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Lehrplan 21: Kompass für die

«Der Lehrplan 21 ist ein Kompass für uns»

Ab August 2018 tritt der neue Lehrplan 21 im Kanton Bern schrittweise in Kraft. Martina Cadisch und Pascal Däpp werden als Lehrpersonen an der Thuner Volksschule mit dem neuen Lehrplan unterrichten. Im Gespräch erklären sie, was die neue Vorgabe für sie und die Kinder bedeutet und wo sie Vorteile und Herausforderungen sehen.

Martina Cadisch und Pascal Däpp, was ist neu im Lehrplan 21?

Martina Cadisch: Den mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächern kommt eine grössere Bedeutung zu. Das Fach Medien und Informatik wird nun schon ab der 5. Klasse unterrichtet. Damit wird dem gesellschaftlichen Wandel zu mehr Digitalisierung Rechnung getragen. Pascal Däpp: Der neue Lehrplan richtet sich stark nach den Kompetenzen der Schüler aus. Es geht nicht mehr nur darum, Wissen zu vermitteln, sondern die Anwendbarkeit des Wissens und damit die Nachhaltigkeit der Bildung werden in den Vordergrund gestellt.

Der Lehrplan 21:

Zum ersten Mal in der Geschichte des Schweizer Bildungswesens werden die 21 deutsch- und mehrsprachigen Kantone den gleichen Lehrplan – den Lehrplan 21 (kurz: LP21) –haben. Im Kanton Bern tritt der LP21 gestaffelt in Kraft: Ab 1. August 2018 im Kindergarten und 1. bis 7. Schuljahr, ab dem 1. August 2019 im 8. Schuljahr und ab dem 1. August 2020 im 9. Schuljahr. Ende Juli 2022 ist die Einführung des Lehrplans abgeschlossen.

Neben erleichterter Mobilität bildet der neue Lehrplan eine einheitliche Grundlage, um Lehrpersonen auszubilden, um Lehrmittel zu entwickeln und zur Beurteilung der Schülerinnen und Schüler. Eine der wichtigsten Änderungen ist die höhere Anzahl an Lektionen. Als Folge werden die Hausaufgaben reduziert.

www.erz.be.ch/lehrplan21, www.lehrplan.ch Was ändert sich konkret für die Schülerinnen und Schüler? P.D.: Die bedeutendste Veränderung ist, dass sie während der Volksschulzeit mehr Unterricht haben als bisher und die Hausaufgaben nur noch sehr wenig Zeit in Anspruch nehmen dürfen.

Welche Vorteile bietet der neue Lehrplan? M.C.: Die Volksschulbildung ist nun erstmals in der gesamten Deutschschweiz einheitlich geregelt. Dadurch ist es für Kinder, welche umziehen, viel einfacher, den Anschluss zu finden. P.D.: Als Lehrperson weiss ich dadurch genau, welche Kompetenzen die Schülerinnen und Schüler mitbringen.

Was ist für Sie die grösste Herausforderung? M.C.: Schon heute haben wir den Anspruch, so individuell wie möglich auf die einzelnen Kinder einzugehen. Der Lehrplan 21 setzt diese Entwicklung fort, indem eine vielschichtige Beurteilung angewendet wird. Nicht mehr alleine die Endleistung zählt, sondern die gesamte Entwicklung. Bei über 20 Kindern pro Klasse ist dies herausfordernd. P.D.: Eine Herausforderung ist sicherlich die Absprache im Kollegium. Einhergehend mit der Einschränkung der Hausaufgabenzeit, müssen sich die einzelnen Fachlehrer untereinander austauschen, was genau in welchem Umfang behandelt wird und gegebenenfalls auch, wer wann eine Prüfung macht.

Wie bereiten Sie sich auf den neuen Lehrplan vor? P.D.: Die Einführung des LP21 ist ein mehrjähriger Prozess. Wir Lehrpersonen werden dabei sehr gut von den Schulleitungen und dem Kanton informiert und begleitet. Beispielsweise besuchen wir fachspezifische Weiterbildungen.

