Ausgabe 51

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Schwerpunktthema Wie grün ist die Innere Mission? Evangelisches Hilfswerk Beratungsstelle Mimikry wird 20 Jahre alt Kinder- und Jugendhilfe 15 Jahre „Bella Castella“

Die Zeitung der Inneren Mission München • Juli 2010

Ausgabe 51 • www.im-muenchen.de

Liebe Leserinnen, liebe Leser

Neues Beratungszentrum für Ebersberger Sozialpsychiatrische Dienste

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Mehr Platz für ihre Arbeit bekommen die Sozialpsychiatrischen Dienste (SPDi) in Ebersberg. Im März haben die Bauarbeiten für ein neues Beratungs- und Dienstleistungszentrum für psychisch kranke Menschen in der Sieghartstraße begonnen, die Fertigstellung ist für Ende November 2010 geplant. Rund 1.000 Quadratmeter Platz bietet das viergeschossige Gebäude dann, auf 700 Quadratmetern werden bestehende und neue Angebote der Sozialpsychiatrischen Dienste Ebersberg einziehen. Bauherr ist der Ebersberger Speditionsunternehmer Georg Reischl; die Innere Mission wurde als künftiger Mieter bei den Planungen stark mit einbezogen: „Wir konnten die Räume ganz nach unseren Bedürfnissen gestalten“, lobt Georg Knufmann, Leiter der SPDi Ebersberg, die gute Zusammenarbeit. Das Haus wird barrierefrei und auch für Rollstuhlfahrer leicht zugänglich sein.

irchenführungen in München St. Johannes schließen seit Mitte der 90er Jahre auch den Heizungskeller ein, da dort ein Blockheizkraftwerk (BHKW) eingebaut wurde. Dabei wurden die Besucher anfangs auch auf ein besonderes Highlight hingewiesen: Der Stromzähler lief rückwärts, da Strom ins öffentliche Netz eingespeist wurde.

Dr. Roland Rausch Verwaltungsleiter Innere Mission

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as BHKW war eine von mehreren Maßnahmen, die der Kirchenvorstand unter Leitung von Pfarrer Gerhard Monninger, dem späteren ersten Umweltpfarrer der bayerischen Landeskirche, bereits zu dieser Zeit zur CO2-Reduzierung beschlossen hatte. Angesteckt vom Engagement in meiner Kirchengemeinde ist es mir auch bei der Inneren Mission München ein Anliegen, Maßnahmen zur Energieeinsparung zu realisieren. Seitdem ist diesbezüglich bei der Inneren Mission viel passiert.

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Roland Rausch

Es solle zu einer zentralen Anlaufstelle für psychisch Kranke im Landkreis Ebersberg werden und für Offenheit mitten im Stadtzentrum stehen, wünscht sich Knufmann. Um rund 900 Menschen aus dem Ebersberger Landkreis kümmern sich insgesamt 23 Mitarbeiter und 85 Ehrenamtliche im Jahr: Sie beraten und begleiten Menschen mit seelischen Krisen, psychischen Erkrankungen und Suchtproblemen, bieten Beschäftigungsmöglichkeiten und organisieren viele verschiedene Angebote. Zu den Diensten gehören außerdem betreute Wohngemeinschaften und Einzelwohnprojekte in und um Ebersberg. Mit dem Umzug erweitern die

Sozialpsychiatrischen Dienste auch ihr Angebot: Zwölf Appartements im ersten und zweiten Geschoss des Gebäudes sollen an psychisch Kranke vermietet werden; außerdem ist im Dachgeschoss eine Wohngemeinschaft für fünf Menschen über 60 Jahre geplant. „Das Thema Gerontopsychiatrie wird in Zukunft eine immer größere Rolle spielen“, sagt Georg Knufmann, „denn die Leute werden immer älter und immer mehr Menschen sind von psychischen Problemen betroffen.“ Deshalb möchte er in Zukunft auch die gerontopsychiatrischen Angebote in Ebersberg verstärkt ausbauen. Im Herbst startet – in Kooperation mit der Suchtfachambulanz

der Caritas – ein neues Projekt, das sich speziell um Menschen mit Doppeldiagnose kümmert: Denn immer häufiger haben psychisch kranke Menschen auch ein Suchtproblem.

Netzwerk mit Nachbarn Die Behandlungskonzepte für beide Krankheiten sind allerdings oft widersprüchlich: „Während Menschen mit akuten Psychosen eher fürsorglich behandelt werden, stehen bei der Suchttherapie klare Forderungen im Vordergrund“, erklärt Knufmann. „Wir wollen für jeden die passende Behandlung finden.“ Neben den Einrichtungen der Sozialpsychiatrischen Dienste

werden in dem neuen Gebäude Praxisräume, ein Nachbarschaftstreffpunkt und drei Gruppenräume zur Verfügung stehen. Der neue Standort bietet auch viele Möglichkeiten, um die interne und externe Vernetzung zu verstärken: Der Gartenhof, die Tagesstätte der SPDi Ebersberg, liegt gleich um die Ecke, auf den Grundstücken nebenan befindet sich das Evangelische Alten- und Pflegeheim Reischlhof sowie die diakonia Ebersberg. Für Georg Knufmann und die SPDi Ebersberg ist der Umzug in die Sieghartstraße eine Rückkehr zu den Wurzeln: Denn dort hatte er vor 22 Jahren die erste Dienststelle der SPDi eröffnet. isa

Innere Mission kritisiert Zuschusskürzungen für Altenpflegeschulen

Kostenfreiheit für Schüler und Träger! Die Innere Mission kritisiert die geplante Senkung des Schulgeldausgleichs für private Berufsfachschulen für Altenpflege und Altenpflegehilfe und fordert die Rücknahme der ungerechten Kürzung. „Wir brauchen Kostenfreiheit für Schüler und Träger berufsbildender Schulen“, sagt Günther Bauer, Vorstand der Inneren Mission. In einem Schreiben hatte das Bayerische Kultusministerium Anfang Juni die Altenpflegeschulen informiert, dass der monatliche Zuschuss zum Schulgeld ab dem Schuljahr 2010/2011 aufgrund steigender Schülerzahlen von 200 auf 100 Euro pro Schüler gesenkt wird. Diese Regelung gilt bis Dezember 2010, die weitere Finanzierung steht unter Haushaltsvorbehalt.

