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Orchester: Wie frisch gemalt
Wie frisch gemalt
Jordi Savall, Großmeister der historischen Aufführungspraxis, legt die revolutionäre Kraft von Beethovens Symphonien frei
VON ALEXANDRA ZIANE
Bei der Restaurierung von Michelangelos Jüngstem Gericht in der Sixtinischen Kapelle wurde klar: Vor Jahrhunderten war zum Schutz der Fresken eine dicke Fettschicht aufgetragen worden, die, in Kombination mit Staub und Ruß, die Farben abdämpfte. Nach der Restaurierung 1994 staunte die Welt: Welch’ kräftige Farben! Michelangelo, ein großer Kolorist!
Jordi Savall, der das Publikum seit fünfzig Jahren als Gambist und Dirigent Alter Musik insbesondere aus dem Mittelmeerraum begeistert, drang in letzter Zeit bis ins 19. Jahrhundert vor. Jüngst krönte der mittlerweile 82-Jährige mit einer Gesamteinspielung von Beethovens Symphonien sein Lebenswerk. Freilich gibt es von Beethovens Symphonien historisch informierte Referenzaufnahmen. Und doch sind wir geprägt von den von der Romantik inspirierten Interpretationen.
Savall: »Meine Herangehensweise wird anders sein, weil ich von der Musik Johann Sebastian Bachs oder JeanPhilippe Rameaus her zu Beethoven komme und nicht wie viele andere Dirigenten aus der entgegengesetzten Richtung: von Johannes Brahms oder Gustav Mahler. Aus dieser Perspektive könnte man ja leicht denken, Beethoven gehöre zum gleichen, spätromantischen Stil. Aber das stimmt nicht.«
Und so klingt Savalls Interpretation unglaublich neu, als sähe man Beethovens Werk frisch gemalt. Savall erinnert an ein Zitat des Dirigenten René Leibowitz, der vor vierzig Jahren behauptete: »Möglicherweise gibt es keinen anderen Komponisten, der so kontinuierlich falschen und inkongruenten Interpretationstraditionen unterworfen wurde. Traditionen, die so weit gehen, den ganzen Sinn der Werke zu deformieren und zu verbergen – von Werken, die eine ungeheure Popularität genießen. Man scheint etwas anzubeten, was man nur durch Deformationen kennt, und man deformiert systematisch etwas, was man anbetet.«
Um möglichst nahe an den originalen Klang heranzukommen, studierte Savall mit seinen Musiker:innen Beethovens Handschriften sowie die von ihm verwendeten Partituren und Einzelstimmen. Savall: »Beethovens Zeitgenosse Ignaz Moscheles [...] berichtete, dass Beethoven vor allem ›Verwirrung‹ fürchtete und nicht mehr als etwa sechzig Interpreten für seine Symphonien haben wollte. [...]. Daher haben wir uns für eine ähnliche Orchestergröße entschieden, wie sie Beethoven bei den Aufführungen seiner Symphonien zur Verfügung stand: 18 Bläser und 32 Streicher.« Mit jedem Fortschritt, so Savall, jeder Weiterentwicklung der Instrumente ginge etwas verloren, etwa die charakteristischen Klangfarben der Instrumente. Außerdem gibt es da noch Beethovens rasante Metronomangaben, die von Musiker:innen und Dirigent:innen immer wieder angezweifelt werden.
Savall hält sie für richtig: »Das Tempo war für Beethoven eines der wichtigsten Elemente beim Musikmachen! Wenn ihm jemand erzählte, dass ein Stück von ihm aufgeführt worden sei, dann fragte Beethoven als Erstes: Wie waren die Tempi? Er hatte eine Obsession für Tempi. Deshalb hat er sie später genau notiert. Auf historischen Instrumenten sind diese Angaben gut umsetzbar. Gemeinsam mit dem genauen Studium der Artikulation sind Beethovens Tempoangaben für mich der Ausgangspunkt für die Interpretation.« Gepaart mit Savalls visionärer Kraft und seiner Einfühlungsgabe sowie der Spielfreude des Orchesters ergibt das großartige Interpretationen, pointiert, eindrucksvoll, grundiert mit markanten, trockenen Paukenschlägen.
Reinhard J. Brembeck resumiert in der Süddeutschen Zeitung: »In diesen Aufnahmen findet sich nichts Psychologisches, keine Ich-Zelebrierung, kein bürgerliches Schürfen im Weltenabgrundsdunkel. Savall setzt konsequent auf Befreiung: Befreiung von der Tradition, Befreiung von Gesellschafts- wie Kunstnormen, Befreiung von allen Zweifeln, Rücksichten, Hinfälligkeiten.«
In einem Zyklus können Sie nun Beethovens Symphonien mit Jordi Savall und Le Concert des Nations in frischen Farben erleben, den berührenden Trauermarsch der »Eroica«, die von Beethoven selbst beschworenen »heiteren Empfindungen« auf dem Lande oder das tosende Gewitter in der Sechsten, das rauschhafte Finale der Siebten – und vieles mehr, was Sie so noch nicht gehört haben.
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Fr, 21/02/25, 19.30 Uhr · Großer Saal
Symphonien Nr. 3 & 5
Le Concert des Nations
Jordi Savall, Dirigent
Ludwig van Beethoven: Symphonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 »Eroica« · Symphonie Nr. 5 c-moll op. 67
Karten: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/61880
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So, 23/02/25, 19.30 Uhr · Großer Saal
Symphonien Nr. 6 & 7
Le Concert des Nations
Jordi Savall, Dirigent
Ludwig van Beethoven: Symphonie Nr. 6 F-Dur op. 68 »Pastorale« · Symphonie Nr. 7 A-Dur op. 92
Karten: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/61883
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Di, 24/06/25, 19.30 Uhr · Großer Saal
Symphonien Nr. 1, 2 & 4
Le Concert des Nations
Jordi Savall, Dirigent
Ludwig van Beethoven: Symphonie Nr. 1 C-Dur op. 21 · Symphonie Nr. 2 D-Dur op. 36 · Symphonie Nr. 4 B-Dur op. 60
Karten: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/62107
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Do, 26/06/25, 19.30 Uhr · Großer Saal
Symphonien Nr. 8 & 9
Le Concert des Nations
La Capella Nacional de Catalunya (Einstudierung: Lluís Vilamajó)
Lina Johnson, Sopran
Olivia Vermeulen, Mezzosopran
Martin Platz, Tenor
Manuel Walser, Bass
Jordi Savall, Dirigent
Ludwig van Beethoven: Symphonie Nr. 8 F-Dur op. 93 · Symphonie Nr. 9 d-moll op. 125
Karten: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/62109
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