September 2004
Die Zukunft des Markenartikels Vordenker Oliver W. Schwarzmann
Markenartikel im Handel stehen weiterhin unter Druck: Das aggressive Pricing als Antwort auf die Kaufzurückhaltung der Verbraucher sowie der Siegeszug von Discountern und ihren Handelsmarken bilden die aktuellen Mainstreams im Konsum. Hinzu kommen Nischenbildung, Markenkonzentration und neue Mind-Codes in den Köpfen der Konsumenten, die ihr Verhalten gegenüber Marken stark verändern. Die neue Studie der Future Business Group zeigt die Ursachen, Tendenzen und Konsequenzen der aktuellen Markttrends auf den Markenartikel und prognostiziert dessen Zukunftspotenzial.
Markenartikel werden Merchandisingprodukte
Die Trends in der Handelsstruktur sind täglich zu beobachten: Discounter bauen ihre Marktstellung weiter aus, Fach-Filialisten besiedeln vor allem attraktive City-Lagen und die Zahl der unabhängigen Einzelhandelsgeschäfte geht kontinuierlich zurück. In den Hallen der erfolgreichen Discounter gibt es eine weitere Gewinnergroup: die Handelsmarken. Früher als „weiße Ware“ oder „No-Name-Produkte“ eher als minderwertig angesehen, haben sich die „Nicht-Marken“ mittlerweile in vielen Segmenten satte Marktanteile erobert, Tendenz steigend. Wir erwarten in den kommenden Jahren in vielen Handelssparten einen Handelsmarkenanteil von rund 40 – 60%, vor allem im Food-, Kosmetik- und Haushaltswarenbereich. Doch woher der Sinneswandel der Verbraucher? Unsere Analyse belegt, dass nicht vorrangig das attraktive Pricing der Grund für den Erfolg der ehemaligen Second-ClassProdukte ist, sondern Indizien, die zu einer Art Konsummythos wurden: das Gerücht im Handelsmarkenkostüm werden Markenartikelinhalte verkauft und Top-Bewertungen von Stiftung Warentest geradezu als Beweis dafür, zerstörten die Preis- und Qualitätsglaubwürdigkeit teurerer
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Markenware. Handelsmarken wurden zu Ikonen der Schnäppchen-Society, Understatement zum neuen Prestige.
Der Handel bestätigte die Haltung der Schnäppchenjäger, indem er mit irrwitzigen Rabattschlachten den Rest noch vorhandener Preiskultur demontierte. Doch Kunden kaufen nicht nur wegen billig, sondern der Konsument von heute und morgen kauft nicht, er nutzt: Und zwar Produkte und Services, die seine individuellen Lebensqualitäten sichern und steigern und darüber hinaus die Gestaltung seiner jeweilig aktuellen Ich-Kultur fördern. Alle Produkte sind somit Designtools oder Dienstleistungen oder Services für die Self-Performance des Kunden, auch dann, wenn er sie nicht erwirbt. Denn nicht der Konsum selbst, liegt im Zeitgeistfokus, sondern der Umgang damit. Daher taucht der Verbraucher viel bewusster, strategischer und souveräner auf, er weiß um die Macht, die ihm seine Kaukraft verleiht und agiert als Ich-steuere-den-Konsum-AG nach bemerkenswert ökonomischen Prinzipien: Maximales Lebensgefühl bei minimalstem Preis. Diese Psychokultur zieht sich übrigens durch alle Zielgruppen wie ein roter Faden: Vom Kid zum Jugendlichen über die Mid-Ager hin bis zu den jugendlich orientierten Senioren.
Natürlich sind die Zeiten unsicher geworden, sowohl beruflich als auch geo-politisch. Zudem ist die Zukunft viel kürzer als früher, überblickten unsere Eltern noch 25 Jahre, können wir nicht mal mehr 1 Jahr abschätzen. Sicherlich war die bisherige Reaktion darauf Zurückhaltung aus Vorsicht und Angst, doch Menschen können Unsicherheit nicht lange aushalten: Die neue Reaktion auf die vielen möglichen Risiken ist eine Konzentration auf das Wesentliche, das Sinnvolle, das Nützliche, das Eigentliche – und im Konsum: Das Vielleicht. Vielleicht nutze ich etwas oder ich tue es nicht, Konsumentscheidungen werden am Point-of-Sale getroffen. Allerdings liegt dieser nicht mehr an Ort und Stelle des Geschehens im Handel, er ist endgültig in die Aufmerksamkeit und damit in die Fantasie- und Gefühlswelten der Verbraucher umgesiedelt.