„Wenn dieser Zuschuss auf 100 Euro gesenkt wird oder ganz wegfällt, dann ist die Finanzierung der Altenpflegeschulen in Zukunft nicht mehr sicherzustellen“, sagt Lisa Hirdes, Leiterin der Evangelischen PflegeAkademie. Für die Einrichtung der Hilfe im Alter bedeuten die Sparmaßnahmen einen jährlichen Ausfall von insgesamt 187.000 Euro an Fördermitteln für die 170 Schüler, die dort eine Ausbildung zum Altenpfleger oder Pflegefachhelfer (Altenpflege) machen. Den fehlenden Betrag muss die Innere Mission aus Eigenmitteln finanzieren oder als Schulgeld auf die Schüler umlegen: „Das sind keine Alternativen“, warnt Hirdes. Denn dadurch verlören die Ausbil-

dungen in der Altenpflege noch weiter an Attraktivität. Es sei jetzt schon schwer, genügend geeignete Schüler für die Altenpflegeausbildungen zu finden. Die Sparmaßnahmen stünden so im direkten Widerspruch zu den Bemühungen von Sozialministerin Christine Haderthauer, mit dem „Bündnis für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs in der Altenpflege“ Nachwuchs für Pflegeberufe zu gewinnen. „Mit dieser Entscheidung wird der Fachkräftemangel nur noch verschärft“, kritisiert auch Vorstand Günther Bauer. Sie passe nicht zu den Bedürfnissen einer Gesellschaft, die immer älter und kränker werde und mehr qualifizierte Pflegekräfte benötige. isa

+++ Menschen helfen +++ Netze knüpfen +++

lle llediese dieseMaßnahmen Maßnahmenfolgen folgen dem Grundsatz nachhaltigen Wirtschaftens – das auch die Grundlage vieler Projekte der diakonia ist. Inspirierendes Lesen wünscht Ihnen

SPDi-Leiter Georg Knufmann (2.v.r.) möchte noch enger mit anderen Einrichtungen der Inneren Mission zusammenarbeiten – zum Beispiel mit dem Pflegeheim Reischlhof, das gleich neben dem Neubau liegt. Foto: Erol Gurian

Hilfe im Leben

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Erweitertes Angebot

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m Mittelpunkt standen Maßnahmen zur Verbesserung des Wirkungsgrades unserer Heizungsanlagen durch moderne Heizkessel, optimierte Anlagensteuerung und Kraft-Wärme-Kopplung. 13 MiniBHKW in vier Gebäuden reduzieren unseren CO2-Verbrauch um rund 450 Tonnen pro Jahr. In Planegg beziehen wir Öko-Strom. In Ebenhausen kaufen wir CO2-neutrales Erdgas und bauen das Demenzzentrum im Niedrigenergiestandard. Auf dem Dach des Leonhard-Henninger-Hauses befindet sich eine Photovoltaikanlage. Der Isarpark, unser geplantes neues Sozialzentrum, wird auch im Energiebereich Maßstäbe setzen.

Anlaufstelle für psychisch kranke Menschen


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Ausgleichsabgabe sinkt um knapp 3.000 Euro

Innere Mission setzt auf Beschäftigung von Schwerbehinderten

Pflegehelfer für einen Tag: FDP-Bundestagsabgeordneter Jimmy Schulz hilft im Altenheim Planegg.

Foto: Jürgen Sauer

„Aktion Rollentausch“ soll für Probleme in der Sozialarbeit sensibilisieren

Perspektivenwechsel für Politiker Sie halfen bei der Essensausgabe im Alten- und Pflegeheim, waren älteren Menschen beim Waschen und Anziehen behilflich, spielten mit psychisch Kranken Tischtennis oder machten für obdachlose Frauen das Frühstück: Politikerinnen und Politiker waren im Rahmen der bayernweiten „Aktion Rollentausch“ aktiv. Im Frühjahr besuchten sie einen Tag lang sechs Einrichtungen der Inneren Mission. Das Projekt soll die Politiker auf Schwierigkeiten im Sozialbereich aufmerksam machen. Ein besseres Bewusstsein der Politik für soziale Probleme wünscht

sich beispielsweise Klara Hofer, Leiterin der Sozialpsychiatrischen Dienste (SPDi) Bogenhausen/Region Nord-Ost. Der FDP-Landtagsabgeordnete Otto Bertermann kam für einen Tag, um die verschiedenen sozialpsychiatrischen Angebote kennenzulernen, zum Beispiel die Tagesstätte und das Intensiv Betreute Einzelwohnen für psychisch kranke Menschen. „Mir war es sehr wichtig, einen Volksvertreter einzuladen“, erklärt Hofer. Politiker seien immerhin diejenigen, die entscheiden. „Ich finde, sie sollten wissen, wie es ist, Hartz IV zu bekommen oder mit

ÖKT-Splitter: Besuch von Horst Seehofer

welchen Problemen ein psychisch kranker Mensch konfrontiert ist.“ Nach einem intensiven Austausch mit Klara Hofer nahm sich Otto Bertermann Zeit für ein Tischtennisturnier mit den Besuchern der Tagesstätte und unterhielt sich beim gemeinsamen Mittagessen mit einigen Klienten. „Obwohl wir uns nicht kennen, hatte kaum jemand Berührungsängste“, sagt er. Besorgt zeigte sich Bertermann – selbst praktizierender Allgemeinmediziner – wegen des hohen bürokratischen Aufwands in der Sozialpsychiatrie. Denn vor allem bei den Klienten fehle die Zeit, wenn Mitarbeitende aufwändige Patientenprofile und Dokumentationen erstellen müssen.

