Werkschau Text Band 10

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SCHREIB AKADEMIE

WERKSCHAU TEXT BAND 10

JUBILÄUMSAUSGABE



INHALTSVERZEICHNIS

Die Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung von NÖ KREATIV und der KULTUR.REGION.NIEDERÖSTERREICH wieder.

VORWÖRTER

Dr. Erwin Pröll & Johanna Mikl-Leitner

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Martin Lammerhuber & Mag. Rafael Ecker

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GÄNSERNDORF

Schreibakademie Gänserndorf

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Herbert Eigner

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Lisa Benes

10

Nadine Brandtner

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Hugo Braun

18

Luca Alessandro Ewert

20

Noah Massimo Ewert

22

Tobias Frohner

23

Bianca Hunsturfer

25

Alois Nikolaus Leidwein

27

Philipp Rickl

28

Marina Winzaurek

29

Gemeinschaftsarbeiten

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HOLLABRUNN

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Schreibakademie Hollabrunn

39

Gerhard Ruiss & Elisabeth Schรถffl-Pรถll

42

Georgina Frasl

44

Clarissa Hasenberger

47

Lena Kirchner

49

David Kรถppl

51

Silvana Krumeich

53

Eva-Maria Wagner

54

Lydia Weber

57

David Weihs

59

Sophie Winkler

60

Gemeinschaftsarbeit

61

HORN

Schreibakademie Horn

63

Rudolf Aubrunner

65

Annika Mayer

66

Fabian Stummer

69

Gemeinschaftsarbeiten

92

Mร DLING

Schreibakademie Mรถdling

123

Lena Raubaum & Markus Tobischek

125

Elodie Arpa

126

Lara Drakos

128

Bianca Fellner

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MÖDLING

Aleksa Lazovic

134

Sophia Panek

138

Fiona Reid

143

Lea Schamp

147

Susanne Schmalwieser

149

Anika Suck

152

Gemeinschaftsarbeiten

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ST. PÖLTEN

Schreibakademie St. Pölten

157

Nora Miedler

158

Anna Aschacher

159

Simone Czipin

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Lisa Dorner

164

Corina Fischer

166

Gloria Heimberger

168

Carla Pattera

171

Sara Senic

173

Gemeinschaftsarbeiten

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WAIDHOFEN YBBSTAL

Schreibakademie Waidhofen/Ybbstal

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Herbert Pauli

181

Theresa Elsner

182

Paul Kerschbaumer

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Carla Riegler

188

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Die Schreibakademie ist seit ihrer Gründung vor 10 Jahren ein großer Erfolg. 4

Wir begehen dieses Jubiläum voller Stolz. Was 2006 klein begonnen hat, konnte zu einem beliebten Angebot ausgebaut werden, das junge Talente an vielen Standorten nutzen. Kreativität ist notwendig, um sich zu entwickeln und zu entfalten. Das gilt für Menschen, aber auch für unser Land Niederösterreich. Wir können uns glücklich schätzen, so viele originelle Geister in unserer Mitte zu haben. Wo Kreativität ist, ist Zukunft. Als Politiker ist es unsere Aufgabe, diese Zukunft bestmöglich und zum Wohle aller zu gestalten. Deshalb fördern wir das großartige kreative Potenzial der niederösterreichischen Jugend.

Dr. Erwin Pröll Landeshauptmann

Lesen und Schreiben sind die Basis unserer Kultur. Mit Sprache erdenken und beschreiben wir unsere Welt. Sie dient uns auch als Vermittlerin zwischen den Generationen. Durch ihre Worte laden uns die Jugendlichen ein, ihre Sicht auf das Leben kennenzulernen, und sie zeigen uns, dass sie sensibel und geschliffen mit Sprache umgehen können. So dürfen wir auch heuer wieder zu dem gelungenen Band von Herzen gratulieren. Unser Dank gilt allen Referentinnen und Referenten für ihren engagierten Einsatz und ihre Verbundenheit, den Eltern für ihre Unterstützung und dem Team der Niederösterreichischen Kreativakademie für sein Engagement. Den Leserinnen und Lesern wünschen wir viel Freude mit der vorliegenden Werkschau Text!

Johanna Mikl-Leitner LH-Stellvertreterin


Segel setzen! Wer Kreativität fördert, der setzt die Segel für die Zukunft. Daher wurde mit der Niederösterreichischen Kreativakademie ein außerschulischer Freiraum geschaffen, in dem junge Menschen ihre kreativen Talente entfalten können. Wie wertvoll dieser kreative Freiraum ist, spüren wir auf jeder Seite des zehnten Jubiläumsbandes der Werkschau Text. Angeleitet von professionellen Kunstschaffenden haben die jungen Menschen ihr schöpferisches Potenzial entwickelt und ihre Visionen verwirklicht.

Martin Lammerhuber Holdinggeschäftsführer KULTUR.REGION.NIEDERÖSTERREICH

Die Niederösterreichische Schreibakademie ist Teil eines weitverzweigten Netzwerkes der Kreativitätsförderung im gesamten Bundesland. Mit 78 Akademien an 36 Standorten und zehn kreativen Feldern war die Angebotspalette im Schuljahr 2015/16 so breit gefächert wie noch nie. Durch den konstanten Ausbau der Standorte und Angebote zählt die Kreativakademie mittlerweile zu einem fixen Bestandteil der niederösterreichischen Bildungslandschaft und ist unter dem Dach der NÖ KREATIV GmbH in das vielfältige, lebendige und regionale Angebot der KULTUR.REGION.NIEDERÖSTERREICH eingebettet. Wir gratulieren den jungen Schriftstellerinnen und Schriftstellern zu ihrer Werkschau und bedanken uns bei den Referierenden, den Eltern, den Kreativakademie-Gemeinden sowie dem Bundesland Niederösterreich für die Unterstützung. Genießen Sie die Werke, und lassen Sie sich inspirieren!

Mag. Rafael Ecker Geschäftsführer NÖ KREATIV GmbH

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SCHREIB AKADEMIE

GÄNSERNDORF Klasse Herbert Eigner

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TEILNEHMENDE Lisa Benes Nadine Brandtner Hugo Braun Luca Alessandro Ewert Noah Massimo Ewert Tobias Frohner Bianca Hunsturfer Alois Nikolaus Leidwein Philipp Rickl Marina Winzaurek


Schreibakademie GÄNSERNDORF 8

SCHREIBAKADEMIE GÄNSERNDORF Die Schreibakademie Gänserndorf gibt es jetzt das zweite Jahr. Der Kreativität und Fantasie der Autorinnen und Autoren waren – wie auch im Vorjahr – keine Grenzen gesetzt, denn die Freude am schriftstellerischen Ausprobieren ist zu einem „Markenzeichen“ der Gänserndorfer Schreibakademie geworden. Abgesehen davon, dass heuer sehr viele Werke unterschiedlichster Länge entstanden sind, ist auch das Panoptikum literarischer Gattungen besonders mannigfaltig: Gedichte, Sprachspielereien, Kurzgeschichten. Besonders im Mittelpunkt standen dieses Mal Fragmente: Romananfänge und Skizzen, die alle auf eine Fortsetzung warten. Die Produktivität des vergangenen Schreibakademie-Jahres macht Freude auf die kommenden Semester!


Geboren 1980, lebt in Enzesfeld-Lindabrunn. Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft. Schriftsteller. Auch schauspielerisch und als Regisseur in der freien Theaterszene Wiens tätig. Engagements unter anderem: Theater Experiment, Freie Bühne Wieden, Sommerspiele Grein und Sommerspiele MariaEnzersdorf. Neben der Schreibakademie Gänserndorf, Dozent der Schauspielakademie Groß-Enzersdorf. Publikationen (Auswahl): „himmelstränenfeuerland“ (2006, Edition vabene) „Vergessen spielen“ (2009, Literaturedition Niederösterreich) „Die Zeit der großen Suche“ (2014, Echter Verlag) „a haxn und zwaa gsunde händ“ (2015, Stoahoat-Verlag) „Der 317er. Von Groß-Enzersdorf nach Floridsdorf“ (2016, Edition Winkler-Hermaden)

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Schreibakademie GÄNSERNDORF

HERBERT EIGNER

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Schreibakademie GÄNSERNDORF

LISA BENES

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Fragment

Lisa Benes

Gedankenreich, fröhlich, nachdenklich

Ich blickte hinunter zur See. Das Wasser war tiefschwarz und wirkte im Schutz der Dunkelheit wie von einem Schleier umgeben. „Willst du nicht schlafen? Es ist gefährlich, hier draußen zu sein“, hörte ich eine müde, sanfte Mädchenstimme hinter mir. „Nein“, sagte ich leise. „Komm her.“ Ich hörte das faule Holz unter Klaras Schritten knarren. Ich sah ihr wunderschönes Gesicht, eingehüllt ins kalte Licht des Mondes. „Glaubst du, schaffen wir es?“ Ich wusste, was sie hören wollte. „Ja“, antwortete ich. Das sanfte Meeresrauschen half nichts gegen diese Todesstille, denn wir beide wussten, dass ich gelogen hatte.

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Schreibakademie GÄNSERNDORF

NADINE BRANDTNER Voller Ideen und Tatendrang

Gedanken Mittendrin sitze ich. Ihr Blut fließt zu Flüssen zusammen. Ich krabble zu dem, der mir am nächsten ist. Ein Junge. Er ist tot. Seine Augen zeigen nur weiß. Plötzlich wird sein Körper ganz schwarz. Er zerfällt zu Staub. Der Staub steigt zum Himmel auf und wird vom Wind verstreut. Ich schreie. Am Horizont steigt aus dem Staub der Menschen ein Schatten auf, bis zum Himmel empor. Er lacht. Ein scheußliches Lachen. Ich drücke mir die Hände auf die Ohren. Und schreie, er soll aufhören. Tränen laufen mir über die Wangen. Der Schatten wird kleiner und verschwindet schließlich. Doch das Lachen bleibt. Die Geier setzen zum Sturzflug an. Ich bin das Ziel. Sie zerkratzen mir das Gesicht, die Arme und Beine. Ich schreie die ganze Zeit. Halte mir mit den Händen den Kopf. Aber die Geier hören nicht auf. Meine Perspektive ändert sich. Ich kann mich selbst sehen. Ich liege am Boden. Ich sehe zu, wie die Geier mir die Glieder ausreißen. Alles ist voller Blut. Mein Körper hört auf zu zappeln. Ich bin tot. Meine Körperteile werden schwarz und zerfallen. Wie der arme Junge. Mein Staub steigt zum Himmel auf. Er wird in alle Richtungen verstreut. Angeekelt öffne ich die Augen. Ich schaue zum nachtklaren, mit Sternen besetzten Himmel auf.

Nadine Brandtner

Eine grüne Wiese. Blumenduft. Die Sonne scheint. Es ist warm und gemütlich. Ich liege am Rücken. Die Hände hinterm Kopf verschränkt. Ich blicke hoch zu den Wolken. Sie ziehen langsam vorbei. Ich liege hier schon sehr lange. Ich werde müde. Meine Augenlider werden schwer. Und schließlich lasse ich sie zufallen. Ich spüre das Gras unter mir. Es streift meine Arme und Beine. Ich kann die Kleintiere hören. Der Wind weht einen süßen Duft zu mir. Ein Schauer läuft mir den Rücken hinunter. Es ist kalt geworden. Ich reiße die Augen auf. Der Himmel ist blutrot. Geier fliegen herum. Ich schreie. Setze mich auf. Um mich herum tobt ein Sturm. Menschen liegen am Boden.

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Aufklärung über Frauen und WCs Was machen Frauen so lange auf dem WC?

Schreibakademie GÄNSERNDORF

Männer fragen sich oft, warum Frauen so lange auf dem WC brauchen. Dazu gibt es eine einfache Erklärung. Ein Beispiel:

Nadine Brandtner

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Alec hat mit Sandra ein Date. Die zwei verstehen sich super, sie haben immer ein Gesprächsthema, und sie ergänzen sich total. Alec mag Sandra sehr und könnte sich eine Zukunft mit ihr vorstellen. Das Einzige, das Alec komisch findet, ist: Als Sandra aufs WC geht, dauert es viel zu lange. Alec fragt sich, ob Sandra ihn nicht mag, weil sie so lange fortbleibt. Aber eigentlich ist es so: Sandra geht aufrecht und elegant zur Tür der Toilette, sobald sie diese aber hinter sich schließt und Alec sie nicht mehr sehen kann, lässt sie die Schultern hängen. Das aufgesetzte Lächeln, das ihre Wangen verkrampfte, lässt sie fallen. Sie mag Alec wirklich, aber ihn zu beeindrucken, ist schwer. Warum kann er ihr nicht einfach sagen, ob er sie mag oder nicht? Ob sie mehr als nur eine „normale“ Freundin ist? Sie denkt sich: Warum sind Männer so kompliziert? Sie verlässt das WC und wäscht sich die Hände. Vor dem Spiegel kontrolliert sie noch ihr Aussehen. Sie glättet die Haare und wischt sich

die mittlerweile etwas zerronnene Schminke aus dem Gesicht. Sie streicht ihr Kleid glatt und dreht sich, um zu sehen, ob auch alles sitzt. Schließlich will sie Alec beeindrucken. Nach einem kurzen Seufzer setzt sie wieder ihr Lächeln auf, öffnet die Tür und geht wieder zum Tisch. Also um es noch mal klar auszudrücken: Frauen brauchen so lange auf dem WC, weil sie dort ihren Gefühlen freien Lauf lassen und weil sie nochmal überprüfen, ob sie auch hübsch aussehen. Sie machen sich Gedanken darüber, ob der Junge beziehungsweise Mann, mit dem sie ausgehen, sie mag oder nicht und ob eine Beziehung funktionieren könnte. Warum gehen Frauen meist zu zweit oder zu dritt aufs WC? Die meisten Männer meinen, das ist ein Tick von Frauen, doch in Wahrheit machen Frauen das, weil sie auf dem WC ungestört über wichtige Dinge wie Männer, Liebe oder sonstige Probleme (Schule, Outfit, Haare und andere Notfälle) sprechen können. Meist ist es auch der einzige Raum, in dem es einen Spiegel gibt, was für Frauen sehr wichtig ist. Da sie mit ihrem Aussehen nie ganz zufrieden sind. Ein Beispiel: Sandra geht mit ihrer besten Freundin Anna aufs WC. Die Jungs, die ihnen auf dem Weg dorthin begegnen, schütteln nur den Kopf. Doch Sandra und Anna gehen nicht gemeinsam aufs WC, weil sie sich fürchten, sondern weil Sandra ihrer Freundin unbedingt von dem Date mit Alec erzählen muss. Und weil sie nicht will, dass es gleich die ganze Schule weiß, gehen sie aufs WC, wo sie ungestört sein können. Frauen und Mädchen können nicht vieles geheim halten – darum erzählen sie es ihren wichtigsten Freundinnen, die sie niemals verraten würden. Vor allem reden sie über Jungs und Männer, Haare und ihre Probleme. Ihre Freundinnen geben ihnen dann Tipps und ehrliche Antworten auf ihre Fragen. Außerdem, um das noch mal zu betonen, ist es der EINZIGE Raum mit einem Spiegel.


Nun war ich am unteren Ende der anthrazitfarbenen Stiege angekommen und ließ mich auf die Knie fallen. Dabei hatte ich meinen Blick starr auf die makellosen schwarzen Schuhe des Königs gerichtet. Durch die hohen Fenster hinter dem Podest fiel fahles Morgenlicht, wodurch vom Königspaar, auch wenn ich den Kopf gehoben hätte, nur schwarze Umrisse zu sehen waren. Die rauchige Stimme des Königs, die nicht lauter als ein Flüstern war, konnte man im ganzen Saal hallen hören. Er fragte: „Gibt es Neuigkeiten von der Grenze?“ Ich räusperte mich und antwortete etwas lauter und kräftiger: „Ja, mein König. Vor Kurzem

kam ein Brief bei den Wächtern an, darin stand, dass der Grenztrupp die Feinde nicht mehr lange zurückhalten könne. Viele sind im Kampf gefallen oder verletzt worden. Und der Feind schickt immer mehr Truppen auf unsere Grenzen zu. Wir sind schon jetzt zahlenmäßig weit unterlegen.“ Ein leises Knurren drang aus der Kehle meines Königs. Dann lachte er laut. Sein Lachen war so unheimlich, dass mir ein Schauer über den Rücken lief. Mein König war aufgestanden und stolzierte vor seinem Thron auf und ab. Die Königin schnalzte verärgert mit der Zunge, ob vor Frustration über den Krieg oder weil sie das Hinundhergewandere ihres Gatten nervte, konnte ich nicht sagen. Der König wandte sich wieder mir zu: „Sebastian, du bist zwar jung, aber mein Oberoffizier. Ich schicke dich mit deiner Spezialeinheit zur Grenze. In drei Tagen müsst ihr spätestens dort eintreffen. Streckt alle Feinde des Reiches nieder. Wir dürfen nicht verlieren, sonst sind wir alle dem Untergang geweiht.“ Ich starrte überrascht auf die obersten Stufen, doch schnell fasste ich mich wieder und fragte: „Habe ich Eure Erlaubnis, durch die Dörfer zu reiten – so sind wir schneller am Ziel, mein König?“ „Tue, was getan werden muss“, antwortete er aufgebracht. Er winkte Richtung Tür: „Und nun geh und rette unser Königreich.“ Ich richtete mich auf und verbeugte mich noch einmal tief, bevor ich mich umdrehte, um meine Männer zusammenzurufen. Die Abenddämmerung hatte bereits eingesetzt, als ich zu den Stallungen kam. Ich trug eine schwarze Rüstung und an meiner linken Seite war mein silbern schimmerndes Schwert „Sequius“ angebracht. Der Name kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „anders“. Es bezog sich auf die Klinge des Schwertes, diese bestand aus Silber und schimmerte silber-blau. Ich hatte es vor zwei Jahren von meinem Vater vererbt bekommen. Auf dem Schwert war eine verwirrende Botschaft eingraviert: „Das Schicksal wenden Fünfe.“

Wer sind wir? Sag nicht, ich liebe dich. Das wird uns beide umbringen. Er wird es nicht zulassen. Wir werden nicht entkommen. Ein Schrei! Was war das? Ein Mädchen? Ein Junge? Ein Tier? Ich hab Angst. Wir müssen hier weg. Da ein Licht. Nein, ein Feuer. Es brennt. Weitere Schreie. Jemand zieht mich. Du bist das. Wir rennen auf die Flammen zu. Willst du uns töten? Ich versuche, mich loszureißen. Aber du hältst mich. Wir rennen in die Flammen. Es wird heiß. Es tut weh, und doch ist es angenehm. Wie

meine Liebe für dich. Noch mal versuche ich, mich loszureißen. Ich will hier bleiben. Es funktioniert nicht. Ich schließe meine Augen. Es wird kalt. Bin ich tot? Ich reiße die Augen auf. Bin ich alleine? Bist du auch hier? Nein, ich bin nicht tot. Die Flammen sind weg. Wir rennen noch immer. Wir sind in einem Wald. Hinter uns höre ich Schreie. Du ziehst mich weiter. Nur deine Hand in meiner nehme ich wahr. Und da wird es mir klar! Wir sind frei! Endlich frei! Ich drücke deine Hand. Lasse mich nicht mehr ziehen. Renne von selbst. Immer weiter. Immer weiter. Hand in Hand laufen wir. Halten nicht an. Laufen durch die Zeit. Wir beide. Nur zu zweit! Ich spüre keine Wärme, keine Kälte mehr. Nicht seit jenem Tag. Alle anderen schauen zu uns auf. Für immer. Für immer laufen wir über den Himmel. Tag und Nacht. Nie wieder getrennt! Für alle Zeit.

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Nadine Brandtner

Ich ging durch den prachtvollen Thronsaal auf die zwei Personen in den hohen vergoldeten, mit Edelsteinen geschmückten Thronen zu. Es war ein riesiger Saal mit goldenen Wänden und Porträts vergangener Könige und ihrer Familien. Die Throne standen ganz am oberen Ende einer breiten Stiege im hinteren Teil des Saals. Ich war durch ein riesiges Tor hereingekommen. Es war mit aufwendigen Verschnörkelungen verziert. Auf beiden Seiten des roten Teppichs, auf dem ich ging, glänzten strahlend weiße Fliesen.

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Das blaue Schwert


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Drachenprinzessin

Nadine Brandtner

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Die Sonne ging gerade auf, als meine Mutter nach mir rief. Ich schlüpfte aus dem Bett und wankte müde zur Tür hinaus. Vor Müdigkeit fiel ich beinahe die Stiegen hinunter. Im Flur konnte ich schon das duftende Gebäck riechen. Meine Mutter stand in der Küche und hatte bereits fürs Frühstück gedeckt. Als ich reinkam, drehte sich meine Mutter zu mir um und fragte mich: „Warst du gestern noch lange wach?“ Ich setzte mich zum Tisch, wandte meinen starren Blick von dem lila Frühstückssaft ab, der vor mir stand, und antwortete ihr schläfrig: „Ja, war ich. Ich habe noch eine Zeichnung fertig gemacht.“ Ich reichte ihr die sich bewegende Bleistiftskizze. Das Bild zeigte meinen besten Freund Xavir. Er hatte leicht gelockte Haare, große runde Augen und ein breites, amüsiertes Grinsen im Gesicht. Er stand auf einer großen Wiese, und im Hintergrund konnte man den Himmel und den weit entfernten Wald sehen. Immer wieder schaute er von der einen Seite zur anderen und zurück. Während meine Mutter das Bild musterte, nahm ich mir einen rosa Toast. Warum kaufte sie immer rosa Toast? Warum nicht mal den grünen oder roten? Gibt doch Auswahl genug. „Wie immer ist es wunderschön geworden“, stellte sie fest. Sie legte die Skizze neben mir auf den Tisch und wandte sich dem Geschirr zu, das sich in der Spüle stapelte. Als ich gerade in meinen Toast beißen wollte, kündigte die Ansagestimme des Hauses das Kommen von Xavir an. Ich ließ mein Essen sinken, als der Junge auch schon an der Tür klopfte. Meine Mutter schnippte kurz, wodurch sich die Haustür selbstständig öffnete und Xavir im Türrahmen erschien. Er trug schwarzes Gewand, das seine blonden lockigen Haare betonte. Seine giftgrünen Augen funkelten belustigt, als er mich immer noch im Pyjama am Spei-

setisch vorfand. Ein Lächeln zierte seine Lippen, als er feststellte: „Noch immer nicht fertig, Prinzessin?“ Ich verdrehte die Augen und legte meinen Toast auf den Teller. Dann musste das Frühstück wohl ausfallen, dachte ich und ging in mein Zimmer, um mich anzuziehen. Aus dem silber-blauen Kasten holte ich schwarze enge Jeans und ein graues T-Shirt. Während ich darüber nachdachte, wann Xavir wohl begonnen hatte, mich Prinzessin zu nennen, was, soviel ich wusste, schon immer der Fall gewesen war, kämmte ich meine langen, fast weißen Haare und warf mir eine dunkelblaue Lederjacke um die Schultern. Ich schaute noch mal in den Spiegel, ob auch alles passte. Meine rosa Augen kamen bei dem dunklen Gewand, das ich trug, perfekt zur Geltung, auch meine hellen Haare und meine sportliche Figur. Danach rannte ich die Treppe hinunter, um mit Xavir zur Kunstschule zu gehen. Er hatte in der Zwischenzeit meinen Platz am Tisch eingenommen und erzählte meiner Mutter irgendwas über ein superscharfes Gericht, das er von seiner älteren Schwester irgendwann einmal zum Essen aufgetischt bekommen hatte. Xavirs Eltern sind seit Jahren verschwunden, deshalb war seine Schwester für ihn verantwortlich. Die nahm ihre Aufgabe aber nicht sehr ernst. Beim Erzählen biss Xavir ab und zu in meinen Toast, den er schon zur Hälfte aufgegessen hatte. Ich machte ein paar schnelle Schritte und nahm ihn ihm aus der Hand, damit ich selbst einen großen Bissen machen konnte. Zum Abschied gab ich meiner Mutter einen Kuss auf die Wange und marschierte zur Haustür, wo ich meine dunkelblauen Springerstiefel stehen hatte. Xavir verabschiedete sich von meiner Mutter und ging mir hinterher. Die Kunstschule von Wittenberg war eine Schule, in der man Zaubern, Drachenreiten, Verwandlungen und bewegte Bilder zeichnen lernte. Doch an diesem Tag war der Unterricht bis zu Mittag nicht sehr interessant. Professor Krein ärgerte sich die ganze Stunde über ein paar Jungs aus meiner Klasse, Miss Fernst lallte uns über Kobolde voll, und Mister Saufs Stunde fiel aus, weil er krank war. Nach der Mittagspause gingen ich, Xavir und die anderen aus meiner Klasse auf die Flugwiese. Dort warteten schon unsere Lehrerin Miss Bold und unsere Drachen. Ich ging zu Viridis und streichelte seinen grün-geschuppten Kopf. Die Drachen in der Schule waren zahm, aber in der Wildnis gab es auch wilde und gefährliche Drachen. Miss Bold erklärte uns, dass wir uns auf die linke Seite der Drachen stellen sollten und ihnen laut und deutlich den Befehl zum Knien geben mussten. (Die Befehle hatten wir in den Wochen davor auswendig gelernt.) Dann sollten wir auf den Hals des Drachen klettern und versuchen abzuheben. Ich stellte mich auf die linke Seite von Viridis und sagte laut und deutlich: „Knie nieder, und lass mich aufsteigen!“ Das grüne Schuppentier gehorchte aufs Wort, und ich kletterte über sein Vorderbein nach oben. Ich saß vor den Flügeln auf dem Hals des Drachens, der unter mir herumzuckte. Ich konnte förmlich spüren, wie aufgeregt


Zum Schluss meinte ich noch: „Es war traumhaft. Wenn ich kann, will ich in der Zukunft nichts anderes machen als Drachenreiten!“ Wir lachten alle und verließen die Flugwiese. Xavir begleitete mich nach Hause und wollte unbedingt, dass ich meiner Mutter erzählte, was ich heute geschafft hatte. Während ich erzählte, fügte Xavir immer wieder Details ein, die ich zu berichten vergaß. Meine Mutter lachte nur und gab uns jeweils einen Teller mit Schokokuchen darauf. Dann fragte sie Xavir, ob er heute bei mir übernachten wollte, und als der mit einem Grinsen im Gesicht nickte, wandte sie sich ihrem Kochtopf zu. Von diesem Tag an nannte mich mein bester Freund Xavir nicht mehr nur „Prinzessin“, sondern „Drachenprinzessin“.

Götter und Titanen „Schön, dass du endlich aufgewacht bist.“ Eine Stimme drang an mein Ohr und weckte mich nun ganz auf. Davor war ich in einer Art Schlummerzustand. Ich machte die Augen auf, aber schloss sie gleich wieder. Es war so hell, dass es in meinen Augen brannte. Langsam blinzelnd versuchte ich es noch einmal, und dieses Mal gewöhnten sich meine Augen an das grelle Licht. Ich lag in einem gemütlichen Bett mit weißem Bettbezug. Am Ende des Bettes stand ein muskulöser Junge und schaute mich erwartungsvoll an. Er musste ungefähr in meinem Alter sein, auch wenn er eine gewisse Autorität ausstrahlte. Mein Kopf dröhnte, als ich versuchte mich aufzusetzen. Ich stöhnte und kniff die Augen zusammen. Der Junge stand plötzlich neben mir und drückte mich sanft, aber bestimmt an den Schultern zurück ins

Kissen. „Du musst dich noch ausruhen. Du hast einen harten Schlag auf den Kopf bekommen“, sagte er mit Strenge in der Stimme. Ich öffnete meine Augen und sah, wie sich der Junge einen Stuhl ans Bett stellte und sich schließlich darauf fallen ließ. Ich musterte ihn von oben bis unten. Er hatte verwuschelte schwarze Haare, die ihm in die Stirn fielen, stechende hellblaue Augen und einen durchtrainierten Körper. Auch er musterte mich mit einem undefinierbaren Blick. Unter seinen durchdringenden Augen wurde ich langsam nervös, sodass ich nach gefühlten Stunden schließlich die Stille durchbrach. „Wer bist du?“, fragte ich, ohne den Blick von ihm zu nehmen. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, wodurch ich seine perfekten Zähne sah. „Das könnte ich dich genauso fragen, immerhin hast du mir eine einzigartige Show geliefert, falls du dich erinnern kannst“, erwiderte er. Und ob! Ich konnte mich an alles erinnern, nur nicht an diesen Jungen. Woher weiß er also davon? Er ist doch nicht etwa ... Nein, ist er nicht! Ich bin nicht mal ans Bett gefesselt. Meine Gedanken überschlugen sich förmlich. Empört, dass er mir keine Antwort auf meine Frage gegeben hatte, wandte ich mich von ihm ab und versuchte in seine Gedanken und Erinnerungen einzudringen. Nach wenigen Sekunden gelang es mir auch, er hatte nur eine schwache Barriere vor seinen Gedanken. Ich rief

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nie wieder absteigen. Es war ein befreiendes Gefühl, ich richtete mich auf, schloss die Augen und streckte die Hände nach oben. Leider kamen von unten schon die Rufe meiner Fluglehrerin. Enttäuscht über die Kürze meines Fluges gab ich Viridis neue Anweisungen: „Sinke langsam, und lande sanft!“ Der Drache und ich verloren langsam an Höhe, traurig blickte ich in den Himmel. Als ich unten ankam, wurde ich vom Applaus meiner Kameraden empfangen. Mir wurde klar, dass ich die Erste seit zehn Jahren war, die bei ihrer ersten Flugstunde auch wirklich geflogen ist. Ich lachte fröhlich und schilderte, wie es dort oben war.

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Nadine Brandtner

Viridis vor dem Flug war. Als ich mich umschaute, stellte ich fest, dass die anderen aus meiner Klasse mehr Probleme hatten, ihren Drachen Befehle zu geben. Auch Xavir, er schaute mich überrascht an, verdrehte lächelnd die Augen und wandte sich dann wieder seinem blauen Schuppentier zu. Mit fester Stimme sagte ich zu Viridis: „Erhebe dich, und fliege zu den Wolken!“ Der Drache tat wie geheißen und breitete die Flügel aus. Mit kräftigen Schlägen erhob er sich in den Himmel. Es war das erste Mal, dass ich flog, und es war ein wunderbares Gefühl. Ich konnte sogar das Dorf, in dem ich wohnte, sehen. Ich entdeckte mein Haus mit dem Goldbaum im Garten. Die schwebenden Autos sahen so winzig aus, und der lila Himmel mit den gelben Wolken wirkte so nahe. Ein kühler Wind wehte hier oben, und ich musste zittern, kalt war mir aber trotzdem nicht. Ich wollte weiterfliegen, hoch in die Lüfte und


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die Erinnerungen an den vorigen Tag herauf. Jem, so hieß der Junge, war den ganzen Tag unterwegs. Er suchte ein Mädchen, das genauso war wie er. Nur hatte er keine Ahnung, wie sie hieß oder wo er sie finden könnte. Nur, dass sie hier in dieser Stadt war. Doch Wien war groß, sehr groß. Jem befand sich in einem der Außenbezirke und bog gerade in eine kleine, enge Gasse ein. Niemand war hier, und genau so sollte es auch sein. Jem ging weiter in die Gasse hinein und ließ sich auf die Knie fallen. Durch seine Jeans spürte er die Kälte des Betons unter sich, doch darauf achtete er nicht. Jem zog ein kleines Gerät aus der Tasche seiner Lederjacke. Er aktivierte es, und sofort zeigte der Sensor in eine Richtung. Der Sensor spürte Halbgötter auf und führte Jem zu ihnen, damit er ihnen beibringen konnte zu überleben. Halbgötter sind – wie der Name schon sagt – Nachkommen von Göttern und Menschen. Ein Elternteil ist also ein olympischer Gott. Jem war der Sohn des Zeus und der Anführer einer kleinen Gruppe aus Halbgöttern, die sich zusammengeschlossen hatten, um anderen den Weg zu weisen. Jem richtete sich wieder auf und packte das Gerät weg. Anschließend ging er in die Richtung, in die der Sensor gezeigt hatte. Er bog um eine

Ecke und blieb wie angewurzelt stehen. Vor ihm standen zwei Typen vor einem Mädchen in seinem Alter. Schnell versteckte er sich hinter einem Mistkübel und verfolgte das Geschehen mit großen Augen. Jederzeit war er bereit, aufzuspringen und das Mädchen zu beschützen. Aber irgendetwas hielt ihn davon ab, sich sofort einzumischen. Das Mädchen, da war Jem sich sicher, war ein Halbgott. Er musterte sie genauer. Sie hatte einen schlanken, aber gut gebauten Körper. Lange brünette Haare, die sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, und grüne Augen, die sie auf ihre Gegner geheftet hatte. Ihre Knie waren leicht gebeugt, und ihre Hände hatte sie zu Fäusten geballt. Das Mädchen stand kampfbereit da, und es sah nicht so aus, als würde sie zum ersten Mal in eine Schlägerei verwickelt werden. Ich wandte meinen Blick zu ihren Feinden und schluckte schwer. Durch den Zauberglanz sahen die Typen aus wie zwei muskelbepackte Männer, doch als Jem den Glanz wegblinzelte, sah er zwei Skelette mit leuchtend roten Augen vor sich. Mit dem Zauberglanz, der die Sterblichen das Übernatürliche nicht sehen ließ, hatten Jem die zwei Kreaturen eindeutig besser gefallen. „Du musst jetzt mit uns kommen!“, sagte das eine Skelett mit knirschender Stimme. Das Mädchen kniff die Augen zu Schlitzen und antwortete mit kalter, gefühlloser Stimme: „Pff … sicher nicht! Und wenn ihr nicht sofort verschwindet, werdet ihr es mit eurem Leben büßen.“ Bei den letzten Worten blitzten ihre Augen gefährlich auf. Die Skelette erwiderten nichts, sondern gingen zum Angriff über. Ich wurde aus Jems Erinnerungen gerissen und öffnete meine Augen. Hinter mir hörte ich Jem keuchen. Ich drehte mich zu ihm und sah, wie sich der Junge mit zusammengekniffenen Augen den Kopf hielt. Ohne es zu wollen, verspürte ich eine gewisse Bewunderung für ihn. Er hatte es tatsächlich geschafft, mich mit reiner Willensstärke aus seinem Kopf zu werfen.

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Scheiße, sie ist ein Werwolf

Plötzlich spürte ich zwei starke Hände an meiner Taille. Ich wurde gegen eine Wand gedrückt. Als sich meine Sicht wieder klärte, sah ich, dass die Wand keine Wand war, sondern der Oberkörper des Jungen. Er war aufgesprungen und hatte mich vorm Umfallen bewahrt. Er drückte mich sanft an sich, sodass es für die anderen Leute im Zug aussah, als würde er mich umarmen. Dabei achtete er darauf, nicht an meiner Wunde anzukommen. An seine Brust gelehnt, sah ich zu ihm auf und musterte ihn zum ersten Mal. Er hatte aufgestellte braune Haare und stechende grüne Augen, die auf mich herabsahen. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen, wodurch ich seine weißen Zähne sehen konnte. Er hatte markante Gesichtszüge und sah eigentlich ganz gut aus. Halt, so durfte ich nicht denken! Wäre ich nicht in dieser Situation, würde ich ihn wegstoßen und ihn fragen, ob er nicht ganz dicht wäre. Aber da ich kaum selbst stehen konnte, würde es nichts bringen. „Ich heiße übrigens Kai, und du?“, fragte er mich leise. Es waren zwar nicht viele Menschen im Zug, aber er wollte anscheinend nicht, dass die wenigen unser Gespräch mitbekamen. Was ich nicht schlecht fand. Ich sah ihm in die Augen und erkannte seine Neugierde, die er nicht einmal versuchte zu verbergen. „Mein Name ist Luna“, antwortete ich und brachte sogar ein schwaches Lächeln zustande. Sofort erwiderte er mit einem Grinsen und sah mich dann mit gerunzelter Stirn an: „Und, Luna, wie bist du zu so einer Verletzung gekommen?“, fragte er. Etwas drängte mich dazu, es ihm zu erzählen, doch ich riss mich zusammen und ließ meine Wand auffahren. Eine Wand aus Eis. Bevor ich ihm eine bissige Antwort geben konnte, brachen plötzlich meine Beine unter mir zusammen. Sie konnten meinen Körper nicht mehr tragen. Meine Abwehrwand fiel in sich zusammen und Panik machte sich in mir breit. Kai zog mich schnell noch enger zu sich und trug schließlich mein ganzes Gewicht. Er hob mich hoch und brachte mich zu dem freien Platz, auf dem er vorhin gesessen hatte. Kai setzte mich vorsichtig auf seinem Schoß ab. Durch den Schmerz, der mich durchzog, verschwamm meine Sicht wieder, und mein ganzer Körper wurde schwer. Langsam fielen mir meine Augenlider zu, und ich versank in der Dunkelheit.

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Dort müssten ein paar Jungs sitzen. Wenn ich das Bewusstsein verliere, bring mich zu ihnen, frag nach einem Jack, er weiß, was zu tun ist. Dann verschwinde wieder, okay? Wenn du willst, kannst du deine Nummer in meinem Handy einspeichern, dann rufe ich dich an, sobald ich wieder aufwache.“ Mit großen Augen versuchte er die Informationen, die ich ihm gegeben hatte, zu verarbeiten und nickte noch einmal, dass er verstand. Der Blutverlust machte sich langsam bemerkbar, ich wankte leicht und sah schon nur noch verschwommen.

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Nadine Brandtner

Langsam wankend ging ich auf den jungen Mann zu, er musste ungefähr siebzehn Jahre alt sein. Er schaute auf sein Handy und tippte am Display herum. Ich nahm meine letzten Energien zusammen und stand schließlich vor ihm. Mit einem überraschten Gesichtsausdruck sah er zu mir hoch. „Kannst du mir helfen?“, fragte ich ihn mit zusammengebissenen Zähnen. Leicht verwirrt hob er eine Augenbraue, doch als ich meine Hand von meiner Seite nahm, weiteten sich seine Augen. Ich hatte meine Hand an meine linke Seite gedrückt, um, so gut es ging, die riesige Schnittwunde zu verbergen. Das Blut hatte meinen Pulli, den ich unter der Jacke trug, triefend rot gefärbt. Ich spürte den Schmerz wieder stärker, da der angenehme Druck nicht mehr da war. Schmerzvoll verzog ich meinen Mund und wartete auf die Reaktion des Jungen. Lange musste ich nicht warten, denn in seinen Augen konnte ich die wachsende Panik erkennen. „Oh mein Gott …“ Weiter kam er nicht, denn ich hielt ihm mit der einen Hand den Mund zu und die andere drückte ich wieder auf meine Wunde. „Pssst … du musst ruhig bleiben! Es sieht schlimmer aus, als es ist. Ich hab nur eine Frage an dich: Hilfst du mir oder nicht?“ Ich nahm meine Hand von seinem Mund und musste mir ein kleines Lächeln verkneifen. Eigentlich müsste ich die sein, die in Panik gerät, und nicht er. Doch irgendwie schaffte ich es, Ruhe zu bewahren. Mit einem kleinen Nicken gab er mir zu verstehen, dass er mir helfen würde. „Gut, ich muss in Floridsdorf aussteigen. Kannst du mich stützen, damit ich nicht umfalle, und zwar so, dass es die anderen Personen nicht mitbekommen? Ich will nicht unnötig Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Wenn wir bei der Station ankommen, bring mich bitte zur ersten Bank auf Bahnsteig 1.


Zwölfeinhalb Jahre alt, geschichtebegeistert, fantasievoll

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Was mir Angst macht

Hugo Braun

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HUGO BRAUN

Hofer wird Präsident. Keine Fremden – keine Freunde. Keine alten Freunde. Aufstände. Österreich ist nur mehr Chaos.


Wir befinden uns im Jahre 22222 über dem Planeten Snfjik, einem großen, weißen, gasförmigen und mit Ringen bestückten Planeten. Er besitzt 32 Monde. Hinter dem nächstgelegenen Mond von Snfjik, der Alhipaar heißt und ein Eismond ist, liegt das große, bernsteinfarben schimmernde Raumschiff Ektoprise, das wie eine Kuppel mit zwei eisernen Stäben aussieht. Mein Name ist Astrovrien, und ich bin ein Slivkaann. Unsere Spezies lebt auf dem Planeten Snfjik und, ich hatte mich auf das Raumschiff Ektoprise geschlichen, das unter dem berühmten General Kapitän Orleàns steht. Er ist ein Byd. Die Byd hassen jeden Einzelnen unseres Volkes und versuchen, uns zu vernichten, weil wir ihnen vor 2222 Jahren ihr Gold gestohlen hatten. Damals hatten wir selber keine Ressourcen mehr, um unseren Planeten zu bewirtschaften und mussten deshalb zu dieser Maßnahme greifen. Ich hatte mich durch die Andockschleuse hineingeschlichen und die Bydwächter, die hellblaue, totenkopfähnliche Masken trugen und einen Energiestab hielten, der grün-violette Strahlen aussendet, ausgeschaltet.

Nun schlug ich mich weiter zum Konferenzraum der Byd durch. Als ich angekommen war, standen dort zig Wachen. Die hatte ich gleich mit links erledigt, doch dann sah ich mich im großen, violetten Raum um. In der einen Ecke stand ein Kommunikator, in einer anderen lagen Waffen und in der dritten lag das Holokartenpult. Das war das Einzige, das mich interessierte! Ich fand die Informationen, die mir am wichtigsten waren, die Koordinaten des Planeten Mubye, des Heimatplaneten der Byd. Schnell lud ich die Daten herunter, als ER auftauchte: Orleàns. Er war bekannt für seine kosmischen Ionenwaffen. Plötzlich zog er eine Pistole mit einem Doppellauf, dessen Griff mit Slivkaannhaut überzogen war. Orleàns war auch bekannt für seinen Hass auf mein Volk, doch mich, Astovrien, hasste er am meisten, weil ich ihm immer seine Pläne stahl. Ein wilder Kampf entbrannte zwischen uns, und ich kämpfte mit meinem, mit Plasma ausgestatteten, Bo-Stab. Ich schaffte es, ihm die Pistole aus der Hand zu schlagen. Das ist bis jetzt noch niemandem gelungen. Unerwartet machte ich einen Rückwärtssalto zur Tür hinaus und verriegelte sie. Blitzschnell rannte ich durch den türkis schimmernden Flur, mit vielen Türen, die sich automatisch schlossen. Als ich mich umdrehte, bemerkte ich, dass Orleàns aus dem Navigationsraum entkommen war und mir mit seinem Plasmaschwert hinterherrannte. Ich schaffte es gerade noch, in einen Nebenraum zu hechten, bevor sich die Tür schloss. Als ich meine Ionenfackel aktivierte, die ich in meiner Tasche hatte, entdeckte ich, dass es ein riesiger Raum mit Byd-Rüstungen war. Ich erschrak, weil ich dachte, es wären Byd-Soldaten. Da kam mir plötzlich eine Idee! Ich stülpte mir eine dieser türkisen Byd-Rüstungen über und hoffte, dass mein Plan klappen würde.

Fortsetzung folgt …

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Hugo Braun

22222

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Luca Alessandro Ewert

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LUCA ALESSANDRO EWERT Freundlich, sportlich, hilfsbereit

Die Angsthasen auf Reisen Eine Angsthasenfamilie wollte schon lange auf Reisen gehen. Doch da sie so viel Angst hatte, verschob sie diese Reise immer wieder. Es sind jetzt bereits mehr als zehn Jahre vergangen, seitdem sie die erste Idee zu einer Reise hatten. Eines Tages kam eine neue Hasenfamilie in den großen Bau der Angsthasenfamilie. Doch diese war genau das Gegenteil von ihren Mitbewohnern. Sie war nämlich ziemlich mutig und hatte keine Angst. Diese Hasen freundeten sich schnell mit den anderen an. Nach ein paar Tagen wollten sie mit ihren neuen Freunden auf Reisen gehen. Doch diese stimmten nicht zu. So blieben die anderen Hasen auch zu Hause. Plötzlich tauchte ein weiterer Hase auf. Er war ganz geschockt. Alle versuchten, ihn zu beruhigen. Als es ihnen gelang, erzählte der geschockte Hase, warum er so geschockt war. „Ich war im Wald, nicht weit von hier entfernt, wo normalerweise keine Jäger sind. Doch heute war eine ganze

Gruppe dort. Wir müssen sofort von hier verschwinden, sonst finden sie uns noch!“, sagte der Hase. „Aber wie konnten sie uns nur finden? Ich verstehe das nicht, wir sind schon mehrere Jahre hier, und noch nie ist uns ein Jäger begegnet, aber wenn Gefahr für mein Volk besteht, dann müssen wir schleunigst etwas unternehmen!“, rief der oberste Hase. Auf einmal kam der Hasenkundschafter aufgeregt in den Hasenbau gerannt. „Die Jäger kommen! Wir müssen hier sofort weg! Sie haben den Bau gefunden!“, schrie er. Alle gerieten in Panik. Der oberste Hase rief: „Immer mit der Ruhe! Ich habe schon eine Idee. Wir bilden drei Gruppen und gehen durch unsere Geheimgänge. Jede Gruppe geht einen anderen Weg, sodass sie uns nicht so leicht finden können! Wir treffen uns dann in unserem Geheimversteck!“ Alle Hasen hatten Angst, doch da sie dem obersten Hasen vertrauten, bildeten sie schnell drei Gruppen. Jeder wusste, was zu tun war, denn sie hatten das für Notfälle immer wieder geübt. Die eine Gruppe führte der Kundschafter, die andere der oberste Hase und die letzte führte einer der ältesten Hasen an. Die erste Gruppe hoppelte los. Kurz darauf liefen auch die beiden anderen Gruppen los – bis kein Hase mehr im Bau war. Es dauerte nicht lange, da gelangten die Jäger zu dem leeren Hasenbau und gruben ihn auf. Als sie damit fertig waren, waren sie ziemlich verwundert und verärgert zugleich, dass kein einziger Hase dort war. „Schau mal da! Die Hasen haben Spuren hinterlassen! Gehen wir zur nächsten Öffnung dieses Ganges und stellen ihnen eine Falle! Ich glaube, ich weiß auch schon, wo dieser Ausgang ist“, sagte


Am Nachmittag des dritten Tages machten sich die Hasen Sorgen um die anderen. „Was sollen wir jetzt unternehmen?“, fragte der Kundschafter der Hasen. „Wir begeben uns auf die Suche, aber dieses Mal gehen wir in einer Gruppe!“, antwortete der oberste Hase. Alle Hasen begaben sich auf die Suche und gingen den Weg der verschwundenen Gruppe ab. Da entdeckten sie in einem der Ausgänge ein großes Loch und Spuren von ihren Freunden. „Ich habe einen bösen Verdacht! Ich glaube, sie wurden von den Jägern entdeckt und eingefangen!“, rief der Kundschafter ängstlich. „Wir stellen einen Suchtrupp zusammen, der sich auf die Suche nach den verschwundenen Hasen machen wird!“, beschloss der Chef der Hasen. Er stellte einen Trupp zusammen, dessen Anführer der Kundschafter war. Der oberste Hase ging mit dem Rest, der Kundschafterhase zurück in die Notunterkunft. Der Suchtrupp verfolgte die Spur, die die Jäger hinterlassen hatten. Nach kurzer Zeit hörten sie die Stimmen der Jäger und versteckten sich in dem Busch, der neben ihnen war: „Das war ein echtes Kinderspiel! Sie sind uns direkt in die Falle getappt! Morgen suchen wir die anderen Hasen. Die können schließlich nicht weit weg sein! Ich habe euch doch gesagt, dass wir dort einen Eingang in die Gänge der

Bald fanden sie auch schon die Hütte, wo die Jäger ihr Lager zu haben schienen. Die Hütte war ziemlich groß, aber sie sah sehr zerfallen aus. Die Hasen hatten keine großen Schwierigkeiten ins Haus zu kommen, da die Tür schon einige Löcher hatte, durch die sie leicht schlüpfen konnten. Sie hatten Angst, dass sich im Haus noch Jäger befinden, deshalb machten sie auch eine kurze Erkundungstour durch das Haus. Bei der Erkundungstour fiel dem Kundschafter eine Treppe auf. Diese war im Gegensatz zum Rest des Hauses sehr neu und nicht zerfallen. Nach dieser Erkundungstour stellten sie fest, dass niemand mehr in dem Haus war. Der Kundschafter rief den anderen Hasen zu: „Alle Hasen die Treppen runter! Ich glaube, dort sind unsere Freunde!“ Alle Hasen liefen die Treppe hinunter. Als sie unten waren, sahen sie eine Tür, die auch ziemlich zerfallen war. Die Hasen sprangen wieder einmal durch die Löcher und kamen in einen Raum, in dem sich viele Tiere befanden. Allesamt in Käfige gesperrt. Nur ein Käfig war leer. Wahrscheinlich waren genau in diesem Käfig die Hasen gewesen. Der Kundschafter fragte eines der Tiere: „Wo sind die Tiere, die in diesem Käfig waren?“ „Sie wurden gerade vor einer halben Stunde abgeholt. Die Jäger haben sie nach Australien verkauft. Wahrscheinlich sind sie jetzt schon im Flugzeug“, antwortete das Tier. „Danke! Wir werden jetzt zurück zu unserem Anführer gehen. Er wird entscheiden, was wir jetzt tun sollen. Wir werden dann wiederkommen und euch befreien, wenn ihr bereit seid, uns zu helfen, unsere Freunde zu befreien!“, sagte der Kundschafter. „Natürlich sind wir bereit, euch zu helfen! Wir werden hier auf euch warten und euch anschließend auch so viel wir können helfen!“, antwortete das Tier. Der Erkundungstrupp ging zurück zum obersten Hasen und erzählte ihm alles. „Wir wollten sowieso schon lange auf Reisen gehen! Wir werden die Tiere aus ihren Käfigen befreien und danach begeben wir uns auf die Suche nach unseren Freunden! Da wir alle hier in Gefahr sind, wird die ganze Familie mitgehen!“, beschloss der oberste Hase. „Aber wie kommen wir alle nach Australien?“, fragte der Kundschafter. „Lass das mal meine Sorge sein!“, antwortete der oberste Hase. Dann hoppelten alle zurück zu dem Haus der Jäger und befreiten die Tiere.

Fortsetzung folgt nächstes Jahr!

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Als die erste Gruppe ankam, war noch niemand dort. Kurz darauf erschien auch schon die nächste Gruppe. Doch die letzte Gruppe blieb verschwunden. Auch an den zwei folgenden Tagen tauchte sie nicht auf.

Hasen finden!“, sagte einer der Jäger. Die Hasen waren geschockt. „Wir hatten Recht, die Jäger haben unsere Freunde tatsächlich eingefangen! Einer von uns muss sofort zurück zur Notunterkunft und den König warnen, dass die Jäger vorhaben, auch uns einzufangen!“, sagte der Kundschafter. Ein besonders flinker Hase lief zurück, um die anderen zu warnen. Der Rest begab sich wieder auf die Suche nach seinen Freunden. Die Jäger gingen an dem Suchtrupp der Hasen vorbei, ohne sie zu entdecken. Der Trupp folgte den Spuren der fehlenden Hasen.

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Luca Alessandro Ewert

einer der Jäger. Der oberste Hase und seine Gruppe waren noch sehr nah am Bau, als die Jäger ihn zerstört hatten. Sie sagten kein Wort und liefen weiter ihren Gang entlang. Es waren schmale, enge Gänge, durch die die Hasen liefen. Außerdem schienen sie unendlich lang.


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Noah Massimo Ewert

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NOAH MASSIMO EWERT Energiebündel, humorvoll, sensibel

Wind in den Büschen Co-Autor: Herbert Es war ein 15. Jänner. Es geschah in einer schmalen, dunklen, langen Gasse in Gänserndorf. Sie zweigte von der Hauptstraße ab und mündete in einen Park. Es war kalt. Und die ganze Stadt war menschenleer. „Herr Bert, unsere Zielperson bewegt sich Richtung Bahn!“, funkte ich meiner Chefin. „Verfolgt ihn! Aber unbemerkt“, antwortete sie. Ich begab mich auf den Weg zum Fluss. Die Nacht war schwarz. Wie ein Mantel umhüllte sie mich. Da fiel es mir gar nicht schwer, unbemerkt zu bleiben. Bildete ich mir zumindest ein. Ich stolperte über einen Ast, der auf dem Boden lag. Es hallte von den Hauswänden wider. Ich stockte, als eine tiefe kratzige Stimme, sagte: „Wer ist da?“ Das war Herr Bert. War er hinter mir?

„Hab ich dich endlich gefunden“, sagte er mit hoher Stimme. Ich hatte Angst, mich umzudrehen. „Hab ich dich endlich gefunden“, sagte er noch einmal. Ich verstand die Welt nicht mehr. „Aber ich habe ja dich gesucht“, sagte ich. Hatte er etwas von der Organisation gehört und sie ausspioniert? „Männer!“, rief er. Da kam meine Chefin aus der Dunkelheit und meinte: „Das war eine Aufnahmeprüfung.“ Mich fröstelte es – ich wusste, es stand mir nichts Gutes bevor. „Du bist uns in die Falle gegangen.“ „Falle!? Was für eine Falle!“ „Seit Monaten sind wir dir schon auf der Spur.“ „Ich hab doch gar nichts gemacht!? Ich bin ein Polizist wie ihr auch.“ „Da irrst du dich wieder, mein Lieber.“ „Wie meinst du das?“ „Ganz einfach – wir sind keine Polizisten.“ „Wir sind die O.G.D.L. Die Organisation gegen die Liebe.“ Ich rannte weg. Meine Chefin stand auf einmal vor mir. Und schickte einen Blitz zu mir. Ich erstarrte und fiel bewusstlos um.


Röhren und Möhren Ich sehe nur Röhren Daneben essen Hasen böhmische Möhren Die Möhren sind g’sund Die Röhren sind rund Die Hasen essen auch Gras Die Röhren essen an Schaaß Auch Göhren essen Möhren In riesengroßen Röhren Möhren sind dünn Die Röhren kommen aus Brünn Das vereint Röhren Und die saftigen Möhren

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Zehn Jahre alt, Fußballfan, Germknödelliebhaber

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Tobias Frohner

TOBIAS FROHNER


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Tobias Frohner

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Angstgedicht

Opa Ernst

1. Er macht mir Angst. Weil er raucht? Vielleicht. Weil er trinkt? Vielleicht. Ich weiß es nicht.

Von 11. auf 12. Mai 2016 übernachtete ich bei Opa Ernst. Meistens ist Ernst nicht sehr ernst, aber dieses Mal war Ernst ernst, so ernst wie Ernst in seinem Leben nie war. Ernsts goldener Ehering war nämlich verschwunden. Plötzlich kam mein Bruder ins Zimmer und rief: „Viele, viele bunte Smarties!“ Da war Opa Ernst nicht mehr ernst.

2. Ist es nett? Ich weiß es nicht. Ist es sympathisch? Ich weiß es nicht. Ist es böse? Ich weiß es nicht. Es macht mir einfach Angst.

Angsthasen im Urlaub

Die Verfolgung

Dem Kübel ist übel

Ich rannte. In der Hoffnung, dass sie mich nicht entdeckten. Sie wollten mich fangen. Ich lief durch enge Gassen. Plötzlich standen sie vor mir. Ich drehte mich um. Hinter mir stand auch einer von ihnen. Ich kletterte über einen Gartenzaun und verschanzte mich schließlich im Schulhof. Doch sie fanden mich … … wir spielten fangen und verstecken.

Voll mit Mist ist der Kübel Ihm ist schon recht übel. Mir wär auch übel Wenn ich wär der Kübel Der Kübel hat Streifen Übelkeit kann man nicht angreifen Auch den Mülltonnen ist übel, voll Mist wie der Kübel. Viel Biomüll ist drin Und auch ein blutendes Kinn Das Kinn, es rührt sich nicht vom Platz Unter ihm befindet sich ein Schatz Die Scheiße von Katzen Pickt in Matzen Voll Mist ist der Kübel Ihm ist schon sehr übel

Fragen A: Hast du Hunger? B: Nein, hab ich nicht. A: Hast du Durst? B: Nein, hab ich nicht. A: Hast du Krebs? B: Nein, hab ich nicht. A: Bist du tot? B: Ja, bin ich.

Die Angsthasen machten Urlaub in Angstinavien. Dort fanden sie die Angstrose und aßen sie. Aber sie wussten nicht, dass die Angstrose Angsthasen noch ängstlicher macht. Im Hotel aßen sie dann noch das Angsthuhn, das sie zu den ängstlichsten Angsthasen der ganzen Angsthasenwelt machte.


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BIANCA HUNSTURFER

Ich habe Angst

Personenbeschreibung

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Ich habe Angst, dass ich in der Zukunft keine Arbeit bekomme. (Vielleicht schaffe ich die Schule nicht.) Ich habe Angst vor der Höhe. (Mir wird schon ganz schwindelig, wenn ich auch nur einen Meter vom Boden entfernt bin.) Ich fühle mich unwohl, wenn mich jemand anfasst, ohne mich zu fragen.

Mein Name ist nicht Bianca, und der 20.11.2002 ist nicht mein Geburtstag. Mein Sternzeichen ist nicht der Skorpion, und ich hasse Katzen. Ich tagträume nie, weil ich ein sehr ernster Mensch bin. Auf den ersten Blick wirke ich jedoch sehr aufgeschlossen. Ich liebe knallige Farben und hasse Schwarz, Weiß und Pastellfarben. Eigentlich hasse ich es, zu schreiben und kreativ zu sein. Ich halte mich lieber an Pläne und improvisiere mich nicht durch das Leben. Außerdem hasse ich Sarkasmus. Ist das eine ernstzunehmende Personenbeschreibung? Ich weiß es nicht …

Bianca Hunsturfer

Humorvolle und kreative Tagträumerin

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Aus der Schublade

Bianca Hunsturfer

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Hallo! Ich bin’s! Schön, dass du mich mal wieder besuchen kommst. Kannst du dich noch erinnern, als du mich vor zirka fünf Jahren in einer Tankstelle gekauft hast? *lach* Du hast vergessen, deiner Mutter etwas zum Geburtstag zu kaufen, deswegen hast du mich schnell in der Trafik gekauft. Ich war die billigste unter den Glückwunschkarten. Daraufhin hast du in Google nach „kurze, aber rührende Geburtstagsgedichte“ gesucht und eines davon schnell auf mich raufgekritzelt. Das waren noch Zeiten! Aber jetzt liege ich nur noch in der kalten und dunklen Schublade herum. Leider mögen mich die anderen Bewohner der Schublade nicht so gerne. Besonders der Locher hat es auf mich abgesehen. Die Stecknadeln und Klammern trauen

sich nicht, sich dem Locher zu widersetzen, und deshalb ärgern sie mich auch, diese elenden Mitläufer! Siehst du die ganzen Löcher auf der Seite? Die sind alle von „Big Hole“, so nennen ihn die Bewohner der Schublade. Schon am Anfang konnten sie mich nicht ausstehen, weil ich anders war, anders als die anderen Bewohner. Schon seit meiner Kindheit bestand ich aus Papier. Eigentlich bin ich damit gut klargekommen, in der Trafik waren zahlreiche Gleichgesinnte, mit denen ich sehr gut befreundet war. Meine einzigen Freunde sind nun die Staubpartikel, auf die ich leider aber eine Allergie entwickelt habe. *hust hust* Sag einmal, hörst du mir überhaupt zu? Nein, bitte leg mich nicht zurück! Warte, ich bin ja gar nicht in der alten Schublade. Hier ist es irgendwie anders, nicht so staubig. Es ist so groß wie in der alten Schublade, nur etwas voller. Das kann doch nicht wahr sein, das ist der Kuli – ein guter Freund von mir! Du hast ihn damals vor Jahren mit mir gekauft. Werde ich ab jetzt hier leben? Hm … Keine Antwort ist auch eine Antwort, aber schön, dass du mich wieder einmal besucht hast, ich hoffe, wir sehen uns wieder.

Brief an meine gute Freundin Sophia Wie geht’s dir? Ich hoffe gut. Heute hatten wir Religion. Unsere alte Religionsprofessorin ist in Pension gegangen, deswegen haben wir einen „Frisch-von-der-Uni“-Professor bekommen. Verschlafen wie ich war starrte ich gedankenlos auf die Wand (Wände können so spannend sein). Wir besprachen oder besser gesagt: Er redete über die Verbannung von Adam und Eva aus dem Paradies. Plötzlich hatte ich einen Geistesblitz! Wieso muss die ganze Menschheit leiden, nur weil eine MöchtegernRebellin einen Apfel gegessen hat? Wahrscheinlich hat sie sich voll cool gefühlt, ist zu ihrem Freund gerannt und hat dann dort angegeben. Nach dieser steilen Aktion wollte er auch so

cool sein und hat dann ebenfalls in den Apfel gebissen. Da sieht man wieder mal, was Gruppenzwang alles anrichten kann. Aber Spaß beiseite, wenn ich an Evas Stelle gewesen wäre, dann würden wir alle noch im Paradies leben. Dann müssten wir uns nicht mit diesem ekelhaften Kantinenessen zufriedengeben, und es wären nie so schlimme Dinge passiert wie die Hexenverfolgung, die Weltkriege und Schlagermusik. Und das Leid nimmt kein Ende! Jetzt, wo ich über das Paradies schreibe, fällt mir auf, dass so einige Dinge dort suspekt sind. Zum Beispiel die Geschichte mit den Flüssen, in denen – anstatt Wasser – Milch und Honig fließen. Vermischen sich die Milch und der Honig nicht mit der Erde? Aber auch wenn Gott die Erde mit einer Plane abgedeckt hätte, würde die Milch nicht sauer werden? Fragen über Fragen. Was denkst du darüber? Alles Liebe Bianca


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ALOIS NIKOLAUS LEIDWEIN Spontan, engagiert, voller Witz

Unlucky

Die Angst macht mir Angst. Die Angst ist vielseitig, vielseitig wie ein Würfel.

1. Es war einmal eine Katze namens Unlucky. Sie bekam Tollwut und starb.

Die Angst – was ist das eigentlich? Ist Angst nur ein Wort? Ist Angst ein Gefühl? Ist Angst gut oder schlecht? Ist sie nervig oder nicht?

2. Es war einmal ein Fischer namens Fritz und er fischte frische Fische. Außer einmal. Da fischte er eine tote Katze namens Unlucky.

Die Angst ist vielseitig, vielseitig wie ein Würfel. Die Angst macht mir Angst. Weil ich nicht weiß, wer würfelt.

Bei Risiken und Nebenwirkungen … Warum Medikamente kaufen, die gesund machen sollen, es aber in ein paar Fällen nicht tun? Warum müssen manche ein Risiko für ihre Gesundheit eingehen, um gesund zu werden?

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Alois Nikolaus Leidwein

Angst

Bobbys Spar-Tag Bobby hat gestern zu viel Geld ausgegeben. Heute hat er sich entschieden zu sparen. (Um es wieder auszugeben.) Heute war sein Spar-Tag. Bobby sparte an diesem Tag alles: Essen, Geld, Wasser und Duschgel. Damit waren aber seine Freunde nicht zufrieden und er lernte daraus, nicht alles sparen zu müssen. SCHREIB AKADEMIE


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PHILIPP RICKL Das bin ich nicht: Ich heiße Hugo, ich bin ein Mädchen, ich mag Fußball.

Philipp Rickl

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Raus

Die Seiten hören nicht auf

Die Maus denkt sich raus. Ich denke mich raus. Du denkst dich raus. Er denkt sich raus. Sie denkt sich raus. Es denkt sich raus. Wir denken uns raus. Ihr denkt euch raus. Sie denken sich raus. Wir alle denken uns raus.

Die Seiten hören nicht auf. Das ist meine Schuld, meine große Schuld. Trotzdem steht nicht viel auf den Seiten. Ich hatte schon was, aber jetzt hab ich’s schon wieder vergessen. Das ergibt alles keinen Sinn. Es gibt zu viele Bibeln. Eins, zwei, drei – und Schluss mit der Schreiberei.

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Marina Winzaurek

Gefangen

Oder Marinaa, Marinchen und Kleine, wie meine Freunde sagen würden. Als frech, klug, dumm, laut, entscheidungsunfähig, hyperaktiv und müde würden sie mich beschreiben. Und als die, die immer lacht, egal, wie unangebracht, Stimmungsschwankungen habe ich, würden sie sagen. In einer Sekunde zu Tode jauchzend, in der anderen himmelhoch betrübt, Braune Augen und Haare hätte ich, würden sie meinen. J. würde sagen, ich hätte kleine Füße. Sehr lieb haben sie mich, würden sie behaupten. Nur manchmal nicht, wenn ich gerade unausstehlich sei. Kein Problem, da mag ich mich selbst auch nicht. Mit mir wäre es immer lustig, würden sie erzählen. Trotzdem, obwohl ich meistens jünger bin, nur bei T. nicht. Ja, so würden sie mich beschreiben, alles mit liebevollem Hohn. Also bin das ich, oder vielleicht auch nicht?

Als ich aufwachte, sah ich über mir nur eine grell-weiße Decke und hörte das Pochen meines eigenen Herzschlags. Wie war ich nur hier gelandet? Ich wollte mich aufsetzen, doch metallene Fesseln hielten mich davon ab. Panik stieg in mir auf, und ich begann, mich wild hin und her zu werfen. Ich versuchte zu schreien, brachte aber keinen Ton heraus. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Als ich an mir selbst herabblickte, entdeckte ich, dass ich ein makelloses Krankenhauskleid trug und eine Vielzahl von Schläuchen aus meiner Brust ragte. Durch alle von ihnen flossen die verschiedensten Substanzen, von denen mir nur wenige bekannt schienen. Sie mündeten in einen großen Apparat mit unzähligen Bildschirmen und Schaltern. Ich musste ruhig bleiben und atmen, langsam atmen … Bei genauerer Betrachtung des Raums stellte ich fest, dass auch die Wände mit einem hellen Weiß gestrichen waren und beinahe bakterienfrei und medizinisch sauber wirkten. Nur in der Wand direkt vor mir war eine kleine Luke mit undurchsichtigem Glas eingebaut. Plötzlich huschte draußen ein großer Schatten vorbei, und ich begann erneut, mich angsterfüllt herumzuwälzen und zu strampeln. Die Gestalt blieb abrupt stehen und zog ruckartig das kleine Fenster auf. Beim Anblick dieser entstellten Gestalt blieb mir die Luft weg, und mein ganzer Körper verspannte sich. Verzweifelt versuchte ich, mich von dem Bett loszubinden, konnte mich aber nicht einen Zentimeter bewegen. Dunkle Augen starrten mich ausdruckslos, aber bedrohlich an. Die Gestalt flüsterte voller Hass: „Bald wird auch dein makelloser Körper aussehen wie ich.“ In diesem Moment fand ich meine Stimme wieder und schrie lauthals los. Die Luke wurde genauso schnell geschlossen, wie sie geöffnet wurde, und ich war ganz allein – als die Decke kleine, immer größer werdende Risse bekam und sich langsam auf mich zubewegte …

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Emotional, ehrlich, einfallsreich

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Maina Winzaurek

MARINA WINZAUREK


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Tiefseeblumen

Maina Winzaurek

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In der Ferne hörte ich das andauernde Plätschern der Wellen, den piependen Signalton des U-Boots und die kräftige Stimme des Kapitäns, der ein Deck über mir einen Matrosen wüst beschimpfte und anschließend stampfend in die Kommandozentrale schritt. Als ich mich aufsetzen wollte, spürte ich sofort den hohen Druck, der hier unten auf mich einwirkte. In dem Moment, in dem ich mich gerade noch schlaftrunken aus dem steinharten Kajütenbett mit der verbeulten Matratze wälzen wollte, zitterte das ganze U-Boot unter einem gewaltigen Ruck zusammen. Ein ohrenbetäubendes Quietschen erfüllte den Raum, das mich schmerzerfüllt schreiend zu Boden sinken ließ und noch zehn Minuten später in meinen Ohren weiterhallte. Doch das war mir egal, für mich zählte nur eins: Wir waren angedockt! Jetzt konnte unser Experiment, mein Lebenswerk, endlich beginnen. In weniger als einer Stunde würde ich für die kommenden drei Monate in mein neues Zuhause einziehen. Noch nie war ich so aufgeregt und ängstlich zugleich gewesen. Nun gab es kein Zurück mehr! So schnell ich konnte schlüpfte ich in meinen Taucheranzug, doch als ich aus meiner kleinen fensterlosen Ein-Bett-Koje rannte, blieb mein Blick kurz an der halb zerbrochenen Spiegelglasscheibe über meinem Schreibtisch hängen. Meine lockigen grauen Haare fielen mir wild ins Gesicht, dunkle Augenringe bedeckten meine bleichen Wangen, und angeschwollene Tränensäcke hingen unter meinen kleinen grau-blauen Augen mit verengten Pupillen. Diese Entstellung war das Ergebnis einer beschwerlichen tagelangen Fahrt von der Meeresoberfläche bis in den äußersten Winkel der Tiefsee. Gleich innerhalb der ersten hundert Meter setzten mich Schwindel und Übelkeit außer Gefecht,

mein Körper war solche enormen Druckunterschiede einfach nicht gewohnt. Dies war im Gegensatz zu der erfahrenen Besatzung meine erste Unterwasser-Expedition im Auftrag des russischen Geheimdiensts gewesen. Schließlich hatte ich keine Marine-Ausbildung, ich war nur Wissenschaftler im Bereich der Gentechnik und Experte in Sachen künstlicher Lebewesen. Einer musste ja Theorien aufstellen, komplizierte Rechnungen durchführen und Formeln predigen. Als ich endlich schwer atmend und lautstark keuchend in der Kommandozentrale ankam, hatte sich bereits die komplette Mannschaft, inklusive Matrosen und Unteroffiziere, an Deck versammelt. Der erste Eindruck war überwältigend, überall blinkten Lichter, leuchteten Schilder, und Bildschirme zeigten verschiedenste Daten der Außenwelt an. Am Tag des Beginns der Expedition war ich zu mitgenommen gewesen, um all diese Schalter und Knöpfe zu bestaunen. Ich hatte bereits alles doppelt und dreifach gesehen, als der Kapitän endlich meine missliche Lage erkannt und mich zurück in meine Kombüse schickte. Dort musste ich dann wegen Seekrankheit und Kopfschmerzen die nächsten zwei Tage bleiben. Als ich den Raum genauer betrachtete, stellte ich fest, dass die Wände fleckig, die Böden zerkratzt und die Möblierung veraltet waren. Dies ließ das wunderbare UnterwasserFlair beinahe etwas schäbig und abgenutzt wirken. Wenige Sekunden später sprach der Kapitän, Mr. Daniels, endlich den so lang erwarteten Satz: „Alle Achtung! Wir verlassen nun das Schiff, packt eure Sachen. Wir treffen uns in zwanzig Minuten an der Schleuse.“ Ich konnte es kaum erwarten. Schon nach weniger als einer Viertelstunde stand ich nervös wartend am Tor zu meiner neuen Welt, an dem mich Daniels bereits erwartete. Nach kurzem abgehacktem Smalltalk waren alle anderen Besatzungsmitglieder eingetroffen, und der Kapitän öffnete feierlich den Durchgang zur Unterwasserstation. Langsam und behutsam machte ich mich mit meiner blauen Reisetasche in der einen Hand und meinem Werkzeugkoffer mit allen wichtigen Utensilien für das Experiment in der anderen, auf den Weg die Treppe hinunter, den dunklen, nur durch Taschenlampen spärlich beleuchteten Gang entlang, bis wir schließlich an einer metallenen Sicherheitstür angelangten. Jetzt konnte mein Abenteuer beginnen! Ich stürzte beinahe durch die große Schleuse in mein neues Reich, sodass mich einige Offiziere kopfschüttelnd betrachteten. Nachdem ich drei Stockwerke Stufen überwunden hatte, stand ich wie versteinert in einer großen gläsernen Halle. Es war unbeschreiblich schön! Lampen beleuchteten außerhalb der Unterwasserstation die Tiefsee und zeigten mir ihren herrlichen Glanz. Ich musste verwundert feststellen, dass hier eindeutig mehr Tiere lebten, als ich mir je erträumt hätte. Überall schwammen grell scheinende, durchsichtige Quallen, dunkle, schuppige Anglerfische, und kleine neonfarbene Korallen reflektierten das Licht in einer noch nie zuvor beobachteten unglaublichen Weise. Noch nie hatte ich so etwas


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Farbe, je dunkler es um sie herum wurde. Es musste sich wohl um eine Art Energiebeschaffung mithilfe von Strahlung handeln. Am nächsten Morgen war ich immer noch wach, als mich einer der Matrosen wecken wollte und mir mitteilte, dass ich zum gemeinsamen Frühstück mit dem Kapitän in der Kommandozentrale eingeladen war. Dort angekommen stellte ich enttäuscht fest, dass dieser Raum jenem im U-Boot bis hin zur Farbe der Wände eins zu eins glich. Irgendwie hatte ich wohl erwartet, dass auch er sich wie mein Zimmer zu etwas Besserem verwandelt hätte. Trotzdem war es hier nicht weniger eindrucksvoll als in der anderen Kommandozentrale. Das kleine Buffet bestand nur aus Semmeln, Kuchen und Wurst, was mich aber nicht im Geringsten störte, ich war mit meinen Gedanken immer noch bei Anglerfischen und Plankton. Erst die laute Stimme des Kapitäns brachte mich wieder in die Realität zurück. „Heute startet das Experiment, für das wir so lange gearbeitet, immens viele Steuergelder verschwendet und jahrelang geforscht haben! Männer, wir werden in die Geschichte eingehen. Noch lange nach unserem Tod werden russische Schüler, nein, Schüler auf der ganzen Welt, gezwungen sein, unsere Geburts- und Sterbedaten zu lernen, die neuen Formeln anzuwenden und unsere Bilder in Büchern zu betrachten! Ein Hoch auf unseren Professor!“ Die nächsten Stunden verbrachte ich damit, meine Unterlagen zu sortieren, die Anzahl der extra gezüchteten Pflanzensamen zu notieren und meinen Süßwasserregulator zu warten. Dann war es endlich soweit – meine Versuche konnten starten! Unter Anwesenheit der gesamten Besatzung legte ich den ersten Samen in die Pflanzröhre und beobachtete zufrieden, wie er in den schlammigen Tiefseeboden gesetzt wurde. Nach einer halben Stunde hatte ich bereits den gesamten Platz um die Unterwasserstation mit Samen ausgestattet und schaltete feierlich die Beleuchtung, also die Energiezufuhr für meine Pflänzchen ein. Auch die Süßwasserschleuse wurde geöffnet, und alles Salzwasser im Umkreis von hundert Metern wurde verdrängt. Schon nach wenigen Tagen zeigte unser Experiment erste, groß gefeierte Ergebnisse. Kleine grünbis lilafarbene Stummeln ragten aus dem sandigen Boden empor. Natürlich sah meine Blumenwiese nicht so aus wie eine an der Erdoberfläche, meine noch winzigen Pflänzchen bestanden hauptsächlich aus künstlichem Plasma, Zellulose und Proteinen. Das Einzige, was mich etwas beunruhigte, war die Tatsache, dass zwischen meinen Beeten gefräßige Quallen und andere Tiefseekreaturen herumschwammen. Ob sie vielleicht auf neue Nahrung aus waren? Kurzerhand installierte ich ein unsichtbares Magnetfeld um die Unterwasserstation, was aber auch leider dazu führte, dass ich die Tiere nur noch aus weiter Entfernung beobachten konnte. Nach einer Woche gleichmäßigem Wachstum bemerkte ich am achten Tag meines Versuchs die ersten ungewöhnlichen Erscheinungen: Über Nacht waren meine Plasmablumen statt den regelmäßigen fünf Zentimetern fast auf ihre doppelte Größe angeschwollen. Zuerst wollte ich alles noch mal durchrechnen, um einen logischen

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Maina Winzaurek

Schönes gesehen. Nicht einmal, als bereits die ganze Mannschaft die Halle wieder verlassen und aufs Kommandodeck gegangen war, konnte ich mich von diesem Anblick losreißen. Es mussten wohl Stunden vergangen sein, bis Daniels mich aus meiner Trance holte, gerade als das winzige, aber hell strahlende Plankton sich um die Station ansammelte. „Professor“, sagte er, „lassen Sie mich Ihnen Ihr Zimmer zeigen, es ist schon spät.“ Widerwillig folgte ich dem Kapitän in meine neue Kombüse, viel lieber hätte ich weiter dieses wunderbare Spektakel beobachtet. Erst als Daniels mich schon wieder verlassen hatte, bemerkte ich, wie viel geräumiger und luxuriöser mein neuer Raum im Gegensatz zu meinem letzten ausgestattet war. Die Wand, die nach außen zeigte, war komplett verglast. Davor standen ein weiß bezogenes Doppelbett und ein Schreibtisch aus Buchenholz, auf dem ein Medion Notebook mit Windows 10 inklusive extra Bildschirm und Tastatur stand. Auf der anderen Seite befand sich ein riesiger Schrank mit Spiegeltür und Kleiderhaken. Daneben war eine weiße Ledercouch mit Sessel und Kaffeetischchen. Gegenüber der Sitzecke hing ein 50-Zoll-Smart-TV mit angeschlossener PS4 an der Wand. Wenig später fand ich drei verschiedene Schalter neben meinem Bett und konnte es einfach nicht lassen, daran herumzuhantieren. Mithilfe des ersten konnte ich die Lichtstärke der Lampen innerhalb meines Zimmers regulieren, der zweite schaltete den Strom ein und aus, der dritte jedoch ließ mich vor Freude aufschreien: Er war für die Außenbeleuchtung meines Bereiches der Unterwasserstation zuständig! Ich verbrachte beinahe die ganze Nacht damit, die Lebewesen der Tiefsee zu bestaunen und zu skizzieren. Verwundert stellte ich fest, dass die durchsichtigen Quallen ihre Größe änderten, je näher sie dem Licht kamen, die undurchsichtigen aber änderten ihre


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Grund für dieses schnelle Wachstum zu finden, doch dann wurde mir klar, dass hier unten doch eigentlich nichts normal war, oder? Also beschloss ich, mich über die gute Entwicklung meiner Blumen zu freuen und beschäftigte mich weiter mit der Optimierung der Beleuchtung meiner Pflanzen. Am zehnten Tag war es schließlich endlich soweit, meine Blumenwiese hatte eine Durchschnittshöhe von einem Meter erreicht, da sich die schnelle Vergrößerung über Nacht fortgesetzt hatte. Nun waren meine Gewächse stark genug, um meinen Spezialdünger zu vertragen. Mit seiner Hilfe würden meine Plasmablumen Knospen und später Blüten ausbilden, mit denen sie beginnen könnten, die wertvollen Goldpartikel aus dem Wasser zu filtern und über Wurzelknollen an die Unterwasserstation weiterzugeben. Allerdings ging ich mit diesem Wachstumsmittel auch ein Risiko ein, da es, bei zu hoher Dosierung, meine Tiefseeblumen komplett vernichten könnte und ich nicht mehr genug Samen hätte, um die Beete neu zu bepflanzen. Am nächsten Tag sollte eine kleine Feier zu Ehren meiner Erfolge stattfinden, woraufhin ich gleich nach meinen morgendlichen Untersuchungen, bei denen ich wenig erstaunt feststellte, dass die Blüten leuchtend rosa statt hell-weiß geworden waren, in die Kommandozentrale ging. Alles verlief gut, der Kapitän hielt eine Rede, die Mannschaft applaudierte, und ich nahm einen Orden der russischen Regierung entgegen. Doch plötzlich, während wir gerade dabei waren, das Festmahl zu eröffnen, heulte die Alarmsirene lautstark los, und etliche Bildschirme begannen, rot zu blinken und dröhnend zu surren. Panik brach an Deck aus, alle stürzten an die Schalter und drehten wild an ihnen herum, bis die Sirene kurz zum Stillstand kam, nur um Sekunden später erneut aufzuheulen. Ich stand wie angewurzelt an meinem

Platz und beobachtete sprachlos das Geschehen. Erst als ich an meine Pflanzen dachte, fiel ich aus meiner Schockstarre und prallte hart in die Realität zurück. Ich war gerade atemlos in meinem Labor angekommen, da ereilte mich die Neuigkeit, dass die Druckverhältnisse zwischen Unterwasserstation und Tiefsee zu hoch waren und alles explodieren würde, wenn wir sie nicht herunterschrauben können würden. Keuchend riss ich die Tür zu meinem Versuchszimmer auf, Schweiß stand mir auf der Stirn und meine Knie schlotterten. Da entdeckte ich sofort die Ursache des Problems. Innerhalb der letzten Stunden waren meine Plasmablumen über zwölf Meter gewachsen, hatten sich über die gläserne Decke der Unterwasserstation gewickelt und drohten diese zu zerquetschen! Noch während ich geschockt das Ausmaß des Problems zu ermessen versuchte, tönte ein lauter Knall durch mein Labor. Aufgrund des hohen Drucks hatte sich ein riesiger Riss in der Decke gebildet. Die gewaltige Druckwelle streckte mich zu Boden, und als ich aufstehen wollte, sank ich sogleich keuchend, nach Luft ringend wieder zurück auf die Fliesen. Es fühlte sich an, als ob Tonnen von Gewicht auf meiner Brust lasten würden, der Druckregler im Labor war zerstört worden! Mit letzter Kraft kroch ich hinaus und sackte schwer atmend neben der Tür zusammen. So schnell ich konnte, raffte ich mich wieder auf und rannte in die Kommandozentrale, um Daniels die missliche Lage zu erklären. Wenige Minuten später kam der Befehl: „Alle Mann zur Schleuse und zurück zum U-Boot! Wir verlassen die Station!“ Doch bevor ich mich zurück ins Schiff retten konnte, musste ich zurück in mein Zimmer. Ich konnte die Dokumentation meiner Ergebnisse nicht einfach hier unten zurücklassen! Mein Lebenswerk bedeutete mir einfach zu viel. Während ich meine Aufzeichnungen zusammenraffte, hallte erneut ein ohrenbetäubender Knall durch die Station und ein riesiger Wasserschwall riss mich auf dem Weg zurück zur Schleuse mit sich Richtung Halle. Ich schrie panisch um Hilfe, bis ich das enorme Loch in der gläsernen Decke über mir wahrnahm und förmlich an meinen Worten erstickte. Noch bevor ich nach Luft schnappen konnte, zogen mich die Wassermassen hinaus in die Tiefsee. In meinen Ohren quietschte und klingelte es, bis schließlich meine Trommelfelle platzten. Mein ganzer Körper bog sich unter dem gewaltigen Druck. Blut rann aus meiner Nase und meinen Augen, und alles um mich herum war dunkel. Die Tiefsee war bedrohlich still, kein Laut war zu vernehmen. Ich strampelte vergeblich im Wasser und kam keinen Meter voran. Ich atmete automatisch durch den Mund ein, und Wasser rann in meine Lunge. Heftig prustend versuchte ich, es wieder loszuwerden, was mir nur noch mehr Schmerzen bescherte. Tausende Meter Wasser stauchten meine Knochen regelrecht zusammen. Das Letzte, an das ich dachte, war meine eigene Dummheit, als ich das Experiment nach dem unglaublichen Wachstum der Blumenwiese nicht abgebrochen hatte, geblendet von meinem Erfolg. Schließlich startete das U-Boot ohne mich. Die Turbine schleuderte mich auf die Seite und brach mir das Genick, in dem Moment als meine Lungen platzten, mein Herz versagte und ich von meinen unendlichen Qualen erlöst wurde.


Regen reinigt nicht

Und kein Schirm, keine Jacke kann mich vor dem kalten Regen schützen und vor deinem

Angst

Jede Sekunde, die vergeht ohne dich, tut so schrecklich weh. Bei jedem Regentropfen auf meiner Haut wünsch ich mir, du wärst bei mir. Denn mit dir fehlt auch der größte Teil von mir. Die Zeit läuft weiter, doch ich steck fest in dem Moment, als ich dich zuletzt sah.Und ich weiß, es wird nie wieder, wie es war. Die grauen Wolken hängen tief am Boden. Der Regen lässt nicht nach. Genau wie die Einsamkeit tief in mir Tag für Tag. Dabei will ich die ganze Zeit doch nur diesen einen Satz, diese unbeschreiblichen drei Worte von dir hören. Die zwölf wunderschönen und gleich so verhängnisvollen Buchstaben: Ich liebe dich.

Schlaflosigkeit Co-Autor: Herbert

Wenn du nicht weißt, was du tun sollst, so ganz allein. Die Schatten der anderen hängen noch in der Luft, trotzdem ist niemand richtig da. Alles nur oberflächlich, nichts geht wirklich tief, nichts berührt, nur Schein, kein echtes Dasein. Diese leeren Augen überall, sie sehen nicht hinein. Dann wenden sie sich wieder ab, als ob du nie da gewesen wärst. Sie haben alle diese eine Person, die es ist. Ich nicht. Egal, was passiert, sie können immer wieder zu ihr zurück. Ich nicht. Du musst dich öffnen, nur einmal. Dann tu ich es auch. Es ist eine Fassade, eine Mauer, zwischen dir und mir. Erst wenn sie zerspringt, können wir wirklich lieben, erst, wenn sie zerspringt, gehöre ich ganz dir.

Aus einem Traum gefallen in die Nebelnacht Der erste Schnee gebreitet über die Angst vor dem Morgen Die Augen fest geschlossen und dennoch hellwach Der Mond scheint durch das Fenster Nebel zieht vorbei Im Zimmer das Schweigen der Nächte allein Um mich Wände ohne Widerhall Von weit draußen Glockengeläut Leise fällt der Schnee weich aufs Dach herab Eisblumen am Fenster nur Kälte in der Nacht und immer noch die Angst vor dem Morgen

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Lächeln, bei dem alles schmilzt. Auch den letzten Stolz hab ich verloren in deinen Armen, denn ich denk Tag und Nacht nur an dich. An die strahlend blauen Augen, an das Grinsen in deinem Gesicht. Manchmal weiß ich nicht, ob es die Schmerzen wirklich wert sind, die mich quälen jeden Tag, an dem ich dich nicht seh. Ich brauch meine Dosis von dir; du wirkst wie eine Droge bei mir. Wasser sammelt sich in meinen Schuhen, doch ich beweg mich nicht. Ich bin festgefroren an dieser Stelle mit den Gedanken nur an dich.

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Und erst draußen im Regen wird mir klar, dass nichts mehr so ist, wie es war. Und es nicht ich bin, die hier ist. Mir wird klar, dass es nie wieder wird, wie es war. Erst jetzt wird mir bewusst, dass es die Selbstzweifel sind, die mich jeden Tag auffressen, und der Stein auf meiner Brust sich nicht auflöst. Egal, wie laut ich schrei. Mir ist alles egal. Hauptsache, das eine stimmt. Die verpassten Chancen kommen nie wieder. Nicht nur Regen rinnt mir übers Gesicht. Aber es kümmert mich nicht. Meine Gedanken kreisen nur um dich, denn ohne dich gibt’s kein mich. Am Ende ist es immer dasselbe: Ich vermisse dich und du mich nicht.


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GEMEINSCHAFTSARBEITEN Arbeitseifrig, still, ausgelassen

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Ein Weihnachtsabenteuer Autoren: Hugo und Philipp Ich rannte. Die Gestalten hefteten sich gnadenlos an meine Fersen. Sie wollten es unbedingt verhindern. Das Weihnachtsfest. Die englische Regierung wollte Weihnachten nur für sich alleine haben. Um das zu erklären, muss ich ein paar Stunden in die Vergangenheit ausholen. Es begann wie ein ganz normaler Schultag. Als ich nach Hause ging, erblickte ich in einer schmalen Seitengasse zwei Männer in schwarzen Anzügen, mit dunklen und verspiegelten Sonnenbrillen. Ich konnte mithören, wie der eine Mann, mit einer Narbe, die über den linken Nasenflügel in den linken Mundwinkel überging, mit rauer Stimme sagte: „… verhindern Weihnachtsfest …“ Mehr brauchte ich nicht zu hören.

Ich ging vorsichtig zurück, und dabei trat ich auf eine leere Cola-Dose. Sofort drehten sich die Männer um. Der Mann mit der Narbe kam mit einem Taschentuch in der linken Hand auf mich zu und sagte: „Halt, ganz still!“ Danach wurde ich bewusstlos. Ich weiß nicht, wie lange ich bewusstlos war, aber als ich aufwachte, saß ich gefesselt auf einem Stuhl in einem leeren Zimmer mit verspiegelten Wänden. Auf einmal trat ein Mann ein und sagte: „Du bist hier im W.U.D.-Hauptquartier, dem Weihnachts-Undercover-Dienst.“ „Wieso halten Sie mich hier fest?“, fragte ich ihn. Der Mann antwortete: „Du weißt zu viel. Deshalb hast du drei Möglichkeiten: Erstens: Wir töten dich. Zweitens: Wir löschen dein Gedächtnis. Oder drittens: Wir geben dir hier einen Job.“ Bevor ich antworten konnte, gab es einen großen Knall, ein Mann taumelte herein und sagte mit letzter Kraft: „Gasbombe!!!“ Dann fiel er tot um. Der Agent erklärte: „Wie es aussieht, hast du keine Wahl. Du bist ab heute ein W.U.D.-Agent.“ Der Agent befreite mich und brachte mich zur Waffenkammer. Dort sagte er mir, dass sein Name Wu lautete und dass ich mir drei Waffen aus der Waffenkammer nehmen konnte. Ich nahm mir eine Röntgenblick-Brille, einen


Nach drei Stunden war ich an der Spitze Schwedens angekommen. Ich sah mich nicht genau um, deshalb bemerkte ich nicht die zwei Agenten Englands, die in einer Seitengasse standen. Die zwei kamen auf mich zu, packten mich an Armen und Beinen. Mit einer raschen Bewegung rissen sie mir die Raketenstiefel von den Füßen. Danach nahmen sie mir auch meine Röntgenbrille ab, aber den Laserstift übersahen sie. Sie steckten mich in eine Zelle. Sobald der Wächter weg war, nahm ich meinen Laserstift aus der Tasche und schnitt damit die Gefängnistür auf. Ich suchte nach der Waffenkammer. Es dauerte nicht lange, und ich fand sie. Ich nahm meine Röntgenbrille heraus, setzte sie auf und entdeckte einen Tresor. Darin sah ich das Päckchen. Ich nahm den Laserstift und schnitt ein Loch in die Seitenwand des Tresors. Das Päckchen fiel aus dem Tresor wie ein schwerer Stein. Sofort verschwand ich aus dem feindlichen Hauptquartier und flog an den Nordpol. Dort erwartete mich eine unangenehme Überraschung,

Autoren: Luca, Herbert, Hugo, Philipp, Noa Personen: Herr Wichtel Frau Wichtel Dackel Santa Clause Rudolph Ort: Das Haus der Wichtels Zeit: Heiliger Abend Herr Wichtel kommt nach Hause. Frau Wichtel ist in der Küche beschäftigt. Der Dackel liegt unterm Küchentisch. Frau Wichtel: Sag mal, wo bleibst du so lange!? Jetzt ist es schon elf Uhr nachts und der Heilige Abend gleich vorbei. Mir ist schon klar, dass ein Weihnachtswichtel am 24. Dezember arbeiten muss, aber ein bisschen Zeit zum Feiern sollte da doch bleiben. Oder bist du schon wieder mit Rudolph, dieser alten Saufnase, Punschtrinken gewesen. Herr Wichtel: Ich musste Überstunden machen! Der Weihnachtsmann gibt am 24. Dezember nie Ruhe! Er will, dass wir für alle Kinder auf der Welt Geschenke machen, einpacken und austeilen! Das dauert nun einmal sehr lange! Frau Wichtel: Das ist aber noch lange kein Grund, euch auszubeuten! Das ist ja Sklavenarbeit. Der Truthahn ist schon kalt, und die Beilagen hat allesamt der Hund gefressen. Der Dackel lässt einen fahren. Frau Wichtel: Und jetzt hat er Blähungen – und das alles wegen … Herr Wichtel: Ja, ja! --- Aber diese Arbeit ist sehr wichtig für uns und die Menschen. Aber ja – wenn ich eine andere finden würde, würde ich sie annehmen. Frau Wichtel: Aber nicht beim Osterhasen! Der ist um keinen Deut besser als der alte Knacker vom Nordpol. Herr Wichtel: Ich hoffe, dass der Weihnachtsmann endlich einmal früher anfängt, die Geschenke zu machen und einzupacken. Da liegt das logistische Hauptproblem.

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Als ich das W.U.D.-Hauptquartier verließ, bemerkte ich, dass es sich im dunklen Keller des alten, unbenutzten Rathauses befand. Jetzt bin ich wieder am Anfang meiner Geschichte angekommen. Ich rannte. Die Gestalten hefteten sich gnadenlos an meine Fersen. Sie wollten es unbedingt verhindern. Das Weihnachtsfest. Die englische Regierung wollte Weihnachten nur für sich alleine haben. Da fiel mir ein, dass ich ja die Raketenstiefel noch hatte und aktivierte sie. Dann flog ich einfach davon.

Wichtelweihnacht

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Gemeinschaftsarbeiten

Laserstift und Raketenstiefel. Agent Wu gab mir ein kleines Päckchen in der Größe einer Streichholzschachtel und sagte mir, dass ich dieses Päckchen unbedingt zum Weihnachtsmann an den Nordpol bringen sollte. Weihnachten hinge davon ab!


Der Dackel rülpst inbrünstig.

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Frau Wichtel: Das geht jetzt die ganze Nacht so mit dem Vieh. Das war das letzte Weihnachten, an dem du gearbeitet hast, verstanden!? Nach Silvester suchst du dir gefälligst einen anderen Job.

Gemeinschaftsarbeiten

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Der Dackel rülpst noch einmal. Verschluckt sich dabei aber und lässt wieder einen fahren. Herr Wichtel: Lass es uns bitte noch ein Jahr versuchen mit dem Weihnachtsmann. Er ist ja nicht allein an den Verzögerungen schuld. Die Kinder ändern ja auch bis zur letzten Minute ständig ihre Wünsche. Frau Wichtel: Also ich geh jetzt mal ins Bett. Mach, was du willst. Und dass mir der Dackel ja nicht ins Schlafzimmer kommt! Noch bevor Frau Wichtel die Tür zum Schlafzimmer öffnen kann, krachen Santa Clause und Rudolph mit dem Schlitten ins Haus. Rudolph mit der roten Nase ist schon ziemlich blau. Der Weihnachtsmann kurz vor dem Burn-out. Santa Clause: Wo sind wir jetzt gelandet, Rudolph? Herr Wichtel: In meinem Haus! Frau Wichtel: Was soll das alles!?

Santa Clause: Guten Abend, Frau Wichtel! Frau Wichtel: Was zum Geier machen Sie hier? Santa Clause: Aus irgendeinem Grund ist Rudolph in Ihr Haus gekracht. Ich entschuldige mich für Rudolphs Absturz. Der Dackel hat in dem ganzen Trubel die Gunst der Stunde genutzt und sich mit dem Truthahn ins Schlafzimmer gewälzt. Rudolph: Vielleicht hätte ich ein paar Tassen Punsch weniger trinken sollen. Santa Clause: Frau Wichtel, Herr Wichtel, könnten Sie mir helfen, die letzten Geschenke zu verteilen? Frau Wichtel will zornentbrannt aufschreien. Doch Santa Clause unterbricht sie. Santa Clause: Ihr Mann wird ab nächstem Jahr natürlich befördert und erhält eine dreifache Gehaltserhöhung. Frau Wichtel: (wie ausgewechselt) Das ist ja wunderbar, lieber Santa. Natürlich helfen wir gerne! Herr Wichtel: Was!? Mir verbietest du den Job, und jetzt machst du ihn selber!? Frau Wichtel: Manchmal muss man einfach alles von einer anderen Seite sehen. Jetzt reg dich nicht auf und hilf! Alle steigen auf Santas Schlitten. Santa: Los, Rudolph, und verflieg dich nicht wieder! Der Schlitten fliegt weg. Aus dem Schlafzimmer rollt der Dackel, der den ganzen Truthahn in sich hineingestopft hat. Während das Licht langsam ausgeht und schließlich ganz erlischt, rollt der Dackel auf dem Küchenboden auf und ab und auf und ab und auf und ab …


Der Frühling im Herbst Autorinnen und Autoren: Nadine, Marina, Tobias, Herbert Ich höre dem Heulen des Windes zu Die Blätter laufen über den Boden Am Himmel tanzt die Sonne

Die Maiglöckchen läuten Durch die Wiese bricht neues Gras

Ein letztes grünes Blatt Autorinnen und Autoren: alle Ein letztes grünes Blatt am Baum. Es hängt dort wie ein süßer Traum; es hängt dort mutterseelenallein und kann nicht bei uns Menschen sein. Wie lange noch bleibt es am Stamm – gar bis es zu uns Menschen kann – auf seinem kahlen, dürren Ast? Da macht das letzte Blatt noch Rast, kennt Eile nicht, kennt keine Hast und ist doch eine schwere Last.

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Gemeinschaftsarbeiten

Die Welt wird bunt Kälte lässt die Blätter fallen Das Jahr ist erntereif

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Die Veilchen blühen Die Bäume beginnen zu knospen Ein warmer Wind schmilzt den Schnee


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HOLLABRUNN Klasse Elisabeth Schรถffl-Pรถll & Gerhard Ruiss

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TEILNEHMENDE Georgina Frasl Clarissa Hasenberger Lena Kirchner David Kรถppl Silvana Krumeich Eva-Maria Wagner Lydia Weber David Weihs Sophie Winkler


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Arbeitsschwerpunkte

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Neben der ständigen Schreibtätigkeit, Beteiligung an den Projekten der Niederösterreichischen Kreativakademie in anderen Sparten, an Schultheaterprojekten und am Kulturleben in der Region. Darüber hinaus Vermittlung zu Literaturwettbewerben und Teilnahme an Aktivitäten, die mit den Zielen der Schreibakademie Hollabrunn übereinstimmen sowie Öffentlichkeitsarbeit zu diesen Zielen. Einmal jährlich eine Abschlusspräsentation und Mitwirkung an der Gesamtpräsentation der Niederösterreichischen Kreativakademie.

Vom Start weg In einer Zeit, in der die Sprache nur noch als Informationsträger, Kommunikationsmittel oder zum Kompetenznachweis von Fähigkeiten fernab aller künstlerischer Gestaltungsmöglichkeiten und Ausdrucksmittel dient, kann die Beschäftigung mit ihr und ihrem schriftlichen Ausdruck als formgewordenes Denken gar nicht hoch genug geschätzt werden. Eine Einrichtung wie die Hollabrunner Schreibakademie ist nicht dazu da, um ein schon vorhandenes Wissen über die vielfältigen Funktionen und Bedeutungen von Sprache zu vertiefen, zu verfeinern oder zu perfektionieren, sondern um die Lust an einem anderen Umgang mit ihr zu wecken. Die Teilnehmenden machen diese Erfahrung mit sich selbst von Anfang an, sie formulieren und fixieren ihre Gedanken nicht nur für sich selbst, vertrauen sie ihren Tagebüchern oder Brief-Adressatinnen und -Adressaten an, mailen und ver-

senden sie per SMS oder posten sie in Gruppen, sondern sie machen sie öffentlich, gegenüber den anderen Teilnehmenden und in weiterer Folge bei den inzwischen zahlreichen öffentlichen Anlässen, die sich im Lauf eines Schreibakademie-Jahres ergeben. Wir können nicht entscheiden, wie lange jemand in der Hollabrunner Schreibakademie bleibt, wir können aber mitbestimmen, was jemand, der bei uns mehr als nur einmal zum Schnuppern war, für sich mitnimmt, welche Möglichkeiten für den persönlichen Gebrauch im Umgang mit der Sprache für jede und jeden bestehen. Es muss zwar beispielsweise niemand explizit seine persönlichen Qualifikationen durch das Schreiben von Gedichten beweisen können; Dinge sprachlich auf den Punkt zu bringen oder sich erklären zu können, in der Lage zu sein, Situationen zu überblicken und Zusammenhänge herzustellen, sind jedoch Fähigkeiten, die auch in anderen Situationen von entscheidender Bedeutung sind. Die Arbeit der Hollabrunner Schreibakademie geht somit wesentlich über das Schreiben literarischer Texte hinaus, sie dient der Persönlichkeitsentwicklung und der Persönlichkeitsbildung. Mit wie viel Fantasie und mit welcher Lust, mit wie viel Witz und welcher tiefgreifenden Ernsthaftigkeit das der Fall ist, zeigt die folgende Auswahl an Arbeiten des vergangenen Jahres.

Gerhard Ruiss, Referent der Schreibakademie Hollabrunn


Der Schatz der Worte Zufrieden blicken die jungen Schreibenden und wir Referierende auf die Erfolge der Schreibakademie zurück, zeigte sich doch die steigende Zahl an „Fans“ begeistert von der Vielfalt des Angebotenen und der Ergebnisse. Mit unverbrüchlicher Ausdauer und mit Elan blicken wir alle in die Zukunft, nämlich ins zehnte Schaffensjahr. Unter Berücksichtigung von Individualität, Identität und Würde wurden die Jugendlichen zu kreativem Schreiben angeregt. Ein geringer Teil der Ergebnisse wird in dieser Schrift präsentiert. Nach den Kriterien „Allgemeiner Eindruck“, „Inhaltliche Analyse“, „Sprachliche Gestaltung“, „Beurteilung der Stilmittel“ kam es durchaus zu persönlicher Betroffenheit, mehr aber noch zu Heiterkeit und Stimmung, wenn die Texte reihum zu Gehör gebracht und wertfrei angehört wurden. Die Alterspalette von zehn bis 20 Jahren erwies sich durchaus als

bereichernd. Das Wirken über die Bezirksgrenzen in die Bezirke Tulln und Mistelbach ist erfreulich. An Höhepunkten seien hervorgehoben: die Mitgestaltung des Programmheftes eines Musicals mit Luzia Nistler („High Society“) der Auftritt mit der Tanzturbine („Astrid Lindgren, Tomte Tummetott“) und die Lesungen im Rahmen des Klarinettenkonzertes der Musikschule sowie der Literaturwettbewerb „Zivilcourage“. Doch lassen wir unseren Elternsprecher Helfried Köppl zu Wort kommen: „Unser Wortschatz wird immer mehr zum echten Schatz, den immer weniger Menschen in seiner ganzen Pracht kennenlernen. Die Begleiter der Schreibakademie zeigen den interessierten Kindern und Jugendlichen viele Wege zu diesem Schatz. Im idealen Umfeld der Stadtbücherei bringen sie zu den unterschiedlichsten Themen ihre Gedanken in Form eines Textes auf Papier. Sie lesen diese einander vor und tauschen sich darüber aus. Ich selbst durfte schon einige Male die Freude bei diesem gemeinsamen Tun erleben. Diese Kinder und Jugendlichen hüten und vermehren unseren Schatz. Lesen Sie die heiteren, traurigen, nüchternen, nachdenklichen oder skurrilen Texte der jungen Menschen – und die ganze Pracht des Schatzes breitet sich vor Ihnen aus!“

Elisabeth Schöffl-Pöll, Referentin der Schreibakademie Hollabrunn

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GERHARD RUISS

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Geboren 1951 in Ziersdorf/NÖ, Autor, Musiker, Lehrbeauftragter an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien, Geschäftsführer und Sprecher des Berufsverbands IG Autorinnen Autoren. Verfasser von Hand- und Sachbüchern zur Literatur, u. a. „Handbuch für Autoren und Journalisten“ und „Literarisches Leben in Österreich“. Neuere literarische Einzelveröffentlichungen: Gesamtausgabe der Lieder Oswalds von Wolkenstein in Nachdichtungen, Band 1: Und wenn ich nun noch länger schwieg’, Band 2: Herz, dein Verlangen, Band 3: So sie mir pfiff zum Katzenlohn, Folio Verlag, Bozen, 2011; „Neue Gedichte – Podium Porträt Nr. 59“, Podium, Wien, 2011; „Paradiese. Schöne Gedichte“, Neue Lyrik aus Österreich, Verlag Berger, Horn, 2013; „Das 100. Jahr“, Stück, UA Festival „Luaga & Losna“, Theater am Saumarkt, Feldkirch, 2014. Tonträger: „GÖ“, Ö.D.A. Verlag, Wien, 1995, Zytglogge, Bern, 1996; „ÖHA“, Verlag Buchkultur Wien, 1997; Chansons von Mani Matter im Wiener Dialekt (gemeinsam mit Reinhard Prenn). Auszeichnungen: Berufstitel Professor 2012, Wolfgang-Lorenz-Gedenkpreis für internetfreie Minuten 2013, Medaille des Österreichischen Buchhandels für besondere Verdienste um das Buch 2014.


1944 geboren in Stoitzendorf, lebt und wirkt in Hollabrunn und Krumau. Seit 1985 jährlich Buchv eröffentlichungen. Zuletzt erschienen: allESPalette (Volkskultur NÖ), „Väter im Himmel“ (Bibliothek der Provinz); Seelenland Weinviertel und Beitrag in der Anthologie „Mein Weinviertel“ (Literaturedition NÖ). Gastdozentin auf germanistischen Hochschulen Polens und der „Jungen Uni NÖ“; „Schule der Dichtung“ in Wien (Klassen H. C. Artmann und Gerhard Rühm). Ausflug in die Filmwelt mit Stermann und Grissemann; Ausflug in die Theaterwelt mit Elfriede Ott (Erinnerungstheater Wien); Mitglied in zahlreichen Literaturvereinigungen, der ART-Schmidatal und des P.E.N. Gründerin der Literaturinitiative und Edition DICHTERMÜHLE. Qualitätssiegel für Referententätigkeit im KBW, Education-Award des BM für UKK. Silbernes Ehrenzeichen des Landes NÖ für ihr Werk in Mundart/Schriftsprache und den Einsatz für eine NÖ Landeshauptstadt. Für Kulturvermittlung und Erwachsenenbildung erhielt Elisabeth Schöffl-Pöll das Goldene Verdienstzeichen der Republik Österreich, das Qualitätssiegel der ED St. Pölten. Diplomarbeiten zum Werk wurden auf der Hochschule Tschenstochau und der Universität Innsbruck veröffentlicht.

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ELISABETH SCHÖFFL-PÖLL

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GEORGINA FRASL

Georgina Frasl

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Ich habe verlernt, stark zu sein ... Ich habe verlernt, stark zu sein. Klar, dass ich immer mein Bestes versuche. Dass ich versuche, zu lachen, selbst wenn ich das Gefühl habe, in meinem Magen würde etwas auseinanderreißen. Dass ich mich herrichte, mir was Schickes anziehe. Dass ich lache, laut lache. Mich betrinke. Dass ich tanzen geh. Dass ich mit dir spiele. Dich auf die Tanzfläche ziehen will, weil du dich nicht traust. Nur um dir Monate später von der Galerie aus zuzusehen, wie du unten tanzt und mir winkst, zu dir zu gehen, aber ich nur abwinke. Ich gebe dir das Zeichen „Ich beobachte dich“. Ich habe keine Ahnung, was ich damit bezwecken will. Das ist es doch, oder? Wir haben keine Ahnung, was wir mit irgendwas bezwecken. Wir glauben zu wissen, was wir wollen, bis wir ins Grübeln geraten und uns plötzlich nicht mehr sicher sind. Aber wir waren

niemals sicher. Wir schweben dahin wie eine Feder im Wind und können nicht abwägen, ob uns ein Mieder oder ein Paar Flügel besser tut. Denn wenn wir fliegen, wünschen wir uns nach einer Weile nichts mehr, als wieder den Boden unter den Füßen zu spüren, die warme Erde dampfen zu spüren, zu riechen. Und wenn wir am Boden bleiben, schauen wir doch bei jeder Gelegenheit in den Himmel hinauf, machen Fotos davon, weil wir uns vorstellen, wie es wohl ist, ein Engel zu sein. Wir sind uns nicht mehr sicher, sind nicht konkret, wir sind Halbtagsmenschen. Halbtagsliebe, Halbtagsfreundschaft, Halbtagsberufung. Wir langweilen uns zu schnell. Verlieben uns zu schnell und brauchen drei therapeutische Jahre, um drüber wegzukommen. Wir kommen nicht ins Gefängnis, kommen in keine Jugendstrafanstalt. So etwas kennen wir nur aus dem Fernsehen. Wir wären nie entschlossen genug, etwas auszuführen, das Geld einzustecken, den Abzug zu drücken. Ja, wir schlagen zu, wir treten und spucken und filmen uns dabei. Surfen ist zu unserem Lebenshintergrund geworden. Wir surfen durchs Leben, wie wir durchs Netz surfen. Wir gleiten. Wir sind oberflächlich. Wir müssen uns nicht mehr anpassen, sondern passen andere an uns an. Was nicht passt, wird passend gemacht. Unser Leben ist verchromt, elektrisch und modellartig. Wir brauchen keine Instagram-Filter. Das machen wir schon ganz von selbst.


Pentheleseia war eine große Künstlerin. Ihr Œu­v­re bestand jedoch nicht aus Liedern, Gedichten, Malereien oder Werkstücken. Sie erschuf etwas anderes. Ihr Atelier war die Unterwelt. Sie war dorthin verbannt worden, aus Gründen, die strittig sind. Der wahrscheinlichste aber ist, dass ihre Gabe als Sünde angesehen wurde. Ob sie nun Sünde war oder nicht, soll dem Leser angetragen werden zu reflektieren, ihre Gabe war aber sicher auch ein Fluch. So wie es die Last des Sisyphos war, den Felsen einen Berg hinaufzuschieben und ihn immer wieder, kurz bevor er am Gipfel angekommen war, hinunterrollend zu beobachten, war es ihre Abbitte und Buße, die Schandtat, die sie erst hierher gebracht hatte, wieder und wieder auszuführen. Sie war diese Umgebung nicht gewohnt; die glatten Felsen waren kühl und abweisend, der Boden feucht wie frisches Blut und einen Himmel sah man nicht. Da fühlte sie sich oft

einsam, traurig, oder sie war in Angst und schauderte vor den Schatten, die das lodernde Feuer auf die Felswände schlug. Sie brauchte ein Ventil, um ihren Ärger, ihre Sehnsucht, ihre Trauer auszudrücken, loszulassen. Doch wenn sie versuchte, ein Gedicht zu schreiben, fiel ihr die Feder aus der Hand und brannte große Blasen auf ihre Haut. Versuchte sie ein Bild zu malen oder eine Statue in den Stein zu schlagen, konnte sie nichts auf dem Stoff hinterlassen, oder er zerriss bei der kleinsten Bewegung. Pentheleseias einziger Weg, ihre Gefühle auszudrücken, schien, so war es, sie in Wesen zu verwandeln.. Dann saß sie auf dem Lehmboden und dachte: Wie sieht Angst aus? Und sie dichtete, sie malte in ihrem Kopf, zeichnete Silhouetten und den Körper dazwischen, taufte, gab Leben. Als sie mit ihrem Zauber fertig war, musste sie schlafen, denn das Tier hatte erst zu gedeihen und geboren zu werden. Irgendwann spürte sie, dass es soweit war, stand auf und grub ihre Hände ellenbogentief in die blutige Erde. Die Erde hatte das Wesen geboren. Pentheleseia griff mit der Handfläche etwas Weiches, und fast machte dieses den Anschein, liebevoll zu sein. Doch dann sah sie seine Augen. Angst, dachte Pentheleseia. Ich habe Angst erschaffen. Sie grub das Kind aus, wie eine Hebamme ein Kind zur Welt bringt, und setzte es neben sich. Es brauchte eine Zeit, bis sie wieder den Boden unter sich spürte.

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Das Laster der Pentheleseia

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Maskenball

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Jetzt bist du dran. Erzähl uns eine Gruselgeschichte. Eigentlich kannte ich keine. Keine, die nicht schon hundertmal erzählt worden wäre. Ich konnte kaum denken. Der schlechte Punsch lag mir noch im Magen. Aber plötzlich erinnerte mich an etwas.

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Wie wär’s, wenn ich euch keine Gruselgeschichte erzähle, sondern etwas, das sich wirklich zugetragen hat? Okay. Also, es war letztes Halloween. Maja und ich waren auf diesem Halloween-Clubbing. Sie ging als der Killer aus Texas Chain Saw Massacre und ich als eine Hexe. Das Fest fand draußen statt, weil es immer noch sehr warm war, nur später fing es an zu regnen, und wir wollten nach Hause. Maja war ein bisschen schlecht, also machten wir uns aus, vor dem Nachhause-Gehen nochmal aufs Klo zu gehen. Wir waren auf der Tanzfläche und standen noch mit den Burschen zusammen, die uns eingeladen hatten. Dann ging Maja plötzlich weg, um eine ankommende Freundin zu begrüßen.

Ich trank mein Getränk aus, und schon kam sie wieder zurück. Ich schrie: Maja, los! Das weiße Maskengesicht drehte sich nach mir um. Ich nahm ihre Hand und zog sie raus aus der Menschenmasse. Sie fühlte sich komisch an. Rau, kalt und ihre Fingerspitzen stachen in meine Handfläche. Ich hätte schwören können, dass sie sich vorhin ganz anders angefühlt hatte. Ich betrachtete die Hand. Sie war bleich, doch vorhin hatte sie noch vom Sommer ganz braun ausgesehen. Ich dachte schon, ich würde spinnen. Da drehte ich mich um und sah die gelben Scheinwerfer. Gut, ich war wieder ruhig. Die Hand hatte so braun ausgesehen wegen der Scheinwerfer. Das Klo war in so einem Campingwagen, ein Stück weit weg von der Tanzfläche und den Bars. Ich sperrte mein Klo zu und sagte zu Maja: Ist dir immer noch schlecht? Ich hab Magentropfen mit, wenn du welche haben willst. Sie antwortete nicht. Ich öffnete die Tür, und auf einmal stand sie da. Starrte mich an mit ihrem weißen Maskengesicht. ,,Ist alles okay?“, fragte ich. Verwirrt, weil ich keine Antwort bekam, sagte ich ,,Komm!“ und nahm sie wieder bei der Hand. Draußen angekommen, zog sie mich plötzlich, sodass ich ins nasse Gras fiel. Ich sagte wieder: ,,Maja?“ Sie stand nur da und senkte den Kopf wie eine Eule, nachdenklich, ob das wirklich ihr Name sei. Ich rappelte mich auf und rannte, so schnell ich konnte. Ich rannte, bis ich wieder bei der Tanzfläche ankam. Völlig aus der Puste fragte ich die Burschen, wo Maja war. Da griff mir plötzlich jemand auf die Schulter – ich blickte mich um, und da stand sie. Ich riss wie aus einem Reflex ihre Maske herunter. ,,Gott, was ist denn mit dir los?“, fragte sie.

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Wir sind alle Figuren aus Plastik

&‘ das ewige Schreiben auf Papier macht depressiv.das Aufschreiben von Wörtern in Zeilen die Sätze und Sinn ergeben sollten uns aber im Endeffekt eh nur das sagen was wir hören wollen.sind zu blind für die eigene Gesellschaft.vergraben die Wunder der Erde unter Klatsch und Tratsch der Leute.muss alles einmal rausschreien.all das was Menschen verdrängen & all das was sie nie hören wollen ihnen vor die Füße legen.ihnen schreiend klarmachen dass wir uns selbst zerstören.so laut schreien bis wir Blut spucken & Wörter kotzen.so dass sie endlich mal aufhören alles zu ignorieren was sie zerstören könnte.sodass sie endlich mal anfangen aufzuhören.

wir sind alle Figuren aus Plastik. Wir wollen alle einzigartig sein.keine Kopie sein.sich selbst finden.wollen alle besonders sein doch das macht uns doch so gleich.unser Körper besteht aus falschen Komplimenten & unechtem Lachen.suchen uns selbst doch haben uns auf dem Weg dorthin verlaufen.wir übersehen die Wunder dieser Welt.sind zu sehr mit unserer perfekt unperfekten Einzigartigkeit beschäftigt.ignorieren die leeren fahlen Menschenhüllen welche Tag für Tag unsere Wege kreuzen.gefühllos.leer. versuchen keine Emotionen zu zeigen um nicht noch einmal mit harten steinernen Worten beworfen zu werden.strikt den Blick geradeaus auf das Ziel gerichtet.einfach daraufloslaufen ohne auf die Hüllen der anderen sogenannten Menschen zu achten.wir sind alle Figuren aus Plastik in dem Spiel des Lebens.

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&‘ das ewige Schreiben ...

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Clarissa Hasenberger

CLARISSA HASENBERGER


Das andere Ich 1

2 Es zerstört ihn Er versteckt sich in seinem anderen Ich Er sieht glücklich aus Er weint Doch keiner sieht ihm an wie er wirklich ist Nicht einmal er selber

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Clarissa Hasenberger

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Es zerstört ihn Jede einzelne Träne macht sein Gesicht Wieder normal Doch er kann nicht anders Sie kommen einfach Langsam kommt sein Alter Ego Zum Vorschein Er verschwindet

Es zerstört ihn Jeder einzelne Tropfen macht sein Gesicht Wieder normal Unnormal! Doch er kann nicht anders Sie kommen einfach Langsam kommt er zum Vorschein Er verschwindet 4 Er schminkt sich ab Clown


Entschluss

Immer wenn ich alleine bin, wird mir klar, was aus mir geworden ist. Ich blicke in den Spiegel und sehe meine blasse Haut voller Narben, gezeichnet vom Leben. Sie sind ein Teil von mir. Ein Teil meines zerstörten Lebens. Ein Teil meiner gescheiterten Existenz. Ich wurde allein gelassen, beschimpft, verstoßen. Keiner war für mich da. Keiner ist mir geblieben. Ich denke über mein Leben nach und komme zum Entschluss, dass es nicht mehr lebenswert ist, es sich nicht mehr auszahlt, so weiterzumachen. Nicht mehr auszahlt zu leben. Niemand würde mich vermissen. Niemandem würde ich auch nur im Geringsten fehlen. Ich blicke in den Spiegel und sehe in meine leeren Augen. Augen, die vom Leben bereits verlassen scheinen. Augen, denen jede Art von Emotion fehlt. Ich wende meinen Blick ab. Kann den Anblick meines hoffnungslosen Etwas nicht mehr ertragen. Ich will unter mein Leben einen Schlussstrich setzen. Will mein erbärmliches Dasein beenden.

Ihr Entschluss steht fest. Sie wird fliehen … Sie muss fliehen … So kann sie nicht weiterleben. Umgeben von ihren Eltern. Kontrollsüchtig. Eiskalt. Liebe hat sie von ihnen nie bekommen, Schläge dafür umso mehr. Sie wurde eingesperrt, kontrolliert, bewacht. Behandelt wie eine Schwerverbrecherin. Wie ein krimineller Erwachsener. Kind konnte sie nie sein. Sie lebt wie in einer Glaskugel. Kann die Welt beobachten, die Freiheit spüren, und doch trennen sie die gläsernen Wände von der Außenwelt, von der Normalität. Wände, die ihre Eltern nach und nach errichtet haben. Wieder aufbauten, wenn sie versuchte, sie einzureißen. Sie muss hier weg. Muss die Wände, die sie von der Außenwelt trennen, einschlagen. Muss diesen Albtraum hinter sich lassen. Ein neues Leben beginnen. Ein Leben in Freiheit. Sie öffnet ihre Augen. Erwacht aus ihrem Traum. Befindet sich in der Realität. Blickt durch die gläsernen Wände. Blickt in die Freiheit. Eine Freiheit, von der sie nur träumen kann.

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Lieblingswörter

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Lena Kirchner

LENA KIRCHNER


Helden, gibt’s die?

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Ich bin allein. Allein in dieser viel zu großen Welt. Einer Welt, in der bei Weitem nicht alles gut läuft. Einer Welt, in der das Böse das Gute beherrscht. Einer Welt, in der Dummheit über Intelligenz steht.

Lena Kirchner

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Jede/r schaut auf sich selber. Keine/r auf den anderen. Wir sind allein. Uns selbst überlassen. Wir sind Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfer. Kämpfen für uns selbst, ohne Rücksicht auf Verluste. Ohne Rücksicht auf die anderen. Ohne Rücksicht auf uns selbst. Wir wollen alles. Haben alles. Sind aber dennoch nicht zufrieden. Wir denken nur an uns. Sind eigensinnig.

Sind allein. Allein in einer Welt voller Menschen. Einer Welt, der langsam die Helden ausgehen. Helden, die anders sind als wir. Helden, die unsere Welt ein wenig lebenswerter machen. Helden, die uns weiterhin an das Gute im Menschen glauben lassen. Sie sind Kämpfer. Wie wir. Sie sind Menschen. Wie wir. Mit einer Ausnahme. Sie kämpfen nicht für sich. Sie kämpfen für uns. Für unsere Welt. Für unsere Zukunft. Helfen, wann sie können. Helfen, wenn Hilfe benötigt wird. Helden leben nicht für sich. Helden leben für uns. Helden leben für unsere Welt. Helden leben für unsere Zukunft. Helden geben uns Hoffnung. Hoffnung in unserer verkorksten Welt. Hoffnung für uns selbst.

Grenzen Du musst deine Grenzen kennen! Wie oft habe ich diesen Satz schon gehört! Wie oft habe ich diesen Satz hinterfragt! Seine Richtigkeit bezweifelt. Doch dann habe ich am eigenen Leib spüren müssen, wie richtig er ist. Ich habe meine Grenzen nie gekannt. Wusste nicht, wie weit ich gehen kann. Wusste nicht, wann ich sie überschritten habe. War immer knapp davor. Und dann kam es, wie es kommen musste. Ich machte einen Schritt zu viel. Einen Schritt über meine Grenze. Einen Schritt ins Ungewisse. Er wird mich immer begleiten. Tagein, tagaus werde ich an ihn erinnert. Er brachte neue Grenzen mit sich. Grenzen, die ich so noch nicht kannte und auch nicht kennen lernen wollte. Sie veränderten mein Leben, mein Denken, mich. Ich sitze im Rollstuhl. Warum? Weil ich meine Grenzen nicht kannte. Weil ich sie nicht einhielt. Jetzt weiß ich, wie es hinter diesen Grenzen aussieht. Weiß, dass mich noch mehr von ihnen erwarten würden. Mich noch mehr eingrenzten. Weiß, wie wichtig es ist, seine Grenzen zu kennen.


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DAVID KÖPPL

Das erste Mal. Das letzte Mal.

Ich bin krank. Sterbenskrank. Ich bin zu müde. Zu müde, um aufzustehen. Zu müde, um zu essen. Zu müde, um mich zu bewegen. So viele Jahre lang habe ich gekämpft. Ich habe gekämpft mit all meinem Einsatz, mit all meiner Kraft. Ich habe mich gewehrt, habe nicht aufgegeben. Alles nur für euch. Für euch, die ihr auf mich eingeredet habt, nicht aufzugeben. Obwohl ich wusste, dass es vorbei war. Es ist vorbei. Ich habe mein Leben gelebt, jetzt bin ich müde. Täglich habe ich mich mit Medikamenten vollgepumpt. Ich habe brav meine Tabletten geschluckt und jeden Tag Spritzen bekommen. Doch wozu? Hätten sie mich doch gleich sterben lassen! Hatten sie doch von Anfang an gewusst, dass ich es nicht schaffen würde. Bis jetzt bin ich immer aufgestanden, doch morgen würde ich nicht mehr aufstehen.

Du weißt, dass du niemals wieder hierher zurückkommen kannst. Niemals wieder diesen vertrauten Geruch nach Bäumen und Blättern, nach Erde und Trockenheit einatmen. Niemals wieder diese flaumig-zarten Pflanzen berühren. Niemals wieder hier sitzen, so wie jetzt, und hinausstarren in diese freundliche Welt. Niemals wieder den Blumen beim Wachsen zusehen, niemals wieder die Geräusche des Waldes genießen. Das Rauschen der Blätter, das Zwitschern der Vögel. Niemals wieder hier sitzen und etwas Neues entdecken. Niemals wieder die Schönheit jedes einzelnen Winkels beobachten. Nein. Jetzt musst du gehen, jetzt wirst du der Natur entrissen. Zurück in den Alltag, zurück in die Stadt. Jeden Tag das gleiche Muster. Keine Schönheit. Keine Veränderung. Was wissen denn die großen Firmenbosse, die reichen Geschäftsmänner schon vom Glück und Reichtum des kleinen Mannes? Es widerstrebt dir, doch du musst loslassen. Jetzt sofort. Adieu, du Schönheit des Waldes, du Wunder Natur. Und alles nur für ein Leben in der Stadt, für eine Stelle am Fließband, für Geld. Du fühlst es, als wäre es das erste Mal. Das erste Mal. Das letzte Mal.

David Köppl

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Krank


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Es stimmt nicht, dass ich dich nicht leiden kann

Und trotzdem: Es stimmt nicht, dass ich dich nicht leiden kann. Ich spüre es. Etwas in mir sagt, dass du ja eigentlich ganz nett bist.

David Köppl

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Du bist dick. Du magst Gruselgeschichten und Brokkoli. Du magst Waffen und Panzer, Kriegsschiffe und Kampfjets. Du weißt unglaublich viele Dinge. Du weißt so viele Zahlen: Die Anzahl der Bodentruppen des kroatischen Heeres, die Anzahl der Monde von Jupiter und die Anzahl der Atome eines Wasserstoffmoleküls. Und damit nervst du jeden in unserer Klasse. Du bist unfreundlich und erzählst in einem durch lauter Lügen. Du hast einen auffallenden Charakter. Du bist laut und unberechenbar. Du kannst nicht zuhören und hast schlechte Noten. Du störst den Unterricht und verletzt absichtlich andere. Du bist also das genaue Gegenteil von mir.

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Mir persönlich hast du ja nie etwas getan. Ich habe es nur gesehen, teilweise nur gehört. Du tust mir sogar ein bisschen leid. Alle behaupten, dass du nichts Gescheites weißt. Obwohl du doch SOOOOOOOOOO viel weißt. Nur eben nicht über die Themen, die wir in der Schule durchnehmen, sondern gerade über die Themen, die niemanden interessieren. Du willst aber dein Wissen mit anderen teilen. Doch das will niemand mit dir, und so machst du dich unbeliebt. Du bist eigentlich arm. Du willst doch nur mit anderen reden, doch wenn du es versuchst, weisen dich die anderen ab. Und das nicht gerade freundlich. Das lässt du dir natürlich nicht gefallen und schlägst mit Worten zurück. Und dieser Krieg der Worte zieht sich zäh und qualvoll durch eine nie enden wollende, eiskalte Spirale der gegenseitigen Verachtung. Alle sind schuld. Du und die anderen. Beide haben den Krieg der Worte vorangetrieben. Und das Kriegsopfer der einen Seite hängt nun an mir: Du. Täglich nervst du mich auf deine unausstehliche Art, damit du nicht völlig verkümmerst. Doch den Krieg der Worte führst du weiter. Warum? Wozu? Wie kann ein scheinbar so harmloser Krieg doch nur so schwerwiegende Folgen mit sich ziehen? Was soll ich mit dir anfangen? Ich weiß es nicht. Ich weiß nichts mehr.


Wenn du liest, kannst du die Welt verändern Wenn du schreibst, kannst du die Welt verändern Wenn du hörst, kannst du die Welt verändern Wenn du lachst, kannst du die Welt verändern Wenn du sprichst, kannst du die Welt verändern Wenn du kochst, kannst du die Welt verändern Wenn du kletterst, kannst du die Welt verändern Wenn du Freude zeigst, kannst du die Welt verändern

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Wenn du

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Silvana Krumeich

SILVANA KRUMEICH


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Eva-Maria Wagner

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EVA-MARIA WAGNER Das erste Wort

Die nächste Eiszeit kommt bestimmt

Graue Wolken Nebelschwaden Strömender Regen – Stimmung der Toten

Die Sonne scheint erbarmungslos heiß auf meine blasse Haut und hinterlässt einige Brandwunden. Meine Kleidung ist schweißnass; meine Shorts drohen, mir das Blut abzuschneiden, und mein T-Shirt klebt so fest an meiner Brust, dass man meinen könnte, es wäre mein persönlicher Killer. Es ist heißer, als es all die Jahre zuvor je gewesen ist. Die Erde erhitzt sich im Rekordtempo, sodass sie wohl selbst bald als Sonne durchgehen könnte – ein Feuerball, ohne jegliches Leben.

Kleine Familie: Mutter und Vater zweijähriges Kind. Vor Kälte zitternde Körper Von Trauer durchschüttelt Vor Ohnmacht schluchzend. Das Kind Von Eltern liebevoll umarmt Spricht sein erstes Wort Am Grab seiner Schwester: Lieb. Und das Wort Nimmt die Tränen in sich auf – für immer.

Trotzdem friere ich, als läge ich im Sterben und die Kälte würde Besitz von meinem toten Körper ergreifen. Ich presse meine Lippen fest zusammen und stampfe mit beiden Beinen abwechselnd mit der restlichen Kraft, die ich noch habe, in den Boden. Doch egal, wie viel und wie schnell ich mich bewege, die Wärme, die dabei erzeugt wird, löst sich sofort wieder in meiner inneren Kälte auf. Was soll das hier alles werden? „Scheißeee!“, schreie ich in den heißen, trockenen Wind, während ich mir den Arsch abfriere. Niemand antwortet, nur das Echo. Na toll, jetzt bin ich auch noch alleine. Alleine in einer Welt, die nach und nach in Flammen aufgeht. Alleine in meiner Welt, die von purem Eis erfüllt ist. Ich hoffe nur, dass ich nicht für immer mutterseelenallein leiden werde. Ich hoffe, eines Tages mit der Erde den Kältetod zu sterben. Denn eines ist sicher: Die nächste Eiszeit für euch kommt bestimmt.


Der Abschied meines Lebens

Es ist alles zu viel. Ich ertrage mein Leben nicht, obwohl ich längst keines mehr habe. Es ist mir genommen worden, als du gestorben bist. Du hast einen Teil von mir gestohlen und mit in den Tod gezogen. Du hast mich im Stich gelassen, obwohl du es nicht einmal gewollt hast. Wie kann und soll ich denn leben ohne dich? Ich bin auf dich angewiesen, Timmy. Du bist mein bester Freund, und allein du lässt mich sehen, obwohl ich eigentlich nicht sehen kann. Ich bin blind, Timmy – und du weißt das. Alles, was ich zu sehen glaube, ist nichts Weiteres als eine Illusion, in der ich lebe. Tag für Tag sitze ich auf dieser Klippe und frage mich, ob mich jemand vermissen würde, wenn ich springen würde. Frage mich, wozu es sich zu leben lohnt, wenn ich nicht einmal mein eigenes Spiegelbild betrachten und die Person, die ich bin, sehen kann.

Doch der Tod hat den unterzeichneten Vertrag zerrissen und, die Wahrheit hat die Papierfetzen davon geweht. Es ist Zeit loszulassen, mein lieber Timmy. Ich stoße mich von der Klippe und breite meine Arme aus, um mich in eine der Möwen am Himmel zu verwandeln. Der Wind hüllt meinen Körper ein und drückt gegen meine Brust, was mir das Atmen erschwert. Es sind die längsten Sekunden meines Lebens – aber dann umarmen mich die Wassermassen und saugen die Luft aus meiner Lunge. Ich werde mit der Ewigkeit belohnt und mit dem Gefühl, dir wieder nah zu sein. Endlich, nach zu langer Zeit, liege ich auf deinem braunen Fell, deine rosa, nasse Zunge leckt mir liebevoll übers Gesicht. Das Leben nach dem Tod gehört uns, Timmy, aber es hat sich etwas geändert. Du bist kein Blindenhund mehr, sondern meine Zukunft.

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Ich blicke wieder hinab in das Meer, das vom Sturm aufgewühlt wird – wie meine Seele, wie mein Leben.

Warum ich trotzdem weiß, dass ich ich bin und wirklich lebe? Weil du es mir gezeigt hast. Tag für Tag, bis es mir in Fleisch und Blut übergegangen ist. Du warst der, der eine Pfote auf meine Hand gelegt hat; als Versprechen, mir für immer zur Seite zu stehen und mich durch die Dunkelheit meines Lebens zu führen.

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Diebstahl für ein Leben

Eva-Maria Wagner

Graue Wolken verdunkeln den Himmel – es passt perfekt zu meiner Stimmung. Ich schaue hinunter, das Meer bäumt sich auf, die Wellen richten sich auf. Kleine Wassertropfen spritzen hoch und beleben meine kalten, toten Füße, die im Rhythmus hin und her baumeln. Ich werfe den Kopf in den Nacken und sehe die Möwen ihre Kreise ziehen – sie wirken so frei. So frei, wie ich auch sein möchte, doch das ist Wunschdenken. Ich bin an zu viele Verpflichtungen gebunden, die mir über den Kopf wachsen und mir beim Hals raushängen. Ich habe eine große Verantwortung zu tragen, die schwer auf meinen Schultern lastet. Sie ist zu groß, um sie auszusprechen.

Reise ohne Ziel Landflucht Mit Geld Verantwortungslast Ungeborenes Leben Unter meinem Schutz Millionenschwere Taschen Goldkoffer Bankenleere Fehlende Millionen Mein Diebstahl Für kommendes Leben.

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Der Katstrophen-Marathon

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Heute ist der Tag des großen Rennens, über das sich schon die ganze Welt das Maul zerfetzt. Es heißt, der Gewinner darf Papst werden. Und da legen sich natürlich alle mächtig ins Zeug. Der Karl Huber ist an der Spitze und führt, obwohl er eher wie eine Ente daherwatschelt und dabei mit dem Franz Wiesenbauer hinter ihm ein Kaffeekränzchen hält.

Eva-Maria Wagner

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Der Franz Wiesenbauer wiederum kann nicht einmal ordentlich gehen, und wenn doch, kann er sich nicht entscheiden, ob nach rechts oder nach links. Er torkelt wie ein Pendel hin und her und latscht sich dabei fast selbst auf die Füße. Ein Wunder, dass es ihn noch nicht auf die Schnauze gehauen hat. „Hey, du Penner!“, ruft Peter Lustig und überholt Sepp Bettenknutscher, der jetzt seine dritte Stelle im Rennen verliert. Aber wie soll er sich denn auch auf seine Füße konzentrieren, wenn er doch viel lieber an seinen Daumen lutscht und ihm seine Zipfelmütze die Sicht versperrt. Außerdem hat er die Augen geschlossen und weiß wahrscheinlich nicht einmal, dass er sich bewegt. Ganz zu schweigen davon, dass er an dem wichtigsten Rennen der Welt teilnimmt.

Da hat es unser Peter Lustig ja noch besser getroffen, der ganz stolz auf seine „Calvin Klein“-Unterhose ist, die er wie eine Haube auf dem Kopf trägt. Immer wieder zeigt er begeistert auf sie und hofft, dass ihn die Zuschauer deswegen bejubeln und anfeuern. Armer Peter, schließlich erinnert er jetzt an ein Werbeplakat ... Der Fünfte folgt zugleich und das ist Susanne Wilfrid, die schon etwas betagt ist. Ja, auch Frauen können an diesem speziellen Rennen teilnehmen. „Du Trottel!“, brüllt sie wie am Spieß. „Fühlst dich wohl wie der King, weil du den Schlafwandler überholt hast, was? Schade, Peter.“ Von der Wut getrieben, rollt sie die großen Räder ihres Rollstuhls immer schneller und ist schon bald auf derselben Höhe wie Peter Lustig, der gar nicht weiß, wie ihm geschieht. Die Alte lächelt ihn an und entblößt ihre gelben, mit schwarzen Punkten versehenen Zähne. „Hey baby, are you ready to ride me?“, fragt sie und wackelt anzüglich mit den Brüsten, wodurch es sogleich geschafft ist. Sie hat Peter Lustig außer Gefecht gesetzt, denn der steht jetzt mitten auf der Rennstrecke und kotzt sich die Seele aus dem Leib. Susanne lacht wie die Sonne am strahlend blauen Himmel und hat schon bald Franz Wiesenbauer hinter sich gelassen; Sepp Bettenknutscher kann sie sowieso nicht überholen, weil der irgendwie nicht mehr da ist. Wahrscheinlich ist er aus seinem Albtraum erwacht. Jetzt fehlt nur noch Karl Huber, der schon so weit ist, dass er sogar mit der Luft redet, nur um nicht allein zu sein. Susanne hält ihn am Hosenbund fest, was zur Folge hat, dass ihm die Hose herunterrutscht und seine „Calvin Klein“-Boxer ans Tageslicht bringt. Susanne zieht Karl zu sich herunter und presst ihre Lippen auf seine. Damit hat sie ihn endlich zum Schweigen gebracht. Er ist so perplex, dass er in Ohnmacht fällt. Das letzte Mal dreht Susanne an den Rädern und überfährt die Ziellinie. Strahlend reißt sie die Hände hoch, aber das Publikum fällt in Ohnmacht.

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LYDIA WEBER

Beten und Hoffen Früher hofften und beteten die Menschen und warteten auf das Ende des Krieges. Sie hofften, dass ihre Lieben, wenn sie abends zu Bett gingen, morgens noch am Leben sein würden. Doch leider ging die Hoffnung meist NCHT in Erfüllung. Und die, die zurückkamen, waren gezeichnet: psychisch und physisch. Doch heute? Heute hoffen und beten wir und warten auf Besserung der Weltlage. Das Beste wäre, wenn es schon Krieg geben muss, dass wenigstens niemand hingeht!

Lydia Weber

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Lydia Weber

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Traum

Nimm mich mit in deine Welt

Ich liebe dich wie eine Nachtigall die Nacht

Nimm mich mit in deine Welt, Du Elfe der Dunkelheit; Du Königin der Nacht!

Ich liebe dich wie die Sonne das Meer Doch du mich nicht das ist mir klar Ich habe mir deinen Namen mit kalter Klinge auf die Haut geschrieben Ich versuche dich zu hassen, obwohl ich weiß es wird mir nicht gelingen Denn ich habe deinen Namen auf meiner Haut verewigt Irgendwann werde ich lernen zu akzeptieren dass das mit uns ein Traum ist

Hindere mich am Scheitern meines Seins; Lass mich gehen Lass mich fliehen An deiner Seite Alle Vollkommenheit, die du in dir vereinst: Lehre mich, vollkommen zu sein. Lass mich teilhaben An deinem Reich, Welches Schönheit und Grausamkeit vereint. Hilf mir mich zu finden, Bevor der Tag erwacht. Bevor der Morgen beginnt Und die Realität mich Vereinnahmt.

Ein wundervoller Albtraum.

Wie weit gehen Menschen ... Wie weit gehen Menschen, um sich „normal“ zu fühlen? Die Gesellschaft sagt zwar: „Sei, wie du bist, versteck dich nicht!“ Aber wenn man sich zeigt, wird man stigmatisiert. Manche kennen die „Grenze“ nicht. Wie weit man gehen kann, ohne seelische Pein zu verursachen. Gewiss, diese Grenze ist hauchdünn. Aber man muss lernen, diese nicht zu übertreten. Sonst zerstört man Seelen oder noch schlimmer: Leben


Text ohne Titel

Die Säbelzahnschlange ist Nachfahre des Säbelzahntigers. Vor 10.000 Jahren ist dieser ausgestorben. Und erst vor 16 Jahren ist die Säbelzahnschlange aufgetaucht.

In Zitronenbäumen – da befindet sich sein Nest! Er zieht mit seinen Küken weiter. Wohin? Ja wohin? Irgendwo in die kalten Grönlandgebiete. Doch für seine Herde war selbst dieser Platz zu klein. Zu klein und zu kalt. Zu düster und zu dunkel. Zu klein? Zu klein, weil es zu wenig Zitronenbäume gibt. Und die Zitronenbäume musste man für Feuer fällen. Und immer mehr von ihnen verloren ihr Zuhause. Sobald das geschehen war, starben sie. Doch jeder Tote bildete einen neuen Zitronenbaum. Aber, bis man dort einziehen konnte, dauerte es lange. Ihr König war verzweifelt. Von Abermillionen waren jetzt nur mehr einige hundert da, die ebenfalls immer weniger wurden. Von mehreren hundert nur mehr mehrere zehn. Der König ließ eine Brücke nach Island bauen. Dazu mussten sie aber die restlichen Bäume fällen. Das war jedoch nicht möglich. Wären sie doch gleich darauf gekommen, die Bäume nicht für Feuer zu verwenden.

1998 fand der berühmte Forscher Marix Miller die ersten Exemplare. Angeblich hat der letzte Säbelzahntiger, indem er einen Pfeilgiftfrosch gefressen hatte, neues Leben erschaffen. Nach und nach vermehren sich die Schlangen auf unserem Planeten. Jetzt finden sie nicht nur im Regenwald Unterkunft, sondern haben auch in Mexiko ihr Unterkommen. Bis heute gibt es dieses Tier schon rund 1000 Mal öfter als die ersten Exemplare. Und giftig sind die Tiere auch noch. Oje, schlecht für uns Menschen!

Die Melkerkuh – mit 80 Wahrhaft, bald kommt es auf uns zu, das große Fest der Melkerkuh. Die Melkerkuh, schon 80 alt, in ihrem Stall ist’s immer kalt! Bald kommet ihre Freundeschar, zu diesem Fest: hurra, hurra.

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Säbelzahnschlange

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David Weihs

DAVID WEIHS


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Reklamation

Tag und Nacht

Sophie Winkler

SOPHIE WINKLER

„Sehr geehrter Herr Tim Cook!

In einer kühlen Nacht, wenn die Sterne hoch am Himmel stehen und all die Freaks und Psychopathen ihre Häuser verlassen, erwacht auch der Hybrid aus seinem Schlaf und bereitet sich auf die Jagd vor, um seinen ewigen Hunger zu stillen. Den wundersamen Hunger nach allem, was das Leben hergibt.

Mein Modell des iMenschen ist leider Gottes sehr rebellisch, verlässt nie sein Zimmer und verbringt die ganze Zeit im Internet! Ich glaube, mir wurde die Teenager-Version zugesendet. Wenn es Ihnen keine zu großen Umstände bereitet, können Sie mir bitte die erwachsene Version zusenden? Oder eine Gebrauchsanweisung, wie ich meinen iMenschen uminstallieren kann? Aber bitte schnell, ich glaube, er hat gerade das WLAN-Passwort gefunden!

Frisches Blut läuft die Kehle der Bestie hinunter, und die langen Fänge reißen freudig Stücke aus dem warmen Körper. Die Angst in ihren Augen, der rasende Herzschlag, die letzten Schreie, all das erstickt den Hunger nicht, es weckt ihn nur. Er weiß, dass sie ihn widerlich finden, den haarigen Körper, die zu langen Zähne, den rot befleckten Pelz. Die ganze Nacht wird er es genießen, den ganzen Tag wird er sich selbst dafür verabscheuen. Wird Tränen vergießen für die unschuldigen Opfer. Doch so viele Tränen er verliert, so viel Blut wird er in sich aufnehmen. Entsetzt starrt er in den Spiegel, sieht zu, wie sich sein Gesicht verformt und wie er langsam eine animalische Gestalt annimmt. Der Hybrid schaut nie in den Spiegel.


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GEMEINSCHAFTSARBEIT

Verrücktheitssuppe

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Nachtblüte Traumoase Oasenseele Ringelnatterschwanz Vogelspinnenmatratze Wasseratem Wassernähe Augenweh Augenkern Buchstabenkerl Fingerspitzentraumbett Glücksgefühlwert Nachtglühen Kirschenweihe Kirschenzweig Lichtertod Tagweite Sonnentraumtanz Spurenbuch SternSuppenwarte Nachtinacht Nachtigall

Gemeinschaftsarbeit

Autorinnen und Autoren: Eva Maria Wagner, Lydia Weber, David Köppl, David Weihs Tagträume Wüstenbeschluss Flughundsofatränen Wortbesinnung Fußknollensonne Freundesgekuschel Vanillewassereiskälte Nähe der Nacht Lebenswasser Hilfe Warm Segenregen Sehen Buchstabzwerg Finger Glück Feier Frische Licht

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HORN Klasse Rudolf Aubrunner

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TEILNEHMENDE Imre Benedikt Elliott Chan Lautaro Iriarte David Lischka Annika Mayer Laurin Sterkl Fabian Stummer Crystal Tiki


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Es gibt uns, hier in Horn, offiziell seit dem Herbst 2010, denn vorher haben wir uns ein Semester lang inoffiziell, einmal wöchentlich, getroffen und unsere Schreibstunden absolviert. Man weiß in der Stadt, dass es uns gibt, weiß, dass hier talentierte, interessierte und engagierte junge Schreiberinnen und Schreiber von 14 bis 18 Jahren am Werk sind, die auch öffentlich schon aus ihren Werken vorgelesen haben. Wir konnten dank der großzügigen finanziellen Unterstützung der Stadtgemeinde Horn und der Umsetzung durch den Herausgeber der weithin bekannten und renommierten „Edition Thurnhof“, Toni Kurz, im Juni des Jahres 2011, beim Abschlussfest der Niederösterreichischen Kreativakademie in Horn, einen Sammelband mit dem Titel „Leidenschaften“ präsentieren, mit unseren Texten und dazu passenden Illustrationen von Teilnehmenden der Niederösterreichischen Malakademie. Man hat ihr, der Literatur, bereits in den turbulenten sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts den Totenschein ausstellen wollen, immer und überall wurde damals vom „Tod der Literatur“ und vom „Tod des Autors“ gesprochen, doch man hatte voreilig, stürmisch und blind, wie man war, die Rechnung ohne die Literatur selbst gemacht, denn sie – die Sprache und Schrift gewordene Stimme des Menschen in der großen Stille, der Speicher und das Archiv der menschlichen Ängste, Träume, Sehnsüchte, Begierden, Bestandsaufnahmen und Fantasien vor dem Hintergrund der jeweiligen Zeit –

lebt noch immer, wird noch sehr lange leben und gibt, dank der jungen Schreiberinnen und Schreiber hier in Horn wie auch in den anderen Standorten der Niederösterreichischen Schreibakademie, kräftige Lebenszeichen von sich und wird das auch weiterhin tun. Als eindrucksvoller Beweis dessen möge – neben den Einzelbeiträgen der Jungautorinnen und Jungautoren – die von uns, in konsequenter Gemeinschaftsarbeit, von Oktober 2015 bis Juni 2016 entstandene Erzählung „Wiener Blut“ dienen, in der wir versucht haben, das Handwerk des Schreibens, nämlich die Zeichnung und Beschreibung von Figuren und Schauplätzen sowie den konsequenten Aufbau eines Plots in Sprache umzusetzen.

Über die Arbeit mit meinen Schreibschülerinnen und -schülern: „Wir sind einander, aus verschiedenen Richtungen, Zeiten und Köpfen kommend, begegnet, haben uns, vorerst einander noch fremd, langsam kennengelernt und gehen nun, in der immer flüchtigen Zeit, schreibend, ein Stück des Weges miteinander, wir reisen, gelegentlich, ausgehend von berühmten Eröffnungssätzen berühmter Werke, durch die Literaturgeschichte, durch die Werke und die Lebensgeschichten von Autoren, wir analysieren die Worte und die Struktur von Gedichten und Prosatexten, denn so wie Schreiben Lesen heißt, heißt Lesen auch Schreiben, und wir schreiben jeder, in seiner Einsamkeit, für sich, wir schreiben aber auch miteinander, Prosa oder Gedichte, erleben so das augenblickliche verblüffende Entstehen von Texten, wir lernen voneinander und beeinflussen uns gegenseitig, und ich persönlich nehme jede/jeden dort auf, wo sie/er gerade steht, wie sie/er gerade schreibt und versuche, wenn sie/er es notwendig hat, ihr/ihm weiterzuhelfen und sie/ihn zu ermutigen, um weiterzukommen, weiterzureisen, weiterzuschwimmen im unendlichen Meer der 26 Buchstaben des Alphabets, im Meer der Worte und Sätze, versuche, den Blick auf die Wirklichkeit, auf literarische Werke, auf die Sprache und auf die Form zu schärfen, jede/ jeder soll, nach jeder Stunde, etwas Neues erfahren haben und mitnehmen, und sollte mir das alles, auch nur teilweise, also in winzigen Ansätzen, gelingen, so habe ich mehr erreicht, als ich mir in meinen Träumen zu erhoffen wagte ...“

Rudolf Aubrunner


Schreibakademie HORN

RUDOLF AUBRUNNER 1958 in Altenburg/NÖ geboren, Matura in Horn, Arbeit in verschiedenen Berufen, seit 2005 freier Schriftsteller, seit September 2010 Leiter der Niederösterreichischen Schreibakademie in Horn, seit Februar 2011 Leitung einer Schreibgruppe im Therapiezentrum Gars/Kamp, seit 2003 Arbeit an der mehrtausendseitigen, noch unveröffentlichten Romantetralogie „Der Ernst des Sterbens“, Texte zu Bildern des Malers Helmuth Gräff, Lesungen (Wien, „Alte Schmiede“), Publikationen in Zeitschriften („Literatur und Kritik“), zuletzt „Lecram, Ich, Marcel; Hommage à Proust“ (Edition Thurnhof, Horn, 2010).

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Selbstcharakteristik

Annika Mayer

ANNIKA MAYER

Geboren am 9.4.2003. Ich schreibe ungefähr seit meinem 7. Lebensjahr. In meiner Freizeit lese ich gerne. Meine Lieblingsbücher sind Harry Potter, Selection und alle Jugendbücher von Kerstin Gier. Außerdem bin ich ein großer Fan der österreichischen Fußballnationalmannschaft und spiele auch selbst gerne Fußball. Ich backe sehr gerne und versorge regelmäßig die Schreibakademie und meine Klassenkameraden mit verschiedensten Kuchen.


Journalistenfluch

Er ließ sich hinter seinem übervollen Schreibtisch nieder und begann einen Aktenordner nach dem anderen durchzuackern, während seine Laune auf den absoluten Tiefpunkt sank. Währenddessen joggte eine junge, schlanke Frau mit langen rotblonden Haaren, die sie zu einen strengen Pferdeschwanz gebunden hatte, durch den Schönbrunner Schlosspark, wie immer nahm sie eine Abkürzung durch das Gebüsch, doch nach kurzer Zeit blieb sie stehen. Irgendetwas war anders als sonst. Die Luft war nicht so frisch, und auch der Boden war nicht so wie beim letzten Mal. Statt einem üppigen Grün sah sie nur ein paar kümmerliche Grashalme, als ob jemand etwas durch die Wiese geschleift hätte, und in der Luft lag ein schwacher Verwesungsgeruch, wie bei den Abfallcontainern ihres Fleischers. Langsam ging sie weiter. Man sah ihr an, dass sie sehr nervös

Kurz vor dem Feierabend fing Knatter an, seine Aktentasche einzupacken, und er war gerade dabei, seinen Mantel anzuziehen, als das Telefon läutete. „Ja“, schnauzte er in den Hörer. „Thuran hier. Ich weiß, Sie haben gleich Feierabend, aber Sie müssen sofort in den Schönbrunner Schlosspark kommen, wir haben dort eine Leiche gefunden!“, sagte die routinierte Stimme seiner Arbeitskollegin. Knatter stöhnte und legte ohne ein weiteres Wort auf. Danach machte er sich auf den Weg zur nächsten U-Bahn-Station, um in den Park zu fahren. Dort angekommen, stürzte er sich in ein Gewusel aus Polizisten, Pathologen und der Spurensicherung, die sich alle um die Leiche einer jungen, schwarzhaarigen Frau scharten. „Die Tote wurde am Nachmittag von Margaretha Rosenzweig gefunden. Die Tote hatte einen Ausweis bei sich. Sie hieß Angelique van Dan und war 26 Jahre alt. Ihr Beruf war Journalistin. Der Todeszeitpunkt ist noch unbekannt, wir wissen nur, dass hier sicher nicht der Tatort war“, brachte Thuran Knatter auf den neuesten Stand der Dinge. „Hatte sie Familie?“, wollte Knatter wissen. „Soweit wir wissen, nicht. Es wurde auch keine Vermisstenmeldung aufgegeben“, antwortete sein Gegenüber. „Hat man ihre Wohnung schon durchsucht, oder bleibt diese undankbare Aufgabe mal wieder für uns über?“, fragte Knatter. „Ich denke, diese ‚undankbare Aufgabe‘ bleibt für uns über. Na komm! Los geht’s!“, antwortete sie fröhlich und eilte voraus, um schon einmal den Wagen zu starten. Knappe 20 Minuten später hielten sie vor einem weiß gestrichenen, freundlich aussehenden Wohnblock. Ihre Wohnung war im vierten Stock, und als sie dort angekommen waren, war Knatter komplett außer Puste. Die Wohnung war freundlich und hell. Die hintere Wand war komplett aus Glas, und überall waren Blumen und unzählige andere Pflanzen. Am großen weißen Küchentisch stand ein Laptop, den Thuran sofort an sich nahm und zu den Beweismitteln gab. Im hinteren Teil der Wohnung befand sich das Schlafzimmer. Es war durch und durch weiß, nur ein großer roter Fleck am sonst so makellosen Weiß störte das perfekte Gesamtbild. „Ich denke, wir haben den Tatort gefunden“, murmelte Thurner, und Knatter nahm sofort sein Telefon zur Hand, um der Spurensicherung mitzuteilen, dass sie den Tatort gefunden hatten. Sie versiegelten die Tür und machten sich auf den Weg nach Hause. Dort angekommen, nahm Knatter eine Dusche und setzte sich anschließend auf den Küchentisch, wo er eine Tageszeitung,

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Schweißgebadet wachte Kommissar Knatter von dem schrillen Läuten seines Weckers auf. Missmutig zog er sich an, machte sich einen starken Kaffee und verließ die Wohnung, um sich auf den Weg zum Kommissariat „Penzing“ im 14. Wiener Gemeindebezirk zu machen. Die U-Bahn war mal wieder komplett überfüllt gewesen, und im Kommissariat warteten nichts als Akten und Berichte von Einbrüchen und Raubüberfällen auf ihn, die er sorgfältig durchlesen und unterzeichnen musste.

war. Ihre Hände zitterten, und bei jedem kleinen Geräusch zuckte sie zusammen. Der Verwesungsgeruch wurde immer stärker, und obwohl sie das Gefühl hatte, sich gleich übergeben zu müssen, ging sie weiter zu einem großen Busch, der einsam zwischen einigen kleinen Bäumen wuchs. Es war ein schöner Strauch, doch von ihm schien dieser ekelhafte Geruch auszugehen. Vorsichtig ging sie um ihn herum. Ein Bein lugte unter ihm hervor. Sie kniete sich nieder, um es sich genauer anzusehen, und plötzlich entfuhr ihr ein angsterfüllter Schrei.

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Langsam beugte sich eine schwarze Gestalt über sie, ihr Mund öffnete sich zu einem Schrei, doch ihre Kehle war staubtrocken, und sie brachte nichts als ein Krächzen heraus. Die Gestalt holte ein Messer aus ihrer Manteltasche, hielt es ihr an die Kehle und durchtrennte diese.


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welche er in der Früh aufgrund des Zeitmangels nicht hatte lesen können, aufschlug, und bei einem Artikel über die Bundespräsidentenwahl, welche in einer Woche stattfinden sollte, hängen blieb.

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Am nächsten Tag wusste Knatter nicht mehr, wie er ins Bett gekommen war. Seine Laune war nicht viel besser als gestern, doch er war wild entschlossen, den Mord an der armen jungen Frau aufzuklären. Im Kommissariat rief er gleich als Erstes in der Gerichtsmedizin an, um die Todesursache von Angelique van Dan zu erfahren. „Sie ist verblutet, aufgrund der Durchtrennung der Halsschlagader. Der Todeszeitpunkt war vorgestern, etwa gegen vier Uhr nachmittags“, teilte ihm der Gerichtsmediziner mit. Danach ging er hinüber in die Spurensicherung, in der gerade der Laptop der Toten untersucht wurde. „Komm her. Ich hab hier was!“, rief ihm seine Kollegin Fence aufgeregt entgegen. Sie hatte soeben einen unveröffentlichten Zeitungsartikel auf dem Laptop aufgerufen. „Hier geht es um Steuerhinterziehung. Rate mal, von wem?! Das glaubst du nie!“, hyperventilierte sie. „Keine Ahnung. Schieß los!“, sagte Knatter. „Unser lieber Hofinger hat Millionen an Steuern hinterzogen!“, ließ sie die Bombe platzen. „Du meinst den Hofinger? Den Bundespräsidentenkandidaten?“, murmelte Knatter überrascht. „Ja, du sagst es. Unfassbar, oder? Frau van Dan hat die Steuerhinterziehung entdeckt, konnte ihren Artikel jedoch nicht mehr veröffentlichen!“ „Ich würde sagen, er hat ein wunderbares Motiv. Ich werde ihm gleich einen Besuch abstatten!“, antwortete Knatter energisch. Er telefonierte schnell mit Thuran, und die beiden trafen sich vor der herrschaftlichen Villa von Hofinger. Sie meldeten sich bei seiner Sekretärin an und setzten sich in den Warteraum.

Plötzlich hörten sie ein Poltern beim Fenster, und als sie hinausschauten, sahen sie eine Gestalt, die quer durch den Garten in Richtung Straße lief. Kein Zweifel. Es war Hofinger! „Halt! Sofort stehen bleiben!“, rief Knatter und rannte aus dem Warteraum, Hofinger hinterher. Plötzlich jedoch blieb dieser stehen und zog eine Pistole. „Legen Sie die Waffe sofort nieder!“, rief Knatter und zog ebenfalls seine Pistole. „Ich denk ja gar nicht dran!“, schrie Hofinger leicht hysterisch. Keine Frage, Hofinger hatte vor, Knatter zu erschießen. Dieser handelte jedoch sehr rasch, feuerte seine Schusswaffe als Erster ab, und Hofinger fiel tot ins Gras. Einige Stunden später wurde die Mordwaffe, nämlich das Messer, mit dem Angelique van Dan getötet worden war, in Hofingers Büro sichergestellt. Es gab keinen Zweifel daran, dass er ihr Mörder war. Aufgrund dieses schrecklichen Vorfalls musste die Bundespräsidentenwahl auf unbestimmte Zeit verschoben werden.

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1 It was 2 a.m. and there was barley a light left shining, this part of the city. The streets were empty and dry and the air was as cold as the grave and gave you a chill even through your coat. It had been a rotten summer and winter wasn’t much better. I opened the top button of my coat and fumbled for my cigarette case. The steel was as cold as a shard of ice and I took a cigarette out, quickly put the case back in and buttoned the top button of my coat again while already feeling a sudden chill on my chest. I turned to Thomas who was looking grimly into the darkness of the streets as we were walking next to each other. “You got any more matches?” I asked. He didn’t answer or nod but simply got a match out of one of his pockets. I lit it on my nail, tucked the cigarette between my lips and lit it too. I took a deep drag but

it didn’t help much against the cold and it gave me no pleasure. Thomas still wasn’t saying a word and I didn’t feel too talkative either so we just kept on walking. After crossing another cold alley, I saw a small bar, or rather a diner with bright lights, on the corner of a street. “Looks fine.” Thomas’ voice came from beside me. We sped up a little and slowly I could make the place out more clearly. It looked fine alright, for 2 a.m. and a winter night so cold your legs felt as stiff as two deepfried pieces of meat. The place didn’t have any sign with a name, or at least I couldn’t see one, only an ad for some cheap cigars named ‘Phillies’ on the roof. I thought Phillies would be a better name for the place than for a brand of cigars but when we got closer I had already forgotten about that. The place looked triangular on the inside and I could see four people in there, one of whom seemed like a bartender or waiter. I couldn’t make out what they looked like in detail, but there was a woman among them too. We finally reached the place and got to the door which was at the side of the building and went in. I took off my gloves and stuffed them in my coat pocket and sat down at the counter together with Thomas, looking the place over. There weren’t any tables, only the

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December 20, 1947… Chicago…


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large, also triangular counter in a reddish wood, with plenty of stools. The barman standing behind the counter probably wasn’t much older than twenty and looked like he would make any of the middle-aged lady guests that probably visited the place in the day swoon, and giggle like high school had just started when he handed them their coffee with his boyish smile. His face would have been evenly shaped with an especially strong jawline, if it hadn’t been for his somewhat big nose and eyes that looked like two ice cubes. He wore a white jacket and hat under which his thick, reddish blonde hair darted forward. Next I looked at the other guests, two of whom looked like a couple though I didn’t think they were one and another man, sitting with his back to the large glass window which was the wall of the diner. Before I could get a closer look, the kid behind the counter came up to us, leaned forward and asked us what we’d have. “Coffee. Just a little milk, no sugar,” Thomas told him and I added my order right after: “Cup of tea, and put some rum in there and make it hot. Come to think of it, don’t be gentle with the rum either.” He smiled at that and got to work. Thomas seemed to have warmed up a little now as well. “Christ, thank God we found this joint.” he said. I didn’t answer, I was busy looking at the place. The kid behind the bar was tending to our drinks now and it was the only audible sound. The possible couple was just in our line of sight. The man was wearing a navy-blue suit and a sky-blue shirt which I didn’t like the color of, together with a dark and dull tie. On top of his head was a light-grey hat and I couldn’t see his hair beneath. He had a very thin and wide mouth and a pronounced chin and jaw, a nose like Caesar, dark eyebrows and brown eyes that looked just like any pair of eyes you’d find on the street. Overall he looked like any other guy but I couldn’t

help but think that I’d seen his nose somewhere before, other than on a marble bust in a museum. My eyes went over to the lady sitting beside him. She wore a red dress and had kept her burgundycolored coat on, which had a fox fur collar and went well together with her bright blonde and wavy, thick hair. Some of it was covering her face but I could still make out all I wanted to. She had a fine, angular chin and lips as good as they come and as a red as her dress. Her nose was small and elegant and her eyebrows curved effortlessly. Her eyes looked deep, slightly catlike and were one of those deep and clean greys that you only see about once in a lifetime. Just as I wanted to stop myself from staring she looked up at me and without taking her eyes off me she picked up a sandwich that was lying on a plate in front of her and took a bite, then put it back down and looked away. Only now did I notice that one of her hands was in a thin red glove that looked like silk, while the other hand she used to eat with was bare and the glove belonging to it lay, a little crumpled, up on the counter. After a few more moments I made myself look at the other fellow sitting on his own. He wore a dark-grey suit and a white shirt with a crimson-colored tie. On his head which was covered in cleanly cut, brown hair a battle-ship grey hat rested. His skin was tan and his face had a kind of square shape with a boyish nose. He had a broad and cruel-looking mouth and his lips were shaped like those of a fish. His thick eyebrows lay just over his black, brooding eyes that looked like two small embers. I looked away and towards Thomas who still looked a bit cold though he wouldn’t show it much. “You want anything more after that coffee? I’ll pay,” I told him. He looked at me and managed to smile. “Thanks pal.” I couldn’t remember when I had last seen him give me a genuine smile. Sure, he laughed quite a bit but a light frown was his constant companion, together with that look of scanning what was around him. He was my age, had hazel-colored eyes together with dark-brown hair and stood at an imposing height. He had been a boxer for quite a while until he had switched to working at a newspaper, writing articles on that same sport. The barman brought our drinks and Thomas had his coffee quickly while I sipped my hot tea, and let it warm my body gradually, together with the rum. Thomas had been a bachelor for most of his life, much like myself, though a while ago he had met a girl by the name of Hawthorne from a fairly wealthy family. I didn’t think he had proposed to her yet but they were what one could consider a couple. Either way, I hadn’t been too excited about the whole thing until Thomas had given me a call a few days ago and told me that he needed to talk to me about something regarding his girl, though he wouldn’t tell me just what. He knew that I wouldn’t spy on anyone for their partners though he probably also knew that I would have made some kind of an exception for him. But I didn’t think that was it. He hadn’t said a word about the whole thing and he didn’t look any more serious than usual so I figured he wasn’t too bothered about what had


“You’ll have to give me a little something to work with though. I need to know his name, where he lived, what he looked like, maybe a picture,” I said and got out a cigarette, asked the barman for a match and then lit it. “Well, alright. The rest… I think it’s best if you talk to Annette herself, say tomorrow?” he suggested. “Why not,” I replied and smiled a little at my

When Thomas was done writing the address down I noticed that the guy in the navy-blue suit was looking over at us, while the girl had her gaze fixed somewhere on the wall, looking bored and uninterested again. When he wouldn’t stop looking I looked back at him and just as I was about to say something he said, sounding kind of suspicious or maybe confused, “Say, where are you fellows from?” Thomas looked up without saying a word and I turned in my chair to face him. Only now did I realize that he looked more than a little bit drunk. “My friend’s from here and so am…” I tried telling him but he interrupted, “Wait. You’re Stanley Fontaine from Oak Park, aren’t you? And that’s Tommy Acorn.” No matter how drunk he might have been, he was right about that. He was Andy Kean, a guy we knew from the college we had gone to. He pat his girl on the shoulder and smiled brightly. He was drunk alright. “Hey Viv, that’s Stanley Fontaine and Tommy Acorn.” The grey-eyed woman turned her head to us now and smiled at us, but before she could say anything, Andy had raised his voice again and exclaimed, “Oh but you wouldn’t know the two.” She just shook her head and smiled a bit and then turned to us again. “Pleasure. I’m Vivien,” she told us in a slightly husky voice, though before we or she or anybody else could say anything more, Andy had already started talking again, asking us about our jobs and how we were and seemingly ran down a pre-made list that he had in his head, consisting of things to ask an old friend from a long time ago. Thomas was clearly uncomfortable with the whole situation though I enjoyed it, even if only a little, and soon enough everyone in the diner knew all they wouldn’t want to know about Andy Kean’s workplace and private life. Meanwhile I had eyes only for his friend in the red dress who didn’t say a word, or maybe just didn’t manage to get one in. All she did

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Nothing in the place seemed to move for a moment, the barman was just leaning against the counter with nothing to do and had closed his eyes. The man in the navy blue was looking in another direction and away from us, while the other man was just sitting there, brooding. The girl was looking down onto her crumpled-up glove and her half-eaten sandwich lay before her, a sad sight to hungry eyes. “I suppose you’d want to know what all the fuss was about when I called you on the phone the other day,” Thomas’ voice came from beside me, pulling me out of my thoughts. “Sure. Whatever it is pal, you can count on me.” He straightened himself on his chair a little and then leaned a bit closer to me. “You remember Annette, right? Hawthorne,” he asked and he frowned. “Sure I remember,” I assured him with a small smile. “Well, for a few days now, Annette’s dad hasn’t been seen and…” I stopped him at that, “And you’d like me to find him?” “Yeah,” he replied. ‘Well if it’s nothing more than that,’ I thought to myself. “Sure, I’ll help find your girl’s old man,” I told him. “Thanks, I knew I could count on you for that kind of thing,” he replied.

mental image of Annette Hawthorne, then added, “Tell me what you know about him.” He thought for a moment. “Tall, dark hair, angular face. His first name is Harold but folks call him Harry most of the time. Was in the army but retired after the war. Made it to major. Was stationed in Italy if I remember correctly. I think he likes golf.” He sat still for a moment pretending to contemplate something and then added, “That’s all I can think of right now.” I forgot about the last part quickly and told him to give me the address. He asked the kid behind the counter for a pen and some paper when I noticed the girl in the red dress was looking at us, first at Thomas then at me and her grey eyes looked a little curious. I had to look away from her as the barman gave a pen and paper to Thomas who thanked him for it. “Say, you sure seem like you can fix a fellow up with anything,” I told the kid behind the counter and he put on a shocked face, so fake it could have made him the lead of the next big B-movie hit, which if you considered his looks, wouldn’t have been so unlikely. “Hey mister, this is the most honest joint you’ll find from here to New Orleans,” he exclaimed and then put on a smirk. “Why, what’s in New Orleans?” I countered, but he ignored that and just shook his head, his smirk still on.

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apparently happened. We had gone out together, to the places we usually went to, had had some stuff to drink and smoked together, the usual. Now it was late and we were sitting in a two-dime joint with three other night birds and a cup of tea with some rum in it, not saying a word.


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was give an occasional chuckle or a shake of her head at one of drunk Andy’s comments, which made her thick blonde hair shake. And though one of her grey eyes was still obscured by her blonde waves of hair, I caught her peeking at the two of us occasionally. As it turned out Andy and she knew each other from their workplace but they were in fact not a couple. He turned to the kid at the bar and told him, “Hey you, get us all a scotch and soda.” He chuckled and looked around the room in no particular direction, and when he spotted the guy in the darkgrey suit he raised his eyebrows and looked as if he had only noticed that he was there now, pointed at him and said “And one for you too.” The man barely looked up but his two black eyes were fixed on Andy. His thin lips parted and a “I’ll pass,” came out, after which he looked away, got up from his chair and, without another word, left the building. There was silence again. We all looked after him with Andy seeming baffled.

a taxi and go home. Andy could still walk well but Vivien said she would take him home, which he refused, saying he wouldn’t want to keep her waiting, and drove off in the next taxi he could find. Vivien and I said goodbye to him and he said it had been an awful pleasure seeing me again and he hoped we could repeat it some time.

The barman turned to his work again and got to making our four drinks. Thomas was watching the barman but Vivien looked after the fellow in grey for a moment before her gaze turned back to us. She was smiling at me now and I managed to smile back. When after a short while the barman brought our drinks along, we all got talking again. Vivien and Andy told us about their jobs at a lawyer’s office, a man who I had heard of before, and who was one of the most well-known and at the same time rather notorious lawyer in the city – Roy Goldberg. Andy worked as an accountant for him, while Vivien was more of a personal assistant, as they put it. We kept talking while we had our drinks and after a short while all of us decided to go home. When we had left the building we all said goodbye and I told Thomas that I would see him tomorrow at his girl’s house at three o’clock. He was the first to get in

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After that it was only her and me. We went back to the diner and I told the kid inside to call two taxis for us. “Sure you don’t want me to call just one?” he asked with a smirk and I chuckled and insisted he make it two. We stood on the sidewalk in front of the diner, waiting for the taxis, without a word. I started smoking a cigarette and after a while I asked, “Does Andy do this often?” She smiled and looked down. “Not regularly, no. Not that I would know of it. I don’t go out with him often. And even less often we’re out on our own,” she assured me and looked at me again. If she was thinking about something in particular, she wouldn’t let on what it was and I had no idea what exactly she thought of Andy, or me for that matter. Her one eye was still obscured by her hair and it drove me crazy. Before we had time to talk about anything more a taxi came around and I helped her into it. “Goodnight Mr. Fontaine. It’s been a most… interesting evening,” she told me. “Goodnight Miss…” I stopped but she picked up for me, “Bilbrooke.” “Goodnight, Miss Bilbrooke.” After that she was off and I stood in the dark, still waiting for my taxi. After a few moments I went back inside the diner and looked at the barman. “Pour me some rye,” I told him.

When I woke up it wasn’t exactly pleasant. It had been 3:30 a.m. that I had got home, around 4 a.m. when I had got into bed and it had felt like 5 a.m. until I could finally fall asleep. I kept thinking about old cases, finished and unfinished, about the past year and once in a while Vivien Bilbrooke’s obscured eye crossed my mind. When I woke up it was ten in the morning. “Five hours isn’t so bad. You’ve had worse nights,” I said to myself. I started the morning with a shower and a smoke then decided to skip breakfast and go for an early lunch at eleven o’clock. My whole office and apartment was a mess, not that I had had many clients lately, not to think of guests. I managed well though, the Scribner case, despite its unsatisfying outcome, had provided me with relative financial security for a while at least. I got into a bright, white shirt with a button-down collar, tied a tobacco-colored knit tie, put on an old hound’s-tooth sports coat with a pair of charcoal-brown trousers, tucked a pocket square into my chest pocket and then put on my overcoat and got ready to head out. After the shower I had felt content but the cold punched that feeling right out of me. I went to one of my favorite restaurants, a small place just around the corner that wasn’t more than five minutes away. I had some scrambled eggs first and then went with some


There was silence for a few moments. I had sat down in a large armchair and was just rubbing my hands together to warm up. I was able to get a longer look at Annette now, she had a very pretty face indeed, was petite and not tall. Her eyes were bright blue and her hair a reddish brown, almost as if she had paired it with the color of the furniture. I had to smile at that. “Cozy here. Even with that awful cold out there,” I said but I didn’t mean much by it. The perfection that the whole place suddenly exuded was a little off-putting. Tommy didn’t say anything and Annette simply said, “Thank you.” The conversation was just all over the place and I felt about as appropriate here as a ….. They were looking at each other for a moment until I turned my head to Annette directly, “Miss Hawthorne, I realize that your father went missing a while ago. Might I know exactly how long?” She seemed a little surprised at me calling her ‘Miss Hawthorne’, I couldn’t understand why, people had to be calling her that all the time. She thought about the question for a moment, it seemed to upset her a little. It was clear she didn’t like talking about personal things and I was going to be gentle with her, for her and Tommy’s sake. “Why, it must have been five days now, with today.” She looked distressed just thinking about

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I got out into the streets and after checking my watch (it was midday) I decided to go home again and take care of my messy home and office, which proved rather productive in the end. Afterwards I lay on my couch in silence for a while, though making sure not to fall asleep. I thought about the night before again and about Andy Kean and whether he had a good reason for getting so drunk, whether anyone could have a good reason to get that drunk. I sighed and sat up. It was a little after 2 p.m.. I knew the drive to the Hawthorne residence would not be a short one and I had promised to be there at 3 p.m. I got ready, then realized the time on my watch wasn’t adding up with that of the clock on the wall. I figured the watch would need to be replaced since the clock was pretty new. I left my building, and got into my car; it was still as cold as it had been and probably would be for the coming months. I didn’t let it bother me until I put my hand onto the icy steering wheel. “Should have brought gloves, you dumb-ass,” I murmured to myself and then started the engine.

The streets were not as crowded as I had expected; I reckoned most people were staying home because of the weather. The days were getting shorter, tomorrow would be the start of winter. Christmas was upon us too, I realized only now. I wondered if we’d get any snow to go with the nasty, cold weather. I looked at the people on the sidewalks and in other cars, wondering where they were going to, to do nothing in particular. When I reached the neighborhoods with the nicer and larger houses I was reminded of Frank Scribner again. I hadn’t heard from him and briefly wondered how he might be holding up, before going back to reading street names through the cloudy windshield of my car. When I finally reached the address I was pleased. It looked like a fine house, a little old and just near Lake Michigan. I parked my car nearby and walked up to the front door and rang the bell. Before anything else, I heard a dog barking furiously, then thought I could make out a door or two being opened and shut again, until someone opened the door before me, and I found myself looking at a pretty-faced young woman who smiled at me from a wide mouth and two blue eyes. She looked almost exactly like I had imagined her, and I couldn’t have wished for anyone better for Tommy. I smiled back at her. “You must be Annette,” I said and she nodded and shook my hand lightly. We walked into the house next to each other and I got out of my coat. Neither of us cared much for formal introductions. The house was well heated, certainly better than my office. Moments later Tommy came up to me and we shook hands as well, then sat down in the living room together with Annette. I refused any of her offers of coffee or tea and just looked at Tommy and her sitting next to each other on a couch. I couldn’t help but smile. The whole place was nicely furnished in a rather light wood with a reddish tint which I liked a lot.

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chicken with mashed potatoes, which was great as always, or so I told the waiter. I looked around and realized I hadn’t been here in a while and it felt good to be back. But maybe that was the charm of it. Coming here once or twice a month and having some great food, maybe even a cigar and a chat with the owner. Just not overdoing it. I washed the food down with some white wine and then remained there some more, overhearing some conversations from the other tables. One lady seemed particularly upset with the cold weather and kept complaining to the young, gloomy-looking man who was her company, maybe even her husband, exclaiming “What rot,” multiple times and I couldn’t help but sympathize.


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her father’s absence and I realized I had no idea if her mother was still alive and it got me wondering. “When you last saw him, where was he? Did he say anything about where he was going?” I inquired further. She seemed a little more put together this time and answered almost right away. “It was here, at home. We were having dinner. Him, Tommy and I,” she stopped for a moment and looked at Tommy, smiling. “It was such a charming evening really.” She turned back to me. “After that, Tommy and I said we were gonna go out, for some drinks with friends. When we came back home, he was nowhere to be found. Took his coat at least…” I wondered if those friends of theirs were people I might know, but then it dawned on me that I didn’t have too many friends and I got back to the topic. I thought about what she had told me. Anything could have happened really. He could have gone for cigarettes or to visit an old friend and some kid hadn’t liked his rich look too much and bumped him off, then hidden him somewhere where no one had found him. Yet. But I wasn’t going to be so cruel as to say that to Annette. “Any idea where he might have gone? Any plans he spoke of maybe? Any good friends he had? Or maybe anyone he might be staying with? I suppose he hasn’t done this before.” “No, none of those things. I don’t have any idea where he could be either. I mean, …” she looked lost. This wasn’t going to be easy. I looked over at Thomas who was staring at her but didn’t say a word. I realized further questioning wouldn’t be of much use, not like this. “Is there anything else you can tell me?” I tried getting at something but it felt like trying to find a light switch in a strange room, in the dark. “Well, recently he’s been spending a lot more time on old reports from the war, writing things

down, things like that. Mostly at night. I noticed once when I woke up. I don’t know if it’s of any relevance but…” she stopped there. I waited for a moment. “Have you looked through his office?” I asked. She nodded. “Nothing of note really. None of the things he might have worked on. Some old stuff from the war. I…,” her voice broke off again and I smiled and interrupted her before she could say anything. “Thank you Annette. You wouldn’t mind if I took a look at his room, his office?” “No, anything you need really,” she said briefly and I kept smiling when I got up and so did Tommy. Annette let out a sigh and he put his hand on her shoulder and managed to smile. I told him to stay with her while I went up and had a look. The staircase seemed rather narrow considering that the house was quite large in general. I found his room right away; it was about the size of the living room that we had sat in. He had his bed there and I supposed his clothes would be in the cupboards. There was a bookshelf too, and right beside it a rather large desk, standing against a wall. There were some papers on it, old military reports as Annette had said. Probably exact records of operations and campaigns in Italy. I went through some of the other papers, even found a shopping list that seemingly hadn’t been finished. There was nothing of note to be found in any of the drawers in the room. I frowned a little and looked around. I walked over to his nightstand. I was positive that his wife, Annette’s mother had to be dead or must have left the family. There was an old portrait photo of him in the drawer of his bedside table, he looked stern, was in a military uniform. ‘Like Cary Grant with a mustache and blue eyes. Maybe a little less dashing,’ I thought and put the picture in my pocket, in case there wasn’t a more recent one. I looked at the lamp and the underside of it, nothing. I picked up a little vase; it didn’t feel unusual in my hand. When I looked into the small opening I thought I could make something out. I put the lamp on and held the vase underneath it and fidgeted for whatever was stuck in there. After a few attempts I managed to get it out, it was a piece of paper, all rolled up. Upon unrolling it I couldn’t help but chuckle, realizing it was an old and rather spent-looking erotic photograph. I didn’t want to think too much into that and turned it around, noticing that the back was scribbled full with numbers: 33 . 60, 30 . 21, 110 . 88, 67 . 109, … There were countless of them and I hadn’t the slightest idea what they could mean. Considering they were written on the back of the photograph, I decided not to tell Annette about this, maybe I would show it to Tommy later, even if it was just to get a laugh out of it. I kept wondering about the numbers and looking around in the room, but there was nothing to be found. I looked through the military writings again but none of them meant much to me, they were mostly summaries of all sorts of operations in Italy throughout the course of the war. I left the room with the portrait of old Harry Hawthorne in my pocket and the list of numbers in the inner chest pocket of my sports coat. I walked back downstairs and into the living room


After being in the well-heated house for a while, far away from the cold that

I got back to my car, put the briefcase in the back and then took the little notebook out of my coat and looked at the numbers again carefully while I lit a cigarette and smoked it. The smoke soon was all over the car, but I felt a little warmer after I had finished. The numbers still didn’t mean anything else to me so I looked at the address yet again and then started the engine. I wanted to check the time but realized I had left my probably broken watch at home. Without any idea of how long I had spent with Tommy and Annette, I threw the cigarette butt out of the window and drove off. I drove in the general direction of the largest shipyard in town. When I got there I asked a guy, who was wrapped tightly in a thick winter jacket and who looked as if he was just trying to get home, if he knew that

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had the whole city in its grip, going back outside was more than uncomfortable and it wasn’t any better in the garage. It was a fine car, looked relatively new and Thomas opened it up. I reached into my chest pocket and got the photograph with the list on the back out and handed it to him. “Here, take a look at that. And don’t mind the picture,” I said before looking into the car. “What the…” he mumbled and I got to looking through the glove compartment but there was nothing in it. After I had looked at the backseat a little I was suddenly pleased to find a small and rather thin briefcase next to the seat behind the passenger seat. I looked into it but all I could find was an almost tiny notebook that I went through quickly. It had several numbers written in it with the respective owners written just underneath them. Nothing seemed out of the ordinary though: a gardener, tailors, barbers, a bunch of doctors, people with all sorts of military titles which I presumed to be old friends. There were some other numbers, though nothing stood out. Somewhere near the end of the little notebook there was an address which meant nothing to me, though I had an idea about where it was. I got out of the car again and noticed Thomas was still looking at the numbers on the back of the photograph. “I guess you have no idea what they could mean?” I asked him. “Not a clue,” he replied briefly. I had no reason not to believe him. “What about this? The address. He ever mention anything about that?” He handed the photograph back to me and I put it away, then he looked the notebook over. “Doesn’t mean anything to me. You gonna drive out there?” he asked me. “Sure as hell will. It’s all I got. So far,” I replied. “That address could lead anywhere though. It isn’t looking good so far, is it,” It was an assumption rather than a question. “Don’t worry. I’ve worked on cases with less than what I got now. Anything else?” I said. “Not really. I just wanted to say thank you. From Annette too by the way. It’s just…” he tried telling me but I interrupted. “It’s just hard on her. I know. I noticed. Anybody would have. Don’t worry about it. This thing is free of charge too.” I didn’t let him say anything more and we left the garage. I had the briefcase in my hand, as Thomas had told me I could take it with me and see if there was anything left in it. He said if there was anything more that I needed I should just call him. He thanked me again and we said our goodbyes.

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where Tommy and Annette were sitting on the couch together, holding hands and looking like a couple of nervous teenagers on their first date. I smiled and wanted to say something silly but then kept it to myself. I sat back down opposite them and it felt just like the first time around. The whole living room was so put together and neat and in order. I didn’t know if Annette worked anywhere, come to think of it, I didn’t know very much about her at all, and in my book, that’s all I needed to know. I didn’t want to pry or interfere in Tommy’s relationship with her or do anything else of the sort and I had only taken this job on so I could help them both. I put on a fake smile and told them I had found nothing that stood out to me or gave me any idea of where he might have gone. Then I pulled out the picture of him. “Is this the most recent photo?” I asked. Annette looked at it and then nodded plainly. “Yes, I reckon so. Daddy never did like taking pictures.” There wasn’t much else I could work with so far, and that air of hopelessness to the situation was not lost on my friend and his girl. “Did he leave his car?” Tommy nodded this time. It felt like any moment old Hawthorne would jump up from behind the couch and scare the wits out of me. I shook the crude thought off and asked whether I could take a look at the car and they both agreed. I realized there wasn’t much more to say or do, so I asked Tommy to lead me outside and show me the garage. I told Annette it had been lovely meeting her, despite the circumstances. All the time while we were saying our goodbyes she looked like she might cry. A fragile girl she was and I reckoned the whole thing had taken its toll on her. Even Thomas looked a little spent which was unusual for him. We got into our coats and went outside and into the garage.


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street, and he told me before hurrying on through the cold and bleak streets. It had gotten dark while I had driven here. I hated the lack of sunlight. There wasn’t any fog and it hadn’t rained, or rather snowed, considering the temperature.

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When I reached the street I was looking for, I parked my car near a little run-down pawnshop and got back out into the cold, thinking about my warm pair of gloves I had left at home. I went down to the end of the street and reached a small and old-looking storehouse. The doors were locked. I had no idea if it belonged to Hawthorne, though I supposed not. I went round and on the side I found a sign reading ‘Lincoln Storage’, nothing more. I wondered if I should feel insulted but suddenly I heard a deep voice coming from the street, “’Scuse me Sir, mind tellin’ me whatcha doin’ here?” I looked at him, he was a black man, average height, in workers clothes and an especially thick-looking jacket. He was a little bit younger than me and once he got closer to me and I didn’t answer he put on a friendly smile. “Say, do you work for Mr. Lincoln?” I asked him “Sure do,” he replied. I didn’t see any use in lying to him, so I got my wallet out and showed him one of my cards which he read over quickly, then handed back to me. “Uh… Yeah, ya’ might wanna talk to me boss ‘bout this, personally…,” he told me. “Problem is. He outta town,” he added then. “Goin‘ on some kinda‘ holiday trip he says. Gettin’ away from the cold. Don’ know where he went. He’ll be back. Could give ya his numba.” “I’d appreciate that,” I told him, after which he pulled some booklet out of the pocket of his thick jacket and read the number out loud to me, after having given me a pen so I could write it down myself. I thanked him and was already getting ready to leave but then turned

to him again. “Got any idea what’s in there?” I asked and pointed at the small storehouse. “Notta clue. Boss got plenty of those, all ova town,” he replied and I thanked him again before I was on my way, back to my car. I got in and smoked another cigarette before driving off. The cold was getting worse now as the sun had almost completely set and I needed a couple of tries to get the engine finally running. All I had was the telephone number of a storehouse owner and a smutty picture with a bunch of numbers written on it that didn’t mean anything to me. “Way to go,” I said to myself, before I got driving. I drove back into the direction of my apartment but before getting there I stopped for dinner at a small restaurant. It didn’t look like much but it would do. I’d seen worse days than this and I was sure I had seen better ones too but I couldn’t exactly remember any off the top of my head. I ate my dinner half-heartedly and paired it with a couple of cigarettes and some scotch. When I had a second glass for dessert I felt alive again. I paid up and left to head home. It was a quarter to six when I finally got there and I got undressed right away, down to my shirt, tie and trousers. I sat down in the chair in my office and put my feet up on the desk for a while. At least it wasn’t so cold here. I poured another stiff drink from my office bottle and had another couple cigarettes, before getting the small briefcase which I had thrown onto the couch, in which I’d put the photograph of Hawthorne, the picture with the list on it and the little notebook. Then I got my own notebook out of the chest-pocket of my sports coat which I had put on the coat hanger in the office. I put all that on the table, then looked up the number the black man had given me, picked up the receiver of my phone and started to dial. “Good evening, Lincoln storage, how may I help you?” the shrill voice of a young woman said before long. “Good evening. I’m calling to talk to your employer, Mr. Lincoln. I…” I tried telling her but she interrupted me with her birdlike voice that sounded oddly familiar, “I’m terribly sorry sir, but Mr. Lincoln is currently not in town. He’s expected to come back after the holidays. May I ask what this is regarding or can I leave a message for him?” She had memorized this response very well and I couldn’t help but smile a little. “Is there any way I could access one of your storehouses? It’s not my own but it’s urgent. My name’s Stanley Fontaine, I…” and yet again I was interrupted. Her voice had got more nasal now, “I’m sorry Mr. Fontaine, sir, but we can’t give you access to any of the storehouses if you aren’t renting them. I can give you access to one of our free storehouses all over the city however.” I sighed and then thought for a moment, “No, thank you that will be fine. I will call again when Mr. Lincoln has returned from his holiday. Oh and sweetheart…” “Y-yes?” she asked, slightly taken aback. “You might want to consider telling him Stanley Fontaine called. Private Eye. Try and reach him, wherever he’s on vacation. And I won’t tell him about you interrupting potential customers either. Be our secret. Good evening.” And with that I hung up and poured myself another stiff drink.


Moments later I had put my feet up on the couch too and after giving it just a few more minutes I dozed off. When I woke up again it was 11 p.m. I pondered spending the night on the couch, but then overcame my sleepiness and got ready for bed. When I looked out the window before lying down, I realized it had been snowing for a while already. Looked like we were going to have a white Christmas soon. What were the chances? Go to bed Fontaine. I wrapped myself in my

thick blanket and slept almost immediately. At some later time in the night I woke up again in the complete darkness of my bedroom. I didn’t know if it was still snowing or not. I thought about Tommy and Annette and where they might be now and about old Hawthorne too. It didn’t look too well. I didn’t feel any of the drinks anymore. I turned from side to side and sighed. “Oh what the hell…” I muttered to myself before grabbing a half-empty pack of cigarettes from my nightstand. I watched cigarette after cigarette burn to a slow death before my eyes in the complete darkness of my bedroom. I stopped thinking. I killed the last smoke in my bedside ashtray before lying back down and slowly drifting back into the soothing realm of sleep, leaving another day behind me.

I didn’t need an alarm clock to wake up at 6:30 in the morning, not that I would have had reason to; my sleeping problems took care of that. I sat up in bed and looked out of the window. It seemed to have snowed all night. I turned over again and tried to go back to sleep. Half an hour, nothing. It was 7:00 when I got up and went into the bathroom. I had a shower first, then shaved. Nothing helped, it was going to be a gloomy morning. For breakfast I toasted a few slices of bread, put some butter on them, along with salt and pepper, then had some French cheese and lastly an apple. I wasn’t sure what I was going to do with my day yet, I couldn’t get any further in the Hawthorne case for now. I was stuck and I hated the feeling. I sat down at my desk, picked up the receiver and called the Hawthorne residence where Tommy picked up. I told him all about the storehouse and that the owner was out of town. “Do you know anything about the place? Or what he could have kept there? Could Annette know?” I inquired. “I have no idea, she might. I will ask her about it and call you later. I’m sure you can get in there somehow, though. I mean… There must be some way,” he replied. He said he’d call me if he found out anything, I told him I’d probably be in the office most of the day, if not I’d call him later. After we had said our goodbyes I got into my underwear, then put on the shirt and pants I had worn the day before. I got into a coffee-coloured, thick, knit cardigan to stay relatively warm, then sat back down at my desk and went through old Hawthorne’s notebook again. All of the numbers were completely ordinary, I even tried calling a few of them, they were all legit. I went through the thin briefcase, but it was completely empty otherwise, as I had thought. The numbers on the smutty picture didn’t mean anything to me still, I couldn’t figure out what they might possibly mean. It was a quarter to eight, but what the hell. I poured a stiff drink and looked at the picture of Harold Hawthorne. He still reminded me of a blue-eyed Cary Grant with a thick and stiff-looking moustache. Even had the chin dimple. “Where could you be Harry?” I said to myself when all of a sudden the bell rang. I looked at the picture

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I had had enough of the oddballs in this city for a day. I finished my drink and got up and walked into the bathroom and looked at myself in the mirror. I hadn’t shaved all day and it was showing. I looked straight in my two grey blue eyes and it felt kind of funny. I looked paler than usual, my hair didn’t look very lively either. I figured I needed to have it cut some time. Maybe when it got a bit warmer. I shook my head at the thought, if anything it would get colder in the coming weeks, months even. I figured no one would bother me anymore today, so I went into my bedroom and took my shirt and pants off, then got rid of my underwear as well and went back into the bathroom to take a warm shower. I let the water run over my entire body and for a few moments I felt liberated from all the cases, the cold, all the bullshit of city. I got out and wrapped myself tightly in my bathrobe, then had a smoke. I sat down in my bedroom and tried to relax again but couldn’t. “Oh what the hell…” I said to myself and changed into my pajamas and dressing gown, then went back into the office and had yet another drink after which I started to feel it more than a little. I made sure the front door was locked, then I sat down on the couch. After looking around the mess that I called my office for a while, I decided I would tidy it up a little the next morning before getting back to work.


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one more time and then got up and went to the front door.

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I unlocked it and as I pushed the door open I looked into the familiar face of Vivien Bilbrooke. She looked like Little Red Riding Hood, yet all grown up and in black. She wore a wide black coat with a hood covering her head and white fur lining which looked like it could be mink. Her cheekbones were as high as ever and her one eye was once again covered by her hair. Her light blonde hair blended in wonderfully with her skin which was the color of a vanilla blossom. Her clean grey eyes smiled at me, as did her lips, crimson red, the only hint of color in her whole appearance. I smiled back at her. “Mr. Fontaine, correct?” she asked, but it wasn’t really a question and her smile only widened as she extended her hand which was covered by a black glove, that was as soft as her coat looked and her skin seemed. “Nice to see you again, Miss Bilbrooke,” I told her. “I thought you might have forgotten me, by the look on your face. You seem baffled,” she returned. I couldn’t help but smile back at her now. “A guy doesn’t forget your face too fast. But please, come on in,” I told her as she walked through the door. Moments later she took her hood off and shook her thick blonde curly hair, then turned around and for the first time I could see into both her eyes, which were equally beautiful. “I’m sorry, I hadn’t realized I still had my hood on. It’s so cosy on a cold and snowy winter day. My ears feel like they are going to freeze off sometimes,” she told me, looking me in the eyes constantly, but lowering her gaze when she had finished. “Yes, I get that too. And a good pair of ears is valuable in this business,” I said and she laughed at that. I couldn’t make out whether it was genuine or not. I walked her into my office and got behind the desk, then realized I had forgotten about cleaning

up the mess that was my office. She looked at the things regarding the Hawthorne case for a moment before I picked them all up carefully, so she wouldn’t see the erotic photograph, among the other things. I put them all in the briefcase and then put it under the desk. She had taken the seat opposite of mine and kept smiling, looking over my things, but didn’t seem to mind the untidy state the whole room was in. I didn’t want to bore her with asking how she had got my address so I got straight to business. “I assume you aren’t here because you wanted to see me again?” I said as I lit a cigarette with a smile. She smiled also for a while; even when her lips parted she was still smiling at me, “I’m not sure how to feel about that accusation Mr. Fontaine.” “Wasn’t an accusation, just an assumption,” I returned. “Of course. Well, I’m actually here because I need to employ you. Not as happy a reason for my visit as you might have wished but nevertheless…” she stopped shortly and leaned forward a little, then let her thick and wide coat come off her shoulders, revealing an equally black dress underneath. “I need your help.” There was silence for a moment, I couldn’t help but look at her sitting there, her upper body pushed forward, her coat hanging on the chair behind her. She had crossed her arms on her knees now. She looked as gorgeous as could be and I had not realized until now just how beautiful she was. I blew some smoke out of the corner of my mouth and she watched it dissolve in the air. “Whatever you need Miss Bil…” I wanted to tell her but she interrupted me. “Vivien. Let’s make it that. Agreed, Stanley?” I couldn’t remember when somebody had last called me by my first name, and certainly not when it had been a woman as beautiful as her. “Why are you here Vivien?” I asked her. “Straight to business. Alright. As I said, I need your help. I need you to find someone for me.” Second time I’d heard that this week, I thought. I let her continue. “It’s my friend, Dorothy. She… I tried contacting her a while ago, but she wouldn’t pick up the phone. I visited her at her home but the place has already been cleared out, someone new moved in there. I talked to our mutual friends, they have no idea where she is.” She stopped. With every sentence she had got more upset. You couldn’t see it in her face much, but her rather mellow voice had changed, she sounded tense. I knew it was getting to her and it reminded me of Annette. Her beautiful lips parted, she let out a sigh, shook her head a little and looked down, then continued. “I’m sorry, I… I wish I had done more. There are two people. That I haven’t talked to I mean. They could know something, I hope.” “Would you like a smoke?” I interrupted her. She just nodded. I handed her a cigarette and the lighter. She took them and I could see her hand tremble ever so slightly as she lit the cigarette and took a few drags, then blew them into the air and then sighed again. “I’m sorry. This whole thing is just…” she tried telling me but I interrupted her again. “It’s fine. I get it.” I stopped and took a drag from my cigarette myself while looking at her. “What can I do?”


“You might want to tell me about Dorothy some more. Her full name and so on. Has she got any family around here?” I inquired. “No, they all live in some other state. Dorothy was just the name she took and went by. Dorotea Perso. Not a lot of people knew that was her real name. Italian. You wouldn’t have guessed anymore, she looked and sounded like any other girl from here. I think her mother might have been American too. Lookswise, she was a beauty. Large blue eyes, dark hair, very dark. Curled but maybe a little thin. Not too pale. Usually wore make-up too. Always tried to look her

“You’re an interesting man, Mr. Fontaine.” I noticed she had gone back to calling me by my last name. “For a private detective?” I asked. “I wouldn’t know. I don’t know any.” She smiled broadly. “That’s okay. I don’t either,” I replied and killed my cigarette in the ashtray where it lay with hers. I had completely forgotten the messy office around us, what time it was, the fact that I had barely slept, the Hawthorne case. If I could only keep it down for so much longer. “What’s your usual rate?” she asked and I felt like a working girl with one of her johns for a moment and the role reversal made me uncomfortable. “Thirty dollars. Per day,” I told her. “Alright. Make it sixty for this. I’d appreciate it if you could do this for me as fast as possible,” she returned. I smiled at that. I thought I’d have got used to the slight feeling of selling myself to someone by now, I’d done this long enough. But what the hell. “Fine by me,” I told her, my dumb smile probably on my lips still. Then everything went fast. We said our goodbyes, I walked her out of my office and told her I’d be reporting back to her as soon as I had something and would get to work right away. She thanked me. Then left. I poured myself a stiff drink. I leaned onto the chair she had sat on. It was as though her smell, her whole aura was still there, sitting in that chair, as if she had left her coat here, so she could come back for it later. “You’re a bum Fontaine, getting worked up over a pair of legs,” I told myself. I didn’t care today. No one from Lincoln storage had called me, I was stuck on the Hawthorne case, and the girl on the smutty picture with the numbers on the back wouldn’t suddenly start talking and tell me her secrets. I gave old Joshua Gunnerson a call and minutes later I had an address for Laura Carmichael. I didn’t ask him about Dorothy herself, I didn’t want to jeopardize the case in any way possible. He told me he didn’t know much about Carmichael, just that she had been working in some nightclub before. I wondered how he knew all this stuff, but reckoned he had a couple of people who called him every once in a while to ask him about stuff like this and especially old contacts from his days with the police, so he kept track of most things going on in the city. Everyone had their ways to spend (or cope with, in old Gunnerson’s case) their retirement. I changed into a charcoal-grey, dark three-piece, wore a light-yellow shirt and white pocket square with red edges with that. I tied my auberginecolored, solid tie neatly. I left the briefcase with the Hawthorne case

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Who in the city hadn’t? Vernon Sloane might have been just another ordinary bum, had he not distinguished himself from all other figures of the nightlife by his reputation for cruelty and ruthlessness. He wasn’t too smart, that much was clear. Many thought he had someone pulling his strings. I just thought he was a prick with a talent for violence and bullying people to do what he asked of them. He was far beyond men like Morty Baxter, or below, however you might want to think of it. “I know it’s not going to be easy, getting to talk to him. It could be that he doesn’t know a thing, I mean… ” “Miss Bilbrooke, Vivien, you needn’t worry so much. I’m working for you after all.” I smiled at her and she returned the smile and looked down again. “Yes, I… Thank you,” she said, whispering almost.

best even if she didn’t feel like it.” She looked away now. I couldn’t tell if she was thinking or feeling upset. She opened her lips and I thought she might say something but instead she took another drag from her cigarette, then killed it in the ashtray. She looked back at me, intently now. “I wish I had a photograph of her, something I could help you with.” “It’s fine. I got two names. I know what she looks like. I can work with that,” I told her. She just smiled and looked at me. I thought she might be trying to read me, but all I gave her to read was a drag from my cigarette and the subsequent smoke dissolving somewhere over our heads.

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I asked decisively. “The two I talked about. They’re odd people. One of them is Sarah Carmichael. Dorothy, she sometimes talked about her. She seemed to think rather fondly of her but I never… Well I never met that woman. Just had this odd feeling about her, from what she told me. I don’t know. Then there’s another one. Vernon Sloane. I don’t know him personally but I’ve heard a lot about him.”


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in it leaning against my desk and went out, not before putting on a light-grey and warm coat. It was as cold a morning as the day before, but the snow made things a little more pleasant on the eye, if only slightly. I thought about Vivien Bilbrooke in her black coat, with her little hood on, walking through the streets like that. I thought about taking a cab, but then ultimately took my own car instead. I didn’t have money to burn, not just yet at least. I removed the snow from the windshield and the rest of the windows then got the engine running without any problems. It wasn’t snowing now, but there weren’t a lot of people out on the streets and traffic was even less busy. I had a cigarette while driving, and soon enough I had arrived in a small neighborhood that reminded of where Frank Scribner had lived, just that it was much more run down. A lot of houses looked like no one lived in them at all and like no one would want to live in them any time soon. Minutes later I was in the right street and standing in front of the supposed address of Sarah Carmichael. It was a small house and I felt bad for anyone having to live in it in a winter like this. I got out of the car and looked around the street, not a thing moved. No old ladies peeking out of their windows through the curtains, no dogs barking. I walked through the snow up to the front door and knocked on the cold and brittle wood. After a couple of moments I could hear a woman’s voice coming from behind the door. “Who is it?” She sounded tired and worn. “Postman, ma’am,” I returned and couldn’t help but grin. “Get the fuck outta here,” she told me, sounding like she might have hit me in the face if the door hadn’t been between us. “Miss Carmichael, I need to talk to you,” I said right after. Silence for a moment, then “What the hell do you want?” she

asked, still sounding annoyed, but her voice had got more tired again. “Would you let me in, it’s freezing out here. ” There was silence again but only a moment later she unlocked the door and let me in. I found myself standing in a dark hallway, there was a small light coming from the ceiling, a flight of stairs to the left, a door at the end of the hallway and one to the right, and Sarah Carmichael standing right in front of me with a scowl on her face. She had dark, thick and curled hair, her skin was light and her eyes looked dark also, I couldn’t make out the color in this light. I thought she looked afraid underneath her cold mask of annoyance. “Well, what do you want?” she blurted out. She wore a thick, dark-green wool coat and underneath it I could see a thin-looking, off-white nightshirt peeking out. I got my wallet out and handed her my card. Her dark eyes darted from line to line, scanning the information. When she was done she looked up and handed it back to me. “So what? You haven’t answered my question.” She wasn’t warming up one bit. “Alright. I need to talk to you about Dorothy Perso,” I told her. She tried hard not to flinch or gulp. “Just leave me alone, will you,” she told me, her voice low. She stepped back a little now, into the light of the small lamp above us. She had well-formed cheekbones, rather small, round eyes, a cute nose, full lips, a round chin and a high forehead. All in all, some people might have considered her average but there was something I liked about her face, something elegant. She had her arms crossed now; she looked cold, despite wearing the thick winter coat. I noticed she was about my height. Her eyes were a sort of dark blue that reminded me of those of a child and they seemed to pull one right in even if she had a scowl on her face, like she was going to stab you in the gut. “Listen, Miss Carmichael…” I tried telling her, but she interrupted me “How in the hell did you figure out where I live anyways? Oh what the hell…” She still sounded just as annoyed and spent as the moment I had knocked on her door. I didn’t say a word and she just looked at me. I couldn’t place what she was really feeling or thinking about me. “You want your peace and quiet don’t you? If you want me to leave you alone, just answer my questions and I’m on my way. Simple as that.” She looked me over again and then let out a sigh. “Hang your coat up and then get it on with the questions already,” she told me and opened the door to the right and walked in. I got out of my coat, hung it up and went after her into a small living room with old furniture. It wasn’t in bad shape but lacked some sort of life. In a way it reminded me of my own place. She was sitting in an old armchair with a blanket, covering her from her legs to her chest. She was still wearing the coat underneath. I imagined she might have slept like this here, before I had come. She was looking at me, her eyes alert. I didn’t put it beyond her to have a gat or kitchen knife somewhere under that blanket. Or maybe I was just going


She got up again. I knew I wasn’t going to get much more out of her. She just looked tense now and tired again. I did as she asked of me and got up to leave. She just stayed there; she had turned around and crossed her arms, not saying a thing. I turned as well, to leave the living room but she had a habit of interrupting me. “If you do find her, please tell me if she’s alright,” she told me. “I’ll make sure to,” I said briefly and then left the living room, got into my coat and left the old house with the young woman in it. Once I was in the car I lit a cigarette and drove off. I drove into the city again and stopped at some small restaurant for something to drink. The clock on the wall there said 10:03 when I got there. It was too early to have lunch and I didn’t believe in coffee. It was a tiny place, only a few tables and a bar. I had some fresh orange juice, my daily dose of vitamin, and a handful of cigarettes. After I had finished my drink I just sat there smoking for a while. A few stressed-looking people came through the place to have coffee, none of them stayed for more than five minutes. A businessman or two, a couple of young girls, a couple of shady-looking fellows. They all seemed anxious to leave, to be somewhere, somewhere that wasn’t here. I thought for a while about the past year, of old cases. I thought of Frank Scribner and his daughter. I wondered where they were, how they were. It made me feel like having a drink. I checked my watch, only to realize it was lying back at home, broken. I had one more cigarette, then got up and went out, leaving the place empty, save for the staff. It had started snowing again and I got into my car, started it and drove home right away. When I got there I took off my coat, put the suit jacket on the chair behind my desk and loosened my tie. I sat down for a moment; old Hawthorne’s briefcase was still leaning

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I sat down on a stool near a long and low table between us. “What do you wanna know? Get on with it already,” she snapped at me and I ignored her tone. “You knew Dorothy Perso?” I said. “Yes,” she replied “How? Might take a while if you’re like this all the time,” I went on. “I don’t have to tell you a thing,” she replied. “What tells you that’s gonna stop me?” I countered. “The cops might tell you to if I call them. And I feel inclined to at the moment,” she answered. “I have a license Miss…” I tried telling her but she interrupted, suddenly hysterically jumping up from her armchair, the blanket falling off of her, revealing a lovely pair of legs which I only really noticed now. “I don’t give two flying fucks about your damn license you bum of a detective. Why don’t you get out of my face nasty little voyeur?” Her tongue was sharper than any knife she could have kept under that blanket. Her face was still on fire as she looked at me but I could see some kind of doubt or desperation in her eyes. It might have been lack of sleep on her or even my part as well. “Alright. I’ll play by your rules Miss Carmichael. Just sit back down please.” She got a cigarette and a lighter out of her coatand lit it while she was still standing. She was quite something. Her face seemed to relax and she sat back down, leaving the blanket on the floor. “How did you know Dorothy?” I started. “Work. She was my colleague,” she told me. “Would you have considered

her your friend?” I asked. “No. I don’t know. We didn’t really know each other that well.” She stopped for a moment and I already wanted to ask the next question, but she continued. “To me, she was the nicest girl there. Why do you need to know all this anyway? Why me?” She took a long drag from her cigarette and then let it all back out. I watched her for a moment. She wasn’t looking at me now. “Where did you work?” I kept going. “At a nightclub. Don’t bother asking where.” She looked at me again and went on, “What makes you think I don’t work there anymore?” “I wouldn’t know. I just assumed. Does she still work there?” I asked. “No. She left there, that was before I left too. We lost track of each other after that. I haven’t seen her since,” she told me. There was sadness to her deep blue eyes suddenly. “You are trying to find her, aren’t you?” she asked. “Yes,” was all I replied, looking at her intently. “You were something like cocktail waitresses, right?” I asked. “Yes,” she told me. I kept sitting there for a while. She seemed distant now. To my surprise she picked the conversation up again. “I have no idea where she is Mr. Fontaine. Nor where she might be. Dorothy wasn’t the girl to talk about things like family or…” she stopped; her lower lip seemed to tremble. “I’m sorry, I would like you to leave now,” was the next thing she told me.

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from private eye to insane asylum patient in terms of paranoia. And in my book, the only stage between the two was agoraphobic shut-in, maybe not unlike the girl I was looking at right now. There was a large window that let the winter sun into the room. The blinds looked new. I could see her more clearly now, she really did look beautiful, elegant even as she wiped a bit of her thick hair from her forehead.


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against my desk. I picked the receiver of my phone up and called Lincoln Storage again but nobody picked up. I sighed and had a cigarette before calling Tommy. “Hey, it’s Stanley here,” I started. “Oh, hey pal. Got anything new?” he asked. I felt a bit bad but I couldn’t really have done anything much, the way things were now. “No, nothing just yet. Not reached Lincoln yet either. How about you? How’s Annette?” I asked him and he sighed then answered, “No, same here really. Annette, let’s just say she’s not really taking this well. Keeps her up at night, you know. It’s just a real mess. We wanted to go away after Christmas. Can probably forget about that now. Not that it really matters much, if we’re in a situation like this. Just…” he stopped. “Do you want to meet somewhere? You sound like it’s getting to you as well. We can get lunch,” I suggested but he declined. “No, no. I need to be with Annette, I don’t think I can just leave her alone. Not like this. Sorry pal.” “No, it’s nothing really. I’ll get back to you if I find something out,” I wanted to add that they shouldn’t worry but it felt like hypocrisy so I just said goodbye to him and hung up. I finished my cigarette and then got out of my clothes and ready to take a warm shower. I waited until the water was hot enough then I stepped under the water and sighed, my body warmed up, my muscles relaxed, first in my shoulders, then my lower back, then my whole body. I just stood there for a few moments; the steam filled the whole room soon. I let the water wash over my head too, it got into my eyes but I didn’t care. My whole world was blurred for a moment and I was fine with it. After I got out I wrapped myself in my bathrobe. It was warmer in the bedroom, so I stayed there, sitting down. I checked the clock on the wall. Just before 11 a.m. Another deep sigh. I had

no hope of reaching Vernon Sloane at this time of the day. He could have been anywhere in the city and not even old Gunnerson would know where he lived. If he lived somewhere definite. Some men like him never did, they always stayed at different places. I got up and got the whisky bottle from my desk, sat down on the couch and took a large gulp from it. It made more sense to get some sleep now; I might have to stay up very late if I really wanted to find Sloane. I’d call Gunnerson or whoever else who’d know enough about him to help me. Just a nap. After another cigarette and a sip from the office bottle, I had no more trouble finding an hour or two of sweet slumber on my living room couch. I couldn’t make out anything for a while. I was walking through a strange and foreign hallway, my head felt dizzy. There were doors left and right and I opened each one of them and each and every one of them led nowhere. “Just another dead end,” I heard myself say. Was that me? There was smoke everywhere and I didn’t know where it was coming from. No one could smoke that many cigarettes. I woke up a few moments later. I sat up, still wrapped in my bathrobe. It was a 2:45 p.m. I had slept for almost four hours but felt like it was six in the morning. I reached for my pack of cigarettes but dropped it, then picked it back up and let it fly across the room. “God, fucking shit…” I whispered and left the small box to lie wherever it had landed. I sat up and buried my head in my hands for a moment, then looked up and rubbed them together. Outside it was still snowing, just like when I had come home. But that wouldn’t stop me, just as it wouldn’t stop any of the night birds who frequented the joints that Vernon Sloane owned. What a rotten name. Vernon Sloane. I got up and walked over to my desk and picked up the phone receiver. I tried getting in touch with Lincoln Storage again, to no avail. Next I called Joshua Gunnerson up. “Hey Joshua, it’s me,” I told him. “Fontaine? Again?” his voice came from the receiver, sounding surprised. “Yeah, it’s me alright. Happy times. What can you tell me about Vernon Sloane?” I asked bluntly. “Well, tell me what you know, and I’ll add onto that,” he replied. I wondered if he just wanted to feel like he was talking to somebody for once, and not like he was a walking encyclopedia on the bums and crooks of Chicago, which I didn’t exclude myself from. Either way, I complied. “He’s a big shot in the nightlife of town, owns a couple of nightclubs and bars himself. As far as I know he also runs a brothel or two. Illegal gambling and prostitution are the least messed-up thing he’s in, isn’t it?” He thought about that for a moment then answered, “You bet. Gambling, prostitution, protection money, blackmail, drug trafficking, you name it. Not short of arson or murder if the pay is right or he has a score to settle with someone. And he doesn’t have to suck up to anybody. Not that I know of. He’s a proper shark, if you want to go by maritime terms.” “What a mess,” was all I had to say.


I felt like having a cigarette but when I remembered I had thrown the pack to the other side of the room, I just didn’t feel it anymore. I got up and sighed. He and I had talked for almost half an hour. I felt like nothing was adding up today, though I couldn’t put my finger on why, what felt so wrong about everything I was doing. I sat back down and closed my eyes for a moment. This was it. The infamous life of a private

A couple of minutes later I got back up and went into the bathroom and washed my face with some warm water, then opened the window and held my face out into the icy winter air and it felt like the horse’s bite in the ass I had needed. I looked into the mirror, still the same old face. “Good enough for me…,” I said to myself with a chuckle and then got dressed in the same clothes I had worn earlier. I spent the rest of the day having a late and extensive lunch, knowing I’d probably skip dinner, then getting back to the office and reading. I couldn’t help but feel bad for not being able to do more for Tommy and Annette. Each time the old, slim briefcase caught my eye, it felt like a thorn pricking into my side. I put on the radio for a while and had a drink. I thought about Tommy, about things that I knew had happened years ago, but felt like they had gone down only the other day. I remembered old friends, wondered how they were holding up, what they were doing with their lives. Drinking buddies, school friends, school flames, other girls I had known. The hours passed and at a few minutes after seven I got into my clothes. I chose a simple white shirt, went for the same tie and pocket square I had worn earlier. I got into the pants of my midnight-blue mohair pinstripe suit, put on braces and a mid-grey tweed vest, not to forget my old shoulder holster with the Colt Model 1903 in it, and finally I slipped into the jacket of the suit. I took a large gulp from the office bottle, wiped my mouth with the back of my hand. After picking up the pack of cigarettes, I cleanly tucked them into my cigarette case, which in turn I put into the chest pocket of my grey, single-breasted and thick overcoat along with my wallet and the sheet of paper with the addresses I would need. Standing at the front door of my office, I slipped into a pair of burgundy-red leather gloves, put on a hat, lit a smoke and went out. I was more than ready for Vernon Sloane and any apish henchmen he might throw at me. My car didn’t start so easily, but after a couple of tries everything worked out fine and I drove into the city. It was a clear evening now, but the snow still lay heavily on the streets. Traffic was bearable and it didn’t take me too long to reach the Red Susanne. When I pulled up near the small bar I had already finished smoking my third cigarette and I lit the fourth. The Red Susanne didn’t look like much; the neon sign that hung just over the door was small and the font was corny. I almost hadn’t noticed the place. Maybe that was exactly the idea. Through the large glass window and door that made up most of the bar’s front you could see inside, see the small tables. It reminded me more of a little roadside diner than a bar. I smiled to myself, blew some smoke from my mouth and went inside, keeping my coat on.

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dick. You sat down and thought. You felt powerless. It was a quarter past three. You had a drink. Maybe smoked a couple if the cigarette pack wasn’t busy on the other side of the room. This was it.

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“What are you getting into there, Stanley?” he asked. The second person calling me Stanley today. Hopefully it wouldn’t become a habit for people. If it were Vivien Bilbrooke though… “I just need to do this for a client. Need to ask him some questions, you know,” I told him, a little reluctant to mention my client. I knew old Gunnerson could be trusted though. “Dumb idea…” he deduced. “Just tell me where I can find the son of a bitch,” I told him, bluntly yet again. I didn’t have a bit of sympathy for a man like Sloane. I could hear the old man sigh through the telephone and then raise his voice again, “Alright, alright. He owns a couple of places, as you know. He has favorites though. Most of the time he’s either in the Red Susanne, which is a bar, a tiny place really, near the harbor. And then there’s the Vertigo, but I’m sure you have heard of it. Not that big a place, but there’s lots of folks coming there every night. His most successful nightclub. If it’s not one of those, you can always try his other places.” I thought that would about cover what I needed to know for now. I also asked him if he knew something about Lincoln Storage, but he said they were perfectly respectable and wouldn’t pull anything crooked, and I took his word for it. He told me the addresses for Sloane’s drinking joints and said if I needed anything I could come back to him about it. I thanked him for that too, after which we said our goodbyes and he hung up.


