7 minute read

Wenn Ihr nächster Traktor ein Tesla ist

Technologie im Detail

Image ref: https://www.deere.co.uk/ en/agriculture/future-of-farming/ Alessandro Mastellari

Technical Specialist Wireless & Sensors, Avnet Abacus

„Das Versprechen niedrigerer Energiekosten, gesteigerter Produktivität und größerer Zuverlässigkeit sowie der Druck durch Emissionsvorschriften treiben die schnelle Innovation im Bereich NRMM voran.“

Die Automobilindustrie verlagert sich schnell in Richtung Elektrofahrzeuge (EVs), aber es gibt noch eine weitere Kategorie von Fahrzeugen, die reif für die Elektrifizierung sind: Nicht am Straßenverkehr teilnehmende bewegliche Arbeitsmaschinen, oder NRMM (Non-Road Mobile Machinery), wie die Regulierungsbehörden sie nennen. Diese umfassen Traktoren und andere landwirtschaftliche Geräte, kommunale Ausrüstung und Geräte zur Instandhaltung von Grundstücken, für die Handhabung und den Transport von Materialien und Gütern, sowie Baumaschinen für die Forstwirtschaft und den Bergbau.

Die Elektrifizierung dieser Fahrzeuge/ Geräte wird eine Herausforderung sein, da sie unterschiedliche Arbeitszyklen haben als EVs im Straßenverkehr, komplexere mechanische Anforderungen aufweisen und oft viel mehr Leistung benötigen als selbst der schnellste elektrische Sportwagen. Trotzdem treibt die Aussicht auf niedrigere Energiekosten, gesteigerte Produktivität und mehr Zuverlässigkeit sowie der Druck durch Emissionsvorschriften die schnelle Innovation in vielen NRMMBereichen voran.

Technologie im Detail

Umweltverschmutzung und Klimaschutz

Die EU begann 1997 mit der Regulierung der NRMM-Emissionen, um die Verschmutzung durch motorbetriebene Gartengeräte, landwirtschaftliche Maschinen und Geräte, Züge, Binnenschiffe und Baumaschinen zu bekämpfen. Die EU-Gesetzgebung hat sich seitdem weiterentwickelt. In der jüngsten Fassung (Stufe V) wird gefordert, dass Systeme, die heute verkauft werden, 97% weniger Partikel verursachen als vergleichbare Systeme, die 1997 hergestellt wurden, genauso wie 94% weniger Stickoxid- und Kohlenwasserstoffemissionen.

Das Erreichen dieser Standards bedeutet, dass Motoren für den nichtstraßengebundenen Verkehr mit Technik zur Emissionsminderung ausgestattet werden müssen, darunter DieselOxidationskatalysatoren, Dieselpartikelfilter, Abgasrückführungssysteme und CommonRail-Kraftstoffeinspritzung. Motoren mit mehr als 56 kW werden auch Module mit selektiver Katalysatorfunktion benötigen, um die Stickoxidemissionen zu verringern. Diese Systeme sind kompliziert zu implementieren und können den Nutzen der Fahrzeuge, in die sie eingebaut sind, einschränken. Einige Beobachter argumentieren auch, dass es beim Fahrzeugbau zu schlechten Kompromissen zwischen der Reduzierung von Schadstoffen und der Minimierung von Treibhausgasemissionen kommt, da die Vorschriften nicht ausdrücklich auf CO2-Emissionen eingehen. Das Tempo, mit dem die Vorschriften umgesetzt werden, bedeutet auch, dass einige sehr umweltschädliche NRMM-Motoren bis in die 2030er Jahre in Betrieb bleiben könnten.

Chancen für die Elektrifizierung der Landwirtschaft

Eine Antwort auf diese Vorschriften ist die Elektrifizierung von Landmaschinen. Ein Beitrag über „Rural Engineering“ aus dem Jahr 2017, der von einem Team der Universidade Federal de Lavras (UFLA) in Brasilien verfasst wurde, untersucht die aktuelle Forschung zu den erforderlichen Maßnahmen. Darin wird argumentiert, dass Traktoren, die manchmal sehr hohe Drehmomente liefern müssen (vor allem, wenn Zubehör wie ein Pflug zum Einsatz kommt), für den täglichen Einsatz oft überdimensioniert sind. Dies mindert ihre tatsächliche Effizienz im Alltag und macht es schwieriger, sie zu elektrifizieren. Allerdings sollte es möglich sein, kleinere Traktoren zu bauen, die mit einer Akkuladung einen 8-stündigen Arbeitstag durchhalten. Der Übergang vom Verbrennungsmotor zum Antrieb mit Elektromotor gibt den Entwicklern auch die Möglichkeit, die Antriebsstränge von Traktoren zu ändern. Ein erster Schritt wäre die Einführung von Mild-HybridSystemen, bei denen ein Elektromotor bei niedrigen Geschwindigkeiten für Traktion sorgt und ein zusätzliches Drehmoment beisteuert, wenn der Verbrennungsmotor dieses benötigt. Es gibt auch Argumente für Superkondensatoren neben wiederaufladbaren Batterien in diesen Fahrzeugen, um kurze Zeiträume mit sehr hoher Stromabgabe bereitzustellen, wenn die Elektromotoren ein sehr hohes Drehmoment liefern müssen. Zu den Nachteilen dieses Ansatzes gehören die eher geringe Energiedichte von Superkondensatoren, ihre Größe und ihre Kosten. Andererseits dürfte ihre robuste Fähigkeit, Energie zu speichern und zu entladen, die Belastung der Batterien verringern und so deren Lebensdauer verlängern. Die Elektrifizierung von Landmaschinen steht vor denselben Problemen in Bezug auf die Energiedichte und Kosten der Batterie wie in der Automobilindustrie. Es gibt noch eine weitere Herausforderung: die Bereitstellung großer Mengen an Ladeenergie in einer ländlichen Umgebung. Die naheliegende (aber kostspielige) Lösung ist der Einsatz von Fotovoltaik-Modulen und Speicherbatterien, um tagsüber Energiereserven aufzubauen, mit denen die Fahrzeugbatterien über Nacht aufgeladen werden können.

Dazu bedarf es fortschrittlicher Steuerungen, um die Sonnenenergie optimal zu nutzen, sowie einer effizienten Leistungselektronik zum Laden der Fahrzeugbatterien.

Das Hybrid-Experiment

Ein Team der Universität Padua, Italien, und des Landmaschinenherstellers Carraro Agritalia führte 2019 eine Machbarkeitsstudie zum Bau elektrischer Versionen kleiner Traktoren durch, die im Obst- und Weinanbau eingesetzt werden. Ein Grund für die Studie war, dass die von den NRMM-Vorschriften der Stufe V geforderten zusätzlichen Abgasreinigungssysteme möglicherweise so viel Platz beanspruchen, dass selbst kleine Traktoren nicht in den engen Reihen von Obstplantagen arbeiten könnten.

Das Team entschied sich für eine MildHybrid-Architektur, damit der Traktor somohl leichte als auch schwere Arbeiten bewältigen kann. Sie überarbeiteten einen 82-kW-Verbrennungsmotor eines Traktors, verkleinerten diesen auf 56 kW und fügten einen 20-kW-Elektromotor hinzu. Die beiden Motoren sind in einem parallelen Hybrid-Antriebsstrang verbunden, mit einer zusätzlichen Kupplung, damit der Verbrennungsmotor für den reinen Elektroantrieb abgekoppelt werden kann. Die Studie zeigte, dass der Elektromotor im Hybridbetrieb den durch die Verkleinerung des Verbrennungsmotors verursachten Drehmomentverlust ausgleichen kann. Es wurde auch festgestellt, dass der Elektromotor für leichte Aufgaben allein verwendet werden kann, z.B. zum Ziehen eines schweren Anhängers bei konstant niedriger Geschwindigkeit während der Ernte. Das Team schlug einen Elektromotor vor, der für den Hybridantrieb geeignet ist, und wies darauf hin, dass die Elektromotorsteuerung sowohl die hohen Ströme, die zur Erzeugung des Spitzendrehmoments erforderlich sind, als auch die Anforderungen an ein sofortiges Drehmoment bewältigen muss. Carraro entwickelt diese Anstrengungen nun weiter. Die Webseite beschreibt einen Traktor mit einem Mild-HybridAntriebsstrang, der einen 55-kWVerbrennungsmotor, einen 20-kWElektromotor und einen 25k-Wh-LiFePO4-Akku verwendet. Mit der Umstellung auf den kleineren Verbrennungsmotor erübrigt sich ein zusätzlicher Katalysator, der gemäß den NRMM-Vorschriften der Stufe V für größere Motoren erforderlich ist. Damit lassen sich Platz und Kosten einsparen. Der Mild-Hybrid nutzt auch das LongDrop-Drehmomentwandler-/FullPowershift-Getriebe eTCH90 des Unternehmens, das für den Einsatz in verschiedenen Hybrid- und vollelektrischen Fahrzeugen entwickelt wurde. Laut Carraro senkt das Hybridsystem den Kraftstoffverbrauch, die Emissionen und die Wartungskosten aufgrund der geringeren Nutzung des Verbrennungsmotors. Auch die Geräuschentwicklung und Vibrationen werden verringert. Technologie im Detail