Andere Blickwinkel

Zehn Minuten hat der Bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer bei seinem Rundgang durch die Agora des Ökumenischen Kirchentags (ÖKT) am Stand der Münchner Diakonie verbracht. Vom Vorstand der Inneren Mission, Günther Bauer, bekam er eine Baseball-Kappe mit blauem InnereMissions-Logo überreicht, die er auch gleich aufsetzte. Anschließend ließ er sich von Andreas Herden über das KomPass-Jahr informieren. „Das klingt interessant“, lobte der Ministerpräsident und konstatierte, dass eine freiwillige Verlängerung des Zivildienstes dem Vorhaben doch entgegen komme. Beim abschließenden Angeln nach Schlüsselanhängern hatte Seehofer dann allerdings keine so glückliche Hand. „Da muss man sich ja anstrengen – haben die Dinger denn keinen Magneten vorne dran?“ fragte er die ebenfalls fleißig angelnden Kinder und Jugendlichen. Hilfe kam dann in Form von Diakoniepräsident Ludwig Markert, der das gewünschte Teil per Hand in eine günstige Lage brachte, so dass dem Ministerpräsidenten doch noch ein Fischlein an den Haken ging. Das Faltblatt zum KomPass-Jahr hatte er seinem Referenten zugesteckt – zur späteren Auswertung. Klaus Honigschnabel / Foto: Erol Gurian

Zum vierten Mal hatte die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege zu der Aktion aufgerufen. Einrichtungen aus sämtlichen sozialen Bereichen haben sich daraufhin bereit erklärt, einen „Hospitanten“ bei sich aufzunehmen. „Politiker sehen soziale Arbeit aus einer anderen Perspektive, wenn sie selbst vor Ort sind und beispielsweise Aufgaben eines Altenpflegers übernehmen“, sagt Andreas Herden, der den Rollentausch für die Innere Mission koordiniert hat. Dieses eindringliche Bild von sozialem Engagement, das die Teilnehmer mit nach Hause nähmen, sei ein guter Ansatzpunkt, um die Politik für Probleme in der Sozialarbeit zu sensibilisieren. Hinter die Kulissen der Altenpflege blickten der SPD-Bundestagsabgeordnete Ewald Schurer im Pflegeheim Reischlhof in Ebersberg und FDP-Bundestagsabgeordneter Jimmy Schulz im Pflegeheim Planegg. In weiteren Einrichtungen der Inneren Mission engagierten sich außerdem Hiltrud Broschei, SPD-Bezirksrätin im Bezirkstag Oberbayern, SPD-Landtagsabgeordnete Isabell Zacharias, SPDStadtrat Christian Müller und der oberbayerische Bezirksrat Dieter Rippel von der FDP. Julia Kreissl

Weil sie rund 160 Schwerbehinderte beschäftigt, muss die Innere Mission für das Jahr 2009 kaum Ausgleichsabgabe bezahlen. Die meisten Einrichtungen des Unternehmens erfüllen die Beschäftigungspflicht schwerbehinderter Menschen: Die Muttergesellschaft und die Tochtergesellschaften diakonia, Evangelisches Hilfswerk, Hauswirtschaft- und Service GmbH sowie die Beruf und Bildung bezahlen keine Abgabe. Durch die Anstellung von mehr Schwerbehinderten gelang es der Tochtergesellschaft Hilfe im Alter, innerhalb eines Jahres, ihre Ausgaben von 4.305 Euro auf 2.100 Euro zu senken. Für das Jahr 2008 hatte die Innere Mission insgesamt noch über 5.000 Euro Ausgleichsabgabe bezahlen müssen. Unternehmen, die mehr als 20 Mitarbeiter beschäftigen, müssen eine Ausgleichsabgabe an das Integrationsamt bezahlen, wenn sie nicht mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit Schwerbehinderten besetzen. Die Unternehmensgruppe Innere Mission erfüllt

diese Vorgabe nahezu vollständig. „Es ist unsere ureigenste diakonische Aufgabe, schwerbehinderten Menschen Arbeitsplätze und eine Perspektive zu bieten“, erklärt Vorstand Günther Bauer. „Wir wollen sie in möglichst viele Bereiche integrieren.“ Die Innere Mission beschäftigt in sämtlichen Arbeitsbereichen psychisch erkrankte Menschen ebenso wie körperlich Behinderte. Beispielsweise hat ein blinder Mann bis 2005 in der Teestube „komm“ des Evangelischen Hilfswerks gearbeitet. „Leider lassen sich die schwerbehinderten Angestellten der Einrichtungen jedoch nicht miteinander verrechnen, die Ausgabe wird für jede Tochtergesellschaft eigens berechnet“, bedauert Bauer. Die Innere Mission als Gesamtorganisation übertreffe die Mindestanzahl an Schwerbehinderten bei weitem. Mit der im Sozialgesetzbuch IX verankerten Beschäftigungspflicht sollen Betriebe dazu angehalten werden, Arbeitsplätze an Schwerbehinderte zu vergeben. jusk

Diakonia-Mitarbeiter Dieter Schmidt hat in der IT-Abteilung der Inneren Mission einen rollstuhlgerechten Arbeitsplatz. Foto: Julia Kreissl

Kurz gemeldet Innere Mission München

Evangelischer Jugendhilfeverbund

Eine Spende der Bildungsstiftung der Stadtwerke München (SWM) hat die Intensivpädagogische Wohngruppe Sinzinger Hof der Evangelischen Kinder- und Jugendhilfe Feldkirchen erhalten. Mit insgesamt 12.600 Euro unterstützen die SWM das Projekt „Beschulung am Sinzinger Hof“, bei dem Jugendliche der Wohngruppe aufgrund von Verhaltensauffälligkeiten, Lernschwächen und Schwierigkeiten mit ihrem sozialen Umfeld hausintern unterrichtet werden. Mit 40.000 Euro finanziert die Bildungsstiftung außerdem das Projekt Schl-umf für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung in der Baierbrunner Straße. Ziel des Projektes ist, die Deutschkenntnisse der jungen Asylbewerber zu verbessern und sie für schulanalogen Unterricht vorzubereiten. Dieser vermittelt ihnen Schlüsselqualifikationen für eine Ausbildung in Deutschland. Das einjährige Projekt läuft bis Ende April 2011.