Da eben auch im Grunde alle Konsumbedürfnisse befriedigt sind, entstehen neue Absatzchancen in gesättigten Märkten nur dann, wenn sich der Konsument in irgendeiner Weise zum Einkauf inspiriert führt; den direkten, existenziellen, materiellen Mangel kennt er kaum oder gar nicht. Deshalb rüstet das Marketing seit Jahren auf, der Marketinganteil an Produkten wird zukünftig schneller steigen als der Softwareanteil bei mechanischen Erzeugnissen. Aktueller Trend: Love-Marks. Mit Femininisierung der Gesellschaft ziehen Gefühle stärker in die Konsumwelt ein, und Liebe ist nach wie vor die höchste Form emotionaler Gebärde. Kunden sollen ihre Marken lieb haben, aber nicht mehr wie Teddybären, sondern viel mehr als heiße Liebhaber und feurige Geliebte. Da für die meisten, bis auf wenige
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Intellektuelle, Liebe und Sex zueinander gehören, lässt sich über Love-Marks Emotion und Erotik sehr schön inszenieren. Marketing war eben schon immer Aufklärung.
Die neuen Mind-Codes: Inspirierende Themenwelt statt Produktinterpretation
Bereits seit längerer Zeit lässt sich selbst mit bekannten Produktnamen keine Furore mehr machen, sondern letztlich mit Emotions- und Orientierungsimpulsen, die dem Kunden beim Management seines Individualkosmos zur Seite stehen. Das aktuelle Gefühls-Marketing erlebt derzeit seine Hochkonjunktur und geht in 1-2 Jahren über in ein spirituelles Marketing, das dem Kunden für seine persönliche Evolution metaphysische Impulse liefern wird.
Funktionelle und qualitative Eigenschaften von Produkten gleichen sich immer mehr an, und der begonnene Servicewettbewerb stößt bald an seine Grenzen. Produkte werden zunehmend innerhalb bestimmter Themenwelten inszeniert, die eine klare Botschaft, eine deutliche Mission haben. So werden Produkte einerseits zu Services für die Lebensgestaltung des Kunden andererseits sind sie zunehmend Merchandisingprodukte einer spezifischen Firmenphilosophie. Ohne klare Message wird der Kunde kaum mehr ein Produkt wahrnehmen, geschweige denn sich mit ihm identifizieren. Die Integration in eine Themenwelt macht den Kunden zum integralen Teil der Marketingstrategie: Er wird Botschafter einer bestimmten Themen- und Merchandisingkultur. Allerdings gibt es einen Unterschied zum Szeneverhalten der 1990er Jahre: Der Kunde wechselt heute spontan Themen und Szenen. Er lässt sich vielmehr auf die Vielfalt an Spektren ein, die ihm der zukünftige Themenkonsum bieten wird. In dieser Multioptionswelt sucht er Orientierungen, Anregungen, verbindet und wechselt sie und nutzt gerade das für ihn attraktivste Themenangebot. Der Kunde tauscht Markenloyalität mit Konsumflexibilität, auch hier lässt sich ein bereits zitiertes Verbrauchermotiv erkennen: Nicht die Marke ist entscheidend, sondern der Umgang damit. Da dieser in immer mehr Medien stattfindet, verschmelzen Merchandising- und Medienwelt zunehmend miteinander. Die Marken der Zukunft sind daher Multimedia-Features.
Premium und Life-Style: Mission wichtiger als Marken
Neben den dynamischen, schnelllebigen und fluktuativen Multimedia-Marken, die permanent neu inszeniert werden müssen, festigt sich der Trend zur Entschleunigung: die Zahl der anti-dynamischen, ruhigen und als zeitlos inszenierten Markenbotschaften wird ebenfalls zunehmen.
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Beiden Trendpools ist indes eines gleich: Die Mission entscheidet. Ob sie nun die Inspiration zum schnelllebigen Life-Style penetriert oder die zum zeitlosen Premium-Style. Beide Themen- und damit Markenwelten werden nach unserer Analyse expandieren: Life-Style und Premium mit klaren USPs. Der zunehmend konturlose Mittelmarkt inklusive seiner breit angelegten Massenmarkenartikel löst sich auf. Und der Kunde wird sich jeweils der Botschaftswelt anschließen, die er gerade zum eigenen, persönlichen Markenbranding braucht. Und so kann man als Fazit resümieren: Unternehmen und Handel liefern die Themenwelt, innerhalb derer sie über Life-Style- und Premium-Inspirationen ihre zum Thema designten Merchandisingprodukte platzieren – und der Kunde? Der Kunde wird zur Marke.
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