investnews Guide 2016 für Vermögensverwalter_Pierre Maudet_DE

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N A C H H A LT I G E F I N A N Z E N

Der nachhaltige Finanzsektor muss

innovative Instrumente finden

Die Schweiz ist international für ihre Bank- und Finanzexpertise anerkannt. Aber obwohl ein Drittel der nachhaltigen Anlagen von der Schweiz aus verwaltet wird, wird es – besonders was die verwendeten Finanzinstrumente betrifft – noch lange dauern, bis sich nachhaltige Finanzstrategien durchsetzen. Interview mit Pierre Maudet, Regierungsrat und Vorsteher des Departements für Sicherheit und Wirtschaft des Kantons Genf. Von Nathalie Praz

Investnews: Nachhaltige Finanzen fanden bei den Anlegern erst in der jüngsten Zeit Anklang. Was denken Sie? Handelt es sich bei dieser Entwicklung um einen vorübergehenden Trend oder um eine tiefer greifende Veränderung der Finanzwelt? Pierre Maudet: Die Entwicklung im reinen und harten Finanzsektor hin zu mehr Nachhaltigkeit, wie wir sie im vergangenen Jahrhundert erlebt haben, ist eindeutig eine grundlegende Entwicklung. Sie folgt der weltweiten Bewegung, die mehr Transparenz und stärkeren ethischen Sinn bei wirtschaftlichen Transaktionen einfordert. Die grundlegende Tendenz, die sich immer deutlicher abzeichnet, ist, dass das investierte Geld zwar eine interessante finanzielle Rendite sichern soll, aber auch unter gesellschaftlichen und ökologischen Gesichtspunkten positive Auswirkungen haben muss. Das Wachstum dieses Sektors, insbesondere des Schweizer Marktes für Entwicklungsfinanzierung, ist in dieser Hinsicht sehr bezeichnend. So betrug die durchschnittliche jährliche 71


[ DAS ZIEL, WELTWEIT ZU DEM NACHHALTIGEN FINANZPLATZ ZU WERDEN, IST VIELLEICHT ETWAS EHRGEIZIG Wachstumsrate (CAGR) zwischen Dezember 2014 und Ende September 2015 18,4 % (Studie Swiss Investments for a Better World). Diese grundlegende Tendenz wurde insbesondere in Genf in die kantonale Wirtschaftsstrategie 2030 aufgenommen.

Welchen Herausforderungen steht der nachhaltige Finanzsektor gegenüber? Welche Elemente bremsen seine Expansion noch?

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aufgedeckt werden als früher, und diese Akteure können von Ihresgleichen viel schneller isoliert werden als vorher.

Die Schweiz und insbesondere Genf zählen zu den wichtigsten Finanzplätzen. Könnten sie sich nicht auch vom Wettbewerb abheben, indem sie zu DEM nachhaltigen Finanzplatz schlechthin werden?

Das Ziel, weltweit zu DEM nachhaltigen Finanzplatz zu werden, ist vielleicht etwas ehrgeizig. Unser Bestreben, Die grösste Herausforderung scheinen die Unkenntnis in entsprechende Initiativen zu unterstützen, zielt jedoch diesem Bereich zu sein und die Angst oder der Eindruck, eindeutig darauf ab, Genf als unumgängliche internationale dass „nachhaltige“ Anlagen nicht dieselbe Drehscheibe für nachhaltige Finanzen zu Rendite erzielen wie andere Anlagen. etablieren. Wir verfügen über zahlreiche Natürlich nehme ich diese Bedenken Trümpfe in der Hand. Alle für ein derarNACHHALTIGKEIT KANN zur Kenntnis. Sie sind legitim und dürfen tiges Unterfangen notwendigen Akteure MAN NICHT AUFZWINGEN. weder von den betroffenen Fachkreisen sind in Genf präsent von internationalen SIE DRÄNGT SICH GANZ noch von den Politikern unterschätzt Organisationen bis hin zur Finanzexpertise. IM GEGENTEIL VON werden. Wir verfügen jedoch über die Zur Veranschaulichung kann man daran ALLEINE AUF Argumente, um überzeugend zu zeigen, erinnern, dass Genf beispielsweise die dass es nötig ist, sich für nachhaltige Wiege der Mikrofinanz ist, was die besten Finanzen zu interessieren und in diesem Sektor zu inves- Spezialisten anzieht. Das verwaltete Vermögen hat sich seit tieren. Verschiedene Studien zeigen offensichtlich, dass Anfang des Jahrhunderts vertausendfacht. hier die Renditen oft gleichwertig oder sogar höher sind. Welche Rolle spielt der Staat bei der Entwicklung Eine Tatsache, die immer mehr berücksichtigt wird, denn bestimmte Zahlen lügen nicht: Die Nachfrage nach derar- und beim Wachstum der nachhaltigen Finanzen? Wie in allen anderen Wirtschaftsbereichen besteht die tigen Produkten steigt deutlich. Rolle des Staats darin, ideale Rahmenbedingungen für eine Wie wird sich dieser neue „nachhaltige harmonische Entwicklung dieses Sektors zu schaffen. In Finanzsektor“ also im 21. Jahrhundert entwickeln? einem Interview mit Sabine Döbeli, welche die OrganisaWie jeder Finanzsektor müssen auch die nachhaltigen tion Swiss Sustainable Finance ins Leben gerufen hat, habe Finanzstrategien innovative Instrumente entwickeln und die ich gelesen, dass beim Finanzstudium an der Universität neuen Modelle müssen insbesondere in die Fintech integriert Zürich die Nachhaltigkeit sehr wahrscheinlich während des werden. Die Wege der nachhaltigen Finanzen führen ebenso gesamten Studiums nicht gelehrt wird. Sie ruft daher auf, über das bessere Verständnis und die Integration ihrer dies zu verändern. Eine Veränderung, der ich zustimme, und Themen in die Regulierungen, die entsprechend anzupassen die ich unterstütze. sind, damit sich die innovativen Tools möglichst barriereSie sind als Genfer Regierungsrat zuständig für die frei entfalten können. Schliesslich geht es darum – und das Wirtschaft im Kanton Genf. Mit welcher Strategie ist eines der von Sustainable Finance Geneva geführten treiben Sie die Entwicklung der nachhaltigen und von uns unterstützten Projekte – Begegnungsorte zu Finanzen voran? schaffen, an denen sich investitionswillige Institutionen und Die Integration der nachhaltigen Finanzen in die kantoUnternehmen mit einer positiven gesellschaftlichen und nale Wirtschaftsstrategie 2030 zeigt die Entschlossenheit ökologischen Bilanz treffen können. des Kantons, diese Entwicklung politisch zu unterstützen. Sind die nachhaltigen Finanzen nicht einfach ein Nachhaltige Finanzen zählen zu den Hauptzielen dieser Weg, sich ein reines Gewissen zu verschaffen? Wirtschaftsstrategie. Ich setze mich für eine positive WirtWie bei allen Aktivitäten kann nicht ausgeschlossen werden, schaft ein, die das Wirtschaftssystem neu auf die langfrisdass sich bestimmte Akteure nicht um Prinzipien kümmern. tigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zielsetzungen Wie ich jedoch bereits erwähnt habe, befinden wir uns im ausrichtet. Zeitalter der Transparenz und der Rückverfolgbarkeit. So Derzeit gelten zwei Stossrichtungen als prioritär: Die gesehen kann mangelnde Kohärenz heute viel einfacher Entwicklung einer „Börse für soziale Unternehmen“, die das