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I gave the interior a scan after sitting down at one of the smaller tables, not that any of them were very large. The furniture was nothing special; the staff was limited to a girl, a waitress who I reckoned was in her early thirties and had a large head of red curls, and an old man who looked Italian, standing behind a counter and in front of a collection of half-empty bottles. I wondered how many of them had touched Vernon Sloane’s filthy lips. The only costumers were three men, not badly dressed, smoking cigars, sitting at one table and talking about anything from girls, over food to their families, and a couple in their forties who were not looking at each other in utter silence over their drinks and cigarettes. The small establishment was very scarcely lit, but the city lights outside were doing a fine job dipping the whole place into this turquoise haze. The smoke was so thick you’d have thought it was fog. The girl who managed the customers came over and her nasal voice pierced right through the entire mellow yet melancholy atmosphere of the place. “What’ll ya have?” She was standing right beside me now, looking down at me as I was sitting. The amount of hair on her head was almost as impressive as the fact that you could still see her expressions change, despite how much make-up she had on. Then again, she probably only had two expressions; mildly annoyed and annoyed. “Some rye, neat,” I told her and she only said, “Be right along.” I watched the old man pour the amber liquid into the glass. I paid right away when she brought it to my table and then drank it calmly. I listened to the three guys talk as they smoked but none of them said anything that would have meant much to me and certainly nothing that would get me any further. I knew Sloane wasn’t here, I felt it in my gut. It was

half past seven now but I chose to stay for a few minutes more. I wondered if they had hired the redhead just because of the name, Red Susanne. I didn’t know what it was about the place that made me want to just sit and think for a while. I thought about Tommy and Annette and I felt bad because I could do nothing. I wondered if they were at home now, sick with worry, wrapped up on one of their pretty sofas. I had finished my fourth cigarette and now had my fifth together with the whiskey. When I was done with that I left and got back into my car. The Vertigo wasn’t far from here. It was a short drive, just enough to finish my smoke. When I pulled up on the street the nightclub wasn’t hard to spot. The large sign that read VERTIGO shone in a deep violet and colored the entire street as though it had it in some kind of oppressive grip. You could hear the music from out here. I got out of my car and walked up to the entrance. There were twice as many cars parked here than on any other street and you could see all sorts of people, all wearing their thick winter coats only concerned with themselves. I passed by the bouncers without any trouble. The insides of the club were opulent, if not decadent. I didn’t necessarily object. It reminded me of a theatre. There was a sort of entrance hall with a broad flight of marble stairs leading upwards. I left my overcoat and hat with a sweet-looking young coat check girl and then went on up. At the end of the stairs you passed through a wide door that had a sign saying ‘Ballroom’ over it. The ballroom itself was huge but thankfully not as crowded as I had expected. It had an oval shape, lots of tables, a large stage opposite the entrance; the bar was to the left and another stairway leading up onto the second floor to the right. There were a few bouncers here too. I went up to the bar, the most crowded part of the room and ordered an Old Fashioned. I lit a cigarette and sipped at my drink once I got it, and then looked towards the stage for a moment. There was a tall girl in a white two-piece with her waist exposed on stage, singing and swaying her hips for the crowd, while the band played a gay tune to the whole spectacle that was her. Her head of thick red hair reminded me of the waitress from the Red Susanne, but this girl was a completely different league. Just as her intoxicating show act was about to swallow me whole, my eyes wandered over to the stairs where a tall man followed by two bouncers in dark suits was coming down. He was wearing a navy-blue mess jacket but you could see he was anything but a waiter around here. He had little hair on his head; I reckoned he was my age, maybe a bit younger. He said something to the two men behind him and they went back up, then he made his way to the bar. He looked like he might have been about Tommy’s height. I kept my eyes on him as he strode confidently over to the bar. He came right up beside me. “Get me a Martini, Chet,” he told one of the young men behind the bar and the kid got to it right away. “Busy evening, huh?” I said in his direction. For a moment he wasn’t sure if I had said it to him or


“How about a room with Vernon Sloane?” I said and looked at him intently now. His eyes turned to me and his smile vanished, just to reappear again a moment later. “Why do you want to get into unnecessary trouble?” he asked, his voice a little lower now. “Since I doubt you really get to see anyone who walks in and out of here, that’s the second time you’ve been assuming something tonight. Not unnecessary.” I offered him a cigarette but he refused, then I lit one myself. He was more serious now, “What’s this

“That so?” he said calmly. He got up now. I noticed his hands were rather large. He wore a heavy-looking suit in off-white with a grey pinstripe. Under that he wore a lilac-colored shirt and a creamcolored striped tie. There was a violet, polka dot pocket square tucked into his chest pocket. I couldn’t help but think he looked like a picture-postcard-pimp. He took a still–burning, half-smoked cigarette from the ashtray on his desk in-between his long and thick-looking fingers and took a drag, then blew the smoke into the air. “You’re Vernon Sloane?” I asked him. Not a muscle in his face moved. “That’s so,” he replied. He turned to Dexter who was standing just a few steps behind me. “Who’s this joker? Should’ve told him to leave his gat at home. Hand it over fella.” I wasn’t surprised that Sloane had managed to spot the gun in the holster under my jacket. He looked older than Dexter and me, I reckoned

After we finished our drinks he led me across the ballroom and up the stairs onto the second floor which was less crowded and smaller than the ballroom, but that still made it pretty big. You could still hear the music here easily, some people were actually dancing and there also was a small bar. I didn’t have time to look the place over any more though, as we walked through a door with a small sign reading ‘Private.’ I followed him through a small corridor with a couple of doors, the last of which led into an office. Dexter walked in before me and raised his voice, “Vernon. Someone to see you.” I could hear Dexter was amused. I walked inside after him. The office was quite small, considering how large the Vertigo was in general, but well furnished. There was a large window at the end of the office and the blinds were drawn. In the middle of the room was a large desk and behind it sat a large man. He was shorter than Dexter, not fat, but still seemed like a bigger guy than most. Like his brother he had little hair on his head. Their faces were similar, except for him having a wider and flatter-looking nose and thicker lips. I only now realized I was looking into the small green eyes of Vernon Sloane. He looked like any other man you might meet on the street. He wasn’t handsome; he didn’t look very smart either but there was something mean, something very different from his brother, in the look on his face, which was fixed on me. His entire face had a look of disinterest but I could see a bit of curiosity gleaming in his eyes.

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about though?” I answered, “I’m not looking to make any trouble around here. I just need to talk to your boss. We both know noone can touch Vernon Sloane.” The last part was a lie. I went on, “I’m not a cop, but you probably know that. Not many a cop in this city would be dumb enough to walk into the lion’s den.” He seemed to think for a moment. He finished his drink in one gulp, then said, “Fine. What the hell, I’ll let you have your fun. You couldn’t make much trouble if you wanted to.” And he assumed wrongly again. We had our scotch and sodas and he introduced himself, “Dexter. Dexter Sloane.” I was surprised, I’d never heard of Vernon Sloane having a brother. Not that it mattered too much.

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not but then he looked over with a slight smile and said, “Not as busy as other nights. But don’t worry, the girls will come around soon enough.” I had to chuckle, I had expected him to say something like that. He had a diamond-shaped face, his eyes were a light green, and he had a sharp nose and a thin pair of lips. He looked like he wasn’t in a hurry. And he was too charismatic to be Vernon Sloane. He sipped his Martini. “Never been here, huh?” he asked. “Now, what makes you think that?” I replied. He seemed amused. “A guy can tell. Besides. Chief of staff notices anyone who walks in and out of this place. Sooner or later.” I raised an eyebrow in fake surprise. “Chief of staff, huh? So you are the go-to-guy for anybody who needs something around here,” I said and had some more of my drink. “Well, it’s not exactly like that. I just take care of things, you know. That pretty honey there on the stage? Can thank me for that one.” I smiled a crooked smile at him and raised my glass. “To the chief of staff then. Hey kid, two scotch and soda,” I said as I turned around to one of the barmen. The tall man had to smile at that. “What do you think that scotch and soda is buying you? Getting in a room with that girl?” He looked at her for a moment and then added, “Couldn’t blame you if you tried though.”


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he had been in all sorts of rackets long enough to know when a guy was carrying a gun or not. I complied and put it on the desk in front of him. He seemed pleased.

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His fat lips parted, “One. Who are you? Two. What do you want? I’d ask which genius let you in here but I already know who I gotta thank for that.” He stopped for a moment and looked at Dexter who was only grinning, then went on, his fish mouth opened and he uttered a single word, “Talk.” Lots of men in this racket had attitudes like Vernon Sloane but most just took them on to intimidate others. With him, however, I couldn’t tell if he was faking it on or if this was really how he was. Maybe to some people that thought alone was more terrifying, not to me. “I’m not here to mess around. I got little time on my hand and I intend to use what I do have. I’m here to talk about Dorothy Perso.” His face was as motionless as the marble stairway. “I don’t know who that is,” he said in the same dull tone as before. “Bullshit,” I returned. I watched as the corners of his mouth went upwards slowly. He walked to the front of his desk and then sat back on it. “You still haven’t told me who you are,” he said. “Name’s Fontaine,” I told him. “Private eye?” he asked. It was nothing he couldn’t find out by looking into the telephone book, but I didn’t feel like being nice. “None of your concern.” Dexter chuckled. Sloane kept looking at me. “Mr. Fontaine, you come into my office, call me a liar and are rude to me, then expect me to answer your questions? Not a very clever approach is it?” he said. “If you don’t know who the girl is, how would you be able to answer my questions either way?” I asked him and he smiled again. He finished smoking his cigarette, killed it in the ashtray with precision, blew the last bits of smoke into the air and then started talking.

“Miss Perso used to work here. As a waitress. I remember her. Dark hair, blue eyes. Even sang a couple of times.” “But she left? Why?” I asked. “Something about her family if I remember right. Mr. Fontaine, I don’t keep track of all the people who have worked for me, personally. That’s why I have men like my brother. You certainly know I own several establishments in this city.” I wondered if he knew anything personal about the waitress at the Red Susanne. “Establishments like brothels and opium dens?” I asked him, a grin on my face. He grinned back at me. “You’re a funny man, Mr. Fontaine,” was all he said. There was silence for a few moments. “Are we done here?” he asked. “Did she like working here?” I inquired. The question seemed to amuse him again. “You should consider changing your field of work. How about a reporter? You’re just as pushy and all you do is cause people annoyance and trouble for a quick dollar. I suppose she enjoyed it here. Not a lot of waitresses get to sing on stage. You see, we’re a very respectable venue. Call it enterprise in your article if you will. What was it you worked as again?” I ignored him. “You wouldn’t have any idea where she is now, would you?” I kept asking. He shook his head and laughed a little, “This is ridiculous. No, Mr. Fontaine, I have no idea where she is. Please, are we done with this little farce now? I would like for you to leave. Dexter will show you the way out. Goodnight.” He got up from the table, walked behind it and sat back down while Dexter picked up my gun and handed it to me, then put his hand on my shoulder and led me out. Starting any ruckus here wasn’t a good idea. He brought me back to the second floor which was a little more crowded now. Dexter looked at me, his expression the same as ever. “So long, fella. Enjoy the show,” he told me, before he was off, going downstairs. I sat down at the small bar and ordered some rye on ice. There was nothing left for me to do at this place, nothing to find, I knew as much. Someone here would be keeping an eye on me now, even if I couldn’t tell. I finished my rye and then got up and went downstairs. The girl on the stage was gone now, I expected she would reappear at some later time. It was ten minutes to nine when I went to get my coat and hat back. I thanked and tipped the blonde coat check girl and walked up to the crowd at the door, pushing through it slowly, I thought I had seen a pair of black eyes that looked familiar, but with all the people, you really could never tell. It took me a little less than half an hour to get home. I got undressed down to my pants and my vest which I simply opened up. I loosened my tie and sat down. Not exactly a successful day. I thought about some way to get more out of Sloane or Sarah Carmichael some other time but nothing came to mind. I could try and talk to somebody else who had worked at the Vertigo, but it would probably be useless too. If Carmichael was telling the truth, they had been best friends of sorts, when they still worked there. It wouldn’t hurt to try though. I sat there for a while, thinking in complete silence. It wasn’t late, but the streets were strangely calm


There was silence for a few moments. I already wanted to go on but then she sighed. “I’m sorry Mr. Fontaine, Stanley I mean. I just get so worked up thinking about this. I try to do some work, distract myself from this but… I just find it very hard to forget about her and… Goodness, I can’t even call it what it is. She’s missing, she might be gone for good and I might never see her again…” she said and sounded as though she was about to start sobbing. “Miss Bilbrooke, you’re doing all you can. And there’s a very good chance we will find her, I mean… Don’t let my pessimism get you down,” I told her calmly. “No, it’s not that. It’s just… the thought of something having happened to her scares me terribly, you know,” she told me and sounded more put together again now, yet I felt bad for her. I sighed also. “Listen Miss…” I tried telling her but she interrupted me, “Vivien. It’s Vivien. I hate my awful last name sometimes.” I didn’t want to go into just why she did, so I continued, “Listen Vivien. I will do all I possibly can. Might be I can stretch the boundaries of the law a little, heck, what’s a private dick for anyway.” She laughed for a moment and then calmly replied, “Thank you Stanley, I do appreciate that. I just need to distract myself until you find out more I suppose.” “I will try my damn hardest to find something as soon as possible,” I assured her. “Thank you, I… I don’t really know what to say,” she returned. “It’s alright. You are paying me after all,” I told her. “Yes, I am. I might have to raise your payment per day a little,” she said with a chuckle. I couldn’t think of anything to say for a moment, wanted to tell her it wouldn’t be necessary, but she continued, “Did you ever have to look for someone of your own who was lost?” I didn’t know what to say again, I didn’t even know what to think of the question. I reckoned telling her the truth wouldn’t do any harm. “Never have, no. Not saying the thought isn’t tempting sometimes, keeping track of people you’ve lost.” She gave the tiniest giggle she possibly could. “Not exactly ethical, is it?” she asked and I had to laugh a little too. “No, it certainly isn’t. But no one I know has ever really gone lost. Just that…” I tried telling her but she cut me off. “I understood what you meant Mr. Fontaine. It’s fine,” she said, calmly, her voice low, then she sounded more cocky again, “So, it’s not like somebody in your family went lost and you followed a higher calling and became a private eye so you can help others.” I chuckled. “You have interesting ideas of the life of a private detective,” I told her and caught myself smiling. Neither of us said anything for a moment. “Well, would you like to enlighten me?” she said finally. “Well, what are you suggesting I tell you?” I asked her. “Why don’t we meet for

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Just as I was about to pick it up, the telephone rang. I looked at the phone for a moment wondering who would call me this late; I reckoned it might be Tommy. My hand reached for the pitch-black receiver and I put it to my ear. “Hello?” I said. “Good evening Mr. Fontaine,” the voice that came out of the receiver said and the moment she had uttered the ‘g’ in ‘good’, I had noticed it was her. “Evening Miss Bilbrooke,” I said. “I hope I’m not interrupting anything, calling at this time of night,” she told me and I chuckled. “Don’t worry; it’s not all that late. And I might have a habit of not sleeping. I assume you’d like to know if I found out anything today,” I returned. “Yes, if you don’t mind,” she confirmed briefly. “I saw both Sarah Carmichael and Mr. Sloane. I got to ask them both a couple of questions. Neither of them knows where Dorothy is now. Pretty sure one, or both of them, are hiding something. Can’t put my finger on what though. Not yet. I’m continuing my work for you,” I told her and she sounded delighted. “Oh, well that’s good news I suppose? I don’t know much about these things you know. My father was a businessman so I grew up sort of, sheltered, shall we say?” I’d thought her name had sounded familiar but I hadn’t remembered Robert Bilbrooke. I was surprised to

learn Vivien was the daughter of one of the richest men in the city, one who had made his fortune mostly in oil, among several minor enterprises. Either way, I didn’t let it bother me one bit. “Good news? I don’t know about that, but it’s certainly something to start on,” I told her.

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now. I reckoned I’d call Gunnerson again tomorrow and ask him for some more information on people who’d worked at the nightclub, maybe even ask him about Perso herself and if his records said anything about her or if he could get into contact with someone. I got my glass and poured myself a stiff drink. The bottle was nearly empty, but it didn’t matter, there was more than enough booze left in this city, at least for me. When I saw the slim Hawthorne briefcase again, I felt my spirits drop even more, I hadn’t got anything done for Tommy and Annette today.


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breakfast tomorrow? So you will still have time to work in the day. Perhaps we can discuss what you found out in detail. What you are planning to do now. And so on.” I wondered what ‘And so on’ meant. I wasn’t sure what to tell her, I didn’t like putting my personal life before a case but I reckoned breakfast wouldn’t hurt. She deserved knowing what little I had found out about Dorothy so far. “Where do you want to meet?” I asked her. She told me of a little place she knew in the city and I wrote the address down. After I was done I hesitated for a moment. “There anything else you need Miss Bilbrooke?” I asked her. “Only that you call me Vivien. We’ve been over this Stanley,” she replied with an air of laughter to her voice but still as soft as could be. “Yes, I suppose we have. Tomorrow then?” I asked calmly now. “9 a.m?” she suggested and I agreed. “Tomorrow then,” she repeated after me. “Goodnight Stanley,” she told me, calling me by my first name yet again. “Goodnight,” I told her and made myself hang up. I wanted to wash the grin off my face with a stiff drink, not that it would have worked tonight. I checked the clock and it said ten minutes to nine. I got out of my clothes and into the shower and for a while I forgot my day under the warm water washing over me. It had been a long one. When I was finished I put on my robe and just stayed in the bathroom for a while, letting myself dry. It felt good not to be freezing for a while. I went into my bedroom and turned the radiator up a little then left my robe on a chair and just lay on my bed, naked. I closed my eyes and pictured Vivien Bilbrooke, the night we had first met in the small diner, wearing the fox fur coat. I remembered the look in her clean, grey eyes. I remembered drunk Andy Kean also, and the kid behind the bar, and then it struck

me. Thomas and Annette who were probably still worried sick and who I hadn’t been able to do anything for. I got back up and put on my dressing gown, then went into my office. I immediately lit a cigarette and smoked it slowly as I picked the slim briefcase up and went through its contents for what felt like the tenth time. Everything was still there alright, and nothing made sense still. I’d given up on the numbers, they wouldn’t get me anywhere. I went through the notebook with the phone numbers once more, carefully going over the names, but the only thing I picked up was that they started to seem familiar because I had read over them so many times. Meanwhile old man Hawthorne looked up at me from his portrait photo, his eyes sternly focused on my futile attempts to find him. “Dammit…,” I muttered. My cigarette was all through and I put it out, then got dressed. I put my suit back on, got everything I would need and put it in the briefcase, left the tie at home this time and put on my overcoat and my hat, then went out. The snow fell in thick flakes. I got in my car. I didn’t care what the time was, nor that my watch was broken. I drove out into the general direction of the shipyard. When I reached the familiar street with the small storehouse at the end of it, I parked my car and just sat in it for a while. The street wasn’t entirely dark, there was a single streetlight standing next to one of the run down, old houses. I had put the briefcase on the passenger seat, and I picked it up and got out of the car. I went up to the small Lincoln storehouse and to the main door. I couldn’t see much so I felt for the lock, then opened the briefcase and got out a lock pick. It took me a couple of minutes and tries to finally get the door open. After wiping some snow off my shoes as best as I could, I went inside the pitch-black small hall and closed the door behind me, then got the flashlight I had brought out of the briefcase. I breathed in and out and then turned it on. I could see just well enough. There were boxes standing around in different sizes, some smaller, others surprisingly large, all of them thin. I felt my grip tense up a little as I took a few steps forward to one of the boxes. They were all standing up with only a few exceptions. The place was almost full of them. I carefully got one open, feeling the cold wood under my fingers. Looking inside the box I got a peek at a wonderful old oil painting, I couldn’t date it, but I could tell it was old. They didn’t paint them like that anymore. It showed a small country house on a hill, a child playing with a dog in front of it, an old man sitting down, watching the two longingly; the house overlooked a field of sunflowers, there were more hills in the back in a warm green, and the blue sky hung over the entire scene. For a short moment I dived in, I wished I was there and not in this icy hellhole of a city. I closed the box back up and took a few deep breaths again. I carefully looked in a few of the other boxes and all of them were likewise filled with old-looking paintings. Had Hawthorne been an art


4 Slowly the curtains that were my eyelids lifted themselves and my blurry gaze fell onto my bedroom wall. I turned onto my back and looked over at the bedside table, then jumped a little. It was a quarter past eight. That meant 45 minutes to get ready and drive to where I’d meet Vivien. “Shit,”

Not long after I reached the street that she had told me about, but the little restaurant was nowhere to be found. Instead there was a small park just across the street. Vivien didn’t seem to be anywhere near. I brought my car to a stop and decided to take a look at the park. There were naked trees, their branches only covered by snow. A small pond that was frozen over could be seen next to a large pavilion, with lights and tables inside and a blonde figure in a navy blue coat standing before it. I could tell it was her. When I started walking up to her she turned around, smiled lightly at the sight of me and made her way towards me too. “Good morning Stanley,” she told me and we shook hands. “You didn’t tell me this little place was deep in the woods here,” I said, giving a chuckle and she had to laugh. “Well, I was sure you’d figure it out easily, given your profession,” she countered, always cocky. We walked inside the pavilion together and sat down at one of the tables; there were only a few other people here, who I didn’t pay attention to. There was a mink fur collar on her beautiful navy-blue coat, underneath she wore brown. Both of us had taken our coats off. Neither of us said a word until the waiter came around a moment later. She ordered black tea and said she’d make up her mind about what to eat later and I told the waiter I’d do the same but that he should bring along some of that tea for me as well. When he was off she smiled at me and I couldn’t help but do the same. “I suppose you’d like to know what I found out,” I suggested but she declined, to my surprise. “No please, it’s all such a dreadful thought. Just not yet,” she told me, shaking her head softly. Her hair fell gracefully down her shoulders. I couldn’t help myself from looking at her, studying her elegant face. “Then what would you like to know?” I asked her and put on a grin. The corners of her mouth went up; she brushed some of her hair out of her face, then leaned back and put one leg onto the other slowly. “Why, I’d like to know more about you, Stanley.” I couldn’t keep my eyes from widening but my grin was still there. I said nothing. “You aren’t exactly an open book,” she told me. “Do you usually ask people like your doctor or your plumber about their personal lives?”

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A few moments later it all made sense or at least in my head it did. He’d been stationed in Italy. He’d been high up enough in the military to be able to cover it up if he and his soldiers raided some old palazzi, somewhere in Sicily maybe. I wiped my forehead at the thought. He’d probably tried finding some sort of black market art dealer who’d buy paintings like these. Or collectors who were willing and unscrupulous enough to buy them from him. Maybe he just liked looking at them during long winter nights like this one. I stayed for a few moments more. Didn’t make much sense to tell Annette and Tommy about it now, all it would do was upset them more and rob them of a night of sleep and I knew only too well how that felt. I got my stuff together and left the storehouse just the same as I had found it. The thick snowflakes soon covered my footprints. Back home I got drunk and into my pajamas. I didn’t know why. I had no idea what the time was. I finished what little was left in the office bottle and then fell into bed. It had been a long day. Wasn’t the first time I’d thought that, was it? Before I knew it I fell asleep.

I muttered and got out of bed. I rushed into the bathroom and had a quick but clean shave while I waited for the water to get warm enough. The shower was a short one also. I dried myself off and got into my underwear. I put on a light-blue shirt, a navy tie with white stripes and a light-grey herringbone suit, one of my favorites for the winter. I tucked a navy-blue pocket square into my chest pocket and went for my best pair of shoes. I checked the time. 25 minutes left. I slipped into my overcoat, tidied my hair as best as I could, just to place a hat on my head and then went out. I quickly walked to my car and thankfully it didn’t take very long to start. The snow wasn’t falling now; instead it lay languidly on streets and houses. I didn’t need a smoke, I just drove through the thin traffic. I figured most people were at work already.

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collector, his daughter would most likely have known. I couldn’t imagine him being that rich either. What I knew didn’t add up. He had got hold of those old paintings through some other way. I went over what I did know of him in my head again.


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I returned. She chuckled and looked away for a moment, out into the snow filled park. “Beautiful out there isn’t it? No, I don’t,” she said and then looked back at me and continued, seeming more serious now. “Let’s say I was curious. Would that be good enough for you?” “You can ask anything you like,” I told her, folding my hands in my lap. A moment later the tea arrived and the waiter poured it into our cups. “Where did you grow up?” she inquired. “Oak Park,” I told her. “I’ve heard of it. Where did your father work?” she went on. I thought her questions were a little odd but I wasn’t going to refuse her the answers. “He was with the police. Retired now. I haven’t seen my parents in a while,” I told her. She gave a light frown now. “You aren’t planning on visiting them? It’s Christmas after all,” she suggested. “I think not. I don’t know. I’m quite busy with work,” I admitted. Her frown deepened. “I wouldn’t mind giving you a day off or so. I could really understand if…” she said but I interrupted her, “No, that won’t be necessary. Besides, I have other cases.” She looked down at her steaming cup of tea now. “I’m sorry, I… I didn’t mean to pry either.” She got a cigarette from her coat and lit it; her fingers were trembling only so much, you had to stare at her fingers to notice. She lit it, blew some smoke and then gave a small chuckle, “I’m sitting here, asking you questions like a fool just… just to distract myself from this mess and because... Well, I don’t know. I can’t talk to my friends about this either. I suppose I simply…” She had put the hand that wasn’t smoking the cigarette on the table and I touched it, it made her stop talking. “I know it’s hard not to worry in a situation like this. Believe me, I’ve seen people go to pieces before my eyes over those things. You’re holding up well. You seem like a strong person. I won’t tell you not to

worry, though. Makes no sense. You’re bound to. I wish I’d have already been able to do more for you. I wish you wouldn’t have to worry about this. Just… I’m sorry.” I kept my hand on hers while telling her all this. Her eyes were fixed on me; her mouth was just slightly open. She seemed like she didn’t know what to say. I didn’t know if I should say more, I wouldn’t have known what to tell her either. I could feel her turn her hand around under mine, could feel how soft her palm was. She smiled just slightly. “Thank you,” she told me, almost whispering. “You grew up here right?” I said and then pulled my hand away slowly and had some of my tea. It was just the right temperature. Her hand remained just like I had held it for an instant longer, then she tried her tea too. I thought it had to taste horribly with her cigarette. “Yes, I grew up in the city. My father made his fortune in oil, you might know that. Then he expanded. But you probably don’t want to hear about this.” She smiled lightly again. “Would you rather tell me about what you found out yesterday?” she changed the topic now, seeming a little sad suddenly. “If you’d like to know now,” I suggested and she nodded gently. I leaned back, had some more tea and thought. “I saw both people you mentioned yesterday. Sarah Carmichael lives in an old part of town. Bleak neighborhood. Bleak girl. Said she worked as a waitress together with Dorothy and that they were friends. A while after Dorothy stopped working there, Carmichael did too. Hasn’t seen her since apparently. I didn’t know what to make of her, she doesn’t seem to be lying. Kind of a shut-in too. If you want my guess, Sloane has something to do with it and he is pressuring Miss Carmichael to keep quiet somehow. I saw him too. Lives up to his reputation, I can tell you that much. I’m onto it though. He hasn’t seen the last of me.” Vivien looked at me and the look in her eyes was one of curiosity and not of worry now. I thought it would upset her and make her sadder to hear all that, but it seemed to have distracted her somehow. Maybe she was hopeful I’d find her friend. I couldn’t tell for sure, I wasn’t going to pry either. Nevertheless, I was dying to know what was going on in her lovely head. “You’re not messing around, are you?” she asked, but it was more of a realization. I said nothing. “Funny. Most of the time I hear the word private detective I picture some sleazy fellow with a nose so long it gets stuck in other people’s business all the time. Someone who isn’t exactly concerned about the people he works for and enjoys slacking off because he gets paid by the day,” she told me and I had to smile at the images she was putting in my head. “What tells you my nose isn’t that big?” I asked her, grinning still. She laughed lightly once again. “You’re awful Stanley,” she told me, nearly whispering again and then looked out the window once more. She had finished her cigarette and was now just sipping her tea. A few moments later she looked back at me and raised her voice, “Do you know what you’ll have to eat?” I’d completely forgotten


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the delicious-looking food. We kept talking about our daily lives while eating, neither of us said anything that would have got us to some meaningful conversation, but I didn’t feel like we needed to have that. I was content with just sitting there and looking at her and talking about trivial things…

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about our breakfast, I wasn’t sure if I should even eat anything at all, I wanted to give Tommy a call and tell him about what I had found the night before. Reluctantly I sat up a little, straightened my back and looked closely at Vivien sitting opposite me. I put my hands on the table. “I’m sorry Vivien, I’m afraid I should soon be…” I tried explaining but she interrupted me, her voice more cheerful again now, “You don’t even have a watch on you, how can you know what time it is? Might be you still have an hour until your next appointment or rendezvous with a client.” I had to laugh now too. It wasn’t like I was in a hurry and like I was about to find out just where old Harold was now because I knew about the paintings. I reckoned calling Tommy and Annette could wait until breakfast at least. I remained seated. When the waiter came around a few moments later Vivien ordered some toast with butter, jam and honey and some eggs benedict for herself. I told the waiter I’d have scrambled eggs with bacon and some of that toast as well, along with orange juice. Both of us lit a cigarette and got talking again. “Why don’t you have a watch anyway?” she asked, as she was eyeing my wrist for a moment. “It broke just the other day. Haven’t gotten around to getting a new one.” I told her. “Is that because I’m keeping you so busy?” she went on with her constant cocky smile on her lips. “No, it’s because I’m a lazy bum who hasn’t gotten around to buying a new watch yet,” I wanted to say but just kept on grinning. She told me about her work as a personal assistant for Roy Goldberg who had been a sort of protégé of her father. I reckoned she had chosen to work herself, considering how wealthy her father was, she wouldn’t need to lift a finger if she didn’t want to and could bathe in milk all day. Moments after I’d caught myself painting that pretty picture in my head, the waiter came around with

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GEMEINSCHAFTSARBEITEN

Gemeinschaftsarbeiten

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WIENER BLUT

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Fabian saß in einem Café namens Spalteholz und las die Schlagzeilen der Abendblätter. Englisches Luftschiff explodiert über Beauvais, Strychnin lagert neben Linsen, Neunjähriges Mädchen aus dem Fenster gesprungen, Abermals erfolglose Ministerpräsidentenwahl, Der Mord im Lainzer Tiergarten …

Traum – Wirklichkeit

Erich Kästner, Fabian oder die Geschichte eines Moralisten (1931)

Er betritt das große bedrohlich wirkende graue Gebäude durch einen schmalen niedrigen Hintereingang und steht sofort in einem spärlich beleuchteten labyrinthischen Stiegenhaus. Er nimmt die ersten zwei Stufen der steil nach oben führenden Holztreppe mit einem großen Schritt und hört, wie das Holz unter seinen Füßen kracht, als wäre es nicht stark genug, ihn noch weiter zu tragen. Nachdem er, mit schleppenden Schritten, die oberste der gefühlten 1000 Stufen erreicht hat, starrt ihn ein Paar riesiger melancholisch blickender Augen an. Ein kleines Mädchen, etwa sieben Jahre alt, steht, ein riesiges Buch von der Hälfte ihrer Körpergröße in den kleinen abgemagerten Händen haltend, vor ihm. Sie überreicht ihm das schwere Buch, dreht sich wortlos um und verschwindet mit lautlosen Schritten in einem engen dunklen Gang, der sich plötzlich vor ihnen aufgetan hat. Er legt das Buch uninteressiert auf den Boden und beschließt, dem kleinen Mädchen in die Finsternis zu folgen, doch als er einen Schritt vor den anderen setzt, nehmen seine Sinne keine Eindrücke mehr wahr, und von allen verlassen, verschwindet er immer mehr in sich selbst. Seine Lider ziehen sich langsam wie zwei Vorhänge von den Augen weg, und er findet sich schlagartig in einem anderen Gang wieder, dessen Ende nicht abzusehen ist, mit zahlreichen Türen, von denen er jede einzelne


seinem rechten Oberschenkel spürt, in seine rechte Hosentasche greift und sein läutendes Handy herauszieht, doch das Handy, das keine einzige Taste und kein Display hat, lässt sich nicht bedienen und der Anruf somit nicht entgegennehmen, und ohne dass der Kommissar es wahrnimmt, breitet sich das Loch vor seinen Füßen noch weiter und noch schneller aus, und er stürzt hilflos hinab in die schwarze Leere, während das Läuten des Telefons noch immer in seinen Ohren klingt und er immer schneller und immer tiefer in dieses bodenlose Nichts hinabfällt …

2

Kommissar Fux wurde in seiner Wohnung in der Blindengasse im achten Wiener Gemeindebezirk durch das Läuten seines Handys plötzlich aus dem Schlaf gerissen, schreckte hoch, setzte sich auf die Bettkante, griff nach dem Handy, kannte die Nummer auf dem Display jedoch nicht, sagte gereizt „Hallo, wer ist da?“, doch auf der anderen Seite wurde sofort aufgelegt. Nachdem er so plötzlich aufgeweckt worden war, brauchte Fux eine Weile, um zu realisieren, dass er nicht mehr träumte, und mit zitternden Händen legte er das Handy auf den kleinen Tisch neben dem Bett, fuhr sich mit der linken Hand über das verschwitzte Gesicht und durch das durchnässte Haar, bevor er in der totalen Dunkelheit seines Zimmers überlegte, ob es Tag oder Nacht sei. Um sich zu beruhigen, ging er erst einmal ins Bad, betätigte dann endlich den Lichtschalter, nachdem er ihn fünf Mal verfehlt hatte, reinigte sein Gesicht mit einer kurzen Katzenwäsche, ging anschließend in die Küche, wo ihn eine zart rötliche Morgensonne im Fenster begrüßte. Er öffnete es und atmete erleichtert die kalte herbstliche Morgenluft ein. Nach dem Frühstück ging er in den Vorraum, um sich für die Arbeit umzuziehen, dieser kleine Raum war auch sehr schmal, die Wände waren blass, kahl und unauffällig, wobei sie durch ihr leicht in die Jahre gekommenes Aussehen auch noch eine gewisse Melancholie ausstrahlten, etwa in der Mitte des Raumes befand sich ein kleiner niedriger Holztisch, auf dem ein kleines gerahmtes Farbfoto seiner Eltern stand, ihre Gesichter waren ohne jegliche Mimik und ohne jegliche Aussage. Er öffnete den schmalen Wäschekasten und nahm ein Unterhemd und eine Unterhose heraus, schlüpfte hinein, zog dann ein blassblaues Hemd und eine dunkelgraue Hose an, stieg in seine schwarzen Schuhe, zog eine braune Lederjacke über und sah sich einen Moment lang im Wandspiegel an: seine Haut hell, seine Gesichtszüge leicht ausgemergelt, seine Augen blau und sein

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Ein Tag im Leben des Kommissars Fux

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Gemeinschaftsarbeiten

öffnet, doch sie führen alle in eine schwarze Leere. Er bleibt stehen, empfindet plötzlich große Angst vor diesem endlosen Gang, wendet sich um, geht einige Meter zurück und erschrickt, als rechts eine der braunen Türen aufgerissen wird und ein junger kräftiger breitschulteriger Mann in einer schwarzen Lederjacke breit grinsend vor ihm steht, mit einem riesigen keuchenden Rottweiler an einer dicken Kette; der Mann beginnt laut zu lachen und sagt zu ihm: „Na, Herr Kommissar, werden Sie diesen komplizierten Fall jemals lösen oder doch nicht?“ Mit langsamen Schritten nähert sich der Mann, der hohe schwarze Springerstiefel trägt, mit seinem bulligen schwarzen Hund, und dem Kommissar kommt es vor, als würden dem knurrenden Rottweiler, dessen Maul weit aufgerissen ist, mit jeder Sekunde neue spitze Zahnreihen wachsen. Plötzlich hört der Kommissar ein leises Kichern aus dem Hintergrund, spürt eine heftige Erschütterung, und der Boden unter dem Hund zersplittert krachend in schrapnellgroße Stückchen, worauf dieser laut aufjaulend in die Tiefe stürzt. Der Kommissar presst sich fest gegen die Wand hinter ihm und versucht panisch, sich dort irgendwo festzuhalten, um nicht in das vor ihm sich öffnende schwarze Loch zu stürzen, das sich zwischen ihm und dem angsteinflößenden Riesenhund befindet, und sich immer weiter zu vergrößern scheint. Um von diesem Loch nicht verschlungen zu werden, macht er einige schnelle Schritte zur Seite und brüllt wütend in Richtung des grinsenden jungen Mannes: „Lebend bekommst du mich sicher nicht, du Neonazi!“ Er sieht, wie der Lederjacken-Mann seinen Mund weit aufreißt und etwas zurückbrüllt, doch er kann es nicht hören und verstehen, sieht auch, wie sich dessen harte Gesichtszüge grotesk verzerren, als er plötzlich ein starkes Vibrieren an


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Haar dunkelbraun, an den Schläfen bereits etwas meliert. Kommissar Fux trat mit langsamen Schritten hinaus auf die Blindengasse; die Morgenluft war schneidend kalt an diesem Novembermorgen, plötzlich einfallende Nebelschwaden hatten die Morgensonne bereits wieder verschluckt; bis zum Kommissariat Josefstadt waren es etwa fünf Minuten Gehzeit, Fux beschleunigte seine Schritte, es war kurz vor acht Uhr, dem Beginn seiner Dienstzeit. An jeder Ecke, an der er vorbeihastete, erschrak er kurz, da er jedes Mal dachte, der riesige gefährlich aussehende Rottweiler seines jungen, glatzköpfigen, stets Lederjacke und Springerstiefel tragenden Hausmitbewohners käme zähnefletschend und knurrend um sie gebogen. Nachdem er durch einige enge Gassen gegangen war und sein Herzschlag wieder langsam anfing, sich zu beruhigen, ging er eiligen Schrittes auf ein großes, altes allgemein als das „Kommissariat Josefstadt“ bekanntes Gebäude zu, das praktisch wie ein zweites Zuhause für ihn war. Obwohl er erst vor einem Jahr dorthin versetzt worden war, um als Hauptkommissar die Leitung des „Kommissariats Josefstadt“ zu übernehmen, verstand er sich bereits hervorragend mit seinen Kolleginnen und Kollegen. Am Schreibtisch sitzend, wurde er aufs Neue mit dem üblichen Papierkram konfrontiert, mit dem er sich tagaus und tagein gelangweilt beschäftigen musste. Kurz bevor er den dritten Akt dieses Morgens abgetippt hatte, es war schon beinahe neun Uhr, öffnete sich plötzlich die Tür zu seinem Büro und einer seiner ihm untergeordneten Kommissare, ein Mann mit der Statur eines Globus, trat an seinen Schreibtisch: „Morgen, Fux!“, sagte Kommissar

Stierschneider gelangweilt. „Morgen, Stierschneider!“, antwortete Fux ebenso gelangweilt. „Sie klingen heute etwas energielos. Egal. Wie weit sind Sie eigentlich im Mordfall Huber?“ „Es war genauso, wie Sie es vermutet haben, Chef. Der Wirt war der Mörder und die steinhart gefrorene Hammelkeule ist wirklich die Tatwaffe gewesen!“, antwortete Stierschneider etwas lustlos. „Gut, gut. Bringen Sie mir bitte bis Mittwoch den Abschlussbericht“, wies Fux den sich bereits zur Tür wendenden Stierschneider an und fügte noch hinzu: „Ach ja, und gibt es noch irgendwelche bemerkenswerten Fortschritte in den anderen Fällen?“ „Unsere Ermittlungen im Fall Draxler ergaben, dass es eindeutig Selbstmord war, und im Fall Korovic haben wir den mutmaßlichen Täter, einen entfernten Cousin der Ermordeten, gestern Abend in einem Café gefasst!“ „Soll nicht die Selbstmörderin, nachdem ihre Leiche gefunden worden war, auf einer Videoaufnahme der Sicherheitskamera eines Supermarktes am Westbahnhof aufgetaucht sein?“, merkte Fux noch kopfschüttelnd an. „Angeblich. Das ist wohl wieder eine dieser Geschichten, für die es niemals eine Erklärung geben wird!“ Nachdem Stierschneider das Büro verlassen hatte, machte sich Fux wieder an die Arbeit, begann, sich von Neuem durch den ganzen Papierkram zu kämpfen, stand schließlich auf, öffnete ein Fenster und atmete für einige Momente die kühle feuchte Morgenluft ein und sah auf die Straße hinab, auf der ein kleines Mädchen, etwa fünf Jahre alt, mit seiner Großmutter, die nicht sehr viel größer als ihre Enkelin war, spazieren ging, wodurch er, augenblicklich und unwillkürlich, an seinen Angsttraum von letzter Nacht und an den Mordfall Cielska erinnert wurde. Ja, in seinem Traum war dieses Mädchen mit dem riesigen Buch vorgekommen, und er wusste nicht recht, wie und wo er es einordnen sollte; der junge kahlgeschorene Mann mit der schwarzen Lederjacke und dem großen Rottweiler hingegen wohnte im dritten Stock seines Wohnhauses, und im mysteriösen Mordfall Cielska war vor drei Jahren, im siebzehnten Bezirk, ein siebenjähriges Mädchen namens Daniela Cielska tot aufgefunden worden, und der Mordfall konnte bis heute, trotz intensivster Bemühungen vieler Wiener Kommissariate, noch nicht aufgeklärt werden. In jener schicksalhaften Nacht, damals war er noch ein ganz einfacher Kommissar gewesen, unterwegs, um sich mit ein paar Freunden zu treffen, eilte er hektisch durch das Gassenlabyrinth zu einer Bar, die vierundzwanzig Stunden lang geöffnet hatte, als er plötzlich, zwei Gassen vor seinem Ziel, buchstäblich mitten in den Mordfall Cielska hineinstolperte. Nachdem er um eine Ecke gebogen war, fiel ihm als Erstes das Rote auf; verdutzt starrte er auf den menschlichen Körper, aber nein, das war kaum mehr menschlich, denn es war im Grunde nur ein Kopf zu erkennen, umgeben von Blut. Es hallten irgendwo Schritte durch diese enge Gasse, und Fux


Noch oft dachte er in den folgenden Wochen an diese Nacht zurück, und an den schwarzen Mantel, an die weinenden Gesichter der Familie Cielska, an all die Fotos und die Zeitungsartikel, an jedes geflüsterte Gespräch in jeder Bar und in jedem Kaffeehaus; er bereute, dem Mann im schwarzen Mantel, der vielleicht der Mörder gewesen sein könnte, nicht nachgelaufen zu sein, denn bei all seinen zahllosen Nachforschungen in diesem furchtbaren Mordfall an einem Kind, war er, mit sämtlichen Wiener Kollegen, nie auf einen grünen Zweig gekommen, nur endlos im Dunkel getappt, hatte sich im Kreis bewegt, stets vergebens. Fux hatte damals diesen riesigen Mann, der nur Englisch sprach, mit gezückter Pistole am Tatort festgehal-

Das kleine Mädchen, Daniela Cielska, war auf dem Heimweg von einer Freundin gewesen, die gleich auf der anderen Seite des Blocks wohnte, und praktisch vor der eigenen Haustür erstochen worden. Es war polnischer Herkunft gewesen, von ruhiger schüchterner Natur, hatte einen IQ von 145 gehabt und war eine hervorragende Schülerin gewesen; und Fux war es damals, wie gesagt, und zwar monatelang, nicht gelungen, auch nur eine einzige konkrete Spur zu verfolgen. Fux hatte, nach dieser kurzen Gedankenreise in die Vergangenheit, das Fenster wieder geschlossen und sich zurück an den Schreibtisch gesetzt; er versuchte, sich zu konzentrieren, einen weiteren Akt abzutippen, als ihn das Läuten des Telefons, wie ein lauter Glockenschlag, aus seinen wirren Gedankengängen riss. Diese waren, die ganze Zeit über, um diesen dubiosen Sargnagel gekreist, den jungen glatzköpfigen Mitbewohner seines Hauses, von dem Fux vermutete, dass er der rechtsextremen ausländerfeindlichen Szene angehörte; aber all seine Vermutungen und Beobachtungen reichten nicht aus, um diesen brutalen gefährlichen Typen irgendwie festzunageln; kurz gesagt, der leider unaufgeklärte Fall Cielska war Vergangenheit, dieser Sargnagel mit seiner schwarzen Lederjacke, mit seinen Springerstiefeln und mit seinem riesigen Rottweiler jedoch war die triste Gegenwart. Er überlegte noch kurz, was es mit diesem Anruf auf sich haben würde, bevor er mit einem routinierten Handgriff den beigen Telefonhörer abhob und sofort von einer aufgeregten und aggressiven Stimme angezischt wurde: „Warum brauchen Sie denn so lange? Wir haben hier einen Doppelmord im Roten Hof! Wir wissen noch nichts über Einzelheiten, aber allem Anschein nach sind es eine Prostituierte und ihre ungefähr achtjährige Tochter!“ Es war seine Kollegin Karin Swoboda. „Ich werde Ihnen sofort Verstärkung schicken. Wie wäre es mit Kommissar Stierschneider und Kommissar Kleibl?“, schlug Fux in seiner Routine, Morde betreffend, vor. „Sie sind wirklich durch nichts zu erschüttern, Herr Hauptkommissar. Gut so. Hier ist schließlich auch ein achtjähriges Mädchen ermordet worden!“, sagte seine Kollegin. „Was reden Sie da, Frau Swoboda?! Natürlich berührt und bestürzt mich das!“, versicherte Fux, in Wahrheit jedoch von trüben finsteren und leeren Hintergedanken heimgesucht. Nachdem er den Anruf beendet hatte, rief er sofort seine Kollegen Stierschneider und Kleibl in sein Büro und beorderte sie in den Roten Hof, woraufhin er sich wieder dem langweiligen Papierkram widmete, und der Rest des Vormittags verlief ruhig; um zwölf Uhr verließ er das Kommissariat, setzte sich in ein ihm schon seit

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Vor dem blutüberströmten Leichnam stehend, verlor er sich kurze Zeit in Gedanken, zückte dann aber sein Handy, wählte die Nummer seines Kommissariats und forderte von dort sofortige Unterstützung an. Da tauchte plötzlich ein schwarzafrikanischer Mann von etwa zwei Meter fünfzig Körpergröße, von der vorderen Ecke kommend, auf seiner Straßenseite auf, seine riesigen Hände hatten etwa die Größe von Tellern, seine ernste Miene und seine markanten eckigen Gesichtszüge widerspiegelten sichtlich das grimmige Innenleben dieses jeden Menschen sofort einschüchternden Riesen.

ten, denn er zählte schließlich, weil er plötzlich dort aufgetaucht war, zu den Verdächtigen; der Mann hatte ein hieb- und stichfestes Alibi, an seinem hellen Mantel waren keinerlei Blutspuren zu sehen, somit schied er aus dem Täterkreis sofort aus.

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glaubte einen langsam im Halbdunkel verschwindenden wehenden schwarzen Mantel erkennen zu können, aber das Einzige, was blieb, war eine drückende beängstigende Stille. Nach diesem schrecklichen Fall war Fux nicht mehr derselbe gewesen, und sein Umfeld bemerkte das auch, alle seine Kollegen, Freunde und seine damalige Frau.


Jahren bekanntes und geschätztes kleines Wirtshaus in der Nähe und aß, an seinem Stammtisch, lustlos sein Mittagsmenü: Gemüsesuppe, Rindsgulasch und einen Vanillepudding. In den Straßen stand dichter Nebel.

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Um siebzehn Uhr, draußen war es bereits dunkel geworden, stand Fux von seinem Schreibtisch auf und verließ das Büro. Er hatte sich an seine anstrengende Arbeit bereits gewöhnt, aber manchmal war es doch sehr bedrückend, zu sehen, dass das Rauben, Töten und Morden kein Ende nahmen.

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Er hatte am heutigen Abend etwas später eine Verabredung, also schlenderte er noch eine Weile, in die verschiedensten Gedanken versunken, durch die nebeligen Straßen und Gassen, bis er sich auf einmal im Roten Hof wiederfand, in dem sich, vor einigen Stunden, dieser merkwürdige und furchtbare Doppelmord an einer Prostituierten und ihrer Tochter ereignet hatte. Er ging weiter die Straße entlang und sah im Licht der Straßenlampe einen Vogel, der kurz aufflog, dann zu Boden stürzte und dort regungslos auf dem feuchten glänzenden Asphalt liegenblieb. Er trat näher, betrachtete den Vogel und sah, dass es eine gemeine graue Türkentaube war, deren kleines gelbes rechtes Auge mit seinem Lid noch zuckte; Fux konnte jedoch nichts tun, überließ die Taube ihrem Schicksal und ging weiter. An dem vereinbarten Treffpunkt seiner Verabredung, einer kleinen Bar in der Lenaugasse namens „Alpha“, blieb er vor der Eingangstür stehen und suchte in den wenigen vorbeigehenden Menschen nach dem wohlbekannten Gesicht. Er wollte sich um neunzehn Uhr nämlich mit Eleonore Fischer, die er vor zwei Wochen auf einer Party eines Freundes kennengelernt hatte, treffen;

kurz vor neunzehn Uhr, Eleonore war noch nicht gekommen, betrat er, um einen Platz zu reservieren, die halbvolle Bar und setzte sich in den hinteren Teil des Lokals an einen kleinen runden Tisch für zwei Personen und blickte immer wieder ungeduldig und gespannt in Richtung der schwarzen Eingangstür. Es dauerte etwa noch zehn Minuten, dann trat Eleonore auch schon herein, eine zierliche, höchstens einen Meter siebzig große Person mit netzartiger hellroter Häkelmütze, die beinahe ihren ganzen Kopf bedeckte, eilig, sich seiner Aufmerksamkeit nicht bewusst, strich sie sich noch ein paar kastanienbrauner Haarsträhnen aus dem blass wirkenden Gesicht, blickte aus dunklen Augen suchend durch den Raum und kam endlich zu dem vorher am Telefon als Treffpunkt ausgemachten Tisch. Durch dichte von den vielen Tabakkonsumenten kommenden und in die obere Raumhälfte aufsteigenden Rauchwolken war ihm vorher schon ein junger Mann in die Augen gestochen, der einsam an einem Tisch saß; er hatte dunkelblonde, halblange Haare, blaue Augen, war etwa einen Meter achtzig groß, breitschultrig, kräftig gebaut und litt unter sehr starker Akne, sein Kleidungsstil war einfach und schlicht, ein weißes T-Shirt, blaue ausgewaschene Jeans und schwarz-weiße Sportschuhe zeichneten sein auf den ersten Blick unscheinbares, in gewisser Weise aber dennoch bedrohlich wirkendes Auftreten zusätzlich aus; plötzlich begann dieser junge Mann aber laut und scheinbar unmotiviert zu lachen, worauf sich einige Leute erstaunt und verstört nach ihm umwandten, ihre Köpfe schüttelten und von seiner seltsamen Art sichtlich abgestoßen wurden. Fux’ Blick wandte sich von dem jungen Mann ab, und er sah Eleonore, die den Platz ihm gegenüber eingenommen hatte, an und lächelte, während sie ihn mit einem kurzen und leicht müden, aber doch warmen und freundlichen „Hallo!“ begrüßte. „Freut mich, Eleonore, dass du da bist. Was möchtest du trinken?“, fragte er. „Ich denke, ich werde nach einem so anstrengenden Tag nur einen Tee nehmen, zur Beruhigung und Entspannung“, antwortete sie mit matter Stimme. „Gut. Dann nehme ich einen doppelten Whisky, denn mein Tag war auch sehr, sehr anstrengend!“ Fux stand auf, ging zur Theke, bestellte die Getränke, kehrte wieder an den kleinen runden Tisch mit der weißen Marmorplatte zurück, um seine ganze Aufmerksamkeit wieder Eleonore zu widmen, und fragte sie mitfühlend: „Na, erzähl mal, was heute bei dir los war!“ „Eigentlich nicht viel. Das Übliche halt. Aber trotzdem kräfteraubend!“ „Ja, ja, das kenne ich. Nur zu gut kenne ich das!“, antwortete er, nachdenklich nickend. „Das heißt bei dir ja Mord und Totschlag am laufenden Band, oder?“, lachte sie.


Nachdem Eleonore sich mit aller Höflichkeit und einem flüchtigen Wangenkuss von ihm verabschiedet hatte, nach Fux’ Meinung etwas zu höflich, ging sie, durch die dichten, unbeweglichen giftigen Rauchschwaden aus dem Lokal, und Fux bestellte sich noch einen doppelten Whisky, um seinen riesengroßen Frust zu betäuben. So saß Fux an dem kleinen runden

Fux wankte, im totenstillen nächtlichen, halbdunklen, menschenleeren Stiegenhaus, langsam und sich am Geländer festhaltend, nach oben. Bei jeder fünften Stufe musste er sich noch zusätzlich an der Mauer abstützen, um nicht in irgendeine Richtung umzufallen. Bereits vor seiner dunkelgrünen Wohnungstür stehend, fiel er schließlich seufzend und stöhnend zu Boden und fing plötzlich an zu weinen. Auf dem Boden liegend, erinnerte er sich daran, dass er das letzte Mal in seiner Kindheit so heftig geweint hatte. Schließlich rappelte er sich mühsam hoch, fand erst nach mehreren Versuchen das Schlüsselloch und konnte dann endlich seine Wohnungstür aufsperren. Fux schloss hinter sich ab, zog seine Schuhe aus, stolperte beim Ausziehen seiner Jacke gegen einen kleinen Wandschrank, den er wütend aufmachte, die Jacke fluchend hineinschleuderte und wieder zuschlug. Dann ging er wankend in das Wohnzimmer, fiel todmüde in das große dunkelgrüne Ledersofa und schaltete noch den Fernseher ein, in dem auf einem Sender gerade ein Stummfilm lief, schwarz-weiß, von Klaviermusik begleitet. Im Halbschlaf und noch immer stark alkoholisiert, sah er, wenn er kurz erwachte, gelangweilt zu, wie in dem Stummfilm ein Kinderwagen mit einem schreienden Kleinkind eine lange breite Treppe herunterrollte. Dann fiel er in einen tiefen und traumlosen Schlaf, aus dem ihn, in der Früh, um halb sieben, sein Wecker gnadenlos reißen würde, und er würde mit stechendem Kopfschmerz erwachen und sich im Wohnzimmer, vor laufendem Fernseher wiederfinden ... Ja, so verlief ein beliebiger Tag im Leben des Hauptkommissars Fux aus der Wiener Josefstadt.

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Tisch, aus den Lautsprechern kam leise jazzige Klaviermusik, und blies Trübsal über Trübsal, stieß den Whisky hinunter, und dann folgte noch ein Whisky, und er trank so lange weiter, bis die Rauchschwaden, in seiner getrübten Wahrnehmung, ihre Bewegungen veränderten und ihre Formen bedrohliche Gestalten, und zwar direkt vor ihm, annahmen. Er war zum Schluss an der hohen Theke, auf einem Barhocker, gesessen, stand nun auf, kletterte mühsam vom Hocker herunter und warf, ohne zu wissen, ob er schon alles bezahlt hatte oder nicht, einen Zehn-Euro-Schein auf den Tresen und ging wankend, mit starrem Blick und mit schleppenden Schritten, auf die Tür zu, trat brummend nach draußen, hinein in die eiskalte feuchte Nachtluft, die Straßen waren von dichtem Nebel durchzogen, und er nahm das erstbeste Taxi, das er finden konnte, stieg höchst unsicher ein und ließ sich nach Hause fahren, ohne irgendwelche Gedanken an die Fahrtkosten oder irgendetwas anderes zu verlieren, außer vielleicht an den vergangenen Abend und an das äußerst unbefriedigende Rendezvous mit Eleonore.

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„So in etwa, ja“, gab er schmunzelnd zurück. „Und irgendwelche spannenden oder mysteriösen Ereignisse in letzter Zeit, über die ich eigentlich gar nichts wissen dürfte?“, fragte Eleonore mit gespielter Reportermiene. „Lass das bitte, du weißt genau, dass ich dir so etwas nicht erzählen darf. Dienstliche Schweigepflicht. Das müsstest du eigentlich schon wissen!“, antwortete er etwas gereizt. Im nächsten Augenblick stand der großgewachsene Kellner, aus den dichten Rauchschwaden wie ein Gespenst auftauchend, vor ihnen: „Ihre Getränke, bitte!“ Fux bedankte sich und bezahlte gleich beide Getränke, blickte dann zurück zu Eleonore, die ihn etwas vorwurfsvoll anlächelte. „Nein, nein, das passt schon so. Ich zahle. Punkt!“, meinte er und erwiderte ihr Lächeln. Sie blieben etwa eine Stunde lang in dem kleinen verrauchten Lokal sitzen, und Fux wurde im Verlauf ihres Gespräches, das sich im Grunde nur um Belanglosigkeiten drehte, klar, dass ihre Beziehung niemals mehr als eine Freundschaft würde sein können. „Nun denn, ich muss gehen, denn ich muss heute noch meinen Artikel für die Morgenausgabe schreiben!“, sagte Eleonore, während sie nach ihrer dunkelroten Lederhandtasche griff, die während des Gespräches auf dem Tisch gelegen hatte, stand auf und machte erste Anstalten, zur Tür zu gehen.


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Der Werdegang eines Hauptkommissars

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Hauptkommissar Fux war vor genau 35 Jahren im zehnten Wiener Gemeindebezirk Favoriten als Sohn eines Straßenbahnfahrers der Wiener Linien und einer Krankenschwester geboren worden. Er konnte sich noch genau an die kleine Gemeindebauwohnung erinnern, in der er die ersten Jahre seines Lebens verbracht hatte, an diesen hohen grauen Gemeindebau, in dem es keinen Aufzug gab und wo er die vielen Stufen bis in das erste Stockwerk, mit seinen damals noch kurzen und schwachen Beinchen, äußerst mühsam erklimmen musste. Er war das einzige Kind seiner Eltern gewesen. Und obwohl er immer schon einen kleineren Bruder haben wollte, war er trotzdem froh gewesen, da er immer doppelt so viel Spielzeug bekam wie seine Schulfreunde. Jetzt konnte er es bereits einsehen, aber früher war ihm gar nicht bewusst gewesen, dass seine Vergangenheit als Einzelkind ihn etwas eigensinnig und egoistisch hatte werden lassen. Nachdem er das Gymnasium mehr oder weniger erfolgreich hinter sich gebracht und die Matura abgelegt hatte, verfiel er, bevor er einen Präsenzdienst ableistete, zunächst in eine lähmende Perspektivlosigkeit und leistete sich zahllose jugendliche Alkoholexzesse. Mit großem Ekel vor sich selbst, blickte er heute auf jenen, auf diesen einen ganz bestimmten Tag zurück, als ihn sein Alkoholproblem während seiner Dienstzeit verhängnisvoll eingeholt hatte, und er, mit einer fast leeren Flasche Wodka und in seinem eigenen bestialisch stinkenden Erbrochenen, auf der Rückbank des Notarzt-Rettungswagens gefunden worden war. Er hatte sein Alkoholproblem, um

seine Karriere nicht zu gefährden, schließlich in den Griff bekommen müssen, und das gelang ihm auch, sodass er sich heute noch, ab und zu, ein paar Drinks genehmigen konnte, ohne wirklich rückfällig zu werden. Während des Präsenzdienstes, den Fux als Rettungsfahrer in einem Militärspital absolvierte, fasste er, da er sich immer schon für ungelöste Kriminalfälle und Verbrechen interessiert hatte, den Entschluss, die Polizeischule zu besuchen, und zwar mit dem Fernziel, Kommissar bei der Kriminalpolizei zu werden. Damals hatte er noch den wahrlich sehr kindlichen Traum gehabt, der Sherlock Holmes von Wien zu werden, obwohl ihm doch ganz genau bewusst gewesen war, dass das eine sehr naive Vorstellung war und er diese besser niemandem gegenüber erwähnen sollte. Fux kämpfte sich, mit Einsatz, Willen und Disziplin, nach der Absolvierung der Polizeischule zum Kommissar hoch, wo es ihm, mit seinem besonderen Talent, schon sehr bald gelang, einen spektakulären Mordfall in der Baubranche aufzuklären. Nach diesem unerwarteten Erfolg, von dem auch in allen Zeitungen zu lesen war, musste Fux nicht lange auf eine Beförderung warten, und er begann kurz darauf bereits, im Kommissariat Simmering bei der Kriminalpolizei zu arbeiten. Da er auch dort äußerst erfolgreiche Arbeit leistete, wurde er bereits nach kurzer Zeit zum Hauptkommissar befördert und, da die Stelle wegen einer Pensionierung gerade frei geworden war, zum Hauptkommissar im Kommissariat Josefstadt bestellt. Das war vor fünf Jahren gewesen. Dort versah er noch heute seinen Dienst, doch die großen finsteren Schatten des brutalen Kriminalmilieus zehrten empfindlich an ihm und seiner Seele und drohten, ihn mitunter dorthin mitzureißen, woher sie kamen, nämlich mitten hinein in die undurchdringliche Finsternis des Bösen. Denn es fiel ihm oft äußerst schwer, das tausendköpfige Verbrechen von seinem Bürosessel aus großartig zu bekämpfen, wo er auch jetzt wieder saß, an diesem finsteren nebeligen Novembernachmittag, und einen weiteren von zahllosen Verbrechensakten bearbeitete, als ihn das schrille Läuten des Telefons gewaltsam aus seinen trüben Gedanken herausriss.

4 Das Ehepaar Hirnschrott Gegen fünfzehn Uhr verließ das ältere Ehepaar Hirnschrott, zusammen mit seinem Dackel Wastl, sein Wohnhaus in der


Frau Hirnschrott wollte schon näher an das kahle Gebüsch herantreten, doch ihr Gatte fasste sie sofort an der linken Schulter: „Bleib stehen, Herta. Da stimmt irgendetwas nicht, glaub mir!“, worauf er selbst einige vorsichtige Schritte

„Hör mir jetzt mal zu, Herta! Wir werden jetzt sicher nicht in Panik ausbrechen. Ich weiß gar nicht, wo der nächste Polizeiposten ist. Ich glaube, in der Schönbrunner Straße. Egal. Wir werden hier warten, bis jemand vorbeikommt. Der Mörder ist doch längst über alle Berge. Die Leiche ist bestimmt hier abgelegt worden, denke ich. Also nur ruhig bleiben!“, beruhigte Josef Hirnschrott seine ängstliche Frau. Gerade, als er seiner gebeugten, fragilen, schwach zitternden Frau zur Beruhigung an die Schulter griff, kam ein sportlicher Mann mittleren Alters, braun gebrannt, mit halblangem gewelltem grau meliertem Haar, gekleidet in einen roten Trainingsanzug, von hinten um eine Ecke gelaufen, bemerkte das aufgebrachte und verunsicherte ältere Ehepaar und blieb sofort vor ihm stehen: „Was ist los? Kann ich Ihnen irgendwie helfen? Ist etwas passiert?“ Herr Hirnschrott machte einen Schritt auf den breitschultrigen, weiße Turnschuhe tragenden Mann zu, um etwas Abstand zwischen sich und seine ängstliche Frau zu bringen, und sprach dann mit lauter ruhiger Stimme: „Wir bräuchten bitte Ihr Handy, falls Sie eines mithaben sollten, um die Polizei anzurufen … Denn in diesem großen Gebüsch da …“, er streckte seinen rechten Arm dorthin, „da … liegt eine junge Frau … Aber für einen Krankenwagen dürfte es bereits zu spät sein, denken wir …!“ Im ersten Augenblick wirkte der Läufer etwas erschüttert und verwirrt, sein Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze, wie das einer getretenen Bulldogge, doch er erholte sich sehr rasch von diesem Schrecken, griff mit seinen beiden Händen gleichzeitig in seine

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Schwere weiße Nebelschwaden hingen unbeweglich zwischen den kahlen Bäumen des Tiergartens, und wie immer fragte Frau Hirnschrott, gleich nachdem sie den Tiergarten betreten hatten, ihren Ehemann: „Und, wie weit gehen wir heute, Josef?“ Worauf dieser mürrisch antwortete: „Na, bis zur Hubertuswarte, wie immer. Das weißt du doch!“ Ihr noch junger, doch bereits sehr fetter Dackel trippelte schon voraus, sodass sie ihn andauernd maßregeln mussten, doch auf sie zu warten. Nichts regte sich im menschenleeren Tiergarten; die einzigen Geräusche waren das Krächzen einiger unsichtbarer Krähen, das Rascheln der herabgefallenen Blätter unter den Schuhen des Ehepaares und das manchmal bereits nach einem nahe bevorstehenden Erstickungstod klingende Hecheln des Hundes mit Namen Wastl. In den lebhaften braunen Augen von Wastl war plötzlich eine Art Unbehagen zu bemerken, dann lief er keuchend zu einem an der rechten Seite des breiten asphaltierten Waldweges gelegenen großen Gebüsch und fing, davor anhaltend, panisch zu bellen an; das Ehepaar, auf den Geruchssinn des Hundes reagierend, eilte zu ihm, wo es, direkt vor dem Gebüsch, einen verschmutzten roten Damenschuh auf dem laubübersäten Waldboden liegen sah.

vorwärts machte, sich langsam nach vorne beugte, den rechten Arm ausstreckte und mit seiner alten runzeligen Hand das Gebüsch etwas zur Seite bog, bis er plötzlich zurückzuckte, sich schlagartig an die Brust griff und sich, mit schreckerfülltem verzerrtem Gesichtsausdruck, zu seiner wie erstarrt da stehenden Gattin umwandte und mit leiser, trockener Stimme murmelte: „Du Herta, ich glaube, da, da, da – drinnen liegt eine Leiche! Eine junge Frau, wie es aussieht!“ „Ach, Josef, du meine Güte! Komm, schnell weg da! Wir müssen die Polizei holen!“ Panisch trippelte Frau Hirnschrott einmal im Kreis, seufzend und ihren kleinen weißhaarigen Kopf mehrmals schüttelnd, bis sie von ihrem Mann beruhigt wurde, der sagte, dass sie hier warten müssten, bis jemand mit einem Handy vorbeikommen würde. Herr Hirnschrott befahl Wastl, der unbedingt in das Gebüsch hineinwollte, sich hinzusetzen. „Aber was sollen wir tun, Josef, wenn jetzt niemand vorbeikommt? Stell dir das einmal vor! Oder stell dir vor, der Mörder wäre noch hier in der Nähe?! Ich habe Angst! Gehen wir doch lieber zum nächsten Polizeiposten, schnell!“, stieß Frau Hirnschrott hysterisch hervor.

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Hadikgasse im dreizehnten Wiener Gemeindebezirk Hietzing, um seinen kurzen gewohnten Nachmittagsspaziergang in den benachbarten Lainzer Tiergarten zu machen.


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beiden Trainingshosentaschen und holte aus der rechten schließlich sein Handy hervor, mit dem er schnell die Polizei anrief. Wegen seines starken italienischen Akzents und seines Stotterns verstand die junge Frau am anderen Ende der Leitung ihn überhaupt nicht, worauf ihm Herr Hirnschrott das Handy wegnahm und in Richtung des Joggers murmelte, dass heutzutage niemand mehr richtig Wienerisch spräche.

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Er sagte zu der jungen Polizistin am anderen Ende der Leitung: „Hallo, hier spricht Josef Hirnschrott. Meine Frau, mein Dackel Wastl und ich haben hier im Lainzer Tiergarten in einem Gebüsch in der Nähe der Hubertuswarte die Leiche einer jungen Frau gefunden. Schicken Sie uns bitte sofort ein paar Leute vorbei!“ Es verging ungefähr eine halbe Stunde, bis drei schwarz gekleidete hochgewachsene Polizisten, deren angespannte Gesichter keine Emotionen zeigten und einen stoischen Ernst ausstrahlten, am Fundort des Leichnams eintrafen. Sie untersuchten den Fundort des Leichnams und diesen selbst, da sie nicht von der Spurensuche waren, nur grob; und während, etwas später, zwei von ihnen die drei Zeugen, nämlich das Ehepaar Josef und Herta Hirnschrott und den Jogger, der Luigi Bonelli hieß, befragten, rief der dritte Polizist, da es sich hier ohne Zweifel um einen Mordfall handelte, den dafür zuständigen Beamten, nämlich Hauptkommissar Fux, im Kommissariat Josefstadt an.

5 Der Leichnam Kommissar Fux hob den Hörer des schrill läutenden Telefons ab und

sagte, aus seinen trüben Gedanken gerissen, mit leicht mürrischer Stimme: „Kommissariat Josefstadt, Fux am Apparat, wer spricht?“ „Revierinspektor Ludwig Pfaller hier, ich befinde mich mit zwei Kollegen gerade im Lainzer Tiergarten. Spaziergänger haben hier einen weiblichen Leichnam in der Nähe der Hubertuswarte gefunden. In einem großen Gebüsch. Eine junge Frau, etwa Anfang bis Mitte dreißig. Wir vermuten, dass es sich um einen Mordfall handelt. Der Fundort scheint, soweit wir das feststellen können, nicht der Tatort zu sein. Wir bitten um Ihre baldige Unterstützung, danke!“ „Geht in Ordnung, Kollege. Ich mache mich mit zwei Kollegen sofort auf den Weg. Sichern Sie inzwischen den Fundort, befragen Sie die Zeugen, und halten Sie neugierige Leute fern!“ „Machen wir, machen wir, keine Sorge!“ „Gut!“ Fux schob den begonnenen Akt zur Seite, nahm seine Jacke und ging mit schnellen Schritten in das Büro gegenüber und öffnete, ohne anzuklopfen, die Tür: „Stierschneider, unterbrechen Sie sofort Ihre Arbeit, ziehen Sie sich an, wir haben da den Leichnam einer jungen Frau im Lainzer Tiergarten zu untersuchen. Tempo!“ „Geht klar, Chef. Ich sage nur noch unserer Kollegin Bescheid, damit sie weiß, wo wir hinfahren. Der Leichnam einer jungen Frau. Diese jungen Frauen sind viel zu viel unterwegs, wenn Sie mich fragen!“ „Solche blöden Aussagen kannst du dir sparen. Also halt deine Schnauze und fahr uns lieber in den Lainzer Tiergarten!“, presste Fux zwischen seinen gebleckten Zähnen hervor, schlüpfte in seine Jacke hinein, während sich Stierschneider schweigend bereit machte und zur Tür ging. Draußen dichtester Nebel, schwaches Nieseln, beginnende Dämmerung. Fux schnaubte: „Scheißwetter! Ich bin froh, dass du fährst!“ „Ich nicht!“, zischte Stierschneider wütend. Sie eilten zu ihrem Dienstauto, das gleich vor dem Kommissariat geparkt war, und stiegen ein; Stierschneider setzte sich murrend ans Steuer, startete den Motor und fuhr mit Vollgas los. Langsam kurvte Stierschneider durch die dämmrigen nassen Straßen Wiens und brachte den Wagen ungefähr dreißig Minuten später, falls man der im Dienstauto angebrachten Uhr trauen konnte, auf dem Parkplatz vor dem Haupteingang des Lainzer Tiergartens zum Stehen. Die beiden stiegen aus und gingen, einem großen Hinweisschild folgend, in Richtung Hubertuswarte, dem Fundort des Leichnams der jungen Frau. Als sie sich diesem Ort langsam näherten, hallten plötzlich einzelne Krähenschreie durch das dämmerige Gelände. Als sie noch etwa fünfzig Meter von der Hubertuswarte entfernt waren, konnte Fux bereits seine drei Kollegen ausmachen, während der korpulente Stierschneider ihm laut keuchend folgte; bei den drei Kollegen standen ein älteres Ehepaar und ein Mann mittleren


Fux ging schnurstracks und konzentriert auf seine Kollegen zu, während Stierschneider sich von der Hundeleine befreite und dann versuchte, Frau Hirnschrott weiter zu beruhigen. Einer der drei Polizisten erstattete Fux einen kurzen Bericht, worauf dieser ihm antwortete: „Geht in Ordnung. Sie können wegfahren und sich anderen Aufgaben widmen. Wir übernehmen ab sofort!“ Die Polizisten verabschiedeten sich von Fux und gingen davon, hinein in den dichten Nebel und die beginnende Dämmerung.

Fux kehrte, nachdem er die Gerichtsmedizin angerufen hatte, zu Stierschneider und den drei Zeugen zurück. Während sich Stierschneider entfernte, fing Fux mit der Befragung an. Er nickte dem älteren Ehepaar zur Begrüßung zu und sagte: „Herr und Frau Hirnschrott, ich werde Ihnen jetzt ein paar Fragen stellen und bitte Sie, diese so genau wie möglich zu beantworten!“ Herr Hirnschrott erzählte, dass sie wie üblich ihren Nachmittagsspaziergang durch den Lainzer Tiergarten gemacht hatten, als ihr Hund Wastl plötzlich, vor dem Gebüsch, den roten Damenschuh erblickt und anzubellen begonnen hatte, und dann sei er, Herr Hirnschrott, auf das Gebüsch zugegangen und habe den Leichnam der jungen Frau entdeckt. „Und wie sind Sie in dieses traurige Geschehen verwickelt?“, fragte Hauptkommissar Fux den braun gebrannten Jogger, der etwas unkonzentriert und unruhig wirkte. Luigi Bonelli rümpfte kurz die Nase und wollte schon zu sprechen beginnen, als Herr Hirnschrott für ihn erklärte, dass sie kein Handy gehabt und Herr Bonelli durch Zufall vorbeigelaufen sei, woraufhin sie, mit seiner Hilfe, die Polizei verständigt hätten. Fux glaubte den Aussagen des Ehepaares Hirnschrott und denen des Herrn Bonelli, stellte ihnen noch ein paar kurze abschließende Fragen, ließ sich ihre Telefonnummern geben und entließ sie mit den Worten, dass er sich bei ihnen, falls notwendig, noch einmal melden würde.

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Nachdem Fux aufgelegt und sein Handy in der löchrigen Tasche seiner grauen Diensthose verstaut hatte, folgte er mit schnellen Schritten seinem Kollegen Stierschneider. Er sah gleich, dass Stierschneider, mit gezücktem Notizblock, bereits mit der Befragung der Zeugen begonnen hatte beziehungsweise versuchte, sie zu befragen; Frau Hirnschrott fuchtelte bei ihren Ausführungen hysterisch mit ihren Armen herum, während ihr Mann sie zu beruhigen versuchte, der braun gebrannte Jogger in der typisch lautstarken Manier der Italiener immer wieder dazwischenrief und theatralisch gestikulierte, und der rotbraune dicke Dackel Wastl seine lange Leine kläffend um Stierschneiders Beine wickelte.

Fux rief Stierschneider, der noch immer mit der Befragung der Hirnschrotts und des Joggers beschäftigt war, zu: „Machen Sie hier weiter, Kollege, ich werde mir erst mal den Leichnam ansehen!“ Stierschneider nickte nur. Fux näherte sich dem großen Gebüsch sehr gelassen, drückte mit beiden Händen die kahlen Zweige zur Seite und warf einen scharfen Blick in das Innere des Gebüsches; es war wirklich der Leichnam einer jungen Frau, der auf dem Bauch lag; sie trug ein kurzes knallrotes Kleid, sonst nichts, also keinen Mantel und keine Jacke, ihr Haar war lang, blond und verfilzt, sie war barfuß, vor dem Gebüsch, rechts, lag der rote Damenschuh, der höchstwahrscheinlich ihr gehört hatte. Sie war tot. Kein Zweifel. Auf ihrem Rücken waren keinerlei Stich- oder Schusswunden oder sonstige Verletzungen zu erkennen; darum würden sich aber die Gerichtsmediziner, die er, wie ihm einfiel, auch noch anrufen musste, kümmern. Fux war, aufgrund seiner langjährigen Routine sofort klar, dass die junge Frau irgendwo ermordet und ihr Leichnam dann hier in diesem großen Gebüsch abgelegt worden war. Man hatte in der Eile offensichtlich vergessen, den zweiten roten Schuh mitzunehmen. Die junge Frau machte auf Fux den Eindruck einer Prostituierten. Im nächsten Augenblick fielen Fux einige Schleifspuren seitlich des Gebüschs auf, und zwar links. Er beugte sich hinab, doch da konnte man, auf den ersten Blick, selbst als routinierter Kommissar nicht sicher sein, ob sie irgendeinen Zusammenhang mit dem Leichnam hatten.

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Alters in einem roten Trainingsanzug und mit weißen Turnschuhen. Als Fux plötzlich einfiel, dass er ja auch die Spurensicherung unbedingt verständigen musste, hielt er kurz an und rief seinen Kollegen Schober von der Spurensicherung an, der ihm umgehend zusicherte, dass in zirka einer halben Stunde jemand im Lainzer Tiergarten vorbeikommen würde; Stierschneider war inzwischen zum Fundort des Leichnams vorausgegangen.


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Nun blieben Fux und Stierschneider allein am Fundort des Leichnams zurück und warteten in der beginnenden Dämmerung auf ihren Kollegen Schober von der Spurensicherung, der hoffentlich schon unterwegs in den Tiergarten war.

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Ein kühler Windhauch wehte, und Stierschneider fluchte leise, weil die Kollegen, so kam ihm vor, schon wieder so lange auf sich warten ließen, als Fux aus nächster Nähe schon Schritte und Stimmen hörte und kurz darauf Schober mit einem zweiten Kollegen, den Fux nicht kannte, aus den dicken Nebelwänden auftauchte, jeder einen großen schwarzen Koffer in der Hand. „Hallo, da bist du ja. Und du bist mindestens schon eine Stunde zu spät!“, brummte Fux Schober entgegen. „Kauf dir doch endlich eine Uhr! Das waren höchstens zehn Minuten, mehr nicht!“, hauchte Schober gereizt und schüttelte den Kopf. Fux antwortete nicht, sondern wandte sich von ihm ab und deutete mit seiner rechten Hand auf das große kahle Gebüsch, in dem der Leichnam der jungen Frau lag. Schober und sein schweigsamer Kollege, der sich als Oswald Erdner-Hammerstiel vorgestellt hatte, stellten ihre großen schwarzen Koffer im feuchten Gras ab, öffneten sie schnell, holten ihre Gummihandschuhe heraus, streiften diese über, zogen sich Gummischuhe über ihre Stiefel und begannen augenblicklich mit der Sicherung etwaiger Spuren. „Diesen Schuh, der höchstwahrscheinlich der Toten gehört haben dürfte, werden wir ins Labor mitnehmen und dort gründlichst untersuchen. Vielleicht gibt er irgendetwas her, könnte ja sein, vielleicht finden wir an ihm irgendwelche Spuren. Und erzähl den restlichen Behörden, dass dies der Fundort, jedoch nicht der Tatort ist.

Das sieht doch ein Blinder. Den Schuh dürfte man in der Eile verloren haben, ohne es zu bemerken. Den hat man sicher nicht absichtlich hier gelassen. Oder soll er uns auf eine falsche Fährte locken? Könnte auch sein. Ach ja, Füxchen, das haben wir doch schon alles erlebt, oder?“, sagte Schober. „Allerdings!“, antwortete Fux und nickte mehrmals. Er wartete, mit Stierschneider den beiden Spuren-Spezialisten bei der Arbeit zusehend, bis diese, nach etwa einer halben Stunde, endlich fertig waren, dann fragte er: „Und, kannst du mir eine exakte Todesursache nennen?“, dabei seine Stirn leicht in Falten ziehend. Schober warf noch einen kurzen Blick auf den Leichnam, bevor er Fux mit gedämpfter Stimme erklärte: „Doppelter Kopfschuss von vorne. Sofort tödlich. Die Kugeln sind nicht ausgetreten. Einige Hämatome am Hals. Das sieht wie eine kaltblütige geplante Hinrichtung aus, wenn du mich fragst.“ „An so etwas dachte ich auch gleich. Wir haben die Leiche nicht angerührt. Ja, dass das ein lupenreiner Mord war, wusste ich sofort. Keine Diskussion. Die Frau sieht mir ganz nach einer Prostituierten aus. Hatte sie irgendetwas bei sich? Handy? Ausweise? Geldbörse?“, fragte Fux. „Nein. Nichts. Kein einziges Dokument oder irgendwelche anderen Hinweise auf ihre Identität. Auch kein Handy. Verdammt. Das wird schwierig, Fux, glaub mir. Mir schwant da nichts Gutes!“, sagte Schober noch schnell, während Fux und Stierschneider bereits begannen, sich um den Fundort zu postieren, um auf die Leute von der Gerichtsmedizin zu warten, die jeden Augenblick eintreffen mussten. Als diese wenig später ankamen, wurden Fux und Stierschneider ganz still; jeder schien ganz tief in seine eigenen Gedanken versunken, während die beiden grau gekleideten jungen Männer von der Gerichtsmedizin die tote junge Frau vorsichtig aus dem Gebüsch heraushoben, auf die mitgebrachte Bahre legten und dann den langen Reißverschluss des schwarzen Plastiksackes zuzogen. Sie verstauten den schwarzen Sack in dem mitgebrachten Zinksarg. „Wo die arme Seele dieser armen Frau nun wohl ist?“, murmelte einer der beiden Gerichtsmediziner, die ja genau genommen keine Gerichtsmediziner waren, sondern lediglich junge Männer, Gerichtsgehilfen, vielleicht sogar Studenten, die sich so ihr Geld verdienten, um ihr Studium zu finanzieren. „Wahrscheinlich ist sie dort, wo wir alle einmal sein werden. Also nirgends!“, antwortete sein Kollege und lachte. „Außer im Sarg, meint ihr!“, gab Schober gleichgültig von sich, doch seine restlichen Kollegen hüllten sich plötzlich in tiefes Schweigen, nur Stierschneiders leicht nervös wirkendes Auf-undAb-Gehen auf dem feuchten Waldboden war zu vernehmen. Nachdem die Kollegen von der Spurensicherung und die beiden jungen Männer von der Gerichtsmedizin weggefahren waren, blieben Fux und Stierschneider allein im Lainzer Tiergarten zurück.


Nachdem er die wie gewöhnlich schlechten Nachrichten gehört hatte, dachte er nochmals über den neuen Fall nach, den er nun zu bearbeiten beziehungsweise zu lösen hatte; als guter Kommissar, der er nun einmal war, wusste er genau, dass er zuallererst möglichst viel über das Mordopfer, diese junge Frau, die wie eine Prostituierte ausgesehen hatte, in Erfahrung bringen musste. „Zwei Monate lang waren wir auf dem Kommissariat überbesetzt, kein einziger Fall blieb für mich, sondern nur Akten, Akten und wieder Akten, wie steht eigentlich meine junge Kollegin Brettschneider das nur durch … Ob diese junge Frau, deren Leichnam wir heute gefunden haben, auch mit solchem Papierkram zu tun gehabt hatte? Glaube nicht. Sie sah eher aus wie eine Prostituierte, auf jeden Fall aber wie jemand, der großen Wert darauf gelegt hatte, möglichst aufreizend gekleidet gewesen zu sein … Die arme Frau,

6 Die Arbeit beginnt Draußen wieder ein nebeliger Novembervormittag; Fux saß in seinem Büro am Schreibtisch und wartete auf den Rückruf seines Kollegen Schober von der Spurensicherung, den er bis jetzt noch nicht hatte erreichen können; Fux hatte, schon seit gestern Abend, die dumpfe und finstere Vorahnung, dass dieser Mordfall äußerst schwierig werden würde. Fux versuchte, sich auf all die anderen Aufgaben zu konzentrieren, die bis zum Nachmittag erledigt sein mussten, aber seine Gedanken schweiften immer wieder ab; erst als er frustriert seinen Stift weglegte und sich mit dem Handrücken über das Gesicht wischte,

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Am Abend zappte Fux gelangweilt durch das Fernsehprogramm, ein Bier in der Hand und große Müdigkeit im Gesicht, er fand zahllose Castingshows, über die er nur die Nase rümpfte, eine Liebeskomödie, die ihn noch weniger interessierte, und eine Kriminalserie nach der anderen, die ihn nur genervt die Augen rollen ließen; schließlich blieb er bei einem Nachrichtensender hängen und nahm wieder einen großen Schluck von seinem Bier, während er die neuesten Entwicklungen in der Flüchtlingskrise verfolgte.

womit hat sie so etwas nur verdient, der letzte Prostituiertenmord dieser Art ist schon ein paar Jahre her. Was wird da nur auf mich zukommen? Keine Ahnung … Aus einem unerfindlichen Grund muss ich bei diesem gegenwärtigen Fall an einen etwa 45-jährigen Mann denken, dem ich gestern Abend im Hauptbahnhof begegnet bin, er war offensichtlich Europäer, trug ein enges weißes Tanktop, das seine muskulöse Physis sehr stark zum Ausdruck brachte, er war etwa 2,10 Meter groß, kahl rasiert, und sein gesamter Körper sowie sein Kopf und sein Gesicht waren tätowiert, doch sein beängstigendstes Merkmal war ein blaues Hakenkreuz, das mitten auf seine hohe Stirn tätowiert worden war … Jeder, der ihn sah, hatte ihn auf seine ganz persönliche Weise angesehen, mit Abscheu, mit Kopfschütteln, manche ein Lächeln unterdrückend, und obwohl ich den Mann hätte anzeigen sollen, anzeigen hätte können und auch anzeigen hätte müssen, habe ich dennoch weggesehen, ihn ignoriert, egal, denke ich, es gibt Schlimmeres … Wichtig ist jetzt wirklich nur der Prostituiertenmord, und ich werde gleich morgen Mittag bei der Gerichtsmedizin anrufen, und dann wissen wir sicher mehr … Sobald wir ihre Identität geklärt haben, kommt bestimmt Licht in diese finstere Sache, möglicherweise wurde sie ja bereits als vermisst gemeldet, vielleicht erst heute, im Lauf des Tages … Ich werde Stierschneider gleich morgen beauftragen, alle Wiener Bordelle nach einer jungen blonden vermissten Prostituierten zu durchsuchen … Wir dürfen keine Zeit verlieren … Auch wenn wir noch kaum eine Ahnung haben, womit wir es hier zu tun haben, bin ich doch zuversichtlich, dass wir es bald herausfinden werden … Der Prostituiertenmord, der vor einigen Jahren passierte, im Pratermilieu, ist schließlich auch aufgeklärt worden … Aber nun sollte ich endlich schlafen gehen …“, dachte Fux, bevor er den Fernseher, nach mehreren vergeblichen Versuchen, endlich ausschalten konnte, aufstand, ganz vergaß, sich unter die Dusche zu stellen, und am nächsten Morgen gar nicht mehr wusste, wie er ins Bett gekommen war.

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Es war nun schon ganz dunkel geworden und der Nebel noch dichter. Sie blieben noch ein paar Minuten schweigend nebeneinander stehen, blickten auf das große Gebüsch, in dem die Leiche der jungen Frau gelegen war, und fuhren dann ins Kommissariat Josefstadt zurück, nur sehr wenig miteinander sprechend.


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läutete plötzlich das Telefon, und Fux riss, von neuem Tatendrang ergriffen, den Hörer an sein Ohr und freute sich, Schobers quakende Stimme am anderen Ende der Leitung zu hören: „Guten Morgen, Kollege Fux. Wir haben den Fundort gründlich untersucht, das hast du gestern ja gesehen. Aber ich muss dich leider enttäuschen. Wir sind auf keine besonderen, uns wirklich weiterbringende Spuren gestoßen. Es gibt auch keinerlei Fingerabdrücke an der Leiche. Die Täter haben auf jeden Fall Handschuhe getragen. Auch der Schuh weist keinerlei Anhaltspunkte auf. Nichts. Die medizinischen Aspekte wird dir ja die Gerichtsmedizin mitteilen. Das war es von meiner Seite. Ich schicke dir meinen Bericht heute noch, per E-Mail.“ „Ebenfalls guten Morgen, Schoberchen. Danke. Na ja, klingt nicht gerade aufbauend. Auf den Anruf der Gerichtsmedizin warte ich noch. Mein Kollege Stierschneider durchkämmt gerade alle Bordelle der Stadt nach einer etwaigen abgängigen Prostituierten. Wenn das alles bei mir angekommen ist, sollte wir vielleicht doch genug Informationen haben, um zumindest irgendwo und irgendwie auf die Spur des Mörders oder der Mörder zu kommen. Obwohl mein Bauchgefühl ein ganz anderes ist …“, antwortete Fux mit einem gedämpften Unterton in seiner Stimme, begleitet von einer bedrückten Miene seines Gesichtes. „Ja, ja, zwitschere nur dein Lied von den Spuren. Während du in deinem warmen Büro sitzt und die Puzzlesteine zusammensetzt, muss ich mit meinen Kollegen draußen, am wirklichen Tatort arbeiten!“, keifte Schober, unwissend, dass Fux seine Kommentare in ihrer Negativität manchmal überspitzte. Kurz darauf, es war inzwischen Mittag geworden, polterte der kugelrunde Stierschneider, der von seinen Recher-

chen endlich zurückkehrte, in Fux’ Büro. „Da bist du ja endlich! Und, was hast du herausgefunden?“, begrüßte ihn Fux, immer noch ein wenig verärgert darüber, dass Schober ihm nichts Erfreulicheres mitgeteilt hatte. „Grüß Sie, Fux“, antwortete Stierschneider lautstark. „Nun, hören Sie zu. Nachdem ich einige Bordelle in der Innenstadt und in Mariahilf durchsucht und mich dort umgesehen hatte, bin ich in einem kleinen Bordell im 20. Bezirk endlich fündig geworden. Wir wissen jetzt, dass dort eine junge Prostituierte ist, und zwar seit etwa einer knappen Woche. Man hat mir dieses Bild hier mitgegeben, sehen Sie!“ Stierschneider reichte Fux ein Foto, das eine hübsche, leicht bekleidete junge blonde Frau zeigte: „Das ist sie doch, oder?“ „Ich kann es nicht genau sagen. Würde aber doch eher sagen: Ja, sie ist es. Wir müssen uns diesbezüglich an die Gerichtsmedizin wenden. Die werden uns Klarheit verschaffen, sicher!“, war die ruhige und routinierte Antwort von Hauptkommissar Fux. „Ja, Chef, wir werden die gleichen Abläufe durchführen, wie bei jedem anderen Mord auch. Gut, sie war eine junge Prostituierte, vielleicht aus dem benachbarten Ausland. Höchstwahrscheinlich scherte sich niemand um diese arme Person. Schicksal. Wenn dieser Fall vielleicht abgeschlossen sein wird, ist sie nur eine von den unglaublich vielen, die gestorben und vergessen worden sind. Traurig, traurig, traurig!“, sprach Stierschneider mit ernster und monotoner Stimme. Fux ballte seine rechte Hand zur Faust, nahm sie dann in die linke und seufzte laut, bevor er Stierschneider kurz ansah und seine Stimme erhob: „Wir haben jetzt keine Zeit für durchaus ehrenwerte Versuche, sentimental und philosophisch zu werden. Aber du kannst nach der Arbeit natürlich so viel hirnwichsen, wie du willst, nichts dagegen. Jetzt müssen wir aber Gas geben. Die Mörder sind uns bekanntlich immer einen oder sogar mehrere Schritte voraus. Jede Minute zählt für uns. Ruf bitte in der Gerichtsmedizin an und frage, ob es schon irgendwelche neuen Erkenntnisse gibt. Auf die ist auch kein Verlass, verdammt noch einmal! So etwas macht mich noch nervöser, als ich ohnehin schon bin!“ Gerade, als Stierschneider zum Telefonhörer greifen wollte, sagte Fux mürrisch und abwinkend: „Vergiss es. Die wimmeln uns ohnehin nur ab. Das kenne ich nur zu gut. Ich nehme einfach das Foto und fahre hinüber in die Gerichtsmedizin. Wer weiß, wann diese vornehmen Herren Mediziner uns anrufen. Wir dürfen, wie gesagt, keine Zeit verlieren. Nochmals, jede Minute ist kostbar, weil uns der oder die Mörder immer voraus sind, vergiss das nicht! Schreib mir bitte noch den Namen und die Adresse des Bordells im zwanzigsten Bezirk auf, denn wenn ich in der Gerichtsmedizin fertig bin, werde ich gleich dorthin fahren. Ich möchte mir heute noch einen echten Überblick darüber verschaffen, wo wir in dieser Angelegenheit wirklich stehen, verstehst du? Ich hasse es nämlich, wie du weißt, im Dunkeln herumzutappen wie


Der Arzt saß vor einem großen Computerschirm und machte gerade eine Kaffeepause. „Guten Tag, mein Name ist Hauptkommissar Fux. Ich bin Leiter des Kommissariats Josefstadt und komme wegen des Leichnams der jungen Frau zu Ihnen, die gestern Nachmittag im Lainzer Tiergarten aufgefunden und von Ihnen abgeholt worden ist. Dürfte ich sie mir kurz ansehen? Wir müssen nämlich die Frage ihrer Identität dringend klären. Ich stehe in dieser Sache enorm unter Zeitdruck, verstehen Sie?“ „Ach ja, Hauptkommissar Fux. Ich bin im Bilde. Ein Mordfall, kein Zweifel. Kommen Sie bitte mit mir, wir gehen nach hinten in den Kühlraum. Ich habe den Leichnam heute Vormittag bereits obduziert. Eine klare eindeutige Sache. Nichts Aufregendes“, gab der Arzt freundlich zurück und stand auf. Der Kühlraum war weiß gekachelt und hell erleuchtet.

Fux war in Eile, bedankte und verabschiedete sich, machte sich auf den Weg zum Parkplatz. Er wollte eine kurze Pause einlegen und

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Eine halbe Stunde später bereits wurde Fux, im Erdgeschoß, von der netten Sekretärin der Gerichtsmedizin begrüßt und zum Büro des diensthabenden Arztes in den ersten Stock weitergeschickt. Er durchquerte mehrere nach Formalin riechende Gänge, bis er schließlich vor der weißen Bürotür des Arztes stehen blieb und anklopfte.

Als sie vor dem Obduktionstisch standen und den Leichnam mit dem Foto verglichen, war es vollkommen klar, dass es sich in diesem Fall um keine Verwechslung handeln konnte. Das war die junge Prostituierte, die als abgängig gemeldet worden war. Fux blickte dem Arzt, über den Körper der Toten hinweg, in die blaugrauen Augen und nickte nur zustimmend, dabei seine Lippen fest zusammenpressend, woraufhin der Gerichtsmediziner das lange weiße Stofftuch wieder über den nackten Oberkörper und das Gesicht der Toten schlug. Fux und der Gerichtsmediziner kehrten ins das Büro zurück, nahmen Platz, und Fux sagte: „Ich habe noch ein paar Fragen an Sie, Herr Doktor Berger. Und zwar bezüglich des Todeszeitpunkts und der Todesursache. Den genauen Obduktionsbericht können Sie mir dann in den nächsten Tagen zusenden. Das hat keine Eile. Ich muss am Ball bleiben, verstehen Sie?“ „Tue ich. Der Zeitpunkt? Gut, dass Sie das anschneiden. Wir können den Todeszeitpunkt natürlich nicht hundertprozentig fixieren, aber wir vermuten, dass der Tod etwa vor drei Tagen eingetreten und die Leiche zirka zwei Tage später in dem Gebüsch im Lainzer Tiergarten abgelegt worden ist. Das ist der Stand der Dinge. Die Todesursache hingegen war eindeutig, wie Sie ja sicher selbst gesehen haben. Zwei Magnum-Kugeln in ihrem Kopf, keine davon ist ausgetreten. Absolut tödlich. Eine Art Hinrichtung, wie gesagt. Aus mehr oder weniger kurzer Entfernung abgefeuert. Das ist soweit das Wichtigste von meiner Seite.“ „Und die Hämatome am Hals?“ Doktor Berger zuckte nicht einmal mit der Wimper, bevor er, als hätte er das gerade erst festgestellt, meinte: „Die sind schon etwas älter, genauer gesagt, sie sind einige Stunden vor dem Todeszeitpunkt anzunehmen.“ „Aha. Für mich nicht unbedingt wichtig. Und weist sie sonst irgendwelche inneren Verletzungen auf?“ „Nein, keine eigentlichen Verletzungen, auch keine Spuren einer Vergewaltigung oder Ähnliches. Aber sie litt an einem Darmkrebs, im Frühstadium. Ich glaube nicht, dass sie davon wusste, denn der kleine gutartige Tumor hätte problemlos entfernt werden können. Sie dürfte noch keinerlei Probleme damit gehabt haben, denn sonst hätte sie schon längt einen Arzt aufgesucht. Das spielt aber jetzt alles keine Rolle mehr. Vielleicht war sie kurz vor ihrem Tod bei einem Arzt oder in einem Spital. Das müsste man nachprüfen können.“ „Später. Für mich unerheblich. Eines noch: Wäre es möglich, zwecks der ballistischen Untersuchungen, mir die beiden entfernten Kugeln mitzugeben?“, fragte Fux. Doktor Berger nickte, verschwand kurz in einem Nebenraum, kam gleich wieder zurück und drückte Fux einen kleinen durchsichtigen Plastikbehälter in die Hand.

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ein Blinder! Obwohl, das sieht mir, bis auf den verlorenen Schuh, nach Profikillern aus. Den können sie auch absichtlich hingelegt haben, um uns zu verhöhnen, oder? Diese zwei Kopfschüsse. Das macht den Eindruck einer Hinrichtung. Na ja, Stierschneider, in was für einer finsteren Welt leben wir hier überhaupt!?“ „Ich weiß es nicht, Chef. Wirklich nicht!“, antwortete Schober nachdenklich, während er den Namen und die Adresse des Bordells auf einen kleinen Zettel schrieb.


sich dann gleich, da die Identität der Toten zweifelsfrei geklärt war, auf den Weg zu dem Bordell in den zwanzigsten Bezirk machen.

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Ja, am Ende dieses Tages wollte Fux bereits einen guten und brauchbaren Überblick über diesen mysteriösen Mordfall haben. Alles andere zählte für ihn nicht.

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Er ging, mit zügigen Schritten, durch den dichten weißen nieselnden Nebel. Nachdem er sich in sein Auto gesetzt hatte, beschloss er, und das würde seine Pause sein, einen kleinen Abstecher zu einem seiner liebsten Würstelstände in der Nähe zu machen, er wollte nicht schon wieder einen Nachmittag mit leerem Magen verbringen. Der Würstelstand, den Fux schon seit Jahren besuchte und der sich in der Nähe der Wirtschaftsuniversität befand, hieß „Zum Leo“ und hatte vorzügliche Bratwürste, von denen sich Fux gleich eine genehmigte, dazu einen Apfelsaft. Zwei alkoholisierte Männer mittleren Alters standen wankend neben ihm, jeder einen großen Becher Bier in Händen, und waren in ein angeregtes Gespräch verwickelt. „Glei daschiass’n, sog i!“, prustete einer der beiden in seinen Bierbecher, „Ja, wie’s schon vor unsereinem in Deutschland g’sagt ham: Rauf mit der Mauer, rauf mit der Mauer!“ „Jo, host recht! Daschoss’n g’heans olle!“, lallte der andere. „Glei vahazt, Oida, du! Ana noch aundan! Dawäu dafriart a Sandla!“, warf der erste wieder ein, während sein Gegenüber einen starken Hustenanfall erlitt, im nächsten Augenblick seinen Bierbecher fallen ließ und ein lautes „Geh scheiss’n!“ stammelte, bevor er seinen ganzen Mageninhalt in den unter dem Würstelstand angebrachten großen orangefarbenen Plastikmistkübel übergab.

Fux jedoch ließ sich von dieser höchst ungustiösen Szene nicht im Geringsten beirren und den Appetit verderben, sondern aß seelenruhig seine feine Bratwurst und trank seinen Apfelsaft, bezahlte und machte sich dann sofort auf den Weg in den zwanzigsten Bezirk, in die Ospelgasse 6, denn er wusste genau, dass er keine Zeit verlieren durfte. Vor dem Etablissement, einem ehemaligen zweistöckigen Reihenhaus mit schwarzen Dachziegeln, einigen großen Fenstern, hinter denen er purpurrote, möglichweise aus Samt gemachte Vorhänge zu erkennen glaubte, frisch gestrichenen rosafarbenen Außenwänden und einem großen roten Logo mit dem Namen „Maxim“ im Zentrum, über dem Haupteingang, hielt er an. Nach einem vergeblichen Versuch, die breite dunkelrote Eingangstür zu öffnen, bemerkte er, rechts, einen roten Klingelknopf, den er mehrmals und entschieden betätigte. Zuerst schien es, als würde niemand öffnen wollen, doch dann schwenkte die Tür mit einem leisen Knarren auf, und vor Fux stand eine stark geschminkte Frau mittleren Alters, leicht bekleidet, stark nach süßlichem Parfum duftend, und fragte ihn mit dunkler betörender, lockender Stimme: „Guten Tag, der Herr. Was kann ich für Sie tun?“ „Nicht das Übliche. Oder das, was Sie vielleicht meinen …!“, antwortete Fux entschieden und zeigte ihr seinen hoch erhobenen Dienstausweis. „Also … Ich verstehe nicht …!“, stieß die Frau, erstaunt und kleinlaut zugleich, hervor. „Sie verstehen das sehr gut, denke ich. Einer meiner Kollegen, ein rundlicher Mann, war heute Vormittag bei Ihnen, das können Sie nicht abstreiten, glauben Sie mir. Sinnlos. Er fragte wegen einer als vermisst gemeldeten jungen Prostituierten. Ich will deswegen jetzt keinen unnötigen Radau veranstalten, aber wenn Sie sich diesbezüglich dumm, blind und taub stellen, kann ich morgen noch einmal mit ein paar sehr engagierten Kollegen vorbeikommen, und dann können wir diese zwielichtige Bude von vorne und hinten, ich meine bis hinten, auseinandernehmen und durchsuchen. Kommt ganz darauf an, was Ihnen lieber ist. Verstehen wir uns jetzt, Gnädigste?“, sagte Fux, sich seiner Überlegenheit ganz deutlich bewusst. „Ihr Name?“, fragte die Frau, versuchte zu lächeln, bat ihn herein und schloss die Tür hinter ihm. „Fux, Hauptkommissar, Kommissariat Josefstadt. Genügt Ihnen das, oder wollen Sie noch mehr wissen?“, antwortete Fux, folgte ihr und wartete ab, was die Frau weiter tun würde. Mit schnellen gezielten Schritten in ihren hohen schwarzen Lack-Stöckelschuhen ging sie an ihm vorbei, stark duftend, den Gang entlang, der anscheinend der Vorraum zu einem weiteren Zimmer des Gebäudes war, und er folgte ihr so weit, bis die leicht bekleidete Dame plötzlich anhielt, um eine geschlossene, matt glänzende dunkelrote Holztür zu öffnen, durch die sie ihn anschließend bat, einzutreten.


Sie hielt, im ersten Stockwerk, vor einer rot gestrichenen Tür mit der deutlich sichtbaren Nummer dreiunddreißig an und sagte anschließend zu Fux, der neben ihr stehen blieb: „Hier, auf Nummer dreiunddreißig, wohnte Jelena. In den anschließenden Zimmern leben die fünf anderen Mädchen, die hier arbeiten. Warten Sie, einen Augenblick, ich sperre Ihnen auf.“ Die Frau entfernte sich. Fux betrat ein kleines, etwas heruntergekommenes Wohn-SchlafZimmer, und plötzlich wurde ihm bewusst, warum das Mordopfer diesem zwielichtigen Beruf nachgegangen war, bestimmt keine freiwillige Entscheidung, wenn sie sich mit dieser Wohnung abgefunden hatte; nachdem er den Lichtschalter gefunden und betätigt hatte, durchmaß er den kleinen niedrigen Raum mit wenigen langsamen Schritten, warf einen prüfenden Blick in das abstellkammergroße Badezimmer mit integrierter Toilette und in die ebenso kleine Küchennische, untersuchte mit den geübten Augen eines erfahrenen Kommissars jeden Schrank, jeden Tisch und jeden Sessel, ehe er, am Schluss, die Lade des kleinen Nachtkästchens

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nam wurde gestern Nachmittag von Spaziergängern im Lainzer Tiergarten gefunden!“, erwiderte Fux auf ihre Frage. Scheinbar bestürzt und verwirrt senkte sie den Blick ihrer großen dunklen Augen, doch irgendwie hatte Fux das Gefühl, dass sie das alles längst gewusst hatte, also ließ er ihr keine Zeit, ihre Gedanken zu ordnen und führte sein Verhör schnell und unbeirrbar weiter: „Ich habe noch ein paar Fragen an Sie. Also bitte bemühen Sie sich, möglichst wahrheitsgetreu und umfassend zu antworten. Ich kann alles überprüfen oder überprüfen lassen, glauben Sie mir. Gut, wann und an welchem Ort haben Sie das Mordopfer das letzte Mal gesehen?“ „Also, Jelena … Ich … Ich habe sie das letzte Mal vor einer Woche gesehen, ich glaube, es war am Vormittag. Sie ging gerade weg, hatte es sehr eilig, um zu irgendeinem gut zahlenden Kunden zu kommen, sagte sie … Mehr weiß ich wirklich nicht, glauben Sie mir …!“, murmelte die leicht bekleidete Frau, ohne einen näheren Augenkontakt mit Fux einzugehen. „Und wie hieß sie mit vollem Namen?“, fragte Fux weiter. „Ihr Name war Jelena Novotna.“ „Gut. Immerhin etwas. Und wissen Sie auch, wo die ermordete Jelena Novotna gewohnt hat?“ Sein hübsches duftendes Gegenüber zierte sich kurz, senkte den Blick und sagte dann aber doch: „Sie hat hier im Haus gewohnt, Herr Kommissar, wie die anderen Mädchen auch. Wollen Sie ihre Wohnung vielleicht sehen? Kein Problem, wirklich!“ Fux, über dieses äußerst schnelle und freundliche Entgegenkommen sichtlich erfreut, nickte lächelnd und erhob sich sofort, um der schwarzhaarigen stark duftenden Frau, die bereits mit raschen Schritten den Raum verließ und in Richtung Stiegenhaus ging, zu folgen.

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Sie betraten einen großen dämmrigen Raum, dessen gedämpfte Beleuchtung das Interieur, das aus einer kleinen Bar und mehreren hohen Hockern bestand, in ein düster-sinnliches Rot tauchte. „Irgendeinen Wunsch, der Herr Kommissar?“, sprach die Frau nun mit elegant, seriös und vornehm wirken wollender Stimme. „Kein Bedarf. Ein Mineralwasser, bitte“, antwortete Fux gleichgültig. „Gerne, gerne“, waren ihre Worte, als sie die Flasche öffnete und samt einem Glas direkt vor ihm auf die Bar stellte. Fux nahm gleich einen Schluck, griff dann in die Brusttasche seiner Jacke, zog das Foto der ermordeten Prostituierten hervor und legte es vor der Dame hin, während er ihr direkt ins Gesicht sah, ohne ein einziges Wort zu sagen. Nach einigen Augenblicken des Schweigens sagte Fux mit ernster Stimme: „Sie werden dieses Foto kennen, nehme ich an, da es meinem Kollegen, heute Vormittag, hier mitgegeben worden ist. Von Ihnen oder von jemand anderem, keine Ahnung. Die darauf abgebildete junge Frau wurde vor einigen Tagen als von hier abgängig gemeldet, stimmt das?“ Die Frau zögerte, schien ihre gleich folgende Antwort genauestens abzuwägen und ließ Fux nicht einmal dann aus den Augen, als sie ihr langes schwarzes glänzendes Haar nach hinten warf, sodass dem Hauptkommissar nochmals ihr schweres, süßes, sinnliches Parfum in die Nase schlug; aus ihrer unbeweglichen Miene jedoch konnte er nichts herauslesen, auch nicht, als sie endlich antwortete: „Ja, das stimmt alles, Herr Kommissar. Alles richtig. Ich habe nichts zu verbergen, glauben Sie mir. Aber … Was ist mit Jelena?“ „Ich sage Ihnen gleich, was Sache ist. Es tut mir leid, aber sie ist ermordet worden. Vor einigen Tagen. Ihr Leich-


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öffnete, aber nicht fand, was er suchte, dafür jedoch eine ganz erstaunliche Menge grauen Staubes an seinen Fingern bemerkte.

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Schnell wischte er sich diesen Staub von den Fingern, und zwar in sein Taschentuch, und dann suchte er weiter; er sah sich noch ungefähr zehn Minuten lang nach irgendwelchen Besonderheiten um, als ihm plötzlich auffiel, dass sich, hinter einem bunten Wandkalender, ein kleines flaches hölzernes Hängekästchen befand, Fux nahm den Kalender von der Wand, öffnete das glücklicherweise unverschlossene Kästchen und fand darin ein kleines schwarz-rotes Notizbuch. Es schien schon seit Längerem nicht benutzt worden zu sein, denn es war von einer dünnen grauen Staubschicht überzogen. Fux nahm das Büchlein in die Hand und spürte förmlich all die Kraft, die diese Jelena Novotna in es gesteckt hatte, all die Trauer, die sie in ihrem Job hatte ertragen müssen, all die Wut, mit der sie alle die Namen, Adressen und Telefonnummern hineingeschrieben hatte; ja, es ekelte ihn maßlos an, aber er musste es öffnen und hatte gar keine andere Wahl, um in diesem Fall voranzukommen. Vorsichtig schlug er es auf und erblickte eine kleine schräge sorgfältige Schrift, auf vielen Zeilen standen Namen, Adressen und Telefonnummern, mehrere ganze Seiten füllten sie. Es waren fast nur die Namen von Männern. „Ob die alle wohl ihre Kunden waren?“, schoss es Fux sofort durch den Kopf, „Na ja, zumindest ist es ein guter erster Anhaltspunkt, da ja das Handy der Toten verschwunden ist. Da kann ich schon irgendwo ansetzen, keine Frage.“ Er steckte das Notizbuch in seine Jackentasche, schloss das Kästchen, hängte den Kalender wieder an die

Wand und warf, schon bei der Tür stehend, die letzten Blicke auf diese jämmerliche Wohnung, die, da war er sich ganz sicher, nicht der Tatort gewesen war. Entweder war diese Jelena Novotna, dachte Fux, bevor er die Tür hinter sich schloss, von irgendeinem Perversen erschossen oder aber von einem Auftragskiller hingerichtet worden, weil sie, in irgendeiner Angelegenheit, etwa Menschenhandel, Waffen- oder Rauschgiftschmuggel, aus welchen Gründen auch immer, mehr gewusst hatte, als sie hätte wissen dürfen. Er sperrte die Tür sorgfältig ab, brachte ein amtliches Siegel an, als ihm plötzlich der Gedanke kam, an der Nebentür anzuklopfen. Und sollte es notwendig sein, um ein noch genaueres Bild vom Mordopfer zu bekommen, beschloss er, vielleicht noch an weiteren Türen anzuklopfen, denn man konnte bekanntlich nie wissen; er klopfte zuerst an die linke Tür, und zwar mehrere Male, doch niemand öffnete; bei der rechten hatte er jedoch mehr Erfolg, denn sie wurde geöffnet, und es stand eine kleine zierliche junge Frau mit dunklem Teint, in bunter indischer Kleidung und von indischem Aussehen vor ihm. „Guten Tag, der Herr. Entschuldigung, aber ich bin im Augenblick nicht zu haben!“, versuchte die Dame den augenblicklichen Sachverhalt zu erklären und schüttelte den Kopf, dessen dichtes schwarzes Haar zu einem Rossschwanz zusammengebunden worden war. Fux unterbrach sie sofort, winkte ab und sagte: „Keine Sorge, ich will nur mit Ihnen reden …“, begann er mit gedämpfter Stimme, aber sie erwiderte: „Das sagen sie alle!“, woraufhin Fux, seinen Dienstausweis vorzeigend, etwas entschiedener weitersprach: „Sie verstehen mich falsch. Mein Name ist Fux. Ich bin Kriminalkommissar. Ich hätte ein paar Fragen an Sie. Nichts Besonderes.“ Die Frau wurde plötzlich blass im Gesicht und fragte stotternd: „Was … Was … Was wollen Sie denn von mir?“ „Nochmals. Ich möchte Ihnen nur ein paar Fragen stellen, die gar nicht Sie selbst betreffen, sondern jemand anderen!“, beschwichtigte er sie. ,,Ich will Sie nicht lange aufhalten. Dürfte ich vielleicht kurz hereinkommen?“ „Gut, kommen Sie herein. Aber ich habe wirklich nicht lange Zeit für Sie!“, antwortete die sich langsam von ihrem Schrecken erholende Frau. Sie trat einen Schritt zur Seite, gerade so weit, dass Fux in das Zimmer hinein gehen konnte, und machte die rote Tür, die die Nummer vierunddreißig hatte, hinter sich zu. Das kleine Zimmer war von ähnlicher Erbärmlichkeit und Armseligkeit wie jenes von Jelena Novotna, in dem Fux kurz vorher gewesen war. „Worum geht es denn?“, fragte sie, leise und vorsichtig, mit ängstlichem Blick. „Hatten Sie irgendwelchen Kontakt zu Ihrer Zimmernachbarin von Nummer dreiunddreißig, Jelena Novotna?“


Er begab sich wieder hinab ins Erdgeschoß, um nochmals mit der Frau von vorhin zu reden, die nun hinter der Bar stand und mit einer anderen jungen Frau sprach, einer groß gewachsenen Blondine, die jedoch sofort wegging, als sie sah, dass Fux auf die Bar zukam. Er sagte zu der schwarzhaarigen, leicht bekleideten Frau hinter der Bar: „Entschuldigen Sie, aber ich würde gerne noch kurz mit Ihnen sprechen!“ „Was wollen Sie denn noch alles wissen?“, fragte die nun etwas müde wirkende Frau ungehalten und kopfschüttelnd. „Sagen Sie, haben Sie das Handy von Frau Novotna irgendwo gefunden? Ist es hier irgendwo aufgetaucht? Wir haben es nämlich nicht gefunden. Sollten Sie das aber verschweigen, werde ich höchstpersönlich dafür sorgen, dass Sie und alle anderen hier in erhebliche rechtliche Schwierigkeiten geraten werden, glauben Sie mir. Bei meinen Ermittlungen, überhaupt in einem solchen Mordfall, verstehe ich nämlich keinen Spaß, und zwar nicht den geringsten, meine Liebe!“, sagte Fux mit energischem und verärgertem Unterton zugleich. „Nein, wir haben nichts gefunden. Ich wüsste nichts von einem Handy, wirklich nicht!“, antwortete die Frau mit misstrauischer und verzogener Miene. Fux wusste nicht recht, ob er ihr glauben sollte, denn hatte man sich des Handys entledigt, und danach sah es zweifellos aus, würde

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blickte wieder zu Boden. „Gut. Nur eine einzige Frage noch, wenn Sie gestatten, etwas intim, aber notwendig!“ „Ja ... Wenn es denn sein muss … Und die wäre?“ „Das ist nicht wirklich wichtig, aber vielleicht doch notwendig, keine Ahnung. Gut, also wo arbeiten Sie, wenn Sie arbeiten? Sie wissen, was ich meine …“ „Ja, weiß ich … Entweder man … Man besucht die Kunden zu Hause oder … Der ganze erste Stock des hinteren Gebäudeteils ist für Kunden dieses Hauses vorgesehen, Sie verstehen, Saunabereich, Separées und so weiter … Und wohnen müssen wir hier …“, sagte sie leise, und etwas ängstlich zur Tür hinblickend, aus großen schwarzbraunen Augen. „Okay, das genügt. Keine Sorge, von Ihnen habe ich das nicht gehört. Das muss ich geträumt haben. Ich danke Ihnen vielmals, Frau Singh. Sie haben mir sehr geholfen. Ich kann mich auch nicht erinnern, mit Ihnen gesprochen zu haben, und Ihnen wird es ebenso gehen, nehme ich an? Also. Ich weiß über den Aufbau dieses Hauses jetzt etwas besser Bescheid. Auch nicht schlecht. Herzlichsten Dank und einen angenehmen Tag noch!“ Fux verabschiedete sich und verließ das Zimmer, ging nochmals zur Nummer zweiunddreißig, klopfte nochmals mehrere Male kräftig an, doch niemand öffnete, obwohl sich Fux sicher war, dass das Zimmer bewohnt war.

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„Ja. Mehr oder weniger. Keine Freundschaft, wenn Sie das meinen.“ „Ich rede nicht lange herum. Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Jelena ermordet wurde!“, sagte Fux mit gedämpfter Stimme. Die junge Frau ließ sich daraufhin seufzend auf einen schäbigen durchgesessenen karierten Couchsessel fallen, und es schien, als wäre auf einen Schlag alle Kraft aus ihr gewichen. Fux empfand plötzlich Mitleid mit ihr, doch er fragte unerbittlich weiter, musste weiterfragen, um weiterzukommen, im Mordfall Novotna: „Wie war Ihr genaues Verhältnis zu der Toten, Frau …?“ „Singh. Indira Singh. Nun, ich kannte Jelena nur vom Sehen, mehr nicht. Hier gibt es kaum Freundschaften, denke ich. Man kommt und geht. Das ist alles. Ich … Ich … Ich bin nämlich erst seit zwei Wochen hier im ‚Maxim‘, verstehen Sie?“, antwortete die Frau eingeschüchtert und blickte zu Boden, hinab auf einen schmutzigen abgetretenen, einmal grasgrün gewesenen Teppichboden. Fux bemerkte sofort, wie unangenehm ihr diese Situation war; also beschloss er, da er hier ohnehin keine wirklich wichtigen Informationen bekommen konnte, diese, für beide Seiten, etwas peinliche Befragung schnell abzuschließen: „Verstehe, ja. Das genügt mir schon. Danke. Ich dachte, wenn ich schon einmal hier bin, frage ich ein bisschen herum in der Nachbarschaft, sozusagen. Eines noch, wissen Sie vielleicht, wer auf Zimmer zweiunddreißig wohnt? Ich habe mehrmals geklopft, doch es hat niemand aufgemacht.“ „Nein, Herr Kriminalkommissar, ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung. Wirklich nicht. Ich habe auch noch niemanden dort rein- oder rausgehen sehen. Vielleicht ist das Zimmer im Augenblick unbewohnt, könnte sein. Mehr weiß ich wirklich nicht, glauben Sie mir!“, antwortete sie knapp und


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es nicht mehr viel Sinn machen, irgendwelche rechtlichen Schritte einzuleiten; also beschloss er, es gut sein zu lassen, und fügte nur noch, und zwar mit energischer Stimme, hinzu, da er instinktiv wusste, dass er hier noch nachsetzen musste: „Ich würde noch gerne mit dem Geschäftsführer dieses Etablissements sprechen. Möglichst bald, verstehen Sie? Und zwar gleich morgen Nachmittag, denn ich nehme nicht an, dass er hier im Haus sein wird, oder?“ „Nein, das ist er nicht. Gut. Ich werde sehen, was sich diesbezüglich noch machen lassen wird … Doch das wird dauern, glaube ich … Einige Tage sicher … Ich weiß nicht, ob er überhaupt in Wien ist, keine Ahnung …“, erwiderte die schwarzhaarige Frau mit leiser Stimme. „Ich bin mir ganz, ganz sicher, dass er morgen Nachmittag für mich Zeit haben wird, Engelchen. Es sei denn, er möchte, dass ich stattdessen mit einem weitreichenden Durchsuchungsbefehl wiederkomme oder den Laden, bis zur Aufklärung des Mordfalles, sofort schließen lasse. Ich setze hier die Spielregeln fest, verstanden?!“, antwortete Fux ruhig und bestimmt zugleich, und er sah ganz deutlich, wie die Frau ihre scheinbar so sicher wirkende Maske augenblicklich verlor. ,,Morgen, fünf Uhr nachmittags. Ich werde pünktlich da sein und Ihr Boss ebenfalls, klar?“ „In Ordnung. Ich werde es ihm ausrichten. Aber falls er so kurzfristig keine Zeit haben sollte, denke ich nicht, dass derartig drastische Maßnahmen wirklich nötig wären. Mehr kann ich im Augenblick auch nicht tun!“, brachte sie noch hervor und begann, etwas verwirrt irgendwelche Gläser zu putzen, um das starke Zittern ihrer Hände vor Fux zu verbergen. „Er wird Zeit haben, glauben Sie mir. Falls nicht, haben Sie und alle anderen Mädchen morgen Abend bereits

dienstfrei. Da würde Sie sich doch auch freuen, oder?“, lachte Fux und machte erste Anstalten zu gehen. „Ich muss Ihnen noch mitteilen, dass ich das Zimmer von Jelena Novotna amtlich versiegelt habe, und jeder, der es unbefugt öffnet, macht sich damit sofort strafbar. Morgen Vormittag wird die Spurensicherung vorbeikommen und das Zimmer gründlich nach etwaigen verdächtigen Spuren durchsuchen. Alles klar? Gut. Ich danke für Ihre Auskunftsfreudigkeit und bin, wie gesagt, morgen um fünf Uhr Nachmittag wieder in Ihrem ehrenwerten Haus zugegen, zur Unterredung mit Ihrem Geschäftsführer!“, fügte er noch hinzu, verabschiedete sich höflich wie ein echter Gentleman und trat dann, durch die breite Tür, hinaus ins Freie. Seine schnellen Schritte hallten laut wider in der engen, düsteren, nebeligen, menschenleeren Ospelgasse; er richtete seinen Blick empor in Richtung des nicht sichtbaren Himmels, und als ein plötzlicher eiskalter Windstoß ihm gnadenlos in den Rücken fuhr, stellte er seinen Jackenkragen auf, zog seinen Hut tiefer ins Gesicht und beschleunigte nochmals seine Schritte. Er wollte nur schnell weg von hier, weg aus dieser trostlosen Gasse. Er erreichte seinen Wagen, stieg ein und fuhr los, durch die nebeligen Gassen und Straßen, durch den dichten Frühabendverkehr, in Richtung seiner Wohnung, er war in Gedanken, die den Mordfall betrafen, versunken und sah nichts, nichts außer grauen schmutzigen, in dichten Nebel gehüllte Hausfassaden und ein paar Menschen, die, wie ferngesteuert und scheinbar ziellos, vor sich hin gingen, in dieser trostlosen weiß-grauen Nebelwüste. Nachdem Fux in seiner Wohnung angekommen war, nahm er erst einmal eine Dusche, um den penetranten Gestank der Stadt, den er, wie es ihm vorkam, am ganzen Körper zu haben schien, abzuwaschen, er dachte wieder über die schwarzhaarige Frau im Bordell nach, über Jelena Novotna und Indira Singh, dachte an den Gerichtsmediziner, an die beiden Pistolenkugeln im kleinen Plastikbehälter und daran, dass er morgen Nachmittag den Geschäftsführer des „Maxim“ treffen würde; er stieg aus der Dusche, trocknete sich ab und ließ sich seufzend auf die dunkelgrüne Couch im Wohnzimmer fallen. Fux drehte den Fernseher auf, schlief jedoch nach wenigen Minuten bereits ein; als er nach einer Dreiviertelstunde wieder erwachte, griff er sofort zu seinem Handy und rief seinen Kollegen Schober von der Spurensicherung an, den er zu jeder Tages- und Nachtzeit problemlos erreichen konnte, genauso, wie auch er stets erreichbar sein musste, außer im Urlaub. Aber das war nun einmal das traurige und gnadenlose Schicksal von Kriminalbeamten. Wie immer schien es, als hätte Schober, mit dem Telefon in der Hand, auf seinen Anruf gewartet, so schnell hatte er abgehoben, und er begrüßte seinen Kollegen mit einem lockeren „N’ Abend, der Herr, wie kann ich dir behilflich sein?“


Er betrachtete diese Kugel, die einem ganz bestimmt unschuldigen Menschen den Tod gebracht hatte, und entgegen dem, was der Gerichtsmediziner gesagt hatte, war es mit Sicherheit keine Magnum-Kugel, sondern ein viel kleineres Kaliber, allerhöchstens neun Millimeter – neun Millimeter, die dieser jungen Frau die Gehirnwindungen komplett zerfetzt und ihr höchstwahrscheinlich ziemlich freudloses Leben, innerhalb von Sekunden, auf Null reduziert hatten …

7 Die Arbeit geht weiter Fux traf am nächsten Tag, kurz vor siebzehn Uhr, wieder lag dichter Nebel über der Stadt, vor dem „Maxim“ in der Ospelgasse in der Brigittenau ein.

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Hand, etwaige für mich unsichtbar gewesene Spuren zu finden und zu sichern. Für mich ist alles wichtig, verstehst du, und sei es noch so winzig! Die Wohnung war aber sicher nicht der Tatort, glaub mir. Sie hat die Nummer dreiunddreißig. Viel Vergnügen!“ „Ich fasse abschließend zusammen. Du willst, dass ich in dieses Bordell gehe, dort ein Zimmer durchsuche, während du bequem in deinem Büro sitzt?“, fragte Schober. „Ja, das hast du ganz richtig verstanden. Schick mir die Ergebnisse bitte bis allerspätestens morgen Nachmittag, denn ich habe um fünf Uhr ein Treffen oder Verhör, je nachdem, wie man es nennen will, mit dem Geschäftsführer dieses Bordells. Ich muss Gas geben und Druck machen, verstehst du?“, sagte Fux. „Tue ich. Wird gemacht. Geht in Ordnung so. Mein morgiger Vormittag ist noch frei. Übrigens, mein tüchtiger neuer Kollege heißt Erdner-Hammerstiel und nicht Besenstiel! Ich darf doch um ein bisschen Aufmerksamkeit und Korrektheit bitten, Herr Kollege! Danke. Das im Bordell morgen mache ich allein. Da brauche ich keinen zweiten Mann dabei. Die Resultate bekommst du umgehend. Keine Sorge. Und jetzt lass mich bitte weiterschlafen. Gute Nacht!“, verabschiedete sich Schober, laut gähnend. „Danke. Auch dir eine lange und gute Nacht!“, erwiderte Fux und beendete das Gespräch. Er legte das Telefon zur Seite, lehnte sich zurück auf die Couch und versuchte, klare Gedanken zu fassen. Schließlich griff er nach der kleinen hellgelben Plastikbox, die er auf den Couchtisch gelegt hatte und die intensiv nach der Gerichtsmedizin roch, öffnete sie und betrachtete die zwei grauen länglichen Eisenstücke, die zwei Kugeln, die sich in ihr befanden; er nahm eine davon in seine rechte Hand und betrachtete sie; ein äußerst seltsamer „intimer“ Moment war das, der ihm plötzlich das Gefühl gab, auf eine gleichsam körperliche Weise mit dem Mordopfer Jelena Novotna verbunden zu sein.

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„So gut gelaunt, heute Abend? Allerhand. Ich staune, ich staune. Ich störe wohl?“, schmunzelte Fux und fuhr sich mit der Hand müde über das unrasierte Gesicht. „Das tust du doch immer!“, scherzte Schober zurück, wurde aber gleich wieder ernst, als er fragte: „Also, Wolf, was beschert mir die Ehre deines nächtlichen Anrufes?“ „Ich habe da einen heiklen Auftrag für dich, Schoberchen. Also, du musst morgen Vormittag für mich einem Bordell im zwanzigsten Bezirk einen kurzen Besuch abstatten. Es heißt ‚Maxim‘ und befindet sich in der Ospelgasse. Du kannst es nicht verfehlen. Geht das in Ordnung für dich, oder – “, weiter kam Fux nicht, da Schober ihn schon mit schelmischer Stimme unterbrach: „Jetzt hast du aber wirklich mein Interesse geweckt, Füxchen. Ich bin ganz Ohr!“ „Gut. Spaß beiseite! Wie du bereits weißt, beschäftigt uns zurzeit der Mordfall von Jelena Novotna. Fundort: Nähe Hubertuswarte. Lainz. Alles klar? Du und dieser Besenstiel habt uns da ja vor Kurzem in Lainz geholfen. Vorgestern. Und noch was, nämlich der rote Schuh. Was ist mit ihm? Keine Spuren? Das hatte ich befürchtet. Egal. Laut einer Angestellten des Bordells, die ich heute verhört habe, lebte die Ermordete in einer Wohnung, die sich, neben anderen kleinen Prostituierten-Wohnungen, im Bordellgebäude selbst befindet. Ich habe diese wirklich schäbige Wohnung gleich durchsucht, aber nichts Entscheidendes darin gefunden, außer einem mir sehr hilfreichen kleinen Notizbuch mit vielen Adressen und Telefonnummern, du verstehst. Wir haben kein Handy der Toten, und es ist wirklich nicht anzunehmen, dass es noch auftauchen sollte. Vielleicht liegt es schon am schlammigen Grund der schönen blauen Donau. Ich habe die Wohnung versiegelt, und es liegt nun in deiner


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Als er die breite Tür, sie war bereits halb offen gewesen, hinter sich schloss und in den spärlich beleuchteten Gang trat, schlug ihm wieder eine Wolke schweren süßlichen Parfums entgegen. Genau wie am Vortag, ging er zuerst in die Bar, in der sich bereits jemand befand, zu dem er sich gesellte. Es war die schwarzhaarige, wieder nur spärlich bekleidete Frau von gestern, der er sich wieder mit gezücktem Dienstausweis vorstellte, um gleich die Marschrichtung des Gespräches festzulegen: „Hauptkommissar Fux. Ich war gestern bereits hier, wie Sie sich sicher erinnern, und bin um siebzehn Uhr mit dem Geschäftsführer verabredet. Alles klar?“ „Verstehe. Folgen Sie mir bitte!“, entgegnete sie ziemlich lustlos und öffnete eine hinter der Bar befindliche unauffällige schwarz gestrichene Tür, die mit einem leisen Quietschen aufsprang. Fux ging, sich nach allen Seiten umblickend, hinter die Bar. Man konnte nie wissen und niemals sicher sein. Er trat durch die halb geöffnete Tür, direkt hinein in ein kleines, hell erleuchtetes, sauberes Büro, in dem bereits ein Mann mit leichter Solariumbräune, dunklen Haaren und Augen auf ihn wartete; er trug einen anthrazitgrauen Nadelstreifenanzug und ein schneeweißes Hemd, unter dem eine goldene Panzerkette hervorblitzte, und er hatte, neben einem kleinen Schreibtisch stehend, bereits seine rechte Hand zur Begrüßung ausgestreckt: „Bettenreiter mein Name!“ Fux ignorierte die große, dicht behaarte Hand absichtlich, denn hier konnte es beim besten Willen keinerlei Vertraulichkeiten geben, ja, nicht einmal Höflichkeit, wozu denn auch, und zog stattdessen wieder seinen Dienstausweis aus der Jackentasche und hielt ihn diesem Herrn Bettenreiter direkt

vor das braun gebrannte kantige Gesicht: „Hauptkommissar Fux, Kommissariat Josefstadt. Sie wissen genau, warum ich hier bin!“ „Nein. Eher nicht. Also, warum genau sind Sie hier?“, fragte Bettenreiter mit einem breiten, leicht hämischen Grinsen. „Ich komme im Mordfall Jelena Novotna!“, erwiderte Fux gereizt. Noch immer schwach lächelnd, fragte Bettenreiter: „Darf ich Sie vielleicht auf ein Getränk einladen?“ Fux erwiderte, entschieden ablehnend: „Nein, danke. Ich habe keine Zeit für so etwas. Kommen wir gleich zur Sache!“ „Wie Sie meinen, Herr Kommissar. Was wollen Sie denn über diese Jelena Novotna wissen?“, fragte Bettenreiter mit einem wieder breiter werdenden Grinsen im kantigen braun gebrannten Gesicht. „Hatte sich Jelena Novotna hier oder anderswo Feinde gemacht, in ihrem Berufsleben?“, erwiderte Fux, der bei seinem Gegenüber ein leichtes nervöses Zucken der Gesichtsmuskeln bemerkte. „Ich wüsste nichts davon, nein!“, stieß Bettenreiter gereizt hervor. Fux ignorierte dieses ganz offensichtliche Ausweichmanöver und fragte weiter: „Die Obduktion hat eindeutig ergeben, dass Frau Novotna an Darmkrebs litt. So viel zu einer regelmäßigen Gesundheitskontrolle, was?“ „Frau Novotna ging regelmäßig zur Kontrolle, das können Sie jederzeit nachprüfen, wenn Sie wollen, Herr Hauptkommissar. Für die dilettantischen Ärzte jedoch, die nicht einmal einen simplen Darmkrebs diagnostizieren, kann ich wahrlich nichts, oder?“ „Mag schon sein. Kann ich nicht beurteilen. Egal. Tut nichts zur Sache jetzt. Wann haben Sie Frau Novotna das letzte Mal gesehen? „Nach der letzten vorgeschriebenen gesundheitlichen Routineuntersuchung. Ich kam, um mir die Ergebnisse der Untersuchungen anzusehen. Wir sind ein seriöses Haus, mein Lieber, und kein Geheimbordell. Bei uns liegt immer alles offen, wissen Sie?! Wenn es bei den Untersuchungen irgendwelche Probleme gibt, muss die betroffene Dame unser Haus sofort verlassen. Diesen Punkt können Sie abhaken!“ „Gut. Wann also war das genau?“, hakte Fux nach. „Ich denke, es ist ein bis zwei Wochen her, nicht länger ...“, antwortete Bettenreiter vage. „Wann genau müssen sich Ihre Mädchen denn untersuchen lassen?“, wollte Fux sofort wissen. „Gleich zu Beginn eines Monats, also ab dem Ersten“, antwortete Bettenreiter gereizt. Fux nahm diese Information vorerst einmal wortlos zur Kenntnis und verstummte für einige Momente, in denen er die permanente Unruhe des Geschäftsführers immer deutlicher wahrnahm. Er presste seine trockenen Lippen aufeinander und starrte, gedankenverloren, das schneeweiße Hemd und die goldene Panzerkette Bettenreiters an. Dann begann er wieder mit seiner Befragung: „Also, da heute der zwölfte November ist, und wenn die Ergebnisse


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gefunden, wussten Sie das oder nicht?“ „Ja … Ja, es wurde mir heute Morgen von meiner Sekretärin und dann noch von Isabelle, die kennen Sie ja, mitgeteilt.“ „Gut, dann sollten Sie wohl verstehen, mein Herr, dass es hier um lupenreinen, zielgerichteten und hinterhältigsten Mord geht. Und um nichts anderes. Punkt. Frau Novotna dürfte irgendetwas gewusst haben, was sie nicht hätte wissen sollen, denke ich. Anders ist dieser Mord nicht zu erklären. Gut, was wissen Sie über die Kunden der Jelena Novotna?“ „Nichts, Herr Kommissar, glauben Sie mir. Die genauen Geschäfte und die Kunden der Mädchen interessieren mich herzlich wichtig. Für mich, um Klartext zu sprechen, zählt nur, dass die Kunden zahlen und zufrieden sind und dass die Mädchen ihr Geld ordnungsgemäß abliefern. Alles andere interessiert mich wenig. Auch nicht, wer die Kunden waren, ich bitte Sie. Wir sind hier ein äußerst diskretes Haus. Punkt!“ „Verstehe, verstehe. Klar. Und wie Sie vielleicht auch schon wissen, war heute Vormittag die Spurensicherung hier im Haus, um das Zimmer von Frau Novotna nach Spuren zu durchsuchen. In einem Mordfall ist das üblich“, entgegnete Fux mürrisch, bereits etwas ungeduldig geworden. „Weiß ich, Herr Kommissar, weiß ich. Aber wenn da etwas wirklich Großartiges rausgekommen wäre, hätte man mich sicher schon informiert, nehme ich an. Oder auch nicht. Keine Ahnung. Ich selbst betrete diese Mädchenzimmer überhaupt nicht. Und wenn in einem dieser Zimmer Schüsse gefallen wären, so hätte man das im Haus doch gehört, ich bitte Sie. Das können Sie vergessen. Und eines noch, Herr Hauptkommissar, und zwar etwas äußerst Wichtiges. Was die Mädchen in ihrer Freizeit tun, wen sie da treffen oder wen sie da besuchen, interessiert mich nicht, und das kann und will ich auch nicht überprüfen. So viel Zeit und Geld habe ich nicht. Punkt. Nochmals, die Kunden müssen zufrieden sein und die Mädchen gut arbeiten und ihr Geld abliefern. Sie sehen also, wir haben nicht wirklich mit ihrem Fall zu tun. Haben Sie dem noch etwas hinzuzufügen?“ „Sicher. Denken Sie nochmals nach. Wissen Sie wirklich nichts über die Freizeitaktivitäten der Ermordeten oder über etwaige Freundschaften oder Feindschaften? Sie müssen doch irgendetwas bemerkt haben!“ Herr Bettenreiter überlegte kurz und sagte dann: „Moment. Da fällt mir doch etwas ein. Ja, da war ein junger Student. Wie hieß er doch schnell? Bert Büchermann oder so ähnlich. Er verehrte diese Frau Novotna oder liebte sie, was weiß denn ich, und brachte ihr immer wieder Blumen vorbei. Ich habe den Namen ganz zufällig auf einem Briefumschlag gelesen. Mehr weiß ich aber nicht von ihm.“ „Ist Ihnen die Adresse des Studenten vielleicht bekannt, oder haben Sie eine Telefonnummer von ihm? Oder vielleicht sogar das Handy der Frau Novotna? Auf dem müsste sich die Nummer bestimmt befinden!“, setzte Fux unbeirrbar nach. Das kantige braun gebrannte Gesicht Bettenschneiders verzerrte

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der Untersuchungen nach einem oder zwei Tagen reingekommen sind, somit vor etwa genau einer Woche, dann wissen wir ungefähr, wann Sie Jelena Novotna das letzte Mal gesehen haben, oder? Und außerdem, es würde mich schon wundern, wenn ein Arzt die Symptome von Darmkrebs nicht erkennt!“, schloss Fux mit einem süffisanten Lächeln, das Bettenreiter im nächsten Augenblick kurz erwiderte und dann einen kleinen roten Knopf an seinem Schreibtisch drückte. „Isabelle, ein Glas Wasser für mich, bitte. Aber schnell!“, sagte er, während er Fux aus seinen Augenwinkeln misstrauisch ansah und eisiges Schweigen in dem kleinen Büro herrschte, und zwar so lange, bis die leichtbekleidete, schwarzhaarige, stark duftende Dame aus der Bar hereinstöckelte, mit einem Glas Wasser in der linken Hand, das Bettenreiter wortlos entgegennahm und sofort bis zur Hälfte austrank. „Auch meine geliebte Mutter ist an Krebs gestorben, allerdings, als wir es herausfanden, war der Krebs bereits im tödlichen Endstadium. Sie hatte jahrelang gelegentliche Unterleibsschmerzen und sich nichts dabei gedacht. Sie wissen ja, worauf ich hinaus will?“, sagte Bettenreiter, während er an seinem schneeweißen Hemdkragen und an seiner dicken goldenen Halskette herumzupfte und für einige Augenblicke starr und selbstsicher in Fux’ Gesicht blickte, der sich für einen Augenblick angewidert von diesem selbstherrlichen, arroganten, bösen Menschen abwandte. „Die Krebsgeschichte ihrer seligen Mutter in allen Ehren, mein Herr, aber hier geht es nur um die arme Jelena Novotna, die mit zwei gezielten Kopfschüssen brutalst hingerichtet worden ist, und zwar vor drei Tagen ungefähr, laut Gerichtsmedizin. Ihr Leichnam wurde gestern Nachmittag von Spaziergängern im Lainzer Tiergarten


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sich zu einem schiefen Lächeln, und er sagte kopfschüttelnd: „Tut mir leid, mir ist hier kein Handy untergekommen. Eigentlich niemandem, genau gesagt. Was gehen mich die Handys der Mädchen an, frage ich Sie? Gar nichts. Reine Privatsache. Vielleicht hatte sie gar keines. Keine Ahnung. Ich würde mich doch verdächtig machen, wenn ich das Handy hätte verschwinden lassen, oder? Vielleicht hat es die Spurensicherung in Novotnas Zimmer gefunden? Bitte verschonen Sie mich mit so etwas. Ich spiele mit offenen Karten und lege sie auf den Tisch. Ich habe andere Sorgen als die Handys der Mädchen, wie gesagt. Genügt Ihnen das?“ Fux war nun klar geworden, dass er bei diesem aalglatten Geschäftsführer, zumindest im Augenblick, keine weiterführenden Informationen erhalten würde, weshalb er abschließend meinte: „Nun gut. Wie Sie meinen. Ich habe vorläufig genug gehört. Doch glauben Sie deshalb ja nicht, dass Sie hier schon fein raus wären. Noch ist nicht aller Tage Abend. Wir werden bestimmt noch auf Sie zurückkommen, dessen können Sie sich sicher sein!“, sagte Fux, erhob sich aus seinem Sessel und verließ, wieder ohne Bettenreiter die Hand gereicht zu haben, das kleine saubere, hell erleuchtete Büro. Fux schloss die schwarze Tür hinter sich, Isabelle, die vorhin an der Bar gesessen war, war nicht mehr aufzufinden gewesen, und auch sonst war das Bordell wie leer gefegt. Er atmete einmal tief durch, ließ das unergiebige Gespräch mit diesem aalglatten, widerwärtigen, hinterlistigen Bettenschneider in seinem leicht schmerzenden Kopf Revue passieren, bevor er das Lokal verließ und auf die kurze, enge, halbdunkle Ospelgasse hinaustrat, hinein in den dichten Nebel, der

unbeweglich über der abendlichen Stadt lag. Es war halb sieben Uhr. Fux wollte noch nicht nach Hause fahren; er fand ganz in der Nähe ein kleines Lokal, in dem er sich, um seinen Kreislauf anzukurbeln, einen großen Mokka kaufte und das im Zimmer von Jelena Novotna im Wandkästchen gefundene kleine Notizbuch aufschlug, um darin nach dem Namen „Bert Büchermann“ zu suchen. Schon auf Seite zwei fand er ihn, daneben eine Telefonnummer sowie die Bezeichnung „Student an der TU“, die diesen Büchermann gleich etwas näher beschrieb. Erfreut über diesen wichtigen Fund, schrieb sich Fux die Telefonnummer des jungen Mannes auf ein Blatt Papier, steckte das Notizbuch wieder in seine Jackentasche und verließ höchst zufrieden, mit schnellen Schritten und ein Lied vor sich hin pfeifend, das Lokal, dessen Name „Ospel-Beisl“ gewesen war. Nach etwa zehn Metern, unter einer Straßenlaterne, hielt er an, tippte die aufgeschriebene Nummer in sein Handy ein, ließ es ein paar Mal klingeln, doch es hob niemand ab; Fux unterließ es, eine Nachricht auf die Mailbox zu sprechen, denn er wollte diesen Büchermann nicht unnötigerweise in Unruhe versetzen. Schließlich zählte er auch zum großen Kreis der Verdächtigen. Keine Frage. Man konnte in niemanden hineinblicken. Er nahm sich vor, um keine Zeit zu verlieren, Büchermann gleich am nächsten Morgen anzurufen, stieg in sein Auto und fuhr nach Hause. Er stand erst am Anfang. Der Weg würde noch sehr lange und gewunden sein. Das stand fest.

8 Bert Büchermann Als Fux am nächsten Morgen den TU-Studenten Bert Büchermann anrief, meldete sich dieser sofort, worauf Fux sich vorstellte und ihm mitteilte, dass er ihn so bald wie möglich sprechen müsste, und zwar in einer äußerst dringenden Angelegenheit. Zunächst vollkommen verwirrt, stammelte Büchermann nervös und ängstlich ins Telefon: „Entschuldigen Sie bitte, Herr Kommissar … Aber … Aber was wollen Sie genau von mir?“ „Ich muss mit Ihnen über eine äußerst wichtige Sache sprechen. Sie brauchen sich aber nicht zu ängstigen, ich bitte Sie. Diese Sache hängt nur indirekt mit Ihnen zusammen. Sie sind auch nicht in Gefahr oder sonst irgendetwas. Genaueres erkläre ich Ihnen später. Würden Sie mir bitte noch Ihre Adresse geben?“, fragte Fux abschließend. „Wenn es wirklich so dringend ist, dann ja, meinetwegen!“, antwortete Büchermann etwas gereizt. „Ich wohne in der Beingasse 24


Fux räusperte sich kurz, atmete tief durch, dachte nach, zog seine Jacke aus, legte sie über seinen rechten abgewinkelten Arm und sagte schließlich mit halblauter Stimme: „Herr Büchermann … Ich komme gleich zur Sache. Also, es geht um Jelena Novotna!“ Fast reflexartig sprang der Student auf, sein Gesicht erbleichte, er starrte Fux aus weit aufgerissenen Augen fassungslos an und stammelte: „Jelena!? Was ist denn mit ihr? Geht es ihr gut?“ Fux senkte bedauernd seinen Blick und sagte leise: „Es tut mir leid Herr Büchermann, Ihnen mitteilen zu müssen, dass man Jelena Novotna vor drei Tagen tot im Lainzer Tiergarten aufgefunden hat.“ „Nein, nein, nein! Sie … Sie … Sie war eine gute Freundin von mir! Irrtum ausgeschlossen?“, gab der Student seufzend von sich, und sein Gesicht wurde noch bleicher. „Ja. Absolut ausgeschlossen. Tut mir leid!“ Fux schluckte, als er dabei zusah, wie diese traurige Nachricht den Studenten immer tiefer zu bedrücken schien und dieser sein Gesicht in seinen Händen vergrub, während der Kommissar wortlos neben ihm stand, und manchmal auf den nicht gerade sehr sauberen grün-weiß gekachelten Küchenboden hinabblickte. Plötzlich brach der Student in lautes bitteres Schluchzen aus, das er, immer wieder und wieder, mit den Worten „Warum nur? Warum nur Jelena? Warum nur?“ unterbrach. Nachdem der am Boden zerstörte Büchermann sich allmählich beruhigt hatte, fragte er: „Aber … Wie und warum kommen Sie überhaupt auf mich? Werde ich etwa verdächtigt?“ „Bitte beruhigen Sie sich. Wir sind durch den Geschäftsführer des Etablissements, in dem Jelena gearbeitet hat, auf Sie gestoßen. Und ich muss, da es sich um einen Mordfall handelt, jeder Spur nachgehen, verstehen Sie? Und da ist grundsätzlich jeder, bevor sich nicht das Gegenteil herausgestellt hat, verdächtig. Das ist immer so, glauben Sie mir. Eine schreckliche Sache, ich weiß, doch was soll ich tun? Ich hätte auch gerne angenehmere Fälle …“, sagte Fux, mit der Ruhe jahrelanger Kriminalerfahrung. „Und … Wie ist sie gestorben?“, fragte der Student verhalten. „Sie wurde im Lainzer Tiergarten gefunden, wie gesagt. Jelena wurde durch einen doppelten Kopfschuss getötet. Aber wir tappen bezüglich des Täters noch vollkommen im Dunkeln. Ich muss mich langsam vorantasten, wie ein Blinder …“ Dann herrschte plötzlich langes Schweigen im Raum, und Fux merkte, wie sein Gegenüber durch diese bedrückenden Nachrichten immer tiefer in sich selbst versank und kopfschüttelnd die hellgrüne Küchentischplatte anstarrte. Fux war natürlich darauf vorbereitet, dass der Student wieder in

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vorkam, er hatte helle Haut und trug einen dichten dunkelbraunen Bart über seinem gesamten Kinn; sonst aber war er eher dünn und hatte ein Paar mittelgroße, gewöhnliche braune Augen.

