jahr2010

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2010 – das Jahr, in dem wir zu uns selbst finden. Oder: Warum das neue Jahrzehnt besser werden kann als das alte Das letzte Jahrzehnt kommt in der Retrospek�ve denkbar schlecht weg: Terror, Krieg, Umweltkatastrophen, Hungersnöte, sich ausbreitende Armut, Hartz 4, Finanz- und Wirtscha�skrise, Verhandlungsschlappe beim Klimagipfel und nicht zuletzt das Kunduz-Desaster sind nur die Spitzen der vergangenen und äußerst anstrengenden zehn Jahre, die natürlich zugleich auch Bürde und Hypothek für die neue Dekade sind. Freilich, es liegt an uns selbst, wie wir mit diesen Belastungen umgehen und sie als Vorzeichen deuten. Die Frage ist also: Welche Perspek�ven formulieren wir? Nun, die Kinomacher haben ihre Sichtweise bereits seit Monaten abgegeben: Roland Emmerich inszeniert pompös und gewal�g den „Weltuntergang anno 2012“, während James Cameron „Pocahontas in Blau“ (Avatar) vorführt. Doch – werden wir wirklich sang- und klanglos untergehen? Oder erobern wir tatsächlich einen paradiesischen Harmonieplaneten mit der Härte militanten Kolonialismus? Beides wird wohl kaum unmi�elbar geschehen, es sind vielmehr Parabeln auf uns selbst, auf unsere Historie und auf unsere persönliche wie gesellscha�liche Gefühlslage. Längst haben Medienmacher die Rolle der eins�gen Geschichtenerzähler, Lehrmeister und Schamanen übernommen: Ihre Plots sind deshalb auch Warnungen, es gilt die große Katastrophe zu verhindern und eine zweite ul�ma�ve Chance für ein nachhal�ges (Über-)Leben nicht zu verspielen. Was sagt die Realität dazu? Die Pessimisten fühlen sich durch die vergangenen Geschehnisse gestärkt und sehen die For�ührung ökonomischen und poli�schen Scheiterns. Die Op�misten hingegen, ganz im Dienste ihrer euphorischen Gesinnung, wi�ern enormes Steigerungspotenzial. Und sie haben im Sinne der Pessimisten recht: Viel schlechter kann es ja ohnehin nicht mehr kommen. Was im Sinne der Op�misten falsch ist: Wer das letzte Jahrzehnt eben nur an seinen Tragödien bemisst, wird eben nur Tragödien finden. Ergo: Niemand weiß so recht, das neue Jahr und schon gar nicht das neue Jahrzehnt zu deuten. Man ist vorsich�ger geworden, erinnert man sich doch an die alles überstrahlenden Visionen der ausgehenden 1990er Jahre und deren darauf folgende Ernüchterung. Kein Wunder, dass sich die meisten unter uns weder noch zu irgendwelchen Meinungslagern zählen, nein, sie wissen schlicht überhaupt nicht, was kommen wird und sind mehr denn je orien�erungslos, weshalb unter den Vielen jeder sein eigenes Süppchen im Verborgenen kocht.


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Es ist auch nicht die Zeit selbst, die wie ein Ereignisfließband automa�sch alles mit sich bringt, sondern wir Menschen sind es, die Entwicklungen machen, nicht umgekehrt. Freilich, auf unser dominantes Eingreifen in alle Lebensvorgänge reagieren die evolu�onären Krä�e mit ihren Mi�eln der Wechselwirkung: Je mehr Ressourcen wir vernichten, desto schlechter werden unsere eigenen Lebensbedingungen. Je mehr wir die Umwelt zerstören, desto mehr breiten sich Ungeziefer und Unkraut aus. Und je mehr wir Menschen uns gegensei�g unter Druck setzen, ob ökonomisch, poli�sch oder militärisch, desto stärker schwächen wir die Menschheit insgesamt. Das sind keine neuen Erkenntnisse zum moralischen Jahresau�akt, sondern uralte, zeitlose Wahrheiten. Wahrheiten, die sich gut auf Sprüchekalendern machen, leider aber auf der Agenda der Mäch�gen zu fehlen scheinen. Wenn uns das letzte Jahrzehnt eines gelehrt hat, dann doch die Einsichten, dass alles mit allem zusammenhängt, dass erst Unterschiede und Differenzierung sinnvolle Koopera�onen möglich machen, dass sich wirkliche Verantwortung nicht als juris�sche Ha�ung begrenzen lässt, dass jeder an gö�liche Krä�e glauben darf, dass wir aber auch an uns selbst glauben müssen. Und dass Freiheit nicht an Grenzen zu bemessen ist, sondern umgekehrt. Was wird nun in 2010 auf uns zukommen? Nun, ich glaube an keine Zukun�, die, einer Eisscholle gleich, irgendwo aus der Ferne auf uns zutreibt. Nein, ich verstehe die Zukun� als krea�ve Erweiterung der Gegenwart. Wie wir die Zukun� also erleben werden, liegt an unserer Fantasie. Erst die Verbindung der herrschenden Ra�onalität mit unserer Vorstellungskra� schafft Fortschri�. Dabei geht es weder posi�v noch nega�v zu, das Leben hat immer etwas von beidem. Auch sind die Entwicklungen, die wir möglicherweise erleben werden, keine Frage ihrer zeitlichen Notwendigkeit. Die Qualität der Zukun� beantwortet sich nicht aus modischen Zwängen, sondern aus der Frage, wie wir unser Handeln bewerten, persönlich wie in der Gemeinscha�. Dabei wird das Leben nur an den Stellen kompliziert, wo Verständnis fehlt. Derweil lässt sich die Zukun� auf einen einfachen Nenner bringen: Ich sehe, dass wir trotz der massenha�en Unterschiede und der Masse an unterschiedlichen Neuheiten an unseren alten – nein: zeitlosen – Mo�ven festhalten: Wir sehnen uns nach Konstanz, möchten uns körperlich, geis�g und seelisch en�alten, suchen nach intakten Beziehungen. Kurz: Wir wollen überleben und streben nach individueller und kollek�ver Weiterentwicklung. Diese zentralen Mo�ve sehen wir nunmehr in Gefahr. Das verursacht Lähmung. Doch das Leben hat noch einen fantas�schen Trumpf im evolu�onären Ärmel: Es ist nicht die Geschichte, die die Zukun� bes�mmt, sondern umgekehrt. Das müssen wir noch zu unterscheiden und zu schätzen lernen. Den besten Rat, den uns die Geschichte wiederum geben kann, ist, sie nicht zu wiederholen. Also, machen wir das Jahr und das Jahrzehnt wirklich neu. Damit es Zukun� wird.


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