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© Photo Eric Valli

Zusammenbringen von Investoren und Unternehmen ermöglicht, ebenso wie die Gründung eines „Hauses der Finanzen“, das ein richtiges Kooperationszentrum für Forschung und Informationen über nachhaltige Finanzen sein soll.

Müssen die Politiker nicht auch die Unternehmen dazu anhalten, in diesem Zusammenhang Verantwortung zu übernehmen? Nachhaltigkeit kann man nicht aufzwingen. Sie drängt sich ganz im Gegenteil von alleine auf. Dies, wie ich nochmals bekräftigen möchte, dank der Transparenz und Rückverfolgbarkeit, durch die sich unsere Zeit auszeichnet. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass einer der Nebeneffekte unseres Digitalzeitalters eindeutig der Wunsch der Beteiligten ist, mehr über die Auswirkungen ihrer Investitionen zu wissen, und dieser Wunsch kann jetzt besser erfüllt werden. Ich möchte daran erinnern, dass die Wirtschaftsfreiheit als Grundrecht in der Schweizer und Genfer Verfassung verankert ist. Ziel ist es also nicht, eine derartige Entwicklung zu erzwingen, sondern zu fördern, zu unterstützen und zu begünstigen. Es handelt sich um eine Geisteshaltung, ein Bewusstsein, dem man zustimmen muss und das reifen muss, bevor es weiterentwickelt wird.

Norwegen ist auf diesem Gebiet weit voraus. Sollten wir dieses Land nicht verstärkt zum Beispiel nehmen? Wahrscheinlich bezieht sich Ihre Frage auf den Staatsfonds dieses skandinavischen Landes, der bestimmte Unternehmen ausschliesst, die sich durch wenig ethische Aktivitäten auszeichnen. In der Tat haben viele Länder interessante Initiativen im Zusammenhang mit nachhaltigen Finanzen entwickelt. Es

ist richtig, sich an guten Praktiken zu inspirieren, aber ich denke nicht, dass die Schweiz und insbesondere Genf hier im Rückstand sind. Viele Experten unserer Region sind an der Entwicklung des nachhaltigen Finanzsektors beteiligt, und es ist paradox, dass sie im Ausland bekannter sind als in der Schweiz. Spezialisierte Finanzgesellschaften, Grossbanken sowie internationale Organisationen und NRO kreieren täglich neue Produkte, Dienstleistungen und innovative Konzepte im Bereich der nachhaltigen Finanzen. 2015 waren in der Schweiz fast 220 Unternehmen und private Organisationen auf diesem Gebiet aktiv.

1/3 der nachhaltigen Anlagen werden von der Schweiz aus verwaltet. Diese Expertise wird jedoch nicht ausreichend in den Vordergrund gestellt. Wie kann man da Abhilfe leisten? In der diskreten Finanzwelt weiss jeder, dass wir über die Spezialisten, Kenntnisse und Kompetenzen verfügen. Es ist aber eben auch die Rolle einer Organisation wie Sustainable Finance Geneva und auf nationaler Ebene von Swiss Sustainable Finance, zahlreiche Aktivitäten voranzutreiben, um diesen aufstrebenden Sektor bekannter und transparenter zu machen, aber auch die Expertise der Beteiligten zu stärken.

PIERRE MAUDET Pierre Maudet ist Regierungsrat im Kanton Genf, wo er seit Juni 2012 die Sicherheits- und Wirtschaftsdirektion leitet. Nach seiner Wahl im April 2007 zum Stadtrat und Vorsteher des Departements urbane Entwicklung und Sicherheit der Stadt Genf, war er von 2011 bis 2012 auch Genfer Stadtpräsident. Pierre Maudet schloss 2006 einen Master in Rechtswissenschaften der Universität Freiburg ab.

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