Sind wir alle Damokles? Hängen die Schwerter des Gesetzgebers und des Wettbewerbs tatsächlich nur an einem Pferdehaar über den Köpfen der UVV, wie uns das zahlreiche Studien glauben lassen? Oder handelt es sich nur um eine simple Inszenierung aus dem Realitätskino unserer Zeit? Gespräch mit Patrick Dorner (2. Teil). Investnews: Den veröffentlichten Schlussfolgerungen von verschiedenen Analysten, Rechtsanwälten sowie Prüfungs- und Beratungsgesellschaften nach zu urteilen, können zahlreiche Auswirkungen des FIDLEG und des FINIG noch vor dem Inkrafttreten weitgehend antizipiert werden. Sind Sie ebenfalls dieser Meinung? Patrick Dorner: Diese Gesetzestexte werden derzeit von der Wirtschaftskommission (WAK) beraten und können voraussichtlich frühestens in der Sommersession vom Ständerat behandelt werden. Bevor die WAK-S mit der Detailberatung beginnt, verlangte sie weitere Abklärungen und überarbeitete Vorschläge vom Finanzdepartement. Folglich ist es noch zu früh, sich darüber zu äussern, was dann tatsächlich beschlossen wird (zum Zeitpunkt der Textredaktion Mitte April waren noch zahlreiche Punkte offen). Da die Schweizer Regulierung – gemäss Ziel der Behörde – mit der europäischen Regulierung harmonisiert werden soll, verfügen wir über eine zusätzliche Frist, um einen klaren und effizienten Rahmen auszuarbeiten, der auch für kleinere KMU tauglich ist. Die EU hat nämlich im vergangenen Februar beschlossen, die Frist zur Anwendung des MiFID II-Pakets um ein weiteres Jahr bis anfangs Januar 2018 zu verlängern. Deshalb ist auch nicht damit zu rechnen, dass das FIDLEG und das FINIG vor diesem Datum in Kraft treten werden. Die eigentliche Gesetzesanwendung könnte dann zwischen 2018 und 2020 erfolgen. Solange die einzelnen Vorschriften nicht bekannt sind, kann man kaum bei gewissen Punkten, wie bei der Unterstellungsfrage der UVV, konkrete Annahmen vorwegnehmen. Bei anderen Punkten sollten die notwendigen Anpassungen für die Mehrheit der UVV hingegen – und im Gegensatz zu dem, was gewisse Experten behaupten – eher geringfügig ausfallen. Ich denke dabei beispielsweise an Forderungen zum Thema Governance. Bereits heute sind die Mitglieder des VSV verpflichtet, für eine angemessene Organisation ihrer Geschäftstätigkeit zu sorgen. Sie müssen ihr Unternehmen auch mit angemessen finanziellen Mitteln ausstatten. Was die finanziellen Sicherheiten in Form von Eigenmitteln oder einer Haftpflichtversicherung betrifft, ist daran zu erinnern, dass die UVV lediglich für Fehler bei der Ausführung ihres Mandats haften und nicht für die Gesamtheit des verwalteten Vermögens, welches bei einer Depotbank hinterlegt wurde. Meiner Meinung nach besteht für die UVV das Hauptrisiko darin, dass sie bei einer Börsenorder einen Fehler begehen. In diesem Fall beschränkt sich das Risiko allerdings auf die Höhe des „Spreads“. Angenommen, der UVV begeht 32
einen Fehler und führt auf einem Titel eine Kauforder anstelle einer Verkaufsorder aus. Das tatsächliche Risiko ergibt sich hier aus der Kursveränderung des Titels zwischen dem Moment, in dem der Fehler begangen und dem Moment, in dem er behoben wird. Der mögliche Schaden erstreckt sich damit nicht auf den gesamten Transaktionsbetrag, sondern je nach Volatilität des Titels allein auf den Kursunterschied zwischen Kauf und Verkauf. In diesem Zusammenhang scheint mir ein Kapital in Höhe des Gründungskapitals der AG, zusammen mit einer angemessenen Eigenmittelanforderung, die z. B. einem Prozentsatz der Unternehmensfixkosten entsprechen könnte, bei Weitem ausreichend.
