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Literatur

Erzählte Erfahrung

Wissen Sie, was wirklich toll an Literatur ist? Darin stecken die Erfahrungen verschiedener Menschen, die ganz verschiedene Leben führen und Herausforderungen (wie man Krisenzeiten gerne mal nennt) auf sehr individuelle Art angehen. In Romanen und Erzählungen können wir das nachlesen, mal schauen, wie andere mit „sowas“ fertigwerden und eigene Schlüsse daraus ziehen. Ich finde das unglaublich spannend und bereichernd. Diese beiden Bücher kann man so lesen: als intensive Einblicke in das Leben anderer. Anke Breitmaier

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Beziehungskrise, nacherzählt

Vergessen Sie Paartherapie und Beziehungsratgeber. Lesen Sie diesen Roman, wenn es in Ihrer Partnerschaft kriselt. Aber Vorsicht: Tun Sie es nur, wenn Sie hart im Nehmen sind und sich dazu bereit fühlen, auch Ihre Beziehung mal im Lichte der Wahrheit zu betrachten.

Der Spanier Rosa serviert uns keine bitter-süße Trennungsgeschichte, er knallt sie uns förmlich vor den Latz. Wir treffen Angela und Antonio, Eltern zweier Kinder, er hat einen Sohn aus erster Ehe, als die Wohnung leergeräumt und das gemeinsame Leben auseinanderdividiert ist. Zu retten gibt es nichts mehr, höchstens vielleicht die Erinnerung an schöne Zeiten. Dreizehn Ehejahre liegen hinter dem Paar und man kann sagen: Selten war es Glück pur. Davon erzählt Rosa, indem er beide zu Wort kommen lässt. Angela berichtet, wie sie die Beziehung erlebt hat, Antonio schildert seine Sicht der Dinge. Wie ein Zwiegespräch wirkt das, das Resümee einer Liebe, die sehr modern scheitert. Wann und wie es geschah, ist beiden ein Rätsel, das sie lösen wollen, indem sie sich gegenseitig ihre eigene Gefühlswahrheit offenbaren. Wurde es kritisch, als Antonio seine Festanstellung verlor? Ging die Liebe den Bach runter, als die zweite Tochter geboren wurde? Wurde die Leidenschaft im hektischen Alltag zerrieben, blieben Lust und Laune auf der Strecke, als Angela wieder anfing zu arbeiten? Oder ist es der Fluch der modernen Zeiten, in denen allerorten Liebesverführungen lauern, denen man kaum widerstehen kann, wenn der andere den Restfunken an Attraktivität eingebüßt hat? Antonio und Angela wissen es nicht. Aber sie packen aus und gestehen sich gespielte Orgasmen und erstunkene Komplimente, vorgegaukelte Liebe und geheime Sehnsüchte. Aus diesen Analysen entsteht die Geschichte einer Beziehung im Rückwärtsgang. Traurig. Aber eben leider ziemlich wahr.

„ Isaac Rosa: Glückliches Ende, Liebeskind, 22 Euro

Die Moral des Tötens

Du sollst nicht töten, mahnt uns das biblische Gebot. Allerdings sind wir so zivilisiert, dass wir allerhand Ausnahmen definieren. Im Krieg etwa wird das Morden zum Job. Und der will gelernt sein. Davon handelt dieser Roman aus Israel. Dabei geht es im Kern um Moral und Gewissen. Erschreckend faszinierend!

Eine bewaffnete Drohne vom Bürosessel aus steuern und sie per Klick aus Tausenden Metern Höhe auf eine Menschenmenge abfeuern? Das brächten vielleicht viele Menschen fertig. Aber dem Gegner gegenüberstehen, ihm ins Auge sehen und ihn töten? Dazu gehört schon was. Was genau das ist, damit beschäftigt sich Abigail. Sie ist Militärpsychologin in der israelischen Armee und berät Generäle bei der Kriegsführung, behandelt traumatisierte Soldaten und bringt abtrünnige Kämpfer wieder auf den rechten Tötungsweg. In Israel tobt immer Krieg. Es ist einer, der zum Alltag gehört und dennoch nichts von seinem Schrecken verloren hat. Jeder muss Wehrdienst absolvieren, denn der Staat steht unter Dauerbeschuss durch die Angriffe der Palästinenser. Wir oder die, lautet die Devise, die vor allem viele junge Menschen bereit macht für den Kampf. Abigail, überzeugte Kämpferin und Befürworterin des Krieges, sieht ihre Aufgabe als wichtig an. Sie weiß, welche Macht sie hat, wie sie mit psychologischer Raffinesse und geschickten Manipulationen noch den zerstörtesten Krieger wieder wehrhaft bekommt. Schließlich gilt es, den gemeinsamen Feind zu besiegen. Doch dann kommt das Töten näher, denn Abigails Sohn Schauli meldet sich freiwillig für die Bodentruppen. Plötzlich sieht Abigail ihren Job in einem anderen Licht. Die Frage ist nur: in welchem? In klaren, geradlinigen Sätzen erzählt Sarid, der selbst Nachrichtenoffizier in der israelischen Armee war, eine Geschichte über die Moral des Tötens und führt uns vor Augen, wozu Menschen fähig sind. Nicht nur, wenn sie müssen.

„ Yishai Sarid: Siegerin, Kein & Aber, 22 Euro

Das Leben ist ein Geschenk. Ein liebevoller Abschied auch.

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