Werkschau Text Band 11

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SCHREIB AKADEMIE

WERKSCHAU TEXT BAND 11


IMPRESSUM HERAUSGEBER: Kultur.Region.Niederösterreich GmbH, 3452 Atzenbrugg, Schlossplatz 1, FN 179146a, LG St. Pölten • PRODUKTION: NÖ KREATIV GmbH, FN 405570 b, Landesgericht St. Pölten • GESCHÄFTSFÜHRER: Mag. Rafael Ecker • REDAKTION: Mag.a Martina Rössler, BA • LEKTORAT: Karin Janker, BA MA • GRAFIK: Habesohn, Doucha Werbeagentur GmbH • FOTO: privat • DRUCK: Henzl Media GmbH © Kultur.Region.Niederösterreich GmbH, Atzenbrugg 2017.


INHALTS VERZEICHNIS Die Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung von NÖ KREATIV und der KULTUR.REGION.NIEDERÖSTERREICH wieder.

VORWÖRTER

Johanna Mikl-Leitner

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Martin Lammerhuber & Mag. Rafael Ecker

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GÄNSERNDORF

Schreibakademie Gänserndorf

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Herbert Eigner

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Nadine Brandtner

10

Hugo Braun

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Tobias Frohner

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Bianca Hunsturfer

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Alois Nikolaus Leidwein

19

Marlene Leidwein

21

Philipp Rickl

23

Marina Winzaurek

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HOLLABRUNN

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Schreibakademie Hollabrunn

27

Gerhard Ruiss & Elisabeth Schรถffl-Pรถll

30

Georgina Frasl

32

David Kรถppl

34

Sophie Lichtenstern

38

Isabel Ludwigstorff

40

Diana Melody Micheal

43

Eva-Maria Wagner

46

Lydia Weber

49

David Weihs

51

Sophie Winkler

53

HORN

Schreibakademie Horn

55

Rudolf Aubrunner

57

Elliott Chan

58

Annika Mayer

60

Laurin Sterkl

63

Fabian Stummer

65

Mร DLING

Schreibakademie Mรถdling

69

Lena Raubaum & Markus Tobischek

73

Elodie Arpa

74

Lara Drakos

76

Bianca Fellner

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MÖDLING

Timo Hafner-Harnisch

85

Sophia Oberlechner

88

Lilian Ogrisek

90

Sophia Panek

91

Ronja Rappl

94

Raphael Reisenauer

95

Paula Rogner

99

Bernadette Sarman

101

Lea Schamp

103

Susanne Schmalwieser

105

Anika Suck

109

Bettina Trimmel

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ST. PÖLTEN

Schreibakademie St. Pölten

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Nora Miedler

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Anna Aschacher

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Simone Czipin

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Gloria Heimberger

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WAIDHOFEN/ YBBSTAL

Schreibakademie Waidhofen/Ybbstal

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Markus Fürnhammer

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Alexandra Aigner

130

Lena Guntendorfer

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Stephanie Holzgruber

134

Paul Kerschbaumer

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„Einem kleinen Funken folgt eine große Flamme.“

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Die Werkschau Text belegt auch heuer wieder auf erfrischende Art und Weise, was aus einer regen Fantasie, sechsundzwanzig Buchstaben und kreativem Talent alles entstehen kann. Es ist eine Vielfalt an berührenden, unterhaltsamen und vor allem sehr persönlichen Texten, die die jungen Autorinnen und Autoren in diesem Band vorlegen. Sprache ist ein wichtiges Werkzeug, Lesen und Schreiben eine essenzielle Kulturtechnik. Sprache ermöglicht uns den Dialog, wenn wir gemeinsam Visionen für eine lebenswerte Zukunft formulieren. Sprache vermittelt zwischen

Johanna Mikl-Leitner Landeshauptfrau

Dante Alighieri

den Generationen, wenn uns die Jugendlichen durch ihre Texte Einblick in ihre Sicht der Dinge gewähren. Künstlerisch veranlagte Menschen nehmen sensible und manchmal auch unbequeme Standpunkte ein. Ihre Beiträge sind bedeutsam für die Entwicklung unserer Gesellschaft, und gerade deshalb sollten wir gut hinhören. In diesem Sinn freut es mich besonders, die gelungenen Arbeiten der jungen Talente zu lesen. Ich möchte mich herzlich bei den Referentinnen und Referenten bedanken, die die Jugendlichen auf diesem Weg mit so großartigem Engagement begleiten. Mein Dank gilt auch den Kreativakademie-Standortgemeinden, dem Team von NÖ KREATIV für die geleistete Arbeit und den Eltern für ihre wertvolle Unterstützung. Allen großen und kleinen Leserinnen und Lesern wünsche ich nun viel Vergnügen bei der Lektüre der vorliegenden Werkschau Text!


Leidenschaft, Hingabe, Mut, Freude und Können Die jungen Teilnehmenden der Niederösterreichischen Schreibakademie können stolz auf ihre Werke sein, denn sie wecken Emotionen und zeigen, welch kreatives und schöpferisches Potenzial in der heranwachsenden Generation steckt. Die jungen Talente haben mit ihren künstlerischen Arbeiten Neues hervorgebracht, ihre Visionen verwirklicht und ihren Persönlichkeiten Ausdruck verliehen. Sie haben im Austausch mit Gleichgesinnten ausgetretene Pfade verlassen, ihre kreativen Fertigkeiten weiterentwickelt und vielfältige Herausforderungen gemeistert. Genau in diesem Sinne spielt Kreativität nicht nur im künstlerischen Bereich eine wesentliche Rolle, sondern ist für viele

Martin Lammerhuber Geschäftsführer KULTUR.REGION.NIEDERÖSTERREICH

Lebensbereiche relevant. Die Niederösterreichische Kreativakademie bietet somit mit 81 Akademien an 36 Standorten unter dem Dach der NÖ KREATIV und eingebettet in das vielfältige Angebot der KULTUR.REGION.NIEDERÖSTERREICH einen außerschulischen Freiraum, in dem junge Menschen, angeleitet von professionellen Kunstschaffenden, ihre kreativen Talente entfalten können, in dem darüber hinaus aber auch die persönliche Weiterentwicklung in den Mittelpunkt gestellt wird. Der vorliegende, elfte Band der Werkschau Text veranschaulicht, wie wertvoll dieser Freiraum als Nährboden für ein zukunftsweisendes Kulturland ist. Ermöglicht wird dies nicht zuletzt durch die Eltern der jungen Talente, die Kreativakademie-Gemeinden sowie durch das Bundesland Niederösterreich. Wir bedanken uns für die wertvolle Unterstützung. Den Referierenden danken wir für ihren Einsatz, und den jungen Schriftstellerinnen und Schriftstellern gratulieren wir herzlich zu ihrer Werkschau. Genießen Sie die Werke, und lassen Sie sich inspirieren!

Mag. Rafael Ecker Geschäftsführer NÖ KREATIV

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SCHREIB AKADEMIE

GÄNSERNDORF Klasse Herbert Eigner

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TEILNEHMENDE Nadine Brandtner Hugo Braun Tobias Frohner Bianca Hunsturfer Alois Nikolaus Leidwein Marlene Leidwein Philipp Rickl Marina Winzaurek


Schreibakademie GÄNSERNDORF 8

SCHREIBAKADEMIE GÄNSERNDORF Die Schreibakademie Gänserndorf ist ins dritte Jahr gegangen. Der Kreativität und Fantasie der Autorinnen und Autoren waren keine Grenzen gesetzt, denn die Freude am schriftstellerischen Ausprobieren ist das „Markenzeichen“ der Gänserndorfer Schreibakademie. In diesem Jahr sind sehr viele Texte völlig spontan entstanden. Herausgekommen sind dabei zahlreiche Gedichte und Kurzprosa. Manches wurde wieder verworfen, aber auch das ist Teil der Schreibakademie Gänserndorf: den kreativen Prozess laufen zu lassen und sich gegebenenfalls anderen Themen zu widmen. Sackgassen und Umwege zu gehen heißt nicht, dass der kreative Prozess stoppt. Der kreative Prozess hört nie auf – und das ist das Schöne am Schreiben.


Schreibakademie GÄNSERNDORF

HERBERT EIGNER

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Geboren 1980, lebt in Enzesfeld-Lindabrunn. Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft. Schriftsteller. Auch schauspielerisch und als Regisseur in der freien Theaterszene Wiens tätig. Engagements unter anderem: Theater Experiment, Freie Bühne Wieden, Sommerspiele Grein und Sommerspiele MariaEnzersdorf. Neben der Schreibakademie Gänserndorf, Dozent der Schauspielakademie Groß-Enzersdorf. Publikationen (Auswahl): „himmelstränenfeuerland“ (2006, Edition vabene) „Vergessen spielen“ (2009, Literaturedition Niederösterreich) „Die Zeit der großen Suche“ (2014, Echter Verlag) „a haxn und zwaa gsunde händ“ (2015, Stoahoat-Verlag) „Der 317er. Von Groß-Enzersdorf nach Floridsdorf“ (2016, Edition Winkler-Hermaden)

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Schreibakademie GÄNSERNDORF

NADINE BRANDTNER Voller Ideen und Tatendrang

Nadine Brandtner

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Entwurf zu einem Roman Kapitel 1 Das Leben ist nicht immer einfach und schon gar nicht fair. Jedoch sehen wir es als erstrebenswert, das Beste daraus zu machen. Wir leben weiter und geben unser Bestes, auch wenn uns das Schicksal Hürden in den Weg stellt. Man könnte das Leben mit einer Sinuskurve vergleichen, nach jedem Tiefpunkt kommt wieder ein Höhepunkt. Wenn ich so über mein Leben nachdenke, kann ich zu hundert Prozent sagen, dass es mit einem sehr tiefen Tiefpunkt begonnen hat. Ich heiße Jack Morgan, und ich werde euch von einer Zeit erzählen, in der ich viele falsche Wege gegangen bin. Doch wo wäre ich jetzt, wenn ich sie nicht gegangen wäre? Stechende Sonnenstrahlen weckten mich. Sie fielen zum Fenster herein und erhellten den Raum, den ich seit fast

drei Jahren mein Heim nannte. Müde setzte ich mich auf, mein Rücken schmerzte von der harten Matratze, auf welcher ich jede Nacht schlief. Mit wenig Motivation schwang ich meine Beine über den abgenutzten Holzrahmen des Bettes. Meine Füße kamen auf den kalten Holzdielen auf, wodurch ein knarrendes Geräusch zu hören war. Müde rieb ich mir meine Augen und gähnte laut. Neben meinem Bett stand ein großer, alter Holzschrank, aus dem ich mir meine ausgewaschenen Jeans und ein einfaches graues T-Shirt zog. Danach öffnete ich die Türe und wanderte den Gang entlang zu den Gemeinschaftsduschen. Schnell putzte ich meine Zähne. Zum Duschen war keine Zeit mehr, wahrscheinlich warteten sie schon auf mich. Oft mussten sie mit dem Frühstück auf mich warten, da ich wieder einmal verschlafen hatte. Doch so wirklich interessierte es mich nicht. Als ich fertig war, rannte ich nun munter in Richtung Speisesaal. Vor der dunklen Holztür blieb ich stehen und atmete tief durch. Schwester Nora würde mir sicher wieder eine Strafarbeit aufbrummen, weil ich sie hatte warten lassen. Doch so war es nun mal, und so beugte ich mich meinem Schicksal und betrat den stillen, mit Kindern gefüllten Raum. Drei Reihen von Tischen standen parallel zueinander im Saal, und jeder war von Mädchen und Jungen in Beschlag genommen worden. Alle starrten mich an,


Schreibakademie GÄNSERNDORF 11

Nadine Brandtner

in den nächsten Lebensmittelladen, und oft begegnete ich Jugendlichen, welche mit ihren Freunden durch die Stadt streiften. Die Gedanken an Familie und Freunde, welche ich nicht besaß, verdrängte ich gekonnt. Langsam schlenderte ich die Straße entlang und genoss die frische Luft. Plötzlich wurde ich in eine Seitengasse gezogen. Hart wurde ich gegen die Häuserwand gestoßen, sodass mir der Atem aus den Lungen gepresst wurde. Schmerzhaft stöhnte ich auf und kniff die Augen zusammen. Vor mir hörte ich Gelächter, und eine Stimme kam mir sehr bekannt vor. Innerlich kochte ich schon vor Wut, doch nach außen hin war ich ruhig und richtete mich voll auf. Fünf Jungs standen vor mir und grinsten höhnisch. Unter ihnen befand sich Henry. Er konnte mich noch nie leiden. Seit ich in seine Klasse gekommen war, provozierte er mich, und es kam auch schon zu kleinen Prügeleien. Wobei ich immer den Ärger abbekommen hatte, da Henry aus einer politisch einflussreichen Familie kam. Alle hielten ihn für artig und lieb, da konnte das Waisenkind natürlich nicht mithalten. Henry hatte blaue Augen und blonde Haare, die ihm ordentlich geschnitten am Kopf lagen. Er war einen Kopf größer als ich und auch stärker. Im Gegensatz zu Henry war ich schmächtig und winzig. Der Blondschopf hatte mir sogar einmal den Arm gebrochen. Normalerweise versuchte ich, ihm aus dem Weg zu gehen, auch wenn er auf mir herumhackte. So auch jetzt: „Na, wieder mal ganz alleine unterwegs, Kleiner? Wo sind denn deine Eltern? Oh, ich vergaß, sie sind ja tot“, warf er mir an die Stirn und lachte laut auf. Auch die anderen Jungs lachten mit, und so kippte der Schalter in mir um. Ich ballte meine Faust und verpasste Henry einen ordentlichen Kinnhaken. Er war so überrascht, dass er das Gleichgewicht verlor und auf seinem Hintern landete. Die Jungen waren erst geschockt und starrten mich mit offenen Mündern an, doch schnell fassten sie sich wieder. Henry rappelte sich auf und kam auf mich zu. Ich wollte schon die Flucht ergreifen, denn gegen fünf starke Jungs hatte ich keine Chance und hier hinten in einer abgelegenen Gasse würde mich auch niemand hören. Henry hatte mich aber schon am Kragen gepackt und zog mich zu sich hin. Leise knurrte er mir ins Ohr: „Dafür wirst du büßen. Du hast mein schönes Gesicht verunstaltet.“ Er stieß mich zu Boden, und die fünf Jungs Nach dem Essen musste ich als Strafe nutzten das, um nach mir zu schlagen und zu treten. Mit meinen das gesamte Geschirr alleine abwaHänden versuchte ich, mein Gesicht zu schützen. Gleichzeitig schen. Dafür brauchte ich fast zwei machte ich mich so klein, wie es nur ging, doch immer wieder Stunden. Als ich endlich fertig war, trafen sie trotzdem meinen Bauch. Ich sah schon nur noch holte ich meine Schuhe und meine schwarze Punkte, als sie endlich von mir abließen. Auf dem Jacke und rauschte aus dem Haus. Die meiste meiner freien Zeit verbrachte Bauch liegend, mein Gesicht in meinen Armen vergrabend, hörte ich, wie meine Peiniger lachend abzogen. Ich atmete einmal ich auf den Straßen New Yorks und tief ein, wodurch ich einen heftigen Stich in die Rippen bekam. beobachtete die Menschen. GeschäftsDie Punkte wurden immer mehr, ich schmeckte Blut im Mund, leute rannten durch die Gegend und und es begann, sich alles zu drehen. Schließlich wurde mir telefonierten angeregt mit ihren Mitarschwarz vor Augen, und ich verlor das Bewusstsein. beitern. Mütter schoben Kinderwägen manche verärgert, mitleidig oder uninteressiert. Mit einem lauten Krachen fiel die Türe hinter mir ins Schloss und ließ mich zusammenzucken. „Na, auch endlich da, Schlafmütze? Schön, dass du uns so früh mit deiner Anwesenheit beehrst“, ertönte die schrille Stimme von Schwester Nora. Ohne auf ihre herablassenden Worte zu achten, ging ich mit erhobenem Haupt zu meinem Platz. Mittlerweile hatte ich gelernt, mir solche Sätze nicht zu Herzen zu nehmen oder darauf einzugehen, denn immer, wenn ich etwas darauf erwidert hatte, war meine Strafe nur noch größer ausgefallen, als sie ohnehin schon war. Doch gänzlich konnte ich sie nicht gewinnen lassen; um sie zu provozieren, reckte ich mein Kinn praktisch in den Himmel. An meinem Platz angekommen, senkte ich meinen Blick auf die Tischplatte und starrte ins Leere. Schwester Nora sagte nichts mehr zu mir und eröffnete stattdessen das Frühstück. Gierig stürzten sich die anderen auf das Gebäck und das wenige Obst, das auf den Tischen stand. Mir war jedoch der Hunger vergangen, und so verschränkte ich die Arme und beobachtete die Kinder um mich herum. Sie alle waren Waisen wie ich, doch waren sie sehr jung und hatten noch Chancen, adoptiert zu werden. Ich jedoch gehörte mit meinen dreizehn Jahren zu den Ältesten hier und hatte meine Hoffnung, von einem netten Ehepaar adoptiert zu werden, längst aufgegeben.


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Nadine Brandtner

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Kapitel 2 Als ich wieder aufwachte, durchfuhr mich erst mal ein Stich in der Seite. Ein Hustenanfall überrollte mich, und ich schmeckte Blut. Stöhnend richtete ich mich auf und schaute mich um. Ich befand mich immer noch in derselben dunklen, schmutzigen Gasse, in der mich die Jungs zusammengeschlagen hatten. Doch zu diesem Zeitpunkt stand die Sonne noch tief im Osten. Jetzt konnte man sie hinter den Häusern schon nicht mehr sehen. Ich lag wirklich den ganzen Tag bewusstlos in einer Gasse, und niemand hatte mich gefunden. Langsam, immer noch ganz benommen, setzte ich einen Schritt vor den anderen. Immer wieder musste ich mich an der Häuserwand abstützen, so schwindelig war mir. Irgendwann erreichte ich die menschengefüllten Straßen und schleppte mich Richtung Waisenhaus. Die Leute, denen ich begegnete, warfen mir komische Blicke zu, doch ich ignorierte sie. Ich wanderte gerade an einem Park vorbei, als mir plötzlich das Atmen schwerfiel. Es versetzte mich derart in Panik, dass ich hyperventilierte und nicht mehr klar denken konnte. Ich stützte mich an dem schön verzierten Zaun ab, der den Park umzäunte, als mich eine mir fremde Person ansprach. Ich verstand sie nicht, hörte nur das laute Rauschen in meinen Ohren, und auch von ihren Lippen konnte ich nicht lesen, da meine Augen mit Tränen gefüllt waren.

Die Person packte mich am Arm und zog mich vor sich. Fast wäre ich umgefallen, aber der Mensch hatte mich gerade noch festgehalten. Plötzlich verlor ich den Boden unter den Füßen. Umklammert von der Panik in meinem Inneren, rannen mir nun Tränen über die Wangen, und ich bekam nun gar keine Luft mehr. Nach wenigen Minuten, welche sich wie eine Ewigkeit anfühlten, lag ich völlig aufgelöst auf dem Boden. Irgendwer rief mir beruhigende Worte zu, doch erreichten sie mich nicht. Auf einmal spürte ich ein Brennen auf meiner Wange, ich hielt inne, war geschockt und konnte schließlich wieder normal atmen. Langsam beruhigte ich mich und konnte meine Umgebung erkunden. Ich lag auf einer Wiese, über mir Baumkronen und der dunkler werdende Himmel. Ein Rabe flog krächzend davon und verschwand aus meinem Sichtfeld. Ein Seufzen riss mich aus meiner Starre. Neben mir konnte ich einen jungen Mann ausmachen, er hatte Schweißperlen auf der glatten Stirn und seine dunklen, fast schwarzen Augen sahen mich kühl, aber mit einem Hauch von Besorgnis an. Eine raue Stimme ertönte: „Geht’s wieder? Alles okay?“ Einige Sekunden brauchte ich, um sie dem Mann zuzuordnen. Krächzend brachte ich ein einfaches „Ja“ heraus. Der Mann nickte nur und half mir, mich aufzusetzen. Schmerzhaft stöhnte ich auf und sackte beim Sitzen ein wenig zusammen. Ich sah ihn nicht an, aber ich konnte aus dem Augenwinkel seine hochgezogene Augenbraue erkennen. Nicht darauf eingehend, rückte ich ein Stück von dem Mann ab und starrte ins Leere. Er tat es mir gleich, und wir schwiegen einige Minuten. Irgendwann, als die Sonne ihre letzten Strahlen auf die Erde sandte, wurde die Stille von dem Mann gebrochen. „Mein Name ist Peter McCorner. Und deiner?“, fragte er und sah mich abwartend an. Meine Augen wurden groß. Sogar ich, ein Waisenkind, kannte den berühmten Geschäftsmann Peter McCorner. Er war DER Chef. Er hatte seine Firma zu einem Weltunternehmen gemacht. Peter McCorner war ein Milliardär und einer der wenigen Geschäftsmänner, die es so weit geschafft hatten. Aber das alles verdrängte ich für diesen Moment. Ein Räuspern ertönte von dem Mann und holte mich zurück in die Realität. Monoton und ohne ihn anzusehen, antwortete ich ihm: „Jack Morgan.“

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HUGO BRAUN

Es

Welchen Sinn hat Literatur?

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Es fällt warm auf meine Haut hilft mir zu überleben es ist kalt aber herzenswarm der Schnee die Sonne der Regen mächtig wie die Naturgewalten

Literatur gibt es seit vielen Jahrhunderten. Die Ägypter haben auf Papyrus geschrieben und die Höhlenmenschen an die Wände gemalt, aber was genau ist Literatur? Literatur kann vieles sein. Unter anderem: Geschichten, die vor ewigen Zeiten ein Vater seinem Sohn erzählt hat, um ihm die Welt erklären zu können, und die dann viele Jahre später aufgeschrieben wurden. Zwei Beispiele sind die „Ilias“ und die „Bibel“. Aber Literatur ist auch ein Text, den ein kleiner Junge im Deutschunterricht geschrieben hat. Alles, was niedergeschrieben wurde, ist Literatur. Aber auch alle Geschichten, die du deinem Kind erzählst und die aufgeschrieben werden, sind Literatur. Man kann es nicht genau definieren, aber es sind die Geschichten, die uns lehren, keine Angst vor der Angst zu haben.

Hugo Braun

Dreizehneinhalb Jahre alt, geschichtebegeistert, fantasievoll

Wenn Wenn es ausgeht war es nie da Wenn es angeht war es immer da Wenn es flackert kann es sich nicht entscheiden Wie das Licht in unserer Welt

Umbauklinik Arzt: Guten Tag in der Umbauklinik. Patient: Guten Tag, ich brauche eine Umbaupause. Arzt: Das heißt, sie wollen eine Geschlechtsumwandlung. Patient: Nein, ich brauche Schlaf. Arzt: Dann kommen Sie bitte mit in den Todestrakt.


Gänserndorf, die Stadt der Götter

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(gemeinsam mit Philipp Rickl)

Hugo Braun

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Es war ein ganz normaler Tag in Hannes’ Leben. Er ging zur Schule wie sonst auch. Dann ging er heim. Er wohnte in der Brunnengasse und als er sie so entlangschlenderte, hörte er eine Stimme. Eine, die er in ganz Gänserndorf noch nie gehört hatte. Er folgte ihr in eine kleine Seitengasse, die er noch nie gesehen hatte. Dort erblickte er eine Tafel mit seltsamen Buchstaben und eine andere, auf der er lesen konnte: „Oh, Wanderer, zolle denen Respekt, die hier gestorben sind, denn keiner der dreihundert ist zurückgewichen.“ „Was hat das zu bedeuten? Wer hat das nur geschrieben?“, fragte sich Hannes. Da ertönte plötzlich eine sanfte, durchdringende Stimme, die ihm einen kalten Schauer über den Rücken jagte: „Kommmmm! Kommm zu miiiiiir!“ Hannes folgte der Richtung, aus der die Stimme kam. Bis er vor einer Tür stand. Einer verschnörkelten Tür aus Ebenholz, Gold und Silber, deren Schnalle ein Frauenkopf mit Schlangenhaar zierte. Hannes öffnete und traute seinen Augen kaum. Eine ganze Welt lag vor Hannes: ein Berg, ein Fluss, der violett leuchtete, und ein Meer. Hannes drehte sich kurz um. Die Tür war weg! Nur ein Felsen war da. Hannes sah sich genauer um und bemerkte, dass er auf einem Felsvorsprung stand. Hinter sich hörte er wieder die Stimme; er drehte sich blitzschnell um und sah eine Frau, deren Kopf er vorher auf der Tür gesehen hatte. „Du wirst mir helfen, die Götter zu töten“, sagte die Frau, der auf einmal ein Speer durch den Kopf wuchs. Kaum geschehen, erschien plötzlich eine andere Frau, die eine Rüstung trug und die eine Eule auf der Schulter sitzen hatte.

„Medusa, hör auf damit!“, rief die Frau in der Rüstung. „Niemalsssssss“, zischelte sie. Hannes nutzte die Gelegenheit und sprang direkt ins Meer. Platsch. Hannes wurde ohnmächtig. Hannes erwachte und spuckte Wasser. Er sah sich um. Um ihn standen mindestens fünfzig eigenartige Gestalten. „Wer seid ihr?“, fragte er mit bebender Stimme. „Wir sind“, sagte eine der Gestalten und trat aus dem Schatten, „wir sind die Nymphen.“ Hannes wusste, wer die Nymphen waren. Er hatte es einmal in einem Buch über griechische Mythologie gelesen. Hannes wollte fragen, wo er war, doch da schlug ein Blitz vor ihm ein. Und aus dem Blitz trat ein Mann. Neben ihm stand die Frau mit der Rüstung. Sie hatte auch ein Schwert und ein Schild. „Mein Name ist Zeus, und meine Tochter hat mir alles von dir erzählt“, sagte er mit donnernder Stimme. Die Frau nickte bejahend. Neben Zeus tat sich ein Schlund auf, und ein dürres Männlein trat heraus. „Ich bin Hades und du gehörst nun mir“, sagte es. Hannes war sprachlos. Zeus und Hades, begannen, sich zu streiten. Zeus warf Blitze, und Hades rief seine Skelettarmee herbei. Zeus‘ Tochter, Pallas Athene, rief Hannes zu: „Wenn du sie nicht stoppst, werden sie den Olymp und die Erde zerstören!“ Hannes nahm all seinen Mut zusammen, griff nach dem Schwert und dem Schild von Athene und stürmte auf die Skelettarmee zu. Er schlug auf alle Skelette ein und bahnte sich den Weg zu Hades, den er schließlich zum Zweikampf herausforderte. Hannes wusste, wenn er verlieren würde, wäre das sein Ende. Aber er musste es tun. Hannes und Hades machten sich bereit. Hannes holte mit dem Schwert aus und traf Hades an der Schulter, der vor Schmerz johlte. Hades war wütend und versuchte, Hannes zu erwischen, doch der wich geschickt den Schlägen aus und traf Hades am Bein. So stark, dass dieser zusammensackte. Hannes hatte gewonnen. „Danke, dass du uns gerettet hast. Die Prophezeiung hat sich bewahrheitet. Es tut mir leid, aber was ich jetzt tun werde, muss sein“, sagte Zeus. „Was muss …“ Da durchfuhr Hannes ein unheimlicher Schmerz. Er fiel aus dem Bett, und als er sich umsah, merkte er, dass er daheim in seinem Zimmer in der Brunnengasse war. „Zum Glück nur ein Traum“, dachte er sich, krabbelte zurück ins Bett und schlief weiter. Hätte er einen Blick aus dem Fenster geworfen, hätte er gesehen, dass vor seinem Haus Pallas Athene stand und grinste.


Entwurf Es war dunkel. Nur die Stadtlichter und der Mond erhellten den eiskalten Nachthimmel. Ich flog tief über den hohen, beleuchteten Wolkenkratzern der Stadt. Meine weichen Schuppen schimmerten silbern, und ich war sehr müde. Mein Begleiter und ich suchten ein sicheres Versteck für den Tag. Wir flogen viele Stadtviertel und Parks ab. Nach einer Stunde ließen wir uns

in einer Sackgasse nieder. Es stank nach altem Fisch und verrottetem Fleisch. Überall standen volle, alte Mülltonnen herum. Die Ratte, mein Begleiter, sagte zu mir: „Versteck dich gut, ich werde am Tag in die Stadt gehen und ein bisschen Emmentaler stehlen, der ist köstlich. Und pass auf, denn du weißt, was die Menschen mit uns machen.“ Das wusste ich ganz genau: Sie würden meinen Kopf in ein Museum mit der Aufschrift „Drachenkopf“ hängen, und Ratte würden sie womöglich einsperren. Ich wollte gar nicht weiter überlegen, deshalb verkroch ich mich hinter zwei Mülltonnen und schlief ein.

Ohne Titel Vögel zwitscherten, ohne, dass man sie sah. Die offenen Blüten der Lotusblumen dufteten zauberhaft. Die Papageien kreischten. Als ich zu der Lichtung kam, wo wir uns treffen wollten, war ER noch nicht da. Ich begab mich in den Schatten. Und fiel in einen Halbschlaf. Ich spürte nur noch, wie mich ein Palmwedel an der Nase kitzelte, dann schlief ich ein.

Ein leises, zärtliches Zwitschern weckte mich. Auf meinem Finger saß ein Vogel, dessen rotes Gefieder in den Sonnenstrahlen schimmerte. ER sollte schon längst da sein. Ich ging zu seiner Hütte. Von einem Zaun aus Schilf stand die Holzbehausung mitten im Dschungel. Als ich versuchte, die Türschnalle zu drücken, rutschte ich über etwas Glitschiges. Meine Hand war rot, blutrot. Da war nur noch Blut. Ich folgte den Blutspuren und entdeckte in einem Lorbeerbusch versteckt eine Leiche. Tiefe Erschütterung. Ich war traurig. Warum tut jemand so etwas?

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Elf Jahre alt, Fußballfan, Germknödelliebhaber

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Tobias Frohner

TOBIAS FROHNER


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Nordpol in Asien

Tobias Frohner

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„Lieber Weihnachtsmann!“, begann Lisa ihren Brief an Santa Claus, „Ich wünsche mir zu Weihnachten eine neue Kette.“ Und endete mit: „Vielleicht kannst du mir diesen Wunsch erfüllen. Liebe Grüße nach China in deine Weihnachtswerkstatt. Deine Lisa.“

dem Fensterbrett. In der Schneekugel waren viele Geschenke, die von einem Wichtel bewacht wurden. „Die kommt in meine Sammlung“, sagte Lisa stolz und drehte die Kugel hin und her. Auf der Unterseite stand „MADE IN CHINA“. Wieder ein Beweis mehr, dass der Weihnachtsmann in China lebte. „Ab in die Schule!“, mahnte Lisas Mutter, die in einem Spielzeuggeschäft arbeitete. Lisa packte ihre Sachen und machte sich auf den Weg.

Nachdem der Brief fertig war, legte ihn Lisa zum Küchenfenster, das nach Osten zum Land der aufgehenden Sonne zeigte. Sie stellte sich China wunderschön vor: kleine – mit Schnee bedeckte – Hütten, in denen winzige Wichtel mit grünen Zipfelmützen lebten, die dem Weihnachtsmann halfen, die Geschenke zu verteilen. Lisas Traum war, einmal nach China zu fliegen und mit Santa Claus in seinem Schlitten eine Runde um die Welt zu fliegen.

Als die Schule vorbei war, durfte Lisa ihre Mutter im Geschäft besuchen. Sie durchwühlte alle Regale, bis sie eine Kette fand, die genauso aussah wie das Schmuckstück, das sie letztes Jahr auf den Malediven verloren hatte. Unter dem Preisschild las Lisa ebenfalls „MADE IN CHINA“. Es waren die gleichen Schriftzüge wie auf der Schneekugel. „Da kann mir der Weihnachtsmann wohl eine Kette bringen“, dachte sich das Mädchen.

Am nächsten Morgen lag anstatt des Wunschzettels eine Schneekugel auf

Am Heiligen Abend lag ein Kuvert mit der Aufschrift „MADE IN CHINA“ vor dem Christbaum. Lisa öffnete es. Und drinnen waren Tickets für einen Flug nach China! Im Land der aufgehenden Sonne war Lisa entsetzt. Nur Holzhäuser, Menschen mit Mundschutz, kein Schnee. Da fing Lisa an zu weinen. Lebte der Weihnachtsmann doch nicht in China?

Das rostige Rohr

Ich überlege

Das rostige Rohr rostet unter der Straße mit viel Kummer Rostwasser

Ich überlege, was ich überlege. Ich überlege, warum ich überlege. Ich überlege, wo ich überlege. Ich überlege, wie ich überlege. Ich überlege, wann ich überlege. Ich muss so viel überlegen.

Die grünen Blätter

alles muss raus Co-Autor: Herbert Eigner-Kobenz

Die grünen Blätter verfärben auf dem Ast ohne viel Rast Blätterfarbenspielerei

im rot des mondes im blau des neptun sagt gelb auf wiedersehen ein farbentraum muss aus dem kopf alles muss raus im grün des himmels

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Stille

Mein letzter Tag als gesunder Mensch

Stille Ein Autor denkt viel nach findet keine gute Schreibidee Kreativitätsverlust

Schriller Lärm durchbrach die Ruhe in meinem Zimmer. Es war so laut, dass es kaum auszuhalten war. Mit viel Kraftaufwand setzte ich mich auf, was mir nach zwei Versuchen auch gelang. Ich griff nach meinem Handy und stellte es an. Der erste Gedanke nach dieser mühseligen Routine war: „Aua!“ Meine Kehle brannte wie Feuer. Als wäre jemand nachts in mein Zimmer geschlichen und hätte den Inhalt der Büchse der Pandora in meinen Rachen geschüttet. Entsetzt berührte ich meinen Hals und flüsterte ein paar Wörter, um sicherzugehen, dass niemand auf die Idee gekommen war, meine Stimmbänder auszureißen. Zum Glück waren sie noch da. Schwungvoll warf ich meine Beine über die Bettkante. Als ich versuchte, ohne Hilfe zu stehen, dachte ich, ich würde zu Boden stürzen. Meine Beine fühlten sich an wie Gummi. Da ich die ganze Zeit damit beschäftigt war, das Gleichgewicht zu halten, bemerkte ich nicht, dass meine Mutter ins Zimmer kam. „Beeil dich!“, rief sie. Ich wollte widersprechen, aber es war zu spät. Außerdem hatten wir vor, in Mathe für die Schularbeit zu üben. Ich setzte meine Routine mit viel Mühe und Schmerz fort. Glücklicherweise war ich an diesem Tag schneller als sonst und hatte noch fünfzehn Minuten Zeit, um zu schlafen. Leider vergaß ich, mir den Wecker zu stellen.

Herbst Wind weht durch das Haar Boden wird bunter Teppich Oh, du schöner Herbst!

Nächtlicher Besuch Blinklicht greller Schein durchbricht dunklen Himmel landet langsam am Boden UFO

Meine widerlichste Erfahrung im Schwimmbad Gebe Fuß ins Nass Gehe tiefer ins Wasser Spüre ein Pflaster

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Humorvolle und kreative Tagträumerin

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Bianca Hunsturfer

BIANCA HUNSTURFER


Heute ist der Tag

Schreibakademie GÄNSERNDORF

Gänserndorf. Dicke Regentropfen fallen auf die Fensterscheibe meines alten BMW. Doch ich registriere das düstere Wetter kaum, denn ich starre wie in Trance meine Uhr und den Eingang zur Bank an, vor der ich parke.

Bianca Hunsturfer

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Es ist acht Uhr morgens. Eigentlich soll es heute bis zu dreißig Grad bekommen, aber dunkle Wolken versperren die Sicht. Es stört mich nicht, denn schwerer als mir jetzt schon zumute ist, ist kaum möglich. „Heute ist der Tag, der Tag der Abrechnung“, sage ich zu mir und streiche mein verschwitztes Haar nach hinten. Ist es wirklich das, was ich will? Ein kriminelles Leben? Meine Familie bestand und besteht nur aus Kriminellen. Es hat alles mit meinem Ururgroßvater angefangen. Er war in einer Gelddruckerei angestellt und steckte ab und an ein paar Scheinchen in seine Hose. Nach einiger Zeit war er schon so geübt, dass er seiner Tochter die Kunst des Stehlens beibrachte. Und das ging von Generation zu Generation weiter. Meinen ersten Raubzug machte ich mit fünfzehn. Meine Eltern hatten vor, irgendeine kleine Bank auszurauben. Ich weiß zwar nicht mehr, welche Bank wir letztendlich ausraubten, aber ich weiß, dass es furchtbar schiefging. Am Anfang lief alles wie geplant, mein Vater saß im Fluchtfahrzeug und hatte den Motor an. Meine Mutter und ich streiften uns Skimasken über den Kopf und gingen zur Bank. Ich war sehr aufgeregt und ziemlich stolz auf mich. Meine Mutter riss die Tür der Bank auf und brüllte: „Das ist ein Überfall! Alle hinlegen und die Hände auf den Kopf oder ich schieße!“ Sofort legten

sich alle auf den Bauch. Ich rannte zu den Kassen und steckte das Geld hastig in meine Sporttasche. Nach zirka fünf Minuten rannten wir zu unserem Fluchtfahrzeug. Mein Vater stieg ordentlich aufs Gas. Innerhalb einer Stunde waren wir zu Hause und feierten unseren Erfolg. Wir grillten und fingen schon an zu essen, als ich plötzlich ein lautes Klopfen an der Tür vernahm. Die Polizei stand vor der Tür. Meine Mutter sprang sofort auf, ergriff die Tasche mit unserer Beute und stopfte sie in den noch glühenden Griller. Das Geld fing sofort Feuer und brannte wie Kohle. Vater ging zur Tür, in der Zwischenzeit setzten meine Mutter und ich uns wieder hin und aßen weiter. Ich bekam vor Aufregung kaum was runter, aber ich musste mich so unauffällig wie möglich verhalten. Die Polizisten stürmten in unser Esszimmer und riefen: „Wir haben das ganze Haus umzingelt. Alles, was Sie sagen, kann und wird gegen Sie verwendet werden. Flucht ist zwecklos!“ Meine Mutter sah ihn fragend an: „Solange Sie uns nicht beim Essen stören. Aber Spaß beiseite, was wollen Sie?“ „Das wissen Sie ganz genau“, konterte der Polizist. Meine Mutter sprang auf und wurde rot vor Wut: „Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind? Stürmen in mein Haus und sagen noch nicht einmal, was los ist!“ Dabei zeigte sie auf Vater, dem im selben Augenblick von einem anderen Polizisten Handschellen angelegt wurden. Der Polizist grinste nur, zog ein Sporttrikot aus seiner in die Jahre gekommenen Bauchtasche. Meine Mutter sah ihn skeptisch an: „Schön, dass Sie Ihr Sporttrikot wieder haben, aber was hat das mit uns zu tun?“ Es war nicht irgendein Trikot, es war mein Sporttrikot. Wo unglücklicherweise auch mein Name draufstand. Es musste mir aus der Tasche gefallen sein. Auf der Stelle fing ich an zu schwitzen und vermied jeglichen Augenkontakt mit dem Polizisten. Er bemerkte mein Verhalten sofort und zeigte auf mich: „Und Sie wollen mir sagen, Sie wüssten nichts?“ Zu gut kann ich mich noch an den enttäuschten Blick meiner Mutter erinnern. Den Rest kann man sich denken. Meine Eltern sind mittlerweile wieder auf freiem Fuß und haben ihrer kriminellen Vergangenheit den Rücken gekehrt. Aber den Wunsch, dass unsere kriminelle Laufbahn weitergeführt wird, haben sie immer noch. Und nun sitze ich hier und philosophiere über mein Leben. Die Sommerhitze hat mittlerweile Gänserndorf erreicht, und in einem stickigen Auto lässt es sich sehr schwer denken. Außerdem hat die Bank vor ein paar Minuten aufgesperrt. Ich habe mich entschieden und steige aus. Selbstsicher schreite ich in die Bank und gehe zum Tresen, wo eine Angestellte etwas in den Computer tippt. „Wie kann ich Ihnen helfen?“, fragt sie. Ich zögere ein bisschen, aber meine Entscheidung ist schon längst gefallen. Langsam beuge ich mich zu ihr runter und flüstere: „Ich möchte ein Bankkonto eröffnen.“


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ALOIS NIKOLAUS LEIDWEIN Spontan, engagiert, liebt humorvoll-absurde Kurzgeschichten

Niveau

Es sieht. Es sieht es. Es sieht es nicht. Was sieht es nicht? Ich weiß es nicht. Es sieht vielleicht die Antwort. Es sieht sie nicht. Es kann sie nicht erkennen. Es fragt sich nur: Was ist die Antwort?

Nicht vorhanden Irgendwie in keiner österreichischen Tageszeitung Es ist weg Aber ich finde es Und werde scheitern

Die Leere in meinem Kopf Die Leere in meinem Kopf ist so leer wie eine Wasserflasche. Ohne Wasser. Es wurde ausgetrunken. Doch ich bin durstig. Ich brauche Wasser. Denn die Leere in meinem Kopf ist so leer wie eine Wasserflasche.

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Alois Nikolaus Leidwein

Es sieht

Dusche Dusche so kalt jetzt heiß dieser Schmerz es reicht

Ein Wort Ein Wort. Das waren aber zwei. Literatur.

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Alois Nikolaus Leidwein

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Offensichtliches Gedicht

Regenleben

Der Tag, an dem alles anders wird ist ein Tag und keine Woche kein Monat und kein Jahr. Es ist ein Tag. Ein Tag an dem alles anders wird. Ein Tag hat vierundzwanzig Stunden. Vierundzwanzig Stunden hat ein Tag. Ein Tag hat ein T am Anfang. Und ein g am Ende. Dazwischen ist ein a. Der Tag an dem alles anders wird ist ein TAG.

Ein neues Leben beginnt. Ein Leben als Regentropfen. Ich bin in der Wolke. Alles ist weiß. Die Wolke schüttelt sich. Ich falle. Ich werde schneller. Ich sehe ein Kind. Es macht den Mund auf, in der Hoffnung, dass ich hineinfalle. Doch ich treffe sein Auge. Und es weint. Ein neues Leben beginnt. Ein Leben als Träne.

Alter Ego Mein Alter Ego ist nicht alt es ist neu und meines Ich bin ein Egoist

Der Schlaf Der Schlaf macht mich wach Umbaupause in mir

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MARLENE LEIDWEIN Dürnkrut-Bewohnerin, Märchenliebhaberin, Fantasyfan

Albträume

Schlaf

Träume sind toll. Wunderbar. In der Nacht, wenn man schläft, kann man in ein neues Leben schlüpfen, in eine Traumwelt. Die Probleme vergessen. Einfach fantastisch. Da gibt es nur einen Haken – es gibt auch schlechte Träume, Albträume. Die größten Feinde, die es gibt! In der Nacht wacht man schweißgebadet, schwer atmend auf. Man will fliehen, bis man merkt, dass es nur ein Traum war. Einschlafen will man auch nicht mehr, aus Angst, dass der Albtraum wieder beginnt. Warum gibt es Albträume?

Im Schlaf ist alles möglich. Es gibt Träume. Gute, schlechte, komische, lustige. Im Schlaf werden die Gedanken verarbeitet, umgebaut.

