Das Magazin 4/2014

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DAS MAGAZIN Ausgabe 4 | 2014

PERU

Alles im grünen Bereich – gute Ernten und gesunde Kinder SEITE 12 EBOLA

„Wir müssen unseren Freunden beistehen“ SEITE 4 STIFTUNG FLY & HELP

Mit Bildung Perspektiven säen SEITE 22


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Inhalt

Editorial

Aktionen & Kooperationen

Aktuell

18 Vorbild für junge Menschen Gudrun Bauer erhält den Charlie Award

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„Wir müssen unseren Freunden beistehen“ In Sierra Leone und Liberia kämpft die Welt­ hungerhilfe gegen Ebola

18 Pausenbrot statt Mülltonne Eine Initiative gegen Lebensmittelverschwendung 19 Helfen, ohne einen Cent zu bezahlen Bei einem Stifterdarlehen muss sich niemand festlegen 20 Die Woche der Welthungerhilfe: Stachlige Einkaufswagen und saure Zitronen Viele Aktionen begeisterten unter dem Motto "Die Welt isSt" nicht gerecht

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Der Tsunami – ein Schock für die Welt Zehn Jahre danach blicken wir zurück

8 Der Krieg ist immer in Rufnähe Syrische Flüchtlinge an der türkischen Grenze

Förderpartner 10 Kleine Flaschen mit großer Wirkung Win Kyi aus Myanmar verdient ihren Lebens­ unterhalt mit dem Verkauf von Seife

22 Planst du für ein Leben, bilde Menschen Die Stiftung FLY & HELP von Reiner Meutsch baut weltweit Schulen 24 Und jeder weiß Bescheid Menstruation ist ein Tabu-Thema für die Mädchen in Malawi

Titelthema: Peru 13 Alles im grünen Bereich? Vorsorge hilft im Hochland der Anden Mangelernährung vorzubeugen 17 Porträt: Keine Angst mehr vor Ärzten 26 Blitzlichter 28 Kaffeekult – fair und lecker Das Unternehmen Coffee Circle unterstützt die Welthungerhilfe 28 Deine Schulstunde gegen den Hunger Schüler und Lehrer treten gegen den Hunger an 29 Entdeckungsreise für Groß und Klein

Panorama 30 Neuer Gedichtband von Manfred Sestendrup 30 Rock gegen Hunger in Düsseldorf 30 Häkeln mit vielen Prominenten 30 Benefiz-Auktion von Simone Bruns 31 Welthungerindex 2014 31 Charity-Preis für Till Demtrøder 31 Peter Ludwig versteigert ein Bild

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Editorial

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Liebe Leserinnen und Leser, in diesen Wochen sind mehr als 50 Millionen Menschen auf der Flucht. Das ist die höchste Zahl seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Unvorstellbar, was diese Frauen, Männer und Kinder durchmachen, welche Angst sie auf der Flucht begleitet und wie froh sie sind, an einen sicheren Ort zu gelangen. Oft aber warten dort wieder Leid und Elend. Sei es in der türkischen Grenzregion, wo die Welthungerhilfe syrische Flüchtlinge mit Lebensmitteln versorgt (S. 8), oder im Südsudan, wo wir in entlegenen Gebieten Hilfspakete per Flugzeug für Familien auf der Flucht abwerfen (S. 26). Ganz besonders beschäftigt uns derzeit die Ebola-Epidemie in Westafrika. Unsere Kollegen in Sierra Leone und Liberia helfen unermüdlich im Kampf gegen das tödliche Virus, unter anderem mit Aufklärungskampagnen und Waschstationen. Familien in Quarantäne, die sonst hungern müssten, bekommen Lebensmittel (S. 4). Unsere Gedanken sind bei unseren Kollegen, aber auch bei all den Familien, die Angehörige verloren haben und Tag für Tag verlieren. Doch auch dort, wo Frieden herrscht und keine Katastrophe Existenzen zerstört, kann der Alltag bitter sein. Lesen Sie in unserer Titelgeschichte von Familien im peruanischen Andenhochland, die kaum wissen, wie sie von dem satt werden sollen, was ihre kargen Böden abwerfen. Sie gehen gemeinsam mit uns den harten Weg, ihre Landwirtschaft umzustellen und gegenüber der Regierung für ihre Rechte einzutreten (S. 12). Um all diese Aufgaben wahrzunehmen, sind wir auf Unterstützung angewiesen. Zur Woche der Welthungerhilfe haben wieder einmal deutschlandweit engagierte Menschen gezeigt, dass wir uns auf sie verlassen können. Ganz herzlichen Dank dafür! Auch dem Comedy-Trio Y-Titty, das mit seiner LemonFaceChallenge über die Woche hinaus für Furore sorgt (S. 20). Weltweit wird in die saure Zitrone gebissen – für Menschen, die dies im übertragenen Sinne jeden Tag tun. Herzlich Ihr Eulalia Percca weiß, dass sich ihr Baby altersgemäß entwickelt. Auch dank der gesunden Lebensmittel, die sie nun anbaut.

Dr. Wolfgang Jamann Generalsekretär Vorstandsvorsitzender

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Händewaschen mit Chlorlösung hilft, sich vor Ebola zu schützen. Wie hier im liberia­ nischen Zwedru. Foto Mitte: Zum Schmerz über verstor­ bene Familienmitglie­ der kommt der Hunger. Die Lebens­mittel der Welthun­gerhilfe überbrücken die schwere Zeit.

Aktuell: Sierra Leone und Liberia

„Wir müssen unseren Freunden beistehen“ Keine Hände schütteln und immer drei Meter Abstand zu anderen – diese „neuen goldenen Regeln“ einzuhalten ist in Westafrika überlebenswichtig. Denn so kann eine Infektion mit der tödlichen Seuche Ebola vermieden werden. Seit Beginn der Epidemie Anfang des Jahres sind über 10.000 Menschen erkrankt, fast 5.000 gestorben. Und die Zahlen steigen weiter. Ebola ist inzwischen mehr als ein Gesundheitsrisiko: Sie schränkt das Leben der Menschen drastisch ein. Aus Angst vor der Krankheit verlassen viele ihre Häuser nicht mehr, Infizierte stehen unter Hausarrest, die Felder werden nur sporadisch bewirtschaftet. In Sierra Leone und Liberia droht eine Hungersnot. Von Daniela Ramsauer Sieben Checkpoints, siebenmal vom Militär kontrolliert, siebenmal ein Fieberthermometer. „Die Vorsichtsmaßnahmen kosten Zeit und Nerven – aber sie sind sinnvoll“, sagt Jochen Moninger, Landeskoordinator der Welthungerhilfe in Sierra Leone. Seit im Juli wegen Ebola der nationale Notstand ausgerufen wurde, ist freies Reisen nicht mehr möglich. Die Staatsgrenzen der betroffenen Länder Sierra Leone, Nigeria und Liberia sind geschlossen. Innerhalb der Länder ist die Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. Überlandstraßen sind gesperrt, Militär und Polizei entscheiden, wer einzelne Kontrollpunkte passieren darf und wer nicht. Mit Kenema und Kailahun, wo die Welthungerhilfe arbeitet, sind ganze Städte unter Quarantäne gesetzt.

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Menschen, die Kontakt mit Infizierten hatten, stehen 21 Tage lang unter Hausarrest. Um die Festgesetzten mit Lebensmitteln zu versorgen, dürfen Moninger und seine Kollegen die Kontrollpunkte passieren. Vorausgesetzt, das Fieberthermometer zeigt keine erhöhte Temperatur an, die ein Indikator für Ebola sein kann. 900 Familien versorgt die Welthungerhilfe derzeit mit Nahrungsmittelpaketen. Neben frischem Fisch und Gemüse sind kleine Leckereien für Kinder enthalten – damit das Leben in der bedrückenden Isolation etwas erträglicher wird. Das Leben steht still „Das Leben, das wir im Moment führen müssen, ist äußerst beklemmend“, sagt Jochen Moninger, der


Aktuell: Sierra Leone und Liberia

in Sierra Leones Hauptstadt Freetown lebt. Restriktive Sicherheitsmaßnahmen sind notwendig, damit sich nicht noch mehr Leute infizieren. Die Ausbreitung von Ebola erfolgt über Körperkontakt und die Berührung infizierter Gegenstände. Wer einem anderen die Hand drückt oder bloß die Türklinke berührt, die ein Infizierter zuvor angefasst hat, kann sich anstecken. Man trifft keine Freunde mehr. Spätestens ab 19 Uhr, wenn die Ausgangssperre beginnt, steht das Leben komplett still. Es droht eine Hungerkrise Doch nicht alle halten sich an die Vorschriften – sei es aus Ignoranz oder Unwissenheit. „Manche Familien verstecken erkrankte Angehörige und riskieren damit weitere Ansteckungen“, sagt Moninger. In Sierra Leone und Liberia setzt sich die Welthungerhilfe deshalb gemeinsam mit lokalen Verwaltungen dafür ein, die Bevölkerung für die Krankheit zu sensibilisieren. Zum Beispiel informieren Radiospots oder Theaterstücke darüber, wie man das An­ steckungsrisiko mit Ebola gering halten kann. Zusätzlich verteilt die Welthungerhilfe HandwaschStationen, Chlor und Seife an zentralen Stellen. Ähnliche Aktivitäten finden in Liberia statt. Bereits vor Ausbruch von Ebola war die Nahrungsmittel­ situation dort problematisch. Nun können viele Bauern ihre Felder nicht mehr bestellen. „Es wird sicherlich zu einer Nahrungsmittelknappheit kommen“, befürchtet Asja Hanano, Landesdirektorin der Welthungerhilfe in Liberia.

„Ich denke, die Epidemie hat ihren Höhepunkt noch nicht erreicht. Aber die Aufklärungsarbeit und auch die Versorgung der Kranken werden stetig ausgebaut und immer professioneller“, sagt Jochen Moninger. Inzwischen hat die Welthungerhilfe ihre Arbeit nach vorübergehendem Abzug der Mitarbeiter wieder aufgenommen. „Wir müssen unseren Freunden zur Seite stehen!“, betont er. Denn die Wirtschaft ist zusammengebrochen, lokale Märkte existieren nur noch eingeschränkt. Nur rund 40 Prozent der Felder konnten in diesem Jahr bewirtschaftet werden. „Wir werden hohe Ernteeinbußen haben“, schätzt Moninger. „Deshalb müssen wir jetzt unsere Arbeit unbedingt fortsetzen. Sonst droht uns eine Hungerkrise im Frühjahr!“

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Die Säcke mit Reis, Fisch, Gemüse und anderem reichen für die nächsten Wochen.

Daniela Ramsauer ist freie Journalistin in Nürnberg

Länderinformation

Sierra Leone und Liberia Schon vor Ausbruch von Ebola gehörten diese Länder zu den ärmsten in Afrika. Nun stoppen Investoren geplante Vorhaben, ausländische Unternehmen zie­ hen sich zurück. Die Preise für Nahrungsmittel haben sich teilweise verdoppelt. Weil tausende Schulen ge­ schlossen sind, verlieren viele Kinder den Zugang zu Schulspeisung. Welt­ hungerhilfe-Landesdirek­ toren Jochen Moninger Freetown (Sierra Leone) und Asja Hanano (Liberia) helfen mit ihren Teams Men­ Sierra Leone schen dabei, sich gegen die Krankheit zu schützen und unterstützen von Quarantäne Betroffene mit Lebensmitteln. Monrovia

Liberia

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Aktuell: Tsunami – 10 Jahre

Der Tsunami – ein Schock für die Welt Zehn Jahre ist es her, dass ein Tsunami ganze Küstengebiete Asiens ausradierte und 231.000 Menschen in den Tod riss. Die Flutwelle vom 26. Dezember 2004 war eine der schlimmsten Katastrophen, die die Welt je gesehen hatte. Wir blicken zurück auf Ereignisse, Erfahrungen und Erfolge. In Sri Lanka trifft ­ imone Pott auf Kin­ S der, die Schreckliches erlebt haben. Rangani (2. v. r.) verlor ihre Mutter bei der Flut.

