

LAMPENSCHWARZ
R obert W yss und die K unst des H o,s.hnitts
LAMPENSCHWARZ
R obe,t W -ss und d(e K unst des H olzsc)n(tts
Stefan R agaz, H e(nz Sta)l)ut, Balt)aza, W-ss, M (c)ael W-ss
S tefan R agaz , H e(nz S ta)l)ut , B alt)aza, W -ss , M (c)ael W -ss
LAMPENSCHWARZ
R obe,t W -ss und d(e K unst des H olzsc)n(tts
Impressum
Alle Angaben in diesem Buch wurden von den Autoren nach bestem Wissen und Gewissen erstellt und von ihnen und vom Verlag mit Sorgfalt geprüft. Inhaltliche Fehler sind dennoch nicht auszuschliessen. Daher erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Weder Autoren noch Verlag übernehmen Verantwortung für etwaige Unstimmigkeiten.
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© 2025, Pro Libro / Weber Verlag AG, 3645 Thun/Gwatt Pro Libro ist ein Imprint der Weber Verlag AG.
Autoren : Stefan Ragaz, Heinz Stahlhut, Balthazar Wyss, Michael Wyss
Werkverzeichnis und Auswahl der Werke: Michael Wyss, Balthazar Wyss Digitalisierung der Werke: Balthazar Wyss
Redaktion: Stefan Ragaz
Weber Verlag AG
Verlagsleitung und Projektleitung: Annette Weber-Hadorn
Bildbearbeitung: Adrian Aellig
Gestaltung Cover: Bettina Ogi
Gestaltung / Satz: Aline Veugel
Korrektorat: Blanca Bürgisser
Der Weber Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2021–2025 unterstützt.
ISBN 978-3-905927-77-1
www.prolibro.ch
Wenige haben es in der modernen Kunst geschafft, sich mit dem Holzschnitt einen Namen zu machen. Zu den wenigen gehört sicher Robert Wyss, dessen Geburtstag sich 2025 zum hundertsten Mal jährt. Robert Wyss hatte während 41 Jahren in Adligenswil gelebt – Grund genug für die Kulturkommission seiner Wohngemeinde, eine umfassende Retrospektive zu initiieren. In der Folge formierte sich ein ehrenamtliches Organisationskomitee, das sowohl die Ausstellung im gemeindeeigenen Zentrum Teufmatt auf die Beine stellte als auch die vorliegende Publikation konzipierte.
Mehr als zwölf Jahre ist es her, seit die letzte Gedenkausstellung über die Arbeiten von Robert Wyss in der Kornschütte Luzern zu sehen war. Diese Zeitspanne war ausreichend lang, um das Inventar des künstlerischen Vermächtnisses des ausgesprochen produktiven Holzschneiders zu vervollständigen und nun zu einem Abschluss zu bringen. Der ältere Sohn, Michael Wyss, und der Sohn des jüngeren Sohnes von Robert Wyss, Balthazar Wyss, haben das Werk aufgearbeitet.
Dabei gestaltete sich die Bestandsaufnahme als eine wahre Entdeckungsreise durch das ehemalige Atelier, das als Werkstatt und als Ort diente, an dem sich für den Künstler ein Grossteil des schöpferischen Prozesses abspielte. Das Werk umfasst neben den bekannten Einzelblatt-Holzschnitten und Bildgeschichten auch eine beeindruckende Zahl von Skizzen, Entwürfen und Druckstöcken. Eine über 45 Jahre, von 1959 bis 2004, geführte Agenda enthält zudem Einträge, welche die tägliche Arbeit im Atelier dokumentieren und die Robert Wyss oft bebilderte. Sie weist auch auf interessante Querverbindungen zu grafischen Aufträgen, zu auswärts gemalten Wandbildern sowie zu Reisen im In- und Ausland hin.
Das vorliegende Buch beabsichtigt, ausgesuchte Trouvaillen aus dem reichhaltigen Atelierbestand einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Erstmals wird neben den Holzschnitten auch eine repräsentative Auswahl von Vorstudien, Entwürfen und Druckstöcken gezeigt. Zudem wird der Versuch gemacht, Robert Wyss in seiner Kunst auch von den weniger bekannten Seiten zu beleuchten.
Eingebettet wird die Präsentation des künstlerischen Werks von Robert Wyss durch ein Porträt, in dem sich auch Weggefährten äussern, die mit dem Künstler eng verbunden waren. Ebenso setzt sich eine kunstkritische Betrachtung mit dem künstlerischen Frühwerk auseinander. Weitere Kapitel bringen dem Publikum nacheinander den Zeichner, den Holzschneider, den Grafiker und den Maler näher. Und schliesslich geht das Buch auf das vom Künstler wohl am meisten bearbeitete Thema ein, auf den Menschen und seine Umwelt.

