Banken Gegen Fintech:
Nichts wird sein wie früher
PAR ELIE NADA, CONSEIL ELIE NADA & CIE
Seit 2015 ist der alternative OnlineFinanzsektor aus dem kleinen Kreis der Risikokapitalanleger hinausgewachsen und geniesst mittlerweile auch das prioritäre Interesse der grossen etablierten Finanzakteure. Als Schnittmenge aus partizipativer Ökonomie, Crowdfunding, Finanztechnologie und Big Data steht dieser Sektor im Zentrum der „vierten industriellen Revolution“.
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iese „Revolution“, die zu einem gesellschaftlichen Phänomen wurde, lieferte sogar das Motto für das Jahrestreffen 2016 des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos. Im Juni 2015 veröffentlichte das WEF einen gemeinsam mit Deloitte erstellten Bericht mit dem Titel „The Future of Financial Services“. Dieser Bericht fasst Gespräche zusammen, die im Verlauf von 15 Monaten mit etablierten Akteuren aus dem Finanz- und Versicherungssektor sowie mit den neuen Fintech-Akteuren geführt wurden. Ziel des Berichts war es, die Zukunftsperspektiven zu sondieren oder, einfacher ausgedrückt, herauszufinden, in welchen Bereichen das Risiko einer „Uberisierung“ besteht.
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Im Hinblick auf das Geschäftsfeld der Einlagen und Darlehen stellt der Bericht drei Szenarien vor: Im ersten Szenario verlieren die etablierten Akteure ihre gesamte Kundschaft (Darlehensnehmer und Einleger) an die Marktneulinge. Das zweite Szenario geht davon aus, dass nur bestimmte Kundensegmente abwandern. Das dritte und letzte Szenario, das der sich abzeichnenden Entwicklung am nächsten kommt, prognostiziert schliesslich, dass die traditionellen Akteure mit den neuen Marktteilnehmern kooperieren und/ oder sich von ihnen inspirieren lassen beziehungsweise sie sogar übernehmen. Die drei Szenarien lassen sich auf eine einfache Schlussfolgerung reduzieren: Nichts wird sein wie früher.
[ Die traditionellen Akteure müssen mit den
neuen Marktteilnehmern kooperieren und/ oder sich von ihnen inspirieren lassen oder sie sogar übernehmen. Daraus folgt: Nichts wird sein wie früher
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PA R A B A N K E N U N D R E A L E V E R M Ö G E N S W E RT E
VON DER GRÜNEN WIESE ZUM ERTRAGSMANAGEMENT Im Prinzip ist diese Schlussfolgerung nicht neu: Genau wie Easyjet im Flugverkehr und Uber in der Taxibranche stellen die neuen Marktteilnehmer das Geschäftsmodell der traditionellen Akteure auf den Kopf. Sie führen eine neue Form des „Ertragsmanagements“ ein, die sich in den 1970er-Jahren in der Hotelleriebranche zeigte und sich nun auch in der Finanzwelt verbreitet. Auf der grünen Wiese startend, unterstützt durch die Möglichkeiten, die sich aus den neuen Technologien und vereinfachten Regulierungen ergeben, erfinden die neuen Marktteilnehmer die Organisationsprozesse praktisch neu, in dem sie ihr Angebot sehr fein segmentieren. Basierend auf bis zu dreimal tieferen Produktionskosten als jene der traditionellen Anbieter und mit einem Preis, der den Endkunden besser entspricht, können die neuen Marktteilnehmer mit ihrem Ansatz Dienstleistungen anbieten, welche die traditionellen Akteure zu einem dermassen kompetitiven Preis nicht anbieten wollen oder können. Die geringeren Produktionskosten und Verkaufspreise führen – anders als es im Flugverkehr zu beobachten war – nicht zu reduzierten Leistungen. Das Kundenerlebnis ist besser: Die Anwendungen sind ergonomischer, die Bearbeitungszeit für Anfragen ist kürzer, die Preisgestaltung ist transparenter. Auch beim Risikomanagement stehen die neuen Anbieter nicht zurück. Sie verwenden die modernsten verfügbaren Technologien, um Big Data maximal zu nutzen und beispielsweise die Schuldnerqualität festzustellen oder die KYC-Anforderung (Know Your Customer) der Investoren zu erfüllen. Somit überrascht es nicht, dass die neuen Akteure immer grösseren Erfolg bei Darlehensnehmern wie bei Anlegern verzeichnen. Auf dem Massenmarkt kommen sie auch deshalb gut an, weil die Kunden von den traditionellen Akteuren vor allem eine komplexe, schwerfällige Verwaltung, intransparente Preise oder kurz gesagt: das Fehlen jegliches Kundenservices gewohnt waren. Genau wie in der Flugbranche stellen die neuen Marktteilnehmer den traditionellen Finanzsektor fundamental infrage.
VERBRIEFUNG UND PLATTFORMEN Historisch gesehen, waren die amerikanischen Investmentbanken die ersten traditionellen Akteure, die sich für dieses Geschäftsfeld interessierten. Zunächst investierten sie in die Darlehen, die von den Plattformen angeboten werden – entweder auf eigene Rechnung oder öfter noch im Auftrag ihrer Kunden. Angesichts der Erfolge, die diese Investitionen bei institutionellen Anlegern auf der Suche nach Renditen erzielten, konzentrierten sich die Banken auf die Verbriefung von Darlehen, die auf Online-Plattformen zur Kreditvermittlung vergeben wurden. Um die starke Nachfrage durch Anleger, die am Wachstum dieses Sektors teilhaben wollten, zu erfüllen, interessierten sich die Investmentbanken auch für die Börsengänge der am weitesten entwickelten Plattformen. Was die Verbriefung von Online-Krediten betrifft, kam diese Mitte 2013 in Gang und erlebte nach einem anfänglich zurückhaltenden Volumen von rund 100 Millionen US-Dollar ein schnelles Wachstum: Bis Ende 2014 wurden Darlehen im Wert von zwei Milliarden US-Dollar verbrieft. Im Folgejahr verdreifachte sich dieser Betrag, was vor allem auf Konsumentenkredite zurückzuführen war. Damit summieren sich die seit 2013 insgesamt verbrieften Darlehen auf über acht Milliarden US-Dollar. Von etwa 40 zwischen 2013 und Ende 2015 durchgeführten Transaktionen erhielt ein Dutzend für die höchstrangigen Tranchen das Investment-Grade-Rating. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die Ratingagenturen Anfang 2016 das Rating von nachrangigen Tranchen bestimmter Verbriefungen herabgestuft haben, weil deren tatsächliche Ausfallrate über den Erwartungen lag.
[ Die seit 2013 insgesamt verbrieften Kredite summieren sich auf über 8 Milliarden US-Dollar. Von etwa 40 zwischen 2013 und Ende 2015 durchgeführten Transaktionen erhielt ein Dutzend für die höchstrangigen Tranchen das Investment-Grade-Rating
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Im Bereich der Börsennotierung von Plattformen beteiligten sich die Investmentbanken bei zwei Marktführern: OnDeck und Lending Club. OnDeck vermittelt Kredite für kleine Unternehmen, Lending Club Konsumentenkredite. Angesichts der Nachfrage nach diesen Titeln, die beim Börsengang das Angebot weit übertraf, erlebten die Papiere einen Höhenflug, angetrieben durch die euphorischen Aussagen der Investmentbanker. Zwölf Monate später waren die Aktien nur noch ein Drittel ihres Einführungspreises wert. Dieser Einbruch ist allerdings stärker auf das Geschäftsgebaren der Investmentbanken zurückzuführen als auf den Zustand der betroffenen Unternehmen. Durch den DoddFrank Act wurden nämlich die Möglichkeiten der Banken, IPO-Kurse zu stützen, stark eingeschränkt. Diese neue Gesetzeslage scheint die Banken zu motivieren, die Werte insbesondere durch enthusiastische Ankündigungen in die Höhe zu treiben, damit die Anleger der ersten Stunde und die Insider nach Ablauf der Sperrfrist zu einem vorteilhaften Kurs aussteigen können. 49
ZÖGERLICHES ERWACHEN In der Schweiz gehen die grossen traditionellen Akteure gemässigter an das Thema heran. Weder Verbriefungen noch Börseneinführungen oder erwähnenswerte Kooperationsvereinbarungen zwischen traditionellen Akteuren und neuen Marktteilnehmern sind zu verzeichnen. Es gibt allerdings einige strukturierte Produkte, die von grossen Banken für kotierte Aktien von Fintech-Unternehmen angeboten werden. In der Regel verzeichnen diese jedoch eine schlechte Performance oder sogar Verluste. Die Ende des ersten Quartals 2015 angekündigte umfassendste Initiative beschränkt sich auf eine Zusammenarbeit zwischen den traditionellen Akteuren UBS, Credit Suisse, Swiss Life, Swisscom und EY, welche die Gründung von Start-ups im Fintech-Sektor beschleunigen wollen.
[ Die Ende des ersten Quartals 2015
angekündigte umfassendste Initiative beschränkt sich auf eine Zusammenarbeit zwischen traditionellen Akteuren, mit der die Gründung von Start-ups im Fintech-Sektor beschleunigt werden soll
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HIN ZU STÄRKERER ZUSAMMENARBEIT Das zeigt: Obwohl Lending Club und OnDeck im Jahr 2016 praktisch die Gewinnzone erreicht haben und die Volumen der gewährten Kredite weiterhin zweistellig wächst – werden diese Plattformen aufgrund des Wettbewerbsumfelds keine mit Google oder Facebook vergleichbaren Bewertungen erzielen. Betrachtet man hingegen die Branche der Kreditplattformen als Ganzes, scheint dies nicht undenkbar. Das dürfte übrigens der Grund dafür sein, dass die Investmentbanken sich nun doch noch mit dem beschäftigen, was sie weniger gut können als diese Plattformen. Zur Illustration führen wir JP Morgen an, die im Jahr 2015 eine Kooperationsvereinbarung mit einer Kreditplattform für kleine Unternehmen abgeschlossen hat, zwecks Untervergabe kleiner Kredite, welche die Bank selbst nicht effizient anbieten kann. Bemerkenswert ist ausserdem, dass JP Morgan Anfang 2016 von Santander ein Portfolio aus über Lending Club vergebenen Konsumentenkrediten mit einem Nennwert von einer Milliarde US-Dollar gekauft hat, um das Portfolio zu verbriefen. Den Gerüchten zufolge lag der Kaufpreis über pari. Im Bereich der Direktinvestitionen hat die Bank Santander wiederum eine Gesellschaft eingerichtet, die sich an mehreren der neuen Akteure im Bereich der Kreditvergabe sowie aus anderen Fintech-Bereichen beteiligen soll. Als weiteres Beispiel kann Goldman Sachs genannt werden, die im Jahr 2015 ein internes Verfahren initiierte um Konsumentenkredite im Massenmarkt über eine Online-Plattform anzubieten. Jetzt stellt sich nur noch die Frage, wie das breite Publikum die Plattform eines Instituts annehmen wird, das kein gutes Image hat – vor allem nicht nach der Subprime-Krise! 50
Parallel dazu rief UBS einen weltweiten Wettbewerb aus, der von August bis Dezember 2015 lief und an dem sich 600 Start-up-Unternehmen beteiligten. Gewinner war ein Unternehmen, das auf Grundlage künstlicher Intelligenz eine Technologie entwickelt hat, die mangelhafte Algorithmen erkennt. Credit Suisse wiederum kündigte Ende März 2016 an, 100 bis 200 Millionen Franken in neue Technologien investieren zu wollen. Insgesamt lässt sich also festhalten, dass die traditionellen Finanzakteure aufwachen und dass die neuen Marktakteure – wie es auch in anderen Branchen geschehen ist – die Weiterentwicklung anspornen. Kredite und Einlagen, aber auch Zahlungen, Verwaltung und Kapitalbeschaffung für Fonds stehen im Zentrum dieser Revolution, welche die gewohnte Bankenlandschaft drastisch verändern wird. Übrigens: Wer hätte vor 10 Jahren geglaubt, dass Unternehmen wie Google, Amazon, Facebook und Apple gemeinsam einmal einen Börsenwert aufweisen würden, der doppelt so hoch ist wie der Börsenwert der grössten amerikanischen Banken? ELIE NADA Nach 10 Jahren im Handelsraum und dann bei der Produktkonzeption in der privaten Vermögensverwaltung von BNP Paribas stieg Elie Nada 2005 in die unabhängige Finanzberatung ein. Im gleichen Jahr eröffnete er das Schweizer Deminor-Büro für den europäischen Marktführer im Bereich Beratung und Verteidigung von Minderheitsaktionären. Elie Nada arbeitete im Rahmen der Deminor-Governance-Plattform (institutionelle Anleger) und war gleichzeitig für den Schweizer Aktienmarkt des Anlagekomitees des Deminor European Active Governance Fund verantwortlich. Im Laufe der Zeit entwickelte sich die Tätigkeit von Elie Nada stärker hin zur Beratung für Nischenstrategien, wobei die Zielgruppen institutionelle Anleger, Family Offices und Fonds sind. Elie Nada gehört zu den ersten Fachleuten, die sich für Lösungen aussprachen, bei denen Plattformen für partizipative Finanzierungen integriert werden.