gespuer-biologie

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© Oliver W. Schwarzmann - www.oliver-schwarzmann.de

Oliver W.

Schwarzmann

KOLUMNE Gespür für die Zukunft oder: Die Biologie des Optimismus Christian de Duve, belgischer Biochemiker und Nobelpreisträger, entwirft in seinem Buch „Die Genetik der Ursünde – Auswirkungen der natürlichen Selektion auf die Zukunft der Menschheit“ ein pessimistisches Zukunftsszenario. Die Gründe sind die üblichen Verdächtigen: Die Gene. Denn wir Menschen sind - naturwissenschaftlich betrachtet – ja genetische Marionetten und als einstige genetische Profiteure – Gesetz des Stärkeren (Basta!) - werden wir jetzt zu deren Opfer, aussortiert sozusagen. Denn das egoistische Streben unserer Gene, einst evolutionäre Siegerveranlagung, richtet sich jetzt gegen uns selbst. Egoismus ist eben ein Bumerang. Die Lösung: Klimaschutz und Geburtenkontrolle, denn – wie wir wissen: Umweltzerstörung und Überbevölkerung raffen den Planeten hin. Ohne Planet kein Leben, ohne Leben keine Gene. Das haben die Gene begriffen, scheinbar. Warum aber programmieren sie uns dann nicht zu Zukunftswesen um? Nun, wie kommen wir nun zu einer Lösung? De Duve meint: Mit Vernunft. Der Mensch muss Einsicht gewinnen in seine prekäre Situation und endlich mal verantwortungsbewusst handeln. Schön und gut. Nun, die Vernunft ist verdächtig, finde ich, hat sie uns doch im Gewand strategischen Kalküls und rationaler Kosten-Nutzen-Abwägung die Suppe überhaupt erst eingebrockt. Ich glaube zudem, dass wir Natur und Evolution falsch verstehen: Austausch und Kooperation sind wesentlich wichtigere Entwicklungsprinzipien als das plumpe und vom Menschen (gern) adaptierte Gesetz des Stärkeren. Wäre die Entwicklung der Welt nur Zwängen gefolgt, gäbe es weder Vielfalt noch Schönheit. Und ein Blick aus dem Fenster genügt, um zu erkennen, welch’ wundervolle Netzwerke in der Natur am Werk sind. Doch – globale Gemeinschaft und individueller Überlebensdrang passen scheinbar nicht zusammen. Vernünftig besehen. Ja, der Zwiespalt des Lebens – Egoismus oder Gemeinsinn – macht seit Jahrzehnten auch der Physik zu schaffen: Die Unvereinbarkeit von Relativitätstheorie und Quantentheorie steht genau für diese Ambivalenz. Während die Relativitätstheorie irgendwie eine Machttheorie ist, schließlich geht es bei ihr um die Stärke von Größen, beschreibt die Quantentheorie im Gegensatz dazu die Kraft des Zusammenhangs und die Magie des großen Ganzen. Tja, Macht und Gemeinschaft passen eben nicht zusammen. Vernünftig gedacht.


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KOLUMNE Ja, die Vernunft: Ich glaube nicht, dass Vernunft zu Einsicht und Einsicht zu Verantwortung führt. Ich denke, es sind unsere Gefühle, die uns zu wirklichem Handeln befähigen. Einsicht ohne Emotion hat keinerlei Wirkung - wenn wir nicht mit ganzem Herzen bei der Sache sind, kommt nichts Konstruktives dabei heraus. Ohne Hingabe können wir nichts erwarten. Und - Nachhaltigkeit braucht Leidenschaft. Leidenschaft setzt Bewunderung voraus. Und Bewunderung geht weit, sehr weit über die Vernunft hinaus. Wenn wir die Schönheit unseres Planeten erkennen, werden wir sorgfältiger mit ihm umgehen, war das Credo von Hans-Jürgen Müller, Initiator des MARIPOSA-Projektes (www.mariposa-projekt.de). Also, wie retten wir jetzt unsere Zukunft? De Duve sieht Chancen bei Religionsgemeinschaften und Umweltschützern, aber denen traut er nicht so wirklich, schließlich herrschen dort starre Dogmen. Es gibt aus meiner Sicht eine weitere Gruppe, die Verantwortung übernehmen könnte (müsste): die Unternehmen. Unternehmen sind dicht an den Ressourcen und dicht am Menschen; sie sind lokale wie globale Intermediäre zwischen Gegenwart und Zukunft. Freilich, die müssen sich neu organisieren – weg von Machtkalkül und Kosten- Nutzen-Denken. Handeln und Vision zusammenbringen. Das sollten sie tun, schon zum Selbsterhalt. Bewunderung, Hingabe, Nachhaltigkeit und Gemeinschaft werden die neuen Erfolgsgrößen sein. Futuristisch gedacht. Was können wir noch machen? Nun, vielleicht sollten wir mal Macht als gemeinschaftliche Kraft statt als selektiven Überlebensanspruch denken. Der Mensch kommt dann zu Größe, wenn er sich dem Großen annimmt. Und wir sollten die Einzigartigkeit und Besonderheit unseres Planeten und das Privileg, dass wir kreative Wesen sind, erkennen. Mit Erkennen meine ich: fühlen. Die Natur hat uns nicht umsonst mit Emotionen ausgestattet – sie schaffen Verbindung. Verbindung ist ein Schlüsselwort. Ganzheitlich gedacht. Und wenn wir die Evolution mit unseren Idealen und Gefühlen verbinden, erhalten wir etwas, das über jede Vernunft hinausgeht: Zuversicht. Und Zuversicht beeindruckt auch unsere Gene.


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