BeSp_maerkte

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Bewegte Sphären – Der Markt:

die Evolution des ökonomischen Körpers


» Der Markt der Zukunft ist kein Ort mehr, sondern die Verkörperung eines Traums. « Oliver W. Schwarzmann


Markt der Zukunft: Träumender Körper der Ökonomie Der Marktplatz ist trotz seiner überall sichtbaren physikalischen Gestalt in Form von Jahrmärkten, Ständen, Ladenlokalen, Shopping Malls allerdings kein wirklicher Ort, sondern er entsteht ursächlich im Prozess des Kommunizierens, des Verhandelns und Verkaufens. In vielen, vor allem historisch und orientalisch geprägten Kulturen durchmischt sich der Verkaufsprozess mit der jeweiligen Lebenskultur: Der Markt ist dort nicht nur Umschlagplatz von Produkten, sondern bildet vielmehr ein gesellschaftliches Feld, in welchem soziale Bedürfnisse, wie der Austausch von Meinungen und das Knüpfen von Beziehungen, im Vordergrund stehen. In den letzten 50 Jahren hat sich das Gesicht der Marktplätze total verändert: Der Markt reduzierte sich vom einstigen Forum für Angebot und Nachfrage auf ein schnelllebiges und hart umkämpftes Preis-Terrain. Warum spreche ich von Reduzierung? Natürlich haben sich die Märkte weiterentwickelt; Services aller Art, Form und Vorstellungs-

© 2008 - Oliver W. Schwarzmann / Bley und Schwarzmann AG

kraft betören unsere Sinne, die Absatzkanäle haben sich vervielfacht – und doch, der Markt gleicht einer Arena, einer (Verkaufs-)Front, die es einzunehmen gilt, Vertrieb ist Krieg. Der Rabatt hat sich dabei zum absoluten Wettbewerbsinstrument erhoben, ja er ist zur absoluten Domäne der aktuellen Handelskultur geworden; das Echo sinkender Marktpreise hallt in ambitionierten Kostensenkungsmaßnahmen der Unternehmen, die damit um Wettbewerbsfähigkeit ringen. Auf der anderen Seite zeichnen die KonsumentenCastings unserer Researchsysteme das Bild eines selbstbewussten, individualistischen und skeptischen Kunden, der sich nichts mehr verkaufen lassen, sondern selbst wählen will. Um gute Konsumentscheidungen treffen zu können, folgt der Kunde allerdings nicht mehr bedingungslos den Verführungen von Marketing und Vertrieb, sondern er sucht verstärkt nach unabhängigen Orientierungsimpulsen. Aus dieser Verhaltensströmung leite ich den Erfolg


» Der zukünftige Markt ist ein virtueller Körper imaginärer Idealisierungen. « Oliver W. Schwarzmann


von Ratings, Tests und Rankings ab – man denke an den im öffentlichen Konsumbewusstsein mittlerweile äußerst dominanten Stiftungs-Warentest-Effekt, der die Marketing- und Werbeszene kräftig durcheinander schüttelt. Da sowohl teure Premiummarken als auch superbillige Trashlabels gleichermaßen geratet werden, verlieren Preis und Emotions-Brands als Orientierungsfaktoren mehr und mehr an Bedeutung. Haben Produkte ohne Rating zukünftig keine Chance mehr? Versagt die Glaubwürdigkeit der Argumente? Wird der Markt ein Fall für öffentliche Qualitätsrichter? Interessanterweise führt uns gerade die Ära des virtuellen Business zur Neuerscheinung einer historisch und orientalisch dimensionierten Marktkultur. Die wirtschaftliche Prosperität im Internet basiert auf dem Effekt des HyperBasars: Es geht dort nicht um den schnellen Warentransfer, sondern Virtual-Life-Effekte garantieren ansteigende

Umsätze durch wachsende Communities. Mehr noch: Die Grenzen zwischen Käufer und Verkäufer, Produzent und Konsument, Anbieter und Nutzer verschwimmen. Die Fusion der grenzenlosen Cyberökonomie mit dem Geist der Re-Renaissance bestimmt den zukünftigen Körper der Vermarktung. Eine Entwicklung, die die Physik des Business verändert …



ZIVILISATORISCHE FRÜHPHASE:

Urknall des Marktes Die Tausch-Ökonomie Ob sich unsere prähistorischen Vorfahren auf einer Art Marktplatz trafen, um gezielt Geschäfte abzuwickeln, lässt sich heute nicht mit absoluter Sicherheit nachprüfen. Doch es kommt zu jener Zeit bereits zu kommunikativen, sozialen und kulturellen Aktivitäten innerhalb der jeweiligen Gemeinschaft, dabei werden Waren wie Nahrung, Werkzeuge, Waffen und erste Kunstgegenstände getauscht. Auch bei den Frühzeit-Meetings mit anderen Ur-Clans dienen die Begegnungen nicht nur zum Kontakt- und Erfahrungsaustausch, sondern auch dem Aufbau von Handelsbeziehungen, zum Teil über weite Distanzen. Einen festen Handelsplatz gibt es nicht, der Markt ist nomadisch, entsteht beim Aufeinandertreffen tauschwilliger Akteure.