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im sechsten Bezirk, Tür Nummer 15, ganz in der Nähe des Westbahnhofs.“ „Könnte ich gleich zu Ihnen kommen? Ich wäre in kürzester Zeit da!“, sagte Fux schnell. „Ja, gut. Je früher, desto besser. Ich habe bis Mittag Zeit, dann nicht mehr!“, antwortete Büchermann, worauf Fux sich bei ihm bedankte und verabschiedete, bevor er sich, fest entschlossen, heute in den Ermittlungen wieder einen großen Schritt vorwärts zu machen, für den Tag bereit machte. Fux ging eilig hinaus in den feuchtkalten nebeligen Morgen, stieg in sein Auto und fuhr im dichten stockenden Frühverkehr in Richtung Westbahnhof, wo er in der Beingasse, in der Nähe des Hauses mit der Nummer vierundzwanzig, einen Parkplatz fand. Er zog den Schlüssel aus dem Zündschloss, öffnete die Tür des Wagens und hievte sich mühsam aus dem Fahrzeug, bevor er, mit neuer Energie, auf sein Ziel zuging, das „Bert Büchermann“ hieß. Im ersten Stockwerk läutete er an der Tür mit der Nummer fünfzehn; es kam vorerst keine Antwort, dann aber war von drinnen das Geräusch zu großer Hausschuhe zu hören, die über den Boden geschleift wurden. Die Kette des Türschlosses wurde entfernt, das Schloss aufgesperrt, die grüne Tür schwang auf, und ein junger hochgewachsener Mann, der in einen übergroßen beigen Pyjama gekleidet war, stand vor Fux. Dieser zeigte, wie gewohnt, seinen Dienstausweis, stellte sich vor und sprach: „Wir haben vorhin miteinander telefoniert.“ „Sicherlich. Ja, kommen Sie nur herein!“, antwortete der Student und führte Fux durch ein winziges halbdunkles Vorzimmer und dann hinein in eine ebenso winzige Küche, wo er sich auf einen Stuhl setzte, auf dem Fux, der vorerst stehen blieb, etwas genauer betrachten konnte; er hatte schwarzes, halblanges Haar, das Fux gefärbt


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Tränen ausbrechen würde, doch er wischte sich nur ab und zu kurz über sein blasses Gesicht, versuchte, sich mit einem wütend geflüsterten „Verdammte Scheiße!“ zu fassen und sagte dann: „Wenn Sie vielleicht glauben, ich wüsste irgendetwas, dann täuschen Sie sich, weil …“, doch weiter kam er nicht und vergrub das Gesicht wieder verzweifelt in seinen Händen. „Das wird sich alles herausstellen, junger Mann. Bitte beruhigen Sie sich wieder. Eins nach dem andern. Ich muss mir einen soliden Überblick verschaffen. Ich möchte jetzt einmal wissen, in welchem Verhältnis Sie zu der Ermordeten gestanden haben? Sie haben ihr öfters Blumen vorbeigebracht, hat mir Herr Bettenschneider, der Geschäftsführer des ‚Maxim‘ mitgeteilt“, sagte Fux und setzte sich auf den zweiten Küchensessel und an den Tisch, dem Studenten direkt gegenüber. Über ihnen brannte eine schwache Glühbirne und warf ein stumpfes, schmutziges Licht herab. Bert Büchermann antwortete prompt: „Ich war kein Kunde von ihr, wenn Sie vielleicht das meinen sollten. Das lassen schon allein meine Finanzen nicht zu, glauben Sie mir. Ich habe sie nur verehrt. Das war alles. Und deshalb habe ich ihr die Blumen vorbeigebracht. Mehr nicht!“ „Gut. Glaube ich Ihnen. Und standen Sie regelmäßig in Kontakt mit ihr?“, fragte Fux weiter. „Ja, wir trafen uns häufig. Das schon. Aber nochmals, wir waren kein Liebespaar!“, sagte Büchermann, und ein kleiner Hauch von Enttäuschung schwang in seiner traurig klingenden Stimme mit. „Und wo haben Sie Frau Novotna kennengelernt? Übrigens, Sie klangen da gerade etwas enttäuscht, schien mir. Glauben Sie nicht, dass es so besser ist, dass Ihnen eine derartige Liebesbeziehung erspart geblieben ist? Oder stehen Sie vielleicht auf so

etwas …?“, fragte Fux leicht spöttisch und bereute es im nächsten Augenblick schon wieder, weil das überhaupt nicht hierher passte. Büchermann presste die Lippen fest aufeinander und ballte die Fäuste, riss die Augen weit auf, sprang von seinem Stuhl hoch und fuhr Fux wütend an: „Ich sage Ihnen nur eines, ich habe Jelena voriges Jahr in einer Bar im ersten Bezirk kennengelernt. Alles andere aber geht Sie einen feuchten Scheißdreck an, Herr Hauptkommissar! Wenn Ihnen meine Aussagen nicht passen, können Sie ja mit meinem Anwalt reden! Und außerdem habe ich für letzte und für diese Woche ein felsenfestes Alibi, verstanden?! Ich war nämlich bis vor zwei Tagen auf einer Bildungsexkursion in Berlin. Näheres können Sie auf der TU erfahren. Ich habe Jelena gestern anzurufen versucht und mich gewundert, dass ich sie nicht erreichen konnte. Die Leitung war tot. Und jetzt verlassen Sie bitte gefälligst meine Wohnung! Ich habe alles gesagt, raus!“ Fux stand auf, ging in Richtung der Küchentür, blieb dort stehen und sagte energisch und laut: „Mäßigen Sie sich ein wenig, Büchermann, ja!? Ich bin gleich weg. Eine Frage aber habe ich noch. Wissen Sie vielleicht, woher Frau Novotna stammte und wie, wann und warum sie nach Wien gekommen ist?“ „Sie hat mir erzählt, dass sie früher in einem kleinen ärmlichen Dorf in der Nähe von Znaim gelebt hat. Sie war dort Friseurin und verdiente nur sehr, sehr wenig. Irgendein Verwandter gab ihr, vor drei Jahren, angeblich die Möglichkeit, nach Wien zu kommen, und da ist sie dann irgendwie in die Bordellszene eingestiegen. Mehr hat sie mir auch nicht erzählt. Vielleicht durfte sie das nicht. Ich weiß auch nicht, ob sie einen Zuhälter hatte. Keine Ahnung. Diesbezügliche Fragen blockte sie immer sofort ab. Manchmal wirkte sie schon sehr ängstlich, das können Sie mir glauben. Aber was hätte ich tun können? Gar nichts, im Grunde genommen!“, antwortete der Student resigniert und schüttelte den Kopf. „Ist klar. Keine Frage. Zu gefährlich gewesen. Gut. Wissen Sie vielleicht, welche Art von Kunden sie hatte? Verstehen Sie, ich stehe gerade erst am Anfang meiner Ermittlungen, und da ist jede Auskunft und jede Spur unheimlich wichtig. Dieser ‚Maxim‘- Geschäftsführer war so aalglatt, aus dem konnte ich absolut nichts herausholen. Unmöglich!“ Büchermann sah kurz zu Boden und sagte dann mit gedämpfter Stimme: „Es waren meistens, soviel ich weiß, irgendwelche älteren, ekelhaften, wohlhabenden Männer, die ihr sehr, sehr viel dafür bezahlt haben!“ Fux dachte einen Moment nach und wollte etwas erwidern, als Büchermann schon wieder zu sprechen anfing: „Wenn Ihnen das hilft, Jelenas Mörder zu finden … Also, ich bin ihr einmal, aus Neugierde und aus Eifersucht zugleich, ich gebe es zu, nachgefahren, und zwar nach Döbling … Da war sie in einer großen vornehmen Villa auf Hausbesuch, und zwar bei einem gewissen


9 Dr. Trudbert Fink In gemäßigter Eile verließ Fux das alte, finstere, desolate Gebäude, ging zu seinem Wagen, schloss diesen auf, setzte sich seufzend hinter das Lenkrad und startete den Motor, der mit einem stotternden und fast schon hustenden Geräusch zum Leben erwachte. Der Nebel in den Straßen schien noch dichter geworden zu sein. Es war halb zehn Uhr.

Bevor er das Radio einschaltete, um fingertippend zum Takt der gewohnten Musik zurück ins Kommissariat zu fahren, entschied er sich spontan dafür, schließlich musste er am Ball bleiben und durfte keine Zeit verlieren, gleich nach diesem Doktor Fink zu suchen, und zwar zuerst einmal im Notizbuch der ermordeten Jelena Novotna, und ihm dann, falls er ihn dort gefunden haben sollte, gleich einen überraschenden Besuch abzustatten, also ohne vorherigen Anruf.

Fux schaltete das Radio ein, reihte sich in den dichten Verkehr ein, um zu Doktor Fink nach Döbling zu fahren. Er fand, in dieser grünen und wohlhabenden Gegend, das Haus des von ihm gesuchten Mannes relativ schnell; ein hohes, schwarzes, eisernes Tor schützte die große ältere Villa, die von einer prächtigen hellgelb gestrichenen Fassade geschmückt war. Fux stieg aus, ging in Richtung des Tores und drückte den roten Klingelknopf, neben dem, auf einem großen rechteckigen Messingschild, der Name „Doktor Trudbert Fink“ zu lesen war. Kurz darauf trat ein älterer Herr in einem dunkelroten maßgeschneiderten seidenen Schlafrock aus dem Haus und ging auf das Tor zu, barfuß in luxuriösen schwarzen Lederpantoffeln und in einer seidenen dunkelgrünen Pyjamahose. „Guten Morgen, mein Name ist Hauptkommissar Fux, Kommissariat Josefstadt. Ich habe Ihnen ein paar wichtige Fragen zu stellen. Es geht um die Ermittlungen in einem Mordfall. Ich will nicht lange herumreden!“, stellte Fux sich vor, mit gezücktem Dienstausweis, bevor sein Gegenüber noch irgendetwas erwidern konnte. Der ältere Mann, er war etwa Mitte sechzig, runzelte erst einmal seine Stirn, und die Falten in seinem Gesicht vertieften sich, seine Haut hatte eine leichte Bräune, vermutlich deshalb, weil er den ganzen Sommer über ruhig in seinem Garten im Liegestuhl sitzen konnte oder aber, in seiner luxuriösen Villa, ein eigenes Solarium besaß; er fuhr sich kurz durch sein weißes Haupthaar und sah den Kommissar mit Unmut und Ablehnung an: „Worum es sich auch handelt, mein Herr, ich denke nicht, dass ich Ihnen irgendwie helfen könnte. Ich wüsste nicht, wie!?“ „Einen kleinen Augenblick noch, Herr Doktor Fink. So schnell kommen Sie mir nämlich nicht davon! Vielleicht sagt Ihnen der Name Jelena Novotna irgendetwas? Ich nehme an, schon, oder täusche ich mich da etwa?“, setzte Fux sofort nach. „Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Wer ist das denn? Und wie und warum bringen Sie diese Person ausgerechnet mit mir in Verbindung? Da kann ich Ihnen beim besten Willen nicht folgen, tut mir leid. Worum handelt es sich denn da konkret?“, antwortete Doktor Fink nach kurzem Zögern nervös.

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Er schlug das Buch auf und wurde auf der Seite sechs gleich fündig. Doktor Finks Name stand neben einer Telefonnummer und einer Wiener Adresse, die lautete Wien-Döbling, also neunzehnter Bezirk, Eichendorffgasse 24.

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Doktor Trudbert Fink … Wie lange, weiß ich nicht, auch nicht, wie oft … Irgendwie widerte mich das zu sehr an … Das war alles … Mehr kann und mehr will ich Ihnen für heute nicht mehr sagen … Ich möchte jetzt am liebsten allein sein …“ „Verstehe. Ginge mir auch nicht anders. Tut mir leid das Ganze, aber es ging nicht anders. Aber das hilft mir schon weiter, Herr Büchermann. Zumindest hat es den Anschein. Besten Dank. Falls ich noch etwas brauchen sollte, würde ich mich telefonisch nochmals an Sie wenden. Ich werde diesen Herrn Fink möglichst bald besuchen und sehen, was dort herauskommt. Das ist ein Puzzle, verstehen Sie? Ob jedoch alle Teile, am Ende, zusammenpassen und ein Bild ergeben, wird sich zeigen. Ich weiß es nicht. Auf Wiedersehen“, sagte Fux und ging, von Bert Büchermann begleitet, zur Wohnungstür. „Gehen Sie nur. Ich stehe Ihnen weiterhin zur Verfügung, kein Problem“, antwortete der etwas gereizte und dennoch niedergeschlagene Student, worauf Fux, nach einem kurzen Händedruck, über die Türschwelle nach draußen trat und noch hörte, wie die Wohnungstür hinter ihm zugeschlagen und abgesperrt wurde.


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„Ich werde Ihrem Gedächtnis gleich auf die Sprünge helfen, Herr Doktor. Jelena Novotna war eine junge Frau, genauer gesagt eine junge Prostituierte, die in einem Brigittenauer Etablissement mit dem Namen ‚Maxim‘ gearbeitet hat, in der Ospelgasse. Es gibt einen zuverlässigen Zeugen, der ausgesagt hat, dass sie Ihnen, aufgrund ihres Berufes, bekannt sein und Sie auch hier, in Ihrer Villa, besucht haben soll. Nun, was meinen Sie dazu?“, entgegnete Fux sachlich und sicher zugleich.

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Er inspizierte Doktor Fink genauestens und konnte dessen Nervosität an den Augenlidern erkennen, die sich über den leicht geröteten, wahrscheinlich entzündeten Augen zitternd bewegten. Bevor Fux seine Gedanken über diesen Menschen im seidenen Schlafrock präzisieren konnte, sagte dieser zu ihm: „Ich möchte hier draußen nicht erfrieren. Sie sicher auch nicht. Also kommen Sie herein!“ Durch den harschen Ton jedoch, mit dem Doktor Fink das sagte, sank Fux’ Sympathie für diesen Menschen auf ein winziges Minimum. Doktor Trudbert Fink öffnete das hohe Tor und ging dann auf die prunkvoll geschnitzte Haustür aus Eichenholz zu, die er langsam öffnete und so den Blick auf einen großen, hell erleuchteten pompösen Vorraum freigab. Fux folgte ihm, sah sich kurz im Vorraum um und wischte sich seine Schuhe an der Fußmatte ab, bevor er, Doktor Fink folgend, tiefer in die riesige vornehme Villa vorstieß und die beiden schließlich in einem schön möblierten Jugendstilzimmer ankamen, in dem der ältere Herr auf einem breiten weißen Sofa Platz nahm und Fux anbot, sich ebenfalls hinzusetzen, bevor er eine dort offensichtlich schon bereitgelegte dunkelgrüne Kaschmirdecke über seine Beine und seinen Schoß zog.

Fux sah Doktor Fink mit einem ernsten Blick an und sagte mit ernster Stimme zu ihm: „Jelena Novotna ist tot. Darum bin ich hier. Mit zwei gezielten Kopfschüssen hingerichtet. Ihr Leichnam wurde vor drei Tagen von Spaziergängern im Lainzer Tiergarten gefunden. Ich bin auf der Suche nach ihrem Mörder. Das ist der augenblickliche Stand der Dinge!“ Fortsetzung folgt ...

Gemeinschaftsarbeit der Schreibakademie Horn von Oktober 2015 bis Juni 2016, entstanden unter Mitarbeit von: Fabian Stimmer, Elliott Chan, Laurin Sterkl, Imre Benedikt, Lautaro Iriarte, David Lischka, Annika Mayer, Crystal Tiki, Miriam Zeug und Rudolf Aubrunner.

Einsamkeit Hier ist es still, still wie in einem Grabe, die Leere in meiner Seele nagt an meinem Verstand, nur ich und uralter steinerner Rabe, ein Schlüssel, ein Brief, ein Ring in meiner Hand. Ohne Liebe, Zuneigung und ohne Gefühle in dieser Dunkelheit gefangen, man könnte meinen, dass kalte Schatten nach mir greifen, und mir ist, als wäre ich eine Ewigkeit durch leere Wüsten gegangen, mit jeder Sekunde schaffen sie es mehr, mich zu ihnen zu schleifen. Die Stimme des beflügelten Todes lockt stets ohne Entkommen, die Menschen unendlich weit entfernt von mir, sie haben mir die Freiheit für immer genommen, aber mein Ende wird niemals kommen – denn es ist längst schon hier!


12. Juni

In Gedanken an das letzte Mal, voriges Jahr nämlich, als sie an diesem schicksalhaften Ort gewesen waren, wurde er leichenblass, und seine Hände begannen, stark zu zittern, worauf die lebensrettende Flasche Mineralwasser, die er aufgrund des glühenden tropischen Wetters nie aus den Augen und aus den Händen ließ, dumpf zu Boden fiel, beinahe über Bord rollte und von einem kleinen blonden Jungen,

der gar nicht wusste, was da vor sich ging, aufgehoben und dem bleich gewordenen Christoph zurückgegeben wurde.

Helene fasste ihn zärtlich am linken Arm, aber Christoph starrte jetzt wieder auf den Hafen und auf das kleine Dorf dahinter, in dem niemand zu sehen war, außer der winzigen Silhouette eines Mannes, der sich, mit gesenktem Kopf und leblos herabhängenden Armen, gegen eine weiße Hausmauer lehnte, neben ihm saß ein winzig kleiner schwarz-weißer Hund. Es war vier Uhr Nachmittag, als das Schiff, auf dem sich, neben Christoph und Helene, etwa hundert Touristen befanden, in den Hafen der Insel einfuhr und dort, vor einer dicken, hohen steinernen Mauer, anlegte.

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Immer noch bebend vor Angst, nahm er dem ängstlich dreinblickenden Jungen höflich dankend die halbleere Flasche ab und wandte sich wieder seiner traurig nickenden Frau zu. Nein, es war keine gute Idee gewesen, hierherzukommen, aber einfach zu Hause zu bleiben, wäre eine noch schlechtere gewesen. So sahen er und seine schweigende Frau hin auf die langsam immer größer und größer werdende Insel und lauschten dem melodischen Rauschen des Meeres, das von dem Bug des großen Passagierschiffes zerteilt wurde.

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Als Christoph nun den ersten Schritt von Bord machte, hallten diese schrillen Schreie erneut durch seinen Kopf. Damals … als hier nur eine relativ kahle Landschaft gewesen war, und die Menschen, zur Zeit der Entdeckung der Inselgruppe durch das Stranden von Schiffen hierhergekommen, um ihr nacktes Überleben kämpfen mussten. Der triste harte Alltag wurde nur durch Hass, Habgier, Misstrauen und Angst bestimmt, die Zahl der Opfer stieg mit jedem Tag mehr und mehr. Aber – jetzt wieder an diesen merkwürdigen Ort zurückzukehren, war sicherlich die größte Hürde, die Christoph und Helene jemals würden zu überwinden haben. Diese Insel war wie ein zu kleiner Stern. Nachdem das Ehepaar und die anderen Touristen mit ihrem Gepäck von Bord gegangen waren, standen Christoph und Helene schweigend nebeneinander im Hafen und starrten einander hilflos an, während über ihnen riesengroße schreiende Möwen kreisten, die Sonne noch immer gnadenlos vom wolkenlosen tiefblauen Himmel herab strahlte und sich die anderen Touristen, die scheinbar alle ein Ziel hatten, im Hafen in alle Richtungen zerstreuten. Aber wohin sollten Christoph und Helene gehen? Was sollten sie tun? Sie wussten es nicht. Da kam ein Mann mit einem kleinen schwarz-weißen Hund direkt auf sie zu …

Geschrieben am 12. Juni 2015

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Christoph sah, dass die Insel nur noch ungefähr hundert Meter entfernt war. Er hatte nicht erwartet, dass die Anreise so schnell vergehen würde. Eigentlich sollte das Schiffe erst nach fünf Tagen bei der Insel ankommen, doch es war ganz sicher, dass die weiß glühende Sonne erst zweimal über ihren Köpfen erschienen war. Aber das kümmerte ihn nicht wirklich, denn je schneller am Ziel, desto besser. Denn je länger er auf dem schwankenden Schiff bleiben würde, desto mehr würde sein Magen rebellieren, und er war sich sicher, dass er diesen unguten Zustand nicht mehr sehr lange würde ertragen können. Und diese sich nähernde große Insel schien ihm wie ein unendliches Tor zu sein. Er konnte einen mittelgroßen Hafen sehen und dahinter ein Dorf, in dem sich die einstöckigen Häuser mit ihren flachen Ziegeldächern und ihren fahlen weißen Fassaden eng aneinander schmiegten, von schmalen dunklen Gassen durchzogen. „Woran hast du gerade gedacht?“, hörte er plötzlich, wie aus weiter Ferne und durch die glühend heiße Seeluft hindurch, die wohlbekannte Stimme seiner Frau Helene neben sich. ,,Viel... viel... vielleicht war es doch keine so gute Idee, hierherzukommen …“, stotterte er, denn seine trockene Stimme hatte in dieser Gluthitze plötzlich versagt.


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Spaziergang mit dir

Liebe im Regen

Wenn du bei mir bist, existiert keine Zeit, wir beide wissen, es ist bald soweit, umringt von Bäumen und Tieren, werden wir uns bald ineinander verlieren.

Will stand unter dem Baum, es war eine Linde, in dem großen Wipfel rauschte der Regen, und nach einigen Minuten spürte er schon die ersten Regentropfen in seinem Haar. Je dunkler der Himmel wurde, desto schlechter gelaunt war er; das war das erste Mal, dass er mit dem Mädchen seiner Träume ausgehen würde, aber dieser starke Gewitterregen hatte all seine Pläne einfach weggespült.

Meine Liebe zu dir lässt mich über den Wolken schweben, ich wünsche, wir könnten ewig miteinander leben! Es ist so schön, deine Hand in meiner zu spüren, kannst du mich nicht noch mehr berühren?

Langsam begann es zu dämmern, und er war sich sicher, dass sie nicht mehr kommen würde. Obwohl er zunehmend die Hoffnung verlor, drehte er sich doch nach jedem Schlagen von Schuhabsätzen gegen den nassen Asphalt sofort um. Menschen unter Regenschirmen gingen schnell vorüber. Will starrte sie alle neugierig an, doch Eve war nicht darunter; er gab ihr die allerallerletzten fünf Minuten, dann würde er sie anrufen, denn der Regen wurde immer stärker und stärker, und der arme Will hatte keinen Schirm bei sich.

Die Welt scheint wie meine Träume von dir, deine süßen Küsse bringen mich weit weg von hier, ich verliere mich in dem Gefühl, das ich mit dir teile, es zieht mich zu dir, wie stählerne Seile!

Sein sonst lockiges brünettes Haar klebte in nassen Strähnen an seinem Gesicht, seine durchnässte Kleidung klebte wie eine zweite Haut an ihm, die Wärme, die kurz vorher noch, der Aufregung wegen, seinen ganzen Körper durchflutet hatte, wich immer schneller aus seinen Gliedmaßen, und seine Euphorie war nun beinahe vollständig verschwunden. Eigentlich hätte er schon längst zu Hause sein sollen, doch er konnte und konnte sich einfach nicht vorstellen, wollte es auch gar nicht, dass Eve das Date einfach vergessen hatte; da beschloss er, die Allee, in der sich befand, trotz des strömenden Regens entlangzugehen, anstatt Eve anzurufen.

Geschrieben am 19. Juni 2015

Aber schon nach ein paar Schritten spürte er den sanften zärtlichen wohlbekannten Druck einer Hand auf seiner linken Schulter, und dann sprach ihre Stimme seinen Namen, im laut herab prasselnden Regen, direkt hinein in sein Ohr …

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Auf seinem Weg, sich von dieser Last zu befreien, kam er an einem kleinen Blumengeschäft vorbei, und er wollte fast schon wieder einen Rosenstrauß für Anna kaufen, als ihm seine hoffnungslose Lage wieder einfiel. Nachdem er einige Minuten später mit flotten Schritten das WC verließ, rannte er schnurstracks in eine groß gewachsene schwangere Frau hinein, die aufschrie, ihn wütend anstarrte und laut beschimpfte, worauf er, zu seiner riesengroßen Verwunderung, bemerkte, dass er, in seine traurigen Gedanken vollkommen versunken gewesen, in die Damentoilette gegangen war ... Er sah die Frau, deren Mund sich nun zu einem breiten Grinsen verzog, verlegen an, murmelte eine rasche Entschuldigung und beeilte sich dann, so schnell wie möglich von den WCs wegzukommen. Er ging zum Parkplatz, startete seinen Wagen und fuhr hinaus in eine weiträumige Landschaft, wo er immer wieder Flugzeuge in den grauen Himmel aufsteigen sah. Die Straße war hier kaum befahren, rundherum flaches Ackerland, er wusste nicht, wohin er fuhr, nur vor

sich selbst und seiner Verzweiflung davon, und je weiter er kam, desto grauer wurde der Himmel und desto dichter die Wolken, und schon bald schlugen die ersten großen schweren Regentropfen laut gegen die Windschutzscheibe. Nach ungefähr zehn Kilometern, der Regen hatte inzwischen wieder aufgehört, hielt Georg in einem dunklen Waldstück an, stieg aus und ging, dabei in sehnsuchtsvolle und wehmütige Gedanken an die abgereiste Anna versunken, tiefer und tiefer in den Wald hinein und ließ sich schließlich auf einem großen bemoosten Wurzelstock nieder. Plötzlich hörte er leise sanfte Schritte hinter sich, doch als er sich umdrehte, war niemand zu sehen. Seine absurde Hoffnung, Anna plötzlich hinter sich zu erblicken, schwand so schnell, wie sie gekommen war, und danach war ihm, als spüre er ihre Anwesenheit, ganz so, als würde sie sich hinter den Baumstämmen verstecken und nur auf den richtigen Augenblick warten, um ihn zu erschrecken; er stand auf, ohne sich dessen bewusst zu sein, stolperte über den bemoosten Waldboden, von einem Strauch zum nächsten, und brach schließlich, vor den Wurzeln einer riesigen Eiche, das tränenbedeckte Gesicht in seinen Händen vergraben, zusammen, während sein lautes Schluchzen durch den totenstillen Wald hallte. Nachdem er sich beruhigt hatte, dachte er darüber nach, sein Leben zu beenden; ertrinken mag grausam sein, ja, aber nichts ist grausamer, als so zu leben! Also stand er auf, um zu dem See zu fahren, der sich, wie er wusste, eine halbe Stunde von hier befand, am Stadtrand von B. Er machte ein paar Schritte vorwärts, dann ein Knall, ein Schuss, Blut. Er spürte ein stark schmerzendes Brennen an seinem rechten Schulterblatt, das sich rasend schnell auf seinen gesamten Brustkorb ausbreitete, der Schmerz wurde unerträglich, er konnte seine ganze rechte Körperhälfte kaum mehr spüren, fast so, als wäre sie vom Rest seines Körpers abgetrennt worden, er stürzte nach hinten, und noch bevor sein Körper auf dem bemoosten Waldboden aufschlug, war das Letzte, das er noch sehen konnte, die groß gewachsene schwangere Frau vom Flughafen, die etwa zehn Meter von ihm entfernt, mit einer Pistole in der Hand, in der Nähe seines Autos stand, und ihn mit einem triumphierenden Blick, als wäre er ein erlegtes Tier und sie die Jägerin, anstarrte. Dann versank alles um ihn her in einem dichten schwarzen Nebel. Er hörte noch einmal, aus weiter Ferne und in diesem schwarzen Nebel, den immer schwächer und langsamer werdenden Schlag seines Herzens in seiner Brust, dann schwanden seine Sinne, und er sank hinab in eine grenzenlose bewusstlose schwarze Leere. Sein allerletzter winziger Gedanke kreiste um ein sich langsam und schräg in den grauen Himmel erhebendes schneeweißes Flugzeug … Geschrieben am 18. September 2015

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Georg sah durch die riesige Glasscheibe des Flughafengebäudes, wie das schneeweiße Flugzeug, in dem Anna saß, von der Landebahn abhob und schräg in den grauen Nachmittagshimmel aufstieg. Ihm wurde eiskalt bei dem Gedanken, sie gehen zu lassen, und er glaubte zu wissen, dass er sie niemals wiedersehen würde. Sehnsüchtig blickte er der Maschine nach, bis sie in den dichten Wolken für immer verschwand, und plötzlich machte sich seine Harnblase mit solchem Druck bemerkbar, dass er sie nicht mehr, wie in der vergangenen halben Stunde, vollkommen ignorieren konnte.

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Abschied


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Vorbei Der letzte Zug verlässt den Bahnhof, ein alter Hund nähert sich, mit langsamen Schritten, seiner Hütte und gibt auf, die Vögel fliegen nach Süden, sie verlieren schwarze Federn, lassen nur das zurück, mehr nicht, nehmen nur sehnsuchtsvolle Erinnerungen mit sich und tragen sie weit hinaus zum Horizont, ich gehe langsam am breiten Fluss entlang, und wie ich so voranschreite, verschwindet mein Weg in der Dämmerung, bevor sich kalte Nacht über die Welt legt. Meine Zigarette, das letzte Licht im mondlosen Schwarz, ist erloschen, und ich werfe sie hinein, in den dunklen rauschenden Fluss, und die nächste Welle trägt sie fort, die erloschene Glut, nirgendwohin.

Geschrieben am 11. März 2016

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Angst Sie ist überall und nirgends zugleich, man kann sie riechen, sie dringt ein in Menschenblut, um uns, durch uns selbst, zu zerstören und unsere Seelen, mit unserem eigenen Blut, zu verschmutzen, schier überwältigend fällt sie über einen her, selbst in den schönsten Träumen sind wir nicht vor ihr sicher, denn sie trägt dein Wesen, umschlingt dein Sein.

Geschrieben am 11. Juni 2016

Die Prosaskizzen und Gedichte entstanden unter Mitwirkung von: Fabian Stummer, Elliott Chan, Imre Benedikt, Laurin Sterkl, David Lischka, Lautaro Iriarte, Annika Mayer, Crystal Tiki, Angelika Freitag und Rudolf Aubrunner.


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MÖDLING Klasse Lena Raubaum & Markus Tobischek

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TEILNEHMENDE Elodie Arpa Lara Drakos Bianca Fellner Aleksa Lazovic Lilian Ogrisek Sophia Panek Fiona Reid Lea Schamp Susanne Schmalwieser Anika Suck Lisa Willroider


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SCHREIBAKADEMIE MÖDLING „Wir sind Sprach-Nerds!“ Wir sind ein lustiges kleines Völkchen, das sich am Samstagvormittag in Mödling einfindet. Im letzten Jahr war es gut ein Dutzend Mädchen und Burschen zwischen 13 und 19, das sich für ein paar Stunden auf den Sofas im ,,Haus der Jugend“-Hauscafé einnistet. Dabei kommen einige von ganz schön weit her. Doch egal, ob Purkersdorf oder Puchberg – sie kommen. Sie kommen, um zu schreiben.

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Das ist es, was unsere Gruppe so stark verbindet, die geteilte Liebe zum Schreiben und zur Sprache. Und der respektvolle Umgang. Miteinander. Mit jedem Text. Jedem Satz. Jedem Wort. So kann es schon mal passieren, dass wir eine gute Stunde nur über ein paar Wörter philosophieren. „Wir sind Sprach-Nerds“, fiel erst unlängst ein selbstironischer Kommentar, bevor wir uns noch ein paar interessant klingende Wörter aus dem Lexikon vorknöpften, ihnen völlig neue Bedeutungen gaben und daraus dann die fantastischsten Geschichten erschufen. In schwierigen, ja manchmal düster wirkenden Zeiten tanken wir hier Optimismus. Es ist eine Freude, diesen jungen Menschen zuzusehen, mit welcher Leidenschaft und mit wie viel Herz sie schreiben und wie respektvoll sie miteinander umgehen. Danke unserer Truppe, ihr seid eine Inspiration. Und danke für das viele gemeinsame Lachen.

Lena & Markus

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LENA RAUBAUM

• Geboren 1970 in Wiener Neustadt. • Als Schüler lernfaul, jetzt eher Musterschüler in Sachen lebenslanges Lernen. • Seit 2005 Lehrer für Deutsch und Geschichte, demnächst auch für Soziales Lernen am BG/BRG Mödling Keimgasse. • Mehrere Jahre Koordinator für Begabtenförderung, Schüler- und Bildungsberater. • Zuvor mehrere Jahre Tätigkeit in einer Werbeagentur (ghost.company) im Bereich Kontakt, Text, Konzeption, zuletzt als Creative Director. • Erfahrungen, auch im Ausland, gesammelt als Tennislehrer, (Chef-)Animateur, Hortner, Nachtportier, Kellner, Verkäufer ... • Und Referent der Schreibakademie Mödling. Eine der schönsten und freudvollsten Erfahrungen.

Lena Raubaum erblickte im Mai 1984 als Lena Wiesbauer das Licht eines Kreißsaals in Wien. Derzeit arbeitet sie als Chefredakteurin des Magazins „yoga.ZEIT“ und ist neben ihrer Tätigkeit als Referentin für die Schreibakademie Mödling als freischaffende Autorin, Songtexterin, Sprecherin, Schauspielerin und Yogalehrerin tätig. Ausbildungen und Weiterbildungen (offiziell): • Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien • Schauspieldiplom • Diplom als Sprecherin und Moderatorin an der „Schule des Sprechens“ in Wien • Yogalehrerin für Kinder und Erwachsene in Graz, Wien und Indien • Ausbildung zur Fachtrainerin in Wien Ausbildungen und Weiterbildungen (inoffiziell): Sandwichtochterleben, Germanistik- und Beste-Vorleserin-Mutter, Bester-Geschichtenerzähl-Vater, übervolle (Kinder-)Bücherregale, Amerika-Aupair-Dasein, Weltreise mit 25, Sprachwitzverliebtheit, Scrabble- & TABU-Partien, Notizbuch-Handlungen, Aus-dem-Fenster-schau-Stunden, Wortklaubereien, Wolkenkinovorstellungen, Reimliches, Freund/innen, Lebenslieben, Kindergespräche, Übers-Leben-nachdenk-Momente, „Fehler“, Neuanfänge …

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MARKUS TOBISCHEK

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ELODIE ARPA

Elodie Arpa

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Über mich Diese eine Elodie. Immer wollte sie, dass man ihr vorliest. Nach dem Aufstehen, untertags, bis spät am Abend. Ein Buch nach dem anderen. Sie blieb wach, verbot ihren kleinen Augenlidern zuzufallen, lauschte. Sie wollte sie aufsaugen, all diese Geschichten, wollte sie leben, all diese Abenteuer, sie kennen, all diese Personen, wollte von ihnen lernen, von all diesen Erfahrungen. Immer wollte sie, dass man ihr vorliest. Bis sie selbst lesen konnte und nicht mehr warten musste auf erzählende Zungen, die Buchstaben in Geschichten verwandelten. Nun, da sie selbst lesen konnte, stapelten sich die Bücher in den Regalen, und oft lag sie in ihrem Bett, unter der Decke, lebte erst beim abendlichen Lesen wirklich und

träumte in der Nacht weiter davon. Kein Wunder, dass sie nie schlafen wollte, diese neuen Welten nicht verlassen. Eine Seite noch, nur noch diese Seite lesen. Wirklich. Dann dreh ich ab. Versprochen. Ich las nicht nur weiter, ich lebte sie weiter, all diese Geschichten, schluckte sie herunter, bis sich in mir eigene Gedanken, eigene Ideen und eigene Geschichten zusammenspannten. Und so konnte ich nicht anders und begann selbst zu schreiben. Es waren dunkle Nachthimmel, lange Autofahrten, krächzende Krähen und kuschelige Bademäntel, die mich dazu brachten, den Stift in die Hand zu nehmen. Zuerst füllten sich die leeren Seiten nur zögerlich, die Sätze waren kurz, die Worte wiederholten sich. Auch heute ist es oft nicht anders. Erst seit Kurzem gibt es diese eine Geschichte, an der ich schreibe, jede Woche, fast jeden Tag, die mir aber trotzdem nicht das Gefühl gibt, zu Ende sein zu wollen. Deshalb schreibe ich. Um später von ihr erzählen zu können. Diese eine Geschichte. Immer wollte sie, dass man an ihr weiterschreibt.


Helanca

Schreiben war, was ich tat, als ich versuchte Gedanken zu ordnen, Gefühle auszudrücken, Momente wiederkommen zu lassen. Carpe Diem war, was mir einfiel, als ich nachdachte, verzweifelt versuchte, großartige Worte auf mein weißes Papier zu bekommen. Inspiration spürte ich, als ich die ersten schwarzen Buchstaben sah, die leere Seite sich langsam füllte. Heimweh war doch mehr ein Umstand als ein Gefühl. Mehr eine Erinnerung an eine Zeit als die Zeit selbst. Ein Begreifen. Neu erlangtes Wissen über sich selbst. Alaska schrieb ich, während ich mich einsam fühlte. Abgeschieden vom Rest der Welt. Frei und eingesperrt zugleich. Alaska war, was ich mir gewünscht hatte. Alaska. Nun war ich endlich da.

Ach, die schöne Helena. Kriege waren für sie geführt worden, Bücher über sie geschrieben, Lieder wurden ihr vorgesungen. Doch die Schönheit der schönen Helena war schon lange vorüber. Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte schon war sie unter der Erde verschwunden. Über ihre reine Haut hatten sich die Ameisen hergemacht, und auch ihre Haare saßen nicht mehr recht. Um genau zu sein, hatte sie keine Haare mehr, und bis auf einige Knochen, war auch sonst nicht mehr viel von ihr übrig. Die schöne Helena war tot, und ihre Schönheit war mit ihr gestorben. An ihrer Stelle war nun eine andere Frau. Es war die schöne Helanca. Für sie wurden Verhandlungen geführt, in Internetforen wurde sie verewigt, auf Konzerten war sie immer herzlich willkommen. Ihre Haut war gleichmäßiger als die jeder anderen Frau, ihre Augen groß, ihre Frisur perfekt. Mit ihr konnten die angenehmsten Gespräche geführt werden. Nie widersprach sie, immer wusste sie Rat, ein einfühlsames Lächeln zierte ihr symmetrisches Gesicht. Die schöne Helanca war perfekt programmiert worden, sie würde niemals tot sein, und auch ihre Schönheit würde unendlich weiterleben.

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Carpe Diem

Heinz hatte das Bild gemacht. Er hatte sich hingekniet, den Kopf in seine Schultern verschwinden lassen, nur eines seiner Augen war geblieben, es war der Schleim, der von seinen Händen tropfte, der das Bild gemacht, den Auslöser gedrückt hatte, während seine Stimme zu einem freudigen Gurgeln wurde. Heinz war normal. Und Heinz hatte das Bild gemacht. Wir anderen hatten uns von dem Klick nicht stören lassen. Gerlinde war es, die beim Leise-Lesen laut gähnte, das Maul riss sie auf, wenn die Seite zu Ende war, wenn über das Wetter geschrieben wurde oder wenn sie Hunger bekam, dann zeigte Gerlinde ihre zwei Reihen scharfer Zähne, und Floh kam, um ihr die Brille zurechtzurücken. Ihr müsst wissen, dass Gerlinde nie beabsichtigt hatte, weitsichtig zu werden, aber nach den vielen Jahren, die ihre kleinen Augen

auf die Bücherseiten starrend verbracht hatten, war es passiert. Floh hatte ihr die Brille gebastelt, Floh, dessen große Hände die kleinsten Gegenstände anziehend fanden, und Floh, dessen riesiges Augenlid uns alle verschlucken könnte, und Floh, der sich aber dazu verpflichtet hatte, mit seinem großen Herzen über uns alle zu wachen. Aber natürlich gibt es auch Rosarich, dem nichts entgeht, der aber selbst nicht beschrieben werden will, darum erzähl ich euch noch von Irmgard, Irmgard, die immer für uns da ist, die uns Wasser gibt, wenn wir durstig sind, aber Irmgard selbst trinkt nur Kaffee. Kaffeebraun war deshalb ihre Haut geworden, früher war sie rosa gewesen, doch Rosa war schon Rosarich, und zu viel rosa mochte sie nicht, die Irmgard, sie war ja kein Flamingo, sagte sie immer, da war ihr kaffeebraun zu sein um einiges lieber. Und wo bist du? Ihr verdreht eure Augen. Ich, ich bin auch dabei, hinter Gerlinde, seht ihr mich nicht? Lag auf dem Bauch, summend, ich las das Buch, das ich immer lese, voller verrückter Gestalten ist es. Manchmal drehte ich mich zu Floh um oder zu Irmgard, und dann lachten wir zusammen über die unmöglichen Geschichten. Nur Heinz lachte nicht, Heinz gurgelte nur. Denn, ihr wisst doch, Heinz ist normal. Und Heinz hatte eine Aufgabe. Heinz hatte das Bild gemacht. Liebe Grüße von unserer Dienstagslesegruppe.

Elodie Arpa

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Liebe Grüße von unserer Dienstagslesegruppe


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Lara Drakos

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LARA DRAKOS Über mich Ein Über-mich-Text, ein Sichgeistig-Ausziehen, ein ÖffentlichMachen meines Inneren. Nicht meine Organe, mein pumpendes Herz, meine sich hebende und senkende Lunge. Sicher auch interessant – aber nicht für mich. Nicht das, aber mein Kopf. Vom Hals aufwärts, wie eine Schaufensterpuppe für Perücken. Bei der ist auch nur der Kopf wichtig. Ab da wird es spannend. Aber auch erst, wenn man sich von dem Dererste-Eindruck-ist-Wichtig über das Ich-wünschte-meine-Haarewären-Länger und Eigentlich-willich-nicht-dass-ihr-mich-Anseht hinausbewegt hat. Denn dann kommen wir zu meinen Texten, auch ein Offenbaren, aber auf einer anderer Ebene. Ein bisschen versteckter, ein bisschen subtiler, ein bisschen weniger schrille Farben und mehr Grautöne, die mit der Umwelt verschmelzen, wie es ihnen gerade passt. Schließlich kann man auch alles

auf seine Figuren abschieben, sich hinter ihnen verkriechen, sie in den Vordergrund rücken, nur der Marionettenspieler sein, der Applaus gebührt ihnen, sie haben getanzt, begeistert, waren sichtbar. Warum muss ich greifbar sein? Warum machen sie es mir nicht einfach? Ich lese erst die Biografien, wenn das Buch zu Ende ist. Wenn ich mit der Geschichte abgeschlossen habe, sie bereits zerlegt, in Wohlwollen und Missfallen eingeteilt habe. Da spielt ihr Urheber bereits keine Rolle mehr. Vorstellungen bringen nur Enttäuschungen. Weil eigentlich hat sie das nur geschrieben, weil sie jung ist und sich Dinge erlauben kann, ohne dass man sie dafür verurteilt. Und er schreibt nur, um mit seiner Vergangenheit abzuschließen, schließlich hat er das einmal erwähnt, schließlich war nicht immer alles schön, und das wird ihn sicher am stärksten geprägt haben. Sie hier, sie will uns ihre Lebenseinstellung aufzwingen, sicher ist da viel Autobiografisches dabei, und wir können sie zerlegen und löchern, und irgendwann werden sie und alle anderen einbrechen und sie können jubeln und jauchzen, hatten doch alle Recht mit ihrer Ahnung. So spannend bin ich nicht. So viele Vermutungen kann man über mich nicht anstellen, dessen bin ich mir bewusst. Ich kann mich nicht beschreiben, ich kann mich nicht einteilen. Ich schreibe. Das ist genug, mehr muss man nicht wissen, mehr weiß auch ich nicht.


Ist manchmal doch so schwer. Ist manchmal doch so leicht. Ist nicht, was sie mag. Ist, was sie spannend findet. Ist oft schwer zu beginnen, ist oft schwer aufzuhören. Ist doch so kompliziert und gleichzeitig so einfach. Ist, wenn sie am Fenster steht. Ist, wenn sie die Schlieren, die der Regen am Glas hinterlässt, nachfährt, mit dem kleinen Finger, denn der hat mehr Gefühl. Ist, wenn sie der Musik des Regens lauscht, das leise Trommeln, die Stille, wenn es aufhört. Ist, wenn der Wind durch die Blätter fährt und sie zum Staunen bringt, ist, wenn er ihr Geschichten erzählt und sie ganz genau hinhören muss, um nichts zu verpassen. Ist das Gras unter ihren Füßen, die leichte Feuchte am Morgen, wenn die Sonne noch nicht stark genug ist und die Nacht sich weigert, die Welt zu verlassen. Ist der Mond, der noch leicht am Morgenhimmel steht und sie fasziniert, weil sie nie ganz begriffen hat, wie das funktioniert. Ist, was sie jetzt so gerne wieder hätte, was man ihr genommen hat. Ist das fast Schwerelose im Sommer, Vergangenes.

„Würdest du es tun? Für mich? Gemeinsam?“ Er flüstert. Sie kann ihn kaum verstehen. Es ist mehr wie ein Hauch, den sie nur hört, weil sie die Worte, die er wie ein Gedicht aufsagt, auswendig kann. Sie will schlucken, ihr Mund ist zu trocken. Wasser, Wasser, so komm doch.

„Ist das so schwer zu verstehen?“, fragt man sie, schüttelt den Kopf, abfällige Blicke, sie kann sie sehen, auch hinter ihrem Rücken. Kann doch alles nicht so schwer sein, denken sie. Meine Güte, sie ist doch groß. Sie kratzt mit den Nägeln an der Tapete, der Putz rieselt, sammelt sich unter ihren Fingern, ganz langsam entfernt sie ihn. Nicht wie Regen, nicht wie Gras, nicht wie der Morgen. Aber wenn die Mitbewohnerin duscht und sie ihr Gesicht zum Spalt an die Türe hält, wo die warme Luft ausströmt, ist es fast, als würde es nieseln, ist es fast, als hätte Nebel ihr Gesicht klamm und kalt gemacht, wenn sie sich zurückzieht, weil das Wasser aufhört.

Langsam fährt er mit den Fingern ihren Hals entlang, er muss ihren Puls spüren. Er hämmert, das Blut rauscht, in ihren Ohren, durch ihren Körper. Rote Fluten, die überschwappen werden, wenn sie die Lippen öffnet. Seine Hand legt sich um ihren Hals, er erhöht den Druck, machmal hat sie Angst. Ihr Atem geht noch stockender, ihr Bauch zieht sich zusammen, ihre Lungen flehen um Luft. Genauso hat sie sich gefühlt, als sie sich trafen. Er spricht von Schicksal, sie von Zufall, gibt ihm trotzdem recht, ihr brennender Oberkörper bestätigt sie. „Liebst du mich?“ Er klingt wie ein Raubtier, die Zähne gefletscht, bereit, sie zu zerreißen, zu zerfleischen. „Ja doch, ja, ja ...“ Sie ist so leise, so schwach. Damals als sie sich fallen ließ, hinunter, weil das alle machen. In einen Strudel, der ihr erst die Angst und dann das Hirn wegblies. Weg, verschwunden, auf immer. „Aber mich kennst du? An mich erinnerst du dich?“ „Ja doch, ja, ja ...“ Die Antworten sind vorbestimmt, sie kann ihm nicht entrinnen, will es nicht, das taube Gefühl lässt sie nicht los, lähmt sie, bringt ihr Herz fast zum Stillstand, er ist der Grund, dass sie atmet. Als die Luft knapp wurde, erlöste er sie. Wrang den Tod aus ihr hinaus und hauchte Leben hinein. „Du willst das eigentlich nicht ...“ Liebreizend, wie er ihre Wange streichelte, sie wusste, dass sie gut zusammen aussahen. „Nein doch, nein, nein ...“ Träume wie Seifenblasen, und er stieß eine Nadel hinein. Ein Luftballon, der in sich zusammenfiel. Das Schicksal, das Schicksal, es nahm seinen Lauf. Er presst sie enger an sich, teilt ihre Lippen mit den Fingern, Zähne, die eine Barriere bilden, die er brechen würde, würde er sie damit nicht entstellen. „Bin ich dir nicht mehr wichtig?“ Ein schmollender, drohender Unterton. „Nein doch, nein, nein ...“, will sie sagen, will sie schreien, kann sie nicht und spürt, wie sie nachgibt. Er kriecht in ihren Mund, vorsichtig schließt sie ihn, gerade so, dass sie ihm nicht wehtut. „Und dann würde ich abdrücken ...“ Er ist so dicht bei ihrem Ohr, dass sie nicht mehr weiß, ob er oder sie spricht. Leise imitiert er das Klicken, und sie kappt die Seile. Sinkt in sich zusammen, fällt. Hände, die grob zwischen ihre Rippen greifen, verhindern, dass die Erde sie schlucken kann. Panisch fährt sie um sich, tastet nach seinen Taschen. Nichts Kaltes, nichts Metallisches, aber seine Nägel haben an ihrem Gaumen geschabt. So lange, bis sie ihre Knie abbiegt, drückt er in ihren Rücken, legt sie zu Boden, faltet ihre Hände zum Gebet, dabei hat sie

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Tanz mit mir

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Lara Drakos

Alles anders


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lange den Glauben verloren. Jetzt ist er neben ihr, legt seine Lippen auf ihre. Küsst sie nicht, nicht wirklich, will sie nur wissen lassen, dass er da ist, jetzt, auf immer. Nicht weggeht, ähnlich einem Geschwür, das sie von innen heraus auffrisst, sie zur Leiche macht. „Weißt du noch?“ „Ja doch, ja, ja ...“

Lara Drakos

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„Wir könnten perfekt sein, hätten perfekt sein können. Weißt du noch?“ Perfektion. Er mag dieses Wort, sie nicht. Es schmeichelt ihr nicht, zwingt sie, seine Puppe zu sein, über die er herrschen kann, und er hält das Zepter fester als ihren Hals. „Gemeinsam würden sie uns finden.“ Sie hört, dass ihm diese Vorstellung gefällt. Ein Unfall, nicht geplant, nicht so jedenfalls. „Wir wollten doch nur spielen, tanzen ...“ Hastig zerrt er sie auf die Beine, fasst um sie, kurz vor der ersten Drehung. Stößt sie herum, reißt sie hinunter, die Haare vor ihrem Gesicht. Die Orientierung ist verloren, einen Tanz kann man es nicht nennen. „Für mich, für mich, für uns, für uns.“ Stockend klingt sie, ungeübt. „Es dreht sich, es dreht sich, es fällt, es fällt“, antwortet er. „So leise, so leise, so schön, so schön.“

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BIANCA FELLNER immer weiter fliegend

Über mich Sie suchten mich in den losen Seiten der Bücher, in den knisternden Zetteln, die vom Wind davongetragen wurden. Sie suchten mich in den verschmierten Tintenspuren der Wörter, die ich zurückgelassen hatte, in dem rhythmischen Ticken meiner Finger auf dem Keyboard, das als Echo in ihren Ohren schlief. In der Atmung der Texte, die ihnen Geschichten zuhauchten, in alten Zetteln, die aus verknitternden Blöcken schwebten. Sie suchten mich in der Vergangenheit, in alten Wörtern, sie jagten mich, sie griffen nach mir. Rammten die beschriebenen Seiten mit schweren Stiefeln in den Boden, während ich mit

weiteren Wörtern neue Fäden spann, so unbedeutend wie Staub, als sie sie in ihrer Jagd zerrissen.

Das wahre Ich. Das wahre Du. Du über dich. Du über dich in deinen Texten. Du über dich, auf die Wände gemalt. Und wenn sie schliefen, saß ich bei ihnen, und ich lachte ihnen leise in ihre Träume. Auf dass, das sie glaubten zu finden, nichts als leere Hüllen waren, die bedeutungslos Papier verzierten. Und das Papier, das dann tot zu Boden schwebte, mehr war, als sie gesehen hatten, und die leeren Räume hinter den Spalten sich füllen konnten. Und so spielten wir weiter. Sie suchten, und ich veränderte nach Lust und Laune, lachte mit dem Wind, während ich mein Herz in meine Wörter legte, ohne dass manche Wörter je mein Herz berührten. Und die Jagd weiterging, und ich schwieg, und wir gemeinsam lauschten, auf die Spuren des wahren Ichs, verborgen im Trampeln ihrer lauten Stiefel. Na los, finde mich.

Bianca Fellner

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Der Fahrer

Bianca Fellner

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Das Leder des Autositzes war kalt, so kalt wie eiszapfenverfrorener Schnee, der von unten gegen den Stoff seiner Hose regnete. Er sog das Gefühl langsam auf, sah wortlos zu, wie es Faser für Faser weiter nach oben in seinem Körper wanderte, bis in den holzblattharten, unbiegsamen Kragen, der seinen Kopf stützte. Auch wenn die Heizung lief, die Luft stickig machte, drang es nicht bis zu ihm, als ob er hinter einer winterverglasten Wand sitzen würde, die jede Wärme ausblendete. Es roch danach, nach dieser Kälte und dem Frostschutzmittel der Scheibenwischer. Sie saß neben ihm, und sagte kein Wort, hatte aufgehört zu reden, als er die Fensterscheiben auf der Beifahrerseite nach unten gefahren hatte, der blaudunkelpfeilspitzende Wind in die Wärme gefegt war und ihre Worte von den Lippen gerissen hatte. Ab und zu bildete er sich bei einem schnellen augenwinkeleckenhaftigen Blick ein, ein schwaches Lächeln auf ihren Lippen zu sehen, als er den Wagen beschleunigte, der Straße im nachtschattenlebendigen Licht weiter folgte, doch er war sich nicht sicher. Sie wippte leicht hin und her, zu einem Rhythmus, der nicht im Radio spielte, Strähnen ihrer Haare in ihre schneewittchenblasse Stirn fallen ließ. Seine Hände verkrampften sich um das Lenkrad, ließen die Knöchel ebenso schneewittchenweiß hervortreten, als er den Kopf schüttelte, sich versuchte, auf die Straße zu konzentrieren. Hinter ihm tobte ein Fahrer, beschleunigte und zog mit einem langgezogenen, löwenknurrenden Brüllen vorbei, das wie ein Hupen klang. Er warf einen weiteren langen Blick auf sie, doch sie blieb immer noch still, weigerte sich, ihn anzusehen. Ihre Miene war emotionslos,

er konnte nichts darin lesen, nichts der nichtssagenden Gefühle, als sich seine Muskeln weiter verkrampften, sein Rücken sich in die Lehne des Sitzes presste, panzerbetonschmerzhaft fest. Er hatte zu zittern begonnen. Fast ohne sein Zutun schlug sein Fuß auf die Bremse, bombenaufschlagslaut in dem abgedunkelten Wagen, und das Fahrzeug kam quietschend am Fahrbahnrand zum Stehen. Sein Kopf sackte nach vorne, hielt seine Stirn gegen das Lenkrad, als er sich ihr vollends zuwandte, seine Augen brannten, ihr Profil betrachteten. Er streckte eine Hand nach ihr aus, ließ sie jedoch wieder fallen, bevor sein Finger ihre Wange streifen konnte. Am Gehsteig näherte sich ein Fußgänger, doch er beachtete ihn nicht, starrte sie weiter an, die Tonlosigkeit, die sie beide einhüllte. Der Fußgänger kam näher, warf einen beiläufigen Blick in den Wagen. Einen Moment lang dachte er, er würde einfach weitergehen. Es ignorieren. Es übersehen. Dann blieb er stehen, stockend, blinzelnd, sah genauer hin, als ob er erst jetzt den Trug von der langsam anlaufenden Fensterscheibe hätte wischen können. Es war der Moment, in dem sich der erste Schrei formte, die Nacht zerriss. Doch er achtete nicht darauf, trieb in der Schwebe der verblassten Gleichgültigkeit, brennend, intensiv, blickte weiterhin in ihr Gesicht, die Blutspuren, die Kratzer, alles, was langsam auf das Leder des Sitzes tropfte und die Polsterung tiefrot eingefärbt hatte. Trotz der Schreie außerhalb herrschte Totenstille.

Sichtbar (Anapher) Sonne auf Mond auf Im Wandel der Zeit ein Chronisches Vergessen der Unhaltbaren, der Haltbaren, ist es doch mein Schatten der Todbringende Unsichtbarkeit in meinen Betenden Atem haucht in diesem Augenlosen Augenblick als Realität noch sichtbar war


Das Gold der Töne die verklingen ein Messer das im Himmel schwebt des Nebels eisengraue Schwingen Die Schale die das Gute siebt

Sie spricht mit nichts. Mit der Luft, die die Menschen um sie herum atmen, den Bausteinen, aus denen die Welt besteht. Kohlenstoff, verbraucht und wiederverwendet, Sauerstoff, gereinigt, nur um wieder verschmutzt zu werden. Ihr Gesprächspartner ist so fest wie die Abgase der Autos, der Smog der Großstadt. Nur eine Handbewegung, und er löst sich auf, formt sich hinter ihrem Rücken neu. Nie weg, nie stark genug, ihn zu verdrängen.

Des Windes Wispern in den Wäldern Das Blau des Himmels so viel trägt Die Wahrheit tief geschützt von Innen und Zweifel doch im Herzen säht für jeden Freund nur eine Träne in einer Zeit der Dunkelheit Geister suchen ihre Wege Der Sand tickt weg das Los der Zeit Für jeden Schlag des stummen Herzens Ein neues Leid das niederbricht Der Ton von Eis und kalten Schmerzen Und Hoffnung tief im Keim erstickt

Meerblick (Schneeballgedicht) Ein einzelner Meerblick durch die Räume der Zeit als Meer mehr war in blauer Farbe silberne Tänzer in meiner ausgelaugten Erinnerung verblassend wie du als deine Hand sich schloss um den Meerblick und lautlos darin versank

Sie spricht mit nichts. Mit dem Wasser, das durch die Täler fließt, den Bausteinen, aus denen die Welt besteht. Reißende Strömungen, die zerren und holen, sanftes Plätschern, ausgesogen und versiegt. Sie kann ihn teilen wie das Wasser, aber sobald sie ihren Finger hebt, ist er wieder da. Sie spricht mit nichts. Mit dem Feuer und der Erde. Mit dem, was vor ihr steht, durch die Menschen hindurch. Sie spricht so laut mit ihm wie er mit ihr. Sie spricht mit ihm, wenn er an Kraft gewinnt, wenn er da ist, wo vorher nichts war, nichts oder eine Fülle, die verzehrt wurde. Er. Männlich, weil ihn das distanzierter macht, ihn weniger wie einen Teil ihrer selbst klingen lässt. Ihn. Er. Männlich. Der Baustein, aus dem sie besteht. Sie kann schreien, innerlich, äußerlich, doch er wird nicht weggehen. Nie, nie. Immer dort lauernd, wo sie ihn nicht erwartet, sich in ihre Glieder verbeißend, in ihren Kopf eindringend, sich einnistend, ein Parasit, glücklich mit dem Unglück, das er bringt. Gedanken aussaugt, kontrolliert, deformiert, verbiegt. Bis sein Gesicht überall ist, eine Maske über den Mienen der Realität, sich ihrer bedient, sie schneidert, wie es ihm passt. Sie spricht mit nichts, bis die Stimme zu laut wird. Bis sie ihn anschreit wegzugehen, sich einredet, dass er nur Smog ist, nur vorübergehendes Wasser, nur Feuer, nur Erde. Nichts, nichts, das Bestand hat. Nur so beständig wie die Welt. Ein Ringen und Kämpfen und Treten und Schreien, hinter jedem Lächeln, bis jedes Lächeln verkehrt ist. Sie spricht mit nichts. Mit nichts als den Bausteinen, die so sind wie er. Ein Teil, ein einziger Teil. Wo sind die anderen geblieben, als das hübsche Haus aus Bauklötzen eingestürzt ist? Vielleicht hat sie den falschen Stein aufgehoben. Vielleicht hätte sie mit dir geredet. Wieso hast du nicht geantwortet? SCHREIB AKADEMIE

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Dialog mit der Angst

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Bianca Fellner

Hymne an die Zeit


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Aleksa Lazovic

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ALEKSA LAZOVIC Hyperaktiv, laut, wahnsinnig

Und schon wieder dasselbe. Es ist jedes Jahr dasselbe mit diesem Buch. „Beschreibe dich selbst“ ist ein und dieselbe Aufgabestellung. Wird das nicht langweilig nach einer Zeit? Sich jedes Jahr hinzusetzen und nachzudenken, wer man eigentlich ist? Wie man sich selbst anderen gegenüber beschreiben würde? Wenn ich es mir recht überlege, eigentlich eine tolle Methode, um zu sehen, wie man sich über die Jahre verändert. Letztes Jahr ganz entspannt mit einer Einstellung „Schaff ma schon“. Heuer ein langsam aufqualmendes Gefühl von „Schaff ich das? Muss ich mit solchen Leuten zusammenarbeiten? Warum arbeite ich mit Vollidioten?!“ Eigentlich traurig, wenn man sich das so überlegt. Eine Erfahrung, muss ich zugeben, aber eine Erfahrung, die ich mir für mein späteres Leben aufheben möchte. Obwohl ich es so ja vielleicht hinter mich bringen kann und es dann nicht ertragen muss. Oder? Zurück zu mir. Die Zukunft ist noch weit entwerft. Das jetzt ist jetzt dran. Also mein Name ist …

Ohne Titel Langsam schlürfe ich in die Küche, um mir meinen Kaffee zu holen. „Holen wir uns doch noch eine Flasche, ich bin nur angeheitert“, höre ich es in meinem Kopf widerhallen vom gestrigen Abend. „Abend, wie wäre es mit einem Drink für die Herrschaften?“, sagt der Kellner in meinem Unterbewusstsein mit demselben freudigen Klang in seiner Stimme, den er gestern bei unserem Ankommen in der Bar hatte. Hatte ich da nicht auch einen Schal um meinen Hals? Hals über Kopf hatten wir uns dann in die angenehm weiche Couch der Lounge gesetzt, um einfach über die ungewöhnlichen Situationen unseres Lebens zu konversieren. Konversieren wollte an dem Abend aber auch eine Dame, von der ich meinen Blick nicht nehmen konnte. Konnte ich mich ihrem Charme entziehen, als sie mich ansah mit diesem zarten Lächeln auf ihren Lippen? Lippen, so blutrot, dass es ein Verbrechen gewesen wäre, hätte ich sie keines Blickes gewürdigt, genauso wie ihre leuchtenden Augen, die einfach nicht meiner Aufmerksamkeit entfliehen wollten. Wollten wir uns nicht noch einmal treffen nach einer Begegnung wie diesen? Diesen Zettel mit ihrer Nummer muss ich doch noch irgendwo bei mir haben, oder nicht? Nicht zu sehr aufregen oder bewegen, sonst fängt dein Kopf wieder an zu brummen, höre ich die Stimme in meinem Kopf fürsorglich und vorwurfsvoll sagen. Sagen wir einfach, ich habe meine Grenze, nachdem ich ihre Nummer auf einer Serviette erhalten hatte, leicht überschritten und mit meinen Freunden noch unser Zusammentreffen so genossen, wie wir es schon immer taten,


wenn wir die Chance zu einem Treffen bekamen. Bekamen wir zu diesem Anlass nicht auch einen Drink von dem unterhaltsamen Barkeeper spendiert, nachdem wir ihm unsere Geschichten, die wir zusammen mit unserem Schweiß in einem kurzen Moment der Weltgeschichte geschrieben hatten und nach all den Jahren noch immer mit derselben Energie und Freude in der Stimme erzählten, als wäre es erst gestern gewesen? Gewesen sind nun auch unsere Abenteuer, die wir als Gruppe erlebt und aufgezeichnet hatten mit den Fotos, die uns von dieser lang vergangenen Zeit noch in Ehren halten und in unserem Gedächtnis eingebrannt sind wie die Brandwunden, die wir uns dabei verpassten. Verpassten wir nicht gerade alle ein Probehochzeitsessen, nur weil wir die Idee hatten, dass diese Zeit nicht allzu lang her ist und wir eine Nacht in der Stadt genauso vertragen können wie in dieser epischen Zeit unserer Jugend?

A: Oh, Edle, mich deucht, ich müsse mich euch gegenüber öffnen. B: So rede er! A: Holde Meid, mein Verlangen nach Fleisch ist unersättlich. B: So offenbare er sein Verlangen derjenigen, der dieser Durst nach Lust zusteht. A: Doch, Edle, das ist, was ich gerade vollbringen zu versuche. B: Mein Herr, Ihr könnt doch nicht mit klarem Kopf handeln. A: Doch, Edle, mein Kopf ist klarer wie ein Tag ohne Wolken. B: Mein Herr, sagt, Ihr wollt unser Verhältnis mit eurem Verlangen beflecken? A: So glaubt mir, Madam, nichts würde ich lieber, als diese Lust wegzusperren und meine Gefühle in Zaum zu halten, doch der Drang frisst mich förmlich auf. B: Oh, Edler, mich deucht auch, ich habe etwas vor euch versteckt. A: So öffnet euch mir gegenüber, wie ich meine Seele mit meinen Worten erleichtert habe. B: Mein Herr, meine Lust, mein Durst nach Fleisch trifft sich mit dem euren. A: Oh, Madam, so dürstet euer Körper nach meinem Fleisch? B: Oh, Herr, mein Geist lechzt förmlich nach euch. A: Doch meine Dame, das sind doch Geständnisse, welche meine Seele zur Ruhe setzen und mein Verlangen nach Fleisch nur noch steigern. B: Dies habe ich befürchtet, mein Herr. A: Weswegen diese Befürchtungen in eurem Kopf? B: Was, wenn dieses Gefühl unser gemeinsames Ziel zu einem Desaster wandeln? A: Habt Ihr denn kein Vertrauen in unser beider Verstand? B: Sagt mir doch, was unsere Lust mit unserem Verstand zu schaffen haben? A: Sie sind Partner im Verbrechen. Mein Verstand unterstützt meine Lust, da mein Verstand mir tagein, tagaus einen Streich spielt. B: So erläutert mir, welcher Streich so grauenhaft sein könnte, dass eure Lust nicht in Zaum gehalten werden kann. A: Meldet sich meine Lust euch gegenüber in meinem Körper, so nötigt mein Verstand zu Bilder, welche ihn vollkommen außer Kontrolle bringen und meine Lust meinen Körper übernehmen lassen. B: Aber, Herr, dieses Verbrechen ist ein abscheulicher Streich eures Verstandes. A: Doch wehre ich mich nun nicht mehr gegen diesen Überfall meiner Kontrolle. B: Wieso denn, mein Herr? A: Da eure Lust meine unterstützt, sich zu öffnen, statt sich weiter zu verstecken, stehen wir, was unseren Verstand anbelangt, auf derselben Straßenseite. B: Ich fürchte, mein Herr, ihr möget recht behalten. Doch was sind unsere nächsten Schritte in unserem nervenaufreibenden Fall? A: Ich kenne da einen Italiener um die Ecke.

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Aleksa Lazovic

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Das nenne ich einen Morgen. Man steht in der Früh entspannt auf, etwas mehr Schlaf hätte nicht geschadet und der Wecker war nun auch nicht notwendig, aber damit muss man eben zurechtkommen, zieht sich an und denkt sich: „Ich glaube, ich gehe jetzt zum Bäcker und hole mir was Frisches aus der Backstube.“ Zwar wartet man ein wenig, um sich die Auswahl anzusehen, die übrig geblieben ist von dem Ansturm, doch ist man zufrieden mit dem, was man vorfindet, hat man es eben leichter mit der Wahl. Hat man nun das Geschäft absolviert, kehrt man erneut zu Fuß entspannt zurück, nimmt sich vielleicht bereits eines der Gebäckstücke zur Hand und lässt es genüsslich im Mund spielen, während man sich denkt, was man für ein Glück doch mit dem Wetter hat. Da kommt man doch gar nicht auf die Idee, dass die Straße ach so befahren ist und man den Lärm gar nicht aushalten kann. Nein, man hat ihn einfach nicht im Kopf, man beachtet ihn einfach nicht im Geringsten. Ist man dann doch in sein Domizil zurückgekehrt, anstatt noch eine größere Runde um den Block zu gehen, nachdem man noch einige tiefe Atemzüge von der frischen Luft inhaliert hat und die Wärme der Sonnenstrahlen noch etwas auf seiner Haut genossen hat, kommt man langsam in die Küche, öffnet vielleicht noch die Terrassentür oder einfach ein Fenster, um die Frische des neuen Tages noch etwas mehr zu genießen, und stellt sich in die Küche, um sich einen Kaffee vorzubereiten und den Tisch entspannt zu decken, mit etwas mehr Schwung in seinen Bewegungen als sonst, während im Hintergrund

beruhigende Jazzmusik oder Blues spielt, welche einen zwar nicht zum Einschlafen zwingen, aber auch nicht so munter machen, dass man in die Welt raus möchte, um bereits jetzt den Tag mit Schwung zu beginnen. Hat der Kaffeeduft den Raum im Sturm erobert, ist es Zeit, das Gebäck aus der improvisierten Papierpackung zu nehmen, um den Tisch vollends zu decken, da bereits Dinge wie Schinken, Eierspeis, Butter und Nutella am Tisch stehen, um Platz zu nehmen, während die Musik die Stimmung im Raum unterstützt, der Kaffee in der Nase einen fertig macht und das Gebäck einem das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt, bis man sich dann doch der Versuchung hingibt, den wundervollen Anblick von Harmonie zu stören, um seinem Magen eben jene Harmonie zu gönnen, nachdem er, seitdem man ins Haus zurückgekehrt ist, nach eben dieser Harmonie lechzt, um auch seine Ruhe zu finden. Wurde dann der letzte Bissen des Mahles mit einem weiteren Schluck Kaffee runtergespült, findet man in sich das Bedürfnis, seine Terrasse zu nutzen, wozu sie eigentlich gebaut wurde, und sich rauszusetzen mit seinem Kaffee in der Hand und erneut den Lärm der Straße auszublenden, um nur die Melodie der Musik im Hintergrund mit seinen Ohren zu bemerken und seine anderen Sinnesorgane auf die Außenwelt zu konzentrieren, während man einfach nur die Augen schließt und die letzten Momente genießt, bevor der Tag dann wirklich beginnt. So ist der Tisch im Hintergrund noch zur Hälfte gedeckt, eine weitere Tasse bereit, um die braune Flüssigkeit des Morgens aufzunehmen, der Geruch des Gebäcks noch immer so stark in der Luft, dass man noch immer wie verzaubert ist, und die Musik leise genug, um die Schritte in der Wohnung zu hören, die fast schleifend zum Hauptzimmer rüberkommen, dass man sich wünscht, dass wenigstens noch etwas Schwung in den Schritten wäre, damit man die Person, zu der diese entspannte Bewegung gehört, umso schneller zu sehen, da man kaum erwarten kann, dieses Gesicht als den Start des Morgens anzusehen. Da hört man die Schritte abrupt zu einem Ende kommen, ein seichtes Lachen aus der Wohnung widerhallen, die Schritte nun mit einer etwas höheren Geschwindigkeit zur Terrassentür schreiten, und so verspürt man das Verlangen, seinen Kopf zur Tür zu wenden, nur um in der Öffnung in der Wand ein zartes Gesicht mit leicht geschlossenen Augen und einem Lächeln rausschauen zu sehen und man nur wartet, dieses zart wirkende Geschöpf, wie sich ihr Lächeln wandelt, um mit diesen bezaubernden Lippen eine Phrase zu formen, von der man sich nie dachte, dass sie so schön klingen könnte. „Guten Morgen.“


zog sie ihre Schuhe aus und legte ihre Socken, nachdem sie diese ebenfalls ausgezogen hatte, in ihre Schuhe. Sie klammerte sich an ihren Armen fest und schaute ihn an. Sein Lächeln war noch immer auf seinen Lippen, doch als sie ihm direkt in die Augen sah, verformte sich sein Ausdruck in einen Blick der Empörung. „Ich sagte, zieh es dir an. Ich sagte, zieh dich aus. Was ist nun?“ Sie schüttelte den Kopf. „Du willst nicht? Habe ich gefragt, was du willst?“ Stille „Antworte mir!“ Erneut schüttelte sie den Kopf und senkte nun ihren Blick, um ihre Tränen zu verbergen. „Da ich also nicht gefragt habe, heißt das, es interessiert mich nicht. Da es mich nicht interessiert, was du willst, will ich, dass du befolgst, was ich dir gesagt habe, sonst nehme ich dir die Schuhe.“ Nicht die Schuhe. Wenn er ihr eines nicht nehmen durfte, dann waren das ihre Schuhe. Nach all den Jahren, die sie dafür gearbeitet hatte. Nach all den Jahren, wo sie nach einem Zeichen von Anerkennung seinerseits gewartet hatte, hatte sie diese Schuhe von ihm bekommen. Wenn sie eines nach ihrer harten Arbeit nicht verlieren wollte, dann waren das diese wundervollen roten Schuhe. Langsam knöpfte sie ihre Hose auf. Die Tränen in ihren Augen machten es nicht einfach. Sie streifte diese unsicher ab und entfernte nun auch ihr Shirt. Nun stand sie da, ihre Arme erneut um ihren Körper geschlungen und nach dem Tutu suchend. Als sie es am Boden vor sich vorfand, nahm sie es so schnell wie möglich und versuchte auch genauso schnell hineinzuschlüpfen. Sein Lächeln war wieder aufgetaucht. Als sie nun fertig war, stand sie da. Sie wusste nicht, was sie machen sollte. „Zieh dir nun deine roten Ballerinas an.“ Endlich durfte sie sie benutzen. Sie setzte sich auf den Boden und schlüpfte zärtlich in ihre neuen Schuhe. Sie fühlten sich genauso an, wie sie sich die Ballerinas vorgestellt hatte, als er das erste Mal von den Schuhen als Geschenk gesprochen hatte. Sie waren so weich. „Gut. Stell dich auf diese Fläche.“ Sein Finger zeigte auf eine Platte. Eine übergroße Schallplatte. Sie stellte sich auf den Rand der Platte und wartete verwundert auf den Zweck dieser Aktion. ,,En Pointe.“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und hob ihre Arme graziös in die Luft. Dann begann die Platte, sich zu bewegen. Aus einer Ecke des Raumes ertönte leise und immer lauter werdend der Schwanensee. Schon war all ihre Scham weg. Die ganzen Zweifel, die ganze Angst, die ganze Panik vor ihm, verschwunden. Das Einzige, was sie spürte, war die Musik. Der Rhythmus. Die Melodie. Das war alles, was nun wichtig war. Sein Lächeln wurde breiter. Ihr Blick wurde konzentrierter. Sie war vollkommen.

