© Oliver W. Schwarzmann - www.oliver-schwarzmann.de
Oliver W.
Schwarzmann
KOLUMNE Was ist uns die Zukunft Wert? Und was sind wir bereit für diesen Wert zu tun? Der Mensch ist zweifellos ein intelligentes Wesen, aber mit dem Weitblick hapert es nach wie vor. Das liegt daran, dass die Zukunft offen und unbekannt ist und wir uns bei Fehlentwicklungen sehr schnell aus der Affäre ziehen können, indem wir entlastend sagen: „Das konnte vorher keiner ahnen“ oder „“Hinterher ist man einfach schlauer“. Für ein Wesen, das sich selbst gerne als Krone der Schöpfung betitelt, sind das enttäuschende Aussagen. Welche Qualität hat eine Intelligenz, die die eigene Zukunft aufs Spiel setzt? Sollten wir Intelligenz nicht vielmehr an der mentalen, sozialen und ökologischen Verbesserung unseres Lebens messen statt an unserer Zerstörungsfähigkeit? Nun, so einfach ist es nicht. Der Mensch ist ein ambivalentes Wesen: Auf der einen Seite sind wir fähig, wundervolle Dinge hervorzubringen, andererseits vernichten wir unsere Lebensgrundlagen. Dabei sind wir uns sowohl der einen als auch der anderen Eigenschaft bewusst. Mit Enthusiasmus begeben wir uns auf die Suche nach guten Beziehungen, Zugehörigkeit und Gemeinschaft, mit gleichem Engagement folgen wir eigenen Machtansprüchen mit dem Verweis auf das Gesetz des Stärkeren. Und immer wieder opfern wir unsere Einsicht und Gefühle kurzfristigen Gewinnen. Davon kann sich keiner ausnehmen: Tests mit Privatpersonen belegen, dass sich die Mehrheit für den unmittelbaren Erhalt von 20 EURO entscheidet statt für die langfristige Aussicht, 100 EURO zu bekommen. Natürlich will jeder die intakte Natur und die Schönheit des Planeten erhalten, selbstverständlich sind wir erschüttert, wenn uns hungernde Menschen im Fernsehen oder auf Werbeplakaten ein schlechtes Gewissen machen und selbstredend wollen wir unbelastete Nahrungsmittel essen und gesund bleiben. Doch wir sind die Ersten, die im Supermarkt niedrigste Preise und am Finanzmarkt Höchstrenditen fordern. Solange ein rigoroses Kosten-Nutzen-Denken die Wirtschaft beherrscht, wird es immer Ungleichgewichte und Ausbeute geben; aber solange dieses Bewusstsein herrscht, sind wir Konsumenten und Anleger die Profiteure. Bei der heutigen Markttransparenz – wissentlich. Auch unsere Versorgung und Energieerzeugung stehen symptomatisch für die Ambivalenz unseres Fortschritts: Die Entwicklung und Forcierung einer Energiequelle, deren Nutzung mehr als heikel ist und für deren hochgiftigen Müll zudem kein sicheres Endlager existiert, ist – emotional wie vernünftig besehen – überhaupt und bis heute eine fragwürdige Ambition. Auch das Verfeuern fossiler Energieträger, das unser Klima grundlegend verändert und den Lebensraum schädigt, ist ein zweifelhaftes Unterfangen. Ebenso Monokulturen in der Landwirtschaft und Überdüngung der Böden inklusive Massentierhaltung, Rodung des Regenwaldes für neue Spritpflanzenäcker und schmucke Holzmöbel, nicht zuletzt die Massenmotorisierung zum persönlichen Freizeitspaß.
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KOLUMNE Tja, aber andererseits wollen wir es bequem und im Winter warm haben, möchten die Teller mit Schlemmereien vollbeugen und immer, wann wir es wünschen, den Fernseher, Computer und das Handy einschalten können. Ja, und bald sehen wir uns mit Elektroautos durch die Gegend summen. Elektrizität ist ein Fortschrittsmacher, zweifellos, doch Strom dient schon lange nicht mehr dazu, die existenziellen Lebensbedingungen des Menschen zu verbessern. Wir brauchen den Wattsaft, um unsere Konsumbedürfnisse zu befriedigen. Wer will schon darauf verzichten? Hand aufs Herz … Nun, ohne die Verfügbarkeit von günstiger Energie wäre unser materieller Wohlstand nicht möglich. Auch viel Gutes wäre nicht vorhanden. Sollen wir also nun dem Konsum den Rücken kehren? Nein, so einfach ist das nicht. Freilich, wir können bewusster einkaufen, unser Konsumverhalten spiegelt sich in den Strategien der Unternehmen wider. Und wir können Energie sparen, also Abschalten so oft es geht. Das hilft, ein wenig. Gewohnheiten ändern sich nur langsam, wenn überhaupt. Natürlich, wir können protestieren. Oft protestieren wir, weil wir einfach zu viel haben, Übermaß gilt mittlerweile nicht mehr als Verheißung, sondern als Bedrohung. Ist weniger wirklich mehr? Nun, mit Protest alleine werden wir allerdings nichts bewegen. Ablehnung ist keine Basis für Evolution. Was es braucht, um die weltweite soziale und ökologische Schieflage zumindest abzumildern, ist ein neues Fortschrittsdenken. Und hierfür sollten wir unsere – viel beschworene – Intelligenz nutzen, und zwar als ganzheitliches Verantwortungsbewusstsein. Es muss uns auch ohne Katastrophen klar werden, dass die Offenheit und Unbekanntheit der Zukunft nicht als Ausreden für Willkür und Eigennutz herhalten dürfen, sondern dass uns unbegrenzte Möglichkeiten die Chance zur Freiheit eigener Entscheidungen bieten. Das sollten wir mit Bewunderung angehen: Wir haben die Wahl, welche Zukunft wir erleben wollen. Diese Erkenntnis ist schon Entwicklung an sich: Freiheit ist nicht nur ein politisches Ideal, sondern eine persönliche wie gesellschaftliche Evolutionsstufe. Freiheit bemisst sich allerdings an unserer Verantwortung. Nun, wir müssen Fortschritt und Spaß nicht aufgeben, wenn wir uns verantwortungsvoll und infolge vielmehr mit anstatt gegen die Natur entwickeln wollen. Im Gegenteil: Viele unter uns fühlen sich von der Dynamik der Wirtschaft belastet denn gefördert oder gar beflügelt. Und unsere Intuition flüstert uns schon lange zu, dass wir andere Werte in den Mittelpunkt unseres Denkens stellen sollten.
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KOLUMNE Was können wir tun? Zunächst können wir lernen, in größeren Zusammenhängen zu denken. Nichts entwickelt sich isoliert und nichts passiert alleine auf dieser Welt. Treffen wir Entscheidungen, sollten wir alle – auch die vermeintlich irrationalen – Möglichkeiten in Betracht ziehen. Alles ist möglich heißt auch: Alles kann geschehen. Im positiven wie im negativen Sinne. Das Ausmaß unserer Entscheidungen sollte sich zudem am Ausmaß unserer Verantwortung bemessen. Und nicht zuletzt sollten unsere Entscheidungen aus Sicht der Zukunft getroffen werden – heißt im Sinne des Kybernetikers Heinz von Förster: Handle stets so, dass sich die Anzahl der Möglichkeiten erhöht. Also: Wo keine Alternativen sind, müssen wir neue erfinden. Das ist Intelligenz. Es ist nicht verantwortungsvoll und zukunftsweisend, gefahrvolle Technologien zu forcieren, weil es (scheinbar) keine besseren (günstigeren) Alternativen zur Versorgung gibt. Es ist nicht verantwortungsvoll und zukunftsweisend, Lebensressourcen auszubeuten, weil es (scheinbar) keine besseren (günstigeren) Alternativen zur Produktivität gibt. Es ist nicht verantwortungsvoll und zukunftsweisend, Ungleichgewichte zu fördern, weil es (scheinbar) keine besseren (günstigeren) Alternativen zur Wirtschaftlichkeit gibt. Es ist auch nicht verantwortungsvoll und zukunftsweisend, Utopien hinterherzujagen, weil es (scheinbar) die einzige (ideologische) Alternative ist. Es ist aber verantwortungsvoll und zukunftsweisend, Veränderung als grundlegende Alternative zu begreifen. Und die Zwänge, die viele als Argument für ihr Notwendigkeitshandeln heranziehen, sind in aller Regel von uns selbst gemacht. In den meisten Fällen sind wir mit der Begrenzung selbstverursachten Schadens beschäftigt. Die Zahl der Möglichkeiten ist grundsätzlich höher ist als die Zahl der Zwänge, da bin ich mir sicher. Ansonsten hätte es nie eine Weiterentwicklung gegeben. Nun, Fehlentscheidungen und Risiken werden deshalb nicht ausbleiben. Die Welt ist viel zu dynamisch und zu komplex, als dass wir ihre Entwicklung exakt vorausdenken können. Aber wir können uns mit ihr verbünden – indem wir beginnen, selbst dynamisch und komplex zu denken und zu handeln. Heißt nicht: schnell und kompliziert, sondern: engagiert und vielseitig. Das gilt für uns selbst ebenso wie für den Umgang mit unseren Lebensgrundlagen: Es ist eine große Herausforderung, 7 Milliarden Menschen zu ernähren, mit Energie zu versorgen und zu versuchen, die herrschenden Ungleichgewichte auszugleichen und dabei noch die Zivilisation befrieden und das Klima besänftigen zu wollen. Das ist durchaus eine Aufgabe, die einem intelligenten Wesen entspricht. Werden wir sie meistern?
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KOLUMNE Oder wird das „Anthropozän“ (Paul Crutzen), also das „Zeitalter des Menschen“, nur eine Episode – vielleicht sogar eine Eskapade? - in der Evolution sein? Was wird die womöglich nach uns dominierende Spezies – die Insekten – über uns Menschen sagen? Sie hatten ihre Chance, vermute ich.