Kunstaustellung Murfrëit

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KUNSTAUSSTELLUNG WILHELM SENONER


Claudia Senoner, Enrica Volpi, Leo Andergassen, Astrid Rabanser, Wilhelm Senoner, Roland Demetz (Bürgermeister)

Dr. Leo Andergassen WILHELM SENONER IST DER GANZ ANDERE BILDHAUER Er stammt aus St. Ulrich in Gröden, wo er 1946 geboren wurde und auch bald danach den Umgang mit Holz und Skulptur erlernte. Er ist kein akademischer Künstler, kommt nicht aus dem Kunstbetrieb einer Hochschule. Was er ist, lässt sich aus der materialisierten Empirie in seinem Werk erahnen. Immerhin dauerte seine Lehrzeit bei diversen Grödner Bildhauern insgesamt zwölf Jahre. Es waren zunächst Jahre im Nachüben alter Meister, es war eine Zeitspanne angefüllt mit Übungen in den Formen der Spätgotik, jedoch immer in der Wahrnehmungskonkurrenz zur Natur, die letztlich das erste Lehrbuch bot. Vielleicht wuchs aus der Beschäftigung mit der deutschen Spätgotik die Vorliebe für Lindenholz, das sich bekanntlich gut bearbeiten lässt. Alle Skulpturen sind aus Linde geformt. Die heimische Zirbe hätte nur dimensionierte Maßverhältnisse zugelassen. In der Begegnung mit den großformatig geformten Massen trifft man auf ihn selbst, auf seine Einstellung zur Form, seinen Hang zur Kommunikation, seinen Blick, den er auf Menschen wirft. Und der Mensch ist und bleibt sein ausschließliches Objekt. Subjekt und Objekt zugleich. Um es vorweg zu nehmen : Wilhelm Senoner ist auch Maler. Seine Bilder orientieren sich aber an dem, was zuvor als Plastik entstanden, oder nachher als Plastik entstehen wird. Umgekehrt kann man sagen, dass den aus Holz geschlagenen Skulpturen eine durchaus malerische Ober-

fläche anhaftet. Diese bildet nicht die angeschnittene Haut des Holzes, sondern wird in der Tradition einer Fassung aufgetragen. Dabei werden keineswegs traditionelle und lang gereifte Wege beschritten, sondern es wird neu experimentiert. In einem Leimgemisch kommt Sägemehl zum Einsatz, das nun als „raue Schale“ auf den weichen Kern des Holzes kommt. Chirurgisch könnte man durchaus von einer Oberflächenbehandlung sprechen. Der raue Charakter verschwindet jedoch in der Ansicht und haucht den Figuren ein lebendiges Sein ein. Das Auge erlebt die Form der Plastik nicht zuletzt über die äußerste, hier nachgetragene Haut, die mit dem Kern zu einem Ganzen verschmilzt. Senoner liebt es, seine „Menschen“ dort hinzustellen, wo er die Ideen dafür empfing: auf der Spitzen der Berge, auf den gratigen Grenzen der Alpentäler. Hier stehen sie als Plain-air-Skulpturen in Bronze gegossen in direktem Kontakt zu der sie umgebenen Natur. Es ist eine Inszenierung im Großen, was spielerisches Verhalten in den Grödner Schnitzstuben etwa beim Miniaturgestalten einer Krippe über lange Jahrhunderte experimentieren konnte. Senoners Typen sind aus dem Leben gegriffen, in der ihm eigenen und unverwechselbaren Art der Konzentration auf das Wesentliche peilt er auf neue Aussagen. Die Rezipienten erleben sich selbst im Geschauten, die gratigen Formen haben


etwas von Findlingen, sie spielen mit Fronten und Ansichten, wobei in kubistischen Sichtwechseln nicht allein die Form sich verändert, sondern die in der Vorderansicht sichtbare Breite sich quasi leichtfüßig „verdünnt“. Aus einem „sacco di noci“ wird eine grazile Figur, die sich tänzelnd bewegt. Anklänge an den großen Bildhauer des 20. Jahrhunderts Alberto Giacometti und Henry Moore werden wach. Eine Plastik hat viele Bilder an sich. Unerschöpflich ist das Repertoire seiner Menschenwelt. Ein humaner Kosmos, der nicht den Anspruch erhebt, sich der Wirklichkeit zu widersetzen, sondern im Blick auf das Geschaffene die Wirklichkeit neu zu gestalten. Senoner ist ein durch und durch nachdenklicher „Schöpfer“. Es findet sich in ihm kein Hang zur Melancholie, wohl aber die Zuversicht der Unverdrossenheit. Der Positivismus seiner kreierten Welt ist im wahrsten Sinne „positiv“, also „gesetzt“. Die