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Aleksa Lazovic

„Tanz, meine Schöne, lass dich von der Melodie inspirieren. Ich habe dir deine schönen Schuhe aus einem Grund gekauft.“ Er holte seine Kamera aus seinem Schrank. Wie lange hatte er sie nun nicht mehr benutzt? Wie viele Mädchen konnte er nicht mit seiner Kamera festhalten? Wie viele Mädchen existierten nur noch in seinem Kopf statt in seiner Kamera? „Stopp. Ich habe eine viel bessere Idee. Zieh dieses Tutu für mich an.“ Ein leicht angewiderter, aber doch trauriger Blick und ein leises Nein waren die Antwort auf seine Forderung. „Ich habe dich nicht nach deiner Meinung gefragt. Ich habe gesagt, du ziehst das an, sonst darf eine andere diese Schuhe anziehen.“ Es bildeten sich Tränen in ihren Augen. Sie wollte nun nicht mehr hier sein. Nicht mehr tanzen. Nichts mehr mit Ballett zu tun haben. Doch war, was sie wollte, nicht das, was wichtig war? Wichtig war, ihn zufriedenzustellen, damit er sie endlich gehen ließ. Wie lange, war nur die Frage. Wie lange, bis er endlich zufrieden war und sie laufen ließ? Sie war sich langsam nicht mehr sicher, ob er sie gehen lassen würde. Doch sollte sie ihren einzigen Hoffnungsschimmer nicht so mit Füßen treten. Sie musste ihm gehorchen, sonst ist jegliche Hoffnung fort. Sie nahm das Tutu aus seiner Hand und fragte, wo sie sich umziehen könnte. „Wo? Du sollst dich einfach umziehen und nicht irgendwo hingehen. Wir wollen ja nicht, dass du mir so schnell entschwindest, meine Muse.“ Tränen rollten über ihre Wangen. Ein Lächeln formte sich erneut auf seinen Lippen. Sie wollte nicht mehr. Aber sie musste standhaft bleiben. Es war die einzige Chance. Langsam streifte sie ihre Weste von ihren Schultern. Dann

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Ich über mich

Sophia Panek

Ich bin ich

Ich schreibe. Ich schreibe mit einem Stift in der Hand auf Papier. Auf Zettel und Servietten, in Blöcke und Hefte. Ich schreibe mit den Händen und einem abgeänderten Zehn-FingerSystem auf dem Laptop. Mal schneller, mal langsamer, und ich versuche, mit meinen Gedanken Schritt zu halten. Ich schreibe mit den Daumen beider Hände auf dem Handy. Mit viel Weglöschen und viel zu vielen Tippfehlern. Ich schreibe immer und überall. Wobei das immer übertrieben und das überall nicht möglich ist. Leider.

Ich schreibe in der Früh, vor dem Aufstehen, beim Schlafen. Ich schreibe, wann immer es möglich ist. Meine erfolgreichste Stunde des Schreibens ist kurz vor dem Schlafengehen und verschiebt sich laufend nach hinten. Ich schreibe im Bett, auf dem Sofa, vor dem Schreibtisch, im Freien, in der Schreibakademie Mödling. Ich schreibe mit zu vielen Wiederholungen und Ellipsen, aber es macht Spaß, und ich kann nicht damit aufhören. Ich schreibe, weil es mich glücklich macht, weil ich schreiben kann, was mir in den Kopf kommt, weil schreiben toll ist. Ich schreibe, damit ich meiner Fantasie folgen kann, sehen kann, wohin sie mich führt. Ich schreibe für mich und für alle, die meine Texte lesen wollen. Ich schreibe. Und du?


Schweigen

Zu dieser Gruppe gehörte ich also auch nicht. Ich gehörte nirgends dazu. Tu es immer noch nicht. Werde nie irgendwo vollkommen dazugehören. Ich bin eben ein Einzelgänger. Eine Einzelgängerin. Ich bin ein Mädchen. Also so sehe ich mich jedenfalls. Und in einer Gesellschaft wie unserer sollte das doch schon möglich sein, oder? Hat nicht jeder das Recht, zu sein, wer er will? Und das, vor allem, wenn niemand dabei gefährdet oder beleidigt wird. Kann mir doch niemand vorwerfen: dass ich jemanden beleidige. Durch mein Aussehen? Durch meine

Meinung, über mich selbst, wohlgemerkt. Ich will doch selbst nur ich selbst sein. Was die anderen sein wollen, das gestehe ich ihnen doch zu. Ich habe nichts gegen niemanden! Und ich hoffe dasselbe auch für andere mir gegenüber.

Bis dann, deine Sam

Freitagabend Sam, es tut mir so leid, dass meine Schrift nun dieses Heft beschmutzt, dass meine Worte so schäbig neben deinen wohlgeformten Sätzen wirken. Ich kann mich nicht gewählt ausdrücken, konnte ich noch nie gut. Und ich würde DAS HIER nicht tun, wenn ich nicht das Bedürfnis hätte, die Geschichte zu beenden. Es ist über eine Woche vergangen, seit … Heute ist der 22. Ich wollte deine Sachen nicht durchwühlen, ich … Mama hat es nicht geschafft, fertig zu packen. Ab irgendeinem Moment ist sie immer am Boden gesessen und hat geweint, sich vor Schluchzern nicht mehr gerade hinsetzen können. Ich weiß doch, warum ich nie Tagebuch geschrieben habe. Ich kann keinen Satz beenden. Sie bleiben alle unvollendet, unfertig, aussagelos. Wenn du hier wärst, würdest du den Kopf schütteln. Du würdest mir den Stift hinhalten, mich auffordern, weiterzuschreiben, so, wie ich gerade versuche, mich selbst zu motivieren. Aber ohne dich kann ich das nicht. Ohne dich, Sam, ist alles so anders. Nicht, dass es laut gewesen wäre, als du noch da gewesen bist. Nein, im Gegenteil. Du warst immer so ruhig und leise in deinem Zimmer. Kein Lärm drang je zu mir herüber, was ich damals gut fand. Meist. Denn dann konnte ich in Ruhe lernen. Musik hören. Alles tun, ohne dich zu hören. Aber manchmal hab ich mich schon gefragt, was du da drüben so treibst. Ich hab mich gewundert, wie man so leise sein kann, so ohne Geräusche leben. Weißt du, in letzter Zeit hab ich mir oft darüber Gedanken gemacht, ob ich dir hätte helfen können, wenn ich von deinen Problemen gewusst hätte. Ich frage mich, ob du mir davon erzählt hättest. Und am meisten grüble ich darüber nach, ob du dir all diese Sorgen

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Ich würde gerne noch mehr schreiben, aber meine Mutter ruft, ich soll noch die Einkäufe einräumen und dann meinen Bruder vom Kindergarten abholen. Ich werde später weiterschreiben, die Eintragungen vervollständigen, die ich in den vergangenen Monaten begonnen und nicht beendet habe.

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Dienstag, 12.4.2016 Meine Geschichte beginnt hier. Aber sie endet auch genau an diesem Ort, zu dieser Zeit. Bald. Nicht mehr lange, dann ist alles vorüber. Wo beginnen? Wann aufhören? Wer entscheidet, wer gehorcht? Warum handeln, wieso nicht schweigen? Ich habe immer zu den Stillen gehört. Wenn du eine Klasse in Gruppen teilen würdest, dann wäre ich in der mit den Außenseitern. Vielleicht auch in der mit den Strebern, denn meine Schulleistungen lassen sich mit denen der tüchtigen Schülerinnen vergleichen. Auch mit denen der fleißigen Schüler, um es politisch korrekt zu gendern. Vielleicht hätte ich auch in die Clique der drei Freundinnen gepasst, die es schaffen, gut miteinander auszukommen, obwohl schon die Zahl drei bei Gruppenarbeiten Schwierigkeiten bereitet und es selten so ist, dass nicht eine weggehen muss. Doch die einzige Gruppe, der ich gerne angehört hätte, wär die der „Coolen“. Die gibt es überall. In jeder Schule, auf jedem College, auf allen Unis. Und die hatten die Aufmerksamkeit der übrigen Schüler, sobald sie etwas zu sagen oder zu verkünden hatten. Auch, wenn sie sie gerade gar nicht wollten.


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gemacht hättest, wenn du nicht so schüchtern gewesen wärst. Wenn du mehr Selbstvertrauen gehabt hättest. Sam, ich glaube immer noch, dass es ein Unfall war. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du vor dieses Auto gesprungen bist. Ich kann beim besten Willen nicht verstehen ... Ich meine, du hättest dein Leben nicht absichtlich und vor allem nicht auf diese Weise beendet, oder? Nein! Nein, das kann ich nicht glauben. Du wärst nie absichtlich und vor den Augen von Louis, vor den Augen unseres kleinen Bruders, auf die Straße gesprungen. Niemals, dafür hast du ihn zu sehr geliebt. Du hättest ihm den Schmerz nicht angetan.

Außerdem ist dies hier dein Tagebuch. Sam, falls du das irgendwie noch mitbekommst, ich möchte dir sagen, dass ich dich liebe! Du bist für immer in meinem Herzen. Da ist ein Platz für dich, den niemand einnehmen wird. Ich wünsche dir alles Gute und viel Glück, da, wo auch immer du jetzt bist.

Montag, 25.4.2016 Louis redet noch immer nicht. Der Arzt hat zuerst gemeint, es ist nur ein Schock, Er wird schon wieder zu reden beginnen, hat er gesagt. Aber ich glaub, jetzt hat er seine Meinung geändert. Louis ist reglos. Still. Leblos. Beinahe so wie du. So wie dein leerer Körper, nachdem du tagelang um dein Leben gekämpft hast. Die Ärzte haben viel getan, glaub ich. Aber es hat alles nicht gereicht. Du bist von uns gegangen, nachdem wir vier Tage lang um dich gebangt haben. Einfach so haben sie die Maschinen abgedreht, die deinen Körper am Leben gehalten haben.

Montag, 18.3.2019 Ich hab ein Mädchen kennengelernt. Ein Mädchen, das mich mehr interessiert als irgendeines vor ihr. Sie heißt Sue. Und ich glaube, ich liebe sie. Ich würde gern den Rest meines Lebens mit ihr verbringen. Das klingt kitschig, aber es fühlt sich so an. Ich will niemand anderen an meiner Seite. Nur sie. Und dich, Sam, und dich! Ich vermisse dich so!

Donnerstag, 28.4.2016 Die Beerdigung war schrecklich. Mama ist zusammengesackt wie ... Papa hat sie festgehalten, aber zwischen ihnen ist es nicht mehr wie früher. Wie auch? Louis wollte mitkommen. Er redet immer noch nicht. Es ist schwer herauszufinden, was er möchte, aber sein Beharren, auf das Begräbnis mitgenommen zu werden, war offensichtlich. Über mich kann ich noch nicht reden.

Freitag, 16.2.2018 Der Autofahrer wurde freigesprochen. Sie konnten ihm nichts anhängen. Nicht viel, jedenfalls. Es war keine Fahrerflucht. Es war kein Zebrastreifen in der Nähe. Sam, du warst alt genug, um über die Verkehrssituation Bescheid wissen zu müssen. Du seist auf einmal auf der Straße gestanden, ganz plötzlich, einfach so, ohne Vorwarnung. Zeugen gibt es keine. Und Louis schweigt. Die kleine Strafe, die sie ihm erteilt haben, hat mich nicht interessiert. Ich hab den Saal verlassen, noch bevor der Richter seinen Urteilsspruch beendet hatte.

Dienstag, 27.8.2019 Sue und ich sind zusammengezogen. Also wir sind gerade dabei, und ich bin wieder auf dein Heft gestoßen. Ich werde es mitnehmen. In der neuen Wohnung hängt schon ein Bild von dir. Das, wo wir zu dritt auf dem Sprungbrett stehen und alle einen Sonnenbrand auf der Nase haben. Erinnerst du dich? 9.9.2049 Ich bin wieder am Packen. Ich werde ausziehen. Sue und ich haben uns getrennt. Es hat einfach nicht mehr funktioniert mit uns. Gerade eben habe ich die letzten Eintragungen noch mal gelesen. Ich vermisse dich immer noch so sehr, Sam. Ich denke oft an dich. Ich frage mich manchmal, was für ein Leben du führen würdest, wenn du noch auf dieser Welt wandeln würdest. Ich würde gerne wissen, was du arbeiten würdest, welche Freunde du hättest, welchen Sportverein du unterstützen und an welchen Tierverein du Geld spenden würdest. Ich hoffe, du hast all diese Erfahrungen trotzdem sammeln können, wo auch immer du jetzt deine Zeit verbringst.


Chris ist tot. Genau wie du. Genau wie Mama. Genau wie Papa. Ich bin allein. Ihr seid alle weg, ich bin der Einzige, der noch lebt. Und ich bin derjenige, der als Erster von uns gestorben wäre.

zerstört. Mama und Papa haben sich nicht lange danach scheiden lassen, Chris hat sich zurückgezogen, auf seine eigene Art. Und ich hatte keine Gelegenheit, mich bei dir zu entschuldigen, dich um Vergebung anzuflehen. Jedes Mal, wenn ich dich im Krankenhaus besuchen durfte, war jemand anderer anwesend. Nie waren wir allein. Und dann haben sie die Maschinen abgeschaltet, nachdem Papa Mama überredet hatte, dass es das Beste sei. Und du warst weg. Oh, Sam, es tut mir so schrecklich leid. Ich kann gar nicht sagen, wie sehr. Ich werde es dir nie sagen können. Ich bin schuld, dass du tot bist. Ich bin auf die Straße gesprungen, du hast versucht, mich zu retten, hast dich selbst geopfert. Sam, bitte verzeih mir.

Ich kann mich noch an den Tag erinnern, obwohl er über 60 Jahre zurückliegt. Die kurze Zeit, diese paar Sekunden haben sich in mein Gedächtnis eingebrannt, wie nichts, was davor oder danach kam. Ich kann mich noch genau an deinen Gesichtsausdruck erinnern, die Angst in deinem Blick, die Panik in deiner Stimme. Und das ist das Letzte, was ich von dir sah, bevor das Auto dich erfasste und mit sich riss.

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Chris hat das Buch in seinem Nachttischchen verwahrt. Ich habe es allerdings erst gefunden, nachdem er gestorben war. Er hat es gut behütet, gut versteckt, vor mir verborgen gehalten, vor jedem, eigentlich. Weißt du, was mich am meisten schmerzt? Dass ich dir nie sagen konnte, wie leid es mir tut. Ich konnte dir nie erzählen, wie sehr ich diese paar Minuten verfluche, die kurze Zeit des Herumblödelns mit dir, die Dummheit von mir. Der Schritt auf die Straße hat alles verändert. Für immer. Hat unsere gesamt Familie

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13.5.2080 Hallo Sam. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich bin es nicht mehr gewöhnt zu sprechen. Zu viel Zeit hab ich schweigend verbracht. Und jetzt ist es zu spät.

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4 Jahreszeiten in nicht einmal 5 Minuten

Gedichtsammlung zum Thema „Augen“

Es wird kälter und Schneeflocken fallen, sobald der Winter kommt. Und wenn er sich zurückzieht, ist die Landschaft braun und keiner mag mehr rodeln gehen.

Glücklich. Jetzt gerade. In dem Moment. Für diese eine Sekunde. Wimpernschlag.

Es wird wärmer und Blumen wachsen, sobald sie genug Sonne eingefangen haben um zu sprießen. Frühling ist im Lande und färbt die vielen Wiesen bunt.

Momente Vergehen schnell. Vielleicht zu schnell. Manchmal auch zu langsam. Wimpernschlag.

Es wird heißer und Blüten verwelken, sobald der Sommer lächelt. Und während sie ihn ansehen, ziehen sie sich zurück um für Früchte Platz zu machen. Es wird kühler und Herbst kommt, sobald die Früchte fallen und die Blätter sich verfärben. Sie folgen dem Obst auf den Boden und bleiben liegen.

Regenbogenhaut Ist die Farbe der Augen Blau und grün und braun.

Sichtbares kann verschwinden. Sichtbares muss nicht wahr sein. Sichtbares kann erlogen sein. Sichtbares verstellt sich. Sichtbares weckt Vertrauen. Vertrauen wird schnell zerstört. Vertrauen braucht lange um aufgebaut zu werden. Vertrauen kann gebrochen werden. Vertrauen wird gebrochen werden. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit. Nichts Verändert sich. Keine freundlichen Gesichter. Die Masken fallen nicht. Das Lächeln wirkt Wie immer Gezwungen. Blickkontakt bricht, Sobald du wegsiehst. Blickkontakt wird aufgelöst, verschwindet. Blickkontakt bricht. Die Blicke treffen sich, Die Augen lächeln. Blickkontakt bricht, Sobald du wegsiehst.


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FIONA REID Verrückt, liebenswert, klein

Blicke

Herzklopfen

Blicke werden zugeworfen Blicke fallen zu Boden Blicke die so schüchtern wirken Blicke schauen nach oben Blicke die dann länger werden Blicke voller Liebe Blicke die so ewig sind Blicke die Herzen widerspiegeln Blicke immer kürzer werdend Blicke ohne Sinn Blicke immer fremder werdend Blicke wie Beginn Blicke wirken kalt und starr Blicke schnell vergessen Blicke die vergangen waren Blicke die sich nicht mehr kennen

Da stand sie. Der dunkle Nachtwind strich über ihr Gesicht, kühle Luft macht rote Wangen. Der Bahnhof verlassen, er erzeugte ein etwas unangenehmes Gefühl. Die Lichter laut wie Schreie in der Dunkelheit. Flackerndes Licht so wie ein Hilferuf der Lampen. Schnee nicht zu sehen, nur die Kälte der Winternacht. Automat blinkte, glückliches Blinken, Kontrast zur dunkelblauen Nacht. Die junge Bank hinter ihr, doch setzte sich nicht hin, stand nur da, am Bahnsteig und wartete. Nur sie. Dachte sie. Aber doch nicht. Am anderen Bahnsteig ein Mensch. Sie sahen sich. Blick, der eine Sekunde war, kam ihr vor, wie stundenlang. Atemzug gezogen, hinterließ eine warme Wolke in der Nachtluft. Herzklopfen. Sie wollte ihn entsehen, aber es war zu spät, denn er war gesehen. Er sah. Sie sah. Die Lichter leiser als zuvor, so schien es, und sie sah. Herzklopfen. Augen zu, und plötzlich weg, der Mensch am anderen Bahnsteig. So schnell wie er da war, so schnell wieder verschwunden, so schnell wie ihr Herzklopfen gewesen. Augen zu und nichts passiert. Nur sie. Dachte sie. Aber doch nicht. Schnelle Geräusche hinter ihr, so schnell, wie Züge fahren. Hinter ihr, im Augenwinkel, etwas. Drehte sich um und da. Sie sahen sich. Hinter ihr, vor ihr. Sie sah. Er sah. Herzklopfen. Da stand sie. Da stand er. Da standen sie beide. Und dann, Dunkelheit.

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Sag ich‘s, oder sag ich‘s nicht? Sag ich‘s?

Sag ich‘s?

Aber bring ich die Wörter raus? Trau ich mich, den Schritt zu gehen, wage ich es, aus dem Sicheren hinaus?

Aber der Weg ist zu weit, das Risiko groß. „Was ist wenn? Was ist wenn? Was ist wenn?“ Fragen, die meine Nächte verlängern, ich weiß nicht, wohin mit meinen Gedanken, Gedanken ohne Ausschaltknopf, keinen Ausschaltknopf für die Gedanken, die immer lauter werden und die in großen Schwärmen auf mich zukommen und mich zerfressen und zerstechen wie wütende Wespen.

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Sag ich‘s nicht?

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Aber er muss es doch verstehen. Ich muss es endlich loswerden, die Wörter plagen mich, quälen mich, Stimmen in meinem Kopf schreien mich an, „Sag es! Sag es! Sag es!“ Buchstaben schwirren herum und bilden Wörter, Wörter, die gesagt werden wollen, Wörter, die gewagt werden wollen, Wörter, die erfragt werden wollen. Sag ich‘s? Aber ich kann es nicht sagen, ich kann es nicht wagen. Der Schritt ist zu weit, der Spalt zu groß, ich werde hinfallen, hineinfallen und ich komme nicht wieder raus. Raus aus dem Loch, das ich mir selbst gegraben, raus aus dem Leben, das wir uns angewohnt haben.

Sag ich‘s nicht? Aber ich muss es tun. Ich muss es sagen, ich muss es wagen, ich muss mich trauen, ich muss in das Grauen, nein. Ich muss aus dem Grauen, aus dem Leben voller Regenschauer und Sonnenstrahlen zugleich und hoffe auf einen Regenbogen auf der anderen Seite. Und wenn ich keinen finde, dann folge ich dem Winde, der mich in die richtige Richtung weht und der mich versteht, ich lasse mich tragen, und führt‘s zu Versagen, dann land ich am Boden, aber irgendwann gelang ich wieder nach oben, der Boden gibt Stabilität, und er gibt mir den Mut, wieder aufzustehen, manchmal ist in der Luft schweben gar nicht so gut, und der Boden, der gibt mir Mut. Also … Sag ich‘s.

Sag ich‘s nicht? Aber ich halte es nicht aus, es bricht mich und sticht mich und lässt mich nie in Ruhe. Der Druck ist zu groß, ich komme nicht klar, mein Kopf voller Wörter, die rausbrechen wollen, aber sind bald verschollen, weil sie sich nicht trauen, sich ständig umbauen, zu Sätzen erneut und erneute Sätze, die man nicht versteht und die der Wind verweht.

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“Come listen to the rain with me”,


„Come listen to the rain with me“

“Come listen to the rain with me”, I told boy number three. I liked listening to the patter of the raindrops as they hit the pavement outside, it was so soft and gentle, so peaceful, from the safety of my window seat. He looked at me and suddenly I felt like a five year old being told off by their parent. He told me I was too old for stuff like that. I didn’t know that happiness had an age limit. “Come listen to the rain with me”,

“Come listen to the rain with me”, I told boy number five, as he manoeuvred himself around the boxes stacked around the room. Change was coming and I wasn’t sure I was quite ready. Times had changed and soon my window seat would be history. I wanted to treasure every second I could. He came over to me and took my hand, only to drag me away, because there was still so much left to pack up and we would never get finished in time. “Will you listen to the rain with me?”, I asked boy number six, not really expecting to get an answer, as he sat in the living room, shouting aggressively at his friends through a headset, he had been playing his new video game for 7 hours straight. The window seat no longer existed, but I had placed the couch next to the biggest window, hoping it would make up for the emptiness I felt. “Later honey”, he called, not really paying attention to what I was saying. There never was a later. More boxes, new house, no window seats. Life went by and I stopped listening to the rain. That was for dreamers, and I had given up on that. “Do you want to listen to the rain with me?” girl number one asked me, standing in the doorway of our bedroom with a small smile on her face. She took my hand and pulled me downstairs, showing me the place next to the window. Set up, were two chairs with cushions made of velvet, once a vibrant red, now a much softer colour, worn and faded over the years. She smiled at me, as tears escaped my eyes and rolled down my cheek and we sat together, hand in hand, doing nothing, but listening to the rain.

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“Come listen to the rain with me”, I told boy number two. The window seat had always been my favourite part of the house, with its soft velvet cushions, once a vibrant red, now a much softer colour, worn and faded over the years. The smell reminding me of all the times I had sat there, through good days and through bad, the only place I could escape to, the place I could be myself. He looked at me sympathetically, telling me he had to leave. He was already so late. He just didn’t have the time. I had to understand how busy work was at the moment. There was just so much to do. I never asked again.

I told boy number four, the look in my eyes pleading him to come, sit with me and listen. I didn’t visit the window seat often anymore, times had changed and life had got busier. I missed it. But he didn’t understand. He stood next to me for a while, but kept trying to talk, to kiss, to distract me. All I wanted to do was sit and listen.

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Fiona Reid

I told boy number one, a small smile on my face, as I sat by the window. The small drops rolled gently down the window pane. He smiled back at me, eyes shining like the sun, as he sat down next to me, taking my hands into his own. I closed my eyes and sat back, only to rip them open minutes later. His phone. He gave me a short look as if to say “I’m sorry” and left me, to answer the call. He never did return.


Breathe

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Breathe in Breathe out One step closer Breathe in Breathe out Then it’s over Don’t worry It’s fine Just Breathe in Breathe out Breathe in breathe out You’ll feel better Breathe in Breathe out It’s now or never Don’t stop now You’re full of regret Just Breathe in Breathe out

Fiona Reid

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Breathe in Breathe out It’s just a few words Breathe in Breathe out Or you’ll never be heard Take your chance Or stay silent forever Just Breathe in Breathe out

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Breathe in Breathe in Breathe in Wait, what? Breathe out Breathe out There’s something you’re forgetting Just stop for a second And collect yourself And just Breathe


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LEA SCHAMP Sensibel, fröhlich, clever

Ich saß auf dem Sofa und wartete. Wartete darauf, dass der Schmerz abebbte und die Tränen aufhörten. Aufhörten, über meine Wangen zu fließen und auf den Boden zu tropfen. Tropfen so blau wie das Wasser in dem See in unserem Garten, bildeten eine kleine Pfütze auf dem Boden. Boden, auf dem ich damals gelegen hatte und genauso geweint hatte wie heute. Heute war es aber besonders schlimm. Schlimm war auch, dass ich noch immer nicht aufhören konnte, daran zu denken. Denken, bloß nicht denken – wenn es schon sein musste, dann nicht an das. Das braune gelockte Haar fiel mir in die Augen. Augen so braun wie die Erde des Blumenbeets, die von den vielen Tränen rötlich waren, blitzten im Licht der durch das Fenster scheinenden Sonne. Sonne so hell wie an einem Sommertag, obwohl der Dezember noch nicht zu Ende war. War ich denn überhaupt noch ich? Ich, die damals auf der Wiese getollt hatte und mit Freunden beim Schwimmen gewesen war. War ich denn das Ich, das meine Mutter wollte? Wollte sie, dass ich noch immer an damals dachte?

Lea Schamp

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Bin ich ich?


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Lea Schamp

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Der Ball

Schweigsam

Er spielt mit dem Ball. Ich sehe es durch das große Glasfenster und frage mich, wie man hier mit dem Ball spielen kann. Ich sehe ihn, den Ball, die Sonne, den Sandboden, den Staub und mein Spiegelbild. So blass und doch so deutlich zeichnet es sich vor mir ab. Mit dem Zeigefinger berühre ich es ganz leicht, als hätte ich Angst, es wäre nicht echt, ich wäre nicht echt, nichts wäre echt. Doch mein Finger berührt die staubige Glasscheibe, und ich streiche leicht darüber. Dann ziehe ich den Finger wieder weg und betrachte meine schmutzige Fingerkuppe. Mein Blick wandert wieder nach draußen. Dort sehe ich ihn, er spielt mit dem Ball. Jetzt ist mir alles klar und doch verstehe ich es nicht. Ich blicke wieder auf mein Spiegelbild, doch ich kann es nicht mehr entdecken. Verzweifelt suche ich die ganze Fensterscheibe ab, aber es ist nirgends. Ich kann plötzlich auch die Glasscheibe und die Sonne nicht mehr sehen. Ich sehe nur noch ihn und den Ball. Er spielt mit dem Ball. Doch auch langsam verblasst der Junge, den ich die ganze Zeit beobachtet und bewundert habe. Der Ball liegt einsam und verlassen auf dem staubigen Boden, und so fühle ich mich plötzlich auch, einsam und verlassen. Jetzt sehe ich nichts mehr, der Ball und der Boden sind auch weg. Um mich herum ist nichts als endlose Finsternis. Und dann, dann lasse ich mich fallen. Ich kann spüren, wie die Zeit vergeht, riechen, wie ich immer tiefer und tiefer falle, und hören, wie mich das dunkle Nichts sanft und leise auffängt. Sehen kann ich nichts, nichts außerhalb jedenfalls, doch in meinen Gedanken sehe ich alles ganz klar und deutlich. Zuerst sehe ich mein Spiegelbild, dann sehe ich die Sonne, dann den staubigen Sandboden und schließlich sehe ich ihn. Er spielt mit dem Ball. Und nun verstehe ich alles.

Ich saß auf der Gartenbank und wartete. Wartete darauf, dass er ging, mich in Ruhe ließ und ein andermal wiederkam. Doch er, er saß neben mir, hatte den Kopf in die Hände gestützt und wartete. Wartete darauf, dass ich ging, ihn in Ruhe ließ und ein andermal wiederkam. So saßen wir schweigend auf der Bank und blickten auf die Hecke, die schöne, große Hecke, die den Garten meiner Großeltern von unserem trennte. Jeder erwartete vom anderen, dass er aufstand und ging, doch so einfach wollte ich nicht aufgeben und er anscheinend auch nicht. So saßen wir schweigend auf der Bank und blickten auf den Boden, den schönen, dunklen Holzboden unserer Terrasse. Anscheinend wurde ihm das zu langweilig, denn er erhob sich und blickte zu mir hinab. Ich schaute weiter den Terrassenboden an, doch aus den Augenwinkeln bekam ich mit, wie er sich umdrehte und hinter der großen, schönen Hecke verschwand. Jetzt konnte ich endlich in Ruhe über das nachdenken, was uns beide eigentlich zum Schweigen gebracht hatte, über das, was vor über einer Woche passiert war, über das, was unsere Familie auseinandergerissen hatte. Wenn eine Familie auseinandergerissen wird, fühlt es sich so an, als würde einem in der kältesten Nacht die wärmende Bettdecke weggezogen werden. Es ist, als würde eine Vase zu Bruch gehen und es dir unmöglich ist, die Scherben einzusammeln und wieder zusammenzusetzen. Es kommt dir vor, als würde sich ein großes, pechschwarzes Loch auftun und alles verschlingen, was auch nur annähernd an die Familie oder an das gemeinsame Zusammenleben erinnert hätte. Wenn ich jetzt an meine Familie denke, kommen mir sofort Bilder von dem Weihnachten, an dem der Christbaum zu brennen begonnen hatte, oder von meinen Geburtstag, auf den er vergessen hatte und ich fast vier Monate später immer noch kein Geschenk bekommen hatte, in den Kopf. Ich erinnere mich daran, wie wir einfach zusammen vor dem Fernseher gelegen hatten und wir uns dauernd um den Sender und somit um die Fernbedienung gestritten hatten. Es war sehr lustig gewesen. Außerdem denke ich immer an Silvester. Da hatte die ganze Familie, samt Omas, Opas, Onkel und Tanten, vor dem Haus gestanden und das Feuerwerk bewundert, nur er und ich hatten uns davon geschlichen, um im Garten eine Rakete zu zünden. Dabei hatten wir aus Versehen Mums Lieblingsrosen in Brand gesetzt. Familie sein bedeutet eins zu sein, zusammenzugehören. Es heißt aber auch, die Sorgen der anderen zu verstehen und ihre Trauer zu teilen. Wenn jemand aus der Familie fehlt, fehlt ein sehr wichtiger Teil in deinem Leben. Ja, Autounfälle sind etwas sehr Schlimmes.


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SUSANNE SCHMALWIESER

Über mich Hallo, ich bin Susi, fünfzehn, Schreiberin; mag weibliche Endungen, weil meine Existenz schließlich auch einen ziemlich weiblichen Anfang hatte. Mein Spitzname ist irgendwann zu meinem echten geworden, wer mich jetzt Susanne nennen will, muss fragen. In dem Moment, in dem ich dann bemerkt habe, dass der von J. K. Rowling versprochene Hogwarts-Brief wohl an meine Fantasiefreunde gegangen ist, die irgendwann unbemerkt verschwunden sind, habe ich begonnen, selber zu schreiben, damals, als ich klein und acht war. Heute bin ich nicht mehr klein und acht, sondern größer und achtsamer, spame meine guten Freunde mit Texten und meine besten spammen mich zurück. Schreibe meistens Kurzes und aus Zeitmangel Prosa, dafür auf WhatsApp nur Romane, kann mich nicht kurzhalten und lasse deshalb gerne Personalpronomen leiden. Zerschneide Programmhefte und

klebe Wörter an die Wand; liebe Alliterationen aller Art. Musik höre ich nach Texten, und meine Texte schreib ich gerne zu Musik, die sollte dann aber Rock, wenn nicht ‚n‘ Roll sein. Habe Lieder und Gespräche lieber zu laut als zu leise. Zitiere Menschen, die keiner kennt, und lerne gerne Unbekannte kennen, gehöre nicht zu denen, die dich ausfragen und dann Texte über dich schreiben; frage dich trotzdem, um vielleicht irgendwann Texte für dich zu schreiben. Habe noch nie bei einem Film nicht geweint oder bei einem Buch nicht gelächelt; halte mich mit den Beistrichen übrigens im Moment zurück. Benutze keine Wegwerf-Kulis, weil es weh tut, Kulis wegzuwerfen, und schreibe nicht mit Bleistift, weil ich kein Fan vom Ausradieren bin. Tinte ist viel permanenter, zwingt dich, zu deinen Fehlern zu stehen; wenn man sie einfach verschwinden lässt, kann man ja nie aus ihnen lernen. Mag beschmierte Bibliotheksbücher, auch wenn Bibliotheken mich deswegen vielleicht weniger mögen, und egal, ob Shakespeare oder Schundroman, ich lese ganz oder gar nicht. Mag keine halben Sachen, bin keine Anhängerin von „Schau ma mal“, habe Blut geleckt an der Vielfalt der Welt und will mehr sehen, mag keine Enge und will mich hinausschreiben aus den Boxen, in die wir irgendwann hineingedacht wurden. Bin aus Überzeugung optimistisch, deshalb auch durch und durch zuversichtlich, dass du jetzt meine Texte lesen möchtest, und wünsche dir dabei gute Unterhaltung. Viel Spaß.

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Susanne Schmalwieser

Sympathisch, dramatisch, beistrichfanatisch


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Lampenfieber

Susanne Schmalwieser

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Sie lachten schon, als sie mich sahen, es war nicht böse gemeint, es war Erwartung, Berechnung, wie auch immer man es nennen will, sie erwarteten, dass sie lachen würden, und deshalb taten sie es gleich, später hätte es ihnen ja vergehen können. Wenn der Bühnenboden gequietscht hätte, wäre vielleicht alles anders gewesen, wenn er geknarrt, geknackst, irgendetwas getan hätte, um mir die Last des ersten Satzes abzunehmen, zu erleichtern, doch vielleicht hätte das die Stille nur noch lauter gemacht. Also machte ich noch einen Schritt nach vorne, leise, sanft. Ein Glucksen. Ein Grinsen. Im Publikum so viele merkwürdige Menschen, dass ich mich fragte, ob normal nicht vielleicht komisch war. Noch ein Schritt. Ein Weiße-Pluderhoseweht-um-schmalen-Knöchel-Schritt. Schwarz um mich, schwarz auf mir, schwarz in mir, ich zählte die Sekunden, bis – Knall – das Licht anging, Lampe Nummer zwei wie eine giftige Qualle ihre Tentakeln nach mir ausstreckte, mich in nesselnder Helligkeit einhüllte. Noch ein Schritt. Noch ein Grinsen. Grinsen aus Spannung und Grinsen weil Grinsen. Ein Faden löste sich von der weißen Hose, und mein Plan löste sich mit ihm auf, löste sich auf wie der Schnee, leise, sanft. Wusste nicht mehr, was, und wusste nicht, wozu, wusste keine Scherze mehr und wusste nicht, weshalb ich welche machen sollte, wenn die Leute jetzt schon lachten. Aber die Leute, die Leute waren auch nur Menschen, wollten Unterhaltung, immer mehr und immer besser; mit jedem guten Witz stieg die Erwartung, mit jeder Show der Durst nach mehr, der Durst, der dann die Münzen in den Kassen klingen ließ, der Durst, der uns alle auf die Bühne trieb. Auch ich war durstig, würde immer durstig sein, wollte nie diese Art von

Erwachsenwerden, das Durch-den-Lebenstrichter-Fallen; durstig nach meinem eigenen Weltbild, war ich zur Figur mit der Maske geworden, stand auf der Bühne, die Leute waren durstig nach mir, während meine Poren sich über die Farbe beschwerten, die weiße Farbe, die wir damals alle trugen, und die letzten, feinen Härchen in meinem Gesicht versuchten, sich zu heben, sich zu senken, zu atmen unter dem Gewicht des Malkasten-undPinsel-Produkts. Als hätte sie der Ostwind zu Boden geblasen, wollten sie aufstehen und ihre eigene Geschichte erzählen, aber der Ostwind, der Ostwind holt uns am Ende schließlich alle, und sei es nur ganz leise, sanft. Auch egal, zurück zum Punkt, Bühne, Boden, Quallenlicht. Scherz musste her, witzig hatte ich zu sein, ich, ich alleine, niemand da, um zu helfen, niemand da, dem ich den Ball dieser Verantwortung hätte zuwerfen können. Die Leute wurden unruhig, fingen an zu tuscheln, zu reden, zu rufen: „He“ und „Hallo“ und „Sag was“; kein „Du schaffst das“, der Luxus von jemandem, der wirklich an einen glaubte, war damals nur denen gegönnt, die das auch selber taten. Die Qualle begann zu brennen, durch die Farbe, durch die Haut, an den Härchen vorbei, zu mir hinein, leise, sanft; konnte dem Tentakelschwarm nicht entfliehen, war zu müde, um zu schwimmen, meinem Rettungsring war die Luft ausgegangen, und mein Plan, mein Drehbuch, mein So-mach-ich-Das wurde von den Wellen davongetragen, die mir mit einem Haifischlächeln auf den Lippen ein Abschiedslied sangen. Und das Meer in mir hatte genug, genug vom Drinnen-Sein, wollte hinaus, mein Inneres nach außen kehren und meine Seele zwischen meinen Augen hindurchschauen lassen. Das Meer in mir hatte genug, ich hörte eine Möwe kreischen, und zwischen meinen Wimpern rollte der erste salzige Tropfen hervor, leise, sanft.

Wie der Wind Spieglein, Spieglein an der Wand, wahrscheinlich werde ich dich irgendwann verklagen. Meine Augen sehen aus wie eine Piste ohne Schnee, meine Haare aber mehr wie ein Schnee ohne Pflug. Ich könnte ein Chamäleon sein, so grün wie ich bin, ein Chamäleon, das vom Auffallen träumt, denn ich geb’s zu: Ich bin kein Held, kein Titel-Typ, auf Fragen geb‘ ich immer eine Ant-Wort, nie Ant-Sätze. Und nein – ich bin kein Unterhalter, kein großer Sich-zu-HauseMelder, ich trage gerne Blau-mit-Grau und mein Weltbild ist im Keller. Spieglein, Spieglein an der Wand, was werd‘ ich heute machen? Auf die Straßen gehen, Geschäftsmann spielen, Wohlfühl-Shoppen


Spieglein, Spieglein an der Wand, ich weiß, ich kann’s vergessen. Ich ignoriere SMS und hasse WhatsApp-Gruppenchats. Bin kein „Talent“, kein Abenteurer – vielmehr ein Seefahrer im Meer meiner Zweifel, ein Wandrer zwischen Sorgenfalten. Spieglein, Spieglein an der Wand, ich könnte ja hinausgehen. Nach draußen, raus, ins Ungewisse, die Autos umarmen und jauchzend die Zebras streifen, so laut lachen, dass die Straßen zum Gelächter würden. Die Bäume könnten blühen, wenn ich das Haus verlasse, und die Blüten wären dann wie rosa Wolken, wie Zuckerwatte, und ich würde sie nicht pflücken, würde fliegen mit dem süßen Geruch, denn die Welt, sie bleibt nicht stehen, nur weil wir es tun, doch wenn ich schwebe, schwebt sie dann nicht auch? Spieglein, Spieglein, meine Träume, sie gefallen dir nicht? Ich könnte ja die Stadt besichtigen, ein Gipfelkreuz finden, mich gipfelkreuzhöhenhaft glücklich fühlen. Als Zuschauer würde ich wohl immer einsam bleiben, ich könnte mich doch auf die Bühne stellen, um gesehen zu werden. Könnte mir eine Eintrittskarte nach

Ich könnte ans Meer fahren, an der Nordsee Sushi essen, im Sand tauchen, die Möwen schreien hören. Und mit dem Sonnenuntergang im Rücken könnte ich so tun, als wäre ich ein Modell, eine Piste mit Schnee und ein Schnee mit Pflug. Könnte die Ohren nicht mehr steif halten, sondern einfach einmal locker lassen, mich wie der klügste Neander im Tal fühlen und mich in einem Lied zum Helden machen. Im Grunde sind wir dem Universum ja egal, deshalb könnten wir genauso gut auch glücklich sein, uns treiben lassen. Zuerst würde ich zwar zittern, zittern wie die Sonnenstrahlen im weiten Meer, aber dann wäre ich stärker, stärker, immer stärker, und ich wäre sicher. Würde lachen, schwimmen, tanzen, singen, die Augen schließen, den Moment genießen; ich wär mein eignes schönes Wort, mein Synonym für Glücksgefühle und Spieglein, Spieglein, ja vielleicht, vielleicht wäre dann alles viel leichter. Glück ist wie der Wind, du siehst es nicht, aber du kannst es spüren. Es dreht sich, es fällt, und wir fallen mit ihm.

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Schreibakademie MÖDLING

Spieglein, Spieglein an der Wand, ich wär so gern wer anders. Wäre gern ein Wow-Moment, würde gerne auffallen, einfallen, gefallen, überfallen werden; überfallen mit „Hi“s, „Hallo“s und schönen Worten; wäre selber gern ein schönes Wort, ein Adjektiv für gute Laune, ein Synonym für Glücksgefühle.

überall besorgen, mich von Schatten blenden lassen, ins Leere lächeln; könnte die Taube sein, die die Wolkenkratzer kitzelt. Ich könnte Knicklichter aufschneiden und darin baden, ein Feuerwerk als Krone tragen und leuchtend durch die Straßen gehen.

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Susanne Schmalwieser

oder Vorsorge-Sparen? In die U-Bahn steigen, die Frisur mit einem Hut als „schick“ verkleiden, eine Bank ausrauben, mir als Clyde meine Bonnie suchen?


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ANIKA SUCK Schreibt und liest alles – auch aus Mitleid

Anika Suck

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Augen in der Großstadt Ein Risiko ist jeder Spaziergang Du riskiert gesehen zu werden Du riskierst deine Ruhe Eine panikfreie Zeit Den klaren Kopf Den du eigentlich bekommen wolltest Ein Risiko Gesehen zu werden Angesehen Betrachtet Beurteilt Verurteilt Zu sprechen ist ein Risiko Es versteht sich Du hast mehr Ruhe wenn du ruhig bist Du hast keine Panik

Wenn du keine zu verursachen versuchst Wenn du verstehst Ohne verstanden zu werden Liest Ohne gelesen zu werden Du musst Risiken verstehen Die richtigen umschiffen Und den anderen in die Katzenaugen sehn Du musst riskieren, ein Risiko zu werden Es klingt laut Es klingt schmerzhaft Es klingt wie der soziale Tod Und auch wenn du später blöde schaust Musst du dran denken Die Wolken überm Gesellschaftsfriedhof regnen auch


Ich sicher nicht. Ich spiele, den ganzen Tag. Den lieben langen. Spiele mit dem Gedanken. Spielerisch habe ich keinen Plan. Von Normalheit ganz zu schweigen, hab ich nicht, so was. Von Normalheit muss ich schlafen, nicht einmal niesen. Gewöhnlich ungewöhnlich. Gewohnlich. Gewöhnerlich. Jetzt werd nicht weinerlich. Wienerlich. Wienerlich weinerlich. Raunzen. Triefendes, in den Ohren schmerzendes und meine Nerven störendes Raunzen. Das ist hier normal. Wenn man nicht raunzen kann, gibt es nichts zu besprechen. Wienerliches weinerliches, triefendes, tränendes Raunzen auf engstem Raum. Wettern ist, wie über das Wetter reden. Wie Gewitterwolken schwer triefen strategisch scharfe Tränen auf Wirtshausstammtische, die sich in die Köpfe wie in die Tischplatten raunzend reinätzen. Es ätzt mich weg aus der Debatte. Es ätzt mich aus dem Weg. Diese Debatte, die keine ist, dieses

weinerliche Scharren im Stall, den sich niemand traut zu verlassen, dieses Sich-Beschweren, Sich-Einraunzen wie ein Kind, das das Zuckerl nicht kriegt, den andern die Schuld geben, es abschieben, blind nicht verstehen können, weil man nicht versteht, dass es da was gibt. Darin gliedere ich mich nicht ein. Ich sitze nicht mit im Wirtshaus und wünsche mir, dass es so bleibt. Ich stehe lieber online, auf der Linie, lieber auf einer Grenze, als eine Wand vorm Kopf zu haben. Wie im Wirtshaus. Da, wo alle sind, wo alle sich gegenseitig anweinen wegen nichts, wegen allem, das nichts ist. Ich plane lieber für meine Zukunft, als darüber zu raunzen, Über dieses Nichts, das den Stammtischen so wichtig ist. Rumlungern, ist ihre Antwort. Der Stammtisch macht sich beim raunzenden Rumlungern Sorgen zu verhungern. Weil da andere sind, andere Wanderer, unfreiwillige, die freiwillig am Stammtisch sein würden, würde man sie nur lassen. Aber ihr Raunzen klingt anders, ihr Raunzen ist ernster, stiller. Es ist still wie tiefes Wasser, still, wie es weinerliche Tränenpfützen auf Stammtischen nie werden sein können. Ich stehe lieber draußen, also drinnen, aber im Netz draußen. Ich stehe lieber auf der Linie, online, in einem Verzeichnis, das mein Zeichen ist. Ich würde auch gerne stammtischen, nach Schulterklopfen fischen und die Sorgen anderer im Suff ersaufen. Aber ich denke, meine Denke ist nicht normal. Nicht so wie die anderen. Nicht so weinerlich wienerlich, nicht so echt ächzend ätzend alt. Hätte ich die Wahl, ich wäre nicht gerne normal. Hätte ich die Wahl, ich wäre ein Wal.

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Anika Suck

Was ist schon normal

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Gemeinschaftsarbeiten

Schreibakademie MÖDLING

RIGHT HERE WRITE NOW

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GEMEINSCHAFTS ARBEITEN


Gemeinschaftsarbeiten

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Schreibakademie MĂ–DLING


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ST. PÖLTEN Klasse Nora Miedler

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TEILNEHMENDE Anna Aschacher Simone Czipin Lisa Dorner Corina Fischer Gloria Heimberger Carla Pattera Sara Senic


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Schreibakademie ST. PÖLTEN

Das traumhafte klassische Ambiente der Musikschule in St. Pölten bietet eine besonders schöne Kulisse für die Schreibakademie. Kreativität ist so nicht nur während des Unterrichts gefragt, sondern auch während der Pausen, wo sich immer wieder einige meiner Schreibschülerinnen am Klavier austoben, während die anderen dazu Texte improvisieren oder eine flotte Sohle aufs Parkett legen. Mein besonderer Dank gilt dem Direktor der Musikschule Alfred Kellner und seinem Kollegen Roman Gwinner, die stets auch außerhalb der Arbeitszeiten für mich erreichbar waren, wenn ich zum Beispiel wieder einmal vergessen hatte, rechtzeitig einen Raum zu reservieren, und die, wenn es nötig war, auch am Sonntag die Pforten der Musikschule für uns geöffnet haben.

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NORA MIEDLER • • • • • •

Geboren 1977 in Wien. Studierte Schauspiel am Konservatorium Wien und war auf zahlreichen Bühnen in Österreich und der Schweiz zu sehen, bis sie ihre zweite Leidenschaft, das Schreiben, zu ihrer Hauptbeschäftigung machte. Auf ein bestimmtes Genre lässt sich die Autorin nicht festlegen. Sie schreibt Kriminalromane, Frauenromane und Jugendthriller. Ihr Krimidebüt „Warten auf Poirot“ wurde erfolgreich fürs Fernsehen produziert und im ORF und ZDF ausgestrahlt. Sie lebt mit ihrem Lebensgefährten, zwei Kindern und einer Katze in Wien.


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ANNA ASCHACHER

Einsam Weiß jemand, wie spät es ist? Ach egal, ich weiß ja noch nicht mal, seit wann ich hier bin … würde mir also nicht wirklich weiterhelfen. Sie haben mich hier reingesteckt. Aber warum? Warum bin ich hier? Hab ich was falsch gemacht? Das wollte ich nicht! Ich wollte nichts falsch machen, ich wollte niemanden aufregen! Sind sie jetzt böse auf mich, so wie er oft böse auf mich war? Wollen sie, dass ich nicht aus meinem Zimmer rauskomme, bis ich herausgefunden habe, was ich falsch gemacht habe, so wie er es oft wollte? Wollen sie mich schlagen, so wie er es immer gemacht hat, damit ich mir merke, mich nicht mehr falsch zu benehmen? Verdammt, ich will duschen, ich fühle mich, als hätte ich in Schlamm gebadet. Außerdem würde ich die kalten Wasserstrahlen, die mich zum Zittern bringen, verdienen … oder ich würde die kochend heißen Wassertropfen

verdienen, die meine bleiche Haut verbrennen würden. Vielleicht wollen sie mich gar nicht schlagen … vielleicht wollen sie, dass ich das für sie übernehme. Manchmal wollte sogar er, dass ich das für ihn übernehme. Aber wie sollte ich das machen? Die Wände sind weich, und es sind keine Möbel in diesem Raum … ich sehe noch nicht mal, ob hier irgendwo eine Türklinke ist. Meine Fingernägel sind zu kurz, als dass ich meine Haut aufkratzen könnte, doch auch wenn sie lang genug wären, hätte ich noch immer diese blöde Jacke an, die mich einzwängt … vielleicht ist das ja meine Strafe ... Aber ich weiß immer noch nicht, was ich falsch gemacht habe! „Du machst immer irgendwas falsch, also hinterfrage mich nicht!“, schallt seine Stimme in meinen Ohren. ,,Du kannst sowieso nie was richtig machen, und das ist schon Grund genug, dich zu bestrafen! Du ruinierst alles, was du anfasst, du bist für nichts gut.“ Meine Hände sind mir vielleicht gebunden, aber das hält mich nicht davon ab, auf meiner Lippe zu kauen. Ich höre nicht auf, bis ich Blut schmecke und das bereits gewohnte Ziepen beginnt, doch ich lasse mich nicht davon abhalten, noch mehr auf meiner offenen Unterlippe zu kauen – ich verdiene es sowieso nicht anders. Irgendwann bemerke ich, dass eine Frau ins Zimmer gekommen ist. „Hallo. Ich bin deine Psychologin, Miss Jackson.“

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Anna Aschacher

Eigenartig, loyal, introvertiert


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Sterbebett

Anna Aschacher

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Das war’s dann wohl … toll. So hab ich mir mein Ende nicht vorgestellt. Was würde als Nächstes kommen? Himmel? Hölle? Nichts? Ein neues Leben? Scheol (Schattenwelt; Judentum)? Barzach (Zwischenwelt für Seele; Islam)? Nirwana? Irgendwas anderes? Wer weiß das schon? Was habe ich falsch gemacht, damit das alles so falsch läuft?! Ich kann mich nicht bewegen, aber es tut nicht weh. Ich weiß, dass ich angeschossen wurde, aber ich fühle es nicht. Jemand kommt humpelnd auf mich zu. Ich sehe Blutspritzer auf den dunkelgrauen Schuhen. Die Person kniet sich zu mir herunter. „Anthony? Anthony, kannst du mich hören?“ Die Stimme klingt so vertraut, so … jetzt hustet der Mann, keucht. Ist er auch verletzt? Er lässt sich neben mich fallen. „David“, stelle ich schwer atmend fest. „Schhh. Ist okay. Ist okay.“ Tränen strömen sein Gesicht hinab, als er versucht mich zu beruhigen. Der Gestank von Rauch und Kupfer benebelt meine Sinne, meine Sicht verschwimmt leicht, doch mir ist nicht schwindlig. Ich höre Schreie, Geschluchze, ich höre den Verkehr außerhalb, der Verkehr, der langsam zum Stillstand zu kommen scheint, die Schüsse sind wohl vor einigen Minuten verstummt. Ich höre Davids Schluchzer. „Tut mir leid“, wimmert er, als er einen Arm um mich legt. Vergeblich versuche ich meinen Kopf zu schütteln. „Nein … muss … muss es nicht“, versichere ich ihm. „Aber … wenn … wenn ich dich nicht überredet hätte mitzukommen, dann wär das alles nicht passiert“, meint er unter Tränen. „Falsch“, krächze ich,

„es wäre passiert, wir wären nur nicht betroffen.“ „Warum hier?“, ruft er, „hier sollte doch alles gut sein!“ „Hey … hey, hat – hat er dich getroffen?“, frage ich, als mir wieder schmerzlich bewusst wird, in welcher Situation wir uns befinden. „Nein … mir geht’s gut“, versichert er mir zögerlich. „Lügner“, stelle ich traurig grinsend fest. „Du kennst mich zu gut“, David lacht unter Tränen. „Deshalb wollte ich dich auch heiraten“, schluchze ich. Das kann ich jetzt wohl nicht mehr machen. Ich zucke zusammen, als ich mir langsam den Schmerzen in meiner Magengegend bewusst werde. Mit einem Mal ist es unerträglich, das eiskalte, weiße Brennen, das sich durch meinen Oberkörper frisst. Ich kralle mich mit einer Hand an Davids T-Shirt. „Schhh schhh. Die Krankenwägen sind bestimmt gleich da. Halt durch, okay?“, höre ich seine gedämpfte Stimme. „Ich … ich –“, fange ich an. „Ist okay. Ist okay. Entspann dich, Anthony“, beruhigt er mich. Er hat einen Fetzen auf meinen Bauch gedrückt. Farben tanzen vor mir, und ich habe Schwierigkeiten zu atmen. David verstärkt den Druck auf meinen Bauch. Seine Stimme zittert. „Okay. Okay. Komm jetzt, Tony, einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen …“ Ein stummer Schrei kommt mir über die Lippen. Es ist unerträglich, da ist ein LOCH in meinem Körper! Vielleicht sogar in einem Organ. Vielleicht sogar in mehreren. „Meine … meine Eltern –“, bringe ich unter Tränen hervor. „Ist okay, ist okay, ich sag’s ihnen“, versichert er mir. Er hat doch keine Idee, was ich wollte? Meine Eltern wissen nichts. Sie wissen nichts von meinem festen Freund beziehungsweise Verlobten, sie wissen nicht, dass wir in einer Schwulenbar sind, und sie haben auch keine Ahnung, dass ich schwul bin. „Tut – mir … tut – mir leid“, krächze ich. Ich begreife plötzlich, dass ich keine fünf Minuten mehr durchhalten werde. „Es ist okay, Tony. Es macht nichts. Wir sehen uns irgendwann wieder. Ruh dich aus“, höre ich meinen Verlobten schluchzen, als er mich näher an sich heranzieht. Das ist es dann wohl. Nicht nur für mich, sondern auch für mindestens 49 andere. Der letzte Tag unseres Lebens. Wir sterben an einem Ort, an dem wir eigentlich so sein können, wie wir wirklich sind, ohne verurteilt oder gar verletzt zu werden … tja, echt scheiße gelaufen. Wir sterben in einem Monat, der ganz wundervoll „pride month“ genannt wird. In einem Monat, in dem wir uns alle entfalten und stolz darauf sein sollten, wer wir sind, was wir sind und was oder wen wir lieben.


Die Leute sagen Angst ist schwarz, angsteinflößend und einengend. Ich sage Angst ist ein gleißend helles Weiß. Sie blendet und macht uns panisch, anders als Schwärze, die in angenehme Dunkelheit einlullt. Angst ist der Klebstoff, der die Zunge am Gaumen haften lässt. Angst hat auch viele andere Gesichter, kurzweilige Lähmung, Unfähigkeit zu denken oder übermäßige Produktivität und Elan. Angst lässt uns erhitzen, schwitzen. Angst lässt uns auch Scham fühlen. Scham, weil wir vor vermeintlich Ungefährlichem Angst haben. Angst ist blendend Angst ist lähmend Angst nimmt uns die Stimme Und doch ist Angst ein Teil unser aller.

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Anna Aschacher

Angst

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Simone Czipin

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SIMONE CZIPIN Kreativ, chaotisch, durchgeknallt

Aurora Schau in den Spiegel nicht hastig, nicht oberflächlich genau direkt in deine Augen in diese wunderschönen, dunkelbraunen Augen konzentriere dich ignoriere ihre Schönheit fühle nur den Hass all den Neid, die Eifersucht in diesen wunderschönen, dunkelbraunen Augen Hass auf das Mädchen, das in den Wald ging um nicht mehr zurückzukehren auch in ihren Augen liegt Schönheit doch dahinter kein Abgrund kein Hass, kein Neid, keine Eifersucht ihre Lippen rot wie Blut die Augen schwarz wie Ebenholz verschwunden hinter sieben Bergen deren Spitzen weiß vom Schnee weiß wie ihre Haut wie die Wand vor dir darauf der Spiegel

du befragst ihn nach Reichtum, Schönheit und Glück übersiehst den Abgrund in deinen Augen in diesen wunderschönen, dunkelbraunen Augen das Mädchen, das in den Wald ging um nicht mehr zurückzukommen verschwunden hinter sieben Bergen deren Spitzen weiß vom Schnee deren Wälder grünen wie der Apfel in ihrer Hand deren Flüsse gläsern wie ihr Sarg der Sarg des Mädchens, das in den Wald ging um nicht mehr zurückzukommen verschwunden hinter sieben Bergen die wahre Königin, vergiftet durch einen Apfel gefangen in einem gläsernen Sarg du hast dein Ziel erreicht blickst fest und stolz in deine Augen diese wunderschönen, dunkelbraunen Augen voller Hass auf das Mädchen, das in den Wald ging um nicht mehr zurückzukommen denn wenn jemand so abgrundtief böse ist sieht man das selbst im Spieglein an der Wand


Das Tagebuch

Doch das tut hier nichts zur Sache, ich merke wohl, dass ich vom Thema abschweife, obwohl ich mir dieses noch gar nicht vorgegeben habe. Vielleicht ist genau das der springende Punkt, vielleicht machen Gedanken, die keinem bestimmten Thema zuzuordnen sind, einen einfach auf Dauer verrückt, auch wenn ich mich selbst nicht so bezeichne. Aber wie immer im Leben bin ich nicht derjenige, der entscheiden darf,

Zugegeben, und dies ist eine kleine Korrektur zu meinem bisherigen themenlosen Gedankengang, die erklärt, warum mein Gehirn nicht richtig funktioniert, da es schließlich nicht Informationen an die Oberfläche lassen kann, die es gar nicht besitzt, ich habe dieses Buch nie gelesen. Wozu auch? Es hätte die grauen Wände um mich herum nicht verändert, hätte nichts daran geändert, dass mein Leben ruiniert ist. Schon wieder falsch gedacht. Mein Leben war schon ruiniert, als es begann, als meine Mutter beschloss, mich vor irgendeiner Haustür abzulegen und mich halb verhungern zu lassen. Woher ich das weiß? Tja, manche Dinge sind einem nun mal schmerzlich bewusst, ohne dass man sagen kann, warum. Meine bissige Art, die doch nur aus den gegebenen Umständen entstanden ist, hat den letzten Funken Hoffnung in meiner dunklen Welt gänzlich ausgelöscht und verhindert, dass ich mir selbst eine Existenz aufbaue, wenn auch in einem hässlichen Kinderheim, das, im Gegensatz zu dem Ort, an dem ich mich jetzt befinde, doch wenigstens ein Zuhause, einen Platz zum Leben für mich darstellte. Verzweifelt schließe ich die Augen, um die grauen Wände um mich herum nicht mehr sehen zu müssen. Ich sollte sie nie wieder öffnen, was mir wenigstens den Klang meines eigenen grässlichen Lachens ersparte.

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Auch wenn mein Gehirn mir den Namen des Autors dieses Werkes nicht mehr preisgeben will, so fühle ich mich doch von Idioten umzingelt. Und genauso heißt dieses Buch. Es muss Jahre her sein, seit ich es zuletzt gelesen habe, es kommt mir fast so vor, als hätte ich mich in einem anderen Leben damit beschäftigt.

das tun andere für mich. Hätte ich auch nur einmal die Chance gehabt, selbst zu entscheiden, so wäre ich gewiss nicht hier gelandet, so wäre mein bisheriges Leben gänzlich anders verlaufen, und, was ich an dieser Stelle besonders betonen möchte, so wäre ich jetzt nicht von Idioten umzingelt.

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Simone Czipin

Ich bin nicht der Mensch, der auf die Worte anderer zurückgreift, wenn er selbst keine passenden findet, doch bei gegebenen Umständen fürchte ich, muss ich meinen alten Vorsatz brechen und mich auf ein Buch beziehen, das meine Kindheit geprägt hat wie kein anderes.


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LISA DORNER Ehrgeizig, humorvoll, weltoffen

Lisa Dorner

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Alec und Jane Stechen. Rausziehen. Stechen. Rausziehen. Stechen. Rausziehen. Fallen lassen. Einen Schritt zurückgehen. Betrachten, wie das Blut tropft. Genießen. Es strömt aus ihrem makellosen Körper. Als würde all das Leid aus ihr fließen. Vielleicht sollte ich ihre Augen schließen, sie haben noch zu viel Leid in sich. Ich möchte das nicht sehen. Also nähere ich mich ihr wieder. Sie ist so wunderschön, wie sie da an die Wand gelehnt liegt, zu schlafen scheint und befreit ist von ihrem Leid. Ich habe ihr einen Gefallen getan, denn ich kenne sie. Ich kenne sie und ich weiß, dass sie so viel Leid nicht länger ertragen hätte. Also habe ich ihr einen Gefallen getan und sie erlöst. Sie wäre mir sicherlich dankbar, das weiß ich genau. Ich kenne Jane. Jetzt wirkt sie friedlicher, mit der Welt im

Reinen. Augen geschlossen, als würde sie schlafen. Schlafen, für immer schlafen. Eine merkwürdige Mischung aus Euphorie und Frustration breitet sich in mir aus. Was habe ich getan? Jane. Wie konnte ich dir das antun? – Nein, sie ist jetzt selig, erlöst von ihrem Leid. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht, denn jetzt ist sie glücklich, und ich bin derjenige, der sie glücklich gemacht hat. Ich habe es geschafft, ihr all das zu geben, was sie verdient hat: Frieden, Ruhe, Erlösung, Seligkeit. Ich habe ihr alles gegeben. Ich würde auch jetzt noch alles für sie tun, immer. Sie ist mein Leben, meine Liebe, meine Seele. Ich habe ihr alles gegeben, weil ich alles für sie tun würde. Würde sie das auch? Jane. Würde sie, so wie ich, versuchen, mich glücklich zu machen? Jane. Würde sie das für mich tun? Jane. Würde sie mich auch erlösen? Jane! „Jane, habe ich es nicht verdient? Jane, liebst du mich nicht so wie ich dich? Willst du mich etwa leiden sehen?“, ich schreie sie an. Sie antwortet nicht. Wieso antwortet sie nicht? Sie soll mir antworten! Ich will es von ihr hören, ich brauche das. Doch sie antwortet mir nicht. Sie liegt einfach da und schläft, ignoriert mich. „Jane!“ – keine Antwort. Sie soll endlich antworten! Hab ich ihr all das geschenkt, die Glückseligkeit und die Ruhe, ohne dass sie das Gleiche für mich


Was, wenn sie nicht schläft? „Jane, Jane, wach auf! Jane, schläfst du? Bist du tot?“ Überall Blut. Was ist hier passiert? Ich hätte es gleich sehen müssen, sie schläft nicht. Jemand hat ihr wehgetan. Nein, das kann nicht sein. Das darf nicht sein. Mein Leben, meine Liebe, meine Jane. Sie darf nicht tot sein. Wir müssen zusammen sein. Unser Leben gemeinsam meistern. Wir hätten alles durchstehen können. Das Leid zusammen ertragen und das Glück geteilt. Wir hätten es schaffen können. Wir gehören zusammen. Aber jetzt ist sie weg. Weg von mir, weg von unserem gemeinsamen Leben. Hätte ich das verhindern können? Ich hätte sie mehr beschützen sollen. Sie ist doch so kostbar, wie konnte ich sie nicht immer behüten? Meine Jane. Ich halte sie nun fest in meinen Armen, meine Jane. Sie soll für immer so bleiben. Plötzlich geht eine Tür auf und ein Mann tritt ein. Sein Blick schwirrt durch den Raum, bis er schließlich an Jane und mir haften bleibt. Er soll sie nicht ansehen, sie gehört mir. Seine Augen weiten sich, und er bleibt starr stehen. Uns immer noch fixierend, scheint er regungslos mit dem Boden

Vielleicht ist er der Untäter. Ich bin mir sicher, er hat es getan. Er hat sie getötet, meine Jane. Ich werde sie rächen, diesem Abschaum zeigen, was er verdient hat. Ich hebe also behutsam das Messer auf, das auf dem Boden liegt, und umschließe es mit einem festen Griff. Langsam gehe ich ein paar Schritte auf ihn zu, er rührt sich nicht. Meine Hände zittern, doch ich versuche, das zu unterdrücken. Ich muss jetzt stark sein, für sie. Nun stehe ich nur noch wenige Zentimeter von ihm entfernt, ich spüre seinen flachen Atem auf meinem Gesicht. Er widert mich an. Ich muss es jetzt tun, für Jane. Ich kann das tun, für Jane. Ein Schrei. Stechen. Rausziehen. Stechen. Rausziehen. Stechen. Rausziehen. Ich kann nicht aufhören, es ist wie ein Rausch. Ein Rausch aus Rache, Liebe und Vergeltung. Ich tue das für sie, ich kann nicht aufhören. Ich bin taub und blind und spüre nichts mehr. Stechen. Rausziehen. Stechen. Rausziehen. Mein Arm wird schwächer, und ich werde langsamer. Noch einmal: Stechen. Rausziehen. Alles, was ich jetzt höre, ist ein erbärmliches Röcheln. Ich spüre ein Zucken. Ich öffne meine Augen. Alles ist dunkel um mich herum, schwarz wie die Nacht. Etwas Warmes fließt meinen Körper entlang. Alles ist taub. Jane. Ich muss zu ihr. Ich möchte aufstehen, zu ihr gehen, ihr zeigen, dass ich sie gerächt habe. Meine Jane. Doch ich kann mich nicht bewegen. Ich spüre nichts, doch ich muss zu ihr. Ich muss zu ihr, ich muss zu ihr, ich muss zu ihr. Das Fließen hört nun auf, es wird langsamer und beginnt zu stocken. Ich kann nicht mehr richtig atmen. Mein Herz pocht nicht. Meine Lunge füllt sich nicht mit Luft. Alles ist taub. Ich kann mich nicht bewegen, aber ich muss zu ihr. Ich muss mich verabschieden, ihr sagen, dass sie es auch ohne mich schaffen kann. Wir gehören zusammen, wir dürfen nicht alleine sein. Aber sie ist stärker als ich, war sie schon immer. Sie kann das schaffen, ich muss es ihr nur sagen. Aber ich kann mich nicht bewegen. Ich will atmen, ich will aufstehen, ich will leben. Ich muss zu ihr.

Schreibakademie ST. PÖLTEN

Ausholen. Zuschlagen. Wach auf, Jane! Wach auf, und sag mir, dass du mich liebst. Dass ich alles für dich bin. Ausholen. Zuschlagen. Wach endlich auf! Doch sie wacht nicht auf. Wieso tut sie mir das an? Wieso schläft sie so?

verwurzelt zu sein. Er soll sie nicht ansehen, sie ist mein. Meine Jane. „Geh weg“, flüstere ich ihm zu. Er reagiert nicht. „Geh weg, verschwinde!“, noch immer keine Reaktion, er steht still wie eine Statue. Er will nicht gehen, er will stehen bleiben und sie anstarren, sie mir wegnehmen. Das darf er nicht, sie ist mein, mein allein. Also lege ich sie behutsam auf den kalten Boden. Er ist ihrer nicht würdig. Das macht mich traurig, aber ich muss sie jetzt beschützen. Beschützen vor diesem grässlichen Mann. Was, wenn er sie verletzt hat?

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Lisa Dorner

tun würde? Ich packe sie an den Schultern und rüttle sie. Sie soll aufwachen, mir antworten! Das Miststück soll antworten.


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CORINA FISCHER Neugierig, isst gerne, lacht gerne

Corina Fischer

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Die Liebe So rot wie die Rosen, so schwarz wie die Nacht. So warm wie die Sonne, so kalt wie der Schnee. Sie ist süß wie Schokolade, doch so sauer wie Zitronen. Sie ist weich wie ein Kätzchen, und doch so hart wie Beton. Es gibt Geschichten, ja sogar ganze Romane. Doch der einzig Wahre, der bist du.