Stunde null des Verkaufens: Homo oeconomicus erwacht © 2008 - Oliver W. Schwarzmann / Bley und Schwarzmann AG



ANTIKE, MITTELALTER, RENAISSANCE:

Blüte des Handels Imperien, Basare und die Seidenstraße Historische Hochkulturen zeichnen sich nicht nur durch große militärische, künstlerische und architektonische Leistungen aus, sondern auch über die Prosperität ihres Handels. Die imperialen Mega-Reiche der Antike betreiben die erste Form von ökonomischer Globalisierung: Der Warenfernhandel boomt, entlang berühmter Land- und Seerouten reisen Händler und ihre Waren - die Seidenstraße wird zum Synonym des Erfolgs geschichtlichen Transfers. Die Kostbarkeit und einfache Handelbarkeit von Edelsteinen, Muscheln, seltener Metalle und Schmuck bilden die Basis erster Währungssysteme, der Naturalienhandel verschwindet. Mit dem Auftreten des ersten Münzgeldes ist der Grundstein des modernen Finanzwesens gelegt: Die wachsende Anerkennung des Geldwertes und der noch einfachere Umgang damit belegen den Siegeszug des antiquarischen Cash-Flows. Die ersten Münzexemplare wurden bereits über 1000 Jahre v. Chr. in China hergestellt, in Europa treten sie rund 700 v. Chr. auf. Auch das erste Papiergeld ist Sache der Chinesen, im 11. Jahrhundert können sie bereits mit Scheinen bezahlen; auf dem europäischen Kontinent tritt das superleichte Zahlungsmittel gegen 1490 n. Chr. auf.

© 2008 - Oliver W. Schwarzmann / Bley und Schwarzmann AG



ANTIKE, MITTELALTER, RENAISSANCE:

Blüte des Handels Imperien, Basare und die Seidenstraße À propos: Das Europa des Mittelalters zeichnet sich durch einen intensiven Seehandel aus, vor allem Stadtrepubliken haben das wirtschaftliche und maritime Sagen – unter enormem Einfluss Ostindiens. Handwerk und Handel zeigen und verkaufen ansonsten ihr Können auf den zahlreichen Stadtmärkten – Wochen- Saison- und Jahrmärkte mit Sensationen, Gauklern und Quacksalbern. Aber auch erste Waren- bzw. Kaufhäuser zieren bereits die zentralen Städte. Mit dem epidemischen Ausbreiten des Geldes wandert die Tausch- und Zahlungsmittelkultur auf eine virtuelle Ebene: Kredite, Verpfändungen, Schuldverschreibungen und Wertpapiere erschaffen eine eigene Marktdimension. Eine Sphäre, die wie keine andere Besitz und Standesdenken, Sehnsüchte und Unterschiede der Menschen zum Ausdruck bringt.

Verkaufen ist Handarbeit: Wer produziert, handelt auch © 2008 - Oliver W. Schwarzmann / Bley und Schwarzmann AG



AB 18. / 19. / ANFANG 20. JAHRHUNDERT:

Industrialisierung der Märkte Aus Waren werden Fabrikate Die technischen Revolutionen der ersten Massenindustrialisierung erschaffen die neuen Märkte der Großindustrie: Der Siegeszug von Fabriken und Maschinen beginnt und mit ihnen startet der Boom von Transport und Arbeitsteilung. Produkte müssen nicht mehr im Herkunftsland ihrer Ressourcen produziert werden, sondern können ihren Fertigungsprozess an verschiedenen Werkstätten durchlaufen; Handel und Produktion differenzieren und trennen sich. Die maschinelle Beschleunigung des Warenverkehrs nimmt eine wichtige Stellung in der Evolution des Handels ein. Exotische Erzeugnisse aus den Kolonien der europäischen See- und Handelsmächte verleihen den Auslagen der Kolonialwarenhändler das Charisma fremder Kulturen. Doch es ist die Neue Welt, Amerika, die für Europa zum wichtigsten Handelspartner heranreift; der Stern Ostindiens sinkt. Die Industrialisierung erschafft nicht nur Dampfkraft und Fließband, sondern verändert die Gesellschaft: Schornsteine und Arbeitersiedlungen prägen das Gesicht der Städte – ein urbanes Antlitz, in das bald ein neues, aufstrebendes Bürgertum blickt.

Verkaufen unter Dampf: Die Basiskräfte der Ökonomie sind entfesselt © 2008 - Oliver W. Schwarzmann / Bley und Schwarzmann AG



MITTE 20. JAHRHUNDERT:

Wirtschaftswunder & Massenmärkte Konsum der neuen Mittelschicht Die ökonomischen Boomjahre der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts markieren den fantastischen Aufstieg des Nachkriegsdeutschlands zur Konsumrepublik. Nach dem Vorbild des amerikanischen Way-of-Life entdecken die Verbraucher ihre neuen Mängel: Konsum-Bedürfnisse suchen nach Befriedigung – die Reklame, Urform der Werbung, tüncht den Markthimmel in bunte Angebotsfarben. Die Nachfrage ist da: Einbauküche, Schrankwand, Automobil, es gilt: der Luxus von heute ist der Standard von morgen. Damit bevölkern immer mehr austauschbare Waren den Markt: Die Bedeutung von Unternehmensmarken als psychologisches Unterscheidungsmerkmal steigt rapide an. Die Werbung, nun nicht mehr Reklame, sondern Markt-Kommunikation, kolportiert statt freundlich formulierter Texte über Produkteigenschaften deren emotionale Interpretation: Gefühlsversprechen sind die neuen Qualitätsaussagen. Mit zunehmendem Wohlstand und steigender Angebotsdichte werden Produkte nicht mehr nur einfach nachgefragt, sondern müssen verkauft werden. Es ist die große Zeit von Außendienst und Vertrieb. Die grandiose Expansion des Konsums repräsentiert das gesellschaftliche Signum einer erfolgreichen Aufsteigermitte - die 1950er bis 1990er Jahre werden als ökonomische Superjahrzehnte in die Geschichte eingehen.

Verkaufen ist der Hauch von Luxus: Die neuen Wunder kommen aus dem Präsentationskoffer © 2008 - Oliver W. Schwarzmann / Bley und Schwarzmann AG



ENDE 20. / BEGINN 21. JAHRHUNDERT:

Elektronische Märkte Die grenzenlose Verfügbarkeit Die traditionellen, lokalen und physikalischen Marktplätze sind gerade müde geworden, da zeichnet sich ein neues Forum für Geschäfte am Absatzhimmel ab: Das World Wide Web sprengt alle geografischen Grenzen und ökonomischen Konventionen – das Internet ist der Inbegriff unbegrenzter Entfaltungsmöglichkeiten. Das globale Netz lädt zur Life-Style-Party rund um die Uhr. Der Kunde, nun User, hat per Mausklick Zugriff auf die Märkte der Welt: Sofort, unmittelbar, direkt – die ökonomische Gegenwart avanciert zur Transaktion in Echtzeit. Warten ist der Erfolgskiller. Es vollzieht sich ein wesentlicher, mentaler Konsumwandel: Die Faszination unbegrenzten Zugangs löst das Dogma des Bezugs ab. Damit demokratisiert das Internet die Infrastruktur der Informationsgesellschaft und ihre wichtigsten, ökonomischen Insignien: Wissen und Märkte. Alles ist für jeden jederzeit zu haben, jeder kann mit jedem zu jeder Zeit interagieren. Transparenz, Wettbewerb, Service - noch nie lagen die Maßstäbe der Ökonomie so eng zusammen. Die Neuen Medien bilden trotz des Zusammenbruchs ihres euphorisch gefeierten Finanzplatzes die Vorzeichen einer neuen Wirtschaftskultur: die virtuelle Netzökonomie. Das World Wide Web selbst stellt allerdings keinen gigantischen Markt dar, sondern ist vielmehr ein virtueller Körper, der sich aus vielen Teilnehmern, Börsen und Gemeinschaften immer wieder neu formt.

Verkaufen ist ein 24h-Event: © 2008 - Oliver W. Schwarzmann / Bley und Schwarzmann AG

Life-Style per Knopfdruck



ANFANG / MITTE 21. JAHRHUNDERT:

Symbiotische Märkte Die Evolution des Schwarms Der virtuelle Körper entwickelt sich, er wächst zum Wesen aus Interaktion und Integration heran. Schwarmintelligenz, im Web-2.0.-Duktus als „Weisheit der Vielen“ ausgesprochen, ist eines der urbanen Stichworte der Mediengesellschaft. Der Schwarm repräsentiert die Trendmetapher einer neuen Masse: Die Summe der User erzeugen in ihren Zusammenschlüssen und Zusammenspielen das Phänomen der virtuellen Emergenz: Sie erschaffen Wissen und Märkte, die sich weder aus der Summe ihrer selbst noch aus der ihrer Aktivitäten ableiten lassen. Die virtuelle Netzökonomie gebärt indirekte Märkte, die sich dem klassischen Abakus des Absatzmanagements entziehen: Die Penetrations-Mathematik des Vertriebs wechselt zur Partizipationskultur der Schwarmorganisation. Die traditionellen Rollen von Anbieter und Nachfrager lösen sich im Schwarmkörper auf: alle werden zu Anwendern, kaufen und verkaufen, geben und nehmen, fragen und antworten … innerhalb ihrer Beziehungsgeflechte. Die Dynamik dieser Beziehungssysteme basiert auf dem Konzept der Symbiose, das die Kultur des Partizipations-, Tausch- und Basarverhaltens reflektiert: Der Eine weiß, was der Andere nicht weiß; der Nächste bringt ein, was ein Dritter sucht … – die Schwarm-Ökonomie organisiert sich per Integration, Verteilung und Ergänzung selbst.

Verkaufen ist Community: Der Markt wird zum Körper der Schwarmintelligenz © 2008 - Oliver W. Schwarzmann / Bley und Schwarzmann AG



AB MITTE 21. JAHRHUNDERT:

Fantasiemärkte Die Ökonomie beginnt zu träumen Die bisherige Gewinn-und-Verlust-Wirtschaft teilt sich in viele Subökonomien auf, insbesondere die Partizipationssysteme der symbiotischen Communities sind erfolgreich. Die Interessen der Schwärme kreisen um das große Thema der Menschheit: Der Traum von einer vollkommenen Lebenskunst. Die Verwirklichung idealisierter Vorstellungen über eine kreative Lebensgestaltung, einer ausgewogenen, vitalen Körperlichkeit und von symbiotischen Beziehungen zu Mensch und Kosmos bildet den Pfad kultureller und ökonomischer Wertschöpfung. Die Märkte formen sich aus diesem Bewusstsein: Die Entfaltung individueller Life-Style-Fantasien, das Erlebnis sinnlicher und haptischer Körper- und Naturmystik und die Integration in kreative Communitysysteme bestimmen die Anspruchskultur der User. Diese Struktur zeigen auch die hypermodernen Produktsysteme: sie besitzen eine virtuelle Dimension, aus welcher der User Innovationen, Bauteile und Serviceanwendungen selbst generieren kann, bestehen aus regenerativen und morphologischen Materialien und besitzen Marken, die Zeichen einer spezifischen Life-Style-Mystik sind.

© 2008 - Oliver W. Schwarzmann / Bley und Schwarzmann AG



AB MITTE 21. JAHRHUNDERT:

Fantasiemärkte Die Ökonomie beginnt zu träumen Unternehmen sind auch wieder Händler, ganz anders als im klassischen Stil: Sie bewegen sich ausschließlich in der Beziehungsdimension, installieren dort kreative Wertschöpfungs-Foren, in denen die User selbst produktiv sind. Das Unternehmen ist damit ein generativer Schwarmkörper aus Produktivraum und aktiver Community; die Fantasien von Unternehmen und User verschmelzen. Generative Schwarmkörper vernetzen und durchdringen sich, besitzen dennoch ein hohes Maß an Eigenständigkeit. Diese Eigenständigkeit leitet sich jedoch nicht mehr von traditionellen Unternehmensprofilen ab, sondern entsteht durch die Attraktivität der jeweiligen Schwarmkultur. Diese wiederum basiert auf dem spezifischen Wertschöpfungstraum, den Unternehmen und User gemeinsam träumen.

Verkaufen ist die Förderung generativer Wertschöpfungsträume: Fantasien verschmelzen zu produktiven Utopien © 2008 - Oliver W. Schwarzmann / Bley und Schwarzmann AG


Rechtlicher Hinweis Autor: Oliver W. Schwarzmann, Vordenker Verlag und Redaktion: Bley und Schwarzmann AG Im Raisger 29 - 71336 Waiblingen Telefon 07151-6040939 - Telefax 07151-9457608 email: info@zukunftsnet.de - Web: www.zukunftsnet.de Foto: © gettyimages® email an die Redaktion: redaktion@vordenkeronline.de © 2007/2008 für alle Beiträge des Vordenkers. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck (auch auszugsweise) nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. Hinweis: Den Beiträgen, Charts, Tabellen liegen Informationen zugrunde, die die Redaktion für verlässlich hält. Trotz sorgfältiger Auswahl der Quellen kann für die Richtigkeit des Inhalts keine Haftung übernommen werden.


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