Häufig wird hervorgehoben, dass die neuen Regelungen für die UVV eine erhöhte Informationspflicht gegenüber den Kunden beinhalten werden. Der UVV sollte sich über das finanzielle Profil seines Kunden informieren und muss prüfen, ob die angebotenen Dienste und Investments angemessen sind und dem Profil entsprechen. Ist dies nicht bereits der Fall? Ja genau, Verpflichtungen dieser Art hat die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA bereits im Jahr 2013 eingeführt. Sie existieren also bereits. Materiell ändert sich für die meisten Vermögensverwalter folglich nichts durch die Übernahme dieser Vorschriften in das Gesetz. Darüber hinaus ergibt sich diese Regelung auch aus dem Zivilrecht, nämlich nach dem Grundsatz der sorgfältigen Ausführung des ihm übertragenen Geschäfts. Dieser zivilrechtliche Aspekt ist – sowohl in der Schweiz als auch im Ausland – massgebend für kleine KMU, wie das die UVV sind. Während für die grossen Bankinstitute das Risiko, dass ein Kunde sie einklagt, durchaus tragbar ist, hat ein solcher Streitfall für die Tätigkeiten eines UVV viel schwerwiegendere Konsequenzen. Der UVV ist deshalb bei sämtlichen Aspekten der Kundenbeziehungen besonders vorsichtig.
Die neuen Gesetze werden das Outsourcen bestimmter Funktionen unausweichlich machen bzw. die Härte dieser Gesetze wird zu einer deutlichen Verringerung der Anzahl von UVV führen. Was halten Sie von dieser Behauptung? Genau von dem versuchen uns diejenigen zu überzeugen, welche solche Dienstleistungen verkaufen. Einerseits können aber auch die nicht den Einzelheiten der neuen Regulierung vorgreifen und andererseits liegen unserem derzeitigen Kenntnisstand zufolge
V E R M Ö G E N S V E R W A LT U N G : D A S H A N D W E R K
keine Hinweise darauf vor, dass der Bedarf an Unterauftragsnehmern bei den UVV deutlich zunehmen wird. Dies sieht man auch an den Entwicklungen auf den Plattformen, die ihre Dienste anbieten: Ihre Mitgliederzahl bleibt stabil. Dieses Missverständnis stammt aus dem ersten Entwurf des Finanzinstitutsgesetzes, welcher eine Variante der UVV-Beaufsichtigung durch die FINMA vorsah. Einige Beobachter leiteten daraus etwas vorschnell ähnlich gelagerte Anforderungen für die UVV ab, wie sie bezüglich der Governance im Rahmen des Kollektivanlagengesetzes (KAG) bestehen. Mittlerweile haben die Behörden jedoch bereits mehrfach wiederholt, dass die Vorschriften in Abhängigkeit der Geschäftstätigkeit und der angebotenen Dienstleistungen differenziert ausfallen werden. Diejenigen, welche Produkte herstellen oder vertreiben, werden nicht den gleichen Bestimmungen unterworfen, wie jene, die aufgrund eines Mandats im Interesse ihrer Kunden tätig sind. Das ist der fundamentale Unterschied zwischen „Push“ und „Pull“.
Würden Sie die Aussage unterschreiben, dass die UVV einen grossen Rückstand haben bei der Steuerregularisierung ihrer Kunden? Diese Behauptung ist geradezu lächerlich! Da die UVV nicht als Depotbanken für die Guthaben ihrer Kunden walten, können sie bei der Einhaltung der Konformitätsregeln für diese Guthaben auch nicht in Rückstand geraten sein. Jeder Franken, der durch die Bank regularisiert wird, wird es automatisch auch für den UVV und umgekehrt. Mehrere Banken wurden bereits aufgrund ihrer Akquisitionsgeschäfte im Ausland an den Pranger gestellt. Ich denke nicht, dass es viele UVV gibt, die ein solches Risiko eingingen. In erster Linie weil die für sie geltenden Regeln klar und eindeutig sind: sie haben generell keinen Marktzugang und keine aktive Dienstleistungsfreiheit im Ausland. Zum anderen sind auch die zivilrechtlichen Folgen im Fall der Regelmissachtung für sie einfach zu gross. Im Fall eines Streitfalls mit einem Kunden könnte der ausländische Richter ohnehin der Auffassung sein, dass die Verträge Null und Nichtig seien, was für den UVV die Folge hätte, dass er seinen Kunden vollständig entschädigen müsste. Im Gegensatz zu einer Bank sorgt der unternehmerische Charakter des UVV dafür, dass er es vermeidet, seine Firma durch ein solches Vorgehen zu gefährden. Es handelt sich hier um ein weiteres Klischee, welches man bekämpfen sollte.