In den Jahren 2019 bis 2021 wird die Informatik-Infrastruktur an den Thuner Schulen erneuert und erweitert. Computer gehören bereits heute zum Schulalltag. Welche Erfahrungen machen Sie da-

mit? P.D.: Der Einsatz von Tablets eröffnet viele Möglichkeiten. Zum Beispiel können die Schüler ihrem Lernstand entsprechend Vokabeln üben, Rechenbeispiele lösen, programmieren oder mit einem Bildbearbeitungsprogramm Einladungen für ein Schulfest erstellen. Cloud-Lösungen erlauben den Zugriff auf die Dokumente ort- und zeitunabhängig. Bücher können daher im Klassenzimmer bleiben. Das Tablet gehört zukünftig wie der Bleistift auf den Tisch. Es ist aber in der Verantwortung der Lehrperson, den Computer als Lehrmittel zielführend und sinnvoll einzusetzen.

Oben Erstklässler bestaunen die Kraft der Magnete. Der Erwerb von Kompetenzen steht im Lehrplan 21 im Zentrum. Unten links Martina Cadisch und Pascal Däpp unterrichten ab August 2018 mit dem neuen Lehrplan. Unten rechts Oberstufenschüler können immer mehr digitale Hilfsmittel im Schulalltag nutzen.

Beim Lehrplan 21 steht nicht mehr der Erwerb von klassischem Schulstoff im Zentrum, sondern der Erwerb von Kompetenzen.

Verliert das Wissen dadurch an Bedeutung? P.D.: Kompetenzen setzen Wissen voraus. Das Verständnis von Wissen hat sich aber gewandelt. Heute geht es nicht mehr darum, so viel wie möglich auswendig zu lernen, sondern den Kindern eine Grundlage zu geben, um aus der Fülle an vorhandenem Wissen dasjenige herauszufiltern, das sie zum Lösen einer Aufgabe benötigen.

Wie viele Freiheiten bleiben Ihnen im neuen Lehrplan? M.C.: Der Lehrplan ist ein Kompass für uns. Er gibt die Richtung vor. Jede Lehrperson entscheidet selbst, wie sie die gesteckten Ziele erreichen und den Unterricht gestalten kann. Schliesslich arbeiten wir

Die Personen:

Martina Cadisch, 53, Primarlehrerin, unterrichtet seit 32 Jahren, 31 davon an der Primarschule Neufeld in Thun.

Pascal Däpp, 37, Oberstufenlehrer, unterrichtet seit 13 Jahren an der Oberstufenschule Strättligen in Thun. im Lehrberuf mit Menschen, das bringt mit sich, dass Gegebenheiten auch mal angepasst werden müssen. P.D.: Genau. Der Rahmen ist fix, aber welche Methoden eingesetzt werden oder wie man eine Aufgabe angeht, ist immer noch der Lehrperson selbst überlassen.

Wie reagieren Sie auf Sorgen der Eltern, die eine zu starke Leis-

tungsorientierung und Vergleichbarkeit fürchten? P.D.: Der Druck wird eher abgeschwächt. Die Schülerinnen und Schüler erhalten in der Oberstufe nur noch einmal pro Schuljahr ein Zeugnis. M.C.: In der Unterstufe nimmt der Druck auch ab. Den ersten Beurteilungsbericht gibt es in der zweiten Klasse und noch ohne Noten, ab dem 4. Schuljahr folgt dann eine jährliche Bewertung mit Noten. Dafür erhalten die regelmässigen Standortgespräche mehr Gewicht, was einen besseren Austausch zwischen Eltern und Lehrperson ermöglicht. Bei Sorgen und Fragen der Eltern ist es überhaupt der beste Weg, uns Lehrpersonen zu kontaktieren.

Text Claudia Leu

Bilder Claudia Leu, zvg

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