Auch in diesem Jahr hat die Ingeborg-Lekos-Stiftung die Schulsozialarbeit der Inneren Mission wieder tatkräftig unterstützt. Mit dem Spendengeld in Höhe von 10.000 Euro können die Sozialpädagogen des Evangelischen Jugendhilfeverbunds nun dafür sorgen, dass den betreuten Kindern in der Grundschule an der Walliser Straße soziales Lernen ermöglicht und ihr Selbstvertrauen gestärkt wird. Darüber hinaus werden Eltern bei der Bewältigung ihrer Erziehungsaufgaben unterstützt sowie Lehrer beim Bewältigen von sozialen Problemlagen. Durch die Unterstützung der Stiftung sei es „erneut möglich geworden, die Kinder dahingehend zu unterstützen, dass sie ihre Bildungschancen wahren und den Anschluss an das Klassenniveau nicht verlieren“, schreibt Vorstand Günther Bauer in seinem Dankesbrief. Sie könnten nun den Schulalltag mit seinen Anforderungen besser meistern.

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Intensivpädagogische Wohngruppe: Nachhaltig heizen, essen und leben

Ökologie und Ökonomie gehen Hand in Hand

Sanfte Sanierung des Sinzinger Hofs Nachhaltig Wirtschaften

Wer warm duschen will, muss vorher heizen. Jugendliche auf dem Sinzinger Hof stapeln Holz für ihre Heizung. Foto: Susanne Kern Eine bessere Dämmung, eine moderne Scheitholzanlage und eine Solaranlage auf dem Dach: Der Sinzinger Hof, ein rund 150 Jahre altes Bauernhaus, ist seit den Umbauarbeiten vor zwei Jahren ökologisch auf dem neuesten Stand. Seit September 2008 wohnen dort sieben Mädchen und Jungen zwischen 12 und 17 Jahren in einer Intensivpädagogischen Wohngruppe der Evangelischen Kinderund Jugendhilfe Feldkirchen. „Wir haben versucht, Ökonomie und Ökologie möglichst angemessen in ein Verhältnis zu bringen“, sagt Sepp Gießibl, der als Architekt den Umbau verantwortete. „Das ist auch bei alten Häusern möglich.“ In der Praxis hieß das, alte Elemente zu bewahren und mit neuen, umweltfreundlichen Materialien und Technologien zu kombinieren. Wichtig war bei der nachhaltigen Sanierung auch der regionale Aspekt: An der Renovierung waren nur Firmen aus der Region beteiligt. Zum Beispiel bei der Erneuerung der Fenster: Die alten Fenster dämmten schlecht gegen Kälte und Nässe, die neuen Fenster haben eine Doppelverglasung mit zeitgemäßer Gasfüllung. Um den Charakter des Hauses zu erhalten

sind sie aber auch wieder aus Holz und nicht aus Kunststoff. In den Schlafzimmern wurden die alten Dielenböden freigelegt, auch die Innentüren blieben erhalten – als wesentliche Stilmittel des Hauses. Ein weiterer Vorteil der alten Türen und Böden: „Sie geben keine Schadstoffe ab“, erklärt Architekt Sepp Gießibl. „Neue Türen werden immer mit Lösungsmitteln behandelt und sind formaldehydhaltig.“

Solaranlage auf dem Dach Bei der Heizung setzte die Evangelische Kinder- und Jugendhilfe Feldkirchen auf eine ökologische Energieform: Die alte Ölheizung musste raus; jetzt wird mit nachwachsenden Rohstoffen geheizt. Das Brennholz für die ScheitholzHeizung kommt von einem Bauern aus der Nachbarschaft. Eine Solaranlage auf dem Dach sichert im Sommer die Warmwasserversorgung. Bis zu 4.500 Liter Wasser kann sie aufheizen. „Wegen der günstigen Lage des Sinzinger Hofes wollten wir es dort unbedingt mit Sonnenenergie versuchen“, sagt Achim Weiss, Leiter der Evangelischen Kinder- und Jugendhilfe Feldkirchen. „Der Ver-

waltungsleiter der Inneren Mission Roland Rausch hat unsere Idee sofort unterstützt.“ Bei niedrigen Temperaturen – oder zu hohem Wasserverbrauch – müssen die Bewohner mindestens einmal am Tag das Wasser mit der Scheitholz-Heizung aufwärmen. „Das macht den Energieverbrauch für unsere Jugendlichen viel greifbarer“, sagt Anja Gschwender, Leiterin der Intensivpädagogischen Wohngruppe. „Sie merken, wie viel Holz wir zum Heizen brauchen und können auf der Abrechnung sehen, was das kostet.“ Wenn zu viel warmes Wasser verbraucht wird, dann heißt es nachheizen. Und das bedeutet Arbeit und Warten. Auch beim Essen ist Nachhaltigkeit angesagt: „Für die Jugendlichen ist Fertigpizza das Maß aller Dinge“, hat die Pädagogin festgestellt. „Wir versuchen ihnen beizubringen, dass Lebensmittel nicht nur aus dem Supermarkt kommen, sondern dass wir sie für wenig Geld und mit viel Spaß selber anbauen können.“ Deshalb kommen im Sinzinger Hof selbstangebaute und regionale Nahrungsmittel auf den Tisch: Wurst und Fleisch stammen vom Metzger aus dem Ort, Äpfel und Birnen aus dem eigenen Obstgarten, Gurken, Salat und Kohlrabi vom Gemüsebeet. Zusammen mit den Mädchen und Jungen machen die Erzieher Holunderblütensirup selber und backen Brot.