Blätter von Bäumen – eine Fantasie Blätter von Bäumen Grüne Wände werden gelb Ja, nein, vielleicht Brokkoli ist böse Die Tür ins Nichts Große Galaxie Verwandlung

Marlene Leidwein

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Bauen

Verwandlung

Gott baute die Welt. Wir bauen sie weiter und zerstören sie.

Manchmal wünscht man sich, verwandelt zu werden. Vielleicht in einen Vogel, um vor allem und jedem wegzufliegen. Oder auch in einen anderen Menschen, weil man unzufrieden mit sich ist. Man wünscht sich eine gute Fee, wie im Märchen. Aber eigentlich braucht man gar keine. Man kann sich immer verwandeln. Auch ohne Zauberkräfte.

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Alter Ego

Marlene Leidwein

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Früher – jetzt Offen – verschlossen Laut – leise Beliebt – einsam Nur wegen dieser Person Mein altes Ich Und mein neues Alter Ego

Windreiter

Fortschritt Tag 214. Ich mache Fortschritte. Ich verändere mich, baue mich um. Ich werde langsam wieder gesund. Die Scheißärzte meinen, ich sei ein Wunder. Die Krankheit ist noch unerforscht. Trotzdem fühle ich mich dank dieser komischen Medizin, die mir die Ärzte verabreichen, besser. Die Fortschritte werden immer größer, und mein Körper baut sich wieder auf.

Co-Autor: Marina Winzaurek

Der Sinn von Literatur

Es säuselt durch die Blätter Ein Luftzug streichelt die Haut Die Wäsche auf der Leine schwingt sanft hin und her

Welchen Sinn hat Literatur? Wieso liest man überhaupt? Eigentlich ist das reine Zeitverschwendung. Wir tun es trotzdem. Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, warum ich lese. Wie schafft man es eigentlich, Menschen durch einfache Wörter zu verzaubern? Warum gibt es Menschen wie mich, die es lieben zu lesen? Liegt es daran, einfach seinen Kopf frei zu bekommen und in andere Welten zu tauchen? Aber warum sollte man das tun und was ist der Sinn von Literatur? Gibt es überhaupt einen?

Es weht durch die Äste Ein Zweig knickt Blätter lösen sich und reiten auf dem Wind Sie fliegen endlos lang Es braust durch die Wälder Wurzeln geben nach Bäume wippen hin und her Äste fallen herab Die Wäsche reißt sich los und reitet mit den Blättern auf dem Wind

Wie geheime Türen Bücher sind die Schlüssel für Türen. Jeder Mensch hat einen eigenen Raum für seine Ideen, Gedanken und Vorstellungen. Man stellt sich etwas vor, das niemand, außer man selbst, sehen kann. Jeder Mensch hat seine eigene kleine Welt. Menschen lesen die gleichen Bücher, aber alles ist irgendwie anders. Mit Büchern kann man in geheime Räume gehen.


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PHILIPP RICKL

Der Herbst ist der letzte Dreck!!! Im Herbst gibt es Kürbisse. Im Herbst ist Halloween. Im Herbst ist Schule. Im Herbst gibt es den Herbst. Im Herbst gibt es die Blätter. Im Herbst werden die Weintrauben geerntet. Im Herbst kommt der Krampus. Im Herbst gibt es den Nikolaus mit der Zipfelmütze. Im Herbst werden die Gespenster lebendig. Im Herbst gibt es in den Geschäften Abverkauf. Im Herbst wird es kälter. Im Herbst wird die Welt untergehen. Alle Menschen werden sich erkälten. Im Herbst sterben die Gelsen. Im Herbst wird die Geschichte aus sein. Auf der Straße sind viele Menschen, die Schnupfen haben. In der Schule haben alle Schnupfen. Gift strömt überall, und es gibt nur ein Mittel – das heißt Taschentuch.

Der Drachenberg

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„Es war einmal vor langer Zeit, da durchstreiften Drachen und alle möglichen Fabelwesen unsere Wälder.“ Jakobs Großmutter machte eine Pause. „Eines Tages aber“, fuhr sie fort, „kamen die Unglauir-Wesen. Sie waren halb Känguru und halb Drache. Ihr Anführer, der schreckliche Tei Lung, der nur aus Gold zu sein schien, tötete mithilfe aller anderen Unglauir die Drachen. Doch glaubt man einem Gerücht, sollen die Drachen und Unglauir überlebt haben und man sagt, sie werden zurückkommen, wenn wir sie am meisten brauchen.“

Philipp Rickl

Das bin ich nicht: Ich heiße Hugo, ich bin ein Mädchen, ich mag Fußball.

Seine Großmutter schloss das Märchenbuch und sagte: „Vielleicht stimmt das wirklich, solange wir daran glauben ...“ Kun Laei trat in die dunkle, feuchte, aber dennoch angenehme Höhle ein. Der älteste der Drachen, Wan Fu Lei, sprach zu den anderen Drachen: „Meine lieben Brüder und Schwestern, ich weiß, die Unglauir werden zurückkehren, aber ich glaube, das wissen wir alle. Deshalb werden wir den Saum des Himmels auf Erden finden müssen. Wir brauchen einen Freiwilligen, der sich auf den Weg macht, ihn zu finden. Also, wer meldet sich freiwillig?“ Bis jetzt waren alle Drachen angespannt, doch nun brachen alle in schallendes Gelächter aus. „Der Saum des Himmels auf Erden – du wirst alt, Wan Fu Lei“, sagte ein Drache. Ein anderer wiederum meinte: „Das ist Wahnsinn.“ Dann gingen alle Drachen wieder in ihre Höhle.


Emotional, ehrlich, einfallsreich

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Sich selbst wiederfinden

Leichen sind toll

Marina Winzaurek

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MARINA WINZAUREK

in jeder Ruhe steckt die Wahrheit doch sie schreit oft viel zu laut in jeder Stille lebt die Vergangenheit doch sie zu halten ist unmöglich in jeder Verwandlung entsteht etwas Neues doch durch sie vergeht das Alte in jeder Sekunde der nächste Atemzug doch nicht immer neue Kraft in jedem Moment ein Augenblick doch kaum ein echtes Sehen in jedem Gedanken die Erinnerung und doch kann nichts bleiben

Leichen sind nicht tot, sie leben nur nicht mehr. Sie waren mal lebendig, das ist jetzt aber unwichtig. Perfekt geformte Hüllen, bereit für Neues. Kalt und bleich und trotzdem schön. Schön, für lange Gespräche ohne Antwort. Schön, zum Entdecken. Schön, zum Verschenken. Kein Wille, aber ein Weg. Zu schade, um sie zu vergraben. Zum Puppenspielen wären sie perfekt. Vielleicht bleiben sie ja da. Ein Körper ohne Seele. Ein Körper mit Verstand? Viel Masse, ohne dass sie sich bewegt. Haar und Nägel wachsen immer noch. Sie können doch gar nicht tot sein. Sie sind doch gar nicht tot. Sie leben nur nicht mehr.

Hätte ich mich nur nicht verloren

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Athen – Wien Der Weg teilt sich

Es ist Abend. Ein Junge kommt den Weg herauf, sein Aussehen ist südländisch. Er ist zirka sechzehn, höchstens siebzehn Jahre alt. Seine dunkelbraunen Haare trägt er aufgestellt unter der schwarzen Kapuze seines Pullovers. Seine roten Schuhe gleiten lautlos über die Steine, nur die graue Jogginghose knistert bei jedem Schritt leise. Ein zweiter Junge mit einem lila Käppchen schleicht um die Ecke. Zur Begrüßung ein kurzer Handschlag. „Hast du den Stoff?“ Der Junge mit den roten Schuhen kramt in seinen Hosentaschen und zieht drei Päckchen heraus. „Es waren fünf Säckchen ausgemacht.“ Das Gesicht des zweiten Jungen verzieht sich. „Hab selbst nicht mehr bekommen.“ – „Dann eben weniger Cash.“ – „Gleiche Summe,

Gänserndorf. Er klopft. An eine Tür im dritten Stock eines Gemeindebaus, dahinter liegt eine kleine, schmuddelige Wohnung. Eine griechische Flagge baumelt neben der Klinke, eine schmutzige Fußmatte weist den Weg ins Vorzimmer. Eine Frau mittleren Alters öffnet. Ihre kräftigen, dunklen Locken reichen ihr bis zur Taille, tiefe Furchen durchziehen ihr Gesicht. Im Mundwinkel hängt eine halb abgebrannte Zigarette. Hinter ihr tummeln sich zwei Kleinkinder; ihnen wachsen genau die gleichen Locken wie ihrer Mutter. Sie tragen nur Windeln und T-Shirts, das eine nuckelt an einem Schnuller, das andere schleift eine blonde Stoffpuppe mit sich. Zwillinge. „Ooh, Alexandros, komm rein!“, die kräftige Stimme hallt durch das Treppenhaus. Sie macht eine auffordernde Bewegung Richtung Kinder, die lachend und kreischend in der Wohnung verschwinden. Er tritt hinein, ein muffiger Gestank, ein Gemisch aus Zigarettenrauch, abgestandener Luft und Alkohol, schlägt ihm entgegen. Die Frau bahnt sich den Weg durch Plastiktüten, Spielzeug und verdreckte Tücher zu einem alten Polstersofa. Der Junge folgt ihr durch den abgedunkelten Raum und lässt sich auf einen zerschlissenen Sessel sinken, die Federn quietschen. Die Frau stößt eine leere Bierflasche vom Couchtisch, um Platz für ihre dreckigen Füße zu schaffen. „Wo ist Dimitri?“, fragt er und blickt sich suchend um. „Mein Mann geht anderen Geschäften nach. Sag schon, hast du uns ein Stück Heimat mitgebracht?“, fragt sie mit schrillem Lachen, sodass ihre schwarzen, verfaulten Zähne sichtbar werden. Der Junge wirft ein Päckchen auf den Tisch, ein Teil des durchsichtigen, kristallartigen Inhalts verteilt sich auf der Holzplatte. Die Kinder rennen schreiend in den Raum, auf die glitzernde Substanz zu. „Nein, Alexis, Evgenia! Husch, weg mit euch!“, schreit sie. „Wieso sind sie nicht im Kindergarten?“ – „Oh, ich wusste, ich hab was vergessen!“, antwortet sie mit einem kehligen Lachen. Sie steht auf, holt eine Plastikkarte aus der Küche und beginnt, den Stoff auf dem Tisch zusammenzukratzen. Der Junge schüttelt angewidert den Kopf und verlässt die Wohnung. „Unser Goldjunge geht schon wieder? Will er sich gar kein Stück Heimat teilen?“, ruft sie ihm hinterher, dann erneut das grausige Lachen. Wien, 16. Bezirk. Wieder die griechische Flagge. Der Junge mit dem lila Käppchen betritt das schäbige Gebäude, die Aufschrift

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sonst kannst du‘s vergessen“, zischt der mit den roten Schuhen. Widerwillig überreicht der andere ihm das Geld, dann verschwinden beide auch schon wieder in der Dunkelheit, nur der Schriftzug „Athen – Wien“ bleibt.

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Gänserndorf. Ein grüner Mistkübel, daneben eine Laterne und ein spiralförmiger Fahrradständer. Hinter dem Gebüsch eine graue, schmutzige Wand. Es ist Samstag, die Sonne scheint, die Vögel zwitschern. Eine Frau und ihr Hund – ein Spaniel, seine langen Zotteln streifen über den Boden – joggen über das Pflaster Richtung Bushaltestelle. Weiter hinten befindet sich eine große Wiese, darauf eine morsche Bühne, rundherum riesige Holzgebilde. Unkrautartige Kletterpflanzen wuchern daran empor. Eine alte Kiefer bewacht den Platz, davor steht ein zu einer Bar umfunktionierter Container mit „Zwettler-Bier“-Laternen. Ein Steinweg, gepflastert mit Erinnerungen, führt neben dem Gras hinauf zur Straße. Er wird von der schäbigen Wand begleitet. Darauf, neben einem schlitzartigen Fenster, der gesprayte Schriftzug „Athen – Wien“, schwarz, in wackeligen Buchstaben.


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„Wiener Gemeindebau, erbaut 1977“ bildet einen Bogen über der hölzernen Flügeltür. Er steigt die Stufen hinab in den Keller. Zwei alte Herren empfangen ihn freudig in einer stickigen Kammer voll Zigarrenrauch. „Freunde, unsere Ladung Athen is da!“, grölt ein Mann mit griechischem Akzent und schulterlangen, grauen, feinen Haaren.

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„Hast du das Sisa?“, krächzt ein glatzköpfiger Alter von weiter hinten in der Dunkelheit, man kann nur sein von dem Glimmen der Zigarre erleuchtetes, zahnloses Grinsen sehen. Der Junge nimmt zwei Päckchen heraus – während er das dritte vorsichtig tiefer in seine Hosentasche schiebt. Der Grauhaarige tritt ins Licht, schnappt die Tütchen aus der Hand des Jungen und drückt stattdessen zittrig ein paar Scheine hinein. Seine dunklen Augen werden von hängenden Tränensäcken umrahmt, buschige Augenbrauen ziehen sich über seine halbe, dick von Falten bedeckte, Stirn. Am Boden hat sich eine Schicht aus

Zigarettenstummeln, leeren Plastikhülsen, vermutlich von Spritzen, und zerknitterten Rechnungen gebildet. Der Junge schubst angewidert alte Nadeln von einer hölzernen Bank, bevor er sich hinsetzt. Der Glatzköpfige steht auf und steckt ihm eine Zigarre in den Mund, er nimmt einen tiefen Zug und hustet. „Erzä..., erzäh..., erzähl uns v..., v..., von Athen“, gurgelte der Grauhaarige. Der Junge räuspert sich: „Ist schon länger her, dass ich dort war, hat sich nicht viel verändert, selbe Dealer, selbe Polizisten. Erinnert ihr euch noch an euren Nachbarn von damals?“ – „Ja, ein ... ein guter Kerl, v..., v..., hatte den b..., besten Stoff.“ – „Er ist tot, Überdosis.“ Die faltigen Gesichter der Alten erschlaffen, Schatten bilden sich unter den glasigen Augen, betreten schauen sie zu Boden. Der Junge seufzt, steht auf und wendet sich zum Gehen, dabei kickt er eine leere Bierdose durch den Raum, die scheppernd in einer dunklen Ecke landet. Am Haustor blickt er noch einmal zurück. Dann geht er. Die nächste Ladung kommt in zwei Wochen, von Athen nach Wien. „Sisa“ ist seit 2013 die populärste Droge in den Armenvierteln von Athen. Sie ist nicht nur extrem billig und für alle Süchtigen leicht erschwinglich, sondern auch hochgradig gesundheitsschädlich. Sie wird als Ersatz für Crystal Meth konsumiert, macht jedoch noch schneller abhängig.


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Klasse Elisabeth Schรถffl-Pรถll & Gerhard Ruiss

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TEILNEHMENDE Georgina Frasl David Kรถppl Sophie Lichtenstern Isabel Ludwigstorff Diana Melody Micheal Eva-Maria Wagner Lydia Weber David Weihs Sophie Winkler


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Arbeitsschwerpunkte 2016/17

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Neben der ständigen Schreibtätigkeit, Beteiligung an Wettbewerben, Projekten und am Kulturleben der Region setzten wir heuer vermehrt auf Außenkontakte. So besuchte uns die 92-jährige (Senioren-)Sportlerin des Jahres 2016 und Kalligrafin Margit Schieder, um die Schreibakademie-Teilnehmenden in die Kunst der Kalligrafie einzuführen. Durch die Erforschung der Hollabrunner Brunnen und Herstellung eines Brunnenkalenders mit entsprechenden Texten wurde auch die Erste Bank auf die Schreibakademie aufmerksam und sorgte dafür, dass der Kalender eine weite Verbreitung erfuhr. Außerdem beteiligte sich die Schreibakademie wie alljährlich am Hollabrunner Ferienspiel „Kunterbunt“ und am Tagebuchtag der Universität Wien.

Die nächste Generation Fast unbemerkt hat sich in der Schreibakademie Hollabrunn ein Generationenwechsel vollzogen. Mehrere Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Alterskategorie 15 bis 18 mit großer Schreiberfahrung wurden von bis um acht und neun Jahre jüngeren Neuzugängen abgelöst. Nach unsicheren ersten Schritten ist es den neuen Teilnehmenden erstaunlich schnell gelungen, in der Schreibakademie Fuß zu fassen. Wesentlich daran beteiligt waren die verbliebenen Akademieteilnehmenden, die sie von vornherein als gleichwertige Teilnehmerinnen und Teilnehmer behandelt haben. So schade es ist, wenn der Besuch der Akademie von jemandem wegen schulischer oder beruflicher Weiterentwicklung oder Übersiedlung ein Ende finden muss, so erfreulich ist es, dass sich nahezu von selbst Nachfolgerinnen und Nachfolger

finden, die im kreativen Schreiben ihren Ausdruck suchen und in der Schreibakademie zu finden hoffen. An der Akademie liegt es, diese Hoffnungen nicht nur nicht zu enttäuschen, sondern zu übertreffen. Die in einem weit über die Abdruckmöglichkeiten im Jahrbuch hinausgehenden, jedes Jahr neu entstehenden Texte sind ein deutlicher Ausdruck dafür, dass es an Begeisterung, Produktivität und Qualität jedenfalls nicht mangelt. Und auch nicht an Ausdauer. Es gab und gibt nur ganz wenige Teilnehmende, die ein Jahr oder kürzer an der Akademie mitgewirkt haben. Das Angebot ist ganz offensichtlich für diejenigen, die einmal in Kontakt mit der Akademie gekommen sind, so attraktiv, dass sie bleiben wollen. Umgekehrt ist es auch die sich über mehrere Jahre erstreckende Arbeit mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Mit jedem weiteren Text wachsen der Wert und die Bedeutung der Akademie und wächst jede und jeder Mitwirkende mit ihr mit und steigt das Niveau der Herausforderungen, denen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Schreibakademie stellen, von Jahr zu Jahr.

Gerhard Ruiss, Referent der Schreibakademie Hollabrunn


Schreibakademie Hollabrunn im 10. Jahr – Durchgangstor mit Sicht auf eine literarische Welt Die Schreibakademie Hollabrunn ist stolz auf den Jahreskatalog, der Texte aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Beginn an und Laudationes von Honoratiorinnen und Honoratioren enthält. Immerhin haben 55 Jugendliche die Tore der Schreibakademie Hollabrunn durchschritten und ihre bemerkenswerten Texte hinterlassen. Bemüht man Wikipedia, dann findet man zu „Akademie“ (griechisch) lieblicher Aufenthalt für Platon und seine Schüler, Anstalt, die fachliches Wissen vermittelt, Dichterakademie, Sozialakademie. All diese Begriffe sind durchaus auch für unsere Schreibakademie anwendbar. Ein lieblicher Aufenthalt ist sie allemal in unserer freundlichen Location in der Stadtbücherei, sowohl für uns Referierende als auch für die jugendlichen Schreibwütigen.

Zufrieden blicken die jungen Schreibenden und wir Referierenden auf die Erfolge der Schreibakademie zurück, begeistert von der Vielfalt des Angebotenen und den Ergebnissen. Mit unverbrüchlicher Ausdauer und Elan blicken die Genannten jedoch bereits ins zweite Schaffensjahrzehnt. Wir als Referierende dürfen feststellen, dass sich die Gruppenbildung gefestigt hat und die Teilnehmenden sich gegenseitig bereichern. In diesem Gruppenstadium stellen sich Lockerheit und Humor wie von selbst ein. Durch eine vorbildliche Zusammenarbeit mit Eltern sind Exkursionen im Herbstsemester bereits gesichert. So sind Besuche sowohl in der Alpaka-Farm, im Feuerwehrhaus und in der Kellergasse geplant. Vermehrt werden heuer die Schreibfedern also in freier Natur gezückt werden und spannende Gedichte und regionale Geschichten entstehen. Nach wie vor gilt für uns Referierende, die Jugendlichen unter Berücksichtigung von Individualität, Identität und Würde zu kreativem Schreiben anzuregen.

Elisabeth Schöffl-Pöll, Referentin der Schreibakademie Hollabrunn

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GERHARD RUISS

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Geboren 1951 in Ziersdorf/NÖ, Autor, Musiker, Lehrbeauftragter an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien, Geschäftsführer und Sprecher des Berufsverbands IG Autorinnen Autoren. Verfasser von Hand- und Sachbüchern zur Literatur, u. a. „Handbuch für Autoren und Journalisten“ und „Literarisches Leben in Österreich“. Neuere literarische Einzelveröffentlichungen: Gesamtausgabe der Lieder Oswalds von Wolkenstein in Nachdichtungen, Band 1: Und wenn ich nun noch länger schwieg’, Band 2: Herz, dein Verlangen, Band 3: So sie mir pfiff zum Katzenlohn, Folio Verlag, Bozen, 2011; „Neue Gedichte – Podium Porträt Nr. 59“, Podium, Wien, 2011; „Paradiese. Schöne Gedichte“, Neue Lyrik aus Österreich, Verlag Berger, Horn, 2013; „Das 100. Jahr“, Stück, UA Festival „Luaga & Losna“, Theater am Saumarkt, Feldkirch, 2014. Tonträger: „GÖ“, Ö.D.A. Verlag, Wien, 1995, Zytglogge, Bern, 1996; „ÖHA“, Verlag Buchkultur Wien, 1997; Chansons von Mani Matter im Wiener Dialekt (gemeinsam mit Reinhard Prenn). Auszeichnungen: Berufstitel Professor 2012, Wolfgang-Lorenz-Gedenkpreis für internetfreie Minuten 2013, Medaille des Österreichischen Buchhandels für besondere Verdienste um das Buch 2014.


1944 geboren in Stoitzendorf, lebt und wirkt in Hollabrunn und Krumau. Seit 1985 jährlich Buchveröffentlichungen. Zuletzt erschienen: allESPalette (Volkskultur NÖ), „Väter im Himmel“ (Bibliothek der Provinz); Seelenland Weinviertel und Beitrag in der Anthologie „Mein Weinviertel“ (Literaturedition NÖ). Tätigkeiten und Mitgliedschaften: Gastdozentin auf germanistischen Hochschulen Polens und der „Jungen Uni NÖ“; „Schule der Dichtung“ in Wien (Klassen H. C. Artmann und Gerhard Rühm). Ausflug in die Filmwelt mit Stermann und Grissemann; Ausflug in die Theaterwelt mit Elfriede Ott (Erinnerungstheater Wien); Mitglied in zahlreichen Literaturvereinigungen, der ART-Schmidatal und des P.E.N. Gründerin der Literaturinitiative und Edition DICHTERMÜHLE. Qualitätssiegel für Referententätigkeit im KBW, Education-Award des BM für UKK. Silbernes Ehrenzeichen des Landes NÖ für ihr Werk in Mundart/Schriftsprache und den Einsatz für eine NÖ Landeshauptstadt. Für Kulturvermittlung und Erwachsenenbildung erhielt Elisabeth Schöffl-Pöll das Goldene Verdienstzeichen der Republik Österreich, das Qualitätssiegel der ED St. Pölten. Diplomarbeiten zum Werk wurden auf der Hochschule Tschenstochau und der Universität Innsbruck veröffentlicht.

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ELISABETH SCHÖFFL-PÖLL

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Geld und Gier oder: In der Not die Anerkennung

Georgina Frasl

GEORGINA FRASL

Wenn man nachfragt, was Menschen sich unter einem glücklichen Leben vorstellen, steht Wohlstand ganz oben. Aber was bedeutet das? Qualität? Gesundheit? Reichtum? Warum wünschen wir uns immer das, was wir nicht haben? Reiche Menschen sind doch auch nicht glücklich, nur weil sie viel Geld besitzen. Ich glaube nicht, dass wir den Reichtum wollen aus dem Willen heraus, zu kaufen und zu verschwenden. Das sind Nebenhandlungen und Beiprodukte. Was Geld wirklich vollbringen soll, ist, eine Lücke zu füllen. Eine Leere, die aufreißt. Und wenn man sonst nichts mehr hat, ist man wenigstens reich. Der Reichtum ist nur ein Substitut für ein Substitut. Die Gier ist kein Hunger auf Geld, sondern auf Anerkennung. Aber Geld kann dich nicht lieben. Es kann dir nicht auf die Schulter klopfen und dir sagen: Es wird schon wieder. Wir glauben irrtümlich, Anerkennung wäre Glück. Und immer diese Gier. Denn was wären wir ohne das, das uns immer gefehlt hat?


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M kommt heute nicht. Ein Stimmungsbild.

Und die Welt anschreit Ich komme heute nicht Aber dass sie damit recht hatte Wollte ich nicht glauben Also rufe ich sie Rufe ihren Namen M Aber sie versteckt sich Irgendwo, wo ich sie nicht finden kann Als die Welt sagte M kommt heute nicht Dann meinte sie damit Dass M heute wirklich nicht kommt Dass M heute keine Lust hatte Zu kommen In die Welt Die immer Recht behielt M kommt heute nicht

Ich glaube, Zivilcourage ist für den Anfang zu schwer. Denn es bedeutet: über seine Kapazitäten hinauszugehen. Es wiegt schwerer als bloßes Mitgefühl. Haben wir Zivilcourage, dann leiden wir nicht mit den anderen. Wir sehen unsere Körper nicht wie unterschiedliche Organismen. Sondern wir versetzen uns ganz in jemanden, eine Situation, ein Gefühl. So lange, bis es von selbst anfängt, weh zu tun, und wir es sind, die den Schmerz spüren. Zivilcourage heißt, etwas zu tun oder auf eine Art zu denken, wie es sonst keiner getan hat. Es heißt, sich im Geiste etwas vorzustellen und es trotzdem zu tun. Als Vincent van Gogh gelbe Farbe aß, war das Zivilcourage? Er wollte schließlich ganz die gelbe Farbe sein, mit der er malte. Die er benutzte. Vielleicht hatte er die Absicht, sich benutzt vorzukommen. Und seine Magenschmerzen waren seine Art, zu fühlen. Was sagten die Menschen, als sie davon hörten. Dass er verrückt sei. Dass er auf sich aufmerksam machen wollte durch eine lächerliche Aktion. Er war krank, aber er verstand die Welt auf eine andere Weise als die Menschen, die behaupteten, er sei krank. Er hatte etwas Unmögliches getan. Als er seine Leidenschaften nur auf der Leinwand ausmalte, war er ein Künstler gewesen. Aber als er Farbe aß und sich ein Ohr abschnitt, war er ein Verrückter gewesen. Weil er eine Idee verfolgt hatte. Er hatte die Kunst von der Leinwand ins Leben gebracht. Er hatte die gelbe Farbe vom Pinsel in seine Verdauung gebracht, in seinen Kreislauf. Er hatte die Courage lebendig werden lassen. Ich glaube, Zivilcourage ist für den Anfang zu schwer. Zu schwer verdaulich. Sie bedeutet: etwas zu essen, was man noch nicht gegessen hat. Etwas, das einem im Magen liegt. Sie bedeutet: den Körper nicht als eigenen Organismus zu sehen, sondern als Medium. Sie bedeutet: sich selbst zu verlieren in jemandem, in einer Situation, in einem Gefühl. Sich selbst nicht länger zu spüren. Sie bedeutet: sich im Geiste etwas vorzustellen und es trotzdem zu tun. Sie heißt: gelbe Farbe zu essen.

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Aber die Welt hatte recht Als sie sagte M kommt heute nicht Nur ich konnte das nicht glauben Konnte nicht glauben Dass sie mir nicht antwortet Mir nichts an den Kopf wirft Ich wollte sie wütend machen Damit sie mir etwas an den Kopf wirft

Zivilcourage

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Georgina Frasl

Als die Welt sagte M kommt heute nicht Konnte ich das nicht glauben Also ging ich in ihr Zimmer Um sie zu wecken Um die Fenster aufzureißen Die Vorhänge wegzuschieben Ihr zu sagen, Dass sie aufstehen soll


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DAVID KÖPPL

David Köppl

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Mein Kulturzentrum Langsam öffne ich meine Augen. Wie jeden Morgen starren mir Benjamin, Jakob und Anne entgegen. Ihre Namen weiß ich aus den Akten, die hier überall herumliegen. Ich grüße sie höflich und stelle mir vor, wie sie mich zurückgrüßen. Was sie sicher auch tun würden, wenn ihre Köpfe nicht nur noch aus einer Schädelplatte, Augenhöhlen und einem Kieferknochen bestehen würden. Aber bessere Gesellschaft findet man selbst auf diesem riesigen Gelände nicht. Als ich hierherkam, musste ich auch noch einiges tun. Es gab weder Wasser noch Strom. Aber Kleidung fand ich genug in all den Koffern, die hier einfach so herumlagen. Und viele Hemden haben so einen schönen Stern aufgenäht. Jedenfalls sind die Wände bis heute kahl, und es

gibt vor allem hier im Keller kaum Fenster. Dadurch wird es manchmal so stickig, dass man denken könnte, man atme die Überreste von Giftgas. Das ist auch der Grund, warum ich jetzt, wie jeden Morgen, durchs Haus gehe und all die alten Türen öffne. Auf dem Weg komme ich auch am Badezimmer vorbei. Eigentlich ist es nur ein großer Raum mit Duschköpfen an der Decke, aber besonders einladend ist es nicht. Schließlich stoße ich die Eingangstür auf und stehe in der frischen Luft im Hof. Ich gehe weiter, an den Mauern vorbei, bis vor die Baracken und blicke über die Felder, die Bäume und das Fußballfeld. Hier, am Ortsrand, ist es still, und die Natur hat die Herrschaft übernommen. Es kommt kaum jemand vorbei, fast als würden die Leute diesen Ort meiden. Egal, ist wohl eh besser so. Also klettere ich für meinen morgendlichen Früchtesammelspaziergang über das Haupttor, das verriegelt und abgesperrt ist. Sie haben das hier wohl schon vor langer Zeit geschlossen. Über dem Tor prangt der verblichene Schriftzug „KZ“. Das heißt wahrscheinlich Kulturzentrum oder so, war also ein fades Museum oder eine öde Theaterbühne. Na, auch egal. Ich gehe durch den Wald und genieße meine Freiheit. Ja, es war wohl eine gute Entscheidung gewesen, damals im langweiligen Geschichtsunterricht einfach durchs offene Fenster abzuhauen.


verteilen. Und zwar mit einem Schlitten, der von Rentieren gezogen wird. Und halten Sie sich fest, Chef, wir haben tatsächlich einen gewaltigen Schlitten mit 9 Rentieren vorne dran und einem riesigen Sack gefunden. In dem Sack waren lauter kleine Päckchen, vermutlich das Diebesgut, das er bis jetzt erbeutet hat. Könnte aber auch eine geistige Störung sein, Helfer-Syndrom oder so was.“ „Veräppeln Sie mich nicht, Käsewitz!“ „Aber nein, Chef, nein, ich hab Ihnen zum Beweis bereits die Daten auf Ihr Holophone teleportiert. Wir halten den Verrückten jetzt mal fest, okay?“ „Ja, tun Sie das, ich werde mich sofort informieren.“ Mit einer Miene, als hinge der Frieden im Mittleren Osten davon ab, ob er jetzt den Fall löste oder nicht, wandte sich Polizeioberwachtmeister Bulle seinen Sekretärinnen in der Zentrale zu. Und die fanden wirklich etwas heraus über ähnliche Vorfälle in anderen Ländern. Sie verbanden den Wachtmeister mit der wichtigen Miene sofort mit Polizeibeamten aus der ganzen Welt. „Oui, Monsieur Sauvage. Isch würde gerne wissen, ob Sie tatsächlisch den Monsieur très stupid gefasst ’aben, der bei üns in Fronkreisch die ChampsElysées ünsischer gemacht ’at. Marine Le Pen sprichst schon von den erwiesenen ünd direkten Folgen der schäbigen, korrüpten ünd nasionalfeindlischen EÜ-Außenpolitik.“ „Ja, natürlich haben wir das“, antwortete der leicht angehaucht empörte Wachtmeister. In diesem Moment schaltete sich ein weiterer Teilnehmer dem Gespräch hinzu. „Melly Chlistmas, hiel ist Yuan Ca-Ching von del chinesischen Staatspolizei. Jenel Mann, den Sie momentan festhalten, stand vol wenigen Stunden vol einem Shopping Centel in Schanghai und velschenkte Geschenke. Ein absolutes Velblechen, in del Nähe unselel qualitativ hochweltigen Plodukte ‚Made in China‘ solch demütigende Schande zu velteilen. Ich vellange von Ihnen, den Mann sofolt an die chinesische Volkslepublik auszuliefeln.“ „Ähm, nun …“, stotterte der völlig überforderte Polizist, aber da meldete sich bereits ein weiterer Beamter. „Guten Abend, Cowboys. Ick bin really schade euck zu sagen, that die CIA suckt diesen Mann schon lange. Wir glauben, he is a Terrorist von the Islamischer Staat, but unser President Trump glaubt, this is a chinesische Erfindung, um den Welthandel mit Mexikanern aus Plastic zu fördern.“ „Da habe ich ja wohl auch noch ein Wörtchen mitzureden, Gentlemen. Gestatten, James Smith von der königlichen britischen Polizei. Erklären Sie mir bitte, Herr Wiener, warum dieser Mann die unaussprechliche Frechheit besitzt, mitten in der Teatime der Queen zu versuchen, per Schornstein in den Buckingham Palace einzudringen.“ „Ja, also, ich …“, begann der schwitzende Wachtmeister, der mittlerweile bezweifelte, ob es eine gute Idee war, sich diesem Fall anzunehmen. Doch da wurde er schon wieder rüde unterbrochen. „Chalt, chalt, einen Moment bitte. Die KGB sucht diesen Mann schon seit Jahren, also bekommen wir ihn. Cheuer chat man ihn ganz eindeutig gesechen. Rote Mann auf Rote Platz.“ „Hey, hey, hey, what’s that? Ick dackte, das hier ist eine anständige westliche Diskussion, ohne diese

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David Köppl

24. Dezember 2024, 24:24, Polizeizentrale 1024 Wien. Polizeioberwachtmeister Engelbert Bulle saß in seinem endlos langweiligen Büro in dieser endlos langweiligen Stadt, um seinen endlos langweiligen Beruf endlos gelangweilt auszuüben. Hört sich ziemlich endlos langweilig an. Wäre es wohl auch gewesen, wenn da nicht so ein kleiner, seltsamer Zwischenfall passiert wäre. Herr Bulle hatte gerade erst begonnen, sich endlos zu langweilen, als ganz plötzlich, als wäre es Zauberei, das Telefon der Polizeizentrale klingelte. Der Polizeioberwachtmeister war natürlich in übernatürlichem Ausmaß erzürnt und brüllte ins Telefon, wer ihn denn da in seiner endlosen Langweilerei gestört habe, aber er beruhigte sich gleich wieder, als er erfuhr, dass Kommissar Käsewitz mit endlos aufregenden Neuigkeiten am Telefon war. „Ja? Ja, hallo? Ah, ja, Chef, Sie werden nicht glauben, was für einen irren Typen wir gerade eben aufgegriffen haben.“ „Fassen Sie sich kurz, Käsewitz“, knurrte Herr Bulle, denn ihn nervte das endlos langweilige Drumherumgerede des Kommissars. „Äh ja, also, wir stehen hier in der Kanzler-Heinz-Christian-Strache-Straße, 24., Stockerauer Bezirk. Es war ein ganz normaler Kontrollgang, aber plötzlich sehen wir da so einen, der steht einfach auf dem Dach eines Einfamilienhauses, der wollte wahrscheinlich grad dort einbrechen. Wir holen ihn also da runter und fragen ihn, was er da macht, und der behauptet doch tatsächlich, er wollte durch den Schornstein klettern, um in dem Haus Geschenke abzuliefern. Das ist so ein dicker Mann in so einem komischen roten Kostüm, Seniorenalter, Rauschebart. Ein gewisser Sankt, Klaus. Als wir ihn fragten, wieso er das mache, behauptete der allen Ernstes, er würde heute um die ganze Welt fliegen und an jedes Haus Geschenke

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Ein gewisser Sankt, Klaus


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David Köppl

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Russen.“ „Chua, chua, chua, jetzt sage ich dir mal was: Dieser Verbrecher ist definitiv Amerikaner.“ „Ack ja, und warum bitte?“ „Na wem sonst würde so etwas derart Blödes einfallen wie dem da außer den Amerikanern?“ „Entsuldigen Sie mal, abel das Wolt ‚westlich‘ hat die Volkslepublik China zutiefst elsüttelt. Das welden will Ihnen nickt velgessen.“ „Ja, dat geht jetz aber nich so hier. Ich bitte den russischen Beamten, dieses Vorurteil sofort zurückzunehm.“ „Na gut, wie Sie wollen, aber ich sag nur: Gaschahn kann man auch drehen nach rechts.“ „Ach so, ja, ich meinte natürlich: Dat is ja wieder mal typisch für die USA, bei jeder Gelegenheit Streit zu schürn, anstatt ein Frieden zwischn den Großmächtn zu erlangn.“ „Hey, ick an deiner Stelle würde den Mund nickt so voll nehmen. Wir haben euck schließlick schon in zwei Weltkriegen zu Loosern gemackt.“ „Also, während Sie sich hier weiter streiten, werde ich mir in Ruhe die Weihnachtsansprache der Queen ansehen.“ „Momentchen mal. Sie habn hier ja wohl gar nichts mehr mitzuredn. Der Austritt aus der

EU sollte Ihn ja hoffntlich Lehre genug sein.“ „Also, das ist ja wohl unerhört …“ „Ich meinerseits finde, alle anderen Länder von EU können sich nehmen Beispiel an England.“ „Hey, und was wird dann aus TTIP?“ „Junge, Junge, und ich dachte, wir sind die Terroristen. Aber die mit ihrem Weihnachten habens auch ganz schön drauf.“ „Wer sprischt ’ier?“ „Ach so, ich bin nur Mohammed Ali von der Abhörstation des IS.“ „Wie kannst du es wagen, auck nur ein Wort in diesem westlichen Gespräck zu verlieren, du dreckiger Ungläubiger?“ „Hey, das ist eigentlich mein Text!“ „Entschuldigung, Mechmed Öztürk. Aufgrund des Wortes ‚westlich‘, welches den türkischen Medien verboten wurde, wird der türkischen Republik wohl nichts anderes übrig bleiben, als die Beziehungen zu den USA zu zensieren.“ „Ja, sach ma, geht’s noch?! Jetz bemühn wir uns um Beitrittsgespräche, und ihr zerstreitet euch mit dem Rest der Welt.“ „So, jetzt reicht’s aber!“ Der Polizeioberwachtmeister Engelbert Bulle ließ sich resigniert in seinen Sessel sinken. Sein Gesichtsausdruck glich nun jenem, als würde er mit einigen 100-kg-Gewichten mehrere 100 km durch die Wüste Sahara rennen müssen. Und das nackt. Da piepste die Anlage erneut, diesmal war Kommissar Käsewitz dran. „Hallo, Chef, wir haben soeben herausgefunden, dass laut streng geheimen Informationen Nordkorea eine Nuklearrakete einem fliegenden Schlitten nachgeschossen hat, aber nicht getroffen und somit wahrscheinlich den dritten Weltkrieg ausgelöst hat.“ Jetzt machte der Kommissar einen Gesichtsausdruck, als würde er mit einigen 100-kg-Gewichten mehrere 100 km durch die Wüste Sahara rennen müssen mit Christoph Kolumbus als Navigator. Und das nackt. Tja, da bleibt wohl nur noch eines zu sagen: FROHE WEIHNACHTEN!

Ohne Titel Ich hatte mich schon den ganzen Tag darauf gefreut. Mit der U-Bahn waren wir in diesen entlegenen und eher ärmlichen Stadtteil gefahren. Jetzt standen wir in einem kleinen herausgeputzten Laden für Mobiltelefone und Zubehör. Die Besitzer waren sehr wahrscheinlich Menschen mit Migrationshintergrund, die sich auch gerade einen Kebap geholt hatten. Mein Vater kaufte gerade ein iPhone für mich. Der einzige Grund, weshalb wir das ausgerechnet hier taten, war, dass es das kostbare Handy sehr viel billiger als irgendwo sonst gab. Schnell war der Kauf abgewickelt,

und wir gingen durch die schmutzige Gasse zurück zur U-Bahn-Station. Doch auf dem Weg beschlichen mich plötzlich beunruhigende Gedanken. Wie konnte es eigentlich sein, dass dieses iPhone um 200 Euro billiger war als im Handel? Da ist doch hoffentlich alles mit rechten Dingen zugegangen!? Wir waren doch wohl nicht unabsichtlich an den Schwarzmarkt geraten!? Was war eigentlich die Geschichte dieses Mobiltelefons? Schanghai, China. Eine dunkle Fabrik, gehüllt in einen Nebel von CO2. Noch ein letzter Schliff, und das neue iPhone erblickte das Licht der Welt. Oder, besser gesagt, das Licht der Neonröhre. Rasch wurde es zu anderen in eine dunkle Kiste gepackt und Richtung Kalifornien verschifft. Aber schon nach wenigen, allerdings langweiligen Stunden tat sich etwas. „Piraten!“, schrie jemand.


Der Müll-Mix-Mampf

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Mit dieser mikrowellengroßen Wundermaschine für zu Hause sind Sie nun zu Dingen fähig, wozu bis jetzt nur McDonald’s imstande war. Stopfen Sie einfach die Zutaten für über eine Million der beliebtesten und bekanntesten Speisen aus Regionen wie zum Beispiel der Türkei, Amerika oder dem Chemielabor in die geeignete Öffnung, und innerhalb weniger Minuten wird Ihr Traumgericht fertig sein. Sie können natürlich auch einstellen, ob es süß, sauer, salzig oder scharf schmecken soll. Ideal für Imbisse und Fast-Food-Ketten. Zur Verfeinerung empfehlen wir NUR die firmeneigenen natürlichen Aromastoffe aus Sägespänen (die ja aus Holz bestehen, welches von Bäumen kommt, sie sind also natürlich), die im Supermarkt zu finden sind. Denn nur unsere Stoffe führen nicht zu Nebenwirkungen wie gesundheitlichen Problemen, aufgrund derer Sie teure Medikamente nehmen müssen, die Sie in Wahrheit nur abhängig machen. (Übrigens: Zu unserer Firmengruppe gehört natürlich kein Pharmakonzern.) Außerdem kann man den Müll-MixMampf auch über das Smartphone bedienen. Sie können sich also auch einen Hotdog machen, wenn Sie nicht zu Hause sind. Genial! Jetzt im Handel.