Abb. 1: Robert Wyss, 1981. Foto: Emanuel Ammon/AURA
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Robert Wyss pflegte Freundschaften – enge, langjährige Freundschaften. «Röbi», wie er von allen genannt wurde, interessierte sich für die Menschen, hatte immer ein offenes Ohr und einen offenen Geist. Als er am 15. Februar 2004 – für die meisten unerwartet – verstarb, begannen seine engsten Wegbegleiter, Erinnerungen und Anekdoten zu sammeln. Sie veröffentlichten ihre Geschichten in einer kleinen Druckschrift, die ein Jahr später aus Anlass einer Gedenkausstellung in der Galerie Gersag in Emmen erschien. Darin wird das Bild eines bescheidenen, feinfühligen Menschen gezeichnet, dem es «immer gut ging» und der «niemals seine eigene Person» in den Vordergrund rückte.
«Mit der gleichen Bescheidenheit», heisst es in dem Büchlein, «wich er einem Gespräch über sein Werk aus.» Wichtig waren die anderen, die er in sein Kunstschaffen einbezog, nicht er. Sich zurückzunehmen, sich in sein Gegenüber hineinzudenken, war eine grosse Stärke von Robert Wyss. Er hatte ein «phänomenales Anpassungsvermögen», erinnern sich seine Freunde, «ohne sich selbst im Geringsten aufzugeben».
Robert Wyss, geboren am 10. Juli 1925 in Luzern, wuchs in einer Familie auf, die sich nicht durch eine besondere Kunstaffinität auszeichnete.
Sein gleichnamiger Vater, der aus Neuhausen stammte, war Bankangestellter. Er war nach einem Kurzaufenthalt in Neapel in die Schweiz zurückgekehrt, um in Luzern für das Weinhandelshaus Bataillard in der Buchhaltung zu arbeiten; seine Mutter, Maria Wyss, war eine geborene Murer aus Beckenried.
Bescheiden waren die Verhältnisse, in denen Robert Wyss aufwuchs. 1932 zog seine Familie – dazu gehörte mittlerweile auch Walter, sein um zwei Jahre jüngerer Bruder – in eine Neubauwohnung der Allgemeinen Baugenossenschaft Luzern (ABL) am Heimatweg 1.
Robert Wyss interessierte sich für das Anschauliche Schon in der Sekundarschule interessierte sich Robert Wyss vor allem für die anschaulichen Fächer: Geografie, Naturkunde und Geschichte. So war es keine Überraschung, als er sich 1941 für eine Ausbildung an der Luzerner Kunstgewerbeschule (heute Hochschule für Gestaltung und Kunst) entschied. Er besuchte den Lehrgang als Grafiker, was sein Selbstverständnis prägte. Auch später bezeichnete er sich immer als Grafiker.
Prägend waren seine Lehrer, vor allem Max von Moos (1903–1979). Robert Wyss war fasziniert von den künstlerischen Mitteln und den malerischen Techniken, die Max von Moos als Surrealist einsetzte, von den «Pröbeleien und Experimenten», wie Wyss sie nannte. Hinzu kam die politische Anspannung in der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Max von Moos war Marxist und engagierte sich gegen den Nationalsozialismus. Er nutzte die Mittel der Kunst, um seine politische Meinung auszudrücken.
Treffendes, Subversives, Anarchisches – immer mit Humor Robert Wyss liess sich auch in diesem Punkt von seinem Lehrer inspirieren. Er verfügte zwar über eine ausgesprochene Anpassungsfähigkeit und Bescheidenheit, er scheute sich aber nicht, Stellung zu beziehen – ohne dabei «seine Meinung, seine Kritik jemandem aufdrängen zu wollen», wie es in der Erinnerungsschrift heisst. Unaufgeregt mit Worten oder verdichtet in Zeichnungen und Aquarellen konnte er «Treffendes, Subversives, Anarchisches» ausdrücken – «nie laut, stets mit einem feinen, bildstarken Humor», auch mit Poesie oder einem Hauch von Melancholie.
1944 schloss er seine Ausbildung als Grafiker ab. Nun begann die Phase der permanenten Weiterbildung. Robert Wyss suchte die Vielfalt in seiner grafischen Tätigkeit. Zunächst arbeitete er in der Dekorationswerkstätte der Firma Buchecker («Aux arts du feu»), dann im Verlag C. J. Bucher. 1946 schliesslich trat er als Mitarbeiter in das Atelier von Sepp und Erica

