für Ökonomie, Jg. 31/2006, 43–50. Mozart, I.; Rossmann, B., Die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts vom März 2005 – Details und Kritik, in: Kurswechsel 2(2005), 83-89. Rechnungshof: Einkommen 2004, Bericht über die durchschnittlichen Ein kommen gemäß Art. I § 8 Abs. 4 Bezügebegrenzungsgesetz für die Jahre 2002 und 2003, Wien 2004. Rossmann, B., jährliche Budgetanalyse in Arbeit&Wirtschaft. Rossmann, B., Ein Rückblick auf die Budgetpolitik Österreichs seit dem Beitritt zur Europäischen Union, in: Wirtschaft und Gesellschaft, 31. Jg., Heft 4/2005, S. 493–534. Rossmann, B., Die Budgetpolitik nach der politischen Wende 2000 – Versuch einer Bilanz, erscheint in: Tálos, E. (Hrsg.), Schwarz-Blau, Eine Bilanz des „Neu-Regierens“, Münster/Hamburg/Berlin/Wien/London 2006. Steger, G. (Hrsg.), Öffentliche Haushalte in Österreich, 2. Aufl., Wien 2005.
Wichtige Links Bundesministerium für Finanzen: www.bmf.gv.at EU-Haushalt: http://ec.europa.eu/budget/index_de.htm EU-Überblick: http://ec.europa.eu/index_de.htm Statistik Austria: www.statistik.at
37
Beantwortung der Fragen
Anmerkungen
F 1:
Maastrichtdefizit: vereinheitlichte Zielvorgabe im Rahmen der Wirt schafts- und Währungsunion. Es errechnet sich dadurch, dass das administrative Defizit um verschiedene zeitliche Anpassungen und um bestimmte Finanztransaktionen berichtigt wird.
F 2:
Hohe Defizite bzw. Staatsschulden führen zu einem Zinsanstieg im Euroraum; dadurch müssen alle Staaten höhere Zinszahlungen in Kauf nehmen.
F 3:
Anteil der Steuern und SV-Beiträge am BIP. Österreich liegt im langjährigen Vergleich im oberen Drittel unter den OECD-Staaten. Langfristig könnten Mittel zur Finanzierung des Wohlfahrtsstaates fehlen, was problematisch ist, wenn damit die Sozialleistungen ein geschränkt werden müssen.
F 4:
Allokation, Verteilung und Stabilisierung.
F 5:
Um allen Bevölkerungsschichten einen vom Einkommen unabhän gigen Zugang zu öffentlichen Leistungen zu ermöglichen.
F 6:
Die Alternative ist ein reformierter, auf die Bedürfnisse der Bürger/ -innen ausgerichteter Wohlfahrtsstaat europäischen Zuschnitts.
F 7:
Rigides „Nulldefizit“ ist kein Ziel an sich; „Nulldefizit“um jeden Preis hat hohe verteilungspolitische Kosten; Staat hat gesellschafts politische Aufgaben und ist daher mit einem privaten Haushalt nicht vergleichbar.
F 8:
Ja, durch das Wirkenlassen der automatischen Stabilisatoren und durch gezielte Ausgabenerhöhungen bzw. Steuersenkungen.
F 9:
Es wirkt weitgehend proportional. Der progressive Effekt der Ein kommensteuer wird durch die regressive Wirkung der SV-Beiträge und Verbrauchsteuern weitgehend ausgeglichen.
F 10: Gender-Budgeting: Budgetpolitik wird vor dem Hintergrund ana lysiert, dass es Unterschiede und soziale Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern in allen gesellschaftlichen Bereichen gibt. Die inhaltlichen Prioritäten der Budgetpolitik und der Budgetprozess sollen dahingehend gestaltet werden, dass sie neue Möglichkeiten der Gleichstellungspolitik eröffnen.