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Mein Tag zum Kotzen

Sophie Lichtenstern

SOPHIE LICHTENSTERN

Mein Tag zum Kotzen Ich – ich komme vom Saturn – stand morgens auf. Dann musste ich mein Bett suchen – wie jeden Tag. Wahrscheinlich bin ich wieder rausgefallen. Dann ging ich – wie jeden Tag – ins Badezimmer und stellte beim Spiegel überraschenderweise fest, dass ich nur mehr 587 Augen hatte und nicht 588 wie immer. Als ich frühstücken wollte, stellte ich fest, dass nur mehr ein Teil vom Tisch da war – wie jedes Mal. Mein Haustier, das Vieräugel, hatte wohl Lust auf Tischfutter. Vieräugel sprang – wie immer, wenn es einen Tisch fressen wollte – aufgeregt in meinem Brotvorrat umher und zischte mit tausend Stimmen wie ein vieräugiger Gartenschlauch. Für mich ist das alles langweilig, denn das passiert jeden Tag – wie immer. Ich lebe halt einfach in einer blöden Zeitschleife. Ich schmierte mir ein Steinbrot und fliegfahrte zur Schule. In der ersten Stunde Unterricht handelte es sich um zamonische Biologie. Heute ging es um Fernhachen. Langweilig! In der zweiten Stunde ging es – wie immer – um die zamonische Frühmathematik. Auch langweilig! In der Pause kam der Lehrer wie jeden Tag zu meinem Platz und fraß mich. Ich wurde verdaut, aber morgen wache ich dann wieder daheim auf, denn ich lebe ja in einer Zeitschleife.


Der Wassertropfen-Zombie

Löwe

Der Wassertropfen-Zombie ist ein komisches Tier. Er ist ein junger Zombie, der die Form eines Wassertropfens hat und sich durch Rollen vorwärtsbewegt. Er kann nicht sehen, hören oder gar riechen. Deswegen orientiert er sich hauptsächlich durch seinen Tastsinn. Sehr gerne kriecht er nachts aus Klos oder Abflüssen in Wohnungen und überfällt seine Opfer. Dann tut er das, was Zombies halt so tun: Er frisst Gehirne. Es ist egal, welche Gehirne. Wassertropfen-Zombies fressen Menschengehirne, Hundegehirne, Katzengehirne, Ameisengehirne – sogar Spinnengehirne. Am liebsten mag er Menschengehirne. Die könnte er kübelweise schlürfen. Dieser besondere Zombie kann bis zu einen Meter groß werden. Es handelt sich hier um ein ziemlich dummes Tier. Wie die meisten Tiere, die sich hauptsächlich durch ihren Tastsinn orientieren. Wenn er gerade keine Gehirne frisst, rollt er so oft gegen die Wand, bis diese kaputt ist. Dann sucht er sich eine neue Wand. Mit seinen 563 Kilogramm macht er jede Wand nach etwa 200 Mal dagegenrollen kaputt. Man kann ihn nur töten, indem man ihn in den Ofen tut und 200 Grad aufdreht. Er ist nämlich mit Wasser gefüllt. Oder mit Gehirnen, wenn er gerade welche gefressen hat.

Geld: Verausgaben Sie sich nicht so, seien Sie sparsam. Sonst steuern Sie auf ein Krisenjahr zu. Liebe: Wenn Sie Streit haben, ist das die perfekte Zeit, sich zu versöhnen! Gesundheit: Die Venus sorgt dafür, dass Sie Schnupfen haben. Skorpion Geld: Sie sind ein Glückspilz! – Nein, Spaß, Sie kriegen nichts. Liebe: Da haben Sie aber Pech! Suchen Sie Sich einen neuen Freund, der alte funktioniert nicht mehr. Gesundheit: Die Sonne sorgt dafür, dass Sie ab jetzt für immer gesund sind! Zwilling Geld: Wenn Sie einen Zwilling haben, dann geben Sie ihm viel! Liebe: Suchen Sie sich keinen Neuen, der Alte geht noch. Gesundheit: Wenn Sie Walnuss essen, kriegen Sie Blähungen. Sie werden aufgeblasen wie ein Luftballon und fliegen davon.

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Jahreshoroskope 2018

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Isabel Ludwigstorff

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ISABEL LUDWIGSTORFF Ich und meine Gefühle Manchmal bin ich sehr gut drauf, manchmal da haut es mich auch auf. Manchmal bin ich wunderbar, manchmal leider undankbar. Manchmal bin ich das Glück, manchmal bin ich auch verrückt. Manchmal bin ich wild, manchmal so still wie ein Bild. Manchmal bin ich sehr schlau, manchmal sag ich nur „Wau, wau“. Und ohne diese Gefühle wäre ich nicht ICH!

Mein erster Tag als Millionärin Gestern habe ich erfahren, dass ich im Lotto gewonnen habe. Ich habe mehr gewonnen, als ich je in meinem Leben brauchen werde. Und heute ist mein erster Tag als Millionärin. Als Erstes werde ich mir ein neues Haus kaufen, dann werde ich mir ein neues Auto kaufen. Am liebsten würde ich mir Glück kaufen, aber auch wenn ich noch so viel Glück habe, kann ich es nicht kaufen. Aber am allerliebsten würde ich ein Kind haben. Ich würde auch alles für mein Kind machen, zum Beispiel: Wenn es Geburtstag hat, würde ich eine riesengroße Geburtstagsparty machen, und alle Freunde meines Kindes würden kommen. Und mit ihnen ihre Eltern, die dann meine Freunde wären.


Ich: Mama, darf ich Rolltreppe fahren? Mama: Ja, okay! Ich: Danke! Ich: Mama? Mama? MAMAAAAAA?!! Ich: Mama, wo bist du? Mama: Bleib unten! Ich: Waaaas? Ich: Mama, wo bist du? Verkäuferin: Alles okay? Ich: Ich finde meine Mama nicht mehr! Verkäuferin: Wie heißt du denn mit Nachnamen? Ich: Ludwigstorff! Verkäuferin: Dann rufe ich sie aus! Mikrofon: Frau Ludwigstorff, bitte in den 3. Stock kommen! Ich: Mama! Mama: Da bist du ja wieder! Mama: Wir können ins Nebengeschäft Eis essen gehen. Ich: Jaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa! Juhuuuuuuuuuuuuuuu!

Ich: Wie ist es so, ein Pferd zu sein? Chipsy: Wiiieh! Ich: Aha! Wieso mögen Sie Fee so sehr? Chipsy: Brrr! Ich: Wirklich? Chipsy: Wiiiiiiiiiiieh! Ich: Danke für das tolle Interview! Chipsy: Wiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiieh!

Advent

Der Weltspartag

Der kleine Vogel

Emelie freut sich, denn heute ist Weltspartag. Zum ersten Mal darf sie ihr Geld zur Bank bringen. Ihre Eltern sagen: „In zehn Minuten gehen wir.“ Emelie kann es kaum noch erwarten. „Endlich ist es soweit!“, sagt Emelie zu ihren Eltern. Bei der Bank angekommen, kann Emelie ihr Geld endlich abgeben.

Luna geht spazieren. Plötzlich regt sich etwas im Laubhaufen. Sie schaut nach. Es ist ein Vogel – ein Babyvogel. Sie fragt sich, warum er nicht im Süden ist. Sie geht nach Hause und holt ein Handtuch. Mit dem Handtuch nimmt sie den Vogel mit nach Hause. Sie pflegt ihn, bis seine Eltern zurückkommen vom Süden. Als seine Eltern zurückkommen, kann der Vogel wieder zu ihnen fliegen. Sowohl die Eltern als auch der kleine Vogel selbst sind überglücklich. Luna ist auch glücklich, dass der kleine Vogel seine Familie wieder hat, weil sie weiß, wie das Leben ohne Eltern ist.

„Bald ist Advent“, sagt Mama zu Felix. Felix sagt darauf: „Juhu!!“ „Willst du wie jedes Jahr einen Adventkalender haben?“, fragt Papa. Felix antwortet: „Ja, ich will einen Süßigkeiten-SchmuckAdventkalender!“ Ein paar Tage später, am 1. Dezember, die ganze Familie schläft noch – alle, bis auf Felix. Er sucht im ganzen Haus und findet seinen Adventkalender nicht. Als die Eltern aufwachen, geben sie Felix den Adventkalender. Sie sagen: „Er war im Kühlschrank!“ Jetzt ist Felix überglücklich.

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Name: Chipsy Geburtsdatum: 30. Mai 1995 Vorlieben: fressen, schlafen Lieblingsessen: Heu, Gras, Lutscher, Leckerlis, Bananen, Äpfel, Karotten, Birnen, Trauben, Salat, Hafer, Orangen Lieblingsort: Weide Lieblingsspiel: schlafen, fressen Freunde: Fee, Pepita, Samantha, Orange Bester Menschenfreund: Lori Nicht gutes Essen: Stöcke Krankheiten: Arthrose im linken Bein hinten Geschlecht: Stute Fellfarbe: hellbraun Mähnen-/Schweiffarbe: weiß Rasse: Haflinger (Pony) Schulterhöhe: 130 cm

Allein im großen Geschäft

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Isabel Ludwigstorff

Mein erstes Interview mit einem Pferd


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Ich alleine auf der Welt

Isabel Ludwigstorff

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Eines Morgens wachte ich auf und war alleine. Nirgends war ein anderer Mensch, auch kein anderes Tier, nicht mal eine Ameise. Also machte ich mich auf die Suche. Ich schaute hierhin und dorthin, doch ich fand keinen einzigen Menschen und kein einziges Tier. Also ging ich weiter, bis ich auf ein Haus, in dem Licht leuchtete, traf. Ich hatte ein bisschen Angst, aber als ich die Tür öffnete, kamen alle Menschen und Tiere heraus, und ich fragte, warum sie da drinnen gewesen waren. Sie sagten, dass sie eingesperrt gewesen waren.

Das Hasenschloss Eines Tages hatte ich eine Idee. Die Idee war, ein Schloss für meine Hasen zu bauen. Als Erstes habe ich Möbel gemacht. Als Zweites habe ich Türen, Vorhänge und Fenster gemacht, dann habe ich Teppiche gemacht. Als Viertes habe ich das Schloss gebaut. Das habe ich so gemacht: eine Wand für die Küche, eine zweite, dritte und vierte. Dann vier Wände für das Wohnzimmer und vier für das Badezimmer unten, vier für das Badezimmer oben und vier für das Schlafzimmer oben. Dann habe ich die Fenster, Vorhänge und Türen eingebaut, danach das Licht und natürlich das Dach. Am Ende konnten meine Hasen einziehen.

Als mein Lieblingspolster nicht mehr da war Es war Abend. Meine Mami schickte mich ins Bett. Ich freute mich schon auf meinen Polster. Aber er war nicht da. Ich habe ihn überall gesucht. Ich habe ihn aber nicht gefunden. Also habe ich festgestellt, dass er weg war. Als ich aufwachte, war er wieder da. Ich habe meiner Mami gesagt, dass er weg gewesen war. Sie hat mir gesagt, dass er in der Wäsche gewesen war. Jetzt war ich wieder total glücklich!


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DIANA MELODY MICHEAL

Ich bin neu, neu in dieser Welt. Nicht die Welt, die wir kennen, auch nicht die Traumwelt. Jedoch bin ich gefangen, hier, an diesem Ort. Es ist auch nicht meine eigene Welt, nicht die Welt eines anderen, auch nicht die Welt einer großen Fantasie. Diese Wirklichkeit ist anders. Bedrohlich, Angsteinflößender, Gefährlicher. Und ich bin neu hier, neu und ausgesetzt.

Weihnachten, eine Zukunftsgeschichte Wir schreiben das Jahr 2036. Seit Jahren sind Lichterketten und Verkaufsstände das Einzige, das man von Weihnachten sieht. Nach wie vor haben viele Menschen Stress. Sie besorgen kurz noch Geschenke für die Kinder, Weihnachtsgebäck und die anderen Artikel ihrer langen Einkaufsliste. Unser heiliges Fest besteht nur noch aus Stress und vielen Lichtern. Weiße Weihnacht gibt es schon lange nicht mehr. Seit Jahren fällt kein Schnee mehr vom Himmel. Die Menschheit hat unsere Erde ignoriert. Heute ist Weihnachten nicht mehr dasselbe. Was ist das? Es ist weiß und bedeckt den Boden. Langsam und sanft fällt es herunter. Schnee! Aber wie kann es sein? Seit Jahren hatten wir keine weiße Landschaft mehr. Doch jetzt, endlich ist es wieder soweit! Alle Kinder kommen heraus. Alle Menschen verlassen die Häuser. Schnell versammeln sich alle, um das weiße Ereignis zu bestaunen.

Diana Melody Micheal

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Der Neue, die Neue, ich bin neu


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Wissen Sie, wohin es geht?

Hallo? Ist hier jemand? Ich höre doch Schritte! Zeig dich gefälligst! Ich weiß, dass jemand hier ist! Wer bist du? Hallo! Ignorier mich nicht! Hilf mir bitte! Wie komme ich hier raus? Hey! Kannst du mir nicht antworten? Verstehst du mich nicht? Hallo! Hallo? Ich höre deine Schritte nicht mehr. Bist du ohne mich gegangen? Hallo? Warte auf mich! Bleib stehen!

Wissen Sie, wohin es geht, nachdem alles zu Ende ist? Sie haben Ihre Ziele erreicht, und nun ist alles weg? Wissen Sie, was Sie erwartet? Soll alles umsonst gewesen sein? Haben Sie wirklich alles erreicht? Wissen Sie, wohin Sie als Nächstes gehen? Bleiben Sie? Werden Sie das Licht oder die Dunkelheit betreten? Kommen Sie überhaupt an einen anderen Ort? Wie geht es weiter mit Ihnen? Gehen Sie nach links oder rechts? Nach vorne oder zurück? Können Sie zurück? Bleiben Sie stehen? Waren Sie immer auf den richtigen Wegen? Haben Sie wirklich gelebt?

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Weihnachtsgedicht

Diana Melody Micheal

Ruftext

Ein verlockender Lebkuchenduft liegt seit Tagen in der Luft. Lichterketten wunderbar, sehen wir zu dieser Zeit, Kerzen strahlen hell und klar, und die Kinder sind bereit. Freuen sich auf eine schöne Nacht und des Baumes helle Pracht. Warten auf der Glocken hellen Klang, und mit lautem Sing und Sang ist die Weihnachtszeit endlich da, sie kommt rasch wie jedes Jahr und ist schön und wunderbar.

Der Weg Kalt und dunkel. Meine Füße versickern in den Schatten meiner Angst. Kreaturen umzingeln mich. Verzweifelt versuche ich, einen Weg zu finden, um ihrer Gier zu entkommen. Nebel verschleiert mein Gesicht, und meine Sicht schwindet. Ich komme nicht weiter. Nicht nach links. Nicht nach rechts. Ich wage einen Schritt nach vorne. Leblos falle ich in den Schlamm. Nach einiger Zeit holen mich die Kreaturen immer mehr zu sich in die Dunkelheit, wo sie mich hüten werden. Mir wird klar, dass ich den falschen Weg genommen habe.

Todesblau Die Augen und Lippen so blau. Wie ihr blaues Kleid, das im Wind wehte. Im hellen Schein des Mondes stand sie im blauen Wasser. Ihre Füße, blau vor Kälte. In ihrer Hand blaue Blumen. Blaue Rosen mit spitzen Dornen. Langsam rann blaues Blut aus ihren Adern. Blau wie Tinte. Der Druck war zu groß, und sie ließ sich fallen. In das blaue Wasser. Und die blauen Rosen gefroren zu Eis.


Gute alte Zeiten

A: Schau da de au! Blockiern de gonze Stroßn! B: Na kumm, wenigstens sans sportlich und bewegn se und sitzn ned nua daham. Waßt du, wos ma mei Enkel letztens zagt hot? A: Hm? Wosn?

Die Frau zerrt aus ihrer kleinen Handtasche ein Smartphone heraus. B: Jetzt konn i erm imma auruafn. A: Na! Jetzt host du a scho so a Graxn!

Die Dame lässt das Handy wieder verschwinden. Plötzlich rast ein roter Sportwagen an den beiden vorbei. A: Ma! De Jugend heitzutog! Diese jungen Leit mit ihre Potzn-Autos. Glauben, se san cool, wons do vorbeirosn! In Ocker sois es eine haun!

A: Olle Kinda rennan mit sowos umadum! B: Des is de neiche Generation. Is jo ned schlecht, oda? A: Schlecht … schlecht … zum Verzweifeln is des! Fria sam a vom Spühn hamkuman mit Schürfwundn und Krotza! Wia woan draußn bei Wind und Weda! Und heit? Heit sitzns daham und vor ihre Kastln. B: Geh kumm. So schlimm is a ned. De Jugend hot hoid wos Neichs für si entdeckt. Is jo guad. Wia kenan davo wos lerna.

Die Dame hebt ihre Faust. Ein lautes Vogelgezwitscher ist aus den Baumkronen zu hören. B: Geh, beruhig di. Loss da Jugend hoit ihrn Spaß. A: Hm …

Eine Minute Stille. B: Sog, wia findstn du denn den neichn Brunnen im Park? A: A geh! Den? Schaut ned guat aus. B: Wieso? Jetzt is a wieda sche und ned so grea und vaoigt wia fria.

A: De deppatn Vegl!

Sie ballt die Faust und streckt sie gen Himmel. Die andere schüttelt den Kopf. B: Is dir heit eigentlich irgendwos recht?

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A: Host des scho gheat? B: Na, wosn? A: Der oide Bauer hot ane vo seine Kiah schlochtn miasn. B: Geh na! A: Doch. De woa scho gonz kronk. B: Hm. Naja, ko ma nix mochn. Jetzt hot a hoid nua mehr 29 vo seine Kiah.

Es fährt eine Gruppe sportlicher Radfahrer vorbei.

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Diana Melody Micheal

Zwei ältere Damen unseres kleinen Dorfes sitzen auf der Parkbank. Vor ihnen die Straße, hinter ihnen ein kleines verfallenes Haus, das von Sträuchern und Bäumen verdeckt ist. Nach einiger Zeit kommen sie ins Gespräch.


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Eva-Maria Wagner

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EVA-MARIA WAGNER Wer wir waren Manchmal gehe ich auf den Spielplatz, der zwischen unseren Häusern liegt, stelle mich auf den Hügel, der unser Zuhause war, blicke hinunter und bilde mir ein, unsere Einhörner grasen und galoppieren zu sehen, obwohl sie schon lange in der Vergangenheit begraben sind und von ihnen nicht mehr übrig ist als das Wissen, dass sie existierten. Und manchmal frage ich mich, ob du noch weißt, wer wir damals als Kinder der Fantasie waren. Gehst du manchmal auch auf den Spielplatz, auf den Hügel, und betrachtest das, was unsere Freundschaft geschaffen hat?

Wünschst du dir in der Nacht, wenn die Gegenwart schläft und die Vergangenheit erwacht, du wärst mutig genug, wieder auf dein Einhorn zuzugehen und ihm zu sagen, dass die Vergangenheit nicht tot ist, sondern nur schläft, und dass man sie aufwecken muss, damit Erinnerungen leben? Geh auf dein Einhorn zu, steig auf seinen Rücken. Unternimm einen Ritt in die Vergangenheit, und triff mich am Hügel. Komm endlich wieder nach Hause, oder lass mich nach Hause kommen, und warte auf mich am Hügel unseres WIRs.


Der Schneehund

So kam es, dass ich an jenem besonderen Tag – einmal noch schlafen, und das Christkind würde kommen – langsamer als sonst nach Hause ging. An die stechende Kälte hatte ich mich schon lange gewöhnt, da ich auch des Öfteren mit den Nachbarskindern im Schnee herumgetollt war, als ich noch jünger gewesen war. Nach ein paar Minuten Marsch, vorbei an schneebedeckten Feldern und toten Bäumen, hatte ich mein Haus und somit den Spielplatz schon erreicht. Normalerweise wäre ich zur Tür gerannt, hätte Sturm geklingelt und ungeduldig darauf gewartet, dass mir jemand aufmachen würde, doch diesmal lief ich schnurstracks auf das Winterparadies neben unserem Haus zu, wo ich den Hund von letztens vermutete. Was für eine böse Überraschung war es für mich, dass mein geliebtes Tier nicht alleine war, sondern unangenehmen Besuch von einer Gruppe betrunkener Jugendlicher hatte, die es quälten. Obwohl der Hund offiziell nicht mir gehörte, so fühlte es sich dennoch danach an. Deswegen wartete ich auch nicht lange, schmiss meine Schultasche auf den gefrorenen Boden und hastete auf die zerstörerischen Menschen zu, die am schneeweißen Fell meines Hundes rissen. Vergnügtes Gelächter tönte aus ihren Fressen, die ich ihnen sofort am liebsten polieren wollte, die ich aber beim Gedanken an möglichen Ärger verschonte. Stattdessen baute ich mich mit meinen Händen in die Hüften gestemmt vor ihnen auf und brüllte: „Wollt ihr nicht endlich aufhören mit dieser Scheiße?“

Es schneit, und alles ist magisch und zauberhaft, doch darum soll es in dieser Geschichte nicht gehen. Das, was man mit den Augen sehen kann, sieht jeder, doch ein Blinder fühlt das, was den Sehenden unantastbar ist. Zum Beispiel fühlt er die Kälte, die von manchen Menschen ausgeht, wenn man sie denn so bezeichnen kann. Doch wo Hass ist, herrscht auch Liebe, die dem Blinden nicht verborgen bleibt. Dies ist eine Geschichte, wie man sie eigentlich schon so oft gehört oder selbst gelesen hat, doch habe ich versucht, sie neu zu schreiben, so gut es mir eben gelungen ist.

Die jungen Leute ließen sich jedoch nicht stören und sprachen auf den Hund ein: „Hör nicht auf diese Verrückte, wir tun dir nicht weh. Außerdem kennt ein Indianer keinen Schmerz.“ Das hätten sie besser nicht sagen sollen, denn nun brannten die Sicherungen endgültig bei mir durch, und ich rannte mit Karacho auf sie zu, um sie auf den Boden zu drücken, was sich dank ihres Gewichts als kompliziert herausstellen sollte. Doch das wehleidige Jaulen meines jungen Freundes animierte mich dazu, weiterzukämpfen. Irgendwann hatte ich die besoffenen, lallenden Teenager aus meinem Aufmerksamkeitsfeld verbannt, und sie waren auch überraschend schnell vom Spielplatz geflüchtet, nachdem sie sich aus meinem Klammergriff befreien konnten. „Sch, schon gut“, versuchte ich, meinen Hund zu beruhigen, der nun verständlicherweise aufgebracht war. „Sie sind weg. Ich bin da, sie können dir nichts mehr tun.“

Seit ich den Hund erblickt hatte, vermochte er nicht mehr von meiner

Den Rest des Nachmittags verbrachte ich mit meinem Hund, der keinen Namen hatte und nicht mir gehörte, sich aber so vertraut

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Zum Beispiel hatte ich neulich einen gottverlassenen, mit braunen Punkten gesprenkelten, schneeweißen Hund am Spielplatz neben unserem Haus herumstrolchen sehen. Ganz abgemagert hatte er ausgesehen, als hätte er Tage, vielleicht sogar Wochen, ohne Nahrung auskommen müssen. Eisige Winde hatten auch ihr Unwesen getrieben, und Schneeflocken waren wie Blätter auf die Erde niedergesegelt und hatten den toten Herbst in prächtigen Winter verwandelt, den alle Kinder der Nachbarschaft schon seit Anbeginn der Adventzeit sehnsüchtig erwartet hatten. Nun war sie endlich da, die reine, unberührte Schneelandschaft, die jedoch auch bald ihr grausames Ende finden würde, wenn erst die Menschen auf ihr herumtrampeln würden.

Denkfläche zu schwinden. Selbst in der Schule hatte ich manchmal mit meiner Konzentration auf den Unterricht gekämpft, da meine Gedanken stets bei diesem armen Tier gewesen waren. Ich konnte nicht vergessen, wie er mich angeblickt hatte und sich seine schwarzen Kulleraugen in meine braunen eingebrannt hatten.

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Eva-Maria Wagner

Man sagt, Weihnachten ist das Fest, an dem alle glücklich sind und es allen wohlergeht. Nun, das mag für uns, die wir der reichen Gesellschaft angehören, vielleicht wahr sein, doch gilt dies lange nicht für alle Geschöpfe dieser Erde.


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Eva-Maria Wagner

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anfühlte, als würde ich ihn schon sehr lange kennen. Erst als die Nacht hereinbrach, verspürte ich das Verlangen nach Wärme und meinem Bett. Ich dachte schon daran, meinen kleinen Freund mit ins Haus zu nehmen, doch dann erinnerte ich mich an die Tierhaarallergie meines Vaters und verwarf den Gedanken wieder. Zwar hatte ich ein schlechtes Gewissen, ihm nichts zu fressen gegeben zu haben, doch was hätte ich auch groß tun sollen? Außerdem war er mir an diesem Tag erstaunlicherweise nicht mehr so abgemagert erschienen. Am nächsten Morgen erwachte ich sehr früh und zog mich auch in Windeseile an, um nach einem hastigen Frühstück wieder hinaus in den Schnee zu rennen. Als ich am Spielplatz ankam, wartete eine seltsame Überraschung auf mich, denn es saß kein Hund dort, sondern ein Mädchen. Es saß auf einer Bank und hatte die Augen geschlossen, als würde es schlafen. Zögerlich ging ich auf die Schöne zu, um sie zu begrüßen. „Hallo, ich heiße Em, wer bist du?“,

fragte ich das fremde Mädchen, das einen schwarzen Wintermantel mit Kunstpelz trug und dessen lange, braune Haare durch eine hohe, himmelblaue Haube in Schach gehalten wurden. Sie wandte mir ihr Gesicht zu, und ich sah in ihre Augen, die mich nicht zu sehen schienen. Dann erst fiel mir das berühmt-berüchtigte gelbe Armband mit den drei schwarzen Punkten auf, das sie am Arm trug. Das Mädchen war blind. „Ich bin Liah“, sagte sie und tastete gekonnt, aber schüchtern nach meiner Hand, um sie zu schütteln. Ich kam ihr ein wenig entgegen und reichte ihr meine Hand, die übrigens keinen Handschuh trug und schon fror. Noch ein paar Zentimeter waren unsere Hände voneinander entfernt und mit jedem wurde es etwas wärmer in mir drin. Ich wusste das Gefühl nicht zu beschreiben, doch es schien wie ein Feuer zu sein, mit dem ich die ganze Welt wärmen könnte, wenn ich erst einmal richtig brannte. Ich schloss meine Augen, um den letzten Moment der sehnsüchtigen Erwartung zu genießen. Die Hand, die meiner näherkam, stellte ich mir als sanft und weich vor, und ich war mir sicher, sie war zu Berührungen fähig, die nicht von dieser Erde stammten. Doch als diese Hand die meine umschloss, war mir, als wanderte ich durch die Eiswüste. Eine stechende Kälte kroch mir ins Herz, und ich lag um Luft röchelnd im Schnee. Ich schloss meine Augen und dachte, ich hätte bloß geschlafen, als ich sie wieder öffnete und nichts mehr sehen konnte.

Wege, sich selbst zu schaden Wenn man sich selbst nicht mehr leiden kann, hat man mehrere Möglichkeiten, was man dagegen tun kann. Man kann sich in die nächste Mülltonne schmeißen und hoffen, eines Tages vom Müllmann mitgenommen zu werden. Man kann aber auch einfach Papas Rasierklinge fladern und sich schöne Muster und Wörter in die Haut ritzen. So lange, bis es nichts mehr zum Verzieren gibt. Man kann Zigaretten vom Boden

aufklauben, in den Städten findet man besonders viele, und sie wieder für sich verwenden – dann hat man aber nicht nur kranke, sondern auch noch straßenverstaubte Lungen. Man kann so viele Dinge ausprobieren, um sich selbst zu schaden. Wirklich, die Palette ist fast endlos – man kann alles machen, solange man dabei den anderen nicht schadet. Dennoch bin ich der Meinung, sich neu zu erfinden ist die effektivste Art, denn dann ist man neu. Überall. Zu jeder Zeit. Und man verliert den Anschluss zu den Menschen, die einen hätten retten können. Aber nun ist man allein. Allein in einer neuen Welt, die vielleicht noch dunkler ist, weil man neu und allein ist.


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LYDIA WEBER

Beten und Hoffen Früher hofften und beteten die Menschen und warteten auf das Ende des Krieges. Sie hofften, dass ihre Lieben, wenn sie abends zu Bett gingen, morgens noch am Leben sein würden. Doch leider ging die Hoffnung meist NCHT in Erfüllung. Und die, die zurückkamen, waren gezeichnet: psychisch und physisch. Doch heute? Heute hoffen und beten wir und warten auf Besserung der Weltlage. Das Beste wäre, wenn es schon Krieg geben muss, dass wenigstens niemand hingeht!

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Traum

Nimm mich mit in deine Welt

Ich liebe dich wie eine Nachtigall die Nacht

Nimm mich mit in deine Welt, Du Elfe der Dunkelheit; Du Königin der Nacht!

Ich liebe dich wie die Sonne das Meer Doch du mich nicht das ist mir klar Ich habe mir deinen Namen mit kalter Klinge auf die Haut geschrieben Ich versuche dich zu hassen, obwohl ich weiß es wird mir nicht gelingen Denn ich habe deinen Namen auf meiner Haut verewigt Irgendwann werde ich lernen zu akzeptieren dass das mit uns ein Traum ist

Hindere mich am Scheitern meines Seins; Lass mich gehen Lass mich fliehen An deiner Seite Alle Vollkommenheit, die du in dir vereinst: Lehre mich, vollkommen zu sein. Lass mich teilhaben An deinem Reich, Welches Schönheit und Grausamkeit vereint. Hilf mir, mich zu finden, Bevor der Tag erwacht. Bevor der Morgen beginnt Und die Realität mich Vereinnahmt.

Ein wundervoller Albtraum.

Wie weit gehen Menschen ... Wie weit gehen Menschen, um sich „normal“ zu fühlen? Die Gesellschaft sagt zwar: „Sei, wie du bist, versteck dich nicht!“ Aber wenn man sich zeigt, wird man stigmatisiert. Manche kennen die „Grenze“ nicht. Wie weit man gehen kann, ohne seelische Pein zu verursachen. Gewiss, diese Grenze ist hauchdünn. Aber man muss lernen, diese nicht zu übertreten. Sonst zerstört man Seelen oder noch schlimmer: Leben


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DAVID WEIHS Die Tragik eines Suppenlöffels

Ein Komma – ein Strich Ein Kummer – ein Stich Ein Hammer – eine Sehnsucht Alles ist anders, nichts bleibt, wie es war, wie es ist, wie es sein sollte.

Geh weg! Geh weg! Jeden Tag sehe ich dich! Jeden Tag löffle ich aus dir! Siehst du die Panik in mir? Jeden Tag verfolgst du mich! Spiegelst dich im Suppenteller: Ich möchte dich nicht doppelt sehen! Einmal ist schon genug! Geh weg! Aber du entfernst dich keinen Schritt. Ab in die Schublade! Ich bekomme Albträume von dir! Träume von dir, Suppenlöffel! Es ist nicht mehr auszuhalten! Ich werde dich verbrennen, um meinen Schmerz zu mindern, um mein Herz zu erleichtern!

Text ohne Titel 2 Ein Samenkorn erwacht, aus ihm ein Leben lacht. Ein neuer Sinn aus ihm gedeiht, für Gesellschaft jederzeit. Für den Wechsel seiner Tage, dem Verwelken seiner Blüte, und die gute, gute Güte. Morgen bist du wieder da, kommst zu uns im nächsten Jahr. Welke, welke nun geschwind, sei‘s bis morgen, gutes Kind!

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David Weihs

Text ohne Titel 1

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Farbenspiel der Blätter

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Bald fallen wieder die Blätter hinab. In das bodenlose Nichts. Bald gleiten sie wieder an den Häusern vorbei, besetzen Fenster, rot und braun, besetzen Türen, staun sich an. Viele sind sie – grün und bleich, hinab ins Unterwasserreich.

David Weihs

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Nächtliche Geräusche Gold um sich, dass alle Tage, niemand sich ins Schloss will wagen. Jeder, der betritt es schlicht, ist ein Dieb für Prinz Degicht. Öffne man die Tür, so knarre sie dafür. Öffne man das Schloss, so Wasser aus ihm floss. Öffne man nur etwas kurz, kam sofort Herr Wachmann Lurz, der durch Alarm ist aufgewacht, das passiert fast jede Nacht. Müde schlich er durch die Zimmer, um zu find die Diebesfinger. Um zu find den Halunken, doch der ist schon im Keller unten. Das wusste er durchs Treppenknattern, das so klang wie Entenschnattern. So ging der Wächter Schritt für Schritt, auch die Laterne musste mit. So ging er langsam Fuß nach Fuß, damit der Dieb – Gefängnisgruß. Als er unten im tief Keller, rannte Lurz so immer schneller. Rannte er im Kellergang, für den großen Diebesfang. Nun hat Lurz den Dieb gesichtet, hat seinen Blick auf sein Spiegelbild gerichtet.


Geld regiert die Welt

Die Eisrosen werden erblühn Das Drachenfeuer wird verglühn Und der Wächter der Nacht Beginnt seine Schlacht Der Löwe wird seine Schulden begleichen Der Bär in seiner Höhle erbleichen Du wirst nur die Wölfe hören Wenn sie die Wanderer betören Denn ihre Krallen sind lang und scharf Sie interessieren sich nicht für die Gedanken des Schafs Und wenn der Winter naht, mein Kind, Dann lauf geschwind

Immer mehr Geld. Überall. In den Häusern, in denen sie schlafen, den Betten, in welchen sie sich Lügen über ihre vom Geld geformten Leben zuflüstern. Schon von klein auf bekommt man die kleinen Monster in sich gedrückt, um die größeren Monster zu füttern. Aber wehe dir, wenn du nicht sparst, denn Sparen bedeutet Geld, und Geld ist Macht. Endlich. Wenn es dann soweit ist, und dein Hunger gestillt, hast du die Macht, und nun knie nieder vor Geld, der Hand, die dich füttert, deinem Herrn, dem einzigen Gott, den du kennst, aber ist nicht Geld, nein, Glaube das Wichtigste der Welt? Ist nicht Geld, nein, Familie das Einzige, was zählt? Sind nicht Scheine Freunde, die schönen Scheine, die mir den Mund verstopfen, damit ich nicht schreien kann: Geld, Geld, Geld. Die runden Münzen, die mir die Augen zudrücken, vor der Wahrheit oder der Lüge, und falls du dann ertrinkst in Scheinen und Münzen, dann schrei: Geld, Geld, Geld.

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Der Winter naht

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Sophie Winkler

SOPHIE WINKLER


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HORN Klasse Rudolf Aubrunner

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TEILNEHMENDE Imre Benedikt Elliott Chan Lautaro Iriarte David Lischka Annika Mayer Laurin Sterkl Fabian Stummer


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Schreibakademie HORN

Es gibt uns, hier in Horn, offiziell seit dem Herbst 2010, denn vorher haben wir uns ein Semester lang inoffiziell, einmal wöchentlich, getroffen und unsere Schreibstunden absolviert. Man weiß in der Stadt, dass es uns gibt, weiß, dass hier talentierte, interessierte und engagierte junge Schreiberinnen und Schreiber von 14 bis 18 Jahren am Werk sind, die auch öffentlich schon aus ihren Werken vorgelesen haben.

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Wir konnten dank der großzügigen finanziellen Unterstützung der Stadtgemeinde Horn und der Umsetzung durch den Herausgeber der weithin bekannten und renommierten „Edition Thurnhof“, Toni Kurz, im Juni des Jahres 2011, beim Abschlussfest der Niederösterreichischen Kreativakademie in Horn, einen Sammelband mit dem Titel „Leidenschaften“ präsentieren, mit unseren Texten und dazu passenden Illustrationen von Teilnehmenden der Niederösterreichischen Malakademie. Man hat ihr, der Literatur, bereits in den turbulenten Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts den Totenschein ausstellen wollen, immer und überall wurde damals vom „Tod der Literatur“ und vom „Tod des Autors“ gesprochen, doch man hatte voreilig, stürmisch und blind, wie man war, die Rechnung ohne die Literatur selbst

gemacht, denn sie – die Sprache und Schrift gewordene Stimme des Menschen in der großen Stille,der Speicher und das Archiv der menschlichen Ängste, Träume, Sehnsüchte, Begierden, Bestandsaufnahmen und Fantasien vor dem Hintergrund der jeweiligen Zeit – lebt noch immer, wird noch sehr lange leben und gibt, dank der jungen Schreiberinnen und Schreiber hier in Horn wie auch in den anderen Standorten der Niederösterreichischen Schreibakademie, kräftige Lebenszeichen von sich und wird das auch weiterhin tun. Über die Arbeit mit meinen Schreibschülerinnen und -schülern: „Wir sind einander, aus verschiedenen Richtungen, Zeiten und Köpfen kommend, begegnet, haben uns, vorerst einander noch fremd, langsam kennengelernt und gehen nun, in der immer flüchtigen Zeit, schreibend, ein Stück des Weges miteinander, wir reisen, gelegentlich, ausgehend von berühmten Eröffnungssätzen berühmter Werke, durch die Literaturgeschichte, durch die Werke und die Lebensgeschichten von Autoren, wir analysieren die Worte und die Struktur von Gedichten und Prosatexten, denn so wie Schreiben Lesen heißt, heißt Lesen auch Schreiben, und wir schreiben jeder, in seiner Einsamkeit, für sich, wir schreiben aber auch miteinander, Prosa oder Gedichte, erleben so das augenblickliche verblüffende Entstehen von Texten, wir lernen voneinander und beeinflussen uns gegenseitig, und ich persönlich nehme jede/jeden dort auf, wo sie/er gerade steht, wie sie/er gerade schreibt und versuche, wenn sie/er es notwendig hat, ihr/ihm weiterzuhelfen und sie/ihn zu ermutigen, um weiterzukommen, weiterzureisen, weiterzuschwimmen im unendlichen Meer der 26 Buchstaben des Alphabets, im Meer der Worte und Sätze, versuche, den Blick auf die Wirklichkeit, auf literarische Werke, auf die Sprache und auf die Form zu schärfen, jede/jeder soll, nach jeder Stunde, etwas Neues erfahren haben und mitnehmen, und sollte mir das alles, auch nur teilweise, also in winzigen Ansätzen, gelingen, so habe ich mehr erreicht, als ich mir in meinen Träumen zu erhoffen wagte ...“ Rudolf Aubrunner


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RUDOLF AUBRUNNER • • • • • • •

Geboren 1958 in Altenburg/Niederösterreich Matura in Horn Arbeit in verschiedenen Berufen: Seit September 2010 Leiter der Niederösterreichischen Schreibakademie in Horn Seit Februar 2011 Leitung einer Schreibgruppe im Therapiezentrum Gars/Kamp Seit 2003 Arbeit an der mehrtausendseitigen, noch unveröffentlichten Romantetralogie „Der Ernst des Sterbens“ Texte zu Bildern des Malers Helmuth Gräff Lesungen (Wien, „Alte Schmiede“) Publikationen in Zeitschriften („Literatur und Kritik“), zuletzt „Lecram, Ich, Marcel; Hommage à Proust“ (Edition Thurnhof, Horn, 2010)

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Elliott Chan

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ELLIOTT CHAN Sommertag

Ein Sonett

Wenn der Tag beginnt: Die Blätter sind schon finster, die Gräser sind wie Taub-Sein, voller Schwere gezeichnet. Diesmal sinkt der Tag dahin, die Sonne sinkt langsam, ein Schatten zieht sich übers Feld, von dem morschen Baum gesandt, der einst in junger Pracht erschien. Ein alter Hund bewegt sich träge. Ein Mann verweilt vorm Garten, voll schwerer Müdigkeit. Die Hitze ringt noch mit dem Ausklang, bis sie schleichend am Horizont verschwindet.

Und im Herzen entzückt die Wonne freier Kindertage, diese Glanzmurmel, die jeden Tag an Glanz verliert, im Raum des Scheiterns, trage die Maske, die das Altern ziert. Nichts können wir verlangsamen, wenn auch manchmal Tage länger scheinen. So begraben wir diesen Samen, während Wolken Bäume weinen. Ein Netz aus sanften Fäden ergibt sich aus unserer Zeit. Horch, wenn die Wissenden reden: Es vermehrt sich mit jedem Atemzug. Es verfolgt uns immer wieder. Es befreit.


Novemberregen

Die bunte Landschaft, die einst mein Kinderherz berührte, ist nur mehr ein finstrer Schatten, dessen Tod aus morschen Bäumen spricht. Jenes Blatt, das einst die Sonne grüßte, fiel zu Boden, verdorrte und verkam. Die Städte trostlos und umdüstert, wie ein Geist, dem einst die Seele schwand. Der Himmel über mir so kalt und fern, wenn die Wolken ihrem Tod begegnen. Die Nacht, ihr sternenloses Tief umsenkt, vernichtend Schauer auf mich niederregnen. Horizont verschließt sich über Leichenbergen. Hier ist Hoffnung in der trüben Sicht, eingekesselt in den Felsenheeren, fern von jedem Licht.

Die Landschaft in dem trüben Grau, wirkt wie vom Himmel bemalt. Und wenn ich zu ihm nach oben schau, so spür ich jeden Atemzug, so fern und kalt. Der kalte Windeszug, der mich erschüttert, der welke Blick im Augenschein. Die Blässe dieser Wiesen, wie weinende Kinder, da kehrt Novemberregen ein. Vergänglichkeit, wie jedes Lebens Tageslicht, die eine Nacht des Todes an sich riss. Finst’re Wolken umrändern meine Sicht: Diese Staude, die einst blühend in den Himmel ragte, verdirbt in welker Erde, jedes Leben vergeht, wird zur Leere, von der es stammt, das ist gewiss. Groß ist er, dieser Schmerz, der wie der Himmel Donner an sich nimmt. Ich sehe nichts als Kriege, Krankheit und Verderben, neues Leben dieses trügend’ Licht begrüßt, ums Vermächtnis dieser kranken Welt zu erben. Und wenn Novemberregen nun sich legt: den Todeswunsch mein Herz gehegt.

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Elliott Chan

Die Erkenntnis

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Über mich

Annika Mayer

ANNIKA MAYER

Lieblingsbücher: Harry Potter, Selection Lieblingsgenre: je nach Stimmung entweder Fantasy, Liebesromane oder Thriller Lieblingsfilme: Star Wars, Star Trek, Titanic Lieblingskuchen: Bananenschnitte, Sachertorte, Rotweinkuchen Ich bin Einzelkind, was mir aber noch nie etwas ausgemacht hat. Meistens bin ich gern allein und lese, schreibe oder backe. Wenn ich etwas mit meinen Freunden unternehme, mache ich gerne Filme-Marathons oder gehe ins Kino. Weiters liebe ich Blumen, und wenn ich gerade einen Stift zur Hand habe, kritzle ich sie überall hin. Ich bin jetzt seit zirka eineinhalb Jahren Teilnehmerin der Schreibakademie Horn und freue mich nach wie vor jede Woche auf unsere Schreibstunden.


Sie war immer stolz auf sie gewesen, und deshalb hatte sie sich die Lücke auch nie richten lassen. Lautes Vogelgezwitscher drang zu mir durch und riss mich aus meinen Gedanken. Es war wunderschön. Begeistert blieb ich stehen und lauschte dem Lied. Eine Amsel. Schon eigenartig, dass ein so großer schwarzer Vogel solche lieblichen Klänge hervorbringen konnte. Die Bäume wiegten sich sanft im Wind. Weit und breit standen lauter Eichen. Doch mein Ziel war keine Eiche, sondern ein Ahorn. Nicht, dass Eichen nicht schön wären, doch an jenem Ahornbaum trafen wir uns zum allerersten Mal … Ich folgte dem verwilderten, kaum noch erkennbaren Waldpfad. Brombeerranken kratzten meine nackten Beine blutig, doch es störte mich nicht sonderlich. Eher fühlte ich so etwas wie Genugtuung … Als hätte ich es verdient … Ich wusste, dass es nicht so war, doch mein Unterbewusstsein war da anderer Meinung. Nachdem ich mich durch eine besonders dichte Brombeerhecke gekämpft hatte, tauchte plötzlich eine kleine Waldlichtung vor mir auf. Die Sonne stand schon tief am Himmel und tauchte alles in eine atemberaubende goldene Farbe. Die ersten Frühlingsboten, nämlich Schneeglöckchen, standen bereits auf der Lichtung und streckten ihre Köpfchen der bereits untergehenden Sonne entgegen. Ich kniete mich nieder, um die weißen Schönheiten zu zählen. Es waren bereits über zwanzig. Jedes Jahr wurden es mehr. Ich stand auf und ging langsam weiter. Wollte ich das wirklich machen? Was würde geschehen, wenn sie nicht antwortete, oder noch schlimmer, was, wenn sie es tat? Ich verlangsamte meine Schritte, sog die angenehm frische und würzige Luft des Waldes ein, doch es half nicht. Der gigantische Ahornbaum tauchte vor meinen Augen auf. Die Angst drohte, mich zu lähmen, doch schließlich zog ich den blütenweißen Bogen Briefpapier, welchen ich mit einer dunkelroten Schleife zugebunden hatte, doch aus meiner Jackentasche hervor. Tastend wanderte meine Hand über den Boden, bis sie auf die unter dickem Moos verborgene Blechbox stieß. Ich holte sie hervor und legte den Brief hinein. Erinnerungen stürmten auf mich ein, doch ich schob sie zur Seite, verschloss die Box und entfernte mich, fast über meine eigenen Füße stolpernd von der Lichtung, und rannte eilig, mit mir selbst streitend, ob es nun besser wäre, wenn sie antwortete oder nicht, durch den abendlichen Wald. Auf den Brief bekam ich niemals eine Antwort.

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Annika Mayer

Ich rannte über die saftig grüne Wiese, deren Gras dringend mal wieder gemäht werden sollte. Meine halblangen Haare peitschten mir ins Gesicht, und verärgert strich ich sie mir hinters Ohr, wo sie allerdings nicht lange blieben. Plötzlich geriet ich ins Straucheln, woran wohl all die kleinen Sträucher schuld waren, welche hier überall auf der Wiese aufgingen. Im Fallen versuchte ich, mich mit meinen Armen abzubremsen, ruderte damit jedoch hilflos durch die Luft. Vergebens. Die Schwerkraft holte mich ein, und ich fiel unsanft auf die Nase, ohne auch nur daran gedacht zu haben, mich mit den Händen abzustützen. Ich schmeckte in meinem Mund Gras und etwas Erde. Das Gras war feucht, und so blieb ich nicht lange liegen, sondern rappelte mich sofort wieder auf, wobei ich ausrutschte und prompt auf mein Hinterteil fiel. Na ja, immerhin war das besser als auf mein Gesicht. Abermals rappelte ich mich, jetzt etwas entnervter, auf und rannte weiter, geradewegs auf die grüne Wand zu, welche sich vor mir aufbaute. Der Wald. Unser Platz. Schmerzhafte Erinnerungen tauchten vor meinem inneren Auge auf, während ich in den kühlen Wald eintrat. Ich fröstelte und wollte die Erinnerung wegschieben, doch ihr Lächeln war keines, das man so einfach verdrängen konnte. Sie war wunderschön. Ihre Zähne waren weiß und gerade, und sie hatte eine entzückende Zahnlücke, die vor Jahren, als sie mit ihrer Schwester Fangen spielte und dabei über einen Baumstumpf stürzte, entstanden war.

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Der vergebliche Brief


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Die Nacht, in der ich barfuß durch den Hühnerstall lief

Annika Mayer

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Ich schrecke auf. Was ist passiert? Ich spüre eine grobe, große Männerhand an meiner bloßen Schulter. Eine raue, unfreundliche Stimme zischt mir zu: „Aufstehen! Keinen Mucks, sonst bist du tot!“ Wohl oder übel klettere ich aus meinem warmen Bett. Der Mann packt mich, schleppt mich durch die Haustür hinaus, zerrt mich unsanft die Stiegen hinunter durch unseren kleinen Hof, in dem ich, wenn es hell gewesen wäre, die unzähligen Blumenbeete sehen hätte können, auf die Straße, wo ein weißer Lieferwagen steht. Was soll ich nur tun? Was will dieser Mann von mir? Geld? Bücher? Essen? Er sieht ziemlich abgemagert aus. Bestimmt hat er nur Hunger! Mutig frage ich: „Also, falls Sie nur Hunger haben, ich hätte noch Schnitzelreste und eine gute Erdäpfelsuppe im Kühlschrank. Ich könnte sie Ihnen warm ...“ „Halt das Maul! Ich will nichts essen!“ Was bildet sich dieser Halunke nur ein? Er will nichts essen? Was für eine Frechheit! Hat gar keine Manieren! In der Zwischenzeit beugt er sich über das Schlüsselloch, um den Wagen aufzusperren. Der Griff lockert sich. Das ist meine Chance! Ich bringe meine ganze Kraft auf und reiße mich los. Einen Moment lang sieht er mich verdutzt an, dann will er nach mir greifen, doch ich nehme meine Beine in die Hand und renne. Die spärliche Beleuchtung der Straßenlaternen zieht an mir vorbei. Ich erlaube mir einen kleinen Luftsprung und laufe dann schleunigst

weiter. Bestimmt läuft er mir nach. Das Ortsschild, im Dunkeln nur spärlich zu erkennen, zieht an mir vorbei. Ich lasse das Dorf hinter mir und renne in die undurchdringliche Dunkelheit hinein. Meine Sinne beginnen, sich zu schärfen, und bei jedem kleinen Rascheln zucke ich zusammen. Meine Beine schmerzen, und der Splitt, der auf der Straße liegt, schneidet sich schmerzhaft in meine Fußsohlen. Endlich tauchen die ersten Lichter auf. Bald bin ich bei meiner Oma. Da kann ich mich dann verstecken! Da ist das gelbe Haus schon zu sehen! Kein Licht weit und breit. Eigentlich logisch, immerhin ist es … ja, wie spät ist es eigentlich? Ich habe zwar keine Uhr, aber ich schätze, es ist zirka zwei Uhr in der Früh. Das Tor ist verschlossen. Schön und gut, dass sie so vorsichtig sind, aber ich will sie ja nicht ausrauben! Im Gegensatz zu dem Typen, der mich verfolgt. Gut, mir bleibt nichts anderes übrig, ich muss hintenrum laufen und in den Hühnerstall! Hilfe! Gut, tief durchatmen! Wie schlimm kann das schon werden? Das sind nur Federn! Und sie schlafen bestimmt! Also gut … Ich öffne die Tür … Alles ist dunkel, nur meine Zehen leuchten grün. Kurz wundere ich mich über die Farbe, eigentlich sollen sie ja rot sein, doch ich bin todmüde, also laufe ich, am Ende meiner Kräfte, ans andere Ende des Stalls. Das Stroh pikst mich, doch das stört mich nicht sonderlich. Todmüde lasse ich mich in eine Ecke sinken und schlafe sofort ein. „Put, put, put! Guten Morgen!“ Die Stimme kommt näher. „Valentine? Was machst du denn da?“ Mein Großvater nimmt mich hoch und trägt mich ins Haus. „Warte kurz! Ich muss noch die Hühner füttern! Sie mögen es nicht, wenn man sie warten lässt!“ Er verlässt das Zimmer und ich, noch immer todmüde, frage mich, wie ich hierhergekommen bin. Ich stehe auf, mache mir einen Tee, und langsam kehrt die Erinnerung zurück. Kann das denn wirklich wahr sein? „Also, was ist passiert?“, fragt mein Großvater mich. Ich erzähle ihm die doch recht wirre und unglaubwürdige Geschichte, woraufhin er sofort die Polizei ruft. Eine halbe Stunde später poltert es an der Tür, und zwei groß gewachsene Beamte treten ein: „Wir haben schon nach Ihnen gesucht. Die Kleingartenmafia ist hinter Ihnen her. Es geht um das Radium in Ihrem Nagellack. Sie stehen von jetzt an unter Zeugenschutz!“


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LAURIN STERKL Das Ziel vor Augen

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klammere. Zum Hochziehen fehlt mir die Kraft, also versuche ich auch mit den Füßen Halt zu finden. Es gelingt. Geschwind hieve ich mich in Sicherheit. Dort verharre ich jedoch nur wenige Sekunden, denn ich kann es mir nicht leisten, Zeit zu verschwenden. Davon habe ich nur noch wenig, bis der Meeresspiegel wieder ansteigt und diese Passage vollständig verschluckt. Nur noch wenige Schritte, schnell und präzise, fehlen und doch erscheint mir der steile, noch begehbare Anstieg wie in weiter Ferne. Dreizehn, zwölf, dann elf, zehn, neun, acht, ein unheilverkündendes Krähen ertönt, sieben, sechs, ein metallisches Kreischen stimmt mit ein, fünf, vier, drei, zwei, eins ... Stille. Nein, nicht Stille. Ein leises Summen ist zu vernehmen. Ich verfolge den Pfad, um den Höhepunkt des Anstiegs zu erreichen. Ein deutliches und konstant zunehmendes Geräusch ist die Folge. Immer näher scheint sein Ursprung zu kommen. Ich erreiche die Spitze, todbringende Klippen, reißende Strudel und schmetternde Wellen, alles liegt nun hinter mir. Ich blicke um mich, doch mir scheint unklar, was ich nun tun soll. Verzweiflung umhüllt meinen Mantel, durchdringt diesen jedoch nicht. Dennoch bin ich ratlos. Ein vereinsamter, kantiger, doch scheinbar abgenutzter Leuchtstein gewinnt meine Aufmerksamkeit. Soeben war er noch mehrere Meter entfernt, aber nun liegt er kühl auf meiner Handfläche. Pulsierend ... mehr als das, lebendig! Die Verzweiflung weicht, so wie die Nacht, und nichts raubt mir mehr die Sicht. Zuerst blind in meiner Hast, habe ich nun das Ziel vor Augen!

Laurin Sterkl

Die Sonne sinkt, verschwindet, und nur noch letzte Strahlen erhellen die dichte Wolkendecke, während die Welt immer mehr von Schatten umhüllt wird. Es ist Nacht geworden. So schnell, dabei war es gerade eben noch Abend. Ich erhebe mich von dem Stein, auf dem ich soeben noch gesessen habe, und mache mich auf den Weg. Die Zeit der Reise ist gekommen, nur bezeugt von der Sichel des Mondes, die nun hinter einigen Wolken sichtbar wird. Der Weg, den ich begehe, ein zerklüfteter Streifen entlang der Küste, variiert stark in seiner Breite und ist für Gruppen von mehr als zwei Leuten, so oder so, nicht sicher begehbar. Gut, dass ich alleine bin. In Gedanken versunken, folge ich also dem Pfad, nicht vorsichtig genug, denn plötzlich verliere ich den Halt und stürze den Fluten unter mir entgegen. Zum Glück jedoch abrupt abgestoppt durch meine Hand, mit der ich mich an der Kante des schmalen Weges fest-


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Der Blutschatten

Laurin Sterkl

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Vor langer Zeit ... hatte ich eine Tochter ... Sie war schön ... stark ... ehrgeizig ... und heute ist die einzige Erinnerung an sie ein verblasstes Kindermärchen ... Ich dachte einst ... unsterblich fühle man sich ewig jung ... Aber man fühlt sich schon ab dem ersten Moment bereits ewig alt ... Nun, ich denke, es ist Zeit zu erwachen. Die Vergangenheit wieder ein wenig länger einzusperren. In meinem Kopf. Dort wo sie hingehört. Der letzte Sonnenstrahl in dem Meer aus Schatten, das ich als Vampir mein Eigen nenne. Es gibt viele Vampire. Die meisten sterben jung. Andere überleben jung und sterben trotzdem. Wieder andere überleben einfach. Wundern sich, warum sie mit 500 Jahren noch immer fast so aussehen wie mit 20, 30 oder 40. Irgendwann in diesem Alter wurden sie alle verwandelt. Von der Dunkelheit auserkoren, Angst und Schrecken, ohne Grenzen zu verbreiten und die Welt mit blutleeren Leichen und Asche zu füllen. Ich wurde mit 300 Jahren verwandelt. Nicht, dass mich das stören würde, aber in diesen 300 Jahren hatte ich sehr lange Zeit. Ich übte mich in der Magie oder wie auch immer sie die Inquisition mittlerweile nennt. Dunkle Künste und so weiter. Schließlich fand ich einen Weg, meine Kräfte durch die Verwandlung zu behalten, sie nicht an den Tod zu verlieren, der allzu unscheinbar Teil meines Lebens ist. Ironie des Schicksals nenne ich es, dass die meisten Vampire sich vor der Verwandlung das ewige Leben wünschten und das ewige Sterben erhielten. Bei mir war eine grundlegende Sache anders. Sie wollten mich zu einem Knecht, einem der vielen unterwürfigen Blutsauger machen, und doch wurde ich zu etwas vollkommen anderem. Etwas Neuem. Blutschatten wurde ich genannt, doch nur bei verriegelten Türen und Fenstern, denn sonst könne ich es ja hören. Gefürchtet wurde ich. Zu Recht. Und doch sehnte ich mich nicht nach der Furcht, sondern nach etwas anderem. Der Familie, die ich verloren hatte. Diese Sehnsucht wurde nicht erfüllt, konnte es gar nicht. So kam es, dass sie mich gefangen nahmen. In einer Eisernen Jungfrau, tief unter allen anderen Kerkern, isoliert von der Außenwelt durch einen eingestürzten Gang. Dort wollten sie mich lassen. Und ich ließ es geschehen, hoffend, es würde mit mir ein Ende nehmen. Doch nun ist die Zeit gekommen. Mein Blut, jüngeres Blut, entsprungen dem meiner Tochter, ruft nach mir. Und ich werde kommen. Und mit mir die Nacht wie ein blutiger Schleier, der allem und jedem die Wahrnehmung erstickt und vollkommene Verzweiflung in die Herzen aller sät, die ihn berühren. Ich bin erwacht, als etwas, das vor Jahrtausenden zuletzt den Tod brachte. Der Blutschatten. Erwartet mein Kommen!


(Entstanden unter Mitarbeit von Annika Mayer, Elliott Chan, Lautaro Iriarte, Imre Benedikt, Laurin Sterkl, Kyle St. Clair-Right, David Lischka und Rudolf Aubrunner) Ich stehe in der Mitte eines großen zweifenstrigen,, halbdunklen, leeren Raumes, mein Oberkörper steckt in einer mich beengenden, mir fast den Atem raubenden Jacke, an den weißen Wänden hängen große Spiegel, ich nähere mich einem dieser Spiegel und blicke hinein, ich sehe meinen Körper, doch der Kopf gehört jemand anderem. Plötzlich bersten die Spiegel, und ich sehe nur noch für wenige Augenblicke, dass mein nicht mir gehörender Kopf Feuer fängt, langsam breitet sich das Feuer auch auf meine Jacke aus, und mein ganzer Körper steht in Flammen. Die schrille Sirene eines Rauchmelders erschallt, und Wasser regnet von unten zu mir herauf; ich falle gegen die Decke des Raumes, der Wasserspiegel steigt rasend schnell an, doch meine Jacke hört nicht auf zu brennen. Das Feuer und das Wasser werden immer mehr,

die beiden Elemente beginnen wie ein Strudel immer schneller werdend umeinander zu rotieren, der Strudel zieht mich in seinen starken Sog hinunter, in den bodenlosen Abgrund. Doch plötzlich Stille, der Strudel ist verschwunden, ich befinde mich in einem sehr großen, hell belichteten Raum, ich bemerke 14 Fackeln an den Wänden und elf Kerzen am Boden, in diesem Raum sitzen im Halbkreis viele alte und weise aussehende Männer, ihnen gegenüber ein junges Weib mit langem schwarzem Haar, sie trägt ein bodenlanges rotes Kleid. Kurz blicke ich diesen Kreis seltsamer Gestalten verwundert an, dann wende ich mich kopfschüttelnd ab und verschwinde im Dunkel eines langen Korridors, auf einmal fühle ich weichen, kühlen Erdboden unter meinen bloßen Füßen, die Luft ist erfüllt von dem Rauschen eines nahen Flusses, über dessen schwarzem Wasser sich tief die Blätter einer alten Linde herabbeugen, die leise, nahezu klagend, im lauen Abendwind raunen. Hinter mir ertönt ein verhaltenes Knacken, und als ich mich umwende, sehe ich einen schwarz gekleideten Mann, dessen Gesicht sich nicht erkennen lässt, mit einem funkelnden Messer in der Hand stehen. Mir wird bewusst, dass ich Furcht empfinden und flüchten sollte, doch stattdessen bleibe ich fasziniert stehen und fühle, wie mir die Klinge langsam die Kehle öffnet. Ich falle auf die Knie, und einen Augenblick später prallt mein Kopf in der sich bereits gebildeten Blutlache auf,

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Das Gesicht – ein Traumprotokoll

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Fabian Stummer

FABIAN STUMMER


und ich sehe vor meinen letzten Wimpernschlägen noch, wie mein Mörder mir den schwarzen Rücken zuwendend den Sonnenuntergang entgegengeht, nun sind meine Augen verschlossen, und in der völligen Dunkelheit entspringt auf einmal ein grelles Licht, welches mir direkt ins Gesicht leuchtet; nachdem sich meine Augen akklimati-

siert haben, nehme ich wahr, dass ich auf einem Operationstisch liege und vier Gestalten um mich stehen. Sie tragen weiße Kittel und sprechen in einer mir nicht bekannten Sprache miteinander; ich fasse, mir meines Bewusstseins unsicher, an meinen Hals, von dem ein plötzlicher, unbeschreiblicher, mich beinahe lähmender Schmerz ausgeht, meine Hand verschmiert sich mit Blut. Eine der Gestalten beugt sich zu mir hinunter, spricht mit sanfter, beruhigender Stimme in mein Ohr, und ich erkenne dieses Gesicht mit Schrecken – es ist mein eigenes!

Fremd in der Fremde

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12. Februar 1927, vor 6 Uhr morgens …

Fabian Stummer

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Der kleine Bahnhof von Nizza ist um diese Uhrzeit fast leer, aus dem Fenster meines Abteils kann ich nur einen anderen Zug am übernächsten Gleis erkennen, dessen Destination mir völlig unbekannt ist. Es sei ein besonders kalter Winter in diesem Jahr, hat der Mann in meinem Hotel mir zu verstehen gegeben. Für die französische Riviera stimmt das sicherlich. Ich bin solche Temperaturen aber gewohnt, außerdem ist der Zug gut beheizt, und mein Mantel hält mich, wie eine Decke, warm. In einer halben Stunde sollen wir also abfahren. Gut, mich soll es nicht weiter kümmern. Ab und an sehe ich draußen vor meinem Fenster andere Fahrgäste vorbeigehen, es sind nur sehr wenige, sie stehlen sich im Halbdunkel an den spärlich beleuchteten Bahnsteigen entlang, wie Schemen, in dunkler Winterkleidung, keiner von ihnen wird mir länger im Gedächtnis bleiben. Es sind nur sehr wenige, ich bin mir daher sicher, dass der Zug nicht sehr gut besetzt sein kann, was mich auch nicht wundert. Zwei Tage soll die Fahrt bis nach Moskau dauern, 50 Stunden etwa. Der Zug nach Nizza braucht von Wien aus ungefähr einen Tag, vermutlich würde es von Wien nach Moskau ähnlich lange dauern. Egal, ich habe Zeit.

Ich öffne meine Reisetasche, vergewissere mich, ob ich auch alles mitgenommen habe. Den Reisepass, mein Messer mit dem polierten Schlangenholz-Griff, das ich mir hier in der Stadt gekauft habe, die Zeitung von gestern, in der heute nichts Neues mehr steht, den Gedichtband von Baudelaire, den Kamm aus Horn, meine treue Pfeife, die ich vor Jahren in Berlin erstanden habe, und den Schal, den ich in meinem wohl beheizten Abteil nicht brauche. Ich sehe auf meine Taschenuhr, es ist jetzt zehn Minuten vor sechs, bald würde der Zug also abfahren und meinen Aufenthalt hier beenden und mich damit in die nächste Reise stürzen, wer weiß schon, für wie lange und wo sie mich dieses Mal überall hinführen wird. Ich strecke meine Beine aus und ziehe den Mantel etwas enger zusammen, dann schließe ich meine Augen für einen Moment. Es ist noch so früh am Morgen, ich bin das Aufstehen um diese Uhrzeit nicht wirklich gewohnt. Vielleicht sollte ich doch in Wien aussteigen und zu Hause nach dem Rechten sehen. Bin ich des Reisens letztlich leid geworden? Wie es Mutter gehen mag? Und was der Haushalt wohl macht? Warum denke ich daran überhaupt? Ist das etwa Heimweh? Als ich meine Augen wieder öffne und aus dem Fenster schaue, zieht eine Gestalt vorbei. Es ist eine Frau, das ist auch im Zwielicht des frühmorgendlichen Bahnhofs zu erkennen, sie ist recht dünn, nicht sehr groß und trägt einen langen weißen Wollmantel, auf den ihr helles blondes Haar herabfällt, das wiederum von einem ebenfalls weißen Hut mit fast komisch breiter Krempe bedeckt wird. Plötzlich bleibt sie für einen Augenblick stehen und blickt konzentriert nach rechts, starrt regelrecht auf irgendeinen Punkt im Dunkel der Bahnhofshalle; was es sein möge, kann ich von hier aus nicht ausmachen. Die Seite ihres Gesichts kann ich nur in Umrissen erkennen, sie hat ein sanftes, schönes Profil. Im nächsten Moment geht sie schon weiter, ohne noch einmal den Kopf zu wenden, und dann ist sie schon außer Sicht, vermutlich in den Zug


Womöglich schneit es in Wien jetzt ebenfalls, und die ersten paar Flocken bedecken schon die Hausdächer, den Stephansdom, den Zentralfriedhof. Ja, vielleicht fällt der Schnee auf den ganzen Kontinent, legt sich über ganz Europa wie ein Schleier und lässt, wie betäubend, jeden Fleck erstarren. Ob ich im Speisewagen schon ein Frühstück bekommen kann? Ich könnte auch eine Pfeife rauchen gehen und mir dabei die anderen Fahrgäste etwas ansehen, nur weil ich eigentlich nichts Besseres zu tun habe. Ich hätte noch mehr zum Lesen mitbringen sollen. Egal, es sind nur zwei Tage, vielleicht sogar nur einer, wenn ich in Wien aussteigen sollte. Werde ich das denn auch tun? Plötzlich wird die Tür zu meinem Abteil energisch aufgeschoben, es ist der

Jetzt beginnen die ersten Sonnenstrahlen, sich am Horizont langsam zu zeigen, der leichte Schneefall hat beinahe aufgehört, von der Sonne selbst ist jedoch noch nichts zu sehen. Meine Augen fallen wieder für eine Weile zu. „Was bildest du dir bloß ein, um diese Jahreszeit willst du nach Moskau fahren, wo es am allerkältesten in ganz Europa ist? Das hat seinerzeit auch Napoleon gar nicht gut getan, du Tölpel“, kreist es durch meinen Kopf. „Was machst du überhaupt hier, in diesem Zug, in Frankreich? Aber du könntest auch sonst wo sein, ganz egal, wo, und sich dort aufzuhalten, würde nicht viel mehr Sinn machen, oder? Höchstens in Wien, wo du noch Familie hast. Arbeiten musst du ja nicht mehr, du solltest lieber jede Woche einen Strauß Blumen zum Grab deines Onkels tragen, um ihm so für die riesige Erbschaft zu danken, du Tölpel. Was hast du denn in den letzten zwei Jahren schon erreicht? ‚Erfahrungen gesammelt‘ wirst du dir selbst und den anderen einreden. Bist von einem Ort zum anderen gezogen, hast da und dort ein paar Wochen verbracht. ‚Die Welt gesehen‘. Du bist noch immer genau dort, wo du am Anfang warst. Sich etwas anderes vorzumachen, hat auch keinen Sinn mehr. Was du doch für ein Tölpel bist, nicht wahr?“ Der Zug macht plötzlich einen heftigen Ruck, und meine Lider heben sich wieder. Hab ich geschlafen? Nein, allerhöchstens war ich für eine Zeit lang im Halbschlaf. Als meine Gedanken klarer werden und ich aus dem Fenster sehe, weiten sich meine müden Augen, und ein Schauspiel der Natur, nein, viel eher ein Bild wie aus einer alten Landschaftsmalerei bietet sich mir dar. Die grelle Sonne ist schon ganz über den Horizont heraufgekrochen, und nicht unweit der Schienen, auf denen mein Zug fährt, erstreckt sich über mehrere Kilometer ein Feld voll toter Sonnenblumen in der Morgenröte. Eine jede hat den Kopf hängen gelassen, wer weiß, warum sie nicht abgemäht wurden, vielleicht ist der Bauer, der sie gepflanzt hatte, verstorben, und die Früchte seiner Arbeit sind ohne ihn ergraut und erstarrt. Es liegt nur ein wenig Schnee auf dem

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Kontrolleur, ein Mann von bulliger Statur, gekleidet in eine dunkelrote Uniform, eine ebenso dunkelrote Kappe auf dem großen Kopf, mit weichen Gesichtszügen und einem buschigen Schnauzer und Backenbart, der mich sofort an den verstorbenen Kaiser Franz Josef erinnert. Der Kontrolleur tritt ein. Sein Kinn ist penibel glatt rasiert. „Guten Morgen. Ihren Fahrschein, wenn ich bitten darf!“, gibt er mir mit leiser Stimme, aber in resolutem Ton zu verstehen. Wortlos ziehe ich das längliche gelbe Stück Papier aus meiner Brusttasche und halte es ihm hin, er sieht es einen Moment lang zögernd an, nimmt es mir dann aus der Hand und entwertet es mit seiner großen silbernen Zange. „Gibt es schon Frühstück im Speisewagen?“, frage ich, worauf er mir ein freundliches, aufgesetztes Lächeln zeigt. „Erst ab sieben Uhr, mein Herr. Ich bedauere das natürlich sehr!“, antwortet er und legt mir den Fahrschein wieder in die Hand, dann verlässt er das Abteil.

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eingestiegen. Jetzt gerade wird sie ihr Abteil suchen, die Tür öffnen, ihren Hut abnehmen, vielleicht sogar ihren Mantel ausziehen und ihr langes Haar glatt streifen. Womöglich ist sie gleich in dem Abteil neben mir. Aber nein, da würde ich sie doch hören. Eine Dame wie sie lässt einen doch merken, wenn sie in der Nähe ist, und sei es nur durch den Klang ihrer Schritte. Noch ein paar letzte, etwas verspätete Fahrgäste steigen jetzt in den Zug ein und dann, nach ein paar Minuten mehr, setzt er sich bereits in Bewegung. Ein Blick auf meine Uhr, es ist jetzt genau sechs Uhr, wir fahren somit pünktlich ab. Langsam zieht das halbdunkle Bahnhofsinnere an meinem Fenster vorbei, wie in einem Traum. Der Zug nimmt langsam an Geschwindigkeit zu und ist nun im Freien, fährt durch die Stadt, in der noch in kaum einem Haus oder einer Gaststube ein Licht brennt. Der Himmel ist so dunkel, als wäre es noch Nacht. Als der Zug schließlich aus der Stadt hinausfährt, beginnt es gerade, leicht zu schneien.


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harten Erdboden, viele der Blumen haben ihre Blütenblätter fast vollkommen verloren, manche sind schon umgestürzt und liegen nur noch leblos am Boden, bedeckt von ein paar weißen Flocken. Während das tote Feld an meinem Fenster vorbeirauscht, ist der Himmel vollkommen regungslos, es ist kaum eine Wolke an ihm zu sehen, nur in alle möglichen Töne von Rot, Orange und Blassblau ist er getaucht, von der kleinen Scheibe, welche die blutrote Morgensonne ist. Ich versuche dieses Bild noch einmal klar, genau so wie es an mir vorbeizieht, in mich aufzunehmen, doch es hat sich bereits fest in meinen Kopf, in meine Erinnerungen eingeprägt. Und selbst als der Zug schon meilenweit davon entfernt ist, taucht es noch immer vor meinem inneren Auge auf und wird es noch für Jahre und Jahrzehnte gar, bis auch ich leblos verwelken werde.

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Klasse Lena Raubaum & Markus Tobischek

Fabian Stummer

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TEILNEHMENDE Elodie Arpa Lara Drakos Bianca Fellner Timo Hafner-Harnisch Aleksa Lazovic Sophia Oberlechner Lilian Ogrisek Sophia Panek Ronja Rappl Raphael Reisenauer Paula Rogner Bernadette Sarman Lea Schamp Susanne Schmalwieser Anika Suck Bettina Trimmel Lisa Willroider


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Ihr Unersättlichen

Danke

Als alter Werbetexter stelle ich mir zuerst einmal die Frage, wer liest diesen Text überhaupt, wer ist meine Zielgruppe. Und da muss ich mich gleich bei den beiden Omis, den drei Müttern, dem halben Vater und der einen hübschen Tante entschuldigen. Ich habe euch als meine Zielgruppe auserkoren, diese Truppe „wunderbarer Menschen“ (©Lena), die mich immer wieder nicht bereuen lässt, meinen alten Körper auch samstags aus dem Bett zu hieven. Dabei fällt mir auf, diesen wichtigen Aspekt habe ich in der Dankesrede an meinen Körper, die ich dank euch heuer verfassen durfte, vergessen. Also, falls du – obwohl auch nicht Zielgruppe – das liest, lieber Körper, danke fürs Hievenlassen.

• Für den Spaß, das viele Blödeln und von Herzen kommende Lachen • Für eure Bereitschaft euch auf Neues einzulassen, die Schreib impulse aufzugreifen und gleichzeitig das Gesetz, es gibt keine Themenverfehlung, eisern zu befolgen • Für die Alters(schwere)losigkeit – wer 12 ist, darf sich wie 20 fühlen und wer 47 ist, darf sich (manchmal) wie ein Kind benehmen • Für die halbe Stunde länger schlafen ab nächstem Semester • Für eure Liebe zur Sprache – und euer Gespür für ihre Kraft • Für den Rahmen, den wir gemeinsam schaffen, in dem Raum für Persönliches ist, für Gefühle, Gedanken, Worte, die von ganz tief innen kommen, raus dürfen und Gehör finden • Für euer Da-Sein, Echt-Sein, Ihr-selbst-Sein • Und schließlich für eure Unersättlichkeit. Das Feedback am Ende war ein einziges „Mehr“. Mehr Schlaf, mehr schreiben, mehr vorlesen, mehr Ausflüge, mehr Gäste, mehr Schreibnächte, mehr Spiele, mehr Termine, mehr Stunden, mehr Pizza. Mehr Mehr.

So, wo war ich? Ach ja, ich wollte mich bei euch bedanken.

Und so werden wir auch immer mehr. Aber nein, wir sind keine Sekte (Bettinas Vermutung in der WhatsApp-Gruppe). Warum ihr nicht gehen dürft, ist leicht erklärt: Ihr seid zwar die Unersättlichen, für uns aber die Unersetzlichen. Danke auch für Lena. Und natürlich in Lenas Namen.

Markus

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LENA RAUBAUM

• Geboren 1970 in Wiener Neustadt. • Als Schüler lernfaul, jetzt eher Musterschüler in Sachen lebenslanges Lernen. • Seit 2005 Lehrer für Deutsch und Geschichte, demnächst auch für Soziales Lernen am BG/BRG Mödling Keimgasse. • Mehrere Jahre Koordinator für Begabtenförderung, Schüler- und Bildungsberater. • Zuvor mehrere Jahre Tätigkeit in einer Werbeagentur (ghost.company) im Bereich Kontakt, Text, Konzeption, zuletzt als Creative Director. • Erfahrungen, auch im Ausland, gesammelt als Tennislehrer, (Chef-)Animateur, Hortner, Nachtportier, Kellner, Verkäufer ... • Und Referent der Schreibakademie Mödling. Eine der schönsten und freudvollsten Erfahrungen.

Lena Raubaum erblickte im Mai 1984 als Lena Wiesbauer das Licht eines Kreißsaals in Wien. Derzeit arbeitet sie als Chefredakteurin des Magazins „yoga.ZEIT“ und ist neben ihrer Tätigkeit als Referentin für die Schreibakademie Mödling als freischaffende Autorin, Songtexterin, Sprecherin, Schauspielerin und Yogalehrerin tätig. Ausbildungen und Weiterbildungen (offiziell): • Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien • Schauspieldiplom • Diplom als Sprecherin und Moderatorin an der „Schule des Sprechens“ in Wien • Yogalehrerin für Kinder und Erwachsene in Graz, Wien und Indien • Ausbildung zur Fachtrainerin in Wien Ausbildungen und Weiterbildungen (inoffiziell): Sandwichtochterleben, Germanistik- und Beste-Vorleserin-Mutter, Bester-Geschichtenerzähl-Vater, übervolle (Kinder-)Bücherregale, Amerika-Aupair-Dasein, Weltreise mit 25, Sprachwitzverliebtheit, Scrabble- & TABU-Partien, Notizbuch-Handlungen, Aus-demFenster-schau-Stunden, Wortklaubereien, Wolkenkinovorstellungen, Reimliches, Freund/innen, Lebenslieben, Kindergespräche, Übers-Leben-nachdenk-Momente, „Fehler“, Neuanfänge …

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MARKUS TOBISCHEK

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Elodie Arpa

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ELODIE ARPA träumerischzielend, schreibwütig, gewöhnlich außergewöhnlich

Ilsewill. Ilsewill salzte. Ilsewill salzte nach. Ilsewill drehte am Salzstreuer, ihre Hände fest um das Holz geklammert, die Zähne aufeinandergepresst, den Mund halb geöffnet, halb geschlossen, die Lippen bebend. Im Hintergrund tönten Geräusche aus dem alten Küchenradio. Man konnte diese Laute einfach nur Geräusche nennen, dachte Ilsewill. Wo doch diese Blasmusik ganz unheimlich schrecklich war und keineswegs den gleichen Stellenwert an Kunst verdiente, wie es Harfenkonzerte oder auch – Ilsewill seufzte mit verdrehten Augen – ja, selbst dieser neumodische Pop taten. Vor Kurzem erst hatte sie sich diese Art von Musik anhören müssen, unfreiwillig natürlich, bei der Heimfahrt mit der Bahn. Zwei Frauen mit ihren Handys, jung waren die, waren wohl gerade erst aus dem Studium gekommen und in Markengewand gekleidet. Bestimmt zwei, denen alles zugefallen war im Leben. Die reichen Eltern konnte man ja beinahe in ihren künst-

lich verlängerten, brasilianisch-ich-weiß-nicht-wie-gepflegten Haarspitzen sitzen sehen! Blumensträuße hatten sie in der Hand, beide. Nicht nur je eine Rose, obwohl das für die Jungen ausreichend wäre. Nein, große, üppige Sträuße waren es gewesen, und ein Lächeln hatten sie auf ihren Lippen getragen. Die ganze Fahrt über hatten sie gelacht. Und sie, Ilsewill, war ihnen gegenübergesessen und hatte versucht zu lesen. Obwohl, versucht hatte sie es nicht. Aber selbst beim So-tun-als-Ob war sie gestört worden! Und es hatte gestunken im Waggon, natürlich nicht von der Bank der Frauen aus, denn von dieser war natürlich ein blumiger Duft ausgegangen. Aber sonst. Gestunken hatte es im Waggon, und ganz schrecklich stickig war sie gewesen, die Luft in der Bahn. Und auf ihrem Schoß hatten keine roten Blumen, kein in rosigem, leicht zerknittertem Papier eingewickelter Strauß gelegen. So wie sie ihn früher bekommen hatte. Einmal im Jahr, an diesem einen Tag. Früher, früher als Herrimus noch keine grauen Stellen im Bart hatte und Verdauungsprobleme in der Nacht. Jetzt hatte er ihr nichts gegeben, keine Blumen, kein liebliches Wort, der Herrimus. Er saß nur am Küchentisch mit seinen Radio-Geräuschen, Gabel und Messer in der Hand. Ilsewill verkrampfte ihre Schultern, die Augen eifrig blinzelnd, die Backen rot, die Stirn in Falten gelegt, drehte sie heftig am Salzstreuer. Ilsewill. Ilsewill salzte. Ilsewill salzte nach – und die Suppe war versalzen.

(geschrieben am Valentinstag)


Ohne Schmerz

Ei, ei

Schmerzlos tun, schmerzlos leben. Schmerzlos, atmen, lachen, sich regen. Fühlen nichts, fühlen leer. Fühlen leicht, fühlen schwer. Weit weg sein, ganz nah sein. Dabei sein. Wissen viel, wissen alles. Schmerzlos leben, schmerzlos tun.

Eigentum. Eigentlich schweigt einer eher eigentümlich, weil ein Eigentum eigentlich keine eigene Eigenschaft ist. Eigentümlich ereignisvoll ist eine solche Bedeutung eigentlich nicht, aber es wäre feig von einem, dies laut einzugestehen mit der Neigung, ein Ereignis feig zu übersteigen. Eigentlich. Eigenschaften gibt es eigentlich eine Menge, und Eigenheiten werden einem eigentlich immer eingestanden. Eigenheiten verdecken zu wollen ist ein feiges Ereignis. Ereignis. Freigaben sind eigentlich neigungsfreie Ereignisse. Ohne Eigentum werden Eigenschaften freigegeben, ohne Feigheit und Schweigsamkeit. Nicht feig. Schweigsamkeit. Eine eigentümlich eigene Eigenheit einiger. Feigheit ist eine eigentlich ereignisferne Neigung einer eigentlich ereignislosen Schweigsamkeit. Eigentlich.

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“Brexit means Brexit“ – I mean, of course it does?! How could it possibly mean anything else? “Brexit means Brexit.” Wie oft haben wir diesen Satz in den letzten Tagen und Wochen, Wochen und Monaten, Monaten und gefühlten Jahren schon gehört? Wir. Wir haben ihn oft und zu oft gehört, diesen Satz. Und mit wir meine ich diejenigen von uns, die immer noch verrückt genug sind, hin und wieder, alle paar Tage oder sogar täglich diverse Medien zu benutzen. Informationen prasseln auf uns ein dabei. Und da gibt es vor allem einen Satz: “Brexit means Brexit.“ Brexit means Brexit. Das also wissen wir. Doch für einen gelungenen Brexit braucht man mehr als einen Spruch. Eine Überdosis an Entscheidungsfreudigkeit braucht man dafür. Und eine Überdosis an Entscheidungsfreudigkeit bekommt man nur, wenn andere

Menschen einem helfen. Helfen, Hindernisse aus dem Weg zu klauben. Helfen, Feinde zur Seite zu schieben. Kurz gesagt: Theresa May, die Premierministerin Englands, braucht eine absolute Mehrheit, um ihren Wahlslogan umzusetzen. Und was tut Theresa May, um eine absolute Mehrheit zu bekommen? Richtig! Sie ruft zu Neuwahlen auf! Nur ist das Ganze ziemlich nach hinten losgegangen. Sehr sogar. “Brexit means Brexit.“ Einige Tage schon habe ich den Satz nicht mehr gehört. Denn Theresa May hat ihre Stimme verloren. Und nicht nur ihre eigene, sondern auch ganz schön viele andere. Viele Stimmen. Die absolute Mehrheit sogar. Und nun ist vieles nicht mehr ganz so klar. Was “Brexit means Brexit“ bedeutet, zum Beispiel. Oder auch, wer das letzte Stück vom Kuchen bekommt … Denn das ist vielleicht die eigentliche Frage. Die Kernfrage. Wer bekommt das letzte Stück vom Kuchen? Doch eines steht fest: Theresa May wohl nicht.

(geschrieben am 10. Juni 2017, zwei Tage nach der britischen Unterhauswahl)

Elodie Arpa

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Kurzrede: “Brexit means Brexit”


einfach ich selbst

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Alle glücklichen Familien sind gleich

Lara Drakos

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LARA DRAKOS

Alle glücklichen Familien sind gleich, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Art unglücklich. Das hat mal jemand Berühmtes geschrieben, vielleicht auch gedacht, und genickt haben sie alle in voller Zustimmung, dieser weise Mann hat Recht. Im Grunde ist dieser Satz aber auch nur eine Anmaßung des Unglücks über die Glücklichen. Eine Arroganz, mit der es sich über die frohen Tage erhebt, sie alle über einen Kamm schert, über ihnen zu thronen glaubt, während es in seine dunklen Welten abtaucht. Die glücklichen und unglücklichen Familien unterscheiden sich in ihrem tiefsten Inneren gar nicht so sehr voneinander. Unglück zuzulassen, bedeutet Realität zuzulassen, die Welt zuzulassen, die eigene kleine Seifenblase zu zerstechen. Unglück bedeutet mutiger zu sein als sonst, weil Glück so einfach ist. Richtig?

Glück lauert überall, und entgegen der gängigen Meinung muss man es nicht erst zusammenkratzen, damit es für den bevorstehenden Tag reicht. Die Leute tun so, als müssten sie Glück wie eine Medizin schlucken, tun es mit einem kleinen Würgen, steckten sich selbst und ihren Kindern drei Löffel in den Hals, denn wenn man nicht angesichts seines eigenen Glückes kotzen muss, dann doch zumindest bei dem der anderen. Denn dort ist es so, so oft unverdient, denn die haben nie etwas getan, bloß reiche Eltern, waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort, hatten einen guten Riecher, wenn es darum ging, erfolgreich zu sein. Da sitzen die unglücklichen Familien in ihren Häusern und tuscheln und flüstern und bedauern, sich und die anderen unglücklichen Familien, sie alle, denen das Glück nicht hold war, die, die noch nie zu den Menschen gehört haben, die immer und wirklich immer sofort das bekommen haben, was sie wollten. Immer, zu jedem Punkt in ihrem Leben, raunt man sich gegenseitig zu, Verachtung in der Stimme, weil man selbst hat hart arbeiten müssen. Die Rede ist nicht von Schicksalsschlägen, die, die keiner vorhersehen konnte. Zugegeben, Tod ist schrecklich, Krankheit ist


Aus dem Leben eines Arbeitslosen

Nacheinander springen sie alle zu den Schweinchen in den Dreck und suhlen sich in ihrem jeweiligen bevorzugten Gemütszustand. Natürlich sind wir bei den Schweinen gelandet, mag sich der eine oder andere denken, und dabei hat niemand erwähnt, dass diese eigentlich sehr klug und die Menschen die viel größeren sind. Eine Welt, in der jeder glücklich sein könnte, in der jeder versorgt sein könnte, eine Welt, in der nichts hätte so kommen müssen. Könnte, müsste, hätte, frohlocken die Zyniker, die Wahrheit ist aber eine andere.

Um sieben rumorte das ganze Haus. Wie aus einem Bienennest drangen die Geräusche zu ihm, hektische Verspätete, umgeworfene Tassen, der Schrei, man möge endlich aufstehen. Und auch er klapperte ein bisschen lauter als notwendig mit seinem Teller, auf dem sich ein Toast befand. Schraubte geräuschvoll die Marmelade auf und schlug das Messer gegen den Tellerrand. Als die ersten Haustüren um halb acht zugeschlagen wurden, erhob er sich, nahm Schal und Handschuhe von der Ablage im Vorzimmer und schlüpfte in seine Jacke. Die Hose wechselte er nicht, er hätte nicht gewusst wofür. Draußen grüßte er die Nachbarn, eilig geführte Gespräche. „Genießen Sie Ihren Urlaub noch. Zwei Wochen noch arbeiten, dann ist es auch für mich soweit!“ Die Frau lachte, drängte sich an ihm vorbei, öffnete die schwere Eingangstüre, kalte Winterluft fuhr hinein. Wehmütig blickte er ihr hinterher. Sie hatte Augenringe, war müde, ihr Atem hatte leicht nach Kaffee und Zahnpasta gerochen, der Duft eines Mittwochmorgens, wenn man besonders viel Willensstärke brauchte, um nicht einfach liegen zu bleiben.

Trotzdem wird da gestritten, zwischen den Unglücklichen und den Glücklichen.

Bemerkt hatte er aber auch das etwas gekünstelte Lachen, darunter kam das Mitleid zum Vorschein, niemand war drei Monate auf Urlaub. Zumindest nicht, wenn man sich ausschließlich zu Hause aufhielt. Ihm war klar, dass es klüger gewesen wäre zu erzählen, er sei krank, müsste das Bett hüten, eine schwere, schlimme Krankheit, die es ihm unmöglich machte, einer Tätigkeit nachzugehen, auch dann wäre Mitleid mitgeschwungen in jedem Wort, aber es wäre positives gewesen.

Niemand behauptet, dass es dieses hier genannte Paar nicht gibt, nur, dass hier alles so seicht erscheint, wo Glück und Unglück doch sehr relativ sind, genau definiert gehören. Der Spielraum, ihr Schlachtfeld ist karg und verwüstet. Am Ende hat niemand sich durchsetzen können.

Anfangs hatte er versucht, unauffällig zu sein, den besten Anzug herausgesucht, alle Konversationen auf ein Minimum beschränkt, man sollte ihm seinen Stress ansehen, der Arbeitsalltag war hart, er aber dennoch gut gekleidet, bereit, sich dem Tag zu stellen. Doch ab elf war es ihm immer zu langweilig geworden. Der Park war bis auf ein paar Rentner leer, und selbst die wirkten selbsterfüllter, wussten ihre freie Zeit zu nutzen.

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Die Glücklichen lachen einen förmlich an, nein, aus, machen sich lustig, ziehen hier alles ins Lächerliche. Es ist eine Entscheidung, rufen sie. Niemandem passieren jeden Tag ausschließlich furchtbare Dinge. Ach kommt, das müsst ihr doch wissen?

Am Morgen stand er auf und wartete. Es war früh. Sechs Uhr, alles ruhig, bald würde sich das ändern. Zehn nach sechs begann der Lärm. Erst leises Geschirrklappern aus der Nachbarwohnung, dünne Wände, es war besser, früher aufzuwachen, als sich darüber zu ärgern, geweckt worden zu sein.

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Lara Drakos

schrecklich, Krieg und Angst und Furcht sind schrecklich. Und Trauer. Trauer, die auf allen lastet, den unglücklichen wie den glücklichen Familien. Denn niemand ist unsterblich, nicht einmal der Glücklichste. Die, denen angeblich alles in den Schoß gefallen ist, auch nicht.


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Er hatte lernen müssen, dass ein Tag lang sein kann, unendlich geradezu, die Minuten krochen dahin, aus einer Stunde wurde ein halbes Jahrhundert, gleichzeitig rannte die Welt weiter, raste geradezu, und nur er hatte vergessen auf den Zug aufzuspringen, zwar abgekämpft und ernüchtert, aber am Ziel.

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Nach dem Park war das Arbeitsamt gekommen, unendliche Stunden hatte er dort verbracht, sich gemeinsam mit Angestellten durch Stellenangebote gesucht, doch da war nichts gewesen, nach dem Studium hatte er keine Weiterbildungen besucht, sein Wissensstand war gleich geblieben und jetzt war er Mitte 40 und nie der Beste auf seinem Gebiet gewesen. Niemand riss sich um ihn, Vorstellungsgesprächseinladungen kamen spärlich, wurden immer rarer und hörten irgendwann ganz auf. Und er tauschte Anzug gegen Jogginghose, Zuversicht gegen Hoffnungslosigkeit und suhlte sich im Selbstmitleid. Wälzte sich richtiggehend darin und beklagte die Tatsache, dass er zwischen den Überstunden, die ihm nie gedankt wurden, den langen Wochenenden und der konstanten Unzufriedenheit seines Chefs, vergessen hatte zu heiraten, überhaupt jemanden kennenzulernen. Da war nie jemand gewesen, der auf ihn gewartet hätte, aber jetzt schien

es, als würde die leere, kalte Wohnung ihn verspotten, wenn er eintrat. Die Lüge mit dem Urlaub hatte er erfunden, als aus dem Arbeitslosengeld die Notstandshilfe wurde und seine finanziellen Möglichkeiten noch ein bisschen knapper. Er hatte keine Energie gehabt, sich aus dem Bett zu quälen, wenn keine Notwendigkeit dazu bestand, war sich dumm vorgekommen geschäftig zu wirken, wenn seine Tagesaufgabe darin bestand, Nudeln zu kochen und vielleicht eine Soße dazu. Sonst hätte er sie so gegessen, die Fadheit der Mahlzeit seinem Gemütszustand entsprechend. Mittlerweile hatte er aufgehört, zum Arbeitsamt zu gehen, sich an die Sparsamkeit gewöhnt, und auch die Wut der Machtlosigkeit hatte nachgelassen. Der Zorn nicht weiterzukommen, festzustecken, sich eher rückwärts zu entwickeln, eine Entwicklung, die ihn wieder in den Zustand eines Kindes versetzte, dem man nichts gab, mit dem es sich beschäftigen könnte. Während dieser Untätigkeit wollte er es zumindest bequem haben, versuchte sich an manchen Tagen am Sport, versuchte zu kochen, den Staubsauger öfter als alle zwei Monate zu benutzen, zurückzufinden in eine Routine. Vor allem aber überlegte er sich, wie er das preisgeben konnte, was eh schon alle wussten. Dass der nette Mann, der immer freundlich und höflich war, seit über einem Jahr keine Arbeit mehr hatte. Der auf Staatskosten lebte und an dessen Zustand sich wohl in nächster Zeit nichts ändern würde. Vielleicht würde er aber auch gar nichts sagen, stillschweigend abwarten, die Gerüchte brodeln lassen, schließlich hätte es ihn auch schlimmer treffen können, und wenn er aus lauter Ungerechtigkeit wieder gegen die Wände schlug und schrie, dachten vielleicht einige noch immer, er ärgere sich lediglich über eine E-Mail aus der Arbeit, die ihn in seinem wohlverdienten Urlaub störte.

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Sie bittet, sie bettelt, sie fleht. Richtet ihre Worte an den Mann mit dem klimpernden Schlüsselbund und dem langen weißen Bart, den Mann, der aussieht, als hätte er die Welt verstanden, der sie ansieht, als sähe er sie tatsächlich. Doch er antwortet nicht, schüttelt nur seine Schlüssel und lauscht ihrem Geräusch. Ganz wahnsinnig wird sie, weil er ihr keine Antwort gibt, ganz verrückt, weil sie eine Antwort braucht, jetzt. Denn sie weiß, dass sie nicht schön ist, hat es oft genug gesehen, zwar nicht oft gesagt bekommen, aber sie spürt es an den Blicken, den diplomatischen Antworten, den Ausflüchten. Sagt es, sprecht es aus, das offene Geheimnis, das niemand wahrhaben möchte. Rasch greifen ihre Finger nach den Schlüsseln, in der Hoffnung, den passenden zu finden, in der Hoffnung, ihrem Unglück zu entfliehen. Glück, ja, Glück zu finden. Es muss schön sein zu mögen, was man sieht. „Hilf mir doch. Ich will nicht viel, nur ein bisschen was, ein wenig Schönheit. Bestätigung.“ Man sagt ihr, jeder sei schön, doch das ist nicht richtig. Sie weiß es, sonst könnten die Leute ihr ins Gesicht schauen, wenn sie fragt, ob sie hübsch sei. Provokant. Natürlich. Aber wer sie anlügt, hat es auch nicht anders verdient. Aussehen ist wichtig, spielt eine Rolle. Er entzieht ihr die Schlüssel, nur kurz kann sie Metall spüren, kühl und fest,

„Du verstehst das nicht, mich nicht. Ich brauche das! Wie viele Jahre soll ich noch überleben, wie viele Jahre willst du mir das noch antun? Wie viele Jahre soll ich mir das antun? Ich will nicht mehr.“ Jetzt runzelt er die Stirn, verkniffenes Gesicht, sie hätte ruhig bleiben sollen, Mitleid zieht bei den allerwenigsten, vor allem, wenn die Wimpern so kurz sind, dass man nicht mit ihnen klimpern kann. Fast wirkt er verärgert, ein missbilligendes Schnalzen entfährt ihm, ganz kleine Augen, und sie kann ihn ja verstehen. Dass da alle zu ihm pilgern, als sei er die Rettung, die einzige Maßnahme. Die Arznei, um es leichter zu haben, dabei ist es ja auch einfach, die Misserfolge auf mangelnde Symmetrie im Gesicht zu schieben. Weiß sie ja. Die, die da sitzen und nichts mehr wollen, als schön nach Hause zu gehen, sie sind Leidensgeschwister, die ihre Bitten an jemanden richten, der nicht hören will. Arbeite hart, sei freundlich, widersprich nicht. Das sind Werte, die man tatsächlich messen kann. Weiß sie ja. Eigentlich. Aber sie will nicht schuften, ein Lächeln lächeln, das sich falsch anfühlt, nichts sagen, wenn ihr ganzer Körper nach dem Gegenteil verlangt. Trotzdem zwingt sie ihre Mundwinkel nach oben, der alte Mann erwidert das Lächeln dennoch nicht. Bleibt standhaft, vielleicht sieht es mehr aus wie ein Haifischgrinsen. Verkrampft und davor zuzubeißen. Kurz beugt sie sich zu ihm, flüstert leise, wenn man kaum hörbar spricht, sind es keine Widerworte. „Schöne Menschen sind glücklicher.“ Dagegen kann er nichts sagen, das ist bewiesen, schließlich sieht sie es jeden Tag. „Glaubst du das?“ Seine Stimme ist alt. „Glaubst du das wirklich, bist du dir ganz sicher?“ Sie nickt, Fußsohlen fest am Boden. Natürlich. „Du reduzierst dich. Auf Dinge, die so schnell vergehen können. Wer wird sich an deine schönen Haare

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„Sag mir, wo der Schlüssel ist zur Schönheit! Sag mir, wo du ihn versteckt hast, wo ich ihn finden kann.“

gleichzeitig weich, durch die zahlreichen Berührungen. Nur auf deinen Charakter kommt es an, arbeite hart, sei freundlich, widersprich nicht und alles wird gut, hatte ihre Mutter gesagt, während sie ihre Haare zu festen Zöpfen geflochten hatte, so, dass es an der Kopfhaut zog. Sie hatte zugehört und verinnerlicht, diesen Worten Glauben geschenkt, aber letzten Endes war sie nicht besser gewesen als alle anderen. Hatte sich selbst angelogen, war mit Scheuklappen blind durch die Welt gelaufen, selbstsicher den Menschen entgegen oder zumindest so tun als ob, freundlich, immer freundlich, für sie ist es schwieriger, schöne Menschen mag man eher, schneller. Weniger Hindernisse.

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Lara Drakos

Schönheit


erinnern, wer an deine langen Beine? Wer soll sich daran erinnern, wem soll es denn wichtig sein?“

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„Aber ich will hübsch sein!“ Lächerlich klingt das, kindisch noch dazu. Weiß sie ja. Eigentlich. Dass das die Bestätigung ist, die da aus ihr spricht. Ein schwarzes Loch, unersättlich, verlangt immer mehr, mehr, sie könnte platzen und es dennoch hineinzwingen. Nette Worte, Komplimente aufsaugen. Wenn man nicht schön ist, sind sie selten, rar gesät, sie muss lange davon zehren.

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Eigentlich hat er vielleicht Recht. Aber eigentlich hat sie niemanden, den sie fragen will, den sie fragen kann. Eigentlich hat sie sich verkrochen, konnte Menschen nicht in die Augen sehen, immer dieser unterwürfige Dackelblick, man findet sie langweilig. Eigentlich hat sie sich das anders vorgestellt. Eigentlich dachte sie einmal, alles sein zu können. Eigentlich gab es mal eine Zeit, in der sie ihren Abend nicht vor dem Spiegel verbrachte, sich ausmalend, wie es wäre, schön zu sein. Aber das ist vorbei. Andere Prioritäten. Man muss sich neue Ziele stecken. Sie will schön sein. Aus.


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BIANCA FELLNER

Turm Es war viel Zeit vergangen. Viele tastende Momente, viele suchende Augenblicke. Es war viel Zeit vergangen. Viele gehauchte Worte, viele stumme Blicke und blinzelnde Münder. Viel, seit er zu dem Turm gekommen war. Er hatte die Flyer damals entdeckt. Verwitterte, halb verlorene Zettel, die an der schlechten Seite der Plakatwand geklebt waren. Sich duckend hinter knallorangenen, schreienden Farben, dunklem, aufdringlichem Fettdruck in Comic Sans. Hervorblinzelnd zwischen nichtssagenden Werbeslogans, zweidimensionierten Gesichtern, motivationslosen Anzeigen. Sie hatten dort hingehört. Hatten mit Sicherheit und Bestimmtheit ihren Platz eingenommen, diese zwei Stücke Papier, mit der links eingerissenen Ecke, dem Schriftzug mit dem Nässefleck, der Kräusel in die Oberfläche gemalt hatte. Und sie hatten ihm zugezwinkert.

Anfangs, noch heimlich und still, wenn er morgens, mit hochgezogenen Schultern, müden, unfokussierten Augen, den Kampf gegen den zischenden Herbstwind angetreten war, die Hände in den Hosentaschen vergraben, der Rucksack schwer an der Wölbung seines Rückens. Harte Bücherkanten, die jeden einzelnen Wirbel nachgefahren waren, durch den Stoff der Jacke hindurch ihre Stelle gefunden, denselben schmerzhaften Punkt, gegen den sie sich immer niederlassen würden, wo fünf blaurote Vertiefungen bereits unter dem Schutz des Hemdes seine Haut geziert hatten. Wochen, bis das Zwinkern zu einem Winken geworden war, mutiger, wenn seine Schritte ihn spät am Nachmittag auf demselben Weg in die entgegengesetzte Richtung getragen hatten. Geduldig und ausdauernd, mit den länger werdenden Nächten, die Leben in die Bewegung gebracht hatten, wie eine Stimme, ein Orchester, dabei, die Bühne zu schaffen. Bis es eines Tages seinen Blick eingefangen hatte. Seine Augen abgeschlittert waren an den Fettdrucken und Farben und dem Schmutz und Dreck. Sich auf die andere Seite gewagt hatten, tiefer eingedrungen waren. Doch sehen war nicht erkennen, war nicht lesen oder verstehen oder begreifen oder näher herantreten. Aber sehen war wahrnehmen, waren Pupillen gewesen, die für einen Moment gestockt hatten, angezogen, für einen Moment innegehalten hatten, bis Füße sie in ihrer Gewohnheit, in ihrer Konsequenz weitergetragen hatten.

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morgen weiter suchend


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Von diesem Moment an, war das Winken stärker geworden. Schien das Neon, das Oberflächliche von innen gerissen zu sein, bis er seinen Kopf fast automatisch gedreht, wann immer er die Stelle passiert hatte. Er hatte die Flyer damals entdeckt.

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Und als er schließlich herangetreten war, an die Plakatwand, das Treiben der Stadt hinter ihm weitergeflossen, der Herbstwind weitergeheult hatte, waren sie ihn angesprungen, hatten sie sich auf ihn gestürzt, mit der Wut der verlorenen Wochen, mit der Frustration der immer gleichen Bewegung. Hatten sich die geschriebenen Worte durch seine Ohren hindurch in seinen Kopf gebohrt und dort eingenistet, hatten hinter seiner Stirn gewütet, in den stillen Momenten, den Augenblicken vor dem Einschlafen, dem ziehenden Warten auf das Umschalten einer Ampel. Damals, zu dieser Zeit, hatte sie ihm einen Apfel geschenkt. Und damals, zu dieser Zeit, war es die Farbe gewesen, die ihn so fasziniert hatte. Er war kühl gewesen, als sie ihn ihm in die Hand gedrückt hatte, direkt in seine Finger gelegt, die auf dem zerkratzten Tisch geöffnet gewesen waren. Es war ein „plötzlich fremdes Gefühl“ gewesen, hatte einen kurzen Schauer, ein kurzes Gefühl von Schreck, prickelndes Zittern durch seinen Körper gejagt, und sein Kopf war nach oben geschnellt und hatte ihre nach vorne gebeugte Gestalt gefunden. Mit Rehaugen und einem freundlichen Lächeln. Mit einem Duft von Frühling, demselben Billigsdorfer-Parfum, das die alte Dame von nebenan benutzte.

„Oh, entschuldige.“ Er hatte sehen können, dass es ihr nicht leid getan hatte. „Du hast so verlassen ausgesehen, und ich dachte mir, vielleicht hast du dein Essen vergessen …“ Er hatte ahnen können, dass es so gewesen sein musste. Der Apfel war schwer in seiner Hand gelegen, und ihr gemischter Atem war laut gewesen, laut in dem Klassenzimmer, mit den ansonsten leeren Tischreihen, die nur noch seinen eigenen Körper gehalten hatten. Und als sie sich schließlich umgedreht hatte, hatte sie den Frühlingsduft mit sich genommen, bis nur noch die Erinnerung daran geblieben war, wie etwas, das keine Bedeutung gehabt, aber doch nicht ganz hinfort gewaschen hatte werden können. Er hatte sie nicht gekannt. An diesem Abend war er erneut vor der Plakatwand zum Stillstand gekommen. Die Bücher in seinem Rucksack besonders schwer, besonders erdrückend gegen die Sträubung seines Rückens. Prickelnde Blitze an Nervenenden. Die Lichter daheim hatten blass im Vergleich der weißen Farbe der Flyer gewirkt. Die Farbe der Schlafzimmerwand nichtig im Kontrast zur Röte des Apfels. Die Worte in seinem Kopf hatten weitergearbeitet. Und damals, zu dieser Zeit, war es schwerer geworden, Gesehenes zu ignorieren, Gewusstes auszublenden. Damals, zu dieser Zeit, war es schwerer geworden, Gesprächen zu folgen, an Ampeln stehen zu bleiben, auf den Verkehr zu achten, auf die Stadt zu achten, auf das Wetter und den Himmel und die Wolken. Und jeden Morgen und jeden Nachmittag, wenn er daran vorbeigegangen war, war der Blick in seinen Augen dunkel und voller Vorwurf gewesen, hatte versucht die Flyer wieder in die Unsichtbarkeit hinter den Neonplakaten zurückzudrängen. Sie hatte ihm nur zugezwinkert. Damals, zu dieser Zeit, war sie noch einmal zu ihm gekommen. Wieder in einem bereits verlassenen Klassenraum, wieder in einem Moment versunkener Nachdenklichkeit. Diesmal hatte sie ihm keinen Apfel angeboten. Diesmal waren seine Hände bei ihm gewesen, an seinen Oberkörper gepresst, und seine Augen hatten dunklere Ringe getragen. Der Frühling war ihm in die Nase gestiegen, noch bevor er seinen Kopf in ihre Richtung hatte drehen können.


Wo er einst lebte

Und er hatte geweint und gelacht, bis er schließlich stumm geworden war. Und als er stumm geworden war, hatte der andere beschlossen, sie zu finden. Also war er gezogen, über Berge und durch Straßen, und er hatte in viele Augen geblickt, doch nichts in ihnen gefunden. Hatte vielen Mündern gelauscht, doch nichts in ihnen gehört. Hatte Frauen gesehen, die Brüder hatten, für die Männer Väter geworden waren, und Männer, die Brüdern alles gelehrt hatten. Als er sie schließlich fand, waren es die Bilder, die ihn zu ihr führten. Schnee und Sturm und Regen und er

und die Welt und sie selbst.Und als er auf den Barhocker neben ihr glitt, schienen seine Züge unter ihren eigenen zu flackern, und ihr Atem schlug ihm entgegen, der noch mehr nach Winter roch, als seiner es getan hatte. Denn am Ende war in seinen Lungen doch Feuer gewesen, Feuer und Arroganz und sengende Hitze auf dem blauen Fluss, der in seinen Augen getobt hatte.

Und er dachte zurück an das Weinen und Lachen, an das Flehen und die klaren Momente, und er wollte es sehen. Wollte wissen, ob sie auch von ihm erzählen würde, wie er es von ihr getan hatte. Bilder in die Luft malen würde, von hohen Wangenknochen, die wie Klingen in sein Gesicht geschnitten hatten, wo ihres weich war, Farben von dem rauen Kratzen seiner Stimme, von seinen flatternden Fingern an einer Stuhllehne und all den anderen kleinen Dingen, die ihm verborgen geblieben waren. Wollte wissen, wie ihre Stimme klingen würde, ob ihre Füße auf den Boden trommeln würden, so elegant wie er sie in einer langen Winternacht voller Masken und Tüll und fließender Kleider auf dem Tanzboden beschrieben hatte. Er streckte ihr seine Hand entgegen, und seine Stimme war sanft und weich und schmeichelnd, und auf seiner Zunge konnte er bereits ihre Worte schmecken, das Lachen und Weinen und Flehen vor der Stille. „Lassen Sie mich Sie auf ein Getränk einladen.“ Der Ring mit der simplen Inschrift blitzte auf seinem Finger. Ein Feuer, das nie erlöschen soll. Er hatte ihm ihn zuletzt vom Finger gezogen. Ihr Blick blieb daran hängen, stockte, doch sie sagte nichts. Augen wirbelten. Das Schneetreiben wurde stärker. Und er wusste, dass sie die Worte gelesen, wiedererkannt hatte. Doch der wohlige Schauer voller Vorfreude erstarb in seinen Muskeln, wurde kalt und erstickend und lähmend, als sich ihr Gesicht wieder seinem zuwandte. Ihre Augen waren Dolche, die sich hinter dem Samt eines trüben Wintertages versteckten. Sie bewegte sich nicht. Doch hinter dem wild peitschenden Schnee, hinter ihrem bitterkalten Lächeln und dem Sturm ihrer Augen, lautlos in dem knisternden Inferno, der sich darin entzündenden, rasenden, verzweifelten Wut, begann der Sensenmann langsam auf ihn zuzugehen.

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Und er starrte und starrte, bis sich ihr Blick auf ihn legte, mit all dem wehenden Schnee und Galaxien und Gebirgen, mit dem strahlend grauen, rechten Auge und dem linken, das weiß und bleich und verronnen war, aber genauso klar.

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Und er hatte einmal gesagt, dass ihre Augen Dolche waren, die sich hinter dem Samt eines trüben Wintertages versteckten. Er hatte von dem Schnee gesprochen, der in ihren Tiefen wehte und die Fußspuren verdeckte, die in ihr Innerstes führten. Er hatte Bilder in die Luft gemalt, von zwei Augen, die verschieden waren, eine Galaxie und ein nebeliges Gebirge, in dem weder Iris noch Pupille existierten. Er hatte geweint und gelacht und gefleht in seinen klaren Momenten, von einem Mann, der sein Vater geworden war, und einem Mann, der ihm alles gelehrt hatte. Doch immer war er zu ihr zurückgekommen. Immer zu dem Geräusch, das er hörte, wenn ihre Pinsel über die Leinwand fuhren, wenn sie Schnee und Sturm und Winter und Regen malte und ihn und die Welt und sich selbst in den Wirbeln wiederfand. Von der Musik, die er schmeckte, wenn ihre Finger über Klaviertasten glitten, oder wenn sie ihm von der anderen Seite des Raumes ein kurzes Lächeln zuwarf.


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Über mich

Hirsch

Meine Freiheit lacht vom Himmel. Meine Freiheit fällt mit dem Regen, auf und ab mit dem Wind, der über die Felder weht. Er hat eine Schwere, eine Trägheit, und meine Freiheit passt sich ihm an, zieht nach unten, bis verdreckter Boden über ihre Fußsohlen streift. Meine Freiheit wird zu nasser Kleidung, die an meinen Körper beißt. Und ich beginne Freiheit in der Freiheit zu suchen, in einer getäuschten Freiheit, in Schein-Freiheit, in Un-Freiheit. Denn meine Freiheit ist ein Drache, und sie wartet nicht auf mich. Meine Freiheit steigt in den Himmel auf. Sie lockt, sie thront. Meine Freiheit hat keine Ahnung. Es riecht nach Regen.

Hier liegen die Ruinen einer Stadt, in denen die anderen lebten Die anderen, die, die anders waren, und wahrten und ausharrten in ihrer Befremdlichkeit, in ihrem Drang befremdlich zu sein, in ihrem Wunsch die anderen zu finden, ihre Wellen zu brechen, die, die in fremden Meeren schwammen. „Meine Sprache dient mir als Angel“ waren die Worte, die die Häuser füllten, als Häuser noch Lichter trugen, als Lichter noch Farbe hatten und keine Scherben auf zerbrochenen Straßen, als es mehr gab als Staub und Mond. „Und Staub und Mond vor mir“ waren die Worte des Hirsches an der Küchenwand, waren die Stimmen der schnurrenden Tiere unter der Erde, unter dem Poltern der Füße über ihnen, in dem Takt von Zement und Beton, das sich weigerte, sie als Zeugen zu schreiben. Und „Mensch“, die Anderen wie verwobene Finger, mit schreienden Mündern, die schnatterten als sie auseinanderglitten, als ob Sehen das Universum war, als ob der ungetrübte Blick das Wasser vor der Haustüre eingefangen hätte, in nebelverhangenen Augen Rauch wie die Stimme im Labyrinth des Kopfes mit Feuer und Aschezeichen, die die Flammen nährten Und die Worte des Hirsches zur Prophezeiung machten, zum Messias, der unerhört durch die Straßen schritt In seinem Schritt, der die Ruinen brachte. Und Ruinen in fremden Meeren versanken

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TIMO HAFNERHARNISCH einfallsreich, ehrgeizig, wissbegierig

Hallo Ich Hallo Ich in zehn Jahren, Hallo zu neugieriges Ich in ein, zwei Jahren. Hallo Zukunft. Was ist aus dir geworden? Welches Ziel hast du verfolgt? Welchen Traum hast du umgesetzt? Hast du den Piratenschatz auf der verlassenen Insel, mit den zwei gekreuzten Palmen, gefunden? Hast du auch den Rest der Welt gesehen? Aber viel wichtiger noch, Was willst du noch erleben? Was sind jetzt deine Ziele? Oder auch, Hast du deine Zeit genossen? Hast du alles erreicht, was du erreichen wolltest? Was ist es, Was noch vor dir liegt? Du hast bereits erlebt,

Was ich noch erleben will, Doch ich habe die Chance, Zu erleben, Was du bereits erlebt hast, Also lass uns in die Zukunft schreiten, Gemeinsam, Bis in alle Zeiten, Genießen, Bis zum letzten Atemzug, Bis zur letzten Chance, Alles geben, Nie umkehren, Niemals zurückschauen, Und niemals bereuen! Denn so viel liegt noch vor dir, Vor mir, Vor uns, So viel können wir beide, Vereint, Noch erleben, Wenn wir Hand in Hand, Durch das goldumrahmte Tor der Ungewissheit gehen.

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Energie

Podest

Ich stecke Energie hinein, Ich strenge mich an, Ich tue, Ich tue viel, Ich mache viel, Und ich will viel, Ich teste meine Grenzen aus, Ich überschreite sie, Ich will aus meiner gewohnten Umgebung hinaus, Denn ich will mehr, Ich will mehr tun, Und ich will mehr machen, Ich will mehr leisten, Und ich will mehr schaffen, Ich will mich verbessern, Ich will über meine eigenen Leistungen klettern, Meine eigenen Rekorde brechen, Ich will hoch hinaus, Höher als je zuvor, Ich will durch die Decke gehen, Bis über die Wolken steigen, Und nach den Sternen greifen, Und nie mehr tief fallen, Nie mehr tief fallen, Doch bevor ich den Gedanken überhaupt zu Ende gedacht habe, Bevor ich begonnen habe, diesen Gedanken auszuführen, Ist die Kraft erloschen, Wie ein sterbender Stern, Wie eine Sonne, die implodiert, Und zum schwarzen Loch wird, Saugt es die ganze Energie aus mir heraus, Dann falle ich, Dann falle ich den Fall, den ich nie fallen wollte, Den Fall, den ich immer vermeiden wollte, So schlage ich auf, Und so liege ich da, Überarbeitet, Kraftlos, Hoffnungslos, Kaputt.

Ein Schritt nach dem anderen, zur Treppe, Alle Augen auf dich gerichtet, Erste Stufe, Das Holz knackt hier und knarrt da, Zweite Stufe, Auch das Metall beginnt zu quietschen, Fast als würde es unter der Last, dem großen Druck leiden, Als würde es all deine Ängste und Zweifel, deine Sorgen und Bedenken teilen, Podest, Ein Flüstern geht durch den Raum, Hier wird getuschelt, da wird gemunkelt, dort wird geflüstert, Das gewohnte Gefühl kehrt zurück, Erhaben, majestätisch, Höher, größer, Es fließt durch deine Adern, Und doch ist da ein Nervenflattern, Ein Nervenkitzel, Ein ungewohntes Gefühl, Fast wie ein bitterer Beigeschmack, Etwas ist anders, Es ist nicht das gewohnte Setting, Nicht die gewöhnliche Situation, Es ist, als würden die Augen dich angreifen, Die hundert Augenpaare brennen wie tausende auf deiner Haut, Sie schmerzen, Sie dringen in dich ein, Dringen vor bis in deine Gedanken, Jetzt erst fühlst du richtig, Den bitteren Beigeschmack, Deine Ängste und Sorgen, Deine Sorgen und Bedenken, Aus dem Flüstern und dem Tuscheln und dem Munkeln wird ein tosender Sturm, Er bahnt sich seinen Weg, Immer schneller und immer bedrohlicher wird er, Und aus dem leise vor sich hin brodelnden Sturm Löst sich mit aller Kraft das gesamte Gewitter mit Blitz und Donner und lautem Getöse, Dein Mund geht auf und zu, Doch keine Laute verlassen deine Kehle, Keine Silbe wird geformt von deiner Zunge und kein einziges Wort verlässt deine Lippen, Und mit einem Mal bricht der Regen über dich herein, Mit voller Wucht fegt er dich von den Beinen, Und dann wird der bittere Beigeschmack, Deine Ängste und Zweifel, Deine Sorgen und Bedenken, Zur traurigen Realität.


andauernd mit sich herum, Tag und Nacht, Er legt sie nicht mehr ab, Lässt sie nicht mehr liegen, Wie eine Zwangsjacke, Die ihm umgeschnallt wurde, Lebt er mit ihnen dahin. Sie bereiten ihm Sorgen. Machen ihm zu schaffen, Und wie es nicht anders hätte sein können, Kommt selbst der größte und höchste Turm zu Fall, Er bricht in sich zusammen. Zuerst langsam und dann immer schneller bröseln seine Teile von dem großen Gesamtkonstrukt ab. Zuerst kleine und dann immer größer werdende Brocken bröseln von ihm ab, Bis er schließlich umkippt, Und mit einem lauten Knall ganz einstürzt, Bis er schließlich am Boden liegend, Wimmernd, weinend, Jegliche Hoffnung aufgibt, Er verliert seinen Rang, seinen Ruf, seine Freunde, Alle, die ihn wertgeschätzt haben, Und die er wertgeschätzt hat, So liegt er da am tiefsten Punkte seines ganzen Lebens, Nur noch in Trümmern, innen sowie außen, Ist er abgenutzt und ausgenutzt, Seine einstige Stärke ist wie vom Winde verweht, Und bald sind auch seine letzten Überreste Von Ranken überwuchert, So vergehen die Jahre, Und mit der Zeit die verstreicht, Werden selbst die Trümmer immer weiter abgetragen, Bis nur noch ein einzelner Hügel in der Landschaft bleibt, Irgendwann in ferner Zukunft, Wird selbst dieser überwachsen sein, Und nur die Gedächtnisse der Menschen Werden die Geschichte von dem einst größten Turm mit der magischen Anziehungskraft erzählen.

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Timo Hafner-Harnisch

Immer weiter rinnt die Zeit dahin, Wie ein unaufhörlicher Strom, Wenn du sie anhalten willst, Rinnt sie wie Wasser durch deine Finger, Selbst in den großen Sälen des höchsten Turmes der Welt rinnt sie unaufhörlich dahin, Kein Mensch wird verschont, Selbst das Gebäude altert dahin, Es ächzt und stöhnt mit der Zeit immer mehr unter der großen Last, Und so wird er älter und älter, Doch seine magische Anziehungskraft erlischt nicht, Weiterhin ziehen seine gut nach Weihnachtskeksen duftenden Stuben Menschen von nah und fern an, Sie kommen nur, um ihn zu sehen, Immer mehr Menschen kommen in den Turm, Man sagt, er hätte magische Fähigkeiten, Oder gar, dass er überhaupt nicht altert. Und wie in jedem Mythos, In jeder Sage, Ist wenigstens ein Fünkchen, Und sei es nur der Kern wahr, Denn die vielen Besucher, Und die Mythen und die Rätsel, die sich um ihn ranken, Geben ihm neue Kraft, Sie geben ihm das Gefühl, ein Teil von ihnen zu sein, Sie sind die ersten unter denen er sich richtig lebendig fühlt, Das erste Mal sein Leben genießen, Doch bald schon erwachen die bösen Geister. Sie quälen ihn, Anfangs nur im Schlaf, Doch irgendwann trägt er sie

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Wolkenkratzer


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Sophia Oberlechner

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SOPHIA OBERLECHNER Musikalisch, freundlich, kreativ

Standard In meinen Ohren sind drei Löcher. Standard. Wobei man schon fast sagen kann, es sind für den Durchschnittsbürger um ein paar Löcher zu wenig. Meine Augen sind grünbraun, von langen Wimpern umgeben. Standard. Manchmal glänzen sie – wenn ich kurz davor bin zu weinen –, oder sie blitzen auf – wenn ich mich freue. Meine Nase hat einen Höcker, der mich stört. Standard. Meine Lippen sind schmal, und mein Mund kommt mir im Verhältnis zu meinem Gesicht klein vor. Auch sind meine hellrosa Lippen fast nie geschminkt. Nicht weil es mir am nötigen Kram fehlte, sondern an Organisation. Standard. Meine Zähne sind dafür, dass ich nie eine fixe Zahnspange hatte, gerade. Standard.

Meine Haare neigen dazu, viel zu schnell fettig zu sein, und meine Spitzen können, wenn ich sie biege, senkrecht nach oben stehen. Kaputtes Haar – nach dem vielen Färben. Standard. Meine Oberschenkel werden genetisch bedingt immer eine Spur zu dick sein, dafür hat mich Gott mit einer schmalen Taille gesegnet. Mein Körper ist nicht perfekt. Standard. Meine Arme mag ich. Sie kommen mir seltsamerweise wohlgeformt vor. Standard. Standard. Standard. Manchmal überlege ich, wie ich aussehen müsste, wenn ich nicht Standard sein wollte. Bis ich an den Punkt gelange, an dem ich feststelle, dass ich nicht Standard bin. Vielleicht sollte das Gegenteil von Standard nicht besonders sein, sondern einzigartig. Denn meine Oberschenkel mögen zu dick sein, meine Nase einen Höcker haben und meine Haare aus reiner pubertärer Experimentierfreude blau gefärbt sein. Aber das spielt keine Rolle. Ich habe keine Definition für Standard gefunden, da es keine typisierten Menschen geben kann, sondern nur einzigartige Persönlichkeiten. Und Persönlichkeit wird niemals Standard sein.


Lass uns träumen

Synonyme für erwachsen

Lass uns träumen. Von durchgetanzten Nächten und verkaterten Morgen, von eskalierten Partys und alkoholisierten Meuten. Wenn wir beide wach geblieben wären und uns demaskiert hätten.

Groß, mündig, reif, selbstständig, voll entwickelt, volljährig

Lass uns träumen. Von Weltreisen und Abenteuern, von fernen Ländern und fremden Kulturen. Wenn wir staunend durch Gassen schlendern und fremde Genüsse erleben.

Aber muss ich zwingend groß sein, um erwachsen zu sein? Immerhin gibt es auch kleinwüchsige Erwachsene, die alle anderen Kriterien erfüllen. Genauso gibt es unselbstständige, volljährige Erwachsene wie selbstständige, minderjährige Jugendliche. Also kann keines dieser Wörter wirklich die Bedeutung von erwachsen einfangen.

Lass uns träumen. Von Liebe und Selbstlosigkeit, von Herzlichkeit und Zuneigung. Wenn wir einsehen, dass wir alle gleich sind. Und tagsüber, wenn wir nicht träumen, sondern maskiert, frustriert und einsam sind, erfinden wir Wahrheiten.

Denn im Endeffekt ist es nicht mehr als ein Wort. Weder ist es ein Gefühl noch ein eindeutiger Zustand. Es ist lediglich eine Aneinanderreihung von Buchstaben, die im Laufe der Jahrhunderte erschreckend große Bedeutung gewonnen haben. Aber ich habe einen Verdacht, warum jeder Mensch unbedingt als erwachsen bezeichnet werden will. Die Gesellschaft fordert Erwachsene, keine Kinder. Doch ich glaube, dass wir alle vergessen haben, Kinder zu sein. Ein Zitat von Jean-Jacques besagt: Die Natur will, dass Kinder Kinder sind, bevor sie zu Erwachsenen werden.

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Aber wie können wir erwachsen ansonsten definieren? Wie können wir jenes Wort definieren, nach dessen Erfüllung jeder Jugendliche strebt? Ich weiß es nicht.

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Sophia Oberlechner

Lass uns träumen. Von Erfolg und Stolz, von Anerkennung und Wissbegierigkeit. Wenn wir nicht länger um unseren Status bangen, sondern uns zufrieden ausruhen.

Wann bin ich erwachsen? Um die Bedeutung von erwachsen besser zu verstehen, habe ich die Synonyme gegoogelt. Synonyme sollten Wörter sein, die den gleichen oder ähnlichen Bedeutungsumfang haben. Das sagt zumindest Wikipedia.


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Lilian Ogrisek

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LILIAN OGRISEK Intelligent, kreativ, kindisch

Die Legende der Schreibakademie Mödling In den dunklen Augen spiegelten sich Schmerz und Verzweiflung wider. Die giftigen Bisse der Zeit hatten sie verflucht. Die Wärme, die einem früher aus ihren Augen entgegengestrahlt hatte, war gänzlich verschwunden und durch unendliche, abgrundtiefe Kälte ersetzt worden. Sie kannte kein wir, kein du, kein ich, und ja, sie war weggegangen, weil sie sich selbst nicht mehr gefunden hatte. Sie hatte sich eingesperrt in den Turm, welcher von keinem Sterblichen betreten werden konnte. Aber Tatsachen hielten sie nicht mehr auf. Und mittlerweile hatte sie keine Angst mehr. Wie ein Magnet wurde er von dem Turm angezogen. Er konnte nicht widerstehen. Keine Tatsachen hielten ihn davon ab zu gehen, es machte keinen Unterschied, ob er es tat oder nicht, er war sowieso zerstört. Doch eigentlich war er zu vernünftig, um es einfach zuzulassen. Er rang mit sich selber und beschloss, alle Vorsicht über Bord zu werfen.

Heftige Gewitter entluden sich über dem Turm, und sie hielt es nicht aus. Tausend helle Striche, die die Welt aufrissen. Aber eigentlich war jeder weiße Strich ein Stich in ihrem Inneren. Sie war schon so lange hier. Des Nachts in der Dunkelheit weinte sie, brüllte ihren Schatten tränenerstickt an, er solle sie nicht so ansehen, er solle sie nicht an das erinnern, was sie gewesen war, er solle nicht so mitleidig dreinblicken und ihre Tränen auflecken. Sie war doch einmal unzerstört gewesen. Er wusste, es war nur eine Frage der Zeit, bis er Angst bekommen würde. Der entscheidende Schritt durch das schmiedeeiserne Tor war wie ein Sprung in die unendliche Tiefe. Er wusste nicht, ob sein Fallschirm das aushalten würde. Es war ihm, als müsste sein Herz zerspringen, so schnell hämmerte es in seiner Brust. Er sah sich um, er war in einem riesigen, dunklen Raum. Und plötzlich sah ... ... sie ihn, erstarrte mitten in ihrer Bewegung, wischte die Tränen ab und fiel ihm um den Hals. Ihre Augen, einst so dunkel, wurden wieder klar, wie damals, als sie das Glück geküsst und die Sonne umarmt hatte. Er sah sie an und wurde endlich wieder er selbst. „Warum bist du gegangen?“, fragte er. Sie antwortete: „Weil mir die Gedanken ausgegangen sind.“ Und er sagte: „Wir werden sie aufschreiben, dann geschieht das nie mehr.“ Sie musste darauf nichts erwidern, er verstand sie auch so. Und selbst der Mond lächelte, als die beiden, Hand in Hand, den Turm verließen, um Gedanken mit anderen wunderbaren Menschen aufzuschreiben.


Die Schatten der pechschwarzen Wände Dunkle Schatten tanzen über die pechschwarzen Wände. Die Dunkelheit ummantelt jedes Geräusch, das sie verursacht. Die Stille drückt sie zu Boden, nimmt ihr die Kraft und die Sicht. Um sie herum gibt es nichts, das sie fühlen könnte, die Kälte hat ihre Glieder betäubt. Jeder Atemzug verbrennt ihre Lunge ein Stück mehr, jedes Stöhnen, das sich seinen Weg aus ihrem Mund bahnt, hängt einen Moment in der Luft, bevor es zu Boden fällt und in tausend kleine Teile zerspringt. Die Fliesen unter ihren Händen sind voller Scherben, und sie schneidet sich die Finger an den scharfkantigen Resten ihrer Schreie. Ihre Wange ruht auf zwei spitzen Überbleibseln ihrer Rufe, und wenn sie den Kopf dreht, zerfetzt die Schärfe des Schmerzes ihr Gesicht. Sie kann sich nicht bewegen, ihr Körper gehorcht nicht, und dennoch kann sie ihn spüren, die Pein fühlen, die sich durch die Glieder arbeitet. Sie kann sich nicht aufrichten, nicht drehen und weiß dennoch, was um sie herum

geschieht. Die Wände sind leer, der Raum auch. Sie ist allein mit sich selbst und den Verletzungen. Noch. Man hört nichts von draußen, genauso wie man sie nicht hören würde, wenn sie einen ihrer Schreikrämpfe bekäme. Man sieht nicht nach draußen, genauso wie man nicht hereinblicken kann, wenn sie sich in ihrem Blut wälzt, das aus den von Schmerzensschreiresten verursachten Wunden tritt. Man fühlt nichts von draußen, genauso wie man nicht spürt, wie es ihr drinnen geht, wie sehr ihr die Pein den Verstand raubt. Man riecht nichts von draußen, genauso wie niemand wittert, wie groß ihre Angst ist, wie unglaublich ihre Verzweiflung, wie unfassbar ihr Leid. Man schmeckt nichts von draußen, genauso wie man nicht die Furcht kostet, die sie auf der Zunge balanciert. Der Kasten wird zur Seite geschoben, die Tür geöffnet, ein Lichtstrahl fällt auf sie, auf die abgemagerte Gestalt, die sich mitten im Raum am Boden zusammengerollt hat und zusammenzuckt, als sie realisiert, was passiert. Die dunklen Schatten verschwinden von den Wänden, denn das Folgende wollen sie nicht miterleben. Sie huschen aus dem Raum, ins Licht, und riskieren die Auflösung lieber, als Zeugen des Gräuels zu werden. Die Tür fällt zu, und die pechschwarzen Wände verschließen die Augen.