„Die Gartenarbeit und das gemeinsame Kochen haben auch einen therapeutischen Zweck“, erklärt Anja Gschwender. „Und die Jugendlichen lernen so etwas über gesunde Ernährung.“ Eher skeptisch seien die Mädchen und Jungen am Anfang. „Aber dann merken sie, dass natürliche Zutaten viel besser schmecken“, sagt sie. „Wir hoffen, dass sie ein paar dieser Erkenntnisse in ihr weiteres Leben mitnehmen.“ Isabel Hartmann

Öko-Heizung reduziert CO2 -Ausstoß Stromnetz eingespeist. An den Heizungsrohren sind kleine, grünliche Kästchen angebracht – diese Hocheffizienzpumpen verteilen das Heizungswasser nach Bedarf. Sie verfügen über Drucksensoren, die registrieren, wann eine Heizung niedriger gedreht oder ausgemacht wurde. Insgesamt fünf Wärmetauscher, die in die Heizungsanlage zwischengeschaltet sind, optimieren den Warmwasserverbrauch. Das ganze System ist so konzipiert, dass die Wärmetauscher Wasser genau nach Bedarf erhitzen. „Vorher hatten wir Boiler, die wir aufgrund des Legionellenrisikos permanent beheizen mussten“, sagt Eugen Heindel. Zudem hätten diese auch regelmäßig entkalkt werden müssen. Die neue Anlage arbeite intelligenter und habe einen höheren Wirkungsgrad als das alte System. Energiesparende Blockheizkraft-

Modernisierte Heizungsanlagen Insgesamt hat die Innere Mission München in den vergangenen fünf Jahren mehr als 1,5 Millionen Euro in energiesparende Modernisierungsmaßnahmen investiert. Dabei wurden nicht nur mehrere Heizungsanlagen saniert und um insgesamt 13 Mini-Blockheizkraftwerke (BHKW) ergänzt, sondern etwa auch für mehr als 250.000 Euro alle Fenster im Stammhaus der Evangelischen Kinder- und Jugendhilfe Feldkirchen denkmalschutzgerecht erneuert. Die Einsparungen durch solche Modernisierungsmaßnahmen sind besonders offensichtlich bei Investitionen in die sogenannte KraftWärme-Kopplung mittels Einsatz

rechneten Einsparungen bei den Strom- und Heizkosten liegen bei etwa 21 Prozent, was nach bisherigen Erfahrungen auch sehr realistisch ist. Die Investitionskosten amortisieren sich so in knapp sieben Jahren. Der CO2-Verbrauch reduziert sich gleichzeitig um 61 Tonnen im Jahr. Nach Angaben des Lieferanten entspricht dies dem, was 30.000 Bäume jährlich an Kohlendioxid absorbieren können. Der Heimleiter ist somit „virtueller Waldbesitzer“. Wichtig ist uns, bei energiesparenden Maßnahmen stets den Menschen, die in unseren Einrichtungen wohnen, gerecht zu werden. Kontrollierte Wohnraumbelüftung ist heute ein zentraler Ansatz, um bei Neubauten Niedrigenergiestandards zu realisieren. Dazu wäre es am besten, wenn Fenster gar nicht mehr geöffnet werden können. Doch alten, demenzkranken Menschen wollen wir dies nicht zumuten. Vergleichbare Effekte kann man auch mit Energiequellen erreichen, die nachwachsende Rohstoffe nutzen. Deshalb haben wir uns bei der Heizungsanlage für unser neues Demenzzentrum in Ebenhausen

Gartenarbeit als Therapie

Mini-Blockheizkraftwerke im Evangelischen Alten- und Pflegeheim Friedrich-Meinzolt-Haus

Grüne und graue Kästen rattern laut und stetig vor sich hin, ein riesiger Kessel voller Wasser steht daneben. Die Geräusche kommen von der grunderneuerten und umweltfreundlichen Heizungsanlage im Keller des Alten- und Pflegeheims Friedrich-Meinzolt-Haus in Dachau. Seit Dezember 2008 reduzieren dort neue Heizkessel, Wärmetauscher, Hocheffizienzpumpen und drei Mini-Blockheizkraftwerke (BHKW) den jährlichen CO2- Ausstoß um 130 Tonnen. Rund 260.000 Euro investierte die Innere Mission in die Umbaumaßnahmen. Der Vorteil der BHKW: „Gasmotoren treiben sie an und erzeugen sowohl Wärme als auch Strom“, erklärt Hausmeister Eugen Heindel. Beides kann direkt im Haus genutzt werden. Die Wärme beheizt das Heizungswasser. Der Strom, den das Haus nicht direkt verbraucht, wird ins öffentliche

„Tut Gutes und redet davon!“ gilt als geflügeltes Wort für „Marketing Sozial“. Für ökologische und nachhaltige Projekte gilt häufig auch: „Tut Gutes und habt was davon!“ Nachhaltiges Wirtschaften lohnt sich meist in mehrfacher Hinsicht: für unsere Umwelt, für unser Wohlbefinden, für unsere Nachkommen und für unseren Geldbeutel.

werke sind auch in den Alten- und Pflegeheimen Ebenhausen, Planegg und Eichenau sowie im Kinderheim Feldkirchen im Einsatz. Das neugebaute Demenzzentrum in Ebenhausen erfüllt die Standards für ein Niederenergiehaus: Die dortige Heizungsanlage verfügt über einen Pellets-Heizkessel, der nur wenig CO2 freisetzt. jusk

Hausmeister Eugen Heindel und zwei der drei Mini-BHKW. Foto: jusk

Strom aus erneuerbaren Energien bezieht auch die Innere Mission. Foto: SWM von Blockheizkraftwerken: Die Energie wird dort erzeugt, wo sie benötigt wird. Das Prinzip der Kraft-WärmeKopplung ist auch Grundlage moderner Fernwärmeversorgung. Wo immer ein Anschluss an Fernwärme möglich war, hat die Innere Mission diesen Weg gewählt.

Virtuelle Waldbesitzer Die Kopplung mehrerer MiniBHKW, moderne Regelungstechnik, intelligente Pumpen, effiziente Brennwertkessel sowie der Einsatz von Frischwasserstationen zur Warmwasserversorgung sind weitere wichtige Schritte zur Optimierung der Energieversorgung. Betriebswirtschaftlich amortisieren sich die entsprechenden Investitionen in wenigen Jahren. Dank der 2008 deutlich verbesserten öffentlichen Förderung gilt dies mehr denn je. Die Einsparungen an Kosten und Energieverbrauch werden zum Beispiel bei den Maßnahmen in unserem Altenheim in Planegg deutlich: Die Heizungsanlage wurde um drei Mini-Blockheizkraftwerke ergänzt, zusätzlich wurden Pufferspeicher eingebaut. Die er-

für einen Pellets-Kessel entschieden, der mit nachwachsenden Rohstoffen betrieben wird. Damit konnten wir auch sicherstellen, äußerst zinsgünstige Darlehen zu erhalten. Der Zinsvorteil von rund 30.000 Euro im Jahr kompensiert die höheren Anschaffungskosten und die Mehrkosten weiterer energiesparender Maßnahmen. Ein weiterer Aspekt nachhaltigen Wirtschaftens besteht im bewussten Bezug von Ökostrom. Die Kosten unseres Lieferanten LichtBlick AG berechnen sich primär nach dem tatsächlichen Verbrauch und weniger nach den Leistungsspitzen – dies belohnt Stromsparen. Wenn bestehende Verträge auslaufen, werden wir daher auch an anderen Standorten einen Anbieterwechsel überprüfen. Nachhaltiges und ökologisches Wirtschaften hat noch viele weitere Facetten. Unser bisheriges Engagement in diesem Feld war stets geleitet von dem Grundsatz, bei anstehenden Entscheidungen längerfristig effiziente Lösungen zu finden. So buchstabieren wir Nachhaltigkeit – nicht unbedingt in großen, wohl ausgefeilten Strategien, sondern in vielen kleinen Schritten. Roland Rausch


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Umweltbildung in der Kindertagesstätte Schwanthalerhöhe

Sonnenenergie als Vermögensanlage

Die Natur mit allen Sinnen erfahren Vorsichtig nimmt Rosi eine Geranie aus dem Topf und setzt sie in den Blumenkasten. „Die braucht noch ein bisschen Erde“, sagt die Sechsjährige, bröselt ein paar Erdkrumen um die Blume herum und klopft sie fest. In der Evangelischen Kindertagesstätte Schwanthalerhöhe ist heute Gartenarbeit angesagt: Geranien und Ringelblumen pflanzen die kleinen Gärtner und dann müssen sie noch im Kräuterbeet nach dem Rechten sehen. „Die Kinder finden es toll, dass sie hier mit Erde arbeiten und pflanzen können“, hat Kinderpflegerin Sabine Fillinger festgestellt. „Denn hier in der Stadt haben die meisten keinen Garten.“ Die Gartenarbeit ist ein Weg, um das Bewusstsein der Kinder für ihre Umwelt zu schärfen, das Projekt „Natur auf der Spur“ ein anderer: Im letzten Jahr säten, pflanzten und pflegten die 100 Kinder Blumen und Kräuter und sahen ihnen von Frühjahr bis Herbst beim Wachsen zu. Im be-

Sabine Fillinger pflanzt mit Rosi und Laeticia Geranien. Foto: isa nachbarten Bavariapark machten sich die Naturforscher auf die Suche nach Spinnen, Schnecken und

Schmetterlingen und schauten sich diese durch Vergrößerungsgläser näher an. Im Kindergarten gab es dann viele Geschichten, Spiele und Informationen über Tiere und Pflanzen. „Das Projekt hat die Einstellung der Kinder zur Natur verändert“, resümiert Sabine Fillinger, die in der Kindertagesstätte für den Garten zuständig ist. „Wenn sie jetzt eine Raupe finden, dann haben sie keine Angst mehr vor ihr, sondern füttern sie gleich.“ Wichtig ist den Pädagogen bei der Umweltbildung der ganzheitliche Ansatz, die Kinder sollen das Thema Umwelt aus verschiedenen Blickwinkeln sehen und mit allen Sinnen erfahren. Entdecken und schmecken heißt es zum Beispiel am Kräuterbeet: „Das hier ist Petersilie“ sagt Rosi stolz und deutet auf ein paar grüne Büschel, die aus der Erde sprießen. „Die essen wir im Kindergarten“, ergänzt ihre Freundin Laeticia, fünf Jahre alt. „In der Soße oder mit Kartoffeln.“ Isabel Hartmann

„Fang die Sonne ein“ heißt es im Evangelischen Alten- und Pflegeheim Leonhard-Henninger-Haus. Seit März wandelt dort eine Photovoltaik-Anlage Sonnenenergie in Strom um. Die schwarzen Platten auf dem Dach haben bis jetzt – trotz Dauer-Schlechtwetter – 9.800 Kilowattstunden elektrische Energie produziert. Täglich sind das im Durchschnitt rund 0,5 Kilowattstunden; damit könnten 200 Kühlschränke mit Vier-Sterne-Gefrierfach einen Tag lang laufen. Der Strom wird in das Netz der Stadtwerke München eingespeist, diese vergüten ihn der Inneren Mission nach den Vorgaben des Gesetzes für den Vorrang Erneuerbarer Energien. Damit wird die Investition von rund 150.000 Euro innerhalb von acht bis zehn Jahren refinanziert. „Für uns ist die Photovoltaik-Anlage eine sichere und zugleich ethisch-ökologische Vermögensanlage“, sagt Roland Rausch, Verwaltungsleiter der Inneren Mission. Isabel Hartmann / Foto: Marcus Schlaf

Die Bibel zeigt unterschiedliche Sichtweisen auf das Verhältnis des Menschen zur Natur

Wie sollen wir mit der Schöpfung, dem Werk Gottes, umgehen?