Abb. 2: Fasnachtsdekoration von 1962 im Hotel Astoria in Luzern. Eine seiner ersten Arbeitsstellen hatte Robert Wyss von 1946 bis 1949 im Grafikatelier von Sepp und Erica Ebinger. Ebinger war einer der Pioniere der modernen Luzerner Fasnacht.

Abb. 3: Skizze von Lucie Wyss, entstanden um 1990. Robert Wyss und Lucie Küttel hatten 1953 geheiratet.

Abb. 4: Adligenswil um 1975. Das Doppelhaus mit Atelier, das Robert Wyss mit seiner Familie seit 1962 bewohnte, ist am Dottenberg hinter dem alten Obmatt-Gutshof zu sehen. Es war eines der ersten Flachdachhäuser in Adligenswil. Foto: Hans Vetter
Ebinger ein. Sepp Ebinger war bekannt als Organisator der Luzerner Fasnacht.
Robert Wyss dekorierte Fasnachtssäle (Abb. 2, S. 11) und stellte Masken her. Als er weiterzog, blieben zwei Dinge: Erstens seine Verbundenheit mit der Welt der fasnächtlichen Bilderwelt, zweitens die Freundschaft mit Sepp und Erica Ebinger. «Sepp und Röbi waren ein wunderbares Team, auch in der Freizeit», schrieb Erica Ebinger in der kleinen Druckschrift.
Auf seinem weiteren Berufsweg konzentrierte sich Robert Wyss darauf, seinen handwerklichen Horizont zu erweitern. Bereits zwischen 1946 und 1949 besuchte er die Sommerkurse an der Académie de la Grande Chaumière in Paris. Dort perfektionierte er die Technik des Aktzeichnens (Abb. 40, S. 46 und Abb. 41, S. 47). 1952 wechselte er nach Basel in das Atelier Eigenbenz, um das Malen von Schriften und Plakaten zu praktizieren.
Lucie und Robert Wyss – eine «unabdingbare» Gemeinschaft 1953 war er zurück in Luzern, wagte den Schritt in die berufliche Selbständigkeit und heiratete die gleichaltrige Lucie Küttel (Abb. 3, S. 12), damals Sekretärin in der Privatbank von Ernst Brunner an der Pilatusstrasse in Luzern. Es war eine klassische Beziehung der Gegensätze, die sich ergänzen, von Plus und Minus, die Strom erzeugen. Er, eher introvertiert und reserviert, dennoch mit viel Sinn für Humor, schöpfte Energie aus der Verbindung mit der gefühlsbetonten, extrovertierten Lucie. Die beiden gehörten zusammen. «Unabdingbar», wie es Regula BürgiOdermatt, Kunsthistorikerin aus Nidwalden, in der kleinen Denkschrift formulierte.
Zunächst wohnte das Paar am Liebenauweg in Luzern. In diese Zeit fiel die Geburt der beiden Söhne, Michael (*1955) und Baptiste (1957–2013). 1962 zog die Familie in ihr Atelierhaus in der Obmatt in Adligenswil (Abb. 4, S. 12 und Abb. 5, S. 14). Erbaut wurde das Doppelhaus von Otto Gmür, der damals sein eigenes Architekturbüro gründete. Er wohnte mit seiner Familie in der anderen Haushälfte.
Robert Wyss genoss das Dorfleben und fand Anschluss auch in den Vereinen (Abb. 6, S. 14 und Abb. 7, S. 14). Adligenswil war damals ein Bauerndorf mit rund 750 Einwohnern. Wer in Adligenswil wohnte, lebte

Abb. 5: «Obsternte in Adligenswil», 1998. Robert Wyss nutzte für seine Druckstöcke vorwiegend das Holz der Birnbäume in Adligenswil.


Abb. 6 und 7: Robert Wyss war im Dorfleben von Adligenswil verwurzelt: Holzschnitt von 1987 für die Feldmusik Adligenswil (links) und Plakat der Festspielereien von 1991 (rechts).