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Sophia Panek

SOPHIA PANEK


Hochachtungsvoll „Hochachtungsvoll, Ludwig Meier“, steht in dem Brief. Als ob sie noch per Sie wären. Als ob nicht schon mehr zwischen ihnen passiert wäre. Als ob er ihr die höfliche Anrede unter die Nase reiben wollte.

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Sie lacht bitter, ohne wirklich lachen zu wollen. Es ist ein Geräusch, das sich aus ihrem Rachen kämpft, beachtet werden will, ohne gewünscht worden zu sein.

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„Hochachtungsvoll“ Als ob er je Achtung vor ihr gehabt hätte. Als ob er sie je geachtet hätte. Anscheinend hatte er sie nicht einmal wirklich beachtet, oder er hatte das Abenteuer schon vergessen, die Nacht, die sie gemeinsam verbracht hatten. Vielleicht war er am nächsten Morgen erwacht, hatte gedacht, es wäre alles ein Traum gewesen, so, wie sie das in ihrer Unsicherheit geglaubt hatte, bis sie sicher gewesen war, dass es wirklich passiert war. Vielleicht war es ihm nicht wichtig gewesen, im Gegensatz zu ihr, vielleicht war es für ihn nicht von Bedeutung gewesen.

„Hochachtungsvoll“ Sie zerreißt den Brief, ignoriert den Rest des Schreibens. Dass er ihr den Job anbieten will, ist ihr egal, wenn er nicht einmal auf die Anrede achtet. Sie macht das Fenster auf, die Nacht ist voller Sterne, auf dem Dach gegenüber sitzen zwei Gestalten, zusammengeschmolzene Schatten. Sie weiß nur, dass es zwei sind, weil sie oft dort sitzen, manchmal steht einer der beiden auf, holt Essen, Trinken oder eine Gitarre. Sie sind aus denselben Schatten gemacht, die beiden da drüben, haben ineinander die Liebe entfacht, der Geruch der Flammen wird vom Wind bis zu ihr gebracht, wenn sie abends am Fensterbrett sitzt und Schach spielt, gegen sich selbst und mit sich allein. Sie lehnt sich nach draußen in die Dunkelheit, die Papierfetzen segeln zu Boden, sie sind leise, machen keinen Krach, wecken niemanden auf, keiner erwacht. Alle schlafen, während ihre Hoffnungen fliegen lernen und doch fallen, aufschlagen am Asphalt, ohne Geräusch, und doch kracht ihr Herz, mit einem Knacksen, in ihrer Brust, will bemerkt werden, Beachtung sich erkämpfen. Zwei Stockwerke tiefer ist der Gehweg mit weißen Flecken übersät. Sie kann sie nicht sehen, aber sie weiß, dass sie da sind. Am nächsten Morgen wird jemand sie finden, aber lesbar wird nichts mehr sein. Vielleicht hält ein kleines Mädchen seiner Mutter vier Stücke Papier hin, vielleicht kann ein alter Mann die Silben zusammensetzen, vielleicht kann eine junge Frau ihren Schmerz verstehen. „Hoch-ach-tungs-voll“

Familie Unschöne, falsche, schlechte Familie: Türenknallen. Streit. Brüllen. Weinend, heulend, schluchzend, verschwindend. Türen knallend. Allein. Nachdenkend, schniefend, Nase putzend, Ärmel wischend, sitzend, allein. Füße-Stampfen, Treppensteigen, Ganggehen, Sich-dem-ZimmerNähern, Türe-Öffnen, Anklopfen vergessend, Eintreten, Schauen, Umblicken, Schimpfen. Aufsehend, Tränen vergießend, ängstlich, nervös, verwirrt, erstarrt. Schreien, Händeheben, Ausholen, Wut, unaufhaltsam, Grenzen überschreitend, Vertrauen abbauend, unmenschlich, falsch. Jammernd, schmerzend, zurückkrabbelnd, Abstand wünschend, flüchtend, kriechend, Boden. Unbarmherzig, unnachgiebig, Schlag. Zerstört, verloren, allein.


Blinde Stärke

Er steht allein, am Ende dieser Welt, der Weg in die nächste ist unüberwindbar. Auf Hilfe kann er nicht hoffen, er wird sie nicht bekommen, denn es ist niemand da, der ihm beisteht. Die Motoren und das Quietschen der vorbeifahrenden Autos, keine Stimmen, nur Stadtgeräusche sind zu hören. Niemand unterhält sich, die Menschen sind wie ausgelöscht, ausradiert, einfach verschwunden, und er hat es nicht mitbekommen, niemanden gehen sehen. Das Ticken hat aufgehört, die Ampel ist grün, der Weg frei und dennoch zögert er, vergewissert sich zweimal links und dreimal rechts. Kein Gefährt nähert sich, keine Gefahr droht, er macht den Schritt nach vorn, sein Fuß landet tiefer, er hat die erste Welt verlassen, befindet sich auf der Brücke zur anderen Seite. Er spürt die Streifen des Zebras unter seinen Sohlen, ertastet die Kante des Steiges zum Gehen und hebt sein Knie, stellt den Fuß auf den Asphalt, der schief und hinterhältig ist. Die neue Welt ähnelt der alten. Es gibt keine Menschen, jedenfalls nicht zu dieser Tageszeit. Dunkel ist‘s, Nacht wird’s, kurz vor oder etwas nach. Der

Sein Ziel ist nicht mehr weit, er hat es bald erreicht. Langsam geht er schneller, leise geht er lauter, vorsichtig wird er rücksichtsloser. Ein Auto hupt, weil er auf die Fahrbahn getreten ist, ohne sich umzudrehen, ohne lange stehen zu bleiben. Zwei Stiegen bereiten ihm Schwierigkeiten, er hebt den Fuß nicht hoch genug, achtet nicht auf den Unterschied der Erdenhöhen und strauchelt. Sein Stock hilft ihm nicht, das Gleichgewicht zurückzuerlangen, er fällt, stürzt, landet hart und schwer. Seine Hände nach vorne gestreckt, stößt er sich die Schulter, blauflecktiert sich die Hüfte. Ein kurzer Schmerzensruf entkommt seinen Lippen, und er versucht, seine Größe zurückzuerlangen, da spricht eine Stimme ihn an. „Nehmen Sie meine Hand, ich ziehe Sie hoch.“ Die Frau ist hübsch, genau wie ihre Worte und ihr Wesen. Sie ist höflich und strahlend, und er streckt den Arm hoch, seine Finger berühren warme Haut. „Sind Sie auch hier, um sich das Konzert anzuhören?“ Er nickt, lächelt auf ihre Frage und spürt immer noch ihre helfende Hand in seiner. „Kommen Sie, ich gebe Ihre Jacke ab.“ Sie zieht ihn hinter sich her, langsam und vorsichtig, geduldig und ruhig. Er hebt den Stock an, fühlt sich beschützt, wie schon lange nicht mehr. Stärke kommt von innen, hat seine Mutter immer gesagt. Stärke muss von dir kommen, aus dir, verstehst du? Er hat immer daran gearbeitet, hat alles selbst gemeistert, aber in diesem Moment, in dem Augenblick, bevor er in den Konzertsaal tritt, an der Hand einer ihm fremden Frau, kommt die Stärke nicht von innen, sie erreicht ihn von außen, strahlt in Wellen von ihr ab und trifft ihn, lässt ihn erstarken, macht ihn mutiger, kräftiger. Es gibt doch Menschen, die einen Unsehenden nicht übersehen.

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Der unebene Boden endet einen halben Schritt vor ihm, und er sucht nach dem Knopf. Er tastet ins Leere, streckt sich in die Unendlichkeit und findet doch nichts. Kein Mensch, kein Pfahl, kein Druckknopf.

Zeiger liegt wohl in der Kurve, die Uhr tickt, die Zeit vergeht. Sein Pfad führt ihn an einer Gaststube vorbei, und er hört endlich Worte, gesprochen von angeheiterten Mündern mit schweren Zungen, die nach Bier schmecken und nach Alkohol riechen. Er sieht niemanden, und niemand sieht ihn, wie immer.

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Sophia Panek

Die kühle Nachtluft umstreicht seine Wangen, spielt mit seinem Haar, dessen zu lange Spitzen schon unter der Haube hervorlugen. Der leichte Wind greift nach dem Schal und lässt die Fransen zittern, als wäre ihnen so kalt wie ihm selbst.


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RONJA RAPPL Einfallsreich, lebensfroh, perfektionistisch

Ronja Rappl

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Annas Fall

Der Ausnahmefall

Anna tanzt Anna tanzt am Dach Anna lacht Anna hat Spaß am Dach Das Dach kracht Anna hat Angst Das Dach macht Knall Annas Fall

Alle Kinder, bis auf eines, werden erwachsen. Langsam verfallen sie in einen zähen Alltagstrott. Sie sind der Meinung, die Welt zu verstehen. Bald schon hören sie auf zu hinterfragen, selbstständig zu denken. Sie nehmen ihr Leben hin wie ein unerwünschtes Geschenk, in eine Ecke gestellt und vergessen. Sie hören auf, sich umzusehen, streifen Scheuklappen über, bloß nicht sehen, wie es anderen geht. Versuchen sich darin, geradeaus über einen kurvigen Weg zu laufen. Wollen nicht verstehen, dass der Weg bergauf schwieriger, anstrengender ist als der Weg bergab, den man geradezu hinunterpurzelt. Sie leben in ihrer Welt voller Möglichkeiten, als wäre sie ein dunkler Käfig, und vergessen dabei, dass sie selbst sich darin eingeschlossen haben und jederzeit aufschließen können. Nur einer hat sich nicht eingeschlossen und geht seinen Weg trotz der Kurven stetig bergan. Bis er eines Tages stolpert, sich den Knöchel verstaucht, nicht mehr vorankommt.


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RAPHAEL REISENAUER Sarkastischer, gutherziger Besserwisser

Mein Selfie Ich sehe DICH an, zwei grüne, beinahe graue Augen sehen in deine, diese dunklen grünen Augen verstecken sich hinter ein paar langen, jedoch kaum vorhandenen Wimpern. Um diese Wimpern schlingen sich meine Lidfalten, doch man könnte sie auch als Augenringe bezeichnen, sie sind dunkel und voller Falten. Darüber befinden sich zwei gerade, ja fast strenge und buschige Augenbrauen. Sie sind nicht so hell wie meine Haare, doch haben immer noch den blonden Charakter, den so viele Haare auf meinem Körper haben. Unter meinem Auge schleicht sich etwas Rotes in deinen Blick, etwas, das nicht in das Gesamtbild passt. Es ist ein Pickel! Da kommt mir Photoshop zu Hilfe. Da ist kein Pickel.

Zumindest siehst du ihn nicht. Und wenn du etwas nicht siehst, existiert es in diesem Kontext auch nicht, richtig? Zwischen meinen Augen schlängelt sich der Ansatz meiner Nase hervor, der Ansatz verläuft gerade herunter, bis er zu einer geraden Nase wird, dann zu einer Stupsnase und letztendlich zu einem kleinen Knollen. Die Oberfläche dieser Nase ist porig, man erkennt die eingeschlagene Pubertät an all den Mitessern. Unter meiner Nase befindet sich ein Spalt, eine kleine Schlucht, die zuerst das eine Nasenloch und dann die eine Oberlippenhälfte von der anderen trennt. Meine Oberlippe schwingt sich elegant an meinen Wangen vorbei und lehnt sich an meine volle, ja beinahe zu dicke Unterlippe, diese wirft einen kleinen Schatten auf mein markantes Kinn. Wenn du von meinem Unterkiefer über meine eckigen Wangenknochen folgst, kommst du letztendlich zu meinen Ohren, die einst sehr abstehend waren, jetzt aber nur noch geschwungen und ein wenig spitz sind. Ein wenig über meinen Ohren stehen die ersten Haare, die durch mangelnde Friseurbesuche herausgewachsen und ungerade geworden sind, an den Seiten sind sie noch relativ kurz, und oben werden sie zu einem dunkelblonden Schopf.

Raphael Reisenauer

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Schuld

Raphael Reisenauer

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„Am Rand einer kleinen Stadt lag ein alter verwahrloster Garten. In dem Garten stand ein altes Haus, und in dem Haus wohnte ein alter verbitterter Mann, dieser alte verbitterte Mann war ich. Ich hatte eben erst mein Elternhaus geerbt, war hierhergezogen und konnte nun aushalten, dass alle Bewohner mich hassten. Ich unterhielt mich mit der einzigen Vertrauensperson, die mir geblieben war, über alte Zeiten. Doch ein Thema herrschte vor. Der Sommer 2001. Damals waren ich und meine Jugendfreunde Mickey und Timo um die achtzehn, Jugendliche, die gerade erst die Schule beendet hatten und nun von Größerem träumten, der Großstadt, wir wollten erfolgreiche Architekten, Richter und Professoren werden. Damals schlossen wir einen Pakt: „In 15 Jahren werden wir wieder hierherkommen, wir werden unsere Frauen herbringen und über unseren Erfolg reden. Für mich war

bereits klar, wen ich mitbringen würde. Sara, die Liebe meines Lebens, ein Mädchen mit ebenholzschwarzen Haaren und eisblauen Augen, sie trug immer weiß, egal, zu welchem Anlass. Wir waren bereits zusammen, seit wir angefangen hatten zu glauben, zu wissen, was Liebe ist. Es war blinde Verliebtheit, ja, doch heute sehne ich mich nach dieser Verliebtheit, nach der schwarz-weißen Welt und dem einfachen Leben aus Träumen. Mickey und Timo zogen mich immer damit auf, doch vermutlich waren sie nur eifersüchtig. Als wir unseren Abschluss hatten, gingen ich, Sara, Timo und Mickey in die Wälder, um zu feiern. Wir nahmen alles mit, was Jugendliche zum Feiern brauchten, Alkohol und Zigaretten, gute alte Zeiten. Ich war an dem Abend noch nervöser als bei den Prüfungen, denn das war der Tag, an dem es passieren sollte, Sara und ich wollten an dem Abend unsere Unschuld verlieren. An dem Abend trug mein Schatz eine schwarze Jacke. Es wunderte mich, da sie noch nie zuvor diese Jacke getragen hatte. Ich war betäubt vom Jack Daniel’s und nervös wie vor meinem ersten Kuss, deshalb fiel mir gar nicht ein, nachzufragen. Irgendwann erreichten wir eine Wiese, die im Mondschein silbern glitzerte, ich freute mich auf alles, was passieren sollte. Eine Menge konnte schiefgehen, doch ich bevorzugte die Herausforderung. Hätte ich es bloß besser gewusst.

Meine Gebrauchsanweisung Bewahren Sie das Produkt immer in Ihrer Nähe auf, andernfalls könnte es auf dumme Ideen kommen, die Ihnen und Ihren Mitmenschen schaden könnten, außerdem wird es traurig, wenn es niemanden zum Reden oder Zuhören hat. Die Akkulaufzeit beträgt zehn bis zwölf Stunden. Es wird jedoch empfohlen, das Produkt nicht so lange zu verwenden, da es im Falle einer kompletten Entleerung des Akkus bis zu zwölf Stunden braucht, um vollkommen aufgeladen zu werden. Lagern Sie das Produkt außerdem nicht bei Temperaturen über 50 oder unter minus 20 Grad Celsius. Sollten Sie das Gerät ausschalten wollen, so genügt ein Vortrag über Mathematik oder ein starker Schlag auf den Kopf. Es wird anderweitig empfohlen, nicht in der Nähe des Gerätes zu rauchen. Jegliche Arten des Umtausches werden vom Hersteller abgelehnt.


Erich schenkte sich ein Glas Whisky ein, er wollte nicht, dass seine Zeitungen vor der Tür lagen, damit niemand merken würde, dass er weg war. Er musste so schnell wie möglich los, er packte ein paar Kleidungsstücke und seinen Laptop in einen Rucksack. Dann fiel ihm etwas auf, er hatte seine Uhr, nein, die Uhr seines toten Vaters vergessen. Es war keine teure Uhr, sie funktionierte nicht einmal mehr. Sie war zum Zeitpunkt stehen geblieben, als der Feuerwehrmann Reinhardt Rothner, sein Vater, bei einem Einsatz verbrannte. Erich hatte sie bei diesem Mädchen namens Sophie, nein, Sonja vergessen. Er rannte raus, schwang sich in seinen Impala und düste los.

Als er ankam und klopfte, machte ein dünner, behaarter Kerl die Tür auf, es schien ihr Freund zu sein. „Schlampe!“, dachte sich Erich und stieß den Kerl zur Seite, stürmte ins Schlafzimmer und fand die schwarze Armbanduhr direkt auf Sonjas Bett. Er schnappte sich die Uhr, und als er gerade rausgehen wollte, stellte sich der Dürre ihm in den Weg. „Du verdammtes Arschloch!“, schrie der Kerl. „Ich hab echt keine Zeit dafür, wer auch immer du bist“, antwortete Erich. Er ging diesmal vorsichtig an ihm vorbei und ließ den fluchenden Unbekannten hinter sich, stieg in sein Auto und fuhr zurück zu seiner Wohnung. Als er dort ankam, riss er die Tür auf, und bevor er sich wundern konnte, warum er sie gar nicht aufsperren musste, erblickte er eine Gestalt mit schwarzer Lederjacke und einem Revolver. Reinhardt wollte etwas sagen, schreien oder irgendwas tun, doch er war wie gefangen in seinem eigenen stillstehenden Körper. Dann ertönte ein Schuss, Erich spürte kurz einen Schmerz auf seiner Stirn und dann wurde alles schwarz. 15. Jänner Betreff: Abbestellung Sehr geehrter Herr Rothner, wir bedauern, dass Sie sich nicht mehr für unsere Zeitungen interessieren. Dennoch wurde Ihr Abonnement eben abbestellt. Es war uns eine große Ehre, Sie als Kunden gehabt zu haben. Ihr „News and Papers“-Team

Liebe Schlechtwetterabteilung Liebe Schlechtwetterabteilung, ich habe nun oft genug eure Kollegen in der Schönwetterbranche gelobt und mich bei ihnen bedankt, und ich weiß, dass ihr und ich unsere Differenzen hatten. Doch ich möchte mich in diesem Brief einfach einmal bei euch allen bedanken. Am besten fange ich mit dem Regen an. Ich war nie fair zu dir, ich habe mit dir geschimpft, als ich im Urlaub war, ich habe dich dafür beschuldigt, dass ich nicht joggen gehen konnte, obwohl ich eigentlich sowieso zu faul war. Danke, dass du mich vor dem Sport rettest. Danke auch, dass du dich um meine Blumen kümmerst, wenn ich sie nicht gießen kann, und danke, dass du gefühlvoll zu mir bist. Du warst da, als mein Vater starb, und du hast mit mir getrauert. Du warst da, als mich meine Freundin verlassen hat, du gibst den traurigen Momenten wahre Trauer, und manchmal brauche ich diese Trauer auch. Ich möchte mich auch noch bei all euch anderen bedanken, ich danke zum Beispiel den Wolken, denn ohne euch wäre ein sonniger Tag nichts Besonderes mehr. Ich danke auch dem kalten Wind, denn nur wegen dir freue ich mich auf mein warmes Zuhause, doch am meisten möchte ich dir für die kalte Brise danken, die ich im Sommer so liebe.

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15. Jänner Betreff: Abbestellung Ich möchte bitten, mein Abonnement zu kündigen. Geht das auf diesem Wege? Freundliche Grüße, E. Rothner

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Abbestellung


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Mein kleiner, dummer Trostpreis

Raphael Reisenauer

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Schatz, es tut mir so leid Ich hab es echt nicht so gemeint Bevor du mich verlässt, musst du nur eines wissen Sie war nur eine von vielen, ich weiß, das ist beschissen Ich hab mich nie getraut, dir das zu sagen Doch jetzt ist es Zeit, du musst es erfahren Schatz, es tut mir so leid Doch du bist nur der Trostpreis Ich hab mich deiner angenommen Doch davor ist mir deine Schwester entronnen Du dachtest doch nicht wirklich, du wärst meine erste Wahl Ich würd dich gern belügen, doch darin bin ich katastrophal Ich sagte, die gefärbten Haare schmeicheln deinen Zähnen Weil du sie blond hast machen lassen, mit schwarzen Strähnen Außerdem gleicht dein Lachen dem einer Hyäne Schatz, es tut mir so leid Doch ich glaube, es ist soweit Die Scheidungspapiere sind bereit Ich wusste, dass es irgendwann so kommen muss Und ich verzichte mit Freuden auf den Abschiedskuss Du hast es lang mit mir versucht und trotzdem versagt Ich blieb nur bei dir, weil ich nichts Besseres bekam Doch mit dem Alter kam ein neuer Charme Und jetzt bin ich einer jeder Frau ihr Schwarm Auch ich habe es länger mit dir versucht Doch ich kam drauf, der Toaster ist intelligenter als du Meine Ex-Frau, es tut mir leid Nimm dir noch einen Moment Zeit Ich weiß, du hältst mich für ein Arschloch, Monster, einen Bastard Doch denk daran, was du alles von mir gehabt hast Für andere wäre das nicht viel Doch für eine Frau, die konstant schielt? Rebecca, es tut mir eigentlich nicht leid Und es war alles so gemeint

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PAULA ROGNER Kunstfanatisch, musikverliebt, schreibsüchtig

Paula Rogner

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An dich, liebes Zuhören Liebes Zuhören, du bist eine Kunst. Eine Kunst, die nur wenige Menschen beherrschen. Warum? Warum scheitern so viele daran, ihrem Gegenüber zuzuhören? Warum unterbrechen so viele ihr Gegenüber oder schaffen es nicht, gedanklich beim Thema zu bleiben? Ja, liebes Zuhören, du bist wirklich eine Kunst.

Hey, du da. Ich hab’s genau gesehen. Du hast auf dein Handy geschaut. Du bist bestimmt gedanklich wieder ganz weit weg. Vielleicht bei dem neuen Post von Kim Kardashian? Oder Sie da. Haben Sie etwa gerade auf die Uhr geschaut? Langweilen wir

Sie so sehr, dass Sie sich fragen, wann diese Lesung endlich vorbei ist? Ja, liebes Zuhören; wie du siehst, beherrscht dich nicht jeder. Aber weißt du was? Man kann dich erlernen. Ja, man kann dich trainieren; man kann üben, seinem Gegenüber Aufmerksamkeit zu schenken. Jeden Tag, wenn man mit jemandem spricht. Zuhören ist eine Kunst, die jeder, wirklich JEDER beherrschen sollte. Wenn ihr von dieser Lesung auch nur eine klitzekleine Botschaft durch diese Tür mitnehmt, dann die: Trainiert, aktiv zuzuhören. Und werdet zu großartigen Gesprächspartnern. Denn ja, das Zuhören ist wirklich eine Kunst. Sie sahen sich. Hinter ihr, vor ihr. Sie sah. Er sah. Herzklopfen. Da stand sie. Da stand er. Da standen sie beide. Und dann, Dunkelheit.


Leer

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Sein Wecker holte ihn unsanft aus dem Schlaf, wie auch sonst jeden Tag. Er schlug die Winterdecke zurück, und als er sich streckte, knackste seine Wirbelsäule ein bisschen. Knack, knack, ganz leise. Er setzte sich auf und begann, an die weiße Zimmerdecke zu starren. Seine Blicke wanderten von der Decke in die Ecken, von den Ecken zu den Wänden, und auf einer Wand entdeckte er einen kleinen Kaffeefleck.

Paula Rogner

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Er sah sich weiter um. Außer seinem Bett und den weißen Wänden und den braunen Flecken gab es in seinem Zimmer nicht viel. Die Renovierungen machten sein Zimmer leer und langweilig. Eine Glühbirne hing ohne Lampenschirm von der Decke, ein dreckiger Spiegel lehnte in einer der Ecken, und auf dem staubigen Boden stand ein Teller mit Keksen, mit denen er sich beim letzten Einkauf eingedeckt hatte. Er stellte sich vor den Spiegel und rieb sich das verschlafene Gesicht. Der Dreck vom Gärtnern mit seiner kleinen Schwester klebte ihm immer noch auf der Schläfe. Er wusste, sie würde ihn deswegen wieder necken. Unter anderem deshalb wollte er vorerst alleine sein. Er zog sich Shirt und Jogginghose an, schnappte sich die Kekse und steckte sich einen nach dem anderen in den Mund. Er spürte das Knuspern, das Knacken zwischen seinen Eckzähnen, als er die Kekse zerbiss. Als er sich mitsamt den Süßigkeiten wieder auf sein Bett setzte und erneut begann, die leeren Ecken anzustarren, meinte er zu sich, er sollte doch das weiße Zimmer mal wieder verlassen und nach draußen gehen. Aber der Gedanke, dass es samstagmorgens war,

steckte ihm im Kopf, und so wollte er noch nicht raus. Er deckte sich wieder zu, und als er so auf dem Bett saß, zugedeckt und eingedeckt mit Keksen, da wusste er, dass er diesen Raum auf keinen Fall verlassen wollen würde. Aber er musste es hinter sich bringen, wenn er nicht weiterhin in diesem leeren Zimmer stecken wollte. Nur steckte einfach keine Energie in ihm. Vielleicht hatte er sich in der Schule mit der Grippe angesteckt, vielleicht war er einfach völlig übermüdet – egal, was es war, er wollte nicht aus seinen vier Wänden und der schützenden Decke verschwinden. Aber weil es so sein musste, streifte er sich schnell ein Paar schrecklich alter Schuhe über und steckte sich seinen Schlüssel ein; aber er blieb noch kurz im Bett liegen und starrte, starrte, starrte an die große weiße Decke über ihm, wo er noch einen weiteren Fleck entdeckte, der ihm noch nie zuvor aufgefallen war. Er richtete sich langsam erneut auf, seine Wirbelsäule knackste erneut – knack, knack –, er streckte sich wieder, stand wieder auf, zog die Rollos vor den verdreckten Fenstern hoch. Ein letzter Blick in das verschlafene Gesicht im dreckigen Spiegel, und er schlüpfte, um niemanden aufzuwecken, so leise, wie er nur konnte, aus dem leeren Zimmer.

Haus aus Heu An einem See ein Haus, ein Haus aus Heu, da sind Blumen, ums Heuhaus verstreut. Heuer steht das Haus leer, nur ich und der See, ich sehe das Haus und freue mich, jetzt gehört es mir. (inspiriert vom Zwei-Wörter-Gedicht „Heu – See“)

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BERNADETTE SARMAN Skripturient, abenteuerfreudig, nachdenklich

Der Mann, der ich einmal war Ich sitze schon wieder in meinem Lieblingssessel, die Beine auf den kleinen Tisch gelegt, und ich schmecke Kaffeeluft, welche ihren Ursprung in meiner Lieblingstasse findet, die wohlig dampft. Und ich denke nach, über die Vergangenheit, über den Menschen, der ich einmal war und der ich einmal sein wollte und nicht mehr bin oder nie war.

Ich hatte nicht so viele Freunde. Klar, man hat Menschen, mit denen man sich prächtig versteht, und manchen will man einfach nicht unter die Augen treten, sei es wegen deren Charakter, Freundeskreis oder Mundgeruch. Aber einen guten Freund hatte ich. Ich gehörte zur Person, die man als Freak bezeichnen könnte. Jeder hat so eine Person in seiner Umgebung, die etwas seltsam im Kopf ist und sich über die schrägsten Dinge Gedanken macht, wie zum Beispiel, ob man mit einem Blitz eine Glühbirne anfachen könnte oder einfach nur mit einem Mistkäfer spricht. Ich war der Typ. Mein Freund war Karl, der war der Nerd von uns beiden.

Mein Blick bleibt am Fenster, in der Landschaft dahinter hängen. Manche Sachen ändern sich eben nie, ich hab schon immer gern in die breite Zeit davor und danach geschaut und das geht am besten, wenn man aus diesem Stuhl, aus diesem Fenster starrt. Nur als ich das letzte Mal Kaffeeluft genießend hier gesessen bin, war ich ein junger Mann, verspielt, magnetisch angezogen vom Fernweh und trotzdem ohne jegliche Perspektive. Dabei war das erst vor einem Jahr.

Er hat mir geduldig erklärt, dass man etwas weniger Volt braucht, um eine Birne zum Laufen zu bringen, hat mich aber nicht komisch angeschaut, wie der Rest der Klasse, als ich mit Quentin, so der Name meines Mistkäfers, gesprochen habe. Karl hat mich als Mensch angeschaut. Vielleicht war es das, was unsere Freundschaft so besonders gemacht hat. Wir haben nicht viel geredet und wenn, dann hab ich die Fragen gestellt und er kam mit einer schnellen Antwort. Nur einmal nicht, einmal hat Karl mich gefragt, ob er mir eine Frage stellen kann. Ich war total überrascht. Karl, der, der immer alles wusste, wollte von mir, einem durchschnittlichen Gewöhnlichkeitsschüler, etwas wissen?

Bernadette Sarman

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Natürlich sagte ich ja, was sollte ich mir schon dabei denken. Karl war nervös, hat mit seinem Oberkörper vor und zurück gewiegt, seine Brille immer wieder geputzt und mir dann nach einer schier endlosen Minute in die Augen geschaut. „Warst du schon mal verliebt?“ Verblüfft, das war ich. Und gleichzeitig total erleichtert. Ich Naivchen dachte, dass Karl mir eine komplexe mathematische Formelfrage stellen würde, die ich eh nie verstand. Aber er sprach von Emotionen, die man nicht messen konnte. Damit konnte ich was anfangen.

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„Ja“, nickte ich. „Ich glaub, ich mag Chiara.“ Dann begann ich von Chiara und mir zu erzählen, wie wir uns immer anlächeln und gemeinsam essen gehen. Total glücklich war ich, ich hab gar nicht auf Karl geschaut. Erst als ich aufgehört habe zu reden, hab ich bemerkt, dass Karl in sich zusammengesunken war. „Was ist los?“, fragte ich, hatte keine Ahnung von irgendwas. Und dann hat Karl mich geküsst. Kurz und schmerzlos, mag man meinen, aber in mir ist ein Feuerwerk aufgegangen, strahlend hell, das in der nächsten Sekunde zu einem Vulkanausbruch wurde und mein Inneres verbrannte. Ich wusste nicht, was in ihm und mir vorging, es war ein Gefühlschaos, wie ich es nie gefühlt hatte, und ich will behaupten, dass ich es nie wieder fühlen werde. Was in diesen zwei Sekunden mit ihm passiert war, weiß ich nicht, eine Gedächtnislücke hat dort seinen Platz eingenommen. Karl hat sich von mir gerissen, hat mich verletzt angeschaut, als Mensch, und dann ist er gegangen. Einfach so.

Bernadette Sarman

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Das Geräusch, als die Tür hinter Karl ins Schloss gefallen ist, das hab ich immer noch im Kopf. Ich hab Karl seit diesem Tag nie wieder gesehen.

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LEA SCHAMP Ich bin ich

Lea Schamp

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Die Suche Seit drei Wochen bin ich nun schon unterwegs. Meine Füße schmerzen von den steinigen Wegen, und meine Lunge brennt von der staubigen Luft, die ich Tag für Tag einatmen muss. Meine Haare sind verfilzt, und meine Hände sind wund von den vielen Stürzen, die sie die letzten drei Wochen abfangen mussten. Ich bin müde, und es fällt mir bei jedem Schritt schwerer, die Augen offen zu halten. Ich klammere mich an das winzige Fünkchen Hoffnung in meinem Herzen, das mich dazu bewegt, nicht aufzugeben und immer weiterzugehen. Ich habe Hunger und Durst, doch weit und breit ist nichts zu sehen. Nur Sand und Steine und sonst nichts. Meine Kleidung ist zerrissen und meine Haut schmutzig und zerkratzt. Ich bin kurz davor aufzugeben,

meine Suche abzubrechen, den Heimweg anzutreten. Doch was werden sie sagen, wenn ich ohne Erleuchtung zurückkehre, ohne mich gefunden zu haben. Werden sie mich auslachen, oder werden sie versuchen, mich zu trösten? Ich bin hier, weil ich nicht hier bin. Weil ich das Gefühl habe, in meiner Welt nicht ich selbst zu sein. Ich habe das Gefühl gesteuert zu werden, mein Leben nicht selbst leben zu dürfen. Und deshalb bin ich hier. Ich will mich suchen, und wenn ich mich gefunden habe, werde ich endlich ich selbst sein. Ich werde endlich wieder lachen und weinen können, ich werde endlich wieder ein Mensch und keine Maschine sein und werde endlich wieder leben können. Ich freue mich schon darauf. Plötzlich bleibe ich stehen. Ich lasse mich auf einen Stein sinken und überlege, ob ich mich nicht schon gefunden habe. Schließlich bin ich ich, ein Mensch wie jeder andere und trotzdem anders. Wäre es nicht langweilig, wenn wir alle lachen und weinen könnten? Wenn wir alle gleich wären? Ich erhebe mich wieder und trete mit gutem Gewissen die Heimreise an. Jeder Mensch ist einzigartig, und ich bin ich, und wer das nicht versteht, dem kann ich leider auch nicht helfen.


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Lea Schamp

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Gustav

Malen

Er steht in der Ecke. In der linken hinteren Ecke. Er steht dort und hört zu. Hört, wie alle über ihn lachen, lästern, kichern. Er lässt seine letzten zwei kaputten Blätter sinken. Er hat Durst, seit zwei Wochen hat er nichts mehr zu trinken bekommen. Früher war er beliebt und hatte einen schönen Platz direkt unter dem Fenster. Er hatte in die Sonne schauen können und war von allen bewundert worden. Doch dann wurde ihm der Name Gustav gegeben. Wer will schon einen Gustav unter seinem Fenster stehen haben? Somit wurde er versetzt. In die linke hintere Ecke. Man hatte aufgehört, ihm zu trinken zu geben, und er hatte schon ewig lange keinen Sonnenstrahl mehr auf seinen Blättern gespürt. Dann hatte man begonnen, über ihn zu lästern. Über seinen Namen und seinen Zustand, obwohl man selbst für beides verantwortlich war. Ein trauriges Blatt segelte zu Boden. Es wurde aufgehoben und aus dem Fenster geworfen. Aus dem Fenster, unter dem er früher stehen durfte. Der Wind erfasste das tote Blatt und trug es davon. Jetzt hatte er nur noch ein einziges. Ein einziges Blatt. Wenn es fallen würde, würde man dann Mitleid mit ihm haben? Mitleid mit einer toten Pflanze? Er lachte über diese Überlegung. Es war ein gezwungenes, ein unglückliches Lachen. Jetzt fiel es. Langsam und lautlos segelte es zu Boden, machte kein Geräusch, als es aufkam. Es wurde aufgehoben, doch es wurde nicht weggeworfen. Auch der Blumentopf mit der toten Pflanze wurde nicht entsorgt. Er wurde versetzt. Von der linken hinteren Ecke nach vorne unters Fenster. Und neben der toten Pflanze wurde eine neue eingesetzt. Nun steht Gustav vorne unter dem Fenster. Eine wunderschöne neue Pflanze namens Gustav.

Ich male. Ich male Bäume, Blumen und Wolken, Berge, Täler und Flüsse. Ich male meine Welt. Mit geschlossenen Augen sitze ich vor dem Fernseher. Der Fernseher läuft, ein Film, eine Geschichte, doch sie ist nicht echt. Ich sitze da, höre die Stimmen und die Schüsse, doch ich male mein eigenes Bild. Manchmal mit Farben, manchmal schwarz-weiß. Plötzlich höre ich Schritte, doch sie kommen nicht aus dem Fernseher. Ich male. Ich male die Tür des Wohnzimmers und höre, wie sie sich öffnet. Ich höre seine Stimme sanft und besorgt, doch ich verstehe nicht, was er sagt. Er setzt sich neben mich, das spüre ich, doch sehen kann ich es nicht. Ich male uns schnell. So wie ich ihn von damals in Erinnerung habe, wie ich ihn mir damals immer vorgestellt habe. Neben ihm male ich mich. So wie ich denke, dass ich aussehe, doch sehe ich wirklich so aus? Sieht er so aus, wie ich ihn mir all die Jahre erhofft hatte? Ich hatte sehr oft gefragt, wie ich aussehe, doch seine Antwort war immer nur „Wunderschön, Prinzessin” gewesen, und so hatte ich mich all die Jahre lang schön gemalt. Mit langen blonden Haaren und einfach perfekt. Doch war ich wirklich perfekt? Plötzlich legt er seine Hand auf mein Knie. „Ich habe etwas für dich, Prinzessin”, flüstert er mir zu. Ich drehe mein Gesicht dorthin, wo ich ihn gemalt habe. Er drückt mir etwas in die Hand. Kühles Metall an einem langen Stoffband. Ich male. Ich male eine Kette mit einem Herzanhänger. Vielleicht ist es auch etwas anderes, ich weiß es nicht genau. „Wie schön”, flüstere ich so leise, dass man mich durch die Schüsse des Fernsehers kaum verstehen kann. Er legt sie mir um, und ich male mich, wie ich mich vor dem Spiegel drehe. Mit einer funkelnden Kette um den Hals. Zum ersten Mal fühle ich mich wirklich schön.

Ein falsches Wort Stell dir vor, ein falsches Wort würde dein Leben verändern. Ein falsches Wort würde dafür sorgen, dass du bei allen nur noch die wärst, die gegen die Regeln des Meisters verstößt, oder der, der ES gesagt hat. Sobald du eines der verbotenen Wörter auch nur flüsterst, steht prompt ein wörtlich und wissenschaftlich geprüfter Wortwissenschafter vor deiner Tür und prüft deine Gedanken nach Spuren der verbotenen Wörter. Wenn dann rauskommt, dass du wirklich ein falsches Wort verwendet hast, wirst du mitgenommen. Sie stecken dich dann in das Gefängnis ohne Worte, und du wirst so lange dort bleiben, bis die Antiwortatoren es geschafft haben, mit den verschiedensten Möglichkeiten, deinen Kopf wieder frei von verbotenen Wörtern zu bekommen. Wenn sie es nicht schaffen, wirst du verbannt. Aus dem Land und in die Wildnis. Ich persönlich weiß nicht, was schlimmer ist. Von allen ignoriert, ausgeschlossen und als Verbrecherin bezeichnet zu werden oder abgetrennt von der Zivilisation in der schrecklichen Wildnis zu leben. Es gibt viele verbotene Wörter, genauer gesagt 862 548. Kannst du dir vorstellen, wie es ist, hier zu leben? Jeden Tag in der Angst, eines der 862 548 falschen Wörter zu verwenden und dann von den Wortwissenschaftern geprüft zu werden? Du denkst, du kannst es, ich denke nicht!


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SUSANNE SCHMALWIESER Entzückend, berückend, bücherverdrückend

Bis die Turmuhr dreizehn schlägt, hatten sie gesagt, bis die Turmuhr dreizehn schlägt, bleibst du hier oben. Eins, zwei, drei. Sie zählte die Schläge. Vier, fünf, sechs. Sie wusste, dass es zwecklos war. Sie war das blonde Schneewittchen, das Rotkäppchen mit blauer Mütze, das glatzköpfige Rapunzel. Es gab kein Happy End. Sie legte den weißen Mantel über eine der Zinnen; warm-feuchte Finger ließen Turmmauerstaub ins dunkle Unten rieseln; in die dunkle Unendlichkeit. Sieben, acht. Hier oben hatte sie alles. Ihr Fenster, ihr Bett, ihren Boden, das alles würde ihr gehören, hatten sie gesagt. Bis die Turmuhr dreizehn schlägt. Und das hatte ihr gefallen. Es hatte ihr gefallen, zu besitzen; sie war wie ein Magnet gewesen, wollte anziehen, wollte sich binden. Sie mochte, was blieb. Und Menschen blieben nicht. Neun, zehn. Sie krönte

Gegenstände und nicht Märchenprinzen, ließ nur Gedankenloses in das Schloss in ihrem Kopf. Sie wollte sich die Luft nicht wegatmen lassen, wollte bösen Wölfen und roten Apfelfrauen nicht erlauben, sie zu verführen. Es gab für sie kein Happy End, wieso also die Schattenseiten der Märchen in Kauf nehmen? Man hatte gesagt, es würde ihr helfen. Die Distanz. Die Ruhe. Sie hatte nicht mehr tun, nicht mehr schaffen, nicht mehr reden, nicht mehr fühlen wollen. Weder Wellen noch Schlachten schlagen. Hatte im Gewitter der Welt nie zu den Blitzen gehört und wollte dann als Wolke ganz weit weg fliegen. Nach oben. Da war sie jetzt. Auf ihrem Turm. Vor ihrem Fenster. Bei ihren Zinnen. Alles hatte seine Ordnung, alles hatte seinen Platz. Man hatte gesagt, es wäre gut für sie. Gut für sie, nachts an der Mauer zu stehen und hinabzusehen, in die Dunkelheit, auf den schwarzen Vorhang des Abends, der ihr zeigte, wie wenig die Welt war. Wie wenig sie alle waren. Gut für sie, mit den Schatten zu spielen, die alle ihr gehörten, sie zu Schlangen, zu Drachen und Ungeheuern werden zu lassen. Sie seufzte, und der Wolf aus ihrer rechten Hand fraß das Kaninchen der linken. So war das eben. Es gab kein Happy End, aber sie hatte sich eingerichtet. Sie legte die Kaninchenfinger auf eine Zinne. Neulich war ihr Kopf zwischen Dunkel und Licht zum Löwen geworden, hatte sie angestarrt, angestupst, angebrüllt, sie möge doch springen, den weißen

Susanne Schmalwieser

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Bis die Turmuhr dreizehn schlägt


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Susanne Schmalwieser

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Mantel zum Fallschirm machen; irgendeiner da unten würde sie schon halten, sie hängten ja sogar Mandalas und Federschmuck in ihre Häuser, um ihre Träume zu fangen, zu fesseln, festzuhalten und nie mehr gehen zu lassen; da war ein Mädchen von oben doch nichts dagegen. Aber Menschen blieben nicht. Ihre Finger rochen nach Staub, die Nacht wurde stiller. Elf, zwölf. Auch heute nicht. Auch heute kein Fehler, kein Fehler der Turmuhr, kein Fehler im System. Der Mond lächelte ihr entgegen, lächelte sie an, lächelte sie vielleicht auch ein bisschen aus. Das war in Ordnung, normalerweise verstanden sie sich gut, da oben, so über die Turmzinnen hinweg führte man manch freundliches Gespräch. Der Mond blieb nicht, aber er kam wieder, starb täglich, damit auch die Sonne ein bisschen von der Welt sehen konnte; aber wenn sich über Wälder und Lichtungen und Krater und Wunden das heilende Pflaster der Dunkelheit legte, war er da. Er war immer da, würde immer da sein, bei ihm war sie sicher, mit ihm war alles gut. Er gehörte ihr und sie gehörte zu ihm; sie spielten oft Verkleiden, dann verhüllte sie sich in ihren weißen Mantel und er schlüpfte in ein paar dunkellila Wolken. Ihre Finger waren jetzt Katzenkinder, die den Fußstapfen auf der Oberfläche ihres Trabanten folgten; Schritt für Schritt, immer weiter. Sie wetzten ihre Krallen am Mondgestein und flogen mit dem Wind durchs Universum. Auch für sie gab es kein Happy End, aber Sterne selbst am Rande der Milchstraße; Nebel, dort, wo der Weg zu klar war, und eine zweite Hand, wenn sie sich einsam fühlten. Ihr Ziel war noch lange nicht in Sicht, aber da war Licht am Ende des Tunnels, und ein lächelndes Mondgesicht. Sie hatten sich eben eingerichtet. Und dann schlug die Turmuhr. Zum dreizehnten Mal.

