© Oliver W. Schwarzmann - www.oliver-schwarzmann.de
Oliver W.
Schwarzmann
KOLUMNE Schon am Ende der Nahrungskette – Oder: Essen wir unsere Zukunft auf? Stets wieder und schon längst hat der Mensch die Büchse der Pandora geöffnet – auch stets wieder und schon längst in der Lebensmittelbranche, die nun einmal mehr im Ruf steht, eine unbarmherzige Qual- und Tötungsindustrie zu sein. Skandale sind nur die Spitze des einen Eisbergs, auf den die Menschheit stets wieder und schon längst aufläuft, weil sie immer mehr und immer billiger konsumieren und zugleich immer mehr und immer schneller verdienen will. Das ist dann auch die Erklärung für den aktuellen Skandal, also nun für das Giftei, neben unerträglichen Zuständen in der Massentierhaltung und roher Gewalt auf den Akkordschlachthöfen. Das Schnitzel auf unserem Teller ist eigentlich kein Lebensmittel, sondern ein Opfer. Ein Opfer unserer Unersättlichkeit nach schmackhaften Nahrungsmitteln und deren günstiger und bequemer Verfügbarkeit. Und es sind zudem noch unser Energiehunger, unser Platzanspruch, das gigantische Müllaufkommen und der Ausstoß unserer Industrien, die sich zu allem Schlechten hinzugesellen, was sich bestens eignet für ernsthafte Prophezeiungen über die bevorstehende Apokalypse. Wir leben in einer gefühlten Endzeit. Schließlich war das ja bis jetzt immer so: Hatten Zivilisationen den Zenit ihrer Entwicklung erreicht, zerstörten sie sich selbst. Und wir haben – gefühlt – unseren Höhepunkt schon längst überschritten. Die moderne Hightech-Gesellschaft wird sich nunmehr vollends selbst vergiften oder sie erstickt am Feinstaub oder verhungert im Verkehrsstau, zuvor werden wir wahrscheinlich durchdrehen wegen des zunehmenden Lärms in unserer Welt. Natürlich, wir werden immer älter, doch die Apokalypse kommt nicht mit einem Knall, sondern begibt sich schleichend auf ihren desaströsen Weg. Die steigenden Lebenserwartungsperspektiven dürfen uns also nicht über den desolaten Zustand hinwegtäuschen – wir werden nicht wirklich älter, sondern wir sterben einfach langsamer. Freilich, Tiere zu essen, ist zwar schmackhaft, aber keineswegs romantisch. Der Zwiespalt könnte nicht größer sein: Was wir im Streichelzoo noch ins Herz schließen, landet früher oder später im Kochtopf. Wir lieben die Auen mit ihren wunderbaren Geschöpfen, bewundern aber zugleich die Sterneköche, die die Garnierung des erlegten Wilds zur Kunst erheben. Ja, in unserer Welt läuft einiges schief. Also essen wir jetzt nur noch Pflanzen. Was aber, genau bedacht, auch nichts anderes ist, als das, was wir der Fauna antun. Oder hat die Flora nicht den gleichen Stellenwert wie Tiere?
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KOLUMNE Zeigen neuere Forschungen doch, dass Pflanzen kein Grünzeug sind, sondern sensible, intelligente und hochvernetzte Lebewesen … Gut, dann lasst uns nur noch Früchte essen, dabei werden die Pflanzen nicht völlig zerstört beziehungsweise in Gänze vertilgt. Vom Fleischfresser zum Vegetarier, darüber zum Veganer und schlussendlich hin zum Frutarier – ist das die Zukunft unserer Evolution? Möglicherweise. Zumindest bis wir zur Photosynthese taugen; Lichtnahrung wäre für die Umwelt eine echte Entlastung. Ok, es gäbe sicherlich zur Mittagszeit dichtes Gedränge auf den Freiflächen und Balkonen, aber Sterneköche und Foodcoachs würden uns schon zeigen, wie wir den besten Platz an der Sonne ergattern. Aber was machen wir bis dahin? Nur noch an Obst, Beeren, Nüssen und Samen knabbern? Das Müsli zur Haute Cuisine erheben? Aus kernigen Jungs würden körnige Kerle werden. Nicht nur das: Riesige Plantagen, eingehüllt in Nebelbänke aus Pestiziden und Fungiziden, wären die Folge – gut für die Umwelt? Was machten die Fischer? Für sie hieße es ja: Hände weg von Meeresfrüchten. Und in Regionen, in denen wenig Florahaftes gedeiht, verhungerten die Menschen, schließlich dürften sie ihre Hühner und Ziegen nicht mehr anrühren. Mit der Natur leben, heißt auch von der Natur leben, das zeigt uns die Natur selbst. Dort herrscht auch eine Nahrungskette, die, im Unterschied zu unserer, alle natürlichen Ressourcen im Gleichgewicht hält. Mit Geben und Nehmen. Und Integrität: Die Natur nimmt sich selbst vom Lebendigen nicht aus, wir schon. Ich glaube, es ist nicht die Frage, ob wir Fleisch essen oder nicht, sondern mit welchem Bewusstsein wir es tun - der Mensch ist, wie er isst. Erweisen wir unseren Lebensmitteln Würde und Respekt, erweisen wir das uns selbst. Und das würde nicht nur die Ernährungsindustrie verändern. Aber so tickt der Mensch nicht. Harmonie ist verdächtig. Und ja - es lässt sich mit dem Schrecken einfach gutes Geld verdienen. Die Schlagzeilen sind monströs und blutrot gefärbt, der Betroffenheitsgrad hoch, gerade wenn es darum geht, was wir in uns hineinstopfen. Aber auch sonst verkaufen sich Erregung über das Schlechte oder die Bedrohung durch das nahe Ende formidabel, noch besser in Kombination. Es ist sogar eine neue Branche entstanden: der Anti-Markt. Gegen etwas zu sein, ist wieder très chic und natürlich viel einfacher, als sich für etwas einzusetzen. Letzteres benötigt Engagement, Kreativität und Verantwortung, während Ersteres einzig mit Ablehnung, Verweigerung und Widerstand auskommt.
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KOLUMNE Veränderungen erreicht man durch die effektvolle Dramaturgie eines Problems, nicht durch die Ambition für das Andere und Neue als grundsätzliche Lösung, das ist ein altes Gesetz der Politik. Doch das könnte sich umdrehen. Aus der Endzeit würde eine Anfangzeit werden. Das Gewagte erhöbe sich über das Gewohnte. Es gäbe Mutbürger statt Wutbürger. Wie das wohl ausgehen würde? Nun, aus der Büchse der Pandora entweicht ja auch die Hoffnung. Nicht nur stets und schon lange, sondern grundsätzlich.