Simone Pott, Pressesprecherin der Welthungerhilfe, reiste kurz nach dem Tsunami mit dem Nothilfeteam nach Sri Lanka und Indonesien. Was hat die Welthungerhilfe aus dem Tsunami gelernt?

Unsere Arbeit ist professioneller geworden. 2004 bestand unser Nothilfeteam aus drei Kollegen, inzwischen sind es sechs Mitglieder, die im Ernstfall sofort loskönnen. Sie trainieren seither lokale Partnerorganisationen beim Aufbau eigener Kapazitäten, damit sie selbst besser auf Katastrophen reagieren können. Das gilt besonders für die Logistik sowie den Einkauf und Transport von Hilfsgütern. Zusätzlich gibt es in der Bonner Zentrale einen Stamm von Mitarbeitern, die schnell zur Verstärkung ausreisen können. Die nächste große Katastrophe, bei der Sie vor Ort waren, war das Erdbeben in Haiti 2010. War Ihr Team zu diesem Zeitpunkt besser aufgestellt? Alles ging schneller. Die

ersten vier Nothelfer waren zwei Tage nach dem Beben dort. Wir haben uns sofort mit lokalen Behörden und anderen Hilfsorganisationen vernetzt. Auch eine Sache, die wir aus dem Tsunami gelernt haben: Alleine gegen eine Katastrophe zu kämpfen,

funktioniert nicht. Man muss sich mit Partnern austauschen und abstimmen. Welche Wirkung hat Ihre Arbeit nach dem Tsunami noch heute? Zum Beispiel beim Hausbau. Wir haben die

Einheimischen gefragt, was sie brauchen, und das dann gemeinsam umgesetzt. Wir haben nicht an den Bedürfnissen der Menschen vorbei „Schmuckhäuser“ hochgezogen, die nie bezogen wurden. Auch das gab es. Unsere kleinen, robusten Hütten stehen in Indonesien heute noch. Ein Zeichen dafür, dass unsere Hilfe Bestand hat.

Nach dem Tsunami versorgte die Welthungerhilfe 180.000 Menschen in vier Ländern mit Lebensmitteln, Kleidung und Zelten. Und verhalf Überlebenden zu einem Neustart:

Indien Fischer bekamen neue Netze und Boote, Sri Lanka um schnell wieder ihrer Arbeit nachgehen zu können. Es entstanden Häuser und für die Kinder eine zentrale Übergangsschule.

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Bevor feste Wohnhäuser möglich waren, wurden 2.500 Übergangshäuser errichtet. Neue Schulen, Gesundheitsstationen sowie Erwerbs­ möglichkeiten in Handwerk und Landwirtschaft halfen beim Neustart.


Aktuell: Tsunami – 10 Jahre

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Welthungerhilfe-Mitarbeiterin Claudia Balkhausen wusste, wie sich die Flutopfer fühlten, denn auch sie musste damals fliehen. Heute ist sie in der Bonner Zentrale für Schulungen und die Einarbeitung neuer Mitarbeiter zuständig. Während meines Auslandseinsatzes in Sri Lanka habe ich die Tsunami-Wellen selbst erlebt und das Leben nochmals neu geschenkt bekommen. Das gewaltige Naturereignis überraschte uns am Morgen des 26. Dezembers bei Tangalle, wo ich mit Freunden die Feiertage verbrachte. Die Geräuschkulisse der ersten Welle weckte mich am ersten Weihnachtsmorgen. Gerettet hat uns mein Nachbar mit dem Ausruf: „Das ist ein Tsunami“. Er hatte darüber am Vorabend in Frank Schätzings Roman „Der Schwarm” gelesen. Wir kletterten auf einen Wasserturm, der die Höhe eines zweistöckigen Hauses hatte. Wir sahen die zweite Welle wie eine braune Wand kommen, sie schlug über uns hinweg, der Turm wackelte. Nach der zweiten Welle flüchteten wir weiter. Unsere einzige Chance waren die Bäume. Wir klammerten uns fest und dachten, wir würden sterben. Dann kam die dritte Welle, lange nicht mehr so schlimm. Im Landesinneren kamen wir bei Bekannten unter. In der ersten Nacht machte niemand ein Auge zu ein Lkw nach dem anderen rauschte vorbei – es war das Geräusch der Welle. Zurück in Vavuniya habe ich sofort angepackt und unser Nothilfeteam unterstützt. Die Ausarbeitung von Projektanträgen und die Verteilung von Hilfsgütern war eine gute Ablenkung. Die weltweite Solidarität unter den Menschen war großartig. Leider strömten Organisationen ohne große Erfahrung nach Sri Lanka. Sie waren mit der Kultur nicht vertraut und überschütteten die Bewoh-

Indonesien

Die Bewohner dreier Dörfer be­ kamen Unterstützung mit Häusern, Straßen und Wasserleitungen. Bauern erhielten Saatgut und Ar­ beitsgeräte, damit sie wieder Landwirtschaft betrei­ ben konnten.

ner mit Hilfsgütern, die teilweise gar nicht gebraucht wurden, andere hingegen gingen leer aus. Viele Menschen gingen leer aus Sie haben es gut gemeint, aber ihr Handeln hat den Neid im Land geschürt. Schlimm war für mich zu sehen, wie oft Angehörige der untersten Kasten auf den Listen der Flutopfer fehlten. Ich sage nicht, dass wir damals alles besser gemacht haben, aber wir waren mit den Bedürfnissen der Menschen vertraut, wussten wo und welche Hilfsgüter zu beschaffen waren und schlossen alle Betroffenen in die Hilfe mit ein.

Nach dem Tsunami spricht Claudia Balkhausen mit den Dorfbewohnern über deren Erlebnisse.

Ich weiß nun, was mit Naturgewalten gemeint ist, oft habe ich geträumt, dass mich die Welle mitreißt. Bei der Welthungerhilfe habe ich immer wieder mit Katastrophen zu tun, doch jetzt sind mir die Betroffenen, die ich früher nur von Helferseite gesehen habe, viel näher. Ich hatte Todesangst und bin mit heiler Haut davongekommen. Was für andere selbstverständlich ist, wird es für mich niemals mehr sein.

Thailand

Fischer erhielten neue Ausrüstun­ gen und Kinder Unterstützung dabei, ihre Albträume und Ängste zu überwinden. Auf zwei Schiffen, die 100 Schulen anfuhren, betreuten sie Pädagogen.

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Aktuell: Syrien

Der Krieg ist immer in Rufnähe Dies ist eine Geschichte fast ohne Namen. Sie könnten Hassan heißen oder Ahmed oder Amina. Aber ihren richtigen Namen wollen viele nicht nennen und falsche mag ich ihnen nicht geben – den Flüchtlingen aus dem Krieg in Syrien. Von Ralph Weihermann Wir sind im Südosten der Türkei, wenige Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. Es ist ruhig und friedlich in Karkamis, aber der Krieg ist in Rufnähe. Am Morgen fahre ich mit einem Team der Welthungerhilfe durch die Stadt. Kein großer Lkw mit Tonnen von Hilfsgütern, sondern ein kleiner Kompaktwagen, kein Schild der Organisation auf dem Fahrzeug, nichts weist auf eine Hilfsaktion hin.

Erwartungsvoll öffnet die Familie ihren „Schatz“. Etwas Hoffnung in der Verzweiflung.

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„Das ist hier eine sehr komplizierte Gemengelage“, erklärt Welthungerhilfe-Mitarbeiterin Tasnim Hilani. Die junge Frau mit dem weißen Kopftuch ist selbst vor einem Jahr aus dem Bürgerkrieg geflohen. Aber ihren Namen darf ich nennen, sie ist stolz auf ihre Arbeit. „Wir versorgen in der Region 4.500 Familien mit Lebensmitteln, Menschen, die sonst hungern würden“, erzählt Tasnim. Hinten im Auto liegen 15 große Kartons. In einer kleinen Seitenstraße klopft Tasnim an die Tür eines

Hinterhofs. Es dauert ein paar Minuten, bis geöffnet wird, und nochmal einen Moment, bis geklärt ist, dass auch der fremde Reporter mit hinein darf. Tasnim und ihre Kollegen tragen die Pakete in den Hof, wo uns eine syrische Familie erwartet: Vater, Mutter, zwei Kinder zwischen sechs und acht Jahren. „Sonst müssten wir betteln“ Wir möchten etwas von ihrer Geschichte erfahren. Der Vater will es versuchen. Er erzählt vom Raketeneinschlag im Haus, vom Tod der jüngsten Tochter und der Schwiegermutter. Er erzählt tonlos, ohne Verbitterung, irgendwie muss es weitergehen. Sie alle haben leere Gesichter voller Trauer. Die vierköpfige Familie bewohnt einen Raum im Erdgeschoss, ein Ventilator verteilt die heiße Luft von einer Ecke in die andere, Gebetsteppiche liegen aus. Miete müssen sie hier nicht zahlen, da geht es ihnen schon mal besser als vielen anderen. Die türkischen Hausbesitzer helfen gern.


Aktuell: Syrien

In den abgeladenen Kartons sind Grundnahrungsmittel für einen Monat. Nudeln, Reis, Konserven, Gewürze. Wie einen Schatz trägt die Familie alles ins Haus. „Ohne diese Pakete wären wir wohl schon zum Betteln auf der Straße“, sagt die Mutter. Unser Tross zieht weiter. Auch Mehmet Akar ist mit dabei, der zweite, dessen Namen ich nennen darf. Akar ist 25, ein smarter Typ mit Sonnenbrille – und einer großen Verantwortung. Denn der junge Mann ist beim Sozialamt Karkamis für die Betreuung der Flüchtlinge aus Syrien zuständig. Die Welthungerhilfe arbeitet mit Mehmet Akar zusammen. „Wir haben jetzt 1,8 Millionen syrische Flüchtlinge im Land“, sagt Akar. „Und bei aller Hilfsbereitschaft sind wir überfordert. Ohne die Welthungerhilfe würde das hier in Karkamis längst nicht mehr funktionieren.“ Akar begleitet praktisch jeden Transport in Karkamis, und an unserer nächsten Station sehe ich auch, warum das Sinn macht. Während die Pakete für eine syrische Familie ausgeladen werden, kommen aufgeregte türkische Nachbarn dazu und beklagen sich. „Ihr verteilt Essen an die Syrer und was ist mit uns?“ Ein älterer Mann fuchtelt aufgebracht mit seinem Gehstock vor Tasnims Nase herum. Die junge Frau bleibt ganz ruhig und Mehmet Akar schaltet sich ein. „Kommt nächste Woche zum Sozialamt, ihr wisst doch, dass wir euch finanziell unterstützen. Das bekommen die Flüchtlinge nicht, die sind auf diese Lebensmittel angewiesen.“ Schließlich lässt sich der Mann beruhigen.