Hinsichtlich der Konkurrenzsituation in diesem Sektor: Warum hat die Frage nach der kritischen Grösse, die nunmehr bereits seit nahezu zwanzig Jahren diskutiert wird, nicht zu einer Konsolidierung der Branche geführt? Theoretisch haben die wirtschaftlichen Untersuchungen zu diesem Thema recht. Sieht man von den psychologischen Überlegungen ab, hätte es eigentlich schon zu einer Konsolidierung kommen müssen. Man muss aber auch verstehen, dass die Mehrzahl der Vermögensverwalter sowohl für sich selbst, als auch für ihre Kunden den Weg der Unabhängigkeit eingeschlagen haben, gerade um von dieser
Unabhängigkeit zu profitieren. Diese subjektive Betrachtungsweise des Geschäftsmodells verhindert eine Konsolidierung. Im Übrigen muss man feststellen, dass es in diesem Bereich mehr Scheidungen als Hochzeiten gibt!
Einige Beobachter behaupten, dass sich die Konkurrenten der UVV vervielfachen. Ist dies wirklich der Fall? Eine Zeit lang sah man insbesondere in den Online-Brokern eine neue Konkurrenz der UVV. Dies entspricht jedoch nicht der Realität, da sie sich nicht an die gleiche Klientel richten. Ihr Segment sind vielmehr Personen, die sich mit einem Teil ihres Vermögens an der Börse „versuchen“ wollen. Ganz im Gegenteil vertrauen die UVV-Kunden den Vermögensverwaltern generell ihr Vermögen mit dem Ziel an, dieses zu erhalten und an die nächsten Generationen weiter zu geben: Die grosse Mehrheit dieser Kunden könnte als „hyperkonservativ“ eingestuft werden und als ebenso vorsichtig wie die Pensionskassen. Oft sind es Unternehmer, die bei ihren Tätigkeiten genügend Risiken eingehen. Sie „spielen“ also nicht mit ihren Rücklagen. Die Banken konkurrieren selbstverständlich seit jeher mit den UVV, doch konkurrenzieren sie sich auch gegenseitig. Die Banken kämpfen um Marktanteile und bieten dabei auch Anreize, damit neue Vermögensverwalter ihre Dienstleistungen beanspruchen. Damit sich die Banken für einen UVV interessieren, muss er allerdings eine bestimmte Grösse haben: Ein UVV mit einem verwalteten Vermögen von lediglich 20-30 Millionen wird ganz einfach ignoriert.
Was halten Sie von den Plattformen für Vermögensverwalter? Wie bereits angesprochen, werden die UVV ihre Freiheit nur gezwungenermassen aufgeben, was erklärt, warum sich die Plattformen nur langsam entwickeln. Nach meinem Dafürhalten bieten die Plattformen drei völlig unterschiedliche Modelle an. Eins dieser Modelle ist eine Art „Fünf-SterneHotel“: Gegen eine entsprechende Vergütung führt die Plattform sämtliche Aufgaben aus, die der Vermögensverwalter, der sich allein auf seine Kundenbeziehungen konzentrieren will, nicht übernehmen möchte. Ein zweites Modell könnte man mit dem Stockwerkeigentum vergleichen: Der Vermögensverwalter möchte nicht völlig alleine auf sich gestellt sein und integriert über eine Kapitalbeteiligung die Plattform. Beim dritten Modell wird der Vermögensverwalter einfacher Mieter und kann, nachdem er die eigentliche Vermögensverwaltungstätigkeit an die Plattform abgetreten hat, nur noch als Berater seiner Kunden auftreten. In der Zukunft und für den Fall, dass sich der Regulierungsrahmen in Bezug auf die Governance deutlich verschärfen und die kleineren UVV zwingen würde, einige Dienstleistungen auszulagern, scheint mir das „Fünf-Sterne-Hotel“-Modell am besten geeignet zu sein, um den meisten Bedürfnissen entsprechen zu können. Dabei werden zahlreiche neue Instrumente angeboten, die für UVV äusserst interessant sind. Sie erleichtern den UVV nicht nur eine Reihe von Aufgaben, sondern bieten für einige unter ihnen vielversprechende Perspektiven. 33