fliehenden Haare an seinen Gesichtstypen lassen Bewegung ahnen. Alles ist in Bewegung, im Gehen, im Wandern, im Schreiten. Kein Standmotiv verbindet sich mit dem massiven Sockel, der einfach nur Terrain und „Urgrund“ der Menschentypen ist. Hände sind nur dort angezeigt, wo es das Agieren verlangt. Die Geschlossenheit des Umrisses erzeugt Schönheit, in den Oberflächen zeichnen sich wie im Ornament die Schabspuren der Schnitzeisen ab. Mann und Frau sind eines, Unwesentliches wird zum Unterscheidungskriterium. Senoner erlebt Kunst in der Harmonie und im formalen Ausgleich. Wenn auch die Bewegungen vermeintlich Aufbruch und Veränderung simulieren, so gibt es diese nicht unter Preisgabe von Ruhe. Die Erfolge auf regionalen und internationalen Ausstellungen anerkennen seine Kunst.

Dr. Leo Andergassen MURFRËIT - ... UND DIE NATUR WAR SCHON DA Wilhelm Senoner betritt unterhalb des Murfrëit einen eindrucksvollen Ort seiner Biografie und bringt dabei seine Kunst mit. Die schroffen, kalten Wände werden zur Kulisse, mehr noch, sie werden zur Anregung seines Schaffens und zum Modell. Das Gewaltige der Felsen spiegelt sich in den hölzernen Kulissen Senoners, in denen der Künstler, alias Schöpfer, die Natur wiederholt und an ihr den Fingerprint des Menschen hinterlässt. Murfrëit wird zum Synonym einer von An-

ZUR PERSON LEO ANDERGASSEN Leo Andergassen, geboren 1964 in Meran, absolvierte das Studium der Kunstgeschichte in Wien. 1988 Sponsion, 2002 Dissertation mit einer Arbeit zur früheren Ikonographie des Antonius von Padua in Italien. Von 1998 bis 2007 leitete er das Diözesanmuseum Hofburg Brixen, bis 2006 war er Landeskonservator von Südtirol.

fang an gestalteten Kunstlandschaft, in der nun die Kunst in ihren Chiffren wiederkehrt. Der Kraftort unter dem Grödner Joch wird zum Begegnungsraum mit den dreidimensionalen Bildern Senoners, die dieser vom Menschen hat. Wenn sie auch in ihrer Kraft allem Unbill zu trotzen scheinen, so verkommen sie vor der Urgewalt des Murfrëit zu Marionetten, die im gigantischen Welttheater auftauchen, ihre Rolle haben, und dann wieder verschwinden. Alles Können vergeht, die Kunst bleibt.

Seit 2013 führt er das Landesmuseum für Kultur- und Landesgeschichte Schloss Tirol. In den Forschungsschwerpunkten bricht immer wieder die ikonographische Schlagseite durch. Seit 2003 hält er Lehrveranstaltungen an der Universität Innsbruck, wo er sich 2013 habilitierte.