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Verzweifelt die Heimat verlassen Alle Flüchtlinge, die privat bei Familien unterkommen, habe es vorher ohne Erfolg in den Lagern versucht. Ganze Zelt- und Containerstädte prägen den Grenzstreifen, sie alle sind überfüllt. Ein paar Kilometer weiter direkt am Ufer des Euphrat treffen wir eine syrische Familie, die ihre Wäsche im Fluss wäscht. Nein, im Lager gibt es keinen Platz. Man hat sie weggeschickt und eine Familie haben sie auch nicht gefunden. Jetzt schlafen sie seit einigen Nächten in der Moschee auf dem nackten Fußboden. Ob wir keine Idee hätten für eine Unterkunft. Ich sehe, wie sich Mehmet Akar im Hintergrund das Telefon ans Ohr klemmt. Hilfe wird hier noch lange vonnöten sein, denn ein Ende des Krieges ist nicht abzusehen und immer mehr Syrer verlassen verzweifelt ihre Heimat. Am Ende des Tages sitze ich mit Tasnim, Akar und den anderen in einem kleinen Café in Karkamis. Und während ich denke, dass ich selten so nah an einem Krieg war, sagt ­Tasnim: „Gut, dass der Krieg hier so weit weg ist.“

Die Pakete sind das einzige, was die Flüchtlinge vor dem Betteln bewahrt. Foto unten: Lebens­ mittel wie Reis und Nudeln für einen Monat – was für eine Erleichterung.

Ralph Weihermann ist Filmemacher und freier Journalist in Köln.

Endlich etwas zu essen Die nächste Familie besteht nur aus Frauen. Ihre Männer, Söhne und Brüder sind im Krieg gefallen oder kämpfen noch immer. Die Mutter des Hauses zeigt uns dreimal die erhobene Hand mit fünf Fingern. Dreimal fünf – fünfzehn junge Männer haben sie in ihrem Beisein ermordet. Das ist gerade mal ein paar Monate her. Wie soll man da an Frieden denken oder gar an eine Rückkehr nach Syrien? Während im Hintergrund der Muezzin-Ruf aus blechernen Lautsprechern tönt, reißt die Frau die Lebensmittelpakete auf und wirft den Reis gleich ins kochende Wasser. „Die Kinder haben in den letzten zwei Tagen praktisch gar nichts gehabt, die müssen jetzt was essen“, erklärt sie und nimmt Tasnim auf dem Weg zum Kochtopf nochmal kurz in den Arm.

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Win Kyis kleine Seifen­flaschen kommen bei den Kundinnen sehr gut an.

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Kleine Flaschen mit großer Wirkung Gebrauchte Plastikflaschen, eine große Portion Engagement und Unterstützung der Welthungerhilfe – mit diesen Zutaten hat es Win Kyi aus Toe Hla im Irrawaddy-Delta geschafft, sich selbst und ihrer Familie eine neue Existenz aufzubauen. Von Yvonne Adamek Das Thermometer zeigt 38 Grad am Vormittag. Nur eine leichte Brise, die vom Irrawaddy-Delta in Myanmar über die kleine Insel Toe Hla weht, bringt ein wenig Erfrischung. Auf dem staubigen Dorfpfad treffen wir Win Kyi. Sie ist auf dem Weg zum Gemeindehaus. Die 49-Jährige engagiert sich in nahezu jedem Projekt, das die Welthungerhilfe in ihrem Dorf gemeinsam mit den Bewohnern durchführt. Seit drei Jahren ist sie sogar Vorsitzende einer der drei Frauengruppen auf der Insel. Heute findet ihr wöchentliches Gruppentreffen statt. Zusammen entwickeln sie neue Anbau- und Verkaufsstrategien für

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die Reisbauern aus ihrem Dorf, verwalten Sparkonten und suchen nach neuen Geschäftsideen, die sie finanziell unabhängiger machen können. Fünf Jahre ist es her, dass Zyklon Nargis verheerende Schäden im Irrawaddy-Flussdelta anrichtete. Tausende verloren ihre Familien, ihre Freunde und ihr gesamtes Hab und Gut. Die Überlebenden kostete es viel Kraft, neu zu beginnen. Und noch immer wirkt die Katastrophe nach. So sind viele Familien durch den Wiederaufbau ihrer Häuser und Felder in eine bedrohliche Schuldenfalle geraten. Denn Kredite, wie


Förderpartner

wir sie von deutschen Banken kennen, gibt es nicht in Myanmar. Das Geld wird von privaten Geldhändlern geliehen – mit Zinsen von bis zu 20 Prozent pro Monat. Gerade für Menschen ohne Ackerland ist es fast unmöglich, jemals wieder aus dieser Schuldenspirale herauszukommen. Win Kyi und ihr Mann besitzen gerade einmal die paar Quadratmeter, auf denen ihr Haus mit winzigem Garten steht. Während Win Kyi saisonal auf den Reisfeldern in der Umgebung arbeitet, verdient ihr Mann sein Gehalt als Lehrer. Doch das ist überschaubar, umgerechnet rund 150 Euro bringt er monatlich nach Hause. Früher reichte das Geld kaum, um Essen und Kleidung zu kaufen, die Lebensunterhaltungskosten wurden jedes Jahr höher. Win Kyi hatte also nichts zu verlieren, als 2009 die Welthungerhilfe erste Aktivitäten in ihrem Dorf organisierte. „Ich war sofort interessiert“, erinnert sie sich. „Ich habe schon immer gern neue Dinge gelernt. Daraus sogar Nutzen für mich und meine Familie zu ziehen, ist einfach toll.“ Bislang hat sie kein Gruppentreffen versäumt.

Mittlerweile ist die Familie fast schuldenfrei. Statt horrende Zinsen abzustottern, zahlen sie jeden Monat einen Teil ihres Geldes in den Sparfonds des Dorfes ein. Dieser ermöglicht den Bewohnern kleine Darlehen – ohne oder mit nur geringen Zinssätzen. Ihr Geld reicht nun sogar für ein neues kleines Haus. Eines aus stabilen Holzbalken, mit einem großen Raum für die ganze Familie und einer Küche. Die Grundpfeiler stehen schon. Yvonne Adamek ist freie Journalistin in Hamburg.

Auch für Win Kyis Blumen gibt es auf dem Markt eine große Nachfrage.

Eine clevere Idee Am meisten Spaß macht ihr das Organisieren: Sie führt das Haushaltsbuch der Gruppe. Win Kyi ist sehr genau, sie trägt jede Einnahme und Ausgabe ein: „Dank des Buches kann ich direkt sehen, wo wir sparen können und was uns überhaupt an Geld zur Verfügung steht.“ Auch ihrem Mann gefällt das Engagement seiner Frau. Traditionell verwalten in Myanmar die Frauen das Geld, so gibt es zwischen den beiden keinen Streit um Kompetenzen. Neben der Feldarbeit hat Win Kyi auf Anregung der Welthungerhilfe noch einige andere Geschäftsmöglichkeiten für sich entdeckt: In ihrem kleinen Garten pflanzt sie zum Beispiel Blumen an, die sie an die anderen Dorfbewohner und auf den Märkten in der Umgebung verkauft. Doch ihr ganzer Stolz ist die eigene Seifenproduktion. Aus einfachen Zutaten mischt sie Flüssigseife, die sie in leere Plastiktrinkflaschen abfüllt und ebenfalls auf verschiedenen Märkten verkauft. Durch eine ganz besondere Idee konnte sie sich sogar einen kleinen Vorteil gegenüber ihrer Konkurrenz verschaffen. Die anderen füllen nämlich ihre Seife zumeist in große 1,5-Liter-Flaschen ab. Doch solch große Mengen sind für die meisten Menschen im Flussdelta zu teuer. Win Kyi sammelt deshalb vor allem kleine Halbliterflaschen. „Alle wollen diese kleinen Flaschen. Manchmal komme ich mit der Produktion gar nicht hinterher.“ Umgerechnet 42 Euro verdient sie so jeden Monat zusätzlich.

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Förderpartner

Sie machen es möglich! Monat für Monat sorgen Sie als Förderpartnerin oder Förderpartner dafür, dass es Menschen wie Win Kyi und ihrer Familie endlich besser geht. Dass sie aus eigener Kraft die Chance auf Selbstständigkeit ergreifen können. Sei es durch schnelle Überlebenshilfe nach einer Katastrophe wie Zyklon Nargis oder Aktivitäten, die sie langfristig von äußerer Hilfe unabhängig machen.

Service Sie möchten mehr über Förderpartnerschaften erfahren: Pia Vadera Förderpartnerbetreuung 0228/22 88-278 foerderpartner@welthungerhilfe.de

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Rubrik-Thama


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Titelthema: Peru

Alles im grünen Bereich? Auf viertausend Metern Höhe ist das Leben in der peruanischen Bergwelt von Cusco erbärmlich. Mangelernährung schwächt die Menschen, bei Kindern zeigen sich Entwick­ lungsstörungen. Jetzt geben regelmäßige Kontrollen und bessere Ernten die Chance, gegenzusteuern. Von Constanze Bandowski Aus den Bergdörfern der Provinz Cusco sind die Wege zur Weide oder zum Stall sehr weit.

Raureif liegt über den Hochgebirgswiesen. Die Morgensonne erklimmt langsam die Fünftausender und verwandelt das Tal allmählich in ein Glitzermeer. Noch ist die Luft klirrend kalt, doch Familie Goméz ist längst auf den Beinen. Vater Román und Mutter Laureana sind schon in der Dämmerung aufgestanden. Sie haben die Meerschweinchen versorgt, Feuer gemacht, ein kleines Frühstück eingenommen und Sohn Jeferson in die Grundschule geschickt. Dann sind sie mit der dreijährigen Ruth hinab ins Tal zu ihrem Stall gewandert. Jetzt kommen sie zurück von der Weide, wo ihre fünf Milchkühe grasen. Laureana hält einen Strauß Wildkräuter in der Hand, ihr Mann hat seinen Arm um ihre Hüften gelegt. Ruth springt vergnügt in Gummistiefeln durch den Matsch. Diese Szene könnte aus einem idyllischen Heimatfilm stammen, wäre da nicht die entsetzliche Armut. Das Bergdorf Palccapampa ist eben nicht das Allgäu – und das hier alles andere als eine heile Welt. Familie Goméz ist arm. Bitterarm. Bis auf Strom und fließend kaltes Wasser gibt es nicht viel – ein wenig Landwirtschaft, ein bisschen Kleintierhaltung, Hütten aus getrockneten Lehmziegeln, windschiefe Latrinen, das war’s. Ruths Chancen, schwerwiegende Entwicklungsverzögerungen durch Unterernährung zu bekommen, stehen acht zu zwei. Die Ernährungslage ist miserabel, chronischer Nährstoffmangel und Blutarmut sind extrem weit verbreitet. Gerade so über die Runden kommen Bildung gehört hier zu den Luxusgütern. Mutter Laureana kann weder lesen noch schreiben. Der kleine Jeferson lernt eifrig, aber seinen Traum, Elektrotechniker zu werden, wird er wohl niemals umsetzen. Dafür fehlt schlichtweg das Geld. Sein Vater buckelt sich drei bis vier Monate pro Jahr im illegalen Bergbau den Rücken krumm, um die Familie halbwegs zu versorgen: mit der Schuluniform für Jeferson,

Meerschweinchen sind eine traditionelle Eiweiß-Quelle und damit wichtig für aus­ gewogene Ernährung. Foto links: Trotz ihrer großen Armut strahlt Familie Goméz, denn immerhin sind ihre beiden Kinder gesund.