„Es gibt auch Argumente, Superkondensatoren neben wiederaufladbaren Batterien in diesen Fahrzeugen zu installieren, um kurze Zeiträume mit sehr hoher Stromabgabe bereitzustellen, wenn Elektromotoren sehr hohe Drehmomentniveaus liefern müssen.“

Technologie im Detail

„Carraro betont, dass sein Hybridsystem den Kraftstoffverbrauch und die Emissionen senkt, die Wartungskosten aufgrund der geringeren Nutzung des Verbrennungsmotors reduziert sowie Lärm und Vibrationen verringert.“

Wenn Ihr nächster Traktor ein Tesla ist

Jenseits der E-Landwirtschaft

Das Beispiel des Traktors dient als gutes Modell für die Aktivitäten in anderen Bereichen des NRMM-Marktes. Neuerungen werden durch Gelegenheiten als auch durch Vorschriften vorangetrieben: So stellen einige Baumaschinenhersteller auf Elektroantrieb um, weil Städte zu emissionsfreien Zonen erklärt werden, in denen herkömmliche Maschinen nicht eingesetzt werden dürfen.

Viele Hersteller beginnen damit, Verbrennungsmotoren durch Elektromotoren zu ersetzen oder Hybridversionen ihrer kompaktesten Maschinen zu entwickeln. Viele Innovatoren stehen vor der Herausforderung, dass sich die Arbeitszyklen im NRMM-Bereich schnell ändern. Ein Bagger könnte mit geringer Leistung zu einem Einsatzort fahren, verbraucht dort viel Leistung, um Material auszuheben und zu bewegen, und kann dann Energie zurückgewinnen, wenn seine Schaufel zurückfährt. Der Bagger muss möglicherweise auch mechanische Leistung für den Antrieb von Hilfsgeräten und Pumpen für die Hydraulik bereitstellen, die jeweils ihre eigenen Arbeitszyklen haben. Die Komplexität der gesamten Arbeitsabläufe macht es schwieriger, Antriebe richtig zu dimensionieren, um die Leistung und das Drehmoment bereitzustellen, das für die Ausführung der Aufgabe erforderlich ist und für das gesamte System einen optimalen Wirkungsgrad garantiert. Die Herausforderung der Energiespeicherung bei Elektrofahrzeugen führt zu zahlreichen Neuerungen beim Aufbau von Systemen. So bauen einige Hersteller Geräte mit im Betrieb austauschbaren (Hot-Swap-fähigen) Akkupacks. Andere erwägen, Energiespeicher wie Superkondensatoren und Hydraulikspeicher in ihre Designs zu integrieren. Es sei auch daran erinnert, dass es eine ganze Klasse angebundener NRMM-Fahrzeuge gibt, z.B. Knickgelenk-Lader, die im Untertagebau eingesetzt werden, um Luftverschmutzung zu vermeiden, und die permanent an das Stromnetz angeschlossen sind oder mit einer Kombination aus Netz- und Batteriestrom arbeiten, um mehr Flexibilität zu bieten.

Diese Anbindungsausrüstung erfordert andere Arbeitspraktiken, bietet jedoch mehr Gestaltungsfreiheit für diejenigen, die bereit sind, die Elektrifizierung als Chance für ein radikales Umdenken ihrer Angebote zu nutzen.

Technologie im Detail

Ein 2021 in der Zeitschrift Energies veröffentlichter Beitrag stellt auch in anderen Bereichen umfangreiche Neuerungen im NRMM-Sektor fest, darunter bei Straßenkehrmaschinen, Müllfahrzeugen, SchwerlastGabelstaplern, Baggern, Straßenwalzen, Ladern, Materialumschlag- und Zugmaschinen. Obwohl die vollständige Elektrifizierung in vielen Fällen eine große Herausforderung darstellt, dürfte diese sich aufgrund der vielen Neuerungen und der Möglichkeit, den Evolutionsdruck zu nutzen, um das Produktangebot zu überdenken, dazu führen, dass sich die Elektrifizierung rasch über den Straßenverkehr hinaus ausbreitet.

„Obwohl die vollständige Elektrifizierung in vielen Fällen eine große Herausforderung darstellt, dürfte diese sich aufgrund der vielen Neuerungen und der Möglichkeit, den Evolutionsdruck zu nutzen, um das Produktangebot zu überdenken, dazu führen, dass sich die Elektrifizierung rasch über den Straßenverkehr hinaus ausbreitet.“

This article is from: