gier

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Ausgereizt: Hat die Gier noch Zukunft? Die Gier hat’s schwer. Seit der Finanzkrise steht sie auf verlorenem Posten. Niemand will mehr etwas mit ihr zu tun haben. Sie dient nur noch als schlechtes Beispiel. Und nicht zuletzt liefert Dieter Wedel mit seinem TV-Zweiteiler „Gier“ den passenden Unterhaltungsrahmen dazu: Hochstapler und geldgeile Anleger passen einfach wunderbar zusammen – sie sind die üblichen Verdäch�gen und an solchen Geschichten und Figuren können sich die Zuschauer eine Bestä�gung für ihre moralische Integrität abholen. Doch sind wir alle nur Zuschauer? Und – was haben wir aus der Finanzkrise bis heute gelernt? Dass wir keine Risiken mehr eingehen wollen? Dass wir nicht mehr spekulieren werden? Dass wir nun endlich mehr Kontrollen benö�gen? Dass wir bereits das kleinste Anzeichen von Gier in uns unmi�elbar und rigoros ers�cken? Welche Zukun� würde uns mit Umsetzung dieser Vorsätze wohl erwarten? Ich meine: Eine misstrauische, mutlose, eintönige und langweilige Welt käme uns da entgegen. Nein, ich plädiere für das Gegenteil: Risiken sind wich�g. Spekula�onen sind wich�g. Die Gier ist wich�g. Wie komme ich zu Aussagen, die sich so gar nicht in den Tenor des aktuellen Meinungschors eins�mmen lassen? Meine Antwort: Risiken fördern Intelligenz, Weitblick und Verantwortungsbewusstsein. Spekula�onen treiben die innova�ve Wirtscha�sentwicklung und die krea�ven Fähigkeiten des Menschen voran. Und die Gier ist eine Kra�, die durchaus zu posi�ver Mo�va�on führen kann. Zumindest gilt das aus Sicht der Chancen. Was aber ist mit Kontrollen? Eine neue Ordnung muss her, heißt es nach wie vor. Nun, eines ist sicher: Intelligenz, Weitblick, Verantwortungsbewusstsein, Innova�on, Krea�vität und Mo�va�on lassen sich mit Kontrollen nicht erzwingen. Und es steht für mich außer Frage, dass die freie Mobilität der Finanzströme die Basis für ökonomischen Austausch bildet. Deshalb Risiken, Spekula�on und die Gier sich selbst zu überlassen, wäre fatal – wie wir ja nun alle wissen. Was aber können wir an die Stelle von Kontrollen setzen? Vernun�? Moral? Ethik? Selbstregulierung? Eine mi�lerweile ermüdete Diskussion �ngelt um diese A�ribute, sie wird wohl schnell vollends einschlafen und verstummen, wenn die Wirtscha�sdaten wieder auf Siegeszug sind.


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Dann wollen wieder alle Beute machen. Oder wir erkennen tatsächlich, dass Wohlstand unmi�elbar mit unserer Wertehaltung zusammenhängt. Eine wünschenswerte Denkweise, die sich allerdings nicht per staatlichem Dekret in die Köpfe der Menschen implan�eren lässt – sie müssen von selbst darauf kommen. Sta� für Kontrollen plädiere ich für einen entspannteren Umgang mit Gier. Wie wir dazu kommen? Nun, zunächst beginnt diese Haltung mit dem Abschied von Einsei�gkeit. Was ich damit meine? Eindimensionales Denken, monotones Handeln, extreme Haltung: Geht es um Risiken, droht gleich der Weltuntergang. Geht es um Spekula�onen, spekulieren alle oder keiner. Geht es um Gier – nun ja. Und Kontrollen? Bi�e ja, aber mit entsprechender Vehemenz. Doch sobald die Krise überwunden scheint, werden wir wieder ihre Abschaffung fordern. Meinungsströmungen und Wirtscha�szyklen sind im Grunde nichts anderes, als die öffentliche wie konjunkturelle Manifesta�on unseres Schwarz-Weiß-Bewusstseins. Entweder es geht uns gut oder schlecht. Entweder - oder. Das Leben bewegt sich eben zwischen Schicksal und Überzeugung. Was in einer komplexen Welt nicht mehr gilt. Hier heißt es nun: Das Leben bewegt sich zwischen Möglichkeit und Vorstellungskra�. Wer über den Tellerrand hinausblickt, weiß, an welchem Tisch er sitzt. Bedeutet heute: Trotz Krise sind genügend Möglichkeiten für En�altung vorhanden. Im Gegenteil: Krisen bilden den Raum, neue Wege und Betä�gungsfelder zu entdecken. Es sind vielleicht andere, als die gewohnten. Doch, was erwarten wir von Veränderungen? Dass sie unsere Gewohnheiten bestä�gen? Also: Was sollen wir tun? Warten, bis die Krise nun endlich vorübergeht? Hoffen, dass andere, mu�ge Märkte und Unternehmen für einen neuen Aufschwung sorgen? Die Emerging Markets? China? Von dort erreichen uns ja schon hoffnungsvolle Signale. Und wenn der Aufschwung bald eintrifft, dann müssen wir auch nichts wirklich verändern, schon gar nicht uns selbst. Doch – wird der Aufschwung genügend Esprit haben, damit er uns alle mitnehmen kann? Nun, ich glaube, das neue Wachstum wird uneinheitlich daherkommen. Schon deshalb, weil die Wirtscha�swelt uneinheitlich strukturiert ist, weil es in ihr einfach differenziert und komplex zugeht. Und weil wir mi�lerweile in derart spezialisierten Märkten leben, dass die Konjunktur zur persönlichen Angelegenheit geworden ist.


