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Nachgefragt: Generalsekretär Wolfgang Steiger
Nachgefragt
Deutschland fit machen
Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates
Herr Steiger, die neue Bundesregierung ist seit mehr als 100 Tagen im Amt� Wie bewerten Sie ihre Arbeit?
Der große Wurf ist ausgeblieben, dabei gäbe es genug zu tun. Diese Legislaturperiode bietet die letzte Chance, Deutschland fit zu machen für den demografischen Wandel bevor ab 2025 die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand gehen und nachfolgende Generationen massiv mit mehr Sozialabgaben für Rente, Gesundheit und Pflege belasten. Wir müssen in der Sozialpolitik weg vom „Gießkannenprinzip“ und knappe Mittel dort einsetzen, wo nachweislich Bedürftigkeit besteht.
Sind viele Ausgabensteigerungen zuletzt nicht auf die Corona-Hilfen zurückzuführen?
Natürlich! Die waren richtig und wichtig. Leider fehlt aber der Ampel wie zuvor der GroKo über die kurzfristige Krisenbewältigung hinaus ein überzeugender ordnungspolitischer Kompass. Wenn das so bleibt, werden die Sozialabgaben in eine Höhe schießen, die Erwerbstätige und Wirtschaft überfordert, und unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit als Fundament unseres Sozialstaates aushöhlt. Schon heute schießt der Bund rund 105 Milliarden Euro zur Rente zu. Ändert sich nichts, ist bis 2060 real mindestens eine Verdoppelung des Betrags wahrscheinlich. Das ist schlicht verantwortungslos.
Muss mit Blick auf Corona, den Klimawandel oder auch für Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Digitalisierung die Schuldenbremse gelockert werden?
Das Argument, die Transformation der Wirtschaft erfordere Regelbrüche, trägt nicht. Die Schuldenbremse verhindert keine öffentlichen Investitionen. Sie verringert auch nicht die Finanzierungsspielräume für wichtige Staatsausgaben, sondern erwirkt nur mehr Disziplin und Priorisierung: Allein 2021 wurden 21 Milliarden Euro, die im Bundeshaushalt für Investitionen vorgesehen waren, gar nicht abgerufen. So nutzt das Land Berlin etwa nur die Hälfte des Geldes aus dem Digitalpakt Schule. Es ist also genug Geld da.
Die Europäische Zentralbank beteiligt sich jetzt an der Finanzierung politischer Vorhaben� Macht das Sinn?
Die Europäische Zentralbank (EZB) besitzt keine demokratische Legitimierung für die Gestaltung der EU-Klimapolitik. Ihr Mandat ist aus gutem Grund auf die Sicherung der Preisstabilität und Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitik der EU begrenzt. Durch die Niedrigzinspolitik schmelzen Sparguthaben dahin, Altersvorsorgerücklagen werden entwertet. Gleichzeitig heizt die EZB eine Ausgabenpolitik der EU-Staaten mit immer höheren Summen an, für die jeder Vorwand von Corona bis zur Klimarettung recht zu sein scheint. Es ist alarmierend, dass diese Politik auch mit steigender Inflation fortgesetzt wird. Die Bürger müssen hohe Preisanstiege verkraften und zahlen zugleich Negativzinsen auf Erspartes. Das ist eine doppelte Geldentwertung.
Mit der steigenden Inflation rückt die Steuerpolitik in den Fokus� Wie können Bürger und Unternehmen entlastet werden?
Es ist überfällig, die wachstumshemmende Steuerpolitik zu beenden und sich dem globalen Wettbewerb um die besten Standortbedingungen zu stellen. Erste Schritte sind mit der Verlängerung der in der Pandemie eingeführten degressiven Abschreibung auf bewegliche Wirtschaftsgüter und der geplanten zeitlichen Ausweitung der Verlustverrechungsmöglichkeiten von der Ampel geplant. Aber wir brauchen darüber hinaus eine großzügigere Ausgestaltung der Abschreibungsmöglichkeiten im Rahmen der Superabschreibung, die Deckelung der Unternehmensteuerlast sowie das Ende des strukturellen Besteuerungsnachteils von Personengesellschaften und Einzelunternehmern. Diese Vorhaben sollten noch im ersten Halbjahr 2022 umgesetzt werden.
Nach Corona lastet der russische Einfall in die Ukraine schwer auf der Wirtschaft …
Der Krieg stellt die Ampel vor weitere Herausforderungen. Zentrale Politikfelder gilt es neu zu denken. Klar ist, die Versorgungssicherheit wurde im Rahmen der Energiewende vernachlässigt, die Landesverteidigung muss wieder zentrale politische Aufgabe werden, und wenn mit der Pandemie Lieferketten unterbrochen waren, könnten jetzt einige ganz reißen.
Der Wirtschaftsminister hat ehrgeizige Pläne für ein Klima-Sofortprogramm vorgelegt� Was halten Sie davon?
Nicht mit staatlicher Lenkung, sondern nur mit marktgetriebenen Innovationen sind die ehrgeizigen Klimaziele zu erreichen. Viele Unternehmen entwickeln bereits neue Technologien für den Klimaschutz von morgen. Wir brauchen jetzt eine Förderung neuer innovativer Ansätze für Klimaschutztechnologien. Ansonsten wird der Transformationsprozess sehr teuer. Das könnte unser Industrieland systematisch zerstören. Ein besonderes Augenmerk muss dabei auch auf der Versorgungssicherheit liegen.