Länderinformation

Hintergrund Peru Perus Wirtschaft boomt seit Jahren, denn das Land besitzt viele Rohstoffe. Davon hat die arme Landbe­ völkerung jedoch nichts. Der Reichtum wird kaum umverteilt. So ist jedes dritte Kind unterernährt und die Müttersterblichkeitsrate gehört zu den höchsten in Südamerika. Auf dem Land leben die Menschen von der Hand in den Mund und können sich nicht ausrei­ chend mit Nährstoffen versorgen. KOLUMBIEN Auch die Gesundheitsversorgung ist schlecht. Die staatlichen Sozialpro­ EQUADOR gramme greifen in der abgelegenen Peru Region nicht, weil die Budgets zu gering sind und es zu wenig ausge­ bildetes Personal gibt.

BRASILIEN

Lima Pazifischer Ozean

BOLIVIEN

Constanze Bandowski ist freie Journalistin in Hamburg.

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Titelthema: Peru

Interview

„Wir investieren in die Menschen“ Interview mit Oscar Cerne, Psychologe und Projektkoordinator bei Puririsun

Foto Mitte: Jede der kleinen Salat­ pflanzen hilft später, Mangelernährung vorzubeugen. Foto unten: Reihe um Reihe gedeiht gesundes Gemüse.

Seit zwei Jahren engagiert sich Puririsun in Ccatcca. Warum? „Laut einer Studie gehört der Distrikt zu den Regi­ onen mit der größten Armut und Mangelernährung in Peru. Obwohl er dicht an der Stadt Cusco liegt, wurde er lange Zeit vernachlässigt. Wenn wir die Situation der Menschen verbessern, müssen sie nicht mehr in den Goldminen des Tieflandes arbeiten oder nach Cusco abwandern. Denn beides ist keine Lö­ sung.“ Was ist das Hauptproblem? „Die Menschen vom Land sind es nicht gewohnt, Fleisch und Gemüse zu essen und sie wissen nicht, dass sie bestimmte Rechte haben. In Ccatcca sind sieben von zehn Kindern mangelernährt, eines gehört zur Risikogruppe. Nur zwei sind halbwegs normal entwickelt. Wir setzen uns für ihr Recht auf eine an­ gemessene Ernährung ein. Dazu gehört auch, den Staat in die Pflicht zu nehmen, Personal einzustellen, die Schulspeisungen aufzuwerten und bestehende Sozialprogramme tatsächlich umzusetzen.“ Ein Schritt sind die Kontrollzentren von Puririsun auf dem Land. Wie reagiert die Bevölkerung? „Sehr positiv. Die Zentren sind mindestens ein Mal pro Woche geöffnet. Die Menschen kommen, um ihre Kinder wiegen und messen zu lassen, sie holen sich Rat bei den Promotoren und staatlichen Fach­ kräften. Auch frühkindliche Entwicklung, gemein­ sames Kochen oder Spiele mit den Kindern sind Thema. Das hat es vorher alles nicht gegeben. Für uns ist es wichtig, kein Geld zu verteilen, sondern in die Menschen zu investieren und einen Mentali­ tätswandel zu bewirken.

Heften und Stiften, Gummistiefeln für Ruth, Salz, Öl, Seife, Joghurt oder Käse – eben mit allem, was der eigene Hof nicht hergibt. Die Kühe liefern bisher nur wenig Milch. Sie müssen mehr fressen. Doch dafür gibt es jetzt endlich eine Lösung. Román Goméz hat saftiges Grünfutter ausgesät – mit Saatgut von der Welthungerhilfe und ihrer Partnerorganisation Puririsun. „Wenn die Kühe erst einmal längere Zeit auf der fetten Weide grasen und ich einen Stall gebaut habe, der sie gegen die nächtliche Kälte schützt, werden sie mehr Milch geben.“ Da ist sich der Kleinbauer sicher.

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Ein Monatslohn für ein Kalb Er ist stolz auf seine Kühe. Die hat er von seinem mickrigen Gehalt als Tagelöhner in den Goldminen von Puerto Maldonado im Tiefland des Amazonas gekauft. „Die Umstände dort sind entsetzlich“, sagt der stattliche Mann leise. „Das sind alles illegale Gruben, da gibt es keinen Arbeitsschutz. Wir haben keine Rechte. Ich verdiene 30 Soles am Tag (umgerechnet acht Euro). Dafür arbeite ich zwölf Stunden.“ Ein Kalb kostet ihn fast einen Monatslohn. Aber es ist eine Investition in die Zukunft. Eine hoffnungsvolle. Denn jetzt glauben die Menschen in Palccapampa an eine bessere Zukunft. Vor einem Jahr begannen die Welthungerhilfe und Puririsun, in dem abgelegenen Bergdorf Gemüsegärten anzulegen. Sie zeigten den Familien, wie man Felder aufbereitet, Zäune zieht, damit sich das Vieh dort nicht bedient, Hecken zum Schutz gegen Erosion pflanzt, biologischen Dünger und Insektenschutzmittel ansetzt und welche Sorten für die Landwirtschaft auf 3.800 Metern Höhe geeignet sind. Das passende Saatgut erhielten sie gleich mit.


Titelthema: Peru

Román Goméz steht mit leuchtenden Augen mitten in seinem Salatbeet und erzählt: „Dies ist unsere zweite Ernte. Früher haben wir nie Gemüse gegessen. Wir hatten doch keine Ahnung, wie wertvoll Mohrrüben, Rote Beete oder Zwiebeln sind! Seitdem wir unseren Kindern Gemüse zu essen geben, sind sie nicht mehr so dünn und schwach. Ruth ist gesund und kräftig. Bisher reicht unsere Ernte gerade für den Eigenbedarf, aber wir wollen mehr produzieren, um es auf dem Sonntagsmarkt in Ccauri zu verkaufen. Hochwertiges Gemüse ist sehr begehrt und unseres hat eine richtig gute Qualität. Alles ist rein biologisch!“ Enge Kontrolle schützt Kinder und Mütter Das Projekt der Welthungerhilfe hat noch mehr im Blick. „Unser Essen enthält nicht genügend von dem, was unser Körper braucht. Das ist unser größtes Problem“, weiß Románs Nachbar Bernardino Cuevas. „Uns fehlt vor allem tierisches Eiweiß, aber bald wird Puririsun ein Meerschweinchen-Projekt starten, das wird uns helfen.“ Die Nagetiere haben als Eiweißspender eine lange Tradition in den Anden, ihre

Haltung lief in den Dörfern bisher jedoch nur nebenbei. Wie in der Milchviehhaltung braucht eine Zucht gutes Futter, Ställe, Hygiene und veterinärmedizinische Betreuung. All das bauen die Familien nun mit Unterstützung auf. Bernardino Cuevas ist einer von 44 Beratern für Gesundheit und Ernährung, die Puririsun im Dis­ trikt Ccatcca ausgebildet hat. Er hat vor allem gelernt, was eine ausgewogene Ernährung ausmacht und dass die ersten tausend Tage im Leben eines Menschen entscheidend sind. Einmal im Monat besucht Bernardino Cuevas alle Familien des ihm zugeteilten Bezirks, wiegt die unter Dreijährigen, kontrolliert ihre Gesundheitskarten, erklärt den Müttern, dass sie mindestens sechs Monate stillen müssen und schickt sie zur medizinischen Vorsorge. „Bei meinen Hausbesuchen sehe ich, dass es vorangeht“, sagt der 43-Jährige Familienvater und richtet sich dabei auf.

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Jetzt kommen die Bäuerinnen mit vollen Körben auf den Markt. Nicht nur mit einer oder zwei Gemüsesor­ ten wie früher. Foto links: Beliebt ist die Oca-Knolle mit ihrem hohen VitaminC-Gehalt.

Die Menschen im Hochland sind schüchtern und zurückhaltend. Doch inzwischen haben sie ein wich-

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Titelthema: Peru

tiges Stück Selbstbewusstsein gewonnen. Zum Beispiel wissen die Bauernfamilien durch das Projekt der Welthungerhilfe nun, welche Rechte ihnen der Staat garantiert und wie sie davon Gebrauch machen können. Dass wer am Existenzminimum lebt, einen Anspruch auf Krankenversicherung und ärztliche Versorgung hat. Dass Impfungen kostenfrei sind

und die Fünfjährigen im staatlichen Vorschulprogramm ein warmes Mittagessen bekommen. Ohne dieses Wissen würde Bernardinos Sohn Hugo nicht jeden Morgen in den Nachbarort stapfen, um zu lernen – auch das kostenfrei, versteht sich. Seine kleine Tochter Reyna besäße keine Geburtsurkunde und wäre nicht geimpft. Und die Familie erhielte nicht die staatliche Grundsicherung von 100 Soles, rund 26 Euro, im Monat, die den ärmsten Peruanern laut Sozialgesetz zusteht. Die Scheu überwinden und vertrauen Auch Román Goméz wäre zu all dem berechtigt, aber wie die meisten Kleinbauern hat er noch keinen Antrag gestellt. Im Hochland ticken die Uhren langsam, Vertrauen braucht Zeit. Beim nächsten Besuch von Puririsun bringt Román Goméz das Thema auf den Tisch. „Wie komme ich an die Rente?“, fragt er, blickt zu Boden und erklärt seine Situation. Er geniert sich zugeben zu müssen, dass er nur schlecht schreiben kann. Und dass er überhaupt staatliche Hilfe in Anspruch nehmen muss. Der Projektverantwortliche Walter Gomez klopft dem besorgten Familienvater beruhigend auf die Schultern und sagt: „Das kriegen wir hin.“ Beim nächsten Mal wird er einen Antrag mitbringen. Die Leute vom Amt kennen ihn schon.

Rufina Puma Huaman ist immer ein wenig aufgeregt, wenn sie mit Sohn Oscar ins Gesund­ heitszentrum kommt. Aber alles ist in Ordnung. Es ist Elternkurs bei Puririsun: Wie legt man einen Schulgarten an, damit die Kinder mittags etwas zu essen bekommen?

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Titelthema: Porträt

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Keine Angst mehr vor Ärzten Ihre Gesundheitskarte hüten Vicentina Huallpa und die anderen Mütter von Ccatcca wie einen kostbaren Schatz. Wenn jemand krank wird, gibt es keine schlaflosen Nächte mehr voller Sorge wegen des Geldes für eine Behandlung. John Anderson ist es nicht geheuer auf dem Behandlungstisch. Er soll geimpft werden, die Fünffach-Spritze ist bereits im Anmarsch – doch dann kommt nur ein schneller Stich und schon ist der Spuk wieder vorbei. Schnell zieht Vicentina Huallpa ihren fünf Monate alten Säugling an und beruhigt ihn an der Brust. Bruno, zwei Jahre älter als der kleine Bruder, betrachtet die Szene mit großen Augen. Er hat die Prozedur schon über sich ergehen lassen. Dafür bekommt er später ein dickes Lob von Don Alberto. „Das hast du gut gemacht, Brunito“, sagt Don Alberto bei seinem Hausbesuch. „So wirst du groß und stark werden und einen tollen Beruf ergreifen!“ Einmal im Monat stattet Gesundheitsberater Alberto Luna den Familien mit Kindern unter drei Jahren im Dorf Ccopi einen Kontrollbesuch ab. Anhand der staatlichen Gesundheitskarte der beiden jüngsten Kinder von Vicentina Huallpa kann er Gewicht, Größe, Impfungen und Arztbesuche ablesen. „Das ist ein gutes Kontrollinstrument“, erklärt Don Alberto. Er sieht, dass Bruno mit 83 Zentimetern immer noch zu klein für sein Alter ist. „Du musst ihm jeden Tag Fleisch und Milchprodukte zu essen geben“, ermahnt er Vicentina, aber das tut sie bereits. Fünf Mahlzeiten bekommt Brunito am Tag. Er isst viel Gemüse und Obst aus eigenem Anbau, dazu etwas Joghurt, Milch, Eier oder Fleisch.

abzubauen. Seitdem besitzt jedes Baby in der Region eine Geburtsurkunde. Fast alle werden geimpft. „Ich kann richtig sehen, wie sich die „Ich weiß nun, dass wir Kinder verändern“, sagt Vicentina. Anspruch auf eine kostenfreie „Sie sind kräftig und fröhlich.“ John Krankenversicherung haben.“ Anderson ist ihr erstes Kind, das ausreichend Muttermilch zu trinken bekommt. Und er war der erste, der im Gesundheitszentrum zur Welt kam und alle notwendigen Untersuchungen erhielt. Auch die 35-Jährige selbst geht regelmäßig zur Nachkontrolle. „Früher habe ich mich kaum getraut den Mund aufzumachen“, sagt sie, „aber das ist ganz anders geworden. Ich bin längst nicht mehr so schüchtern und kümmere mich um alle Hilfe, die uns zusteht.“ Froh, dass Don Alberto nur wenig anzumerken hatte, verstaut sie ihre Gesundheitskarte Regelmäßig schaut Alberto Luna, ob sich wieder in der Kommode. Vicentina Huallpas Kinder altersgemäß entwickeln.

Die Kinder sind gesund und fröhlich Vicentina Huallpa weiß inzwischen, worauf sie bei der Entwicklung ihrer Kinder achten muss. Das war nicht immer so. Bei ihren drei Großen vermied sie jeden Weg ins Städtchen – aus Angst vor Kosten. Sie wurden weder geimpft noch regelmäßig untersucht und besaßen nicht einmal eine Geburtsurkunde. In den Andendörfern wurden die meisten Kinder ohne fachliche Hilfe zu Hause geboren. Seit Oktober 2013 ist das anders. Seitdem arbeitet Puri­ risun im Distrikt Ccatcca. Die Mitarbeiter der Partnerorganisation der Welthungerhilfe gehen in die abgelegenen Dörfer und erklären den Familien, dass sie Anspruch auf eine kostenfreie Krankenversicherung haben. Sie ermutigen sie, sich und ihre Kinder zu registrieren, Schwangerschafts- und Geburtskontrollen wahrzunehmen und ihre Angst vor Ärzten, Krankenschwestern oder Geburtshelferinnen

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Aktionen & Kooperationen

Vorbild für junge Menschen Ihr Engagement ist ein ganz besonderes. Seit fast zehn Jahren unterstützt Gudrun Bauer (Bauer Media Group) die Arbeit der Welthungerhilfe. Am Herzen liegen ihr vor allem die Lebensbedingungen von Frauen und Kindern. Regelmäßig überzeugt sie sich persönlich, dass Spenden wirklich nachhaltige Verbesserungen erwirken. Dieser unermüdliche Einsatz blieb nicht unbemerkt. Am 4. September erhielt Gudrun Bauer den Charlie Award des Campus Sym-

posiums. Der Zusammenschluss deutscher Studenten würdigt mit seiner Auszeichnung Vorbilder für die junge Generation. 2012 gründete Gudrun Bauer in enger Zusammenarbeit mit Ullrich Kasselmann die Initiative „Reiten gegen den Hunger“, die Reiter sowie Unterstützer des Reitsports aktiviert. Und das mit großem Erfolg, denn allein in diesem Jahr kamen 200.000 Euro für die Welthungerhilfe zusammen. Zahlreiche Turniere und Veranstaltungen standen im Zeichen der Initiative, immer mehr Prominente und Unternehmen „satteln auf“. Welthungerhilfe-Marketingvorstand Michael Hofmann gratulierte Gudrun Bauer und hob hervor: „Bei humanitären Krisen hat sie entscheidend geholfen, Menschenleben zu retten.“ Im Namen der Welthungerhilfe dankte er auch der Initiative „Reiten gegen den Hunger“ und allen daran Beteiligten für die großartige Unterstützung.

Laudatorin Julia Becker gratuliert Gudrun Bauer zum Charlie Award.

Pausenbrot statt Mülltonne wird oder verdirbt. Stündlich werden in Deutschland Lebensmittel vom Erzeuger bis zum Konsumenten verschwendet, deren Volumen rund 2.000 Mülltonnen füllen würde. Das muss aufhören, fordert die Initiative „Genießt uns!“. Am 12. September wandte sie sich in Berlin an Politiker und Passanten – und zwar mit einem Frühstück.

Politiker der verschie­ denen Fraktionen stärkten sich am un­ gewöhnlichen Snack. Hier Bärbel Höhn und Renate Künast.

Jeden Tag landen tonnenweise Lebensmittel im Müll. Und das, obwohl sie noch gut schmecken und alle Hygienevorschriften erfüllen. Viele entsprechen aber ganz einfach nicht dem „Schönheitsideal“. Deshalb beteiligt sich die Welthungerhilfe an der Initiative „Genießt uns!“, die einen Stopp der erschreckenden Lebensmittelverschwendung fordert. Auf knapp einem Drittel der weltweiten landwirtschaftlichen Nutzfläche wird Nahrung produziert, die nie einen Teller erreicht, sondern weggeworfen

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Weniger Lebensmittel wegwerfen Vor dem Bundestag verteilten Mitarbeiter der Welthungerhilfe, des WWF und andere Beteiligte leckere Pausenbrottüten. Diese waren gefüllt mit Backwaren vom Vortag, fast abgelaufenen Müsliriegeln und nicht der Norm entsprechendem Obst. Alles Lebensmittel, die sonst als Abfall deklariert worden wären. Mit der Auftaktaktion startet ein deutschlandweiter Wettbewerb für Unternehmen, die sich für die Reduzierung von Lebensmittelabfällen einsetzen. Kleine und mittelständische Unternehmen können noch bis Mitte Dezember für diesen UnternehmensCheck bewerben. Gesucht werden innovative und klassische Ideen, um die Verschwendung zu minimieren. Finanziert wird die Initiative von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Weitere Informationen und Bewerbungsunterlagen: www.geniesst-uns.de


Aktionen & Kooperationen: Philanthropie plus X

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Helfen, ohne einen Cent zu bezahlen Sie wollen einen Brunnen bauen, ohne ei­ nen einzigen Cent dafür zu bezahlen? Das geht! Und zwar ganz einfach – mit einem Stifterdarlehen bei der Welthungerhilfe. „Das Prinzip ist völlig unkompliziert“, erklärt Marc Herbeck, der sich bei der Welthungerhilfe um alle Fragen rund ums Stiften kümmert. „Wer Menschen in Not helfen will, leiht uns zinslos Geld. Wir legen es sicher an und helfen mit den Erträgen. Und wenn das Geld wieder gebraucht wird, geben wir es schnell und vollständig wieder zurück.“ Ab einer Summe von 10.000 Euro können Menschen einsteigen, die mit ihrem Geld Gutes tun wollen, ohne darauf zu verzichten. Abgesichert und mit Geld-zurück-Garantie Das ist keine kleine Summe. Aber wenn beispielsweise Festgeld frei wird, ist das Modell ein hervorragendes Angebot. Die Stiftung Welthungerhilfe sichert diese Darlehen zusätzlich durch eine Bankbürgschaft ab. Darüber hinaus sind beide Seiten von der Abgeltungssteuer befreit. So kann das Geld Erträge erzielen, die vollständig in Projekte der Welthungerhilfe fließen. Mit diesem Modell bringen schon 10.000 Euro jedes Jahr genug ein, um 50 Familien in Indien mit Saatgut und Setzlingen zu versorgen. „Es gibt keine Mindestlaufzeit“, erläutert Marc Herbeck. „Aber es ist natürlich sinnvoll, so ein Darlehen zwei, drei Jahre oder länger laufen zu lassen, damit die Erträge auch Früchte tragen können.“ Nach fünf Jahren etwa kommt, wiederum mit dem Mindestbetrag von 10.000 Euro, genug Geld zusammen, um einen einfachen Brunnen zu bauen – ohne dass von dem Darlehen auch nur ein Cent abgezogen werden müsste. Und das Beste: Festlegen muss sich vorher niemand. Wer das geliehene Geld selbst benötigt, bekommt es auch kurzfristig wieder zurück. „Das ist ein Angebot für Menschen, die flexibel bleiben wollen“, sagt Marc Herbeck. „Niemand weiß ja, wann er sein Erspartes für eine Zahnoperation oder die eigene Pflege braucht.“ Deshalb bietet die Welthungerhilfe dieses Modell an, bei dem man sein Geld sinnvoll

anlegen kann und trotzdem jederzeit Zugriff darauf hat. Und natürlich kann der Betrag auch ganz unkompliziert aufgestockt, reduziert oder regulär gestiftet werden. Langfristig und flexibel helfen Im Idealfall längerfristig, aber trotzdem flexibel helfen, Not zu lindern – das Stifterdarlehen der Welthungerhilfe macht es möglich. So klappt es auch, einen Brunnen zu finanzieren, ohne einen einzigen Cent zu bezahlen.

Hanna Gofferjé und Helmut Hackstein aus Calw haben sich zu einem Stifterdarlehen entschieden: „Gott hat uns Güter und Gaben anvertraut. Dazu ge­ hört auch unser Geld, das wir in seinem Sinn anlegen und mit dem wir gestalten wollen.“

Service Sie möchten mehr über ein Stifterdarlehen erfahren: Marc Herbeck Stiftung Welthungerhilfe Tel. 0228/22 88-602 marc.herbeck@stiftung-welthungerhilfe.de

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Aktionen & Kooperationen

Die Woche der Welthungerhilfe: Stachlige Einkaufswagen und saure Zitronen Aktionskünstler Hermann Josef Hack, Michaela May und Bärbel Dieckmann vor den symbolischen Einkaufswagen mit Stacheldraht.

Es waren fröhliche Bilder und schockierende, nachdenkliche und überraschende, die Deutschland während der diesjährigen Woche der Welthungerhilfe bewegten. Vom 12. bis 19. Oktober hieß es zuhören, mitreden und mitmachen. Unter dem Motto „Die Welt isSt nicht gerecht. Ändern wir’s!“ folgten Vereine, Ehrenamtliche, Schulen und Firmen dem Aufruf, gemeinsam ein Signal für eine Welt ohne Hunger und Armut zu setzen. Vor dem Reichstag in Berlin standen am 13. Oktober aufgereihte Einkaufswagen. Mit Stacheldraht zwischen den silbernen Streben und drum herum. Wer soll denn damit durch den Supermarkt fahren, wenn sich doch die rollenden Helfer gar nicht füllen lassen, fragte man sich. Symbolisch zeigte Ak„Diejenigen, die alles verloren tionskünstler Hermann Josef Hack auf diese Weise, dass Millionen Menschen haben, sind angewiesen auf keinen Zugang zu ausreichend Nahrung unser Mitgefühl und unsere haben. „Wir müssen uns einmal in die Menschlichkeit.“ Lage derer versetzen, die Tag für Tag hungrig zu Bett gehen“, sagte er. Unsere Aufgabe sei es, diese Ungerechtigkeit auszugleichen, betonte Schauspielerin und Welthungerhilfe-Unterstützerin Michaela May angesichts der bildstarken Aktion. Nahrung ist ein Menschenrecht, doch verwirklicht ist es längst nicht überall. Extreme Not und Leiden

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sind Folgen, auf die Bundespräsident und Schirmherr Joachim Gauck in seiner Fernsehansprache zum Auftakt der Woche der Welthungerhilfe am 12. Oktober aufmerksam machte. „Es kommt auch auf uns an. Diejenigen, die alles verloren haben, sind angewiesen auf unser Mitgefühl und unsere Menschlichkeit!“, sagte er. Schwere Krisen und Konflikte haben die Zahl der Menschen, die chronisch unter Hunger leiden, nochmals in die Höhe schnellen lassen. Zudem leiden etwa zwei Milliarden Menschen, vor allem Kinder, an verborgenem Hunger. Diese Fakten legte am 13. Oktober im Berliner Presse- und Informationsamt der neunte Welthungerindex offen: „Sehr ernst“ bis „gravierend“ ist die Situation in 16 Ländern. Tatsachen, über die abends im Historischen Kassensaal der KfW Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft diskutierten. Fragen rund um die weltweiten Schwankungen von Nahrungsmittelprei-


Aktionen & Kooperationen

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Über „versteckten Hunger“ diskutierte eine Ex­pertenrunde in Berlin. Foto links: Die Schüler des Veckenstedter Land­ schulheims Grovesmüh­ le verkauften leckeres Selbst­gebackenes. Tapfer stellte sich Marketing-Vorstand Michael Hofmann der LemonFaceChallenge.

sen beleuchtete ein wissenschaftliches Symposium einen Tag später in München. Zitrone oder Muffin? Beides hilft! Warum sollen eigentlich nur Menschen in Entwicklungsländern bildlich „in die saure Zitrone beißen“, dachte sich das Comedy-Trio Y-Titty. Ihre Antwort: Die #LemonFaceChallenge, zu sehen auf YouTube, bei der die drei zum Zitronenbeißen auffordern. Wer kneift, spendet 50 Euro an die Welthungerhilfe. Wer die saure Herausforderung annimmt, kommt mit einer Fünf-Euro-Spende davon und darf obendrein drei Freunde zum Mitmachen nominieren. Ebenso erfinderisch ging es am Aktionstag der Freiwilligen am 18. Oktober zu: Da entführte zum Beispiel Märchenerzählerin Christa Saamer Groß und Klein aus Troisdorf und Bonn ins Reich der Fantasie, um auf den weltweiten Hunger aufmerksam zu machen. In Hamburg lockte der Duft von Muffins, gebacken von Studentin Zeineb Ghanemi und ihren Freundinnen. Die Aktionsgruppe Oberhausen verkaufte Kuchen und Waffeln zugunsten der Welthungerhilfe, ebenso wie die Schüler des Landschulheims Grovesmühle in Veckenstedt. In Würzburg gabs Leckereien der Band Solid Ground,

die Mikrofon gegen Teigschüssel getauscht hatte. Volle sportliche Power zeigte die Johannes-Gutenberg-Schule in Meppen: Für Schulspeisungsprojekte in Burundi und Mali schnürten die Sportskanonen nicht nur die Laufschuhe. Wie die Sekundarschule in Köthen machten sie die verheerende Hungersituation in Entwicklungsländern zum Thema einer lebendigen Diskussionsrunde. Neues Online-Quiz zum Thema Hunger Ob bei der Straßenaktion der Lohrer Hausfrauen oder bei einer köstlichen Suppe aus Gemüseresten des Münsteraner Künstlers Wilm Weppelmann – wer auf den Geschmack gekommen ist, sich selbst zu engagieren, dem gibt ein Online-Quiz unterhaltsame Hilfestellung. Unter dieweltquizztfuerdasrecht.de kann man nicht nur sein Wissen rund um das Thema Ernährung testen, sondern auch herausfinden, welcher Helfertyp man eigentlich ist. Die Woche der Welthungerhilfe hat gezeigt, was jeder Einzelne auf die Beine stellen kann: „Die Welt muss zusammenrücken, um im Kampf gegen den Hunger Erfolge zu erzielen“, betonte Bärbel Dieckmann, Präsidentin der Welthungerhilfe. Nach der Woche ist eines klar: Helfen kann so viel Spaß machen!

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Aktionen & Kooperationen

Planst du für ein Leben, bilde Menschen Reiner Meutsch hat ein klares Ziel vor Augen: Dort für Bildung zu sorgen, wo Armut und Hoffnungslosigkeit herrschen. Seine 2009 gegründete Stiftung FLY & HELP (www.fly-and-help.de) finanziert hauptsächlich Schulen in Entwicklungsländern. „Ich möchte, dass Kinder und Jugend­liche eine wirkliche Perspektive bekommen“, sagt der 59-jährige ehemalige Unternehmer. Insgesamt sollen mindestens 100 Projekte rund um den Globus initiiert, gefördert und betreut werden. Sein Wahlspruch ist der eines chinesischen Philosophen: „Planst du für ein Jahr, so säe Korn, planst du für ein Jahrzehnt, so pflanze Bäume, planst du für ein Leben, so bilde die Menschen.“ Allein mit der Welt­hungerhilfe hat Reiner Meutsch schon zwölf Schulen gebaut oder renoviert, elf weitere Projekte sind geplant:

Peru

Äthiopien

Cusco: Am Stadtrand herrschen famili­ äre Gewalt und Verwahrlosung. Ein von der Welthungerhilfe gefördertes Zentrum kümmert sich um Kinder und Jugend­ liche. Nun wird ein weiteres Stockwerk als Schule aufgesetzt. 150 Kinder aus armen Familien können so den Unter­ richt zu besuchen.

Yesero: 25 Klassenräume mussten renoviert, Toiletten gebaut und die Wasserversorgung erneuert werden. Mit ortsüblichen Materialien führten lokale Handwerker die Arbeiten aus und fertigten Schulmöbel. 1.500 Kin­ der profitieren davon.

Sudan Kassala: Dringend mussten die Räume der Behindertenschule renoviert wer­ den und es fehlte Unterrichtsmaterial. Nun gibt es zwei neue Klassenräume, in denen 60 weitere Kinder unter­ richtet werden können. Ausgestattet mit Schreibtafeln in Blindenschrift, Rechentafeln und Kassettenrekorder.

Mekuabia: Die Klassenräume der Grund­ schule waren völlig heruntergekommen, ebenso die Toiletten und die Wasserver­ sorgung. Weil alle bei den Neuerungen mit anpackten, hat das Thema Bildung im Dorf einen höheren Stellenwert be­ kommen.

vorher

nachher

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Aktionen & Kooperationen

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Myanmar Ywa Thit Gyi: Wo zuvor zwei Klassen gleichzeitig unterrichtet wurden, die Räume nur durch Bambus abgetrennt waren und bei Regen regelmäßig unter Wasser standen, gibt es jetzt ein neues festes Gebäude mit mehr Platz. Chet Kan: Eine Grundschule ist im Dorf entstanden – mit getrennten Klassen­ zimmern, an einem flutsicheren Ort und baulich vor Hitze geschützt.

vorher

nachher

Kenia Ovo: Der Zustand der Grundschule war miserabel, kaputtes Dach, Toiletten ohne Sichtschutz, keine Schulmöbel. Vier neue Klassenräume und acht Toi­ letten sind nun schon fertig, bald gibt es weitere und dazu auch Mobiliar.

Thapyay Kan Ah Thin: Die Mittelschule bekommt ein neues Gebäude. Das nö­ tige Baumaterial wurde schon ins Dorf geliefert. Nun ist das Fundament gelegt und die Bedachung abgeschlossen.

Philippinen

Kaung Hone: Zuvor war es nur eine provisorische Grundschule. Jetzt über­ zeugte das neue Gebäude mit Toiletten, Wassertank, Tafeln und Bücherschrän­ ken die Regierung, zwei Lehrer zu fi­ nanzieren.

Epifania: Seit ein Taifun 2013 die Grund­ schule zerstörte, lernen die Kinder unter Plastikplanen. Jetzt entstehen drei feste Gebäude mit Toiletten, erdbebensicher gebaut. Momentan wird hier schon das Dach errichtet.

Service Sie möchten mehr über die Kooperation der Welthungerhilfe mit Stiftungen erfahren: Walburga Greiner Sitftungskooperationen Tel. 0228/ 22 88-304 walburga.greiner@welthungerhilfe.de

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Katherin Longwe möchte genau wissen, wie die Frauen mit dem Thema Menstrua­ tion umgehen. Foto rechts: Die Stoff­ beutel für Binden verkaufen die Kursteil­ nehmerinnen später. Foto unten: Mit Druckknöpfen wird die Stoffbinde an der Unterwäsche befestigt.

Bericht aus Malawi

Und jeder weiß Bescheid Wie erleben Frauen und Mädchen in Malawi ihre Menstruation? In einem Umfeld von mangelnden hygienischen Möglichkeiten, Tabu und Aberglaube? Das wollte Welthun­ gerhilfe-Mitarbeiterin Katherin Longwe während ihres Besuches herausfinden. Denn als Frau interessierte sie dieses Thema ganz besonders. Und auch, welche Unterstützung die Welthungerhilfe leistet. Jetzt bin ich doch aufgeregt. Meine Güte, ich bin also in meinem Geburtsland gelandet! Ich stehe auf der Flugzeugtreppe, schließe die Augen und lächle. Wie noch viele Male auf dieser Reise. Denn egal, wie schlimm manches Schicksal hier auch sein mag – diese herzlichen Menschen schaffen es immer wieder, einem ein Lächeln zu entlocken und selbst darin einzustimmen. Malawis zurückhaltende und freundliche Bewohner sind es auch, warum das kleine Land im Südosten Afrikas „The warm heart of Africa“ genannt wird. Traurigerweise gehört das „warme Herz Afrikas“ zu den ärmsten Ländern der Welt.

Kaum haben wir die Stadt und die Hauptstraße verlassen, geht es auf einer Schotterpiste weiter. Kleine Lehmhaussiedlungen tauchen auf, deren runde, strohgedeckte Häuser wie Pilze mit grauen Hüten ausschauen. Hier gibt es weder Strom noch Wasser. Als wir eine Schule passieren, sehen wir Toiletten mit Strohwänden. „Während der Regenzeit fallen die Wände zusammen“, erzählt mein Kollege Rabson Muzombwe. „Doch man kann ja schon froh sein, dass es überhaupt Toiletten gibt. Manche Schulen haben nicht einmal das. Gerade für Mädchen ist das sehr unangenehm“. Was eigentlich überall fehlt, sind Gelegenheiten zum Händewaschen, erfahre ich. Auf dem Dach eines Lehmhauses entdecke ich merkwürdige Symbole. Rabson Muzombwe erklärt, dies sei das Haus eines Magiers. Der Aberglaube ist Teil des Alltags und bestimmt das Miteinander. Dabei kommt es nicht darauf an, welche Bildung jemand genossen hat. Selbst der vor zwei Jahren verstorbene Präsident zog damals aus seinem luxuriösen Domizil, weil er fest davon überzeugt war, in seinem Haus würde es spuken. Die Periode, in der nicht gelernt wird Inmitten dieses Konstrukts aus mangelnden hygienischen Möglichkeiten und starkem Aberglauben betreten Mädchen ihren neuen Lebensabschnitt. Wir

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Bericht aus Malawi

möchten wissen, welche Erfahrungen sie mit dem Thema Menstruation verbinden. Fast immer erhalten wir dieselbe Antwort. „Plötzlich habe ich geblutet. Ich bekam damals Angst und verschwieg es“, erinnert sich zum Beispiel die 60-jährige Kalinacho. „Irgendwann bemerkte es meine Schwester und erzählte es unserer Mutter, die mich zu unserer Dorfbetreuerin schickte. Die erklärte mir dann alles.“ Das ist viele Jahre her, doch geändert hat sich seither kaum etwas. Denn Kalinachos Enkelin Grace hat alles genauso erlebt. Auch sie wusste nicht, warum sie blutete. Keiner hatte sie vor diesem Moment gewarnt. Das Thema Menstruation ist tabu, in den Familien wird überhaupt nicht, in den Schulen nur selten darüber gesprochen. So erleben die Mädchen ihre erste Periode als Schock. Aus Angst, sie seien krank oder könnten sterben, ziehen sie sich zurück. Oft ist es bloßer Zufall, wenn jemand merkt, was wirklich los ist. Die Mädchen werden dann zur Dorfbetreuerin geschickt. Sie klärt die Mädchen über das „Erwachsenwerden“ auf und zeigt ihnen, wie sie die traditionelle „Binde“ benutzen müssen. Diese „Binde“ besteht aus einem Stück Stoff, meist Reste alter Kleidung oder Wäsche, und einem Seil. Zunächst wird das Seil fest um den Bauch gebunden, dann der Stoff auf dem Rücken am Seil befestigt, durch die Beine nach vorne gezogen und dort festgeknotet. Es ist weder eine dezente noch eine sichere Art eine Binde zu tragen, der Stoff verrutscht leicht und ist zumeist nicht saugfähig. Oft werden die Mädchen wegen der sichtbaren Schlaufen an Rücken und Bauch gehänselt, oder die Jungen machen sich einen Spaß daraus, daran zu ziehen.

