Krisenoperation die Entfernung des Unmöglichen von Vordenker Oliver W. Schwarzmann
Nun ist es soweit. Alle Befürchtungen sind harte Realität geworden: Die Krise nimmt unverblümt ihren Lauf und die Staaten reagieren – zwei Konjunkturpakete sollen es bei uns richten, zumindest das Schlimmste lindern helfen. Die Krise ist also fester Bestandteil des Alltags: EZB-Chef Jean-Claude Trichet begründete seinen jüngsten Zinsschritt (15.01.2009) nach unten mit einem erheblichen Rückgang des Wirtschaftswachstums, EU-Wirtschaftskommissar Joaquín Almunia sprach im Rahmen der Konjunkturprognose der EU-Kommission (19.01.2009) von düsteren Aussichten. Die Misere hat damit ihren Sprung in das öffentliche Bewusstsein endgültig geschafft. Und genau darin liegt der Grund, weshalb sie sich zur vollen Blüte entfalten kann. Freilich, die ursprünglich amerikanische Immobilienkrise mit ihren faulen Krediten wurde durch die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers Inc. internationalisiert, doch dass wir es seither überall mit „notleidenden Banken“ zu tun haben, ist nicht nur der Komplexität des Finanzmarktes geschuldet. Wie auch immer: Wegen der Finanzkrise hapert es nun bei der Kreditversorgung gewaltig und der Realwirtschaft geht der notwendige Schmierstoff aus – die Konjunktur läuft sich trocken. Dass daran jede Volkswirtschaft erkrankt, auch die gesündeste, ist ein Umstand, den es nicht als Schicksal zu akzeptieren, sondern für die Zukunft schnellstens zu beheben gilt: Unternehmen brauchen neben den Banken noch andere Kredit- und Liquiditätszugänge. Es darf nicht sein, dass produktive Firmen und stabile Volkswirtschaften unter falscher Bankenpolitik und schlechtem Finanzmanagement zu leiden haben. Wir dürfen nie vergessen, dass Banken zwar der Tradition nach Dienstleister der Kreditversorgung sind, aber dennoch eigenständige Unternehmen darstellen mit eigenen Zielen, mit eigenen Strategien, mit eigener Politik. Und mit eigenen wie fremden Zwängen: Globaler Wettbewerb und der damit verbundene Kosten- und Renditedruck gängelt die Finanzhäuser nicht zu knapp. Und: Geldpolitik ist nicht gleich Bankenpolitik; immer wieder betone ich, dass Zinsinterventionen der EZB letztlich nur mechanische Wirkung auf die Marktsituation haben, sie können die
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Kreditvergabepolitik der Institute nicht wirklich beeinflussen. Das gilt vor allem für Groß- und Privatbanken, sie müssen dem Markt kompromisslos gehorchen; Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken können etwas entspannter agieren, stehen die einen in der öffentlichen Verpflichtung, sind die Kunden der anderen meist Miteigentümer an der Genossenschaft. Dennoch: Die bankenbezogene Monokultur in der nicht nur deutschen Unternehmensfinanzierungslandschaft muss durch eine zukunftsfähige und damit meine ich eine breit gefächerte Finanzmittelsicherung in den Unternehmen und einen Ausbau bankenunabhängiger Quellen für Komplementärliquidität ersetzt werden. Dazu gehören höhere Eigenkapitalquoten und ein verbessertes Cash-flow-Management einerseits, andererseits muss der Markt für Direktbeteiligungen in den unterschiedlichsten Formen gestärkt werden. Diese Forderung ist nicht neu. Bereits in den 1990er Jahren verwies ich auf die Abhängigkeitsproblematik durch die vor allem in mittelständischen Unternehmen etablierte einseitige Kreditaufnahmepraxis und forderte seriöse Alternativen für eine bankenunabhängige Liquiditätsbeschaffung. Passiert ist in dieser Hinsicht nicht wirklich viel, trotz Börsenöffnung und des Auftauchens einiger Internetportale, die sich der Kreditvermittlung verschrieben haben. Die Szenerie ähnelt der Situation unserer Energieversorgung. Auch dort gilt die Zukunft nicht der Monopolisierung, sondern einem Energie-Mix aus klassischen und kreativen Formen – und was ist Geld anderes als Energie für die Wirtschaft?
Gegen das Bankenmonopol in der Geldwirtschaft kämpfen seit Jahrzehnten freie Finanzdienstleister an. Mit wachsenden Erfolgen im Kapitalanlagegeschäft, erzielt durch hohe Vertriebsmobilität und persönlicher Präsenz. Die bisher hierzu angeführten Wettbewerbsargumente der Banken, wie die der Seriosität, der Sicherheit und Kompetenz, dürften erstmal an Gültigkeit verloren haben. Einer massiven Verschärfung des Verdrängungswettbewerbs im Finanzdienstleistungssektor werden wir also entgegen sehen. Dennoch: Das Finanz- und Wirtschaftsdebakel den Banken alleine in die Schuhe schieben zu wollen, ist vorschnell und dazu ungerecht geurteilt. Letztlich sind Banken, wie schon erwähnt, als freie Unternehmen Getriebene des Marktes. Und damit Diener nicht nur eigener, sondern kundenseitiger Ansprüche. Eine Bank, die ihre Unternehmensrendite aus reiner Kreditversorgung und Sparbuchmanagement ernten will, wird von renditestarker Konkurrenz, die großes Geld mit attraktivem, weltweitem Investmentbanking macht, schnell überflügelt. Zudem laufen ihr die Kunden davon, zumindest die, die hohe Renditen fordern. Und dazu gehört die Mehrheit. Kein Wunder also: Dieses Szenario bestimmte die strategische Logik der Banken in den letzten zwei bis drei
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Jahrzehnten. Und sie machte aus biederen Kreditinstituten nach und nach smarte Vertriebsbanken mit innovativen Finanzprodukten im Angebotsköcher. Ob diese Absatzlogik nun weiterhin Zukunft haben wird, wird – wie so oft – weder die Politik noch die Vernunft, sondern der Markt entscheiden. Und dieser setzt auf eine Neudefinition von Vertrauen und Beziehung – sobald sich die Rauchschwaden der Krise und ihrer mentalen Folgeerscheinungen verzogen haben, werden diejenigen Banken, die das glaubwürdigste Sicherheits- und Renditeversprechen durch persönliche Nähe, starken Markencharakter, eine wiederentdeckte Biederkeit, abgestreifte Arroganz, lokale Größe und innerer Stabilität abgeben können, die Gewinner sein. Bestes Beispiel: Bausparkassen – sie profitierten bereits vom eingesetzten Sicherheits-Hype und legten ein fulminantes Geschäftsjahr 2008 hin.
Der Übergriff der Finanzkrise auf die globale Realwirtschaft ist allerdings nicht nur ein Effekt in sich verschachtelter und komplexer Finanzmärkte, sondern ein psychologischer Vorgang. Schon lange müsste sich eigentlich die Erkenntnis durchgesetzt haben, dass die Ökonomie eine Manifestation unserer Denkweisen darstellt. Was wir meinen, glauben, uns vorstellen und wünschen beeinflusst, ja – formt unsere Wirtschaftswelt. Ihre Strukturen folgen dem Geist. Schon deshalb halte ich mechanische Eingriffe wie eben Zinssenkungen, Steuergeschenke und Konjunkturpakete für weitgehend nutzlose Ambitionen. Eine Einschätzung, welche die Briten mit ihrer Mehrwertsteuerabsenkung bereits eindrucksvoll bewiesen haben – sie ist verpufft. Mentale Krisen lassen sich nicht mit (geld-)mechanischen Mitteln beheben. Diese Strategie gleicht der Aktion, bei welcher ein Jüngling mit Liebeskummer zur emotionalen Rettung an die Herz-LungenMaschine angeschlossen wird. So wie dem Gefühlsgeplagten die künstliche Beatmung nicht über seinen Weltschmerz hinweg helfen kann, werden rein schraubenschlüsselhafte Konjunkturreparaturen nicht viel gegen ängstliche Investitions- und Konsumbremser ausrichten. Anderes ist möglich, wenn sich die Maßnahmenmechanik in der Beschwörung eines neuen Geistes entfaltet - eines Geistes des Aufbruchs, der produktiven Perspektive, der Zukunftsgestaltung. Ein Obama-Effekt sozusagen. Freilich, mit der Hoffnung auf psychologische Wirkung verknüpft auch die deutsche Regierung ihre operativen Eingriffe, doch zur mentalen Erbauung passt ihre Rhetorik nicht: Nach wie vor spricht sie bei jeder Gelegenheit von der größten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit, über ein um 2,25% schrumpfendes Wirtschaftswachstum, von massiver Krisenbekämpfung und jeder Menge neuer
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Schulden. Konjunkturpakete werden auf diese Weise als Wirtschaftsprothesen denn als Motivationskeime verkauft. Und Steuerzahler fragen sich, was sie denn nun eigentlich – die Zukunft ihres Wirtschaftssystems oder die Inkompetenz eines vermeintlich gierigen Finanzmanagements?
Es geht natürlich um die Zukunft unseres Wirtschaftssystems und dabei stellt sich die Frage, ob Deutschland als Exportnation sich zur fröhlichen Konjunkturinsel aufschwingen könnte – umgeben von weltweit sinkenden Umsätzen? Wären Konsum und Inlandsinvestitionen tatsächlich in der Lage, der exportgeprägten Wirtschaft auf die Sprünge zu helfen – ja sie sogar zu überflügeln? Und könnten wir die Welt mit diesem ungewöhnlichen Esprit anstecken? Ich glaube ja. Es sind immer noch genügend kreative Köpfe vorhanden, ebenso wie Vermögen und Kaufkraft – sie zu mobilisieren, ist die zentrale Aufgabe der Stunde. Es gibt viele Felder, in denen Innovationen, neue Qualitäten und Einstellungen zu neuer Leistung und Wachstum führten: Umwelt, Energie, Mobilität, Bildung, Dienstleistung, Handel, … Nie sind Märkte offener, hellhöriger und sensibler als in Krisen. Nie sind Kunden aufmerksamer für besonderen Zauber als in Zeiten der Unsicherheit und Orientierungssuche. Und ich bin mir sicher: Für faszinierende Inspirationen und zukunftsweisende Produkte gibt es genügend Käufer. Denn: Nicht nur Strukturen folgen dem kreativen Geist. Sondern auch Menschen. Und Geld tut das. Probieren wir es aus.
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