Bücher-Schlaf Es war einmal eine Familie, die war anders als alle Familien. Und wie immer, wenn jemand anders ist, wurde gemunkelt. Es wurde gemunkelt, während sich Milch kreiselförmig in dunklen Kaffee drehte, es wurde getratscht, während man sich Kuchenbrösel von staubzuckerweißen Lippen leckte, und es wurde sich in rosa Westen und beigen Bleistiftröcken gewundert, wie man denn so sein könne. So anders. Anna Annalies nannte sie „unsortiert“, ihr Mann, der Bäcker, hielt sie für „einfach zu bunt“. Einmal, erzählte Susi Sabine, da sei sie bei ihnen eingeladen gewesen, man hätte ihr spanisches Essen serviert und Suppe, sonderbar sandfarben. Das Haus der Familie sei dunkelgrün, mit zwei Türmen, und der brave Manfred Markus mit den Mannerschnittenhaaren meinte, man schliefe dort auf Büchern. Es war einmal ein Vater, der war anders als alle Väter. Und wie immer, wenn jemand anders ist, wurde geredet. In der Arbeit, wo alle außer ihm nach neuem Auto und süßem Kaugummi rochen. Wo sich Anzugträger im Türen-Aufhalten maßen und Sekretärinnen einander den Tod lächelten. Wo Gitarrensaiten für Zahnseide gehalten wurden und Bürosessel ihren Karussellcharakter ablegen mussten, um geduldet zu werden. Kaffee trank man dort, um beschäftigt zu wirken, nur dieser eine Vater, der schien ihn zu brauchen, sagten die Leute, seine Augenringe sprächen mehr als tausend Steuererklärungen. Der brave Manfred Markus mit den Mannerschnittenhaaren schien den Grund zu kennen: Bei diesem Vater, dort schliefe man auf Büchern. Es war einmal eine Tochter, die war anders als alle Töchter. Und wie immer, wenn jemand anders ist, wurde geflüstert. In der Schule, wenn sie den Raum betrat und wenn sie ihn verließ, und wenn sie gar nicht kam, oder Arm in Arm, an irgendeinem Freitagabend, mit irgendeinem sprach. Manche sagten, sie sei ein Abenteuer, andere hielten sie für billig. Kevin Konstantin habe einmal versucht, mit ihr auszugehen. Es sei bei diesem Versuch geblieben. Die jungen Schüler erzählten, sie könne rauchen, ohne Krebs zu bekommen. Die älteren meinten, sie sei farbenblind. Nur so könne man ihre Kleidung erklären. Tintenverkleckste Zettel reisten von Tisch zu Tisch, um das Geheimnis zu erzählen, das schon jeder kannte: Der brave Manfred Markus mit den Mannerschnittenhaaren meinte, bei ihr zu Hause, dort schliefe man auf Büchern. Es war einmal ein Bruder, der war anders als alle Brüder. Und manchmal, wenn jemand anders ist, lernt er sich dafür zu lieben. Immer, wenn er in den Spiegel schaute, schaute ihm ein Freund entgegen. Schon als Kind war er aufgefallen, weil er die Seifenblasen nie zerplatzen wollte, sondern hoffte, dass sie bis nach Afrika flögen. Wenn er spazieren ging, pfiff er sich die Ohrwürmer aus dem Kopf. Wenn er sich freute, lief er lachend durch die Straßen, und wenn er etwas wissen wollte,


Flügel und Krallen Ich weiß doch auch nicht, wo es herkommt. Ich weiß nur, dass es da ist, und bleibt. Ich kenne es und spüre es, wie es auf meiner Schulter sitzt und seine kleinen, spitzen Krallen in meine Haut drückt. Ich weiß, dass es wahrscheinlich dunkelgrau ist, zumindest fühlt es sich dunkelgrau an. Und mindestens zwei Stimmbänder muss es haben, denn ich kann hören, wie sie aneinander reiben, wenn es mit mir spricht. Wenn ich einen Tee mache, zum Beispiel, und dabei in meiner kleinen Einbauküche stehe und auf halbem Weg zwei kleine Wassertropfen aus dem Teebeutel auf die weiße Arbeitsfläche fallen. Denn dann erinnert es mich, sie wegzuwischen. Es sagt mir, dass ich zwar nicht mehr als eine Einbauküche habe, aber dass ich eine saubere Einbauküche haben kann. Ich höre es auch, wenn ich den Hund bürste. Struppig und gescheckt liegt er auf meinem Schoß und winselt glücklich zum Klang meiner Stimme. Ich spüre die Hundewärme auf

Manchmal schaue ich gemeinsam mit dem Hund in den Spiegel. Ich Poren und Narben und Punkte und Flecken und beiße mir auf die Lippe, von der ein kleiner Hautfetzen fällt, sich im Schlafzimmerlicht dreht und wendet und dann in kleinen Kreisen auf den Boden fällt, von dem ich ihn bald aufsaugen werde. Ich verziehe den Mund bei dem Gedanken, dass ich mich zum Teil also selbst aufsauge und verziehe ihn noch weiter, als ich bemerke, was für ein gewöhnlicher Mund er ist. Aber dann ist es wieder da, es sitzt mir in den Mundwinkeln und zieht sie mit winzigen Klauen auseinander und dann sagt es mir, dass ich zwar nur einen gewöhnlichen Mund habe, aber dass ich einen lächelnden Mund haben kann. Ich habe ein Sofa. Ich mache viel auf diesem Sofa. Ja, in Wahrheit gibt es einen Teil von mir, der sich von dort wohl gar nicht wegbewegen will. Wenn sich meine Ellbogen in die Kissen und meine Zehen in den Teppich davor drücken, dann rede ich mir ein, dass ich müde bin. Dass ich eben nur eine gewisse Menge an Tagen vertrage, und nicht mehr. Dass ich nicht Einstein bin. Aber das hört es gar nicht gerne. Dann breitet es kurz die dünnen Flügel aus, die in meinem Augenwinkel aussehen, als wären sie dunkelgrün. Kurz flattert es hin und her, zieht vielleicht ein paar Kreise über meinem Kopf, doch dann gurrt es mir ins Ohr, und ganz langsam kann ich hören, wie es mir sagt, dass ich zwar nicht Einsteins, sondern nur meinen Geist habe, aber dass ich einen geübten Geist haben kann. Wenn ich dann also zu Büchern und Heften gegriffen habe, geht mir irgendwann die Zeit aus. Und dann stehe ich da und habe sie nicht und schaue ihr stundenlang beim Vergehen zu. Und mein Telefon läutet, und Briefe fliegen ins Haus, und ich beantworte sie später, immer später, bis sie verjährt sind und das Antworten somit nur mehr taktlos wäre, weil verspätet. Aber dann erwacht es aus seinem Mittagsschlaf unter meinem Schlüsselbein und klopft an meinem Brustkorb an und rüttelt lange und heftig daran, und dann bringt es mich zum Schreiben. Es sagt mir, dass ich zwar Freundschaften habe, aber dass ich enge Freundschaften haben kann. Manchmal wiederum wird mir nicht geantwortet. Oder mir wird nicht zugehört, oder ich höre mir selbst zu lange nicht zu, und dann fühle ich mich leer. Nicht traurig oder wütend, damit wüsste ich

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Einmal, da hatte ihn der brave Manfred Markus mit den Mannerschnittenhaaren gefragt, wieso er denn so komisch sei. Ob man helfen könne. Aber der Bruder, der hatte nur gelächelt und gesagt: „Du musst mir nicht helfen. Ich bin einfach nur glücklich, denn ich habe meine Familie, die ist anders als alle Familien. Bei uns zu Hause, da schlafen wir auf Büchern.“

meinem Knie, die wärmer ist als der liebevollste Menschenblick. Und dann winselt auch es auf meiner Schulter, bei der ganzen Gemütlichkeit. Drückt seine kleinen Hände auf meine ruhig pochende Halsschlagader und schöpft Kraft aus meinem ruhigen Herzen. Wenn der Hund dann aufspringt und freudig sein schön frisiertes Spiegelbild begrüßt, redet es mit mir. Die Hundehaare soll ich mir von der alten Hose klopfen. Es sagt mir, dass ich zwar eine alte Hose habe, aber dass ich eine gepflegte alte Hose haben kann.

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ließ er die Menschen nicht in Ruhe. Wenn ihm eine Farbe gefiel, malte er sie sich ins Gesicht. Wenn ihm ein Spruch gefiel, wiederholte er ihn so lange, wie er wollte.


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Susanne Schmalwieser

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etwas anzufangen – nein, ganz leer und luftig. Dann gehe ich stundenlang spazieren, bis der Hund ganz müde ist, und dann spaziere ich alleine weiter. Werfe Steine ins Wasser, ohne ihnen beim Fallen zuzusehen, sehe den Wind in den Feldern und frage mich, ob der sich genauso schnell dreht wie der Wind in mir drinnen. Aber dann höre ich es schon auf meiner Schulter murren und gurren, und es klettert nach links, zu meinem Herzen, und es legt sich darauf, fast hundewarm, und es gräbt seine kleinen Krallen in meine Haut und schlägt zweimal mit den Flügeln und deutet mit dem Kopf in Richtung Felder und flüstert mir zu, wie schön und wie friedlich die sind. Und dann sagt es, dass ich zwar eine geprüfte Seele habe, aber dass ich eine glückliche Seele haben kann. Und dann stimme ich ihm zu. Ich weiß nämlich nicht, wo es herkommt und kann nur vermuten, wie es aussieht, und kann nur hoffen, dass es bleibt. Es hat Flügel und Krallen und es hat mich nicht gefragt, aber es hat sich mich ausgesucht, und es passt auf mich auf.

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Das unleichte Leben Dies ist eine Gebrauchsanweisung für das Leben. Es ist eine ernste Angelegenheit, Gebrauchsanweisungen zu schreiben. Aber das Leben ist nicht ernst. Das Leben macht sich gern einen Spaß und treibt Schindluder und Schabernack. Es spielt nicht mit und lieber nach den eigenen Regeln. Es rennt ganz schnell, stolpert, sprintet, dreht Pirouetten, um daraufhin in Zeitlupe und alleine ein Schubkarrenrennen zu veranstalten. Das Leben ist nicht ernst und manchmal sogar lächerlich, sodass man am liebsten stehen bleiben und „Heast! Oida! Spinnst du?“ schreien möchte. Das Leben ist albern und lächerlich, und Leben an sich ist alles, nur nicht leicht. Es ist aber auch nicht leicht, wenn man das Am-Leben-Bleiben aus der Gleichung streicht. Die Leichtigkeit ist Mangelware, wenn man allen glaubt. Leicht ist nur, mit dem Leben aufzuhören, wenn man allen glaubt. Denn nichts ist leicht, und an nichts reicht es, außer an unleichten Dingen, wie Schmutzwäschebergen und Akne. Wenn man es genau nimmt, gibt es gar

keine leichten Dinge, sofern sie nicht greifbar sind. Denn leicht sind nur Federn, Katzenbabys und leere Verpackungen. Andere Dinge sind einfach. Das Leben ist nicht greifbar, also auch nicht leicht, sondern maximal einfach, oder halt eben schwierig. Schwer ist nämlich auch nur greifbar und nicht schwierig. Der Unterschied zwischen Schwerem und Schwierigem liegt darin, dass einem geholfen werden kann, Schweres zu tragen. Mit dem Schwierigen ist man aber ganz allein. Und das ist dann das Leben. Wenn man aber alleine ist, tendiert man dazu, einen chronischen Optimismus an den Tag zu legen, damit sich das Verzweifeln in Grenzen hält. Und weil Optimismus nur ein Euphemismus für Euphemismus ist, sagt man: Das Leben ist unleicht. Die Lebenswirtschaft befindet sich chronisch in einem Nulldefizit. Aber keine Sorge, und das ist das Wichtigste im Leben, zwar ständig über Sorgen zu sprechen, aber zu leben, als hätte man keine: Keine Sorge, alles wird und ist doch nicht so schlimm, ei ei, viele Fische schwimmen im Meer, und die Sonne scheint eh immer, alles geht vorbei, und Marmor, Stein und Eisen bricht irgendwann auch durch, denn steter Tropfen höhlt den Stein. Wir fassen diese Gebrauchsanweisung für das Leben zusammen: Leichtes und Schweres ist greifbar. Einfaches und Schwieriges nicht. Das Leben ist nicht ernst. Das Leben ist alles, nur nicht leicht. Sondern einfach. Wenn etwas schwer ist, hilf beim Tragen. Sorgen sind zum Ausspucken da. Sei euphemistisch, denn das Leben ist unleicht. Sei optimistisch, denn das Leben ist greifbar.

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Worte, reichen, nicht

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Anika Suck

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Kein Dialekt, sondern Feinheiten

Anika Suck

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Ich wär gern eine Wienerin Irgendwo zwischen Kaffeehaus und drinnen Bin nicht von hier Weder dazwischen noch ganz Auch wenn ich mich bemüh und ich weiß, ich kann’s Absichtlich nicht als Österreicherin durchzugehen und Während ich am Donaukanal am Durchdrehen Bin, fragt mich der Ob ich von hier bin Nein, ich bin keine Wienerin Erzähle es aber allen Die’s nicht einschätzen wollen Und der Rest Versteht nicht ganz Ich komm aus einem Scheißnest in Blau-Rot In dem der Hochdeutschtod geleugnet wird Die Mama darf hier nicht wählen, aber trotzdem Kann ich meine Pässe an einem hochgereckten Mittelfinger abzählen Und der neben mir fragt, ob ich von hier bin Nein, ich bin keine Piefkin Meine Verwandten nuscheln sich vorbei an meinen Ohren Ich bin in Dresden verloren und in Berlin treffe ich nur Australier Weil das ist ja fast dasselbe wie Austria, wo ich ja auch her bin Aber kein Herr bin von wie ich sage und wos i bin I sog Mülleimer statt Mistkübel Und mir wird eher übel als es Erdapfel zu nennen, könnte aber Heulen und nicht flennen Wenn die in der Bim wieder so föin Ich hab keinen ganzen Dialekt Eher fast Akzente Fühl mich manchmal wie eine Ente Wie ich da so am Schnitzelsee trödel

Und hätte einfach gern keine Krumen, sondern Brösel Ich find mich hier nicht zurecht Abgesehen vom U-Bahn-Netz Ich weiß, dass Alki hier kein Wort ist, aber das ist dann ein anderer Text Ich verstehe die Beziehung zu Deutschen und fühle sie auch Das sind nicht meine Leute, aber wenn ich ein Argument brauch Sag ich: ich bin halt nicht von hier Deswegen bin ich nicht wie ihr Aber auch nicht wie die Und schon gar nicht wie ich Ich versuche zu sein, aber zu welchen Zwecken Ich bleib nirgendwo stecken Es ist ein Weg-Rudern und mein Sprachbein-Stauchen Es ist ein Treibenlassen und manchmal ist es ein Unter-Tauchen Es ist Asymmetrie auf beiden Seiten Auch wenn keiner hinguckt und sagt, es heißt hinschauen Und wenn keiner hinschaut und das dann normal ist Denke ich mir, es sind nur Feinheiten Silben, Betonung, Kleinigkeiten Es ist irgendwo dieselbe Sprache Und es ist ja gar keine so große Sache Aber Unterschiede zwischen ich waren nie unwillkommen und sollten es auf einmal aber sein Das will jetzt keiner hören, und es gibt andere, die sollten noch viel lauter schreien, schon klar Aber Sprache macht Unterschiede und Grenzen Je nachdem, wie wir sie verwenden Und auch, wenn ich mich in meinem Grätzl zurechtfind Fragt der mich, von wo ich bin Ja, hast eh Recht Mein Stammbaum ist ein kompliziertes Geflecht Aus Ottakringer, Jugos und Piefken Und ich bin nirgendwo dazwischen Weder Kaffeehaus noch drinnen Bin nicht von hier Weder dazwischen noch ganz Auch wenn ich mich bemüh und ich weiß, ich kann’s Absichtlich nicht als Österreicherin durchzugehen und Während ich am Donaukanal am Durchdrehen Bin, fragt mich der Ob ich von hier bin Nein, aber ich wär schon gern eine Wienerin


Der Kellnermakel Kelly ist Kellnerin. Sie kellnert makellos. Kelly kellnert in kurzen Kellerfaltenröcken. Der Kellermeister trinkt Zwickel. Der Kellermeister torkelt. Seine Tentakel kleben an Kelly. Kelly ekeln seine Furunkel.

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Kelly krakelt: Du Ferkel! Ekelhafter Gockel! Der Kellermeister umzirkelt Kelly. Kelly fackelt nicht lang. Kelly schlägt den Eispickel über seinen Buckel. Ein Debakel. Oberkellner Kelvin checkt sein Monokel. Kelvin kennt sich nicht aus. Kelly und Kelvin schleifen den Kellermeister in einen Winkel, ganz dunkel. Sein Herzmuskel durchkeilt. Die Kellertür zu. Ein Skelett, kein Sargdeckel.

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BETTINA TRIMMEL

Bettina Trimmel

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Introvertiert, unheimlich, archaismusliebhaberisch

Gestern malte ich die Straßen bunt … 01.03.2017

Gestern malte ich die Straßen bunt. Ja, gestern … Oder doch nicht? Immerhin war es ja erst vor acht oder zehn Stunden … Zählt das noch als heute, wenn es innerhalb von vierundzwanzig Stunden passiert? Ich habe keine Ahnung. Die Zeit verwirrt mich. Morgen wird einmal heute sein und heute gestern … Und gestern wird immer Vergangenheit bleiben … Also malte ich gestern die Straßen bunt. Gestern. Gestern malte ich die Straßen bunt. Gestern, als alles noch einigermaßen in Ordnung war, ich noch auf dem Boden stand und nicht hinfiel. Ich falle, wenn sie stehen, und stehe, wenn sie fliegen. Sie werden immer über mir bleiben. Gestern malte ich die Straßen bunt. Gestern brachte ich Farbe in das Grau der Straßen. Ich brachte Gefühl hinein.

Doch jetzt frage ich mich, wieso. Immerhin kann ja auch Schwarz oder Weiß etwas auslösen … Immerhin. Gestern malte ich die Straßen bunt. Gestern war auch noch alles in meinem Herzen bunt. Seit diesem Morgen schlägt es zwar, aber dafür langsamer … Gestern malte ich die Straßen bunt, gestern. Ja, gestern, als ich lachte und das einigermaßen ehrlich. Ehrlich. Warst du das je? Ich glaube nicht … Ich ja auch nicht. Doch Lügen sind Geister, die man zwar ruft, aber nicht mehr loswird. Loswerden. Loswerden wollen wir unsere Sorgen und Probleme, da wir das Leben ja genießen wollen. Doch … wofür? Was ist der Sinn des Lebens? Warum fragen sich das Menschen so oft? Wollen wir es denn wirklich wissen? Wissen. Wissen sammelt man das ganze Leben an. Wir lernen täglich Neues. Manche Sachen davon werden wir unser Leben lang brauchen, andere nicht. Manche braucht man im Alltag. Das sind die Sachen, die man halt lernt, aber nicht darüber nachdenkt. Sind Sachen, über die wir philosophieren, nicht die Sachen, die uns dann


gehört dazu, es gehört dazu, durch andere Augen zu sehen. Der Blick erklärt nämlich. Aber wie schon gesagt, ist jetzt jetzt und nicht gestern. Deswegen erklärt er nicht ganz.

Gedanken. Gedanken, die einen umbringen, die einen beschützen, die einen zum Träumen verleiten, die ablenken. Gedanken sind nicht logisch. Gedanken sind frei, egal, ob der Mund offen oder zugenäht ist.

Und erklären muss er auch nicht, wenn zwei Personen durch dieselben Augen schauen. Dann sollte man ja auch gar nicht Sicht wechseln. Denn wenn es einer nicht tut, funktioniert es nicht fair. Fair. Fair ist doch vieles nicht! Ein paar kleine Sachen bis zu ganz großen Sachen. Die größten Sachen jedoch bleiben klein, wenn man aufgibt.

Ist. War. Gewesen. Ist es nicht komisch, wie wir immer nach oben schauen? Wie wir versuchen, immer besser zu werden, bei der kleinsten Kleinigkeit anfangen zu lästern und zu meckern? Stellt man sich doch mal vor, was alles ist, was wir nicht mehr sehen, da wir einfach von der Zukunft geblendet werden, die Großes voraussagt. Sei es eine Erfindung, ein Lied oder eine andere Gesellschaft. War. War das alte Leben nicht auch so schön, als wir noch nicht so dachten wie jetzt, Fehler machten und das lernten, was wir nun schon lange wissen? Gewesen. Gewesen ist vieles. Eine Beziehung, ein Gedanke, ein Mensch. Aber trotzdem freuen wir uns jetzt, wenn etwas Schlechtes Gewesen ist. Immerhin ist es dann gewesen und nicht mehr da. Die Schule ist gewesen, die Suche ist gewesen, auch gewesen ist der Streit.

Aufgeben.

Streit. Für Streit ist ja eigentlich unser Leben viel zu kurz. Doch es

Ich gab auf. Denn ich malte gestern die Straßen bunt. Gestern. Nicht heute, wahrscheinlich auch nicht morgen. Ich gab auf. Es ist gewesen. Die Farbe ist verblasst. Die Farbe, die zum Denken anregen sollte. Die Farbe, die nun schwarz ist, nicht mehr auffällig, sodass manche Leute sie nicht mehr sehen, obwohl sie denken sollten. Denken darüber. Lösungen finden sollten, um Sachen, die jetzt sind, gewesen sein zu lassen. Doch nun, wo ich aufgegeben habe, am Boden liege, stehen sie. Sie fliegen nicht mehr. Sie machen sich nicht die Mühe, durch meine Augen zu schauen. Ich bin unter ihnen. Doch sage, dass es okay sei, obwohl ich damit Geister beschwöre, die ich jetzt nicht mehr gewesen sein lassen kann. Wissen werden sie auch nicht, dass die Farbe exerziert. Denn … Gestern malte ich die Straßen bunt. Heute gebe ich auf. Ich gebe auf. Ich bin schwach, liege unten, während sie nun fliegen. Ich freue mich für sie … Wenn ihr mir das glaubt, habt ihr nicht der Ehrlichkeit geglaubt, sondern eurer Perspektive. Sie passt zu meiner Aussage. Ein kleines Puzzle. Und nun steht es fest. Gestern malte ich die Straßen bunt, und heute bis in die Zukunft wird es nicht mehr so sein. Die Straßen bleiben ab jetzt grau, wie die Gedanken …

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Bettina Trimmel

aber wirklich im Kopf bleiben? Ein Text, ein Zitat, eine Zeichnung, ein Wort, ein Gedanke.

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Der Turm

Bettina Trimmel

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Der Turm, Jahrgang 1756 erbaut, unbewohnt, fast komplett verfallen. Viele waren dort, haben sich jedoch mehr erwartet und sind letztendlich doch nur vorbeigelaufen. Der Turm wird so immer weiter verfallen, verwaisen. Man erzählt in Sagen von ihm. Er solle aus Stein einer riesigen Brücke bestehend sein. Er sollte stark aussehen, Macht ausstrahlen, niemals verfallen. Menschen wurden früher magnetisch von ihm angezogen. Doch jetzt ist er trostlos. Dreck vermochte, ihn zu schwärzen. Schwarz war auch das Kleid des Mädchens. Als das Kleidungsstück genäht wurde, waren die Leinen weiß wie Schnee. Schuld fand ihren Weg. Tropfen aus schwarzem Pech. Äpfel rot wie Blut. Haare, lang und schwarz. Schwarz wie Ebenholz, oder doch wie abgebrannte Schwefelhölzer im Winter? Einen Moment da, dann aber wieder weg. Plötzlich. Zu schnell. Weiter, immer weiter. Weg, zu weit weg. Hinter sieben Bergen in einer Hütte mit drei Betten. Was will man dort? Die Schlucht hinter der Hütte hinunterspringen? Runterfallen, wie der Gegner der drei mutigen Herzen, die zueinanderhielten? Die drei Herzen schlugen für eines. Das eine schlug für die drei. Nein, es waren nie vier, sondern waren und werden immer drei bleiben. So weit weg, doch noch immer nah. Das Mädchen mit den Äpfeln in ihrem Korb, die so rot wie

Blut waren, lief den Weg entlang. Sie lief weg. Vor den weißen, langen Zähnen. Man sollte keinen Wölfen im Schafkostüm trauen. Oder waren es doch Schafe in des Wolfes Kleidung? Die Bären warten schon, haben extra schon Kreide gegessen, um ihre Stimme dem Spiegel in der Burg anzugleichen. Der Spiegel war voll mit Sünde. Lügen musste er sagen, Tag für Tag. Neben ihm stand das Spinnrad. Die Nadel so spitz. Die Wolle rot. Rot wie die Äpfel. Rot wie Blut. Die Hände waren voll mit Wunden. Das Mädchen hatte sich die Hände blutig gesponnen, gestochen. Das Wasser des Brunnens, so klar. Hat versucht ihre Hände daran zu heilen. Ist hineingefallen. Einer goldenen Kugel nach, die sich in einen Hasen verwandelte. War unten gefangen in einem Labyrinth. Sah die Herzen auf Flaggen. Fiel in einen hundertjährigen Schlaf. Rettung gab es nicht. Sie sollte unten in den roten Rosen warten. Rot wie die Äpfel, rot wie das Blut. Rot wie die Lippen des Mädchens. Das Mädchen mit langen Haaren. So hatte sie früher im Turm gewohnt. War eingesperrt. Ein Mädchen mit der gleichen Macht, war wunderschön. Wunderschön in einer Nacht, bis alles um Mitternacht zu Ende ging. Der Spiegel hatte nicht gelogen und somit ihr Todesurteil gesprochen. Rot wie das Blut, des Herzens, das in ihrer Brust pochte. Der Jäger hatte sie verschont. Doch hätte er es machen sollen? Hätte er es zulassen sollen? Sie ist geflüchtet. Und nun ist der Turm leer, verwaist, verfallen. Die Magie fehlt. Sie war nun bei der Hütte hinter den sieben Bergen in den Brunnen gefallen, wo sie Wolle gesponnen hatte. Sich in den Finger stach. Sie mit Pech übergossen wurde. Nun war sie nicht mehr weiß, sondern schwarz gekleidet. Unschuldig schon lange nicht mehr. Hat immerhin so vielen wehgetan. War egoistisch. Hat sich immer als Opfer dargestellt. Das ist doch kein Grund! Hundertjähriger Schlaf, Vergiftung, Isolation in dem Turm, gehasst. Es ist kein Grund! Immerhin wurde sie gerettet … Doch alles hat seinen Preis. Ihr Kleid ist nun schwarz und wird nie wieder weiß werden. Der Turm hätte so viel zu erzählen, doch ist nun auch schwarz. Der Dreck war jedoch die Ursache, nicht die Schuld. Der Turm sah alles. Der Turm ist jedoch verfallen, verwaist. Wenn er noch nicht abgerissen wurde, lebt sein Gestein noch heute.


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ST. PÖLTEN Klasse Nora Miedler

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TEILNEHMENDE Anna Aschacher Simone Czipin Amelie Hatzmann Gloria Heimberger


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Schreibakademie ST. PÖLTEN

Das traumhafte klassische Ambiente der Musikschule in St. Pölten bietet eine besonders schöne Kulisse für die Schreibakademie. Kreativität ist so nicht nur während des Unterrichts gefragt, sondern auch während der Pausen, wo sich immer wieder einige meiner Schreibschülerinnen am Klavier austoben, während die anderen dazu Texte improvisieren oder eine flotte Sohle aufs Parkett legen. Mein besonderer Dank gilt dem Direktor der Musikschule Alfred Kellner und seinem Kollegen Roman Gwinner, die stets auch außerhalb der Arbeitszeiten für mich erreichbar waren, wenn ich zum Beispiel wieder einmal vergessen hatte, rechtzeitig einen Raum zu reservieren, und die, wenn es nötig war, auch am Sonntag die Pforten der Musikschule für uns geöffnet haben.

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NORA MIEDLER • • • • • •

Geboren 1977 in Wien. Studierte Schauspiel am Konservatorium Wien und war auf zahlreichen Bühnen in Österreich und der Schweiz zu sehen, bis sie ihre zweite Leidenschaft, das Schreiben, zu ihrer Hauptbeschäftigung machte. Auf ein bestimmtes Genre lässt sich die Autorin nicht festlegen. Sie schreibt Kriminalromane, Frauenromane und Jugendthriller. Ihr Krimidebüt „Warten auf Poirot“ wurde erfolgreich fürs Fernsehen produziert und im ORF und ZDF ausgestrahlt. Sie lebt mit ihrem Lebensgefährten, zwei Kindern und einer Katze in Wien.


Schreibakademie ST. PÖLTEN

ANNA ASCHACHER Eigenartig, loyal, introvertiert

Lebendig begraben atmen … ich muss meine Atmung regulieren, sonst hab ich bald keinen Sauerstoff mehr. Oh Gott … es ist so eng … Ich merke schon, wie die Luft dünner wird. Wie lange bin ich schon hier?! Verdammt! Mein Brustkorb begann allmählich zu schmerzen. Das war sicher alles ein Traum, und sobald ich im Traum sterben würde … würde ich in der Realität aufwachen. Falls ich mich täuschen sollte, würde ich mir wenigstens einen qualvollen Tod ersparen. Glücklicherweise ertastete ich ein Klappmesser, als ich meine Taschen durchsuchte. Ich fand auch ein Handy, dessen Akku jedoch leer war, und etwas, das sich wie eine Batterie anfühlte. Entschlossen setzte ich die Klinge des Messers gegen meinen Hals und machte dem Ganzen ein Ende. Ein brennender Schmerz, Blut in meinem Mund und dann … dann war nichts mehr. Auf Anweisung von Agent Willson wurde der Anfänger ausgegraben. Er hatte die Prüfung nicht bestanden. Er hatte es nicht geschafft, aus dem Sarg auszubrechen. Alle waren erpicht darauf, das Gesicht des Mannes zu sehen, in den so viel Hoffnung gesteckt worden war … des Mannes, der sie alle enttäuschte, als er an einer simplen Prüfung scheiterte. Sie schalteten die Sauerstoffversorgung aus und öffneten den Sarg. Keiner von ihnen war darauf gefasst, seine Leiche vorzufinden.

Anna Aschacher

Ruckartig wurde ich aus einem Traum gerissen, an den ich mich nicht erinnern konnte. Es war stockdunkel … und unbequem. War ich etwa auf dem Boden eingeschlafen? Ich versuchte aufzustehen, um das Licht einzuschalten, doch ich stieß mir meinen Kopf. Dabei rieselte etwas von dem Brett, das an einer zukünftigen Beule schuld sein wird. Wieso war ich hier? Wie war ich hierhergekommen? Und wo zum Teufel war „hier“?! Ich tastete meine Umgebung ab und stellte mit Erschrecken fest, dass ich mich in einer Holzkiste befand … genauer gesagt, in meinem persönlichen Sarg. Warum konnte ich mich an nichts erinnern? Dachte meine Familie, ich wäre tot? Hatte ich eine Familie? Natürlich hatte ich eine Familie, warum auch nicht … Ich schlug an das Holz über mir und schrie nach Hilfe … vergeblich. Jetzt nicht in Panik verfallen. Ruhig bleiben. Atmen. Nein … nicht einfach

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Drei Kinder verlaufen sich im Wald

Anna Aschacher

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Wie konnte das passieren? Vor zehn Minuten war doch alles noch so friedlich. Wir haben nur Verstecken gespielt … und jetzt? Jetzt konnten wir Lukas nirgends finden. Miriam hatte ich schon ganz am Anfang gefunden, aber vom Jüngsten von uns gab es immer noch keine Spur. Was wird seine Mama sagen? Sie würde sicher böse auf uns sein, denn sie fand es nicht gut, wenn wir im Wald spielten … dabei sind wir bis heute immer auf der Lichtung geblieben. Sie versuchte, uns immer abzuschrecken … erzählte uns Gruselgeschichten von Wölfen … „Lukas, komm raus! Das macht keinen Spaß mehr. Wir finden dich nicht, wo bist du?!“, rief die 8-jährige Miriam. Auch ich schrie ihm, denn schön langsam bekam ich Angst … Was würde passieren, wenn wir ihn nicht finden? „Komm, Miri, suchen wir weiter im Wald“, beschloss ich willensstark und zog am Ärmel ihres hellrosa Pullis. „A-aber da ist es dunkel, David … Ich will da wirklich nicht hin …“, wimmerte sie. „Jetzt komm, willst du Lukas finden oder nicht, sei nicht so ein Mädchen“, knurrte ich und ging weiter. Sie lief mir hinterher und keuchte etwas, das ich nicht verstehen konnte, doch das war mir im Moment egal … Lukas. Er war jetzt das Wichtigste. Wir schrien seinen Namen, so oft und so laut, bis unsere Hälse schmerzten. Je weiter wir gingen, desto weniger

Sonnenlicht drang durch die dichten Baumkronen. Es wurde immer dunkler. So dunkel … Man hätte meinen können, es wäre schon Abend, so duster war es bereits. Meine Gedanken wurden unterbrochen, als sich Miriam an meinen Arm krallte. „Was soll das?!“, zischte ich. „Hast du das nicht gehört? Das Rascheln?“, flüsterte sie. Ich konnte es hören … es war nicht nur ein Rascheln vom Wind. Es hörte sich so an, als würde jemand … oder etwas im Gebüsch rennen, keuchen und … etwas mit sich schleifen. „Das … das ist sicher nur der Wind … oder eine Katze, die im Wald spielt“, versuchte ich Miri zu beruhigen, doch um ehrlich zu sein, waren diese Worte auch an mich gerichtet. Es wäre schlecht, jetzt in Panik zu verfallen. „Können wir nicht umdrehen? Wir können den Erwachsenen sagen, dass wir Lukas nicht finden. Die können ihn sicher besser suchen“, bettelte sie. „Ja, okay. Laufen wir zurück.“ Nur … wo war „zurück“? Gerade als wir losliefen, hörte ich es prasseln. Das hatte uns jetzt noch gefehlt. Regen. Wir rannten und rannten. Ich drängte Miri immer wieder, schneller zu laufen. Schneller. Und noch schneller. Ich hatte keine Ahnung, wie lange wir schon rannten. Ruckartig hielt ich inne. Irgendetwas war falsch. Die Schritte … sie fehlten … ich hatte Miriams Schritte nicht mehr gehört. Als ich mich umdrehte, wurde mir klar, dass sie wirklich nicht mehr hinter mir war. Nach ihr zu rufen brachte nichts. Bis auf das Geräusch der Regentropfen war es totenstill. Ich begann, nach ihr zu suchen. Ich rannte und rannte. Den Schmerz in meinen Oberschenkeln ignorierte ich. Bevor ich es wusste, rutschte ich aus und landete auf dem Boden. Mein Blick wandte sich auf meine linke Seite, und ich erstarrte für einen Moment. Ich schloss meine Augen so fest ich konnte. Das würde ich nicht noch einmal sehen wollen. Ich kannte diese Hand, an der sogar noch das pink-blaue Armband hing … Das Letzte, was ich wahrnahm, war ein tiefes Knurren.

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je nachdem, wie man es sah. Meine Ohren vernahmen Gelächter, bevor es blitzte und der Raum für eine Sekunde erleuchtet war. Was ich sah, war eine Wand voller Blut und einen gehörnten Mann. Ich versuchte zu schreien, doch meine Kehle war wie zugeschnürt. „Hast du Angst?“, flüsterte der Mann. „Ähm … was denken Sie denn?“ „Moment“, grummelte er, bevor sich meine Umgebung änderte. Der Raum wurde erhellt, das Blut war von der Wand verschwunden, und anstatt des Mannes, den ich eher als Teufel ansprechen würde, stand ein kleines brünettes Mädchen, kaum älter als zehn, in einem geblümten Kleid vor mir. „Verliere ich meinen Verstand? Ich glaube, ich sollte meinen Psychotherapeuten anrufen“, murmelte ich. „Nein“, sprach das Mädchen, doch es war noch immer die raue, männliche Stimme des Mannes. Die Kleine räusperte sich. „Tut mir leid“, nun war es die Stimme, die zum Mädchen passte. „Du wirst nicht verrückt.“ „Bist du … äh, ich weiß nicht … so was wie ein Dämon, oder so?“, stotterte ich, nach wie vor an meiner mentalen Gesundheit zweifelnd. Vielleicht war ich ja schizophren. „Willst du mich etwa beleidigen?“, nun war es wieder die Stimme des gehörnten Mannes, das Mädchen war verschwunden, und er stand wieder vor mir. „Ich bin doch kein mickriger Dämon. Ich. Bin. Der. Teufel. Aber du kannst mich Jeff nennen“, er grinste mir höflich zu. „Ähm … Ich meine das jetzt nicht böse oder so, aber ich glaube, ich werde jetzt gehen und … einen Termin mit meinem Psychotherapeuten vereinbaren“, murmelte ich, als ich behutsam mit kleinen Schritten rückwärts in Richtung Tür ging. „Halt. Bitte. Mir ist langweilig. Und ich bin gar nicht so grauenvoll, wie du denkst. Wirklich. Das ist mein Ferienhaus. Bleib doch, wir können Tee trinken, oder Kaffee“, bettelte er. „Okaay. Ich mach jetzt die Augen zu und zähl bis drei, dann bist du weg. Eins, zwei, drei.“ Als ich die Augen wieder öffnete, stand ein normal aussehender junger Mann vor mir. „Ich mein’s ernst. Bitte, bleib. Ich hatte schon lang keine Gesellschaft mehr. Ich will nur einen Kumpel. Wenn du willst, sichere ich dir als Gegenleistung einen speziellen Platz als mein Stellvertreter in der Hölle. Es ist noch nicht mal grauenvoll da unten, es ist viel bequemer als im Himmel, das kann ich dir versichern. Dort oben fallen die Anfänger immer durch die Wolken.“ Irgendwie hatte ich Mitleid, und so beschloss ich zu bleiben. Jap … Das war der Anfang meiner Freundschaft mit dem Teufel. Von diesem Tag an besuchte ich ihn jede Woche. Wir tranken Tee oder Kaffee oder abends mal ein Bier und redeten über das Leben und den Tod … bis ich irgendwann nicht mehr kam. Von da an besuchte er mich jeden Tag. In meinem Büro … in der Hölle.