„Da ist schon nichts!“, überlegte ich laut und versuchte, mich zu beruhigen. Doch mein Kopf war anderer Meinung. Und leider hatte er das Sagen. Langsam drehte ich mich um. Meine Hände – die ohnehin schon vom Regen nass waren – begannen nun zu schwitzen, als ich sie im Gebüsch entdeckte. Zwei grüne Augen, in denen sich Hunger und Not, aber auch Kraft spiegelten, blickten mich, versteckt hinter den Stauden, unverwandt an. Ich zitterte am ganzen Körper, meine Gedanken und Gefühle rasten. Soll ich davonlaufen? Doch wozu? Meine Familie hatte ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen, sie waren alle tot. Diese Erinnerung versetzte mir einen Stich im Herzen. Was hatte das Überleben noch für einen Sinn? Wofür lebe ich noch? „Für euch!“, schallte es in meinem Inneren. Meine Familie würde wollen, dass ich lebe! Ich nahm die Füße in die

Hand. Der Kopf des Raubtiers lugte aus dem Gebüsch. Ich lief und lief. An grauen Felsen, bunten Blumen, an vom Efeu überwucherten Bäumen und kahlen Stämmen vorbei. Dann gelangte ich an einen See. Mein Herzschlag raste, und meine Lungen pumpten Luft in mich hinein, was das Zeug hielt. Schnaufend blickte ich mich um. Das wilde Tier mit den leuchtend grünen Augen kam auf mich zu. Der Abstand zwischen uns verringerte sich auf zwei Meter. Was nun? Die Böschung, die hinunter zum Ufer führte, war vier große Schritte lang und sehr steil. Es kann sicher besser schwimmen als ich. Doch dann sprang ich. Was hatte ich auch für eine Wahl? Der Wind rauschte um meine Ohren, während ich auf das Wasser zuraste. Und dann Kälte. Dunkelheit. Ich paddelte wild mit den Armen. Das Raubtier flog direkt auf mich zu, als ich erschöpft und frierend den Kopf durch die Wasseroberfläche stieß und gierig den Sauerstoff in mich aufsog. Ich wollte wegschwimmen, doch es war zu spät. Hilfe!, war mein einziger Gedanke. Das riesige Tier landete auf mir und zerrte mich mit seinen messerscharfen Krallen in die Tiefe. Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Die Schmerzen, die mir die große Katze zufügte, waren unerträglich – ich will ja nicht wehleidig sein, aber das Vieh hatte mir meinen gesamten Rücken aufgerissen. Ich kämpfte darum, nicht das Bewusstsein zu verlieren. Meine Lunge schrie nach Luft. Alle meine Sinne waren nur mehr auf das eine gerichtet. Leben. Und das wurde mir gerade genommen. Das Raubtier zog mich ständig weiter nach unten in das dunkle, kalte, todbringende Nass. „Ich. Will. Leben!“, sagte ich mir wie ein Mantra. Langsam, ganz langsam verlor ich jedoch immer mehr von dem, was mich am Leben hielt. Mein Blut. Und Sauerstoff. Dann, irgendwann, fühlte ich nichts mehr. Wer bin ich? Es war dunkel. Aber was ist ‚dunkel‘? Besser gesagt: Was ist ‚hell‘? Ich weiß nicht, wie lange ich in diesem Zustand war. Plötzlich Wärme und eine Stimme, die sagt: „Schau mal, sie öffnet zum ersten Mal die Augen.“

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Corina Fischer

Es war kalt. Und es regnete. Überall waren Pflanzen und Bäume. Und Blumen und Blüten in jeder erdenklichen Farbe. Ich streckte meine Hände aus und formte sie zu einer Schüssel, um etwas von dem Regenwasser zu trinken. Plötzlich raschelte es im Gebüsch. Wobei es eigentlich dauernd, an sämtlichen Ecken – sofern es im Regenwald Ecken gab – raschelte und zirpte.

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Wiedergeburt


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Gloria Heimberger

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GLORIA HEIMBERGER Philosophisch, nerdig, wandelnde Datenbank

Philosophy Die Stimmen vergangener Epochen hallten in den Fluren. Die Unendlichkeit der Zeit wurde mit jeder Bewegung des Zeigers unwahrscheinlicher. Schließlich hatte doch alles ein Ende, oder? Die Bücher und Geschichten hatten ein Ende, die Schlaflieder und Kinderreime hatten ein Ende, Berge und Täler hatten ein Ende, sogar das Leben hatte ein Ende. Wie sollte man die Zeit, welche man auf dieser Welt verbringen durfte, nutzen, wenn man doch wusste, dass alles vergebens war? Kein Laut, kein Blick, keine Berührung, nicht einmal die Seele verweilte an diesem Platz. Es war umsonst, für die Katz, ohne Sinn und Logik. Das Leben hatte keinen Sinn, keine Logik, keinen Grund, keinen Wert, den man hätte messen können. Warum existierten die Menschen überhaupt? Warum schwirrten Gedanken durch ihre doch eigentlich recht hohlen Köpfe? Warum gab es

Hass und Liebe? Warum fühlte man sich so leer? Warum hatte der Schöpfer der Menschheit diese sich selbst überlassen? Es ergab keinen Sinn. Es war einfach so sinnlos. Aber weshalb hieß es dann immer, alles ergäbe einen Sinn? Weshalb beschäftigten sich seit Jahrtausenden Philosophen damit? Bisher hatten sie keine Antwort gefunden, und doch philosophierten sie weiter, im Glauben, eines Tages eine Antwort auf diese Frage zu finden. Warum gibt es Leben? Warum gibt es Tod? Es ergab keinen Sinn. Das Leben. Der Tod. Unschuldige Seelen wurden ihren Familien entrissen. Unschuldige Seelen, welche sich nie etwas zu Schulden hatten kommen lassen. Unschuldige Seelen, die die Welt hätten verändern können. Warum wollte der Tod gerade sie? Warum konnte er diese Seelen nicht verschonen und die wahrhaft Schuldigen zu sich holen? Es ergab keinen Sinn. Nichts ergab einen Sinn. Nicht einmal das Wort „Sinn“ ergab Sinn. Wörter waren im Allgemeinen seltsam. Waren sie doch nur eine Anordnung von 26 verschiedenen Buchstaben. 26 unterschiedliche geometrische Formen. Nicht mehr und nicht weniger. Es waren einfach nur Striche und Bögen auf einem Blatt Papier, einer Steintafel, einer Metallplatte, oder, um Gottes Willen, auch auf der Haut eines Lebewesens. Es ergab keinen Sinn. Die Anwesenheit von Ärzten und Krankenschwestern ergab keinen Sinn. Die blutbefleckte Kleidung ergab keinen Sinn. Die Fesseln ergaben keinen Sinn. Die Toten ergaben keinen Sinn. Aber was in aller Welt ergab schon Sinn?


Painted Wings

Doch war er momentan an diesen Ort gebunden, wartete und musste Geduld beweisen, um nicht den Verstand zu verlieren. Schon zu lange quälte ihn das Warten, dagegen tun konnte er nichts. Schließlich war er ein zumeist höflicher Zeitgenosse und nahm Rücksicht auf seine Gefährten, gelegentlich auch auf völlig Fremde. Seinen Feinden jedoch lehrte er nur allzu oft das Fürchten. Anders als der Großteil der männlichen Bevölkerung scheute er nicht davor zurück, Emotionen zu zeigen. Die Mühe, seine Stimmungen zu verbergen, machte er sich nicht, weshalb auch? Sollten sie seine Gefühle doch sehen, wenigstens würden sie endlich Abstand halten. Denn er war kein besonders geselliger Erdenbürger. Große Menschenmengen mied er weitgehend, der Kreis seiner Vertrauten war äußerst klein und überschaubar. Lediglich zwei junge Leidensgenossen konnte er als seine Gefährten bezeichnen. Sie waren ebenso Ausgestoßene, geächtet von der Gesellschaft und verurteilt für ihre Besonderheit, für ihre Fähigkeiten, ihre Kräfte, ihre Gaben.

Ein lautes Pfeifen signalisierte das Ende der Warterei. Abrupt wandte er sich der Quelle des Geräusches zu. Seine haselnussbraunen Augen folgten dem Schatten zweier Gestalten, welche sich ihm allmählich näherten. Jedoch blendete ihn die Sonne, versperrte ihm die Sicht. „Ach, komm schon, du weißt sowieso, dass wir es sind!“, lachte einer der beiden Fremden, nachdem er die Hand vor sein Gesicht gehalten und so der Sonne Einhalt geboten hatte. Augenblicklich verbreiterte sich das Grinsen, er sprang vom Rande des Brunnens und stapfte zu den zwei Gestalten.

It’s Over When It’s Over Vorbei. Es ist vorbei, wenn’s vorbei ist. Und nun war es vorbei. Sein Leiden, sein Leben. Er würde für all die Taten, welche er begangen hatte, büßen, für all die Toten, all das Blut, all den Schmerz. Er würde für jeden einzelnen Schuss, jeden einzelnen Treffer, büßen. Für jeden Moment, in welchen er es wagte, sich gegen die Autorität zu richten, zu rebellieren, jegliche Befehle infrage zu stellen. Er war nichts. Nur ein Name auf einer Akte. Nur ein unbedeutender, kleiner Junge. Ein Kind. In den Augen seiner Mutter jedoch war er ein Held. Ein Held, der ein besseres Schicksal, einen besseren Tod, verdient hatte. Er hallte in seinen Ohren, der leidvolle Schrei seiner Mutter, als das warme Blut seine eiskalte Haut benetzte. Der Schmerz schimmerte in ihren hellen, schwarz umrandeten Augen. Die salzigen Tränen bahnten sich ihre Wege über ihre bleichen Wangen. Sie streckte ihm ihre Hand entgegen, versuchte, die seine zu ergreifen, doch packten sie die finsteren Gestalten, zerrten sie fort. Ihre Stimme verstummte. Sein Blick war auf den Boden gerichtet, auf Peggy. Seine treue Gefährtin. Sein ein und alles. Seine Peggy. Sie hatten ihm alles genommen. Seine Kindheit. Seine Zukunft. Seine Mutter. Sein Leben. Und sie würden es büßen. Sie würden für all die Taten, welche sie begangen hatten, büßen, für all die Toten,

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Die schillernde Couleur seiner Federn tanzte auf der Oberfläche, ließ ein prächtiges Farbenspiel erscheinen. Gedankenverloren und doch ein verschmitztes Grinsen auf den Lippen, starrte er in den Himmel, beobachtete den Flug der Vögel. Sie erweckten eine starke Sehnsucht in dem Jungen, die Sehnsucht nach Freiheit.

Kaum ein anderer besaß solch große Macht, mit ein Grund für ihre Einsamkeit. Denn die Menschen hatten Angst vor ihnen, vor der Gefahr, die sie darstellten. Die drei ersten und einzigen ihrer Art. Sie waren ihrem Schicksal ausgeliefert, waren auf sich allein gestellt. Es war Fluch und Segen zugleich.

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Gloria Heimberger

Der Schatten seiner Flügel spiegelte sich im klaren, kühlen Wasser des Steinbrunnens.


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all das Blut, all den Schmerz. Sie würden für jeden einzelnen Schuss, jeden einzelnen Treffer, büßen. Für all jene Momente, in denen sie es wagten, sich gegen ihn zu richten, und versuchten, sein Leben zu bestimmen, ihm Befehle zu geben.

Gloria Heimberger

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Sie waren nichts. Nur ein Name in einem Buch. Nur eine unbedeutende Ansammlung von herrschsüchtigen, machthungrigen Männern. Idioten. Er holte aus, grub seinen Ellbogen tief in seinen überraschten Hintermann, der stöhnend zusammensackte. Ohne auch nur einen Gedanken zu verschwenden, griff er nach seiner Peggy, entsicherte sie, setzte dem Leben des Häufchen Elends vor ihm ein Ende. Sie waren dumm gewesen, die Munition an ihrem Platz gelassen zu haben. Allerdings war dies nichts Neues, schien doch der Großteil ihrer Schergen aus Minderbemittelten zu bestehen. Ein Grinsen auf den spröden Lippen, trat er neben den Toten, bediente sich an dessen spärlichem Waffenarsenal. Die Walter PPK fand in seiner Hosentasche Platz, während er das Bajonett an seinem schwarzen Ledergürtel befestigte. Kopflos stürmte er durch die zerkratzte Holztür, hinter welcher ihn sein Schicksal erwartete. Vorbei. Es ist vorbei, wenn’s vorbei ist. Und nun war es vorbei. Sein Leiden. Sein Leben.

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CARLA PATTERA Kreativ, klavierspielend, katzenliebend

Isoliert

Im Irrenhaus bin ich. Obwohl ich immer ein ganz normaler Mensch war; ohne jegliche Probleme. Bis meine Mutter starb … doch sie starb nicht

einfach nur. Nein, ich sah zu, wie sie gefoltert, geschlagen und angeschrien wurde. Dieses Angeschrienwerden, dieses Schreien, das ist überhaupt das Schlimmste von allem gewesen. Ich hasse Schreien, und doch ist es die einzige Freiheit, die mir noch bleibt. Das Leben ist sinnlos, seit es meine Mutter nicht mehr gab. Immer noch kann ich mich an das Schreckensbild erinnern, kann hören, wie sie um Hilfe ruft, doch ich habe ihr nicht helfen können. Und nun sitze ich hier und schreie. Suche nach Gegenständen, um mich umzubringen, doch der Raum besteht nur aus vier Wänden. Ein mickriges Licht lässt mich meine blutüberströmten Fäuste sehen, die Schläge, die ich mir mit ihnen zufüge, spüre ich kaum. Ich schlage nur immer weiter, und niemand hört es, und ich schlage und ich schreie und niemand kommt, um mir zu sagen, dass ich schon längst tot bin.

Carla Pattera

Ich schreie. Schreie hinein in einen Raum, wo mich niemand hört. Dort zu sein, wo ich nun bin, ist eigentlich immer schon mein Albtraum gewesen, doch nun ist er Wirklichkeit geworden. Und alles nur, weil ich immer schon geschrien habe, innerlich. Und nie hat mich jemand gehört, das ist es, was mich verrückt gemacht hat. Ewiges Schreien, ohne wahrgenommen zu werden.

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Das weiße Kleid

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Es geschah eines Nachts. Ich besuchte meine tote Schwester auf dem Friedhof. Sie war vor Jahren auf eine schreckliche Weise gestorben, man fand sie im Wald, grausam ermordet, auf. Doch das ist eine andere Geschichte …

Carla Pattera

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Ich setzte mich an ihr Grab und betete. Wie jede Nacht, wenn Vollmond war. Doch als ich meine Taschenlampe diesmal auf ihren Grabstein richtete, kam mir eine Idee. Heute, genau heute, wollte ich meine Schwester endlich wiedersehen. Aus einem Schuppen am Friedhofsgelände holte ich mir einen Spaten und fing an zu graben. Ich wusste nicht, ob ich wirklich erwartete, etwas dadurch erreichen zu können, wusste auch nicht, in welchem Zustand sich der Körper meiner Schwester überhaupt befinden würde, doch nach stundenlanger Arbeit stieß ich endlich auf etwas Hartes – ihren Sarg. Bevor ich ihn öffnen konnte, griff plötzlich eine Hand nach meiner Schulter. Ich drehte

mich vorsichtig um, ganz langsam; auf meiner Stirn bildeten sich Schweißtropfen. Nun sah ich sie. Meine lebendige Schwester. Sie sah heruntergekommen aus. Aber nicht verwest, als wäre sie jahrelang unter der Erde gelegen, sondern eher so, als hätte sie monatelang im Wald gehaust. „Ich freue mich, dass du jedes Mal bei Vollmond herkommst und für mich betest“, flüsterte sie mit eigenartiger Stimme, die mich schaudern ließ. „Doch heute Nacht hast du meinen Körper befreit, jetzt werde ich wieder in ihn einziehen können. Bisher habe ich dich nur als Engel beobachten können, und ich habe dich nie eine Sekunde aus den Augen gelassen, doch nun werde ich überhaupt nie wieder von deiner Seite weichen, wir werden für immer zusammen sein.“ Ich bekam plötzlich Angst. Sie hatte mich immer beobachtet! Ein verstörendes Gefühl. Erst starrte ich sie nur an, dann rannte ich davon. Ich hörte, wie sie mir mit dieser hauchigen Stimme hinterherrief: „Wenn du das weiße Kleid siehst, wirst du sterben, und wir können für immer zusammen sein!“ Atemlos kam ich zu Hause an, starrte panisch auf meine verdreckte Kleidung. Meine Mutter würde Fragen stellen, wenn sie mich so sah. Schnell lief ich die Treppe hinauf in mein Zimmer und öffnete den Schrank, um mir frisches Gewand zu nehmen – doch als ich zu meinen T-Shirts greifen wollte, hielt ich auf einmal ein weißes Kleid in meinen zitternden Händen …


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SARA SENIC Empathisch, humorvoll, hilfsbereit

Das letzte Mal

Dann erzählte ich noch von seinem Charakter. Ich beschrieb ihn

in all seinen Einzelheiten, sodass die Freundin, die mir zuhörte, obwohl sie ihn nicht gekannt hatte, galaxientief in seine Seele blicken konnte. Er faszinierte sie, das konnte ich an ihrem Blick erkennen. Er war ein Mensch, außen und innen so schön, dass er daran zerbrochen ist. Zu viel hat er für andere empfunden, zu viele Sorgen um all seine Lieben sich gemacht. Irgendwann konnte er nicht mehr … Ich verstand das, und ich verstand ihn, und ich liebte ihn. Noch immer. „Ich wünschte, ich hätte ihn gekannt. Es scheint so, als ob es ein Privileg gewesen ist, ihn kennen zu dürfen. Ein ganz besonderer Mensch“, sagte die Freundin. „Hüte die Erinnerung an ihn wie einen Schatz.“ Ich dachte viel über diese Worte nach, und schließlich begriff ich. An diesem Abend ging ich mit einem Lächeln zu Bett. Ich würde niemals wieder über ihn sprechen.

Sara Senic

Ich saß wieder vor ihr mit einem traurigen Lächeln auf meinen Lippen und erzählte von ihm. Von seinen Augen, die nun niemals wieder funkeln würden, dabei hatten sie mich bis vor Kurzem noch täglich betrachtet und mir das Gefühl gegeben, geliebt zu werden. Ich sprach über seine Lippen – die ich nun niemals wieder auf meinen spüren würde –, über die immer gewählte und liebliche Worte kamen, die ich nun niemals wieder hören würde. Seine Augen waren nun geschlossen, und sie würden Teil für Teil verschwinden, genauso wie seine Lippen und der ganze Rest seines Körpers.

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Ihr verlorener Verstand

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Liebster Alec,

Sara Senic

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du hast mich am Anfang geliebt, weil du fasziniert von mir warst. Du warst verzaubert von der Art, wie ich meine Gefühle für dich beschrieb und sie dich spüren ließ. Du warst hingerissen von dem Blick, mit dem ich dich ansah, dem Leuchten und Feuer in meinen Augen. Die Haltung, mit der ich auf dich zuging, meine Hüften von Seite zu Seite schwingend, erregte dich. Ich machte dich sprachlos. Am Anfang. Bis du begonnen hast, dich an meinen Körper und meine Seele zu gewöhnen. Ich werde dich niemals für selbstverständlich nehmen und immer verzaubert von dir sein. Du wirst niemals von mir vergessen werden, selbst wenn du mich nie mehr wieder lieben solltest. Ich wäre das Letzte, das du jemals verlieren würdest, und meine Liebe ist dein, solange ich lebe. Deine Jane

Immer wieder derselbe Fehler, dabei will ich Jane so sehr. Doch anstatt es ihr zu zeigen, es sie fühlen zu lassen, so wie sie es verdient hätte, werde ich immer kälter ihr gegenüber. Weshalb kann ich mit meinen Gefühlen nicht umgehen, sobald sie in meiner Nähe ist? Ich verliere dann jeglichen Verstand. Sie soll nicht sehen, wie sehr sie mir den Kopf verdreht und wie sehr allein schon ihre Anwesenheit mich völlig benommen macht. Die Erinnerung, wie sie auf mich zuging und dabei ihre Hüften mit solch einer Leichtigkeit von Seite zu Seite schwang, wie ihre Augen aufleuchteten, sobald sie die meinen trafen und im selben Moment ein zauberhaftes Lächeln ihre Lippen schmückte, wiederholt sich unzählige Male in meinem Kopf. Wenn es eine Person auf dieser Welt gibt, die es verdient hat, perfekt genannt zu werden und ihr jeden Wunsch zu erfüllen, dann ist sie es – und ich bin nicht der Einzige, der das erkennt. Sobald sie einen Raum betritt, steht jeder auf, alle wollen mit ihr reden. Ihr Inneres ist ebenso atemberaubend wie ihr Äußeres, und sie ist ohne Wenn und Aber makellos. Ich liebe sie, doch sie verdient jemanden Besseren. Es wäre selbstsüchtig von mir, wenn ich zulassen würde, dass sie sich noch länger mit mir abgibt. Wer bin ich schon? Ich bin so klein im Vergleich zu ihr, und sie wird das auch noch einsehen und mich dann niemals wieder so ansehen. Ich werde für sie nichts sein, sobald ich mich ihr vollkommen offenbart habe. Deshalb wollte ich, dass alles blieb, wie es war. Ich wollte, dass sie in mich verliebt ist, ohne dass ich ihr meine Faszination für sie zeige. Anfangs tat ich es, doch dann begann ich mein Spiel, war abwechselnd warm und kalt zu ihr und erlaubte es ihr dadurch, weder von mir loszukommen noch mich so kennenzulernen, dass sie jegliche Zuneigung verloren hätte. Sie spricht von mir, als hätte ich die Sterne auf den Nachthimmel gehängt, als wäre ich ein Held, als wäre ich alles, was ich immer sein wollte. Ihre Augen funkeln, wenn sie meinen Namen hört. Es erscheint ihr unmöglich, sich von mir loszureißen und ich weiß das und ich lasse es zu. Ich will ihre Leidenschaft in all ihren Einzelteilen spüren und sehen. Ich kann die Formen ihrer Begierde fühlen. Sie will zurück in die Zeit, in der ich mich ihr ebenso hingab.


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GEMEINSCHAFTS ARBEITEN

Autorinnen: Lisa Dorner, Sara Senic und Gloria Heimberger Langsam löste sich das kleine Plättchen auf ihrer Zunge auf und ein bitterer Geschmack erfüllte ihren Mund. Als die Minuten verstrichen, merkte sie, wie sich ein seltsames Gefühl in ihrem Bauch breitmachte. Es war, als würde ein Teil ihres Unterbewusstseins, den sie zuvor nicht wahrgenommen hatte, langsam von ihr Besitz ergreifen. Dieses Gefühl, das etwas war, was sie weder beschreiben noch fühlen konnte, sondern nur in den Schatten am Rande ihres Bewusstseins tanzte und sich ihr noch nicht zeigen wollte, versetzte sie in Aufregung. Als das LSD nun begann, seine Wirkung zu entfalten, war es, als hätte sie plötzlich den HD-Knopf gedrückt, sie hatte die Welt noch nie so gesehen, die Grashalme am Rande der Terrasse

begannen sich zu bewegen, und sie begann sich zu fragen, ob das der Wind oder ihr Kopf war. Ein mysteriöses erwartungsvolles Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, und das Adrenalin, das in diesem Moment ihren Körper durchfuhr, ließ sie kurz erzittern. Die Baumreihe in der Ferne verschwamm zu dunklen Schemen, die sich pulsierend bewegten, die Sterne strahlten so hell wie noch nie, und eine rötliche Aura umgab jeden von ihnen. Die wenigen Wolken, die das Mondlicht ihr zeigte, wurden unscharf und begannen, Formen anzunehmen. Sie ließ sich auf den Boden sinken, um sich ganz den Wolken zu widmen, die nun begannen, sich kaleidoskopartig zu bewegen. ,,Seht ihr das auch …?‘‘, fragte sie mit zittriger Stimme in die Runde, woraufhin vier weit aufgerissene Augenpaare sie fixierten, von denen außer schwarz nicht viel zu sehen war. ,,Was meinst du Lea?‘‘, fragte Isabell, ihre älteste Freundin. ,,Das alles – einfach alles ist … ist so lebendig … ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll –.“ Jakob schenkte ihr ein Lächeln und meinte nur ruhig: ,,Ja, ziemlich sicher sogar, wir alle wissen, wie du dich fühlst, Schatz.‘‘ ,,Beim ersten Mal flasht es einen immer am meisten ...‘‘, merkte Simon geistesabwesend an, den Blick in den Himmel gerichtet.

Gemeinschaftsarbeiten

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Freunde


,,Schließ doch mal die Augen, dann fällt der Sinn weg, und alles, was du siehst, kommt vom Acid, vertrau mir‘‘, sagte Mario. Auch er starrte weit in die Ferne, doch Lea spürte, dass es bei ihm andere Gründe dafür gab als das LSD.

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Sie wollte seinen Rat ignorieren, jedoch erschien es ihr in diesem Moment sehr sinnvoll, ihren Augen eine kurze Pause zu gönnen, deshalb legte sie ihren Kopf auf Jakobs Schoß und tat genau das.

Gemeinschaftsarbeiten

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Zuerst war es einfach nur dunkel, dann begann das Licht der Sterne durch ihre Augenlider zu dringen, worauf sie sich voll und ganz einließ. Ihr Kopf schien davonzuschweben, sie ließ ihrer Fantasie freien Lauf. Anfangs entstanden nur geometrische Formen, die sich auf die verschiedensten Arten um- und ineinander verdrehten. Aus ihnen begannen, Formeln wie aus der Chemie zu entstehen, die kurz darauf ihr ganzes Gesichtsfeld füllten. Es ergab Sinn, für einen Augenblick glaubte sie, alles zu verstehen. Dann setzte die Panik ein. Sie spürte, wie es in ihrer Brust zu ziehen begann, und schlagartig änderte sich ihre Stimmung, sie riss die Augen auf und rang nach Luft. ,,Schiebt da wer ’nen Horrortrip?‘‘, fragte Simon keck. ,,Alles okay bei dir?‘‘, wollte Isabell wissen. ,,Es fühlt sich so komisch an, das Gefühl ist so …‘‘, Leas Stimme brach ab, eine noch nie dagewesene Angst nahm sie ein. ,,Hey, keine Sorge, das ist ganz normal, mach dich nicht fertig. Positiv denken, dir kann nichts passieren, bilde dir das nur nicht ein“, sagte Jakob. ,,Ja, wenn du einfach entspannt bleibst und dir klarmachst, dass du auf einer stark psychoaktiven Substanz bist, verfliegt das Gefühl. Es ist nur dein

Unterbewusstsein, das dir einen Streich spielt‘‘, versuchte Mario, sie zu beruhigen. ,,Der bringt dich etwas runter‘‘, meinte Jakob und reichte Lea einen Spliff. Sie nahm zwei Züge, worauf ein hysterisches Husten folgte, doch die Explosionen der ersten aufsteigenden Raketen übertönten es und lenkten die Aufmerksamkeit aller Freunde auf sich. Minutenlang konnte Simon seinen Blick nicht von der farblichen Explosion, die den ganzen Himmel erfüllte, abwenden, erst nach gefühlten drei Stunden, die in Wahrheit circa 20 Minuten waren, begann in die am Boden sitzende Gruppe wieder Leben einzukehren. ,,War das nicht der Wahnsinn, Schatz? Frohes Neues‘‘, Jakob lehnte sich zu der immer noch am Boden liegenden Lea hinüber, die zu schlafen schien. ,,He, wach auf, du hast das Beste verpennt, du Nudel!‘,‘ er stupste sie an. Als jedoch keine Reaktion kam, begann er, unruhig zu werden. ,,Simon! Hast du so was schon mal erlebt?‘‘, rief er und winkte Simon, den selbsternannten Tripsitter und erfahrensten von ihnen, zu sich. Leicht genervt wandte der den Blick von dem bunten Farbenspiel ab: ,,Die hat nur ein bisschen Panik, komm mal runt…‘‘ Er verstummte abrupt, als er die regungslose Gestalt am Boden liegen sah. Wie ausgewechselt sprang er plötzlich auf und sprintete zu ihr hinüber, fühlte ihren Puls und legte ein Ohr auf ihren Mund. Er erstarrte, seine ohnehin schon riesigen pechschwarzen Augen weiteten sich, so unmöglich es auch schien, noch mehr. Er wollte etwas sagen, doch seine Stimme spielte nicht mit. ,,Sie … sie … atmet nicht –‘‘, presste er heraus. Sofort brach unter allen Beteiligten Panik aus. Simon startete eine Herzmassage, Isabell begann hysterisch zu schreien, woraufhin Mario sie in den Arm nahm und festhielt, während Jakob wie aus allen Wolken gefallen dasaß, nicht fähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Als es ihm endlich halbwegs gelang, sich in den Griff zu bekommen, keuchte er: „Ich ruf die Rettung.“ Mit zitternden Fingern angelte er nach seinem Handy. ,,So leid es mir tut –“, Simon brach ab, sammelte sich kurz und versuchte es dann erneut ,,Ich … ich glaube, dafür ist es zu spät.‘‘ Jetzt verlor Jakob total die Fassung, und auch Isabells Schluchzen verwandelte sich in einen regelrechten Heulkrampf. Jakob war blind vor Wut, mit zittriger Stimme schrie er Simon an: ,,Du meintest, so was könnte nicht passieren! Was ist mit ihr? Hat sie eine Überdosis erwischt? Wieso hörst du mit der Wiederbelebung auf? Mach doch was! Das ist alles deine Schuld!“ ,,Was? Sag mal, spinnst du?! Wieso ist das meine Schuld? Sie hat keine Überdosis, das geht gar nicht, wir hatten alle nur eine Portion!‘‘


Simon stellte sich dem auf Isabell zustapfenden Jakob in den Weg und unternahm einen letzten Versuch, die Situation noch unter Kontrolle zu bekommen: ,,Es reicht jetzt, es wird Zeit, die Polizei zu rufen, bevor es hier vollends eskaliert. Die werden den Verdacht gegen Isabell aufklären und feststellen, ob es nicht vielleicht sogar ein natürlicher Tod war.‘‘

Simon griff nach dem erstbesten Handy, beschloss jetzt konsequent zu sein und die Polizei zu rufen. Er entsperrte es, was ihm als iPhone-User sehr schwerfiel, da ihm das andere Betriebssystem äußerst kompliziert erschien. Nach einigen verwirrten Klicks schaffte er es, das Telefonbuch zu öffnen, wobei er überrascht feststellte, wie viele Anrufe der Besitzer des Handys an Lea getätigt hatte, was nicht allzu verwunderlich war, da es ja Jakobs Handy war, oder? Langsam entfernte er sich von der Gruppe, um dem Verdacht, der sich langsam in ihm aufbaute, nachzugehen. Das Handy gehörte nicht Jakob, sondern Mario, er merkte, wie er immer unruhiger wurde. Schnell öffnete er die Nachrichten, klickte auf den Chat mit Lea und überflog das Geschriebene. ,,Wir müssen reden wegen letzter Nacht – alles ein Fehler – Jakob nicht erfahren – Sag es ihm auf keinen Fall – Ich muss –.“ Plötzlich stand Mario vor ihm: ,,Was tust du da?‘‘ ,,Die Polizei rufen, hab ich ja gesagt“, gab Simon zurück, der noch nicht ganz wahrhaben wollte, was er da gerade gesehen hatte. ,,Mein Akku ist bald leer, mach das mit Jakobs Handy“, knurrte Mario und entriss ihm das Telefon. Mit Jakobs Handy rief Simon endlich die Polizei, und während er ruhig auf das Eintreffen der Ordnungshüter wartete, bereitete er sich darauf vor, diese schnellstmöglich ins Bild zu setzen. Ein Bild, das bisher nur er vor Augen gehabt hatte. Was zur Abwechslung nicht an einer bewusstseinsverändernden Substanz lag.

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Abrupt hörte Isabells Geschrei auf, das mittlerweile Tierlauten geähnelt hatte. ,,W... was? Wieso? Aber nein, wie – wie kommst du – bist du jetzt vollends … was?‘‘ Ihre verheulten Augen weiteten sich immer mehr, und blankes Entsetzten war ihr ins Gesicht geschrieben. ,,Plötzlich scheint dich der Tod deiner besten Freundin nicht mehr so zu treffen‘‘, setzte Mario nach. ,,Stimmt das? Warst du’s wirklich? Bist du wahnsinnig? Wie kannst du nur!?‘‘, schrie Jakob sie an. Sie waren jetzt nur noch wenige Schritte voneinander entfernt, und er verkürzte die Distanz stetig.

,,Ihr denkt doch nicht wirklich, dass ich so etwas tun könnte? Seid ihr verrückt? Wieso sollte ich das tun, auch wenn ich Jakob mag, so was würde ich meiner besten Freundin doch niemals antun!‘‘ ,,Sie gibt es also sogar zu, damit hat sie ein klares Motiv!“, stellte Mario fest.

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Gemeinschaftsarbeiten

Jakob machte einen Satz auf Simon zu und packte ihn an der Jacke. ,,Ohne dich hätten wir das doch alle niemals probiert … du bist schuld!‘‘ Er schrie mittlerweile aus voller Kehle. Mario stellte sich plötzlich zwischen die beiden. ,,Lasst den Scheiß, es bringt doch nichts, niemand ist schuld, und niemand von uns kann gerade klar denken, überlegt lieber, ob ihr noch irgendetwas für Lea tun könnt, bevor ihr euch die Köpfe einschlagt.“ ,,Vielleicht warst du’s ja, Mario – dass du in sie verliebt bist, ist ja ein offenes Geheimnis …‘‘, meinte der in die Ecke gedrängte Simon. ,,Ja, bevor ich sie nicht haben kann, bring ich sie lieber um, genau! Da würde es doch mehr Sinn machen, wenn Isabell sich ihre Konkurrentin aus dem Weg räumt, weil sie Jakob immer schon für sich alleine haben will …‘‘, zischte Mario zurück.


Aufgabenstellung: Die Teilnehmenden sollten ihre Augen für ein paar Minuten schließen, um ihre Fantasie noch intensiver anzuregen. Die Aufgabe war, sich in einen Jugendlichen hineinzuversetzen, der eine tiefe Sehnsucht verspürt – egal, wonach. Danach sollten die Ideen in einem Gemeinschaftstext niedergeschrieben werden. Man einigte sich darauf, dass man die Sehnsüchte eines Burschen beschreiben wollte.

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Kinder Gottes

Sara Senic

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Die Sonne schien ihm warm auf den Bauch, und fast hatte er das Gefühl, darin würde sich etwas bewegen. Vorsichtig strich er mit der Hand über die sanfte Wölbung unter seiner Haut und fragte sich zum wiederholten Male, ob Maria die einzige und letzte Jungfrau gewesen war, die ein Kind bekam. Klar, rein biologisch war eine Schwangerschaft ohne Sex unmöglich, erst recht wenn man ein Junge war. Simon seufzte tief, zog sein ausgeleiertes T-Shirt wieder über den Kopf und schaltete seinen Laptop ein. Wenn seine Eltern wüssten, dass er jetzt schon als Teenager gerne ein Kind hätte … er wollte gar nicht darüber nachdenken, wie sie reagieren würden! Er wusste, er müsste zuerst seine Matura schaffen und ein sicheres Einkommen haben, bevor es klug wäre, Kinder zu bekommen. Aber wie würde er das anstellen? Adoption kam für ihn nicht infrage. Er wollte einen kleinen Menschen in die Welt setzen und großziehen … dieser Mensch sollte ein Teil von ihm sein. Er hatte enorme Sehnsucht nach Liebe, doch war es niemandem möglich, ihm diese Liebe zu geben. Einsamkeit war sein stetiger Begleiter, sein einziger Freund, doch in naher Zukunft würde sich alles ändern. Und er hatte schon einen Plan. Samenspende. Im Internet hatte er sich schon dafür angemeldet. Da stand es auch schon, das Paket mit den Samen eines anderen Mannes. Er wusste auch schon, wie er das anstellen würde.

Doch zuerst öffnete er es. Darin war ein Reagenzglas, voll mit einer weißen Flüssigkeit. Schnell nahm er sie, öffnete sie und zog sich aus. Simon schlug die Augen auf und schaute sich verwundert um. Sein Kopf schmerzte schrecklich, und ihm war so schwindelig, dass er keine Möglichkeit sah aufzustehen. War er jetzt tatsächlich über seinem Wunschtraum, ein Kind zu bekommen, eingeschlafen? Das konnte doch nicht wahr sein! Und die Gedanken, die ihm kurz vor dem Einnicken durch den Kopf gegangen waren, waren so dumm, dass er an seiner eigenen Intelligenz, die laut seiner Eltern weit über dem Durchschnitt lag, zu zweifeln begann. Als ob er, Simon, durch eine Samenspende schwanger werden könnte! Allerdings würde er dafür töten, das Kind in sich selbst wachsen zu lassen! Wäre es möglich, sich einer kompletten Geschlechtsumwandlung zu unterziehen? … Würde er es vermissen, ein Junge zu sein? Vermutlich. Außerdem würde ihn eine Geschlechtsumwandelung zwar ein Stück näher an sein Ziel bringen, jedoch müsste er seine eigene Identität komplett aufgeben, was ein ziemlich unangenehmer Gedanke war. Aber selbst wenn er damit zufrieden wäre, ein Mädchen zu sein, könnte er jemanden finden, der ihn liebte und sich ein Leben mit ihm vorstellen konnte und wollte? Er selbst zweifelte zwar daran, doch wie hieß es nicht … Alles ist möglich, Lotto! Moment … er hatte schon wieder zu viel Zeit vor dem Fernseher verbracht. Ob das viele abendliche Fernsehen ihn dazu gebracht hatte, sich mit 15 ein Kind zu wünschen? Nein, das war unmöglich, schließlich schaute er nur Action-Filme. Also musste sein Wunsch, schwanger zu werden, irgendwo anders herkommen. Vielleicht von seiner unendlichen Sehnsucht nach Liebe, die ihm scheinbar niemand geben konnte. Möglicherweise hatte auch Gott etwas damit zu tun. So unwahrscheinlich war dieser Gedanke gar nicht. Maria hatte ihr Kind schließlich auch von Gott bekommen, er hatte es quasi in ihr gezeugt und seine Engel zu ihr bestellt, um ihr dies auszurichten. Ob Maria das Kind gewollt hatte? Wenn nicht, hatte Gott sie ja quasi vergewaltigt, was, wenn Simons Wunsch tatsächlich von Gott käme, bedeuten würde, dass dieser ihn gerade auch vergewaltigte. Simon starrte, von seinen eigenen Gedanken schockiert, auf seinen Bauch und wünschte sich, nie geboren worden zu sein.


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WAIDHOFEN/YBBSTAL Klasse Herbert Pauli

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TEILNEHMENDE Theresa Elsner Paul Kerschbaumer Carla Riegler


Schreibakademie WAIDHOFEN/YBBSTAL

SCHREIBAKADEMIE WAIDHOFEN/YBBSTAL

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Die Schreibakademie Waidhofen an der Ybbs bekam im Schulzentrum Plenkerstraße einen Raum zur Verfügung gestellt, der für die kleine Gruppe viel zu groß war. Aber vielleicht verhalf eben diese Weiträumigkeit dazu, die Gedanken ohne Einengung schweifen zu lassen. Gut betreut durch den Musikschuldirektor Mag. Blahous und Frau Schwarzlmüller verbrachten wir dort ein produktives Semester. Ab und zu verschlug es uns auch in ein Kaffeehaus am oberen Stadtplatz, wo die Gedanken, umspielt von der anregenden Geräuschkulisse, aufs Papier gebracht wurden. So verbrachten wir einen Samstagvormittag trotz Kälte in der Stadt, um danach die Eindrücke in gemütlicher Kaffeehausatmosphäre festzuhalten. Einmal brachte uns Mag. Albert von der Musikschule eine CD mit Gitarrenmusik (Rondo), das in Form eines sprachlichen Rondos literarisch verarbeitet wurde. Viele Texte wurden durch die Jahreszeit beeinflusst, immer jedoch war die sprachliche Kreativität Motor für das In-Form-Bringen der Gedanken.


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HERBERT PAULI

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Geboren 1952 in Baden, aufgewachsen in Leobersdorf. Dort besuchte er die Volksschule, danach das Bundesrealgymnasium in Baden. Umstieg ins musisch-pädagogische Realgymnasium in Wiener Neustadt. Jänner bis September 1970 Ableistung des Präsenzdienstes. Anschließend 1971 Matura

am musisch-pädagogischen Realgymnasium in Wiener Neustadt. Ausbildung zum Volksschullehrer an der Pädak Baden. Lehramtsprüfung 1973. Ab September 1973 Volksschullehrer im Bezirk Amstetten. Wohnt in St. Peter in der Au, wo er seit November 1998 Lesungen organisiert. Von 1988 bis 2000 Arbeiten für den ORF (Fernsehen: „Österreichbild am Sonntag“ und „Ins Land einischaun“). Veröffentlichung mehrerer Bücher. Schreibt hauptsächlich Kurzprosa.

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Vegetarierin, Perfektionistin, Dramatikerin

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Theresa über ihr Schreiben

Herbst

Theresa Elsner

Schreibakademie WAIDHOFEN/YBBSTAL

THERESA ELSNER

Wenn ich schreibe, dann lasse ich mich einfach von meinen Gedanken leiten, und es scheint, als würden all die vielen Wörter durch meinen Körper bis in meine Fingerspitzen transportiert werden und sich dort, wie von allein, auf das weiße Papier begeben.

Nach und nach beginnen die Blätter zu sterben, lassen die Bäume einfach allein zurück. Erst geht das große am linken Ast, doch je kälter es wird, desto mehr folgen, bis schließlich sogar das tapferste nachgibt. Melancholie breitet sich aus, wenn der kalte Nebel beinahe hinterlistig über den gefrorenen Boden kriechend all die bunten Blätter überdeckt. Der hellblaue Himmel wird ersetzt durch einen beinahe schwarzen, fast so, als hätte man ihn mit einem riesigen, in Farbe getauchten Pinsel übermalt.

Schreiben ist für mich kein Hobby, Schreiben ist für mich eine Leidenschaft.

Am nächsten Morgen ziehen sich die dichten Nebelschwaden ein klein wenig zurück und geben die Sicht auf all das bunte Laub frei. Und in diesem Moment wird mir klar, dass selbst schlechte Ereignisse zu atemraubenden Momenten führen können.

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Erinnerst du dich „Und?“, hast du gefragt, „tut dir die Kälte nicht gut?“

„Wenn mir kalt ist“, hast du angefangen und deinen Blick in die Ferne gerichtet und beobachtet, wie einer der Segelboot-Besitzer beginnt mit seinem Boot, das der Wind so hin und her reißt, zu kämpfen. „Dann spüre ich mich selbst, verstehst du, was ich meine?“, hast du deine Gedanken ausgesprochen, und ich habe nachdenklich auf unsere verschränkten Hände gestarrt, gespürt, wie deine kalten Finger meine empfindliche Haut berührt haben und es langsam unangenehm wurde. Trotzdem habe ich nicht losgelassen. Wollte ich nicht, habe ich nicht, würde ich auch heute nicht. Ich habe nicht verstanden, was du mit der Aussage gemeint hast und habe beobachtet, wie sich langsam dunkle Wolken über uns ausgebreitet haben. Die Möwen sind weggeflogen, der Wind ist um uns gefegt, das Meer hat gerauscht. Kleine Schaumkronen haben sich gebildet und sind mit den Wellen, welche immer höher wurden, gewandert, mein Herz hat im Takt mit deinem ruhigen Atem geschlagen. Du hast deine Stirn hochgezogen, so wie immer, wenn du dir deine Worte zurechtlegst, und hast dann den Mund leicht geöffnet. „Du spürst die Kälte doch auch, oder? Wie sie durch deine Adern fließt, wie deine Hände vereisen und wegen ihr ganz starr werden. Du spürst doch auch, wie die Kälte durch deinen Körper zieht, oder?“ Ich habe leicht genickt, meine Augen sahen dich gebannt an, so als wärst du der spannendste Actionfilm, der mir je untergekommen ist. Tatsächlich habe ich es nicht geschafft, meinen Blick von dir zu nehmen, so sehr hast du mich in deinen Bann gezogen. „Du spürst, wie deine Muskeln sich vielleicht etwas mehr zusammenziehen, wie deine Hände anfangen zu schmerzen, du spürst jeden einzelnen Nerv, der von dieser eisigen Kälte getroffen wird. Du spürst dich selbst, deinen Körper, meine ich. Nur Kälte lässt uns uns selbst spüren, und vielleicht noch die Liebe“, hast du gesagt und leicht geschmunzelt, als du meinen Blick bemerkt hast. „Weder Wärme noch Glück, weder Hass noch Zufriedenheit lassen dich etwas, das dem Gefühl der Kälte gleicht, fühlen. Ist doch so, oder?“ Mein Blick hat den deinen für eine kurze Sekunde gestreift, doch dann hast du dich wieder dem tosenden Meer gewidmet. „Das hast du schon gesagt“, habe ich leise gemurmelt, immer noch fasziniert von deiner Weise, die Dinge zu sehen, von deiner einzigartigen Art, Gefühle, die andere als negativ einstufen würden, aufzunehmen. Darauf hast du nichts gesagt, hast mich wahrscheinlich gar nicht gehört. Stattdessen hast du in die Ferne gestarrt und warst schon wieder tief in deiner eigenen Gedankenwelt versunken.

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Daraufhin habe ich dich fragend angesehen, und ohne, dass ich ein Wort verloren habe, hast du an meinen Augen erkannt, was mir durch den Kopf gegangen ist und bist fortgefahren.

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Theresa Elsner

Erinnerst du dich an unseren Tag am Meer? Ich weiß noch, wie uns der salzige Wind ums Gesicht peitschte und die Kälte sich in unsere Knochen biss. Ich habe meine Hände andauernd aneinandergerieben, um sie zu wärmen, aber du hast deine einfach weiterhin herunterhängen lassen, hast sie kein bisschen bewegt, als würde dir die Kälte, die dafür sorgt, dass deine Finger ganz starr werden, nichts ausmachen. Wir standen am Steg und sahen hinaus aufs weite Meer und beobachteten, wie die Wellen gingen und anschließend wieder an den Strand zurückkehrten. Die Wellen würden den Strand nie im Stich lassen, dachte ich mir. Möwen flogen kreischend über unsere Köpfe, drehten ihre Runden und landeten schließlich einige Meter entfernt auf den Segelbooten, die gefährlich im starken Wind schaukelten. Es schien, als würde die See toben, als würde der Wind sich jede mögliche Lücke suchen und sich durch mein Gewand zu meiner empfindlichen Haut kämpfen. Du hast meine Hände genommen und behutsam mit deinem Finger über meine Adern gestrichen. „Dunkelblau“, hast du gesagt, und obwohl der Wind unglaublich laut toste und du nicht sonderlich laut gesprochen hast, habe ich jedes einzelne Wort deutlich verstanden. „Komisch, gestern waren sie noch grün“, deine Finger sind weiter nach oben gewandert, bis sie sich mit den meinen verschränkt haben. Sie waren eisig, es fühlte sich an, als würde ich einen Schneeball in meinen Händen halten, aber trotzdem habe ich den Griff verstärkt, woraufhin du mich angelächelt hast. „Mir ist kalt“, habe ich gesagt, und du hast mich nachdenklich gemustert, wobei sich auf deiner Stirn eine kleine Falte gebildet hat, so wie immer, wenn du in Gedanken gehangen bist.


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Theresa Elsner

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Autofahrt

Rondo

Es ist die Dunkelheit, die dich begleitet. Deine Hände umklammern fest das Lenkrad des Wagens, durch deinen Atem entstehen kleine Wölkchen in der kalten Luft. Während du mit der einen Hand das Lenkrad nach rechts drehst und auf eine holprige Landstraße abbiegst, drehst du mit der anderen zitternd die Heizung auf. Dein Herz klopft wie wild und deine Finger sind so starr, dass du beinahe den falschen Knopf drückst. Gedanklich bist du noch bei all dem, was passiert ist, und eine unglaubliche Leichtigkeit breitet sich in dir aus. Du hast es getan, du hast dich getraut. Deinen Blick hast du auf die Fahrbahn gerichtet, du wirkst konzentriert und die Vorfreude auf das, doch auch die Angst vor dem, was nun kommen kann, breitet sich in dir aus. Die gelbe Mondscheibe steht hoch und wunderschön am Himmel, doch du schenkst ihr gerade mal genug Aufmerksamkeit, um zu sehen, wie sich eine Wolke davorschiebt. Begleitet ist der Mond von vereinzelten matt leuchtenden Sternen, die kläglich versuchen, die Nacht zu erhellen, doch kaum gegen die immer dichter werdenden Wolken ankämpfen können. Der Motor des Autos surrt leise, doch du weigerst dich, den Radio aufzudrehen, der dieses Geräusch problemlos übertönen würde. Du liebst diese Ruhe, sie erinnert an Freiheit. Je weiter du fährst, desto dichtere Wolken bilden sich, bis es schließlich zu regnen beginnt. Deine mittlerweile warmen Finger betätigen die leicht quietschenden Scheibenwischer, Felder ziehen vorbei. Es treibt dich voran, du schaust nicht zurück. Das Einzige, das an dein altes Leben erinnert, ist der durch die Wolken nur noch blass leuchtende Mond. Immer dicker werdende Regentropfen prasseln beinahe aggressiv gegen die Scheiben des Autos, doch du lachst nur leise auf. Früher hat dich das Geräusch traurig gemacht, doch heute klingt es wie Applaus.

A Kunst, überall. Die faszinierenden bunten Gemälde, die an den Wänden hängen und dem Raum einen Hauch der Gemütlichkeit und des Nachdenkens schenken, scheinen noch schöner als sonst. Das Licht durch die Fenster taucht den Raum in verschiedene explodierende Farben, verwandeln die Umgebung selbst in ein eigenes Kunstwerk. Tausende Wege zur Seele und den eigenen ungezwungenen Gedanken werden frei. B Hier, ein besonderes Exemplar. In tiefschwarze Farbe getaucht, erhebt sich das Bild vor einem und scheint ein wahres Gefühlschaos auszulösen. Beinahe unfassbar, wie tausende Fragen durch den Kopf wirbeln und man kaum klare Gedanken fassen kann. Ein rot gekleideter Mann mit Hut schreitet durch eine dunkle, verlassene Gasse. Es scheint, als würde der Wind diese durchfegen, als würde er probieren, alles mit sich zu reißen, doch der Mann geht unbeirrt weiter. Vielleicht muss man manchmal seine eigenen Wege gehen, selbst wenn man gezwungen ist, dies allein zu tun. A Kunst, überall. Auf der gegenüberliegenden Wand, nicht allzu weit entfernt von den Gemälden, hängen so viele Fotografien, jede einzelne erzählt eine eigene Geschichte. Während die eine von Trauer schildert, scheint die andere all die Freude zusammenzufassen und sie in all ihrer Pracht von allen Seiten widerzuspiegeln. C Ein lachendes Kind, welches durch einen Laubhaufen springt. Ein Laubhaufen, so hoch wie ein Berg. Verwandelt die noch vor wenigen Sekunden zusammengerechte Ordnung ins bunte Chaos. Wie viel Freude empfindet dieses junge Wesen, obwohl der Himmel, grauer als in der blauen Stunde, alles andere als fröhlich ausschaut. Tausende Empfindungen bringen mich durcheinander, tausende Gefühle verwischen meine sonst so klaren Gedanken. Vielleicht soll das Bild die Ewigkeit ausdrücken, denn gewiss stimmt eines – auf Fotos lachen wir für immer. A Kunst, überall. Doch nur ein wahrhaftig tolles Meisterwerk kann all dies zusammenfassen. Was für eine Kunst schafft es wohl, all diese Empfindungen zu vermengen und genauso, wie sie einst waren, wiederzugeben? Nichts anderes, als all die tausenden von Worten, die in die Seele gelangen und mehr als einen leeren Fleck hinterlassen. Und vielleicht ist Kunst genau dazu da, all die leeren Orte in unseren Seelen zu füllen.


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PAUL KERSCHBAUMER

Gedichte

Vier Kerzen

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blau der Ozean schäumt die Wellen ist Quelle des Lebens verschmutzt

Einst lebte in Betlehem ein Bienenschwarm. Der Schwarm sah, wie der Engel den Hirten die frohe Botschaft überbrachte. Die Bienen waren sicher, auch sie würden eingeladen werden, das Kind zu besuchen, und warteten. Stunden später warteten sie immer noch. So beschlossen sie, das Kind zu suchen ... Bei Sonnenaufgang fanden sie einen Stall mit einer Schar Hirten, einem Elternpaar und einem Kind. Aus Wut stachen sie die Hirten. Die göttliche Familie wollten sie nicht anrühren, doch das Kind schaute der Königin des Schwarms direkt in die Augen. Da schämte sich die Bienenkönigin. Die Bienen flogen auf ihre Anweisung zurück. Die Königin beauftragte die Bienen, aus dem Wachs vier Kerzen zu formen und mit Blumen zu färben. Dann befahl sie, die Kerzen an einem Rad im Stall zu befestigen. Es waren drei weiße Kerzen und eine rosa. Die weißen standen für die Dreifaltigkeit und die rosa Kerze für die Erdbevölkerung. Das Rad war ein Zeichen für die nie endende Verbindung. Den Bienen war verziehen und der Adventkranz erfunden.

Paul Kerschbaumer

Verträumt, umweltbewusst, wissensdurstig

lyrisch das Gedicht berührt den Geist gibt Anstoß zum Nachdenken vielsagend paradiesisch die Erde birgt die Menschen gibt Schutz und Sicherheit geschändet


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Paul Kerschbaumer

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Dornröschen neu

Erinnerungen

Vor langer Zeit lebte eine Frau. Sie wollte etwas gegen das Übel auf der Welt tun, um den Armen zu helfen. Die Armen vertrauten ihr bald, und sie vertraute den Armen. Eines Tages organisierte sie ein Hilfsprojekt zur Hilfe der armen Bauern. Ein Großkonzern wollte auch in die Organisation, doch die Frau durchschaute ihn. Der Konzern wollte die Bauern überreden, ein noch schrecklicheres Leben in der Stadt und eine Arbeit am Fließband gegen all ihr Land einzutauschen. Der Konzern war böse auf die Frau, weil es ein großes Geschäft für ihn gewesen wäre.

Ich gehe durch die Stadt. Mich bedrängt keine Eile, viel zu lang war ich nicht mehr hier. Ich lasse die Eindrücke auf mich einwirken. Verwandte mit einem sonnigen Kleinkind kommen aus dem Gebäude des Reisebüros Kratschmar. Erinnerungen tauchen ohne mein Zutun auf, Erinnerungen an Besuche vor Jahren, aus der Zeit, in der ich noch einen Kindersitz brauchte. Meine Schwester und ich bei unseren weitgereisten Verwandten, die gerade aus Tokio kommen. Ich wende mich von den Erinnerungen ab. Schließlich will ich nicht den ganzen Vormittag verträumen. Ich gehe weiter.

Eines Tages ging die Frau impfen, denn vor Kurzem war eine Krankheit ausgebrochen. Da sah der Konzern seine Chance. Er erkaufte das Schweigen des Arztes und gab ein Gift in die Spritze. Als die Frau die Spritze bekam, fiel sie um. Der Konzern ärgerte sich, denn das Gift hätte sie in einen immerwährenden „Schlaf“ schicken sollen, doch sie fiel „nur“ ins Koma. Es war zu wenig Gift. „Trotzdem ist sie aus dem Spiel“, dachten die Chefs des Konzerns. Einige Jahre vergingen und sie lag noch immer im Koma. Eines Tages entdeckte ein junger Arzt Spuren des Giftes im Körper der Frau. Es dauerte einen Monat, doch schließlich hatte er ein Gegenmittel. Als sie aufwachte, war der Arzt der Erste, den sie sah, und sie verliebte sich sofort in ihn. Zusammen reisten sie nach Brasilien und zeigten den Konzern wegen versuchten Mordes an. Sie gewannen den Prozess und halfen vielen Leuten aus der Armut. Und wenn nicht noch ein Attentat passierte, dann leben sie noch heute.

Da, der Kindergarten. Ich lese: „NÖ Landeskindergarten“. Weitere Erinnerungen steigen unbewusst aus den Tiefen meines Gehirns. Meine Kindergartenfreunde und ich, wie wir Lego spielen. Zurück im Jetzt gehe ich weiter. Da ist das Biogeschäft. Diesmal warte ich, allerdings kommen keine Erinnerungen. Ich lese: „Die Hoflieferanten“. Ein kurzes Aufblitzen einer Erinnerung, von der nur ein Eindruck bleibt: Zorn. Schnell gehe ich weiter. Vielleicht war es die Erinnerung an Streit. Ich will nicht, dass dieser Eindruck meinen Spaziergang zerstört. Ich sehe die Pizzeria. Obwohl ich nicht glaube, dass ich mich hier an etwas erinnern würde, verharre ich kurz. Diesmal dauert es etwas länger, doch auch hier kommen Erinnerungen, an einen Vormittag mit meiner Mutter, an dem ich mit ihr eine Pizza essen gegangen bin und wir später beim Piaty einen Paradies-Krapfen gegessen haben. Erstaunt über diese verloren gegangen geglaubte Erinnerung bleibe ich einige Zeit stehen. Schließlich reiße ich mich zurück, begierig, mehr solche Erinnerungen zu erwecken. Ich gehe zur Säule mit der Goldstatue, setze mich auf die Stufen und erinnere mich nach Kurzem an den Tag, als wir in unser Haus gezogen sind und später beim Stadtlauf waren. Ich stehe auf und gehe zurück. Ich gehe zur Kirche. Ich werde geradezu mit Erinnerungen überflutet. Nur eine kann ich festhalten. Es ist die erste Erinnerung, die mit Schule und Kirche zu tun hat. Meine Schulanfangsmesse in Konradsheim. Plötzlich klingelt mein Handy. Es ist meine Mutter, die will, dass ich nach Hause komme. Ich gehe. Kurz bevor ich die Obere Stadt verlasse, drehe ich mich um und danke heimlich für die Erinnerungen. Da merke ich, dass sie weg sind. Nur die Erinnerung an meine Schulanfangsmesse ist noch da, aber auch sie verblasst schon. Anscheinend sind es Erinnerungen für den Moment, denke ich, und gehe.


Hundespaziergang

Autofahrt Die dunklen Silhouetten der Bäume wiegen sich im Wind, der den auf das Autodach prasselnden Regen herbeiträgt. Das Surren des Autos lässt mich fast einschlafen. Die Sterne fliegen davon. Die Füße auf den Sitz gezogen und in eine Decke eingemummt, denke ich. Ich denke über alles nach, was sich meinen halb geschlossenen Augen dargibt. Die Lichter der Autoanzeigen, gelegentlich ein Haus. Wer wohl darin wohnt? Ein Windrad schießt matt strahlend vorbei. Da, die flirrenden Lichter der Stadt. Ich öffne meine Augen etwas mehr. Das erste bekannte Gebäude nach vielen Stunden durch die Fremde. Froh darüber, bald zu Hause zu sein, schlafe ich ein.

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lege mich auf den kühlen Waldboden. Warum haben sie nicht mehr Bäume in der Stadt? Neben dem Wald ist ein großer Weg mit vielen Autos, aber hier stinkt es überhaupt nicht. Die Menschen werden mir ewig ein Rätsel bleiben, denke ich und schlafe ein. Ich wache in der Dämmerung auf und trotte, zufrieden mit dem leinenlosen Tag, nach Hause.

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Aus dem literarischen Adventkalender „Wie soll ich denn so nach Betlehem?“, fragte sich Maria. Mit so einem Bauch, dachte sie. Sie verfluchte den Engel leise. Warum konnte Gott sie nicht erst in Betlehem schwanger machen? „Na ja, es muss wohl so gehen“, dachte sie dann und hievte sich auf den Esel. „Wie sollen wir denn das hinbekommen?“, fragte sich Josef. „Das schafft der Esel doch nicht. Wieso hat sich Gott genau diesen Zeitpunkt ausgesucht?“ In Betlehem würde dann wahrscheinlich auch alles voll sein. Vielleicht könnte er vorausrennen und bei einem Wirt reservieren. Aber was, wenn Maria ausgeraubt werden würde? „Na ja, es wird schon gehen“, dachte Josef und half Maria auf den Esel. „Ach, kommen schon wieder welche!“, dachte der Wirt aus Betlehem. Er machte die Tür auf. Eine Schwangere auch noch! Na ja, vielleicht kann ich sie im Stall unterbringen, falls sie der Ochs nicht stört. Selber hatten sie ja einen Esel. „Wird schon passen!“, dachte der Wirt, während er ihnen den Vorschlag, im Stall zu nächtigen, unterbreitete. „Wer sind denn die?“, fragte sich der Ochse. Die sieht aus, als ob sie bald kalben würde. Aber warum kommen die in unseren Stall? Will sie leicht in unserem Stall kalben? Schlachten werden sie mich, glaube ich, nicht. Die sehen nicht so aus. „Na ja, sie werden schon nichts Schlimmes machen“, dachte er und trottete zu ihnen.

Paul Kerschbaumer

Schnell renne ich hinaus. Ich war noch nie ohne Leine in der Stadt, wie aufregend. Ein paar Häuser weiter bin ich beruhigt und gehe ohne Eile. Wo soll ich zuerst hingehen, vielleicht in den Park oder in den Wald oder in die Stadt? Ach, ich lasse mich einfach von meinen Beinen dahintragen. Aber zuerst muss ich schauen, ob jemand eine Nachricht hinterlassen hat. Ich trotte zu einem Baum. Drei Nachrichten sind da, aber nichts Besonderes oder Interessantes. Nur das Übliche. Also gehe ich weiter. Einige Zeit gehe ich gedankenverloren dahin, bis ich von dem Getöse eines Autos aufgeschreckt werde. Ich bin nicht sehr weit vom Park entfernt, also beschließe ich, dorthin zu gehen. Auf dem Weg markiere ich natürlich jeden Baum. Alle sollen wissen, dass ich froh bin. Im Park sind einige Hunde, aber alle mit Leine. Ich suche ein bisschen und finde schließlich einen Schäferhund ohne Leine. Ich spiele lang mit ihm. Schließlich gehe ich wieder. Diesmal schaue ich mir alles genau an. Der Weg, auf dem ich gehe, ist aus dem grauen Stein, wie alle kleinen und großen Wege. Neben dem grauen Stein sind andere gerade zusammengeklebte Steine, etwas darunter ist der große Weg. Dumm sind die Menschen nicht, denke ich, oder wären es nicht, wenn sie nicht dauernd auf dem großen Weg, der den gefährlichen Autos gehört, zu Fuß gehen würden. Und die Sonne wird bestimmt noch wütend, wenn sie dauernd Stücke von ihr in diesen Kästchen auf den langen Stangen einsperren. Kopfschüttelnd gehe ich weiter. Und mit den ganzen Autos werden sie noch ersticken, man kann ja jetzt schon fast nicht mehr atmen. Weil es mir zu viel wird mit dem Gestank in der Luft, renne ich zum Wald. Bald bin ich da und kann endlich wieder durchatmen. Hier kann ich natürlich nicht jeden Baum markieren. Ich


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CARLA RIEGLER Lustig, verrückt, nachdenklich

Carla Riegler

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Carla über ihr Schreiben

Aus dem literarischen Adventkalender

Am liebsten schreibe ich Gedichte und Kurzgeschichten. Ich war von Cornelia Funkes Schreibweise fasziniert. So nahm ich Füllfeder und Papier zur Hand und begann zu schreiben. Schreiben wurde mein liebstes Hobby.

11. Ich sehe dich und weiß sofort, die Kälte lässt dich zittern. Deine Haut ist schneeweiß und deine Augen tränen. Ganz starr bist du, so kalt ist dir. Hier, nimm einen Schal. Er besteht nicht aus Wolle wie vielleicht der von deiner Oma. Dieser hier ist aus purer Liebe gemacht. Auch in kalter Zeit wirst du schmelzen. Denn die Liebe ist wärmer, viel wärmer als so mancher Wollschal. 14. Im Kerzenschein sehe ich dich rot-orange leuchten. Du bist schon etwas Besonderes. Durch das Licht der Kerze erscheinst du wie ein König. Deine erdigen Augen strahlen fast noch heller als die Kerze selber, und dein Lächeln erscheint mir jetzt noch viel fröhlicher. Nicht alle Menschen sind so wie du. Wie schon gesagt, du bist etwas Besonderes.


Geflüsterte Worte, oder doch nur der Wind? Greifende Hände, oder nur die Kälte? Die Natur ist krank, oder geht es ihr gerade prächtig? Fragen über Fragen. Wer kann sie mir beantworten? Siehst du die schönen Farben? Da ist es wieder, dieses Stechen in der Brust. Die Kälte, sie nimmt mir den Atem. Ihre riesigen Hände greifen nach meinem Herzen. „Lass mich los! Ich will meine Ruhe!“, sage ich zur Kälte, doch die hört mich anscheinend nicht und macht es immer wieder. „Lass mich gehen! Verschwinde!“, versuche ich es noch einmal. Diesmal hört mich die Kälte und antwortet: „Ich gehe nicht. Der Herrscher hat mir dies befohlen.“ „Wer ist dein Herrscher?“, frage ich. Darauf die Kälte: „Das darf ich nicht sagen. Du kannst es dir denken.“ „Der Tod?“, frage ich unsicher. „Nein, du Dummkopf“, schimpft die Kälte, „schau dich doch mal um! Was haben wir gerade für eine Jahreszeit?“ Natürlich weiß ich das, aber ich habe genug von der Kälte gehört, schweige und gehe nach Hause.

Vielleicht sollte ich springen, vielleicht auch nicht. Vielleicht könnte ich sterben, aber vielleicht würde ich überleben. Vielleicht federt das Wasser den Sprung ab, aber vielleicht ist es hart wie Beton. Vielleicht kommt aber gerade ein Schiff, wenn ich springe, oder ein Helikopter, der unter der Brücke durchfliegt. Vielleicht schwimmt ein Hai in den blau-grünen Tiefen, der mich vielleicht auffrisst. Vielleicht ist auch der Wasserstand so niedrig, sodass ich mir vielleicht einen Arm oder ein Bein, vielleicht sogar beides, breche. Vielleicht springe ich auf ein U-Boot, von dem ich nichts wusste, und das könnte vielleicht kaputtgehen. Aber das will ich nun wirklich nicht. Bei meinem Selbstmordversuch sollte niemand zu Schaden kommen. Vielleicht trauert meine Familie, vielleicht auch nicht, ich weiß es nicht. Vielleicht tue ich es, vielleicht auch nicht. Vielleicht bin ich verrückt, wenn ich es tue. Vielleicht. Dennoch sprang ich.

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Mein zweites Gespräch mit der Kälte

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Carla Riegler

Gespräch mit der Kälte


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Carla Riegler

190

Winter

Rondo

Es ist Winter und das Auto meiner Eltern eingeschneit. Mama ist krank und Papa in der Arbeit. Ich will Mama eine Freude machen und gehe hinaus in den Schnee, um das Auto von der schweren weißen Last zu befreien.

So ein sonniger Tag. Es ist schön, so auf der Wiese zu liegen und nichts zu tun. Ein paar Enten landen im Wasser und spritzen mich an. Das Wasser kühlt meine Haut. Ich schaue verträumt zum Himmel und sehe kleine Wolken. Eine leichte Brise streichelt meine Haut. Ach, wie schön es doch ist.

Aber als ich in die Garage gehe, um einen Besen zu holen, kann ich keinen finden. Stattdessen nehme ich die große, schwere Schaufel und stapfe durch den weißen Schnee in Richtung Auto. Ich spiegle mich in der Fensterscheibe der Vordertür und strecke mir die Zunge raus. Dabei fällt mir eine dicke Schneeflocke auf die Zunge, und schon ist der Schneekristall zergangen. Ich hebe die Schaufel und versuche, den Schnee vom Auto zu schieben. Plötzlich wird mir die Schaufel zu schwer, und sie rutscht mir aus der Hand. „Was hast du denn jetzt schon wieder angestellt?“, denke ich mir, als mein Blick auf einen langen Kratzer an der Vordertür des Autos fällt. Mama wird mich schimpfen, denn der Schaden wird nicht gerade wenig Geld kosten. Was soll’s, ich bin zwar keine Putzfrau, aber dafür der Herr der Geschichten.

Wolken ziehen auf, und plötzlich ist es nicht mehr so warm. Wäre ich doch nicht mit Sara zerstritten. Der Wind wird stärker, und er fährt mir durchs Haar. Wieso habe ich mich nur mit ihr zerstritten? Wieso habe ich das gesagt? Wir waren doch immer ein Herz und eine Seele. Es tut mir so leid. Wie ein Stein auf der Seele drückt es mich. Vergiss es einfach, genieße den Tag! So ein herrlicher Tag. Es ist schön, so auf der Wiese zu liegen und nichts zu denken. Die Gräser wiegen sich leicht, der Wind hat nachgelassen, und die Sonne ist wieder da. Ich schließe die Augen und genieße. Ich denke nicht nach, sondern liege einfach nur im Gras. „Hallo!“, sage ich zu meiner Freundin Sara, die plötzlich in der Wiese steht. Sie ist auf einmal gar nicht mehr böse, und wir versöhnen uns. Zu zweit ist es doch viel schöner, jetzt gehen auch die letzten Wolken weg, und die Sonne strahlt noch viel mehr. Jetzt für zwei. Das ist unsere Zeit. Wir träumen und lachen. Sara teilt sich mit mir eine Tafel Schokolade, und wir sind frei von Sorgen, einfach glücklich. So ein wunderbarer Tag. Es ist schön, so auf der Wiese zu liegen, sorgenlos. Schließlich muss Sara wieder gehen, und ich verbringe den restlichen Tag allein. Aber es ist trotzdem schön. Ich fühle mich frei wie ein Vogel. Der Himmel färbt sich rosa-orange. Langsam wird es dunkel. Die ersten Sterne glitzern geheimnisvoll am Himmel, und der Mond geht auf. Es ist trotzdem warm, und ich genieße die frische Luft. Ich denke zurück an die schöne Zeit mit Sara. War das nicht ein toller Tag?


blau die Tinte macht Worte Wirklichkeit weist dir die Wege schreiben

Ich gehe durch die Stadt. Hastige Schritte hallen durch die alten und engen Gassen. Von Weitem vernehme ich Gelächter und laute Gespräche. Autos parken ein und wieder aus. Vögel zwitschern leise in den wenigen Bäumen der Stadt. Plötzlich läuten Kirchenglocken. Die Sonne scheint auf den golden glänzenden Teller, das Wahrzeichen eines Gasthauses. Zertretene Zigarettenstummel liegen achtlos weggeworfen auf dem Gehsteig. Ein kleines Kind schiebt sein Fahrrad in den bunten Radständer neben der Bäckerei, aus der es duftet. Während ich mir die Notizen mache, tippt mir Mama auf die Schulter. Zum ersten Mal war ich froh, etwas anprobieren zu dürfen, denn Mama zieht mir einen Handschuh über die Hand. Es fühlt sich an, als ob meine gefrorenen Finger im warmen Handschuh schmelzen würden. www.zeitpunktleben.at steht auf einem grauen Auto. Zeitpunktleben. Gibt es den überhaupt? Leben wir denn wirklich? Oder glauben wir es nur? Leben wir unser Leben, oder machen wir es uns selber schwer? So viele Fragen, die wir nie beantworten werden können.

tropft der Regen die lebende Botschaft berichtet uns das Wichtige prasseln düster der Herbst flüstert geheime Worte ein Freund des Todes Schmerz klar die Augen erzählende Wahrheit sagen mehr als Worte lachen

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In der Stadt

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Carla Riegler

Gedicht



IMPRESSUM HERAUSGEBER: Kultur.Region.Niederösterreich GmbH, 3452 Atzenbrugg, Schlossplatz 1, FN 179146a, LG St. Pölten • PRODUKTION: NÖ KREATIV GmbH, FN 405570 b, Landesgericht St. Pölten • GESCHÄFTSFÜHRER: Mag. Rafael Ecker • REDAKTION: Mag.a Martina Rössler • GRAFIK: Habesohn, Doucha Werbeagentur GmbH • LEKTORAT: Mag.a Karin Schrammel • FOTO: privat • DRUCK: Henzl Media GmbH © Kultur.Region.Niederösterreich GmbH – Atzenbrugg 2016. Alle Rechte vorbehalten.



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