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Einschränkung der Budgetpolitik in drei Schritten • 1. Schritt: fiskalische Konvergenzkriterien • 2. Schritt: Stabilitäts- und Wachstumspakt • 3. Schritt: Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen führen zur Einengung des budgetpolitischen Handlungsspielraums
Rigides „Nulldefizit“ – keine sinnvolle ökonomische Strategie • Rigides „Nulldefizit“ ist kein Ziel an sich • „Nulldefizit“ um jeden Preis hat hohe verteilungspolitische Kosten • Staat hat gesellschaftspolitische Aufgaben und ist daher mit einem privaten Haushalt nicht vergleichbar
Aufgaben des Staates • effiziente Verteilung der Produktionsfaktoren • Verteilung der Einnahmen und Ausgaben nach sozialen Gesichtspunkten • Sicherung von Wachstum und Beschäftigung im Konjunkturabschwung
Verteilungspolitik • keine Umverteilungswirkung über das Abgabensystem • Ausgabenseite für die Umverteilung der öffentlichen Haushalte maßgeblich: das untere Einkommensdrittel profitiert, weil die Transfers des Staates 31 % ihres Einkommens ausmachen • mehr Geschlechtergerechtigkeit durch Gender Budgeting und Gender Mainstreaming
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VÖGB-/AK-Fernlehrgang
Der Fernlehrgang ist für alle, die nicht an gewerkschaftlichen Seminaren teilnehmen können, gedacht. Durch den Fernlehrgang bietet der ÖGB die Möglichkeit, sich gewerkschaftliches Grundwissen im Selbststudium anzueignen. Teilnehmen können gewerkschaftliche FunktionärInnen der Arbeitnehmervertretung und interessierte Gewerkschaftsmitglieder. Die Skripten können auch als Schulungsmaterial für Seminare und Vorträge verwendet werden. L Wie nehme ich teil? Es sind keine besonderen Vorkenntnisse nötig, einfach anrufen oder E-Mail senden. Die Abwicklung erfolgt per Post oder E-Mail, Anpassung an individuelles Lerntempo – ständige Betreuung durch das ÖGB-Referat für Bildung, Freizeit und Kultur. Die Teilnahme ist für Gewerkschaftsmitglieder kostenlos. Nach Absolvierung einer Skriptenreihe erhält der/die KollegIn eine Teilnahmebestätigung. L Was sind Themen und Grundlagen? Über 100 von Spezialisten gestaltete Skripten, fachlich fundiert, leicht verständlich, zu folgenden Themenbereichen: • Gewerkschaftskunde • Politik und Zeitgeschehen • Sozialrecht • Arbeitsrecht • Wirtschaft–Recht–Mitbestimmung • Internationale Gewerkschaftsbewegung • Wirtschaft • Praktische Gewerkschaftsarbeit • Humanisierung–Technologie–Umwelt • Soziale Kompetenz Zudem übermitteln wir gerne einen Folder mit dem jeweils aktuellen Bestand an Skripten und stehen für weitere Informationen zur Verfügung.
L Informationen und Bestellung der VÖGB-/AK-Skripten Für die Bestellung ist Kollegin Margarita Skalla (ÖGB-Referat für Bildung, Freizeit, Kultur, 1011 Wien, Hohenstaufengasse 10) zuständig: Tel. 01/534 44/444 Dw. Fax: 01/534 44/597 Dw. E-Mail: margarita.skalla@oegb.at Kollege Michael Vlastos ist für inhaltliche Fragen zu kontaktieren: Tel. 01/534 44/441 Dw. E-Mail: michael.vlastos@oegb.at
Auf der ÖGB-Homepage findet sich ebenfalls eine Übersicht der Skripten: www.voegb.at/skripten
Name und Adresse:
Anmerkungen
Fragen zu Wirtschaft 7 Wir ersuchen, die folgenden Fragen zu beantworten:* 1. Was ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt? Welche Konsequenzen er geben sich daraus für die österreichische Budgetpolitik?
2. Welche Aufgaben soll der Staat erfüllen? Was halten Sie vom Konzept des „schlanken Staates“?
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3. Wodurch unterscheidet sich der Staat von einem privaten Haushalt bzw. Unternehmen?
Anmerkungen
4. Erfolgt die Umverteilung in Österreich über das Steuersystem oder über die Staatsausgaben? Begründen Sie Ihre Antwort!
* Fernlehrgangsteilnehmer/-innen bitten wir, nach Abschluss der Fragen beantwortung die Seite(n) mit den Fragen abzutrennen und an folgende Adresse zu senden: Fernlehrgang des Österreichischen Gewerkschaftsbundes 1010 Wien, Hohenstaufengasse 10. 44