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Anna Aschacher

Postbote zu werden war vermutlich nicht die beste Berufswahl gewesen … Nicht nur, dass ich mich gelegentlich wie ein Stalker fühlte, wenn ich in dem gelben Kombi durch jede noch so kleine Gasse fuhr … Ich fühlte mich durch die stetige Veränderung meines Standortes meistens, als würde ich vor irgendjemandem oder irgendetwas weglaufen. Und für einen 21-jährigen Typen, der sowieso schon paranoid war, hatte das vermutlich schlechte Auswirkungen auf die Psyche. Doch der Hauptgrund, weshalb ich meine Berufswahl nun nochmals überdenke, liebe Leserinnen und Leser, war der Vorfall, der sich am 5. Mai 2007 ereignete. Ich steckte gerade einige Prospekte ins Postfach bei Hausnummer 10 in der Wiener Straße, als ich im Augenwinkel sehen konnte, wie sich ruckartig die Tür gegenüber öffnete. Musste das sein? Ich konnte Menschen nicht leiden … wobei, eigentlich war es Angst. Ich hatte Angst vor Menschen, die ich nicht kannte. Ich wartete darauf, jemanden das Haus verlassen zu sehen, doch da kam niemand durch die Tür. Sie stand einfach nur offen, schien ins Nichts zu führen, und keine Menschenseele war zu sehen. Doch was mir den Magen umdrehte, war, wie sehr ich mich dazu gezwungen fühlte, dieses Haus zu betreten. Ich wollte nicht einmal in den Garten einer anderen Person, fühlte mich wie in einer Art Trance. Ohne es richtig zu merken, bewegte ich mich auf die offen stehende Tür zu. Ich fühlte nicht, wie sich meine Beine bewegten, ich konnte nur sehen, dass sich der Eingang stetig näherte. Als ich das Haus betrat, war es stockdunkel darin, obwohl kein einziger Vorhang vor ein Fenster gezogen war. „Willkommen“, wisperte eine Stimme hinter mir. Ich konnte nichts sehen, und als ich versuchte, den Herrscher dieser Stimme mit meinen Händen zu ertasten, verspürte ich nur Leere … oder Luft,

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Postbote


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Simone Czipin

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SIMONE CZIPIN Kreativ, chaotisch, durchgeknallt

Schönheitsschlaf Die Stille im Klassenzimmer war ebenso drückend wie die Schwüle, die sich in den letzten Wochen im gesamten Schulgebäude breitgemacht hatte. Vereinzelt war das Kratzen einer Füllfeder auf dem Papier zu hören, vorhin hatte kurz jemand gehustet, ansonsten war es still. Die Lehrerin saß mit verschränkten Armen hinter ihrem Tisch und hatte das Kinn auf die Brust gelegt, ihre regelmäßigen Atemzüge und die geschlossenen Augen verrieten, dass sie schlief. Die große Wanduhr hatte aufgehört zu ticken, ihr Zeiger war bei der vollen Stunde stehen geblieben. Der Wasserhahn tropfte lautlos vor sich hin, fast könnte man meinen, er weine, vermutlich wegen seines tristen Daseins, sah er doch tagtäglich dutzende junge Menschen ein und aus gehen, die ihm keinerlei Beachtung beimaßen und ihn nur wahrzunehmen schienen, wenn sie ihre Malfarben im von zahlreichen Rissen übersäten Waschbecken reinig-

ten. Die angeblich kurze Stundenwiederholung, auf die die Lehrerin vor wenigen Tagen bestanden hatte, zog sich in die Länge, die Stunde neigte sich bereits ihrem Ende zu, in wenigen Minuten würde es klingeln, doch die Schüler, die über ihren Heften schwitzten, hatten noch nicht einmal die Hälfte der Aufgaben gelöst. In der mittleren Bankreihe raschelte es, Lara packte vorsichtig ihr Pausenbrot aus und biss genüsslich hinein, das leere Blatt vor ihr war ihr herzlich egal, sie würde die Klasse sowieso wiederholen müssen, der Lehrerin sei Dank. Amelie neben ihr stieß sie mahnend mit dem Ellenbogen in die Seite und schüttelte genervt den Kopf, sie hatte die Hoffnung, ihre Freundin würde es doch noch schaffen, versetzt zu werden, noch nicht ganz aufgegeben. Johannes warf Lara verwunderte Seitenblicke zu und rückte seine runde Brille zurecht, er verstand nicht, warum sie die wenige verbliebene Zeit nicht nutzte, er selbst hatte bereits drei Seiten in seinem sauber geführten Heft mit seiner ordentlichen Handschrift gefüllt. Lara zuckte nur die Schultern, das Brot in ihrer Hand wurde kleiner und kleiner, bald würde auch das letzte Stück zwischen ihren schmalen Lippen verschwinden. Ein fürchterlicher Krach zerriss die beinahe vollkommene Stille, die Lehrerin fiel vor Schreck von ihrem Stuhl und knallte mit dem Kopf auf den harten Boden. Lara verschluckte sich am letzten Bissen ihrer Jause, hustete und schnappte nach Luft, Amelie klopfte ihr hastig auf den Rücken. Die Spitze von Johannes’ Füllfeder


Die Lehrerin war endlich vollends zu sich gekommen, riss Johannes hastig den Papierbogen aus der Hand und begann, ihn mit gerunzelter Miene zu studieren, gleichzeitig versuchend, ihre Schützlinge zur Ordnung zu rufen. Max hatte unterdessen die Tür erreicht und griff mit der einen Hand nach der Klinke, mit der anderen stieß er Lara weg, die ebenfalls erkannt hatte, dass die Tür den einzigen sinnvollen Fluchtweg darstellte. Die Klinke wurde nach unten gedrückt, doch die Tür bewegte sich keinen Millimeter, egal, wie verzweifelt Max daran rüttelte. Ein Windstoß fuhr durch das Klassenzimmer, ein Mädchen hatte das Fenster aufgestoßen, die Rufe der Lehrerin, sie solle das um Himmels willen sein lassen, waren im allgemeinen Tumult untergegangen. Lara warf Max einen

Lara stand vor dem geöffneten Fenster und lehnte sich weit hinaus, die Arme ausgebreitet, verzweifelt um Hilfe schreiend, während Amelie versuchte, beruhigend auf sie einzureden, doch nicht einmal sie selbst konnte ihre sanfte Stimme hören, geschweige denn verstehen, was sie sagte. Die Lehrerin hatte ihr Smartphone gezückt und tippte mit angestrengter Miene darauf herum, hinter ihr prangerten zwei Mädchen die Sinnhaftigkeit eines Handyverbots in den Klassenzimmern an, zum einen, weil dieses für keine einzige Lehrperson zu gelten schien, zum anderen, weil in Situationen wie diesen ein so nützliches Gerät durchaus von Vorteil gewesen wäre. Genervt riss Johannes der Lehrerin das Mobiltelefon aus der Hand und aktivierte den Notruf, kurze Zeit später bereits mit der Feuerwehr sprechend, die kein Wort von dem, was er sagte, verstehen zu schien, die Versuche der Lehrerin, die aufgebrachte Klasse zu beruhigen, blieben erfolglos. Lara lehnte sich immer weiter aus dem Fenster, sie stand nur noch auf Zehenspitzen, Amelie wollte sie festhalten, doch sie war zu langsam. Mit einem Aufschrei, der selbst die Lautstärke ihrer Mitschüler noch weit übertraf, stürzte Lara aus dem Fenster, Amelie versuchte sie beim Fuß zu packen, erwischte jedoch nur den Absatz einer ihrer viel zu hohen Schuhe. Für einen winzigen Augenblick war es totenstill, vom Schulhof her war ein dumpfer Aufprall zu hören. Amelie vergaß zu atmen, ihr wurde schwindelig, das Bild vor ihren Augen flackerte, sie vermeinte, den Geruch von Rauch wahrzunehmen, irgendwo weit weg. Johannes knallte das Handy auf den Tisch, war mit wenigen Schritten bei Amelie und fing sie auf, bevor sie bewusstlos zu Boden fiel. Max starrte auf die erloschene, halb gerauchte Zigarette in seiner Hand, die er sich angesteckt hatte, um mit der Situation, in der er sich gerade befand, fertigzuwerden, er hustete, vermutlich würde er sich nie an den widerlichen Geschmack dieser legalen Droge gewöhnen. Die Lehrerin war schrecklich blass um die Nase, ihre Sommersprossen sahen beinahe krankhaft aus, sie zitterte am ganzen Leib, an ihren dünnen Unterarmen war eine deutliche Gänsehaut sicht-

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auffordernden Blick zu, packte ihn am Handgelenk und zog ihn bestimmt in Richtung des weit geöffneten Fensters. Mit einer ruckartigen Bewegung befreite der Junge seinen Arm, zeigte Lara einen Vogel, streckte die Hand aus und zog eine ihrer dünnen Haarspangen aus ihrem sorgfältig hochgesteckten Dutt. Die aufwendige Frisur löste sich, das lange braune Haar fiel dem Mädchen weit bis über die Schultern und betonte ihr schmales Gesicht und die weit aufgerissenen graugrünen Augen unangenehm. Max beachtete ihr Protestgeschrei nicht, sondern drehte sich um und hielt wieder auf die verschlossene Tür zu. Über Johannes’ ernstes Gesicht huschte ein verstehendes Lächeln, innerhalb von Sekundenbruchteilen war er bei seinem Freund und half ihm, die Haarspange so zu verbiegen, dass ein Dietrich entstand. Eilig steckte Max diesen in das Schlüsselloch und stocherte darin herum, doch nichts passierte, auch Johannes’ Versuche blieben erfolglos.

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war abgebrochen, ein hässlicher Fleck überdeckte die Hälfte des zuvor Geschriebenen. Max war darüber so perplex, dass er geistesabwesend in das Heft seines Sitznachbarn starrte, der aufgesprungen war und vor Aufregung beinahe hingefallen wäre. Der Krach dauerte an, die Lehrerin hatte sich hochgerappelt, die hässliche Platzwunde auf ihrer Stirn ignorierte sie, langsam schien sie zu begreifen, dass es sich bei dem Geräusch, das es wagte, ihren Schönheitsschlaf zu stören, um den Feueralarm handelte. Die Schüler schrien wild durcheinander, Johannes hatte die Brandschutzordnung, die außer ihm vermutlich niemand je gelesen hatte, aus seinem Bankfach hervorgezogen und begann, sie laut vorzulesen. Max schüttelte kurz den Kopf, blickte sich wie aus einem Traum erwacht um und stürmte dann auf die Tür zu, beinahe hätte er die hysterisch herumrennende Lara dabei zu Boden geschmissen. Amelie versuchte verzweifelt zu verstehen, was Johannes sagte, doch das Geschrei ihrer Freundin machte dies unmöglich.


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bar, sie hätte sich mehr anziehen sollen, die dünne Sommerbluse war für den kühlen Herbsttag eindeutig ungeeignet. Mühevoll hievten Johannes und Max Amelie auf einen der Tische und beugten sich besorgt über sie, Max kratzte sich nervös am Kinn und biss sich die Unterlippe blutig, während Johannes verzweifelt versuchte, sich an den ErsteHilfe-Kurs, den er vor wenigen Wochen absolviert hatte, zu erinnern, doch sein Gehirn war wie leer gefegt, selbst die zahlreichen mathematischen Formeln, auf die er so stolz war, waren verschwunden. Panisch stürzte die Lehrerin zum Fenster und sah nach unten, von der Höhe wurde ihr schlecht. Lara lag mit verdrehten Gliedmaßen auf dem harten Beton des Hofes und rührte sich nicht, selbst aus der Entfernung war eine Blutlache neben ihrem Kopf zu erkennen. Die Tür eines der Seiteneingänge ging auf, ein älterer Schüler stürzte auf den bewegungslosen Körper zu, legte kurz das Ohr an ihre Brust, zog das Handy aus seiner Tasche und schrie wie von Sinnen hinein. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss, die Tür schwang beinahe lautlos auf, im Türrahmen stand der füllige Direktor, der überrascht nach Luft schnappte, als er sah, dass sich die gesamte Klasse an den Fenstern drängelte. Ob sie vergessen hätten, dass heute Probealarm sei, wollte er wissen, verwunderte Blicke erntend. Fassungslos starrte Johannes ihn an, als sähe er ihn zum ersten Mal, Max packte eilig die Schachtel mit den Zigaretten weg, die am Tisch neben Amelie lag, die mühevoll die Augen aufschlug, sich aufsetzte und dem Direktor ein misslungenes Lächeln schenkte. Die Lehrerin erklärte, sie habe von einem Probealarm nichts gewusst, ihre Schüler schüttelten zur Bestätigung eifrig die Köpfe. Der Direktor wirkte immer verwirrter,

auf seiner Stirn stand eine steile Falte, vorsichtig erkundigte er sich, wohin denn seine liebe Nichte verschwunden sei. Die Lehrerin deutete matt aus dem Fenster, Amelie begann, hemmungslos zu weinen, Johannes versuchte, sie mit einer Umarmung zu trösten. Max stand hilflos daneben und benutzte seine Lippe als Kaugummi, am Boden neben ihm lag die zerknitterte Brandschutzordnung. Respektvoll wich die Klasse zur Seite, als der Direktor sich seinen Weg in Richtung Fenster bahnte, die Lehrerin sah aus, als könne sie sich nicht entscheiden, ob sie wegrennen oder bleiben sollte. Von unten waren Rufe zu hören und die quietschenden Bremsen eines Rettungswagens, der Direktor stand da und schaute, unfähig etwas zu sagen, geschweige denn zu handeln. Durch die geöffnete Tür wurde ein Schlüssel ins Klassenzimmer geworfen, rutschte über den glatten Boden und blieb knapp vor Max liegen, vom Gang her erschallte Gelächter. Offenbar hatte sich jemand einen Scherz erlaubt und während des Probealarms die Klassentür versperrt, die Lehrerin hatte viele Feinde an der Schule.

Das Mädchen mit den Schwefelhölzern – Versuch einer modernen Version des gleichnamigen Märchens Sie atmete. Das war alles, was sie tat. Sie atmete. Und auch wenn es nicht viel war, es war zumindest etwas, es war genug, um sich daran festzuhalten. Sie lächelte. Sie hatte lange nicht mehr gelächelt. Eigentlich noch nie. Oder sie konnte sich nur nicht daran erinnern. Das war natürlich auch möglich. Doch jetzt lächelte sie, lächelte ein trauriges Lächeln. Vor ihr lag eine winzige schneeweiße Blume. Zumindest glaubte sie, Schnee hätte diese Farbe. Sie hatte noch nie welchen gesehen. Jemand hatte ihr einmal erzählt, Schnee würde auf den Gipfeln der Berge liegen, hoch oben, wo es eisig kalt war, ebenso kalt wie hier in den ewigen Weiten der Wüste, wenn die Nacht hereinbrach. Die Blume verschwand, als sie sich niederhockte und danach greifen wollte, wurde unweigerlich zu Sand. Der Sand um sie herum war feinkörnig und von der sengenden Hitze des Tages aufgewärmt. Er erfüllte die Luft, kitzelte sie in der Nase und brannte in ihren Augen. Bald würde sie ihn nicht mehr sehen können, die Dunkelheit kroch über das Land, und ihr folgte langsam, aber entschlossen die Kälte. Sie war allein, allein mit der Kälte, es war niemand da, der sie hätte wärmen können. Ihre Großmutter saß jetzt wohl neben den Ruinen ihres Hauses und wartete auf die nächste Bombe, wartete darauf, dass der Tod sie erlöste. Falls sie nicht schon längst tot war. Ihr Vater hatte seinen Widerstand gegen die Gewaltherrschaft mit dem Leben bezahlt, die Brüder waren seinem Beispiel gefolgt, hatten ihr Leben für ein winziges Stück Hoffnung hingegeben. Die Mutter hatte den Verlust nicht ertragen, sie war an gebrochenem Herzen gestorben. Alles, was sie ihrer einzigen Tochter hinterlassen hatte, war die Bitte zu gehen, irgendwohin, vollkommen egal, nur nicht zu bleiben, das auf gar keinen Fall. Und sie war gegangen, hatte alles


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zusammengepackt, was sie tragen konnte, sich unter Tränen von der Großmutter verabschiedet, die ihr ihr bestes Kopftuch mitgegeben hatte, und hatte sich auf den Weg gemacht, in die Richtung, in der sie Europa vermutete, in der sie Sicherheit und Wohlstand erhoffte. Aus dem Kopftuch der Großmutter war eine Decke geworden, die es ihr ermöglichte, die kalten Nächte in den Hügeln unbeschadet zu überstehen. Doch hinter den Hügeln war nicht Europa gelegen, sondern diese verdammte Wüste, deren Namen sie nicht kannte und die vielleicht gar keinen Namen trug. Und die sie doch durchqueren musste, koste es, was es wolle. In der ersten Nacht hatte sie ihr Lieblingsbuch verbrannt, um nicht zu erfrieren. Es war ohnehin zu schwer gewesen. Nacht um Nacht war den Flammen zum Opfer gefallen, was ihr entbehrlich schien. Bis nur noch das großmütterliche Kopftuch, die Kleider, die sie am Leib trug, und das Feuerzeug übrig waren. Sie wusste, dass sie sterben würde. Wenn sie nicht verhungern oder verdursten würde, dann würde sie eben erfrieren, das Ergebnis war das gleiche. Und obwohl sie dem Tod ins Auge sah, betete sie nicht, bat Gott nicht darum, ihr ihre Fehler zu verzeihen. Er würde es ohnehin nicht tun, der Koran war als letzte Verbindung zu ihrer Heimat erst letzte Nacht in Flammen aufgegangen. Sie schrie, als die Kälte sie mit voller Wucht erreichte, schrie mit aller Kraft in die leere dunkle Wüste hinein. Ihre Hand tastete nach dem Feuerzeug, zog es vorsichtig aus einer Falte ihrer Kleidung hervor. Das Licht, die Wärme, sie blieben aus. Auch das Feuerzeug war leer.

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GLORIA HEIMBERGER Philosophisch, nerdig, wandelnde Datenbank

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Schreibmaschine Die antike, schon etwas verschlissene Schreibmaschine leistete den Befehlen ihres Herren Folge und bedruckte das vergilbte Briefpapier mit kunstvoll verzierten Buchstaben. Sie wurde einst geschaffen, um Geschichten zu erzählen und den Menschen die Möglichkeit zu geben, sich zu entfalten. Der Herr der antiken, schon etwas verschlissenen Schreibmaschine war ein berühmter Geschichtenerzähler, der schon an vielen Palästen und unzähligen Höfen seine Erzählungen vorgetragen hatte. Sie war sein ältester und treuster Begleiter, die antike, schon etwas verschlissene Schreibmaschine, und gehorchte ihm immer, sofern genug der schwarzen Stimme, den meisten als Tinte bekannt, vorhanden war. Der Geschichtenerzähler ließ seinen Blick über die Landschaft, welche sich

meilenweit vor ihm erstreckte und ihm von Zeit zu Zeit den Atem raubte, schweifen und setzte an, seine nächste Erzählung, die von Heroen und Jungfrauen in Nöten handelte, um ein Kapitel zu erweitern. So langsam hatte es die antike, schon etwas verschlissene Schreibmaschine satt, immer nur von heldenhaften Prinzen, Grafen, Herzögen und Königen zu hören, die junge Damen aus gutem Haus und von reinem Blut aus den misslichsten Lagen retteten. Sie wollte Neues zu Gesicht bekommen. Neues und Aufregendes. Abenteuer, Märchen und Legenden, welche sich nicht um fehlerlose Adelsgeschlechter rankten, sondern den Armen, den Bauern, den gewöhnlichen Leuten eine Stimme gaben. Sie war gelangweilt von den heuchlerischen Geschichten des Geschichtenerzählers, denn wollte er nur bei den Prinzen, Grafen, Herzögen und Königen in gutem Licht stehen, den Pöbel ließ er völlig außer Acht, schließlich hatte dieser ihm nichts zu bieten. Vorerst ließ sich die antike, schon etwas verschlissene Schreibmaschine das noch gefallen, aber schon bald würde sie ihre eigenen Erzählungen zu Papier bringen und die Welt mit neuen, aufregenden, von armen Bauern und gewöhnlichen Leuten handelnden Erzählungen beglücken.


Im finsteren Dickicht des Fichtenwaldes bahnte sich der fahle Schein des Mondes seinen Weg auf die kalte, trockene Erde. Wolken verdeckten das Himmelszelt, und doch erhellte der König des Himmels die Nacht. Der Wald schenkte in jener Nacht Leben, doch nahm er manchen dieses ohne Vorwarnung, ohne Rücksicht auf jegliche Auswirkungen und Konsequenzen. Denn ein wildes, erbarmungsloses Raubtier schlich bedächtig durch die geschwärzte Landschaft. Seine bernsteinfarbenen Augen leuchteten auf, als die Wolken das Licht des Mondes freigaben. Es setzte eine Pfote vor die andere, sie glichen dem hellen Sand an den Stränden der im Nordosten gelegenen Küste. Das bedrohliche Wesen fletschte seine Zähne, ein Ast war von einem Baum auf den mit Nadeln bedeckten Boden gefallen. Es hätte seine Beute sein können, dachte es sich wohl, als das Raubtier seinen Blick auf die Baumwipfel richtete. Der fahle Mondschein säumte die Äste und Nadeln der Fichten, eine leichte Brise wehte.

Ein altbekannter Geruch umspielte seine Nase. Der Geruch von Fleisch. Vorsichtig und mit bedächtigen Schritten folgte das Wesen seinem Trieb, begann zu traben, alsbald dieser stärker wurde. Es hatte seit Tagen keine Beute mehr erlegt, weshalb sein Magen lautstark knurrte und die in der Nähe befindlichen Lebewesen vor seiner Anwesenheit warnte. Ein Rascheln in einem Busch bestätigte dies. Jedoch verschwand der verlockende Geruch nicht, er wurde intensiver, je mehr Schritte es zurücklegte. Er spielte mit den Trieben des Raubtieres, es konnte nicht stehen bleiben, nichts konnte es aufhalten. Selbst die kreischenden Flammen des Feuers ließen es buchstäblich kalt. Ohne Zögern sprang es über das vor ihm aufgetauchte lodernde Lagerfeuer. Die Beute war näher als zuvor, sie war keine drei Schritte von ihm entfernt. Knurrend folgte es der Spur, welche ihm seine Nase offenbart hatte, als das Licht und Wärme spendende Feuer aufflammte. Abrupt legten sich zwei muskulöse Arme um das sandige, betupfte Fell des Raubtiers. Fauchend versuchte es, sich aus dem Griff des plötzlichen Angreifers zu befreien, doch vergeblich. Panisch strampelte es um seine Freiheit, quiekte und jaulte, ehe es auf den weichen Untergrund gesetzt wurde. Seine Augen wurden groß. Ein großes Stück saftigen Fleisches lag vor ihm. Sabbernd warf es sich auf seine Beute, begann es genüsslich zu verspeisen. „Eine tolle Jagd, Hunter!“, ein dunkelbraunes Augenpaar, umrandet von einer tiefschwarzen Haarsträhne, tauchte vor ihm auf. „Du wirst bestimmt einmal ein großer Jäger!“ Eine Hand kraulte ihm hinterm Ohr, und es begann lautstark zu schnurren.

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Hunter

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Die Spieler

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„Ready, set, go!“, mit diesem Signal begannen die Spieler in alle Richtungen auszuschwärmen. Vier Teams sollten an diesem Tag gegeneinander antreten, jedes mit einer besonderen Stärke. Die Adler waren die Angriffsstärksten, die Eulen waren die besten Strategen, die Krähen waren Meister der Defensive und die Hühner aufgrund ihrer zahlreichen Mitglieder die Gefährlichsten. Zumindest waren dies die offiziellen Beschreibungen der einzelnen Teams. In Wahrheit waren die Adler die Schläger und Rowdys, die sich lieber mit Fäusten als mit ihren Köpfen durchsetzten. Die Eulen ließen andere für sich arbeiten, bevor sie diesen in den Rücken fielen und sie ausschalteten. Die Krähen waren ein Haufen Feiglinge, welche sich in ihrem Stützpunkt verschanzten, aber es nicht wagten, an einen Angriff auch nur zu denken. Und die Hühner … die Hühner waren diejenigen, die niemand haben wollte, weil sie zu schwach oder zu dumm waren.

grund der Ähnlichkeit zu den Römern auch als Legion bezeichnet – war eine Eule vorzufinden, die Befehle gab, während zwei Krähen stetig Lageberichte einbrachten. Drei Eulen wurden dazu auserkoren, samt den restlichen Krähen die gemeinsame Festung – kollektives Nest genannt – zu schützen und jeglichen Gefahren und Hühnern zu trotzen.

Zumeist gewannen die Hühner. Am heutigen regnerischen, stürmischen Tag sollte sich dies jedoch ändern. Die Eulen hatten bereits zuvor einen Pakt mit den gegnerischen Krähen und Adlern geschlossen und ihnen bestimmte Aufgaben zugeteilt. Anstatt drei Festungen zu schützen, konzentrierten sie sich auf eine, in welcher die Schätze aller drei Teams versteckt waren.

Die Auserwählten öffneten die Tore des Thronsaals, schritten hindurch, doch war der Thron des Hahns leer. Ein hämisches Lachen ertönte, und als die Eulen aus den Fenstern blickten, sahen sie den Hahn auf der Spitze des kollektiven Nests, an seiner Seite all seine gefangenen Untergebenen und Küken. Einmal mehr hatten die Hühner gesiegt und erwiesen sich als das einzig wahre Geflügel.

Die Hühner hingegen flatterten buchstäblich ohne Plan umher und stellten sich jedem in den Weg, der kein Huhn war. Jegliche Adler wurden von den gierigen, metaphorischen Schnäbeln der vielen Hühner zerpflückt, sobald sie sich der Festung des Geflügels, dem sogenannten Hühnerstall, näherten. So kam es, dass die Adler von den Eulen in mehrere Reihen gestellt wurden, um nicht als Einzelne, sondern als Kollektiv anzugreifen. Inmitten jeder Reihe – auf-

Mit jedem Schritt kamen sie ihrem Ziel näher, durch die strategische Leistung wurden vielen Hühnern die Flügel gerupft, sodass diese nicht mehr fliehen konnten und als „Brathühner“ in das kollektive Nest gebracht und eingesperrt werden konnten. Der Anführer der Hühner, der sogenannte Hahn, erkannte zwar die drohende Gefahr, doch war es bereits zu spät, den Untergang aufzuhalten, weshalb er seinen Truppen befahl, sich in den Hühnerstall zurückzuziehen und diesen mit ihrem Leben zu beschützen. Allerdings hatten die ersten feindlichen Truppen den Hühnerstall bereits betreten und begonnen, das Inventar zu zerstören, die Nester auseinanderzunehmen und die Küken – Neuankömmlinge und Unerfahrene – zu verscheuchen. Wenige Meter vor dem Thronsaal stoppten die Legionen, und die jeweils zugeteilten Eulen traten hervor. Sie wiesen die Adler und Krähen an, ihre momentane Position beizubehalten, den Thronsaal, falls nötig, zu verteidigen.

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TEILNEHMENDE Alexandra Aigner Lena Guntendorfer Stephanie Holzgruber Paul Kerschbaumer


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Die Schreibakademie Waidhofen an der Ybbs, welche ihren Sitz im Schulzentrum Plenkerstraße hat, hat sich im letzten Schuljahr als wichtiger Bestandteil der Kunstschule etabliert. Um dem schulischen Schreiben und den herkömmlichen Abschlussveranstaltungen in Klassenräumen endgültig zu entrinnen, hat sich die Schreibakademie an vier Kunstprojekten beteiligt und sogar als Veranstalter versucht. Im Vordergrund stand die Kreativität und die Offenheit der Kunst gegenüber. Unter anderem nahm die Schreibakademie bei KlangKunst im Advent teil, wo mit Texten einige Programmpunkte gestaltet wurden. Es folgte zum Semesterabschluss die eigens veranstaltete Lesung „Literatur und Café“ im Stadtcafé Hartner mit musikalischer Begleitung von Stefan Albert und seinem Schüler Amedin Six. Danach kam „Der Osterhase ist weg“, eine verrückte Schnitzeljagd nach dem Osterhasen, der seinen Job hinschmeißen wollte. Doch die Kinder Waidhofens an der Ybbs konnten den Osterhasen davon überzeugen, seine Arbeit wieder aufzunehmen. Zum Jahresabschluss beteiligte sich die Schreibakademie noch an einer Vernissage der Malakademie im Stadtcafé Hartner unter dem Motto „Kunst und Café“. Um die Schreibakademie der Öffentlichkeit etwas näherzubringen, konnte man mit der Familie Hartner und ihrem Stadtcafé Hartner einen tollen Partner und Förderer des kreativen Schaffens gewinnen. Weitere Projekte sind in Planung, und darum steht einem spannenden Schuljahr 2017/18 nichts im Wege.


• geboren am 7. Oktober 1982 in Waidhofen an der Ybbs • Schriftstellerdiplom für „Literarisches Schreiben“ der Cornelia Goethe Akademie Frankfurt/Main absolviert • Lyrik-Texte im Jahrbuch der Brentano-Gesellschaft 2012–2015, Texte für das Klangkunstprojekt 2015 und 2016 • Bücher: „Licht und Schattenspiele der menschlichen Seele, oder doch nur pure Fantasie“ und „Gedanken. Aus den hintersten Ecken meines Gehirns“, erschienen im Eigenverlag, Texte in CD-Form vertont, auch erschienen im Eigenverlag Projekte: „Gedankenspiele in Wort und Ton“ (Fluz) 2015, kunstübergreifendes Projekt zusammen mit Stefan Albert Pilotprojekt der Kunstschulen Waidhofen/Ybbstal Klangkunst im Advent 2015 „Die Elfenkönigin“, eine kunstübergreifende theatralische Aufführung des Märchens „Die Elfenkönigin“ mit den Kreativakademien der Kunstschule Waidhofen/Ybbstal (April 2016) KlangKunst im Advent 2016 seit September 2016 Referent der Schreibakademie Waidhofen/Ybbstal Lesung mit der Niederösterreichischen Schreibakademie weitere Projekte in Planung

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MARKUS FÜRNHAMMER

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Musikalisch, kreativ, zielstrebig

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Ohne Titel

Alexandra Aigner

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ALEXANDRA AIGNER

Ich öffne meine Augen. Die Sicht, die sich mir bietet, die Landschaft, welche sich vor mir erstreckt, ist dieselbe wie auch das letzte Mal, als ich meine Augen aufschlug. Und auch dieselbe wie am Tag davor. Und an dem davor. Und davor. Und so weiter und so fort. Es spielt doch eigentlich gar keine Rolle, zum wie vielten Male ich nun die Augen öffne, zum wie vielten Male ich hier hocke und das sich kaum verändernde Bild betrachte. Es würde für immer gleich bleiben. Zumindest dachte ich das, bis ... „Hey, hey, hey!“ Meine Augen weiten sich. Mein Blick wandert nach links. Vor mir steht ein Junge. Ein … Mensch. Er ist größer, als ich es bin. Das kann ich sagen, auch wenn ich noch immer in der Hocke verweile. Ohne auf eine Reaktion meinerseits, welche sowieso nicht gekommen wäre, zu warten, spricht der Junge weiter.

„Was machst du hier? Ich meine … an einem Ort wie diesem?“ „Was … ich hier mache?“, wiederhole ich seine Frage mit einem, zugegebenermaßen, komischen Unterton. Der Junge nickt allerdings nur freudig. „Ich hocke auf dem Boden.“ „Das sehe ich! Aber … was machst du …“ „Leben“, unterbreche ich den geschätzt 19-Jährigen. Ein großes Fragezeichen breitet sich auf seinem Gesicht aus. „Ich lebe hier“, erkläre ich es ihm. Ungläubig sieht er mich an. Die riesigen, goldenen Augen strahlen mich im nächsten Moment allerdings schon wieder interessiert an. Einige Minuten bleibt es still, bis sich der Junge plötzlich neben mir, auf dem mit Schnee bedeckten Boden, niederlässt. Eine vereiste Stadt. Schneeweißer, beschneiter Boden. Blattlose Buchen. Eisige Schneeflocken, die vom Himmel fallen. Das ist die Sicht, die ich nun schon Tag für Tag, Jahr für Jahr, sehe. Nie hat sie sich verändert, seit dem „Vorfall“. Nie wird sie sich ändern. „Weißt du, früher hab‘ ich hier gewohnt. Obwohl … Ich wohne ja eigentlich noch immer hier!“ Was?! Wie ist das möglich?! Wie kann er hier vier Jahre einfach


Langsam lasse ich meinen Blick wieder nach vorne schweifen, beobachte einmal mehr das immer gleich bleibende Bild. Mein Nebenan beobachtet mich von der Seite. Ich möchte fragen, ob es ihm gut geht, aber das kann ich nicht. Die Blicke des Jungen ignorierend, betrachte ich die Marmorgebäude. Ich weiß nicht genau, warum ich den ganzen Tag hier sitze und mir diese zerstörte Stadt ansehe. Aber irgendetwas an ihr zieht mich einfach an, zwingt mich beinahe schon, jeden Morgen meine Augen zu öffnen und meinen Körper herzuschleppen. Auch habe ich keine Ahnung davon, wie es mir möglich ist, ohne Nahrung, ohne Sauerstoff auszukommen. Lediglich das Blinzeln meinerseits und mein manchmal schmerzendes Herz versichern mir, noch immer lebendig zu sein. Und als ich diesen Jungen plötzlich vor mir stehen sah, da tat mein Herz so weh wie nie zuvor … „Aber wenn du hier lebst, was machst du dann die ganze Zeit hier?“, möchte der Silberhaarige mit den schwarzen Strähnen von mir wissen. Mir gefällt seine Frisur, kommt es mir in den Sinn, während ich ihm bloß antworte, ich würde hier leben. Wieder haftet der Blick des Jungen an mir, und irgendwie fühlt sich das Starren seinerseits so bekannt an. Irgendwie vertraut. Den Gedanken abschüttelnd, wende

„Akaashi“, stelle nun auch ich mich vor, „Akaashi Keiji.“ Dann Schweigen. Stille. Ruhe. Geräuschlosigkeit. Entspannen. „Es freut mich, dich kennenzulernen.“ Wieder schmerzt mein Herz bei den Worten des Größeren. Das Stechen ausblenden zu versuchen, nicke ich dem anderen zu. „Woran kann ich mich denn nicht erinnern?“, frage ich geistesabwesend von den vorherigen Worten Bokutos wie gefesselt. „Ach, nichts. Ich hab‘ mich nur vertan …“, wimmelt der Silberhaarige ab. Akzeptieren kann ich diese Antwort. Glauben allerdings nicht ... Ich würde wohl nie erfahren, dass Bokuto genau wusste, wer ich war, als er mich begrüßte. Würde nie erfahren, dass er, als er seinen Hustenanfall hatte, beinahe meinen Namen ausgesprochen hätte. Würde nie erfahren, dass ich diese Stadt vor vier Jahren zerstört, seine Familie getötet, hatte. Würde nie erfahren, dass ich jeden Einzelnen in dieser Stadt umgebracht hatte. Würde nie erfahren, dass ich nur Bokuto verschont hatte. Ich würde nie erfahren, dass er, als er mich wiedersah, zunächst töten, seine Familie rächen, wollte, es aber nicht konnte. Und ich würde nie erfahren, dass es ihm verdammt schwerfiel, mir zu vergeben. Aber was am schlimmsten war … Ich würde Bokuto wohl niemals dafür danken können. Ohne ihn würde ich wohl noch immer einsam und allein neben dieser alten Bank sitzen, mir die einst so strahlende Stadt ansehen. Jetzt sitzen wir zu zweit hier.

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„Ach, ist nicht so wichtig, Akaa-“, der Satz des Jungen endet in einem unerwarteten Hustenanfall.

ich mich wieder voll und ganz der Stadt zu. „Ich sehe mir die Stadt an“, gebe ich etwas peinlich berührt von mir. Ich hatte erwartet, der andere würde zu lachen beginnen, mich vielleicht sogar verspotten. Ein 18-Jähriger, der sich den ganzen Tag halbtot eine vereiste Stadt ansah? Das war doch lächerlich. „Sie sieht fantastisch aus, oder?“, höre ich den Jungen allerdings voller Begeisterung sagen. Bewunderung spiegelt sich in seinen Augen wider. Bewunderung … gegenüber einer Stadt. „Ja …“, stimme ich dem anderen leise zu. Und in diesem Moment wird mir klar, ich möchte mehr von diesem Jungen wissen. Ich will wissen, wie er heißt, wer er ist! Ich will wissen, was er, der Respekt vor einer alten, vollkommen zerstörten Stadt hat, hier zu suchen hat. „Darf ich vielleicht deinen Namen erfahren?“, frage ich vorsichtig, zögerlich. Der andere nickt mir strahlend entgegen. „Bokuto!“, meint er schließlich. „Bokuto Koutaro.“ Sofort gefällt mir der Name.

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Alexandra Aigner

so überleben, und wie hat er es geschafft, dass ich ihn nicht bemerke?! Ich war doch die ganze Zeit über hier! „Du kannst dich nicht erinnern, stimmt‘s?“, höre ich den Jungen neben mir plötzlich nachdenklich fragen. Keine Antwort meinerseits. Ich sehe den Größeren lediglich verwirrt und etwas neugierig an.


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LENA GUNTENDORFER Nett, hilfsbereit, Schreiberling

Lena Guntendorfer

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Topfpflanze Nummer 4 Hallo! Hallo! Ja, du hörst richtig. Käfer mein Name. Bewohner der Topfpflanze Nummer vier. Aceleiweg. Vater von drei Käfern und Mann einer Frau Käfer. Nachbar von Topfpflanze Nummer drei und fünf. Insekten und Bienen. Und ich muss schon sagen, unsere Nachbarschaft ist fein. Erst neulich haben wir gegrillt. Würstchen und Gemüsespieße. Frau Biene hat noch Salat gemacht. Richtig lecker war das! Die Kinder haben dann noch Verstecken gespielt. Und ich sag dir, ich hab Lust gekriegt mitzuspielen. Aber als ich ihnen so zugeschaut habe, ist mein Würstchen ins Feuer gefallen und in

Flammen aufgegangen! Aber macht ja nichts, dacht’ ich mir. Nehm ich mir halt ein neues. Und du wirst es nicht glauben, aber just in dem Moment, sehe ich den Bepperl, das ist der Hund der Familie Insekt, mit dem letzten Würstchen davonlaufen. Na ja, dacht’ ich mir. Dir vergönn ich doch allemal was, Bepperl. So, also ich wollt mich halt wieder hinsetzen, doch da passierte schon das Nächste! Mein T-Shirt fing Feuer. Ich sag dir, das hat gebrannt wie Feuer. Äh, hihi, war ja auch Feuer. Jedenfalls fang ich halt an zu laufen und zu laufen und flieg plötzlich über was Weiches drüber. Und, das ist ja gerade das Lustigste daran, flieg voll in den Pool der Bienen! Ich sag dir, die hatten alle Krämpfe vor Lachen! Mich hat’s aber nicht gestört, ich bin ganz locker ein paar Runden geschwommen. Und da wollten natürlich alle ins Wasser. Vor allem die Kinder. Und so ist’s doch noch ein ganz schöner Abend geworden. Und das Beste ist, morgen grillen wir wieder! Diesmal bei uns, wenn du willst, kannst gerne vorbeischauen.


Ich laufe schneller und immer schneller. Auf der Wiese wachsen Kornblumen und Klatschmohn. Und natürlich Margeriten, die dürfen auf keinen Fall fehlen! Inzwischen befinde ich mich am Rande eines kleinen Bächleins, das munter vor sich hin plätschert. Ich laufe weiter. Mein weißes Kleid weht wie eine Fahne durch den Wind. Ich sehe dem Sonnenaufgang entgegen. Welch ein wunderschöner Start in den Morgen!

Viele Muster auf meinen Flügeln, bewundernde Blicke auf Feldern und Hügeln. Rosen und Margeriten strahlten einst dort, an jenem wunderschönen Ort.

Halt, stopp! Aufwachen, Felicia! Realität! In Wirklichkeit liegst du in deinem Lieblingsapfelbaum, im Schatten der Blätter und träumst von einem besseren Leben. Nein, nicht besserem, glücklicherem Leben. Fernab von deiner Stiefmutter, die dir Tag für Tag dein Leben erschwert. Komisch, dass immer die Stiefmütter die Bösen sind, denke ich. Ach ja, ich habe ja auch noch meine zwei Schwestern: Daphne und Dolores. Aber wir helfen zusammen. Uns trennt nichts auf der Welt! Da höre ich, dass jemand meinen Namen ruft. Ich zucke zusammen. Er wird wirklich gerufen! Behände kraxle ich vom Baum. Plötzlich bleibt mein Oberteil an einem kleinen Ast hängen. Mit einem Ritsch reißt sich ein Loch in meine Bluse. Oh nein! Da wird ’s Stiefmütterchen aber schimpfen! Bedrückt schlage ich den Pfad zu unserer Hütte ein. Da steht sie schon, mit verschränkten Armen, und wartet auf mich.

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Die Farben des Schmetterlings

Doch an einem Wintermorgen, ich zu früh erwacht, oh, ich mach mir solche Sorgen, war sie weg die ganze Pracht. Der Rechte und der Linke, an Festen mir man nur noch winkte. An beiden Seiten war sie verloren, so macht ich mich auf die Suche, um meine Farben neu zu erkoren. Schnell fand ich sie wieder, mir war auch nichts zuwider. So braute ich mir einen Trank, wobei ich meine Schönheit wiederfand.

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So siehst du mich heut wieder auf Feldern und Wiesen, und wenn du mich fragst, ob ich dich schon mal gesehn, so antwort ich stets Ja. Ja, manchmal sehe ich Riesen, schließlich lass ich mich nieder und fühl den Wind um mich wehn.

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Lena Guntendorfer

Tagtraum


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Stephanie Holzgruber

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STEPHANIE HOLZGRUBER Kreativ, fantasievoll und ein bisschen chaotisch

Ohne Titel Was ist Hoffnung? Hoffnung, zum Geburtstag endlich das gewünschte Fahrrad zu bekommen? Hoffnung, dass es zu Weihnachten endlich mal wieder schneit? Hoffnung, dass man eine Eins auf den nächsten Test bekommt? Hoffnung, in den Ferien nach Italien ans Meer zu fahren? Für manche Leute, insbesondere kleine Kinder, ist es das, was man unter Hoffnung versteht. Doch je älter man wird, umso mehr versteht man, dass Hoffnung eine ganz andere Bedeutung hat. Hoffnung … Früher dachte ich auch, dass Hoffnung nur darin besteht, ein neues Stofftier zu bekommen. Doch was sollen die Menschen sagen, die Tag für Tag vorm Krieg flüchten müssen? Was bedeutet Hoffnung für sie? Hoffnung, nicht sterben zu müssen? Hoffnung auf ein neues Zuhause? Genau das ist es, was Hoffnung ausmacht. Wir alle haben Wünsche und halten daran fest. Egal, ob jemand sagt: „Das wird nie in Erfüllung gehen!“ Doch, das wird es. Wenn man ganz fest daran glaubt und sich von niemandem abbringen lässt. Dann ist es genau das, was man Hoffnung

nennt. Egal, ob man sich ein neues Stofftier wünscht oder vorm Krieg flüchten muss … Alle haben einen Wunsch, an dem sie festhalten. Zum Beispiel ein Soldat, der sich nichts mehr wünscht als … „Ich will das hier nicht! Und ich wollte es noch nie! Der Krieg, und ich stehe mittendrin. Schüsse um meine Ohren, sodass ich gar nicht klar denken kann. Aber diesen einen Wunsch, den ich habe, werde ich in meinem Kopf behalten … Für immer! Tagtäglich muss ich mich diesem Anblick stellen. Was würde ich dafür tun, endlich wieder meinen Sohn in die Arme zu nehmen? Nach so langer Zeit. „Mark, lauf! Schieß! Tu irgendwas!“ Man kann nicht einmal für wenige Sekunden nachdenken, ohne diese Worte zu hören! Ich drehte mich um, aber es war zu spät. Ein Soldat, der Gegner, stand direkt hinter mir und war kurz davor abzudrücken. Ich sah ihm in die Augen. Soweit es möglich war. „Tu das nicht! Bitte! Du hast doch auch Familie, oder?“, sagte ich dem Fremden. Mit den Gedanken an meinen Sohn. Ich wollte stark für ihn sein. Doch ich konnte nicht. Eine Träne rollte über meine Wange und fiel auf meine Uniform. Sollte ein Soldat nicht stark sein und kämpfen? Und nicht mit dem Gegner REDEN? Aber manchmal ist Weinen eben genau das, was man braucht. Nach meinen Überlegungen merkte ich erst, dass mir der Soldat immer noch gegenüberstand. Aber er senkte seine Waffe … Ist das das richtige Leben? Ich hatte Hoffnung und habe mir nichts mehr gewünscht, als meinen Sohn zu umarmen! Spätestens als mich mein Kollege packte und wegzog, merkte ich, dass das das echte Leben ist. Und dass ich ab jetzt die Möglichkeit habe, meinen Sohn zu sehen. Denn ich kann zurück nach Hause … Nach drei Jahren Krieg voller Schmerz, Angst und Hoffnung. Nun sitze ich im Flugzeug. Von Syrien zu meiner Familie. Und nun weiß ich, was es gebracht hat, nie aufzugeben.


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PAUL KERSCHBAUMER

Die Leere

Ohne Titel

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Ist die Leere Freiheit? Kein Gefühl, keine Liebe, keine Fröhlichkeit, aber auch keine Trauer und kein Hass. Kein Vor und kein Zurück. Keine Hoffnung und keine Eile. Aber auch kein Streben, ohne Streben ist der Mensch kein Mensch.

Stumpf sitze ich da, lese surreale Geschichten, spiele dumme Handyspiele, um mich vom Denken abzuhalten. Vom Denken über Krieg, Hungersnöte, all das Schreckliche auf der Welt und wie meine „großen Probleme“ dagegen aussehen. Ich ertränke mich in der nicht-realen Welt, um nicht zu denken, was für ein schlechter Mensch ich bin, weil ich so vieles ignoriere, und um meine Probleme kurz zu vergessen. So viele hätten diese Ablenkung mehr verdient. Wie habe ich sie mir verdient? Was habe ich in meinem Leben gemacht? Undankbar die Schule beschimpft, meine Eltern und Geschwister genervt und immer wieder auf die wohlige Leere gewartet, die kommt, wenn ich lese oder Handyspiele spiele, und dazwischen gewünscht, ich wäre zu dumm, das alles zu begreifen.

Paul Kerschbaumer

Kreativ, wissensdurstig, chaotisch



www.kulturregionnoe.at

Die Betriebe der Kultur.Region.Niederรถsterreich GmbH



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