Nicola Curcio LIEBE CLAUDIA, LIEBER WILHELM

Beim Besuch des Ateliers von Wilhelm und beim Betrachten seiner neuesten Produktion habe ich eine gewisse Neigung beobachtet, das Leiden und die existenzielle Qual der Figur mehr in die Szene zu rücken, nicht nur durch den Kontrast der Farben, sondern auch durch die Spaltung des Inneren, vor allem im Bauchbezirk. Dabei habe ich an drei Dinge gedacht: 1: die Madonna del Parto von Piero della Francesca, welche eine entsprechende Schlitze im Bauchbereich vorzeigt; 2: die Kunst von Lucio Fontana, der etwa in seinem „Concetto spaziale. Attesa“ die Leinwand zerschneidet und die Fläche zur dritten Dimension hin eröffnet. Es ist eine verborgene, dunkle dritte Dimension, so dass sich aber die Malerei hin zur Plastik eröffnet (Wilhelm spricht ausdrücklich von einer tendenziellen Annäherung von Malerei und Skulptur). 3: ich denke an den Aufsatz von M. Heidegger „Vom Ursprung des Kunstwerkes“ (1936). Er gehört zu den wichtigsten Beiträgen zur philosophischen Ästhetik des 20. Jahrhunderts. Das Kunstwerk selbst ist – so Heidegger – der Ort eines Streites. Die Streitenden, die Heidegger mit den Namen „Erde“ und „Welt“ nennt, sind entgegengesetzte Tendenzen: Die Erde ist Masse, Dunkelheit, Undurchsichtigkeit, also insgesamt ein „Sichverschließen“ (Marmor in der Baukunst und Plastik, Farbe in der Malerei, Metall, Holz und Fell in der Musik sind opak, undurchsichtig). „Welt“ ist dagegen wie eine offene Bühne, Eröffnung. Der Grundzug der Welt ist ein Zur-Erscheinung-bringen. So Heidegger: „der Fels kommt zum Tragen und Ruhen und wird so erst Fels; die Metalle kommen zum Blitzen und Schimmern, die Farben zum Leuchten, der Ton zum Klingen, das Wort zum Sagen“. Die Art und Weise, wie dies geschieht, resümiert Heidegger in einigen Grundzügen ei-

ner jeden Kunst, die er „Grundriß, Aufriß und Umriß“ benennt. Deren einheitlicher Grund ist der „Riß“. Darin wirkt das „Reißen“ im Sinne von trennen und zugleich die Idee einer scharfen Unterscheidungslinie (diesbezüglich bezieht sich Heidegger ausdrücklich auf ein berühmtes Zitat von Albrecht Dürer). Oft missverstanden ist Heideggers Behauptung, dass „alle Kunst im Wesen Dichtung ist“. In einer Hölderlin-Vorlesung, kurz vor dieser Abhandlung, gewann Heidegger die Herkunft des Wortes Dichtung aus dem altgriechischen deìknymi, d.h. „zeigen“, „sehen lassen“. Das Kunstwerk ist insofern „Dichtung“ als es in sich selbst und von sich selbst her ein Sehenlassen ist. Eben hier ist meines Erachtens der Ort für ein Werk von Lucio Fontana, Concetto spaziale – Attesa (1964). Ein Riß durch die Leinwand lässt den Stoff als Stoff auffallen. Es ist sonst keine weitere Beschreibung möglich: keine Form, keine Farben, kein Bild und kein Stil. Nichts, was durch die Kategorien der überlieferten Ästhetik bewertet werden kann. Erst durch diesen Riß erhält der Stoff Individualität, Anspruchscharakter. Dadurch, dass die Leinwand damit verwunden und unbrauchbar gemacht wurde, wird der Stoff thematisch. Es eröffnet sich eine Ritze, welche die Fläche durchbricht und eine Transzendenz verspricht. Im Streit zwischen der sichverschließenden Leinwand und der Gewalt der Spalte bekundet sich hier eine Welt. Dieses Werk zeigt ferner das Prozeßhafte der Wahrheit, ihre „Geschichtlichkeit“ – wie Heidegger in den 20er Jahren mit Vorliebe sagte: Der Riß deutet auf einen bestimmten Augenblick der gewaltigen Tat an: Gegenwart. Die aufgespannte Leinwand erinnert an die lange Tradition der Malerei: also Vergangenheit. Das Werk ist zu seiner zukünftigen Aufbewahrung im Museum bestimmt; damit: Zukunft. So betont das Werk eine ausgesprochene Zeitlichkeit. Diese soll nach Heideggers Hauptwerk Sein und Zeit den Sinn vom Sein erschließen. Concetto spaziale ist


in einem Heideggerschen Sinne „Dichtung“ als Sehenlassen: Gewöhnlich verbirgt sich die Ausführungstechnik hinter dem vorhandenen Kunstwerk. Wie eine Plastik, eine Radierung, ein Gemälde realisiert wurde, sieht man dem Artefakt nicht mehr. In diesem Fall lässt jedoch das Werk nicht nur sich selbst sehen, sondern auch die Art und Weise seines Zustandekommens durch eine Klinge, vertikal geführt durch diese Stelle an der Leinwand. Diese Durchsichtigkeit ist ein ausgezeichne-

tes Zeigen, ein deìknymi, Dichtung. Es sind noch roh zusammengesetzte Gedanken, die mir jedoch einen Wink in das Durchdenken meiner Erfahrung bei Wilhelm geben. Solche Gedanken gebe ich hiermit an den Künstler weiter. Vielleicht ist ein Wink mehr als gar nichts und lässt eine Richtung erahnen, in die meine Gedanken durch den Besuch des Ateliers geleitet wurden. Mit Verehrung und Dankbarkeit, Nicola