Kein Wunder also, dass Mädchen während ihrer Periode die Schule meiden. Genau so würde ich es auch machen, schießt es mir durch den Kopf. Auf keinen Fall würde ich mit sichtbaren Anzeichen herumlaufen, dass ich meine Periode habe! Die bedrückende Konsequenz aber ist, dass Mädchen bis zu fünf Tage monatlich im Unterricht fehlen. Wo viele von ihnen sowieso schon häufig aus der Schule genommen werden, um auf den Feldern oder im Haushalt zu helfen.

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Hier ist Menstruation kein Tabuthema. Jede Gruppe bekommt eine Nähmaschine, um Binden zu nähen, die wenigstens sicherer sind als die traditio­ nellen.

Die Würde zurückgeben Die nächstliegende Lösung wäre die Verteilung von Einmalbinden – doch niemand würde diese verwenden. Aus Aberglauben. Denn der besagt, dass Menstruationsblut zum Verhexen verwendet wird. Und davor haben die Mädchen Angst. Ich erfahre, dass die Welthungerhilfe eine einfache und zugleich sehr sinnvolle Lösung gefunden hat. Eine, die sogar den Frauen im Dorf einen Zuverdienst verschafft. In kleinen Gruppen lernen sie in Kursen, wiederverwendbare Binden aus saugfähigen und beschichteten Stoffen zu nähen. Diese Kein Wunder, dass Mädchen verkaufen sie als Set zu kleinem Preis während ihrer Periode an die Mädchen. die Schule meiden. Jedes Set besteht aus drei Binden in unterschiedlichen Stärken. Sie werden auf einem tellergroßen Stück Stoff festgesteckt, der mit Druckknöpfen um die Unterhosen geklippt wird. Dazu gibt es zwei Beutel. In einem befinden sich die frischen, in den anderen kommen die benutzten Binden. Zu Hause oder in der Schule an den von der Welthungerhilfe eingerichteten diskreten Waschgelegenheiten können dann die Mädchen die benutzten Binden in Ruhe auswaschen. Niemand weiß, wann sie ihre Periode haben, niemand hänselt und „verhext“ sie. Die Menstruation bleibt eine Privatangelegenheit. So, wie es sein sollte.

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B litzlichter Rubrik-Thama Weshalb ... greifen Frauen in Simbabwe zum Buntstift? Eine Schuluniform oder ein T-Shirt mit entsprechendem Auf­ druck zeigt anderen, dass man einer Gemeinschaft angehört. Diesen Wunsch hatten auch die Beteiligten am Projekt der Welthungerhilfe in Simbabwe. Sie identifizieren sich mit dem gemeinsamen Ziel, die Landwirtschaft in der Region Gokwe voranzubringen. Dabei zeigten sie sich erfinderisch: Liebevoll gestalteten sie das Logo der Welthungerhilfe und der beteiligten Europäischen Union auf Papier und hefteten es an ihre Kleidung. Bei solchem Teamgeist wird der Erfolg nicht lange auf sich warten lassen.

Wie ...

funktionieren Airdrops im Südsudan? Die Straßen im Südsudan sind als solche kaum mehr zu erken­ nen, seit der Regenzeit sind sie im Schlamm versunken. Rebellen kontrollieren die einzigen noch befahrbaren Transportwege. Viele Familien sind komplett von der Außenwelt abgeschnitten. Der Krieg hat über 1,3 Millionen Menschen aus ihren Heimat­ regionen vertrieben. Sie suchen Schutz in Flüchtlingslagern oder bei Gastfamilien in entlegenen Dörfern, wo sie in Sicherheit sind. Dort aber fehlt es ihnen am Nötigsten. Schon seit dem Frühjahr werden die Felder nicht mehr bestellt. Ernten können nicht ein­ gefahren werden und die Vorräte sind schon lange aufgebraucht. So ist Hunger in den überfüllten Camps und in den Dörfern an der Tagesordnung. Sie brauchen dringend Hilfe – aber wie zu ihnen gelangen? „Wir setzen Airdrops ein, vom Flugzeug aus werfen wir Nahrungs­ mittel ab. Dabei spielen Logistik und Glück eine wichtige Rolle“, erläutert Jürgen Mika vom Nothilfeteam der Welthungerhilfe. Logistik ist gefragt, weil die Flieger sowohl aus der Hauptstadt Juba als auch aus Äthiopien und Uganda kommen. Und Glück braucht man, dass der Regen zeitweise aussetzt: Gute Sicht ist für das Abwerfen der Hilfspakete essenziell und die wertvolle Ladung soll schließlich nicht durchnässen.

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„Starke Gewebesäcke schützen Hirse, Bohnen und Linsen beim Abwurf – alles ist siebenfach umwickelt. 680 Säcke sind es pro Flugzeug. Wir versorgen monatlich fast 150.000 Menschen, jede Familie erhält eine Monatsration“, erklärt Jürgen Mika. Speiseöl und Extra-Nahrung für mangelernährte Kinder werden von Heli­ koptern transportiert – sie würden beim Abwurf mit dem Flugzeug Schaden nehmen. Gemeinsam mit dem World Food Programm sind weitere Airdrops geplant. Nach Schätzung der UN ist bis Ende 2014 jeder dritte Einwohner Südsudans auf humanitäre Unterstützung angewiesen.


B l i t z l i c hEditorial ter

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Wie ... beweist Martha Girma, dass Träume wahr werden können?

Mit zwölf erhielt Martha überglücklich die Zusage, im Kirkos-Zentrum aufgenommen zu werden. Ein Projekt, das auch die Welthungerhilfe unterstützt. Mitten in einem Slum der äthiopischen Hauptstadt kümmert man sich hier vor allem um Waisen und Halbwaisen. Martha Girmas Vater starb, als sie noch klein war. Schon damals hatte sie einen Traum: Fußballerin zu werden. Doch woher die teure Ausrüstung nehmen? Im Zentrum spielte Martha im Fußballclub und bekam alles, was sie benötigte. Ihre Leistung überzeugte so, dass sie gleich mehrere Angebote von Fußballclubs bekam. Heute spielt die Achtzehnjährige gut bezahlt beim Dashen Beer Women Football Club und versorgt ihre Familie. Viele haben sie damals für ihren Traum ausgelacht, nun schafft sie es vielleicht sogar in die Nationalmannschaft.

Warum ...

erfährt die Welt nichts von der Notsituation im ugandischen Karamoja?

„Weil all die anderen Krisen in den Medien die Not hier überlagern. Dabei sind es dieselben Bilder: Die Vorräte der letzten Ernte sind bereits seit vergangenem Dezember aufgebraucht. In diesem Jahr fiel der Regen so spät und unregelmäßig, dass es kaum oder keine Ernte geben wird. Viele Menschen hun-

gern, sind mangel- oder unterernährt“, sagt WelthungerhilfeProjektleiter Dirk Ullerich. Ende August startete ein Projekt, das 20.000 Menschen erreicht. Sein Konzept ist eine Kombination aus Food-for-Work und Cash-for-Work, also eine Mahlzeit und die Bezahlung für Tätigkeiten, die den Dorfgemeinschaften zugutekommen. Zugangswege werden von Gestrüpp freigeschnitten, Felder umzäunt und Entwässerungsgräben ausgehoben.

schnell handeln konnten!“ Auch der Erfolg eines früheren Spendenaufrufes zeigt sich nun: Diese Mittel halfen, den Viehbestand in Karamoja aufzustocken, da viele Dorfbewohner ihre Tiere während langjähriger, mit Waffen ausgetragener Auseinandersetzungen verloren. „Das Vieh hat die Trockenperiode gut überstanden. Familien, die Ziegen erhielten, haben jetzt Milch für die Kinder“, berichtet Dirk Ullerich.

Das Geld ermöglicht es Familien, in einer Übergangszeit Nahrungsmittel und andere notwendige Dinge zu kaufen. Die Welthungerhilfe arbeitet schon länger in der Region: „Mit minimalen Mitteln helfen wir einer großen Zahl von Menschen, diese schwierige Situation zu überbrücken“, sagt Dirk Ullerich erleichtert. „Wir sind den Spendern dankbar, dass wir

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Aktionen & Kooperationen

Kaffeekult – fair und lecker Kaffee genießen in vertrauter Runde. Genau dieses Gefühl vermittelt das Berliner Unternehmen Coffee Circle. Denn seine Kunden empfinden nicht nur Kaffeetrinken als Kult, sondern auch gerechten Handel, zu dem alle gemeinsam einen Beitrag leisten. Jedes Jahr reisen die Gründer von Coffee Circle persönlich in Kaffeekooperativen Äthiopiens. Dort wählen sie die besten Kaffees der jeweiligen Ernte aus, pflegen engen Austausch mit den Menschen

und können dadurch deren Lebensbedingungen sehr gut einschätzen. Über den direkten Einkauf ist es Coffee Circle möglich, den Kaffeebauern gerechte Preise zu garantieren, wodurch diese ihre Lebenssituation selbstständig positiv verändern können. Zudem investiert das Unternehmen einen Euro pro verkauftem Kilogramm Kaffee in soziale Projekte in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Kaffeeanbau, die sie gemeinsam mit den Bauernfamilien umsetzen. Im November startet nun die Zusammenarbeit mit der Welthungerhilfe für ein Projekt in der Nähe des äthiopischen Jimma. Dort werden sauberes Trinkwasser, Waschgelegenheiten und Toiletten die Lebensumstände der Menschen in der Kaffeeregion deutlich verbessern. Bis 2017 möchte das Unternehmen 680.000 Euro dafür investieren und auch seine Projekterfahrung aktiv miteinbringen. Zum Onlineshop geht es unter www.coffeecircle.com.

Die Gründer von Coffee Circle suchen das Gespräch mit den Kaffeebauern, wie hier im äthiopi­ schen Limu.

Deine Schulstunde gegen den Hunger Das Schuljahr hat viele hundert Stunden. Mit nur einer davon können Schüler und Lehrer gemeinsam mit uns den Kampf gegen den Hunger antreten. Unser Beitrag: Referenten, die in einer Schule aus erster Hand berichten, wie Jungen und Mädchen aus Mali oder Burundi mit leerem Magen oder durstig ihren Schulalltag bewältigen müssen und wie die Lebensrealität vieler Kinder weltweit aussieht. Der Beitrag einer Schule: Den Kindern eine aktive Stunde zu schenken, beispielsweise einen Spon­ sorenlauf, eine Backaktion oder ein Schulkonzert zugunsten der guten Sache. Das vermittelt Solidarität und hilft ganz konkret, den Alltag Gleichaltriger zu verbessern. Eine Schulstunde reicht, um gegen welt­ weiten Hunger aktiv zu werden. Anregungen bietet die neue Wand­ zeitung.

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Weitere Ideen, wie sich Schülerinnen und Schüler engagieren können, finden sich auf unserer neuen Wandzeitung „Hunger – wenn die Teller leer bleiben“. Das farbige Poster könnte die Klassenwand schmücken, aber auch Teil des Unterrichts werden. Zum Beispiel mit Antworten auf F ­ ragen wie: Warum bleiben immer noch so viele Teller auf der Welt leer, was isst ein Kind in Peru, und was hat Autofahren mit Hunger zu tun? Alle Materialien zu Schulstunde und Wandzeitung gibt es unter: www.welt­hunger­hilfe.de/schulstunde, telefonisch 0228/22 88-258 oder hawa.grund-­djigo­@ welthungerhilfe.de.


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Aktionen & Kooperationen

Entdeckungsreise für Groß und Klein Das Mädchen Ombo aus dem malischen Dogonland möchte einfach wieder zur Schule gehen. Sie lernt schrecklich gern neue Dinge und nimmt dafür täglich einen Fußweg von zwei Stunden in Kauf. Doch das Dach ihrer Schule wurde bei einem Unwetter zerstört, niemand im Dorf hat genug Geld, es zu reparieren. Also machen sich Ombo und ihre Eltern in die große Stadt Timbuktu auf, um dort im Rathaus um Geld zu bitten. Eine aufregende Reise beginnt, bei der nicht nur die kleine Ombo, sondern auch die Leser ungeheuer viel über das westafrikanische Land erfahren. „Mein Mali“ heißt das Kinderbuch von Mirjam Knickriem, das junge und ältere Leser mit faszinierenden Bildern und bezaubernden Texten in seinen Bann zieht. Die Fotografin und Autorin Mirjam Knickriem weiß, wovon sie schreibt. Viermal kam sie gemeinsam mit der Welthungerhilfe nach Mali, lernte die Menschen und ihre Probleme kennen. Dabei entstand ihr Be-

dürfnis, sich für Bildungsmöglichkeiten in Mali einzusetzen. „Ich möchte mit meinen Fotos wenigstens ein kleines bisschen die Welt verbessern“, sagt Mirjam Knickriem. Ihr Buch „Mein Mali“ sei ein Vor­ lesebuch, das man in verschiedenen Etappen lese, so wie man auch ein Land erkunde. Von jedem ver­ kauften Buch geht ein großer Teil des Erlöses an die Welt­hungerhilfe. Weitere Informationen gibt es unter www.meinmali.org

Mirjam Knickriem erzählt eine berührende Geschichte, in der die Leser viel über Mali erfahren.

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Panorama

Spendenaufruf „Wir helfen Flüchtlingen!“:

Bis zu minus 30 Grad werden in diesem Winter im Südosten der Türkei erwartet. Für über eine Million Menschen, die sich vor der Gewalt in ihrer Heimat hierher geflüchtet haben, bedeutet dies noch einmal mehr Leid. Claudia Roth, Vize-Präsidentin des Deutschen Bundestages, besuchte die Grenzregion im Oktober und entschied voller Sorge: „Wir müssen helfen!“ Innerhalb kürzester Zeit initiierte sie einen Spendenaufruf für das Nothilfeprojekt der Welthungerhilfe, vorgestellt bei einer Pres­ sekonferenz (Foto). Flüchtlingsfamilien erhalten Zelte, Decken, Öfen und Heizmaterial. Über 50 bekannte Persönlichkeiten folgten bereits dem Aufruf, darunter Die Toten Hosen, Manni Breuckmann, Die Prinzen, Dunja Hayali, Peter Maffay, Katja Riemann und Roger Willemsen. Weitere Informationen unter www.claudia-roth.de sowie www.welthungerhilfe.de.

Benefiz-Auktion: Simone Bruns, Kunst- und Eventma­

Neuer Gedichtband:

nagerin, wollte nicht tatenlos zusehen, wie Menschen in Sierra Leone leiden. Ein langer Bürgerkrieg führte das Land ins Elend, nun fordert Ebola tausende Opfer. Mit der Überzeugung, „dass Kunst Leben retten kann“, organisierte Simone Bruns am 9. Sep­ tember in der Hamburger St. Petri Kirche eine Foto-Auktion zugunsten der Welthungerhilfe. 65.000 Euro kamen zusammen – und werden Leben retten.

Alle PAUL-Fans dürfen aufatmen, denn Manfred Sestendrups neuer Band über seinen lyrischen All­ tagshelden ist erschienen. Unter dem Titel „PAUL tagesweise“ fin­ den sich rund 70 Gedichte und Tagebuchaufzeichnungen über liebenswerte menschliche Stärken und Schwächen. Schon seit 1978 spendet der Dülmener Wortkünstler sämtliche Einnahmen seines poe­ tischen Schaffens der Welthunger­ hilfe. Ganz herzlichen Dank dafür!

„Rock gegen den Hunger“ hhieß es am 6. Novem­

Häkeln

und damit Gutes tun, das probte am 17. Oktober eine prominente Runde unter Anleitung der Häkel-Gurus Thomas Jaenisch und Felix Rohland, Gründer des Unternehmens Myboshi. Schauspielerin Michaela May hatte dazu Kollegen wie Patrick Lind­ ner, Janina Hartwig, Margot Hellwig und Götz Otto eingeladen. In der ARD-Sendung BRISANT konnten die Zuschauer das vergnügte Beisammensein mit Nadel und Wolle verfolgen. Und auch den Charitiy Häkel-Guide von Myboshi kennen lernen, dessen Einnah­ men unter anderem auch der Welthungerhilfe zugutekommen.

ber zum zweiten Mal in Düsseldorf. Unter großem Jubel gaben Bands wie „SoWhat?“ von der Kriminalpolizei Düsseldorf, die „TOMRA Allstars“, „ERGO“, die „Merger Band“ von Vodafone und Kabel Deutschland und natürlich der Vorjahres-Sieger, McKinsey’s „Sky Officers“, alles für den Titel „Beste Unter­ nehmensband“ der Stadt. Dieses Jahr überzeugten die harten Kommissare von „SoWhat?“ die hochkarätige Jury. Mit dem Erlös von rund 17.000 Euro unterstützen die Mitglieder des Freundeskreises Düsseldorf, die Initiatoren der Veranstaltung, das Millenniumsdorf Korak in Nepal.

Der rührige Freundeskreis plant gleich noch ein weiteres Event: Am 21. Dezember lädt er zum Familien-Adventsbrunch ins Düsseldorfer Maritim Hotel. Die Gäste erwartet neben Stargast Hanna Michalowicz viel Spaß bei Spiel und Tombola. Auch diese Erlöse fließen nach Nepal.

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Panorama

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Welthungerindex 2014 Zwei Milliarden Menschen leiden unter „verstecktem Hunger“, weil es ihnen an Vitaminen und Spurenelementen mangelt. Mit diesem Schwerpunkt beschäf­ tigt sich der diesjährige Welt– hungerindex. Herausgegeben von der Welthungerhilfe, dem In­ ternationalen Forschungsinsti­ tut für Ernährungspolitik (IFPRI) und Concern Worldwide zeigt er die Entwicklung der weltweiten Hungersituation auf. In 16 Län­ dern ist diese „sehr ernst” oder sogar „gravierend”. Der Bericht ist kostenlos zu bestellen unter info@welthungerhilfe.de

Hunger in Afrika Gravierend Sehr ernst Ernst Mäßig Wenig Keine Angaben

Peter Ludwig

ist 90 Jahre jung, topfit und vor allem en­ gagiert. Anlässlich seines 90. Geburtstags stellte der Künstler im Bonner Pflegewerk Haus St. Agnes vierzig seiner Werke aus. Und er organisierte eine Versteigerung, bei der das Bild „Hennes spielt mit“ zugunsten der Welthungerhilfe unter den Hammer kam. Das Pflegewerk stockte auf und so konnte Welthungerhilfe-Mitarbeiterin Lena Rott einen Scheck in Höhe von 200 Euro von Peter Ludwig entgegennehmen. Vielen herzlichen Dank für die tolle Spende!

Charity-Preis:

Für seine „Leidenschaft Gutes zu tun“ erhielt Till Demtrøder im September den Charity-Preis der Bauer Media Group. Seit vielen Jahren schon unterstützt der Schau­ spieler die Welthungerhilfe, organisiert unermüdlich Events, die nicht nur den Beteiligten Spaß, sondern auch Notleidenden Hilfe bringen. Wie beim Rügen Cross Country Anfang September, das 40.000 Euro für die Initiative „Reiten gegen den Hunger“ zugunsten der Welthungerhilfe einbrachte.

Impressum Herausgeber: Deutsche Welthungerhilfe e.V. Friedrich-Ebert-Straße 1 53173 Bonn E-Mail: spenden@welthungerhilfe.de Redaktion: Stefanie Koop (Leitung) Verantwortlich: Mark Ankerstein

Autoren: Yvonne Adamek, Constanze Bandowski, Florian Kaiser, Stefanie Koop, Daniela Ramsauer, Laura Stillers, Ralph Weihermann Gestaltungskonzept / Layout: MediaCompany – Agentur für Kommunikation GmbH Fotonachweis: Yvonne Adamek (10/11), Agentur Schneider-Press/ Erwin Schneider (30), Alois Anders (30), Coffee Circle (28), Karin Desmarowitz (1/12/13/

14/15/16/17/22), FLY & HELP (22), Thomas Grabka (21/30), Christian Jungeblodt (20), Just Films (8/9), Guido Kollmeier Bauer Media Group (31), Kai Löffel­ bein (24/25), Thomas Lohnes (6/7), Friedhelm Mädje (6), Daniel Pilar (4/5), Abi Schmidt (30), Welthungerhilfe (7/18/21/22/23/26/27/28/30/31) Nachdruck erwünscht mit Quellenangaben und Belegexemplar. Lagernummer 460-9453

2013 betrugen die Aufwendungen der Welthungerhilfe für Verwaltung, Werbung und allgemeine Öffentlichkeitsarbeit insgesamt lediglich 7,1 Prozent. Jährlich erhalten wir das DZI Spenden-Siegel – für unseren effizienten und verantwortungsvollen Umgang mit uns anvertrauten Mitteln.

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Deutsche Welthungerhilfe e.V. Friedrich-Ebert-Straße 1 53173 Bonn Tel. 0228/22 88-0 Fax 0228/22 88-203 Internet: www.welthungerhilfe.de E-Mail: spenden@welthungerhilfe.de

Betrag:

Verwendungszweck:

1 0 EU R O

LU A N K E N N T HUNGER NUR NOCH VOR DEM ESSEN.

WER MONATLICH SPENDET, HILFT JEDEN TAG. IBAN DE15 3705 0198 0000 0011 15 • BIC COLSDE33 • Tel. 0228-2288-176 • www.welthungerhilfe.de


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