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Oliver W.
Schwarzmann
KOLUMNE Rücktritt als Anlauf? Das Spiel um die Moral Das Schauspiel scheint beendet: Karl-Theodor zu Guttenberg ist seinen Titel und sein Ministeramt los. Der Vorhang ist gefallen, das Licht gelöscht, die Sachlage offenbart, der Enthüllung mit Rücktritt und Schmach genüge getan, die Politik befriedet. Was ist nun die Moral von dieser Geschichte? Oder müssen wir uns nicht fragen – ging es überhaupt um Moral? Wir wurden zumindest in den letzten Wochen Zeugen leidenschaftlicher Moral-Inszenierungen, die die eigene Erhabenheit im Sinn und das Interesse an der Demontage eines politischen Überfliegers in der Enthüllungsrhetorik hatten. Doch so einfach sind die Rollen in einem Lehrstück aus Verfehlung, Moral, Machtansprüchen und Öffentlichkeitswirkung nicht verteilt. Was passiert beispielsweise mit jenen, welche seinerzeit die nun so eindrucksvoll enttarnte Doktorarbeit geprüft, begutachtet und mit Bestnote bewertet haben? Eine dreiste Collage hätte doch sogleich auffallen müssen, oder? Ist nicht die Ent-Täuschung eine wichtige Domäne der Wissenschaft? Basiert doch ihre Moral auf der Ratio hundertprozentiger Nachprüfbarkeit. Der Aufschrei ist verständlich. Die Wissenschaft muss sich zweierlei Rollen erwehren: sowohl der der Getäuschten als auch der derjenigen, die sich hat täuschen lassen. Hilfreich ist dabei nicht, bei vielen in der Bevölkerung - ihrer Verzeihungsbereitschaft für Guttenbergs Fehler wegen - die Fähigkeit zur Einschätzung wissenschaftlicher Standards anzuzweifeln, wie es manch einer in den vielen Talkshows tat. Die Wissenschaft darf sich bei allem Verständnis für ihre Verletzung nun nicht auf die Empörung stützen, sondern muss sich auf ihre Stärken besinnen: Erkenntnis und - Einsicht. Die Sehnsucht nach einem charismatischen Politiker, der die Massen für das politische Geschäft begeistern kann, ist groß. Und diese nun unerfüllte Sehnsucht wird womöglich schlimmere Folgen haben, als der Skandal um Guttenberg. Das Spiel um Moral, Gefühle, Machtansprüche und Öffentlichkeitswirkung war zu durchschaubar und für viele letztlich doch enttäuschend in seiner ebenso offensichtlichen, unumstößlichen Konsequenz. Viele werden sich von der Politik wieder abwenden.
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Oliver W.
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KOLUMNE Doch hätte es anders ausgehen können? Ein Happy-End hätte für die Kritiker den Skandal vollends zur Komödie gemacht, für die Sympathisanten zum Heldenstück. Zu Guttenberg ist, trotz seiner Verfehlung, positiv im kollektiven Gedächtnis; er ist gefallen, fällt aber nicht tief. Der Rücktritt ist bereits der Anlauf zum Comeback. Helden sind deshalb Helden, weil sie Niederlagen zu überwinden wissen. Der neue Aufstieg lässt den einstigen Skandal verblassen. Die ehemaligen Kritiker aber bleiben wohl überwiegend als Neider und Demonteure eines politischen Talents, in Erinnerung. Zu offensichtlich war der Schattenwurf der Opposition auf die vermeintliche Lichtgestalt. Tja, die Ausnahme verängstigt die Regel. In die Geschichte gehen zudem ein die verbalen Entgleisungen während der Befragung Guttenbergs im Deutschen Bundestag, die wohl tatsächlichen Sargnägel für den politischen Disput. Eine angemessene und zugleich versöhnliche Bewertung des Ganzen ist schwierig, schließlich geht es nicht wirklich um den Sachverhalt der Moral, sondern um verlorene Hoffnungen. Ein komisches Gefühl verbleibt. Obwohl die Politikerwelt eigentlich wieder in Ordnung sein müsste: Nach dem Fall des Unredlichen sind die Seriösen, Ehrlichen, Aufrichtigen und Ehrbaren ja wieder unter sich. Wie gesagt: Ein komisches Gefühl verbleibt.