Philippe Daverio, Astrid Rabanser, Wilhelm und Claudia Senoner

Philippe Daverio WILHELM DER SCHAMANE

Als Kulturanthropologe muss ich nicht das Schöne vom Hässlichen unterscheiden, wie es Kunstkritiker zu tun glauben. Diese Kategorien interessieren mich nicht, sondern viel mehr die Kategorien Authentizität und Fälschung. Ich begebe mich auf Entdeckungsreise nach Gemeinsamkeiten von Völkern und Gebieten und analysiere dabei aufmerksam die Zeichen, die Populationen zurücklassen. Dabei handelt es sich häufig um wirklich bizarre Zeichen. Mit diesem Geist nähere ich mich Wilhelm Senoner an und denke dabei nicht zufällig an Personen wie Alberto Giacometti und Carlo Carrà. Giacometti, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die griechisch-römische Klassik durchquert, um eine Inspiration für die Form zu finden, die er gerade erfindet, und dabei nach einer Figur in der Tiefe seiner Seele sucht, eine etruskische Figur. Carrà, der, nachdem er das futuristische Spiel aufgegeben hat, einen Weg der Identifizierung einschlägt, auf dem beispielsweise ein kleiner Mann mit einem runden Gesicht zu finden ist, der aus einem gemeißelten Stein herausgekommen zu sein scheint, quasi eine romanische Skulptur.

In unserem Wilhelm finde ich einen tiefgehenden Expressionismus, „Wurzeln schlagende Ausdruckskraft“, die dieser Gegend oder gar den Bergen innewohnt. Seine Skulpturen sind „authentisch“ – wie die afrikanischen Fetische, wenn sie authentisch sind – sie sind die Fetische der „Bewohner der Alpen“. Und dadurch kommt ihre Bedeutung zustande. Wir sehen sie mit einem neugierigen Gefühl der Begeisterung an ohne auf anhieb zu verstehen, worum es sich handelt, und somit ohne uns inmitten der Banalität einer bereits fertiggestellten Erzählung zu befinden. Das sind die geheimnisvollen Gottheiten der heutigen alpinen Welt. Wissen Sie, wer Wilhelm Senoner ist? Vieleicht ist er ein „Schamane“, eine der Personen, die arbeitet, um geheimnisvolle Mysterien zu entdecken. Ihr Handwerk liegt darin, am Ende des Waldes eingeschlossen zu sein, fortzubestehen und nach der Erinnerung zu suchen. So, wie es die Mönche während der Einfälle der Barbaren gemacht haben, um das Wissen niederzuschreiben und weiterzugeben. Den Schamanen verdanken wir die Kontinuität des Bewusstseins, die Kontinuität des Gedächtnisses und die Kontinuität des Feingefühls.


„Unglaubliche Landschaft.

Unerwartetes Meisterwerk!!! PhD

Aufbrächen


Francesco Pontarin MURFRËIT - ...UND DANN KAM DER MENSCH

Es waren unendliche Wasserflächen, Eruptionen und Gletscher, Erdbeben und Wirbelwinde, die im Verlaufe der unberechenbaren Zeiten aus der kosmischen Materie, Gaia – unseren Planeten – und schließlich die grundlegenden Lebensformen im Wasser, auf der Erde und ihre komplexe Struktur schufen, indem sie das Licht und die Wärme durch unüberschaubare geologische Epochen hindurch empfingen. Und zuletzt ward der Mensch: er hatte Füße, Hände, Augen genau wie andere Tiere, indes aber auch eine neue Gabe, den Funken des Geistes, das Bewusstsein seiner selbst, die Fähigkeit, die gesamte Natur, die sich vor seinen Blick, vor sein Wissen, vor seine Handlung stellt, zu vergegenständlichen.