Ausbeuten oder behüten: Auch die Bibel beschreibt das zwiespältige Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Wenn ich aus meinem Bürofenster schaue, im ersten Stock der Geschäftsstelle der Inneren Mission München, überblicke ich auf acht Spuren Autos, die durch die Landshuter Allee fahren. Auf der anderen Seite steht ein kleines, graues Häuschen, eine Messstation: Wenn überhöhte Feinstaubwerte in den Nachrichten gemeldet werden, dann wurden sie hier gemessen. Die Gefahren, die vom Feinstaub für die Gesundheit der Menschen ausgehen, sind bekannt. Eine durchgreifende Verhaltensänderung bei den Autofahrern ist bis jetzt nicht erfolgt. Was man heute für wahr ergreift und begreift, sollte man sofort unternehmen und tun. Sollte man…! Aber manche Unterneh-

mungen haben so einschneidende oder unangenehme Folgen, dass wir sie auf die lange Bank schieben. Präsident Barack Obama sprach in seiner Fernsehansprache zur Ölpest im Golf von Mexiko im Juni von der „Sucht nach fossilen Brennstoffen“, die die Gesellschaft treibt. Süchtige sind rücksichtslos in ihrem Umgang mit der Umwelt. Sind wir süchtig, sind wir Abhängige oder sind wir verantwortliche Handelnde? Der Ökumenische Kirchentag in München appellierte an die Eigenverantwortung der Besucher. „Was tust Du?“ wurden sie gefragt, sie sollten mit Selbstverpflichtungen reagieren auf die Aussage des Paulus im Brief an die Römer: „Wir

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wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tage seufzt.“ (Röm 8,22) Paulus sah es als gegeben an, dass die Schöpfung seufzt und hoffte auf baldige Erlösung für die gesamte Schöpfung: Menschen, Tiere, die beseelte und die unbeseelte Materie sollten an dem Tag aufhören zu seufzen, an dem Christus als Herrscher und Erlöser der Welt wiederkommen wird. Paulus stellte hier den Menschen als Teil der Schöpfung auf eine Ebene mit anderen Geschöpfen. Ihnen ist das Warten auf die Erlösung gemein. Dieser Tag steht noch aus – bis heute. Was tun wir bis dahin? Woher nehmen wir Auftrag und Motivation für ökologische Verhaltensweisen in der Welt?

Wer in der Bibel danach sucht, blättere ganz zurück zum Anfang. Dort wird in zwei ganz unterschiedlichen Texten erzählt, dass – und wie – Gott die Welt und das Leben geschaffen hat: In grandioser und logischer Weise beginnt die Bibel mit einem Paukenschlag, mit einem Hymnus, einem Loblied in sieben Strophen, entsprechend sieben Tagen, an denen Gott sprach und es ward…! Ganz anders der nachfolgende Mythos (1. Mose 2+3) von der Erschaffung des Menschen („Adam“) aus Erde („Adama“), dem Gott seinen Atem einhauchte, damit Leben („Eva“) entstünde. Die in Klammern gesetzten hebräischen Bezeichnungen verweisen auf die tiefe Symbolik dieses bekanntesten aller biblischen Texte. Wie sollen wir mit dieser Schöpfung, mit dem Werk Gottes umgehen? „Macht euch die Erde untertan“ steht im Hymnus (1. Mose 1,28) geschrieben; ein Satz, der viele Jahrhunderte lang als Auftrag Gottes an die Menschen interpretiert wurde, Herrschaft über die Erde auszuüben, um die Bedürfnisse zu sichern – für manche ein Freibrief für Raubbau und Ausbeutung. Andere, modernere Deutungen verstehen den Ausdruck „Untertan machen“ als Auftrag, die Erde zu behüten und Verantwortung für sie zu übernehmen.

Verschiedene Deutungen Der Mythos von der Erschaffung des Menschen hingegen macht schon im Gleichklang der Worte „Adam“ und „Adama“ deutlich, dass Mensch und Erde untrennbar zusammengehören. Diese unterschiedlichen Sichtweisen entsprechen dem zwiespältigen Verhältnis, das Menschen zur Natur haben: Zum einen ernährt sie den Menschen und hält ihn am Leben, zum anderen stellt sie

durch ihre Unberechenbarkeit – durch drohende Dürren, Erdbeben, Vulkanausbrüche – eine Bedrohung seines Lebens dar. In der Erzählung von Kain und Abel (1. Mose 4,1-16) kann man vor dem geschichtlichen Hintergrund des Übergangs vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit vom Sieg der einen Sichtweise über die andere lesen: Abel, der Hirte – im weitesten Sinne ein Nomade –, lebte mit der Natur und von ihr.

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Auftrag für die Diakonie Für Kain, den Ackersmann, ist die Natur eher eine feindliche Umgebung: Er ist abhängig von ihr, muss ihr alles Lebensnotwendige mühsam abtrotzen. Schließlich tötet er seinen Bruder Abel und – übertragen gelesen – auch dessen Lebensform. Heute stehen wir wieder vor der Herausforderung, unsere Lebensform grundlegend zu wandeln, um unsere „Sucht nach fossilen Brennstoffen“ zu überwinden. „Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werke verkündigen“, sagt der Beter im Psalm 118, Vers 17. Gottes Werke „Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht“, das Wachsen und das Klima entspringen Gottes Willen und stehen unter seinem Schutz (1. Mose 8, 21f). Diese Rahmenbedingungen allen Lebens zu erhalten und zu schützen ist auch Auftrag der Diakonie. Hier hat auch die Innere Mission München ihre Aufgabe und ihren Ort – nicht auf der langen Bank – nach Martin Luther ist diese der Ort des Teufels –, sondern im Unternehmen und im Tun. So sind wir glaubwürdig und bleiben es auch für unser innerstes Anliegen: Gottes Liebe in unserem Handeln zu bezeugen – für die Schöpfung als Ganzes. Andreas Herden

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Ernährungsberatung der Evangelischen Kinder- und Jugendhilfe Feldkirchen

Alternative zur Tiefkühlpizza Drei kleine weiße Schälchen stehen auf dem Küchentisch. „Wisst ihr, was da drinnen ist?“ will Steve Kalinsky von Saskia und Jana, zehn und 13 Jahre alt, wissen. Jana schnuppert: „Das riecht wie der Tee, den ich trinken muss, wenn ich krank bin“, findet sie. Salbei ist in der einen Schüssel, Thymian und Rosmarin in den anderen. Die Kräuter hat Steve Kalinsky zum Kochen in die Wohngruppe Aladdin der Evangelischen Kinderund Jugendhilfe Feldkirchen mitgebracht. Dort gibt der Ernährungsberater Mädchen und Jungen Nach-

dass es gar nicht so schwer ist, sich gesund zu ernähren. Denn manche der Kinder und Jugendlichen kämpfen mit Übergewicht, andere sollten eher ein bisschen mehr auf den Rippen haben. Deshalb karrt der gelernte Koch auch schon mal körbeweise Lebensmittel an, um zu zeigen, was auf den Speiseplan gehört. Das Menü für heute: Bunter Salat, Zucchinisuppe mit Vollkornbrot, Putenbraten mit Gemüsemix und Kartoffeln und als Nachtisch Früchtejoghurt mit Erdbeeren, Bananen und Äpfeln. „Das ist schnell

Kochlehrer. Deshalb bringt er den Wohngruppen bei der Koch-Nachhilfe auch immer einen Obst- und Gemüsekalender mit. Unter der Woche steht Steve Kalinsky in der Großküche des Kinderheims am Herd und sorgt für gutes Essen. Rund 600 Portionen kocht das Hauswirtschaftsteam am Tag und diese kommen nicht nur im Feldkirchener Kinderheim auf den Tisch. Es beliefert auch Kindergärten und andere Einrichtungen in den umliegenden Gemeinden. Eine ausgewogene, gesunde Ernährung ist dabei Programm: Einmal wöchentlich wird Fisch serviert, Fleisch kommt nur zweimal die Woche auf den Tisch – und dann gibt es immer auch eine vegetarische Alternative.

Regionale Produkte

Zwiebelschneiden ohne Tränen: Saskia (l.) und Jana beim Kochkurs. hilfe in Sachen Kochen. Denn am Wochenende, wenn die Großküche des Kinderheims Feldkirchen zu hat, stehen sie oder die Erzieher selbst am Herd. Eine Alternative zu Fast Food und Tiefkühlpizza will Steve Kalinsky ihnen zeigen – und

Foto: isa

und unkompliziert“, erklärt Kalinsky. Zum Schnell-Kochkurs gibt es eine Einkaufsliste und Rezepte fürs Nachkochen dazu. „Wichtig ist mir dabei, dass die Zutaten Saison haben und aus der Region kommen“, betont der

Ein weiterer Aspekt: Auch in der Großküche setzen die Feldkirchener auf regionale Produkte. Ungefähr 70 Prozent der Lebensmittel, die die Kinder- und Jugendhilfe und die Alten- und Pflegeheime der Inneren Mission über eine Einkaufsplattform bestellen, werden bei regionalen Lieferanten geordert – zum Beispiel Obst und Gemüse, Fleisch und Wurst sowie Molkereiprodukte. „Das riecht aber gut“, finden Saskia und Jana, als sie das selbstgebackene Vollkornbrot aus dem Ofen holen. Ihr Resümee: „Selbstgemachtes Essen schmeckt besser.“ Und das will Steve Kalinsky noch mehr Kochschülern beweisen. Sein nächstes Ziel: Ein Kochkurs für die Erzieher, die in den Wohngruppen arbeiten. Isabel Hartmann

Kindertagesstätte Messestadt Ost: Brotzeit-Kids üben für die heimische Küche

Kochmütze auf, fertig, los! Wenn die Kinder aus der Kindertagesstätte Messestadt Ost mit Mehl in den Haaren und Soßeflecken auf den T-Shirts nach Hause kommen – dann waren die „BrotzeitKids“ wieder am Werk. Für dieses Projekt bereiten Sandra Bendraoua, Ernährungswissenschaftlerin und hauswirtschaftliche Anleiterin bei diakonia inhouse, und die Auszubildende Sabine Keßler alle zwei bis drei Wochen zusammen mit den Kindern ein Essen zu. Diakonia inhouse bewirtschaftet vier Kindertagesstätten der In-

neren Mission und drei weitere im Raum München. Dabei achten die Mitarbeitenden darauf, dass gesunde und biologische Produkte auf den Tisch kommen. Beim gemeinsamen Kochen wollen sie auch den Kindern den Wert von Nahrungsmitteln vermitteln und den Grundstein für künftiges Konsumverhalten legen. Einfache Gerichte sucht sich Sandra Bendraoua für die BrotzeitKids aus, Pizza steht heute auf dem Speiseplan. Doch bevor es losgehen kann, kontrolliert die Er-

Spielerisch kochen lernen: „Brotzeit-Kids“ in Aktion.

Foto: Julia Kreissl

nährungswissenschaftlerin ein paar Sauberkeitsregeln. Ob auch alle ihre Hände gewaschen haben und ihre Kochhaube richtig sitzt? Als erstes kommt der Teig auf den Tisch, der schon vorbereitet ist. Zu neunt stürzen sich die Kinder darauf, damit auch jeder ein ordentliches Stück abbekommt. Gemeinsam kneten und klopfen sie den Teig, bis er schön flach ist – und eine weiße Mehlwolke über ihnen in der Luft hängt. Bevor die Brotzeit-Kids ihre Pizzen belegen, müssen sie Sandra Bendraoua erst noch ein paar Fragen beantworten: Was kommt denn auf eine Pizza? Welches Gemüse passt zu einer Pizza? