Verwirklichte Lebenskunst – Die Zukunft der Möbelindustrie von Oliver W. Schwarzmann
Funktion und Organisation, Design und Lebensstil – in den unzähligen Kombination dieser grundlegenden Eigenschaften menschlichen Daseins offenbart sich das ganze Wesen der Möbelindustrie. Zweifellos, Möbel sind die Manifestation der Lebenskunst. Und was für private Reiche gilt, trifft auch auf gewerbliche Gefilde zu – in den letzten Jahren wurde erkannt, dass die Wirkung von Räumen unmittelbar an der produktiven Entfaltung von Büromitarbeitern beteiligt ist. Entscheidende Erkenntnis: Atmosphäre ist Motivation. Oder erreicht im schlechten Beispiel eben das Gegenteil. Gleiches gilt wiederum auch für die Gestaltung persönlicher Domizile – der Wandel vom existenziellen Versorgungshaushalt zum vielseitigen Erlebnisort hat sich bereits vollzogen. Ein Trend mit Zukunftspotenzial: Moderne Wohnbedürfnisse orientieren sich kaum mehr an der Notwendigkeit funktioneller Infrastruktur, sondern sind Ausdruck individueller Lebenskunst. Auf diese Weise werden aus Küchen kommunikative Bistros, aus Wohnzimmern multimediale Eventforen, Schlafzimmer verwandeln sich zu intimen Kultstätten und in Bad und Toilette betören sinnliche Elemente. Dabei spielen Licht- und Farbgebung, Form und Beschaffenheit der Materialien, die unsichtbare, aber multifunktionale Urbanität der technologischen Einrichtung und nicht zuletzt die raffinierte Anordnung der Möbel die maßgeblichen Hauptrollen in der Choreografie um die richtige Ausstrahlung, insbesondere unter dem Einfluss fernöstlicher Lebensphilosophien. Wie sie auch immer bewertet werden, eines steht fest: Möbel bilden unsere direkte Umwelt. Und da sie sich mit dem Verhalten ihrer Nutzer entwickeln, spiegeln sich in ihren Konzeptionen alle Facetten des Zeitgeistes und seiner gesellschaftlichen Trends. Welche sind das? o
Geo-kulturelles Design mit mediterranen, asiatischen, afrikanischen, orientalischen und indianischen Styles, Trend im Trend: Accessoire-betontes Wohnen, geomantisch, meditativ und energetisch ausgerichtete Konzepte, Zukunftspotenzial: spirituelle Möbel;
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Multifunktionalität durch kombinationsfreudige, flexible Baukastensysteme, Trend im Trend: weitere Verschmelzung von Einrichtungsfunktionen, Integration von technologischen „unsichtbaren“ Assistenzsystemen, Zukunftspotenzial: intelligente Möbel;
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Multimedialisierung mit hohem Unterhaltungsanspruch, Trend im Trend: Event- und Erlebniswohnen durch Entertainment-Infrastruktur, Zukunftspotenzial: Multimedia-Möbel;
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Vitalisierende Wellnesselemente mit schadstoffarmen und ergonomisch ausgerichteten AntiStress-Möbeln, Trend im Trend: Reduzierung der Einrichtungsdichte, ökologisch hergestellte Bio-Möbel, Zukunftspotenzial: lebendige Möbel;
Diese Basistrends treten in allen möglichen Kombinationen auf, auch unter dem Aspekt der nach wie vor anhaltenden Do-it-yourself-Bewegung, bei der Kunden die Eigengestaltung ihrer persönlichen Lebensräume als einen Akt der Selbstverwirklichung und Entfaltung verstehen. Diese Trends werden auch in den kommenden Jahren den Markt berühren – unter dem Druck eines rigorosen Preiswettbewerbs. Dieser ist vor allem die Folge einer wachsenden Vergleichbarkeit, Austauschbarkeit und Ununterscheidbarkeit von Möbel-Marken. Nicht nur das: Die Trends und ihre Markteffekte verschleißen im zunehmenden Tempo, weil sich Lebensstile immer schneller verändern. Dieses Verhalten führt mittlerweile in eine völlige Ent-Profilierung – der Habitus des Kunden ist komplex, Konsumenten leben Formen dynamischer Vielseitigkeit aus, differenzieren und diversifizieren ihre Neigungen und Interessen zur gleichen Zeit. Zudem ist die Mehrheit der Verbraucher gesättigt, sie haben, was sie brauchen. Klassische Mängel und in Folge Bedürfnisse tauchen in diesem Markt nicht mehr auf, der Kunde handelt nach unberechenbaren Motiven. Heißt: Die persönliche Motivation des Konsumenten steht im Mittelpunkt des Marktes. Bedeutet: Fragen nach dem inneren Antrieb des Kunden stellen sich: Was inspiriert ihn? Wie will er sich entfalten? Welche Werte, Vorstellungen und Fantasien prägen seine Denkweise? Die Auflösung von Verhaltensprofilen als Folge des Auslebens vielseitiger Lebensstile und das weitverbreitete Gefühl einer zunehmenden Beliebigkeit des Produktangebots führen beim Konsumenten sowohl zu verstärkter Preisorientierung als auch zu einer erschwerten Entscheidungsfindung. Auch übertriebene Schnäppchenofferten mit astronomisch hohen Rabatten können diese Marktlähmung nicht durchbrechen. Entscheidend: Die Krise hat diese grundsätzliche Strömung verstärkt, nicht ausgelöst. Die Ursachen für die erschwerten Absatzbedingungen liegen tiefer, hier sind wir bei den angesprochenen Punkten: Marktsättigung, Austauschbarkeit, Verhaltenswandel. Der Möbelmarkt ist kein quantitativer Markt mehr, der sich durch klassische Expansionstreiber, wie etwa permanente Bevölkerungszunahme und kontinuierliches Wohlstandswachstum, quasi wie von selbst vergrößert. Nein, diese Bedingungen herrschen heute
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nicht mehr und damit steht die Möbelindustrie vor einem kulturellen Markt – der Kunde investiert dann, wenn er sich verändern möchte. Dabei ist der Verbraucher kein selbstbewusster Individualist, der genau weiß, was er will. Das Gegenteil ist Realität: In den meisten Fällen haben wir es mit Orientierungssuchern zu tun. Der Konsument lässt sich dabei durchaus von neuen Trendimpulsen leiten, was Fragen nach sich zieht: Welche zukunftsweisenden Aspekte sind aus den beschriebenen Entwicklungen abzuleiten? Wie können die bekannten geo-kulturellen, multifunktionalen, multimedialen und wellnessorientierten Vermarktungsbotschaften erneuert werden? Eines ist sicher: Die Verschmelzung von Lebensentfaltung und Wohnkultur hat sich bereits vollzogen. Die gestellten Fragen werden ihre Antworten folglich nur in der Erfindung neuer Lebensstile finden. Dabei geht es in einer Kundenwelt, die dynamisch, spontan und vielseitig, aber auch orientierungshungrig daherkommt, nicht um große Designentwürfe, sondern um die Schaffung faszinierender Sphären. Sphären, die die Lebensfreude und Lebenslust vergrößern.
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