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Was können wir tun? Wir ha�en es in 2009 mit den konjunkturellen Effekten der Krise zu tun, in 2010 geht es um die strukturellen Veränderungen. Diesen Wandel können wir weder aussitzen noch mit Subven�onsfarbe übertünchen. Und die Rahmenbedingungen spielen mit, die Zeichen stehen nicht schlecht: Weitere Stärkung des europäischen Binnenmarktes mit Blick auf neue Wachstumsressourcen in Osteuropa, Ausbau der Vertriebsengagements in Asien und nicht zuletzt bieten die BRIC-Staaten Potenziale – Brasilien und Indien benö�gen enorme Inves��onen in Infrastruktur und Bildung, Russland bietet einerseits die Op�on für intensive Rohsto�oopera�onen, andererseits sehe ich dort wachsende Absatzpotenziale nicht nur für deutsche Technologieprodukte, sondern auch für hochwer�ge Konsumgüter. China bleibt auch weiterhin globaler Wachstumsmotor mit enormer Drehzahl. Für die Stabilität des Exporterfolgs sind auch in Zukun� die permanente Weiterentwicklung innova�ver Waren und Dienstleistungen sowie ein ausgeprägtes Finanzrisikomanagement Usus. Hinzu kommt der Klimawandel; gegenüber den steigenden Kosten der ökologischen Veränderungen, eröffnen sie auch ein Feld für zukun�ssichernde Technologieprodukte. Es geht dabei nicht nur um die Klassiker, wie Umweltverträglichkeit, Energieeffizienz, Alterna�vressourcen und Emissionsreduzierung, sondern die grundlegende Neugestaltung unserer Lebensweise steht im Mi�elpunkt neuer Ambi�onen. Das gilt auch für die Automobilbranche: Sie krankte bereits vor der Krise und wurde mit Abwrackprämie bestens bemu�ert. Doch Subven�onsmärkte sind Scheinmärkte. Es ist an der Zeit, das Produkt ‚Automobil’ völlig neu zu denken – einerseits verlangen die veränderten Energie- und Umweltbedingungen kleine, energiesparende und emissionsarme Fahrzeuge. Andererseits ist die Infrastruktur der Ballungsgebiete – und dort spielt sich das Gros des Verkehrsau�ommens ab – völlig überfordert. Die Zukun� der Automobilbranche sehe ich im Entwurf neuar�ger Mobilitätskonzepte. Ja, die Autohersteller werden sich wandeln müssen zu Dienstleistern für Mobilitätssysteme. Zukün�ig kaufen wir keine Autos mehr, sondern wir lassen uns unsere individuelle Mobilität organisieren – unter Einbezug von allen sinnvollen Verkehrsmi�eln. Intermobile Verkehrssysteme mit Sharingprogrammen steigern die Effizienz vorhandener Urbanität. Auch die Zuliefererindustrie steht vor der Herausforderung, sich auf diese industrielle Transforma�on einlassen zu müssen. Neben einer zunehmenden Biologisierung der Technik heißt es: Spezialisierung ja, aber mit wachsender Integra�onsbreite. Je flexibler und universaler ihre Erzeugnisse in unterschiedliche Fer�gungsprozesse einsetzbar sind, desto geringer ist die Enge des eigenen Geschä�sfelds. Zulieferer werden sich zudem als sichtbare Co-Marke in die Präsenz des Endprodukts einbringen, um am finalen Markt als eigenständiges Qualitätsmerkmal wahrgenommen zu werden. Denn: Unsichtbare Zulieferer sind austauschbare Zulieferer. Wie sieht die Zukun� der viel gescholtenen Bankenwelt aus? Nun, nicht nur Banken, sondern alle Finanzdienstleistungs- unternehmen, werden in einem nie gekannten Ausmaß um die Gunst ihrer Kunden kämpfen müssen. Es gilt, Glaubwürdigkeit und Vertrauen in einem schwierigen Umfeld völlig neu herzu-


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stellen. In Märkten, die sich zwischen ungleicher Wirtscha�sdynamik und hohen Sicherheitsansprüchen weiterhin äußerst nervös und unberechenbar zeigen werden, werden nur Finanzdienstleistungsunternehmen gewinnen, die supertransparente wie hochinnova�ve Produkt-, Unternehmens- und Vermarktungsphilosophien formulieren und umsetzen. Eine Entwicklung, die viele Chancen für den Finanzdienstleistungssektor birgt: Neben den bisherigen, klassischen Rendite- und Sicherheitsversprechen, können Finanzunternehmen ihre Kundenbeziehungen auf eine neue, von Verkaufsdruck und überzogenen Gewinnforderungen befreite Stufe stellen – die persönliche Nähe zum Markt sowie Offenheit und Klarheit werden in einer globalen und anonymen Finanzwelt zum wesentlichen Element einer neuen Qualität in der Kundenbeziehung. Bevor wir nun zum Schluss dieser kleinen Themenexpedi�on kommen, bleibt noch eine Frage zu beantworten: Wie gehen wir nun letztlich mit Risiken, Spekula�onen und Gier um, damit wir die für eine produk�ve Zukun� notwendigen A�ribute, wie Intelligenz, Weitblick, Verantwortungsbewusstsein, Innova�on, Krea�vität und Mo�va�on, entwickeln können? Versuchen wir es damit: Verbinden wir Risiken mit persönlichem Verantwortungsbewusstsein und fördern gleichzei�g die Kra� der Mu�gen. Unterlegen wir Spekula�onen mit eigenem Geld und binden Finanzierungen an qualita�ve Ziele. Und lassen Sie uns die Gier an eine posi�ve Leistungsmo�va�on koppeln, indem wir eine neue Werteorien�erung ausgeben. Zu roman�sch? Vielleicht. Eines ist jedoch sicher: Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass die alten Wachstumsmuster von Vergrößerung und Vermehrung ausgedient haben. Vergrößerung auf der einen Seite führt zur Verkleinerung auf der anderen, Vermehrung des einen führt zur Verringerung des anderen. Und in der Wechselwirkung und Rückkopplung dieser Effekte ergeben sich Probleme für uns alle. Hören wir also auf die Rufer, die Nachhal�gkeit fordern. Doch verwechseln wir Nachhal�gkeit bi�e nicht mit Langfris�gkeit. Nachhal�gkeit hat nichts mit der Überwindung des Kurzfris�gen zu tun, sondern mit Verbesserung. Mit Kul�vierung. Mit neuen Qualitäten. In Anlehnung an diese Gedanken sehe ich posi�ve Effekte, die aus der Krise hervortreten könnten – neue Vermarktungsfähigkeiten, wirklich innova�ve Produkte, mehr Servicebereitscha�, weniger Arroganz und ein größeres Zukun�svertrauen wären hier einige S�chworte. Plus eines marktsei�gen und unternehmerischen Werte- und Kulturwandels wäre das doch ein wahrer Gewinn, gehoben aus der Tiefe einer Krise. Kommen aber weiterhin Schuldzuweisungen, Misstrauen, überzogene Regulierungsforderungen und verfehlte Subven�onen ans Tageslicht, bahnt sich die nächste


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Krise an. Stellen wir doch einmal unsere Vorstellungskra� über die ökonomischen Mechanismen – das Resultat würde uns sicher erstaunen. Insbesondere, wenn sich der Mensch dabei an die Vision einer besseren Welt wagen würde. Zu roman�sch? Vielleicht. Eines ist jedoch sicher: Menschen, Märkte und Kapital haben eines gemeinsam - sie folgen Visionen. Zeit also, neue zu entwickeln. Gerade für die Gierigen unter uns.


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