wachten, entdeckten zwischen den Felsen Pässe, die sie mit den naheliegenden Siedlungen verbanden, bauten Wege und Straßen und gaben jedem Ort einen Namen, der ihn erkenntlich machen sollte. Das weit verbreitete Gehölz wurde gepflegt und so entstand ein Wald, der jegliche Holzart bot, die für das Leben aber auch für die Verwirklichung von wunderschönen Statuen, Altären, Möbeln, Backtrögen, Truhen und Wiegen bis hin zu den einfachsten alltäglichen Gegenständen, die in den langen Winternächten geschnitzt und verarbeitet wurden, benötigt wurden. Hier wurde die Natur nicht zerstört, sondern von Generation zu Generation behütet und bebaut, fast wie ein nostalgisches Bild eines verlorenen und erträumten Edens.

Im Buch Genesis (Moses 2:19) heißt es: „Denn als Gott der HERR gemacht hatte von der Erde allerlei Tiere auf dem Felde und allerlei Vögel unter dem Himmel, brachte er sie zu dem Menschen, dass er sähe wie er sie nennte, denn der wie Mensch allerlei lebendige Tiere nennen würde, so sollten sie heißen“. Die Tiere, die Pflanzen, aber auch die Felsen, die Flüsse, die Wälder und die Meere hatten kein Bewusstsein ihrer selbst: ihnen einen Namen zu geben, bedeutet, sie existieren zu lassen, sie aus dem Unklaren zu befreien, in gewisser Weise ihr Bewusstsein, ihre Besinnung zu sein.

Seit Jahrtausenden gibt es hier obliegende, eisenartige Felsen und geheime, verlorene Seen, hier kann, heraufbeschworen durch ein kurzes Gedicht aus Pietre e Parole (Steine und Wörter) von Yannis Ritsos, das Wunder geschehen

Als sich das Wasser und die Gletscher zurückzogen – und es erscheint uns gerade gestern, wenn wir an die unendlichen geologischen Epochen denken – kamen einzelne Menschen oder ganze Familien gemeinsam mit ihren Herden in diese Täler und ließen sich hier nieder, beobachteten die jährliche Bewegung der Sonne und wählten die für ihre Höfe geeignetsten Hänge, säuberten die Wiesen für ihre Tiere, terrassierten und lockerten die Böden, wo es ihnen am günstigsten erschien, Obstgärten und Weinreben anzubauen, errichteten Kirchen und daneben die Gräber ihrer Verstorbenen, über die spitze Glockentürme

Die beiden Elemente: der Fels, ewig, stark und unverrückbar, gerinnendes Feuer, das Funken versprüht und das Wasser in ewiger Wandlung; ein Felsblock bricht herab und versinkt in den Tiefen eines Sees: ein wer weiß wie oft schon seit Anbeginn der Zeit geschehenes Ereignis, das keine Spuren hinterlässt, aber jetzt indes existiert ein menschliches Auge, das das Ereignis wahrnimmt und es zu einer Erinnerung, zu einem Bild werden lässt. Es ist das Auge und das Herz des ersten Menschen, der diese Höhen erklomm, und nun Auge und Herz des Künstlers unserer Zeit, in denen das Erstaunen des Ersten erwacht und sich ver-

Stein stürzte herab schlug auf das Wasser versank das Wasser schloss sich wieder ohne sich zu spalten Ich erinnerte


ewigt. Fels und Wasser, eben dies sind die Geschöpfe, die Wilhelm in seinen jüngsten Skulpturen und Malereien faszinieren. Auf dem Grödner Joch, in der offenen Bergmulde zwischen den hoch gelegenen Weiden und der obliegenden Sellawand, mit den dem Langkofel und der großen Cirspitze abgewandten Profilen, in einem Kreis versammelt, steht eine Gruppe von Frauen und Männern,

Der Kuss

gebildhauert und gegossen von Wilhelm Senoner. Sie besitzen die Farben und Formen von Fels und Eis, sind verwandt und ähnlich der Dolmen, die vergangene Kulturen auf ihrem Grund und Boden hinterlassen haben, womöglich tauschen sie Wörter aus, ähnlich deren, die einst hier in dieser puren und verzauberten Luft erklangen.


Foto: Egon Dejori

Wilhelm Senoner Via Arnaria Str. 9/1 I-39046 Ortisei/St.Ulrich (BZ) Mob. +39 338 50 76 384 www.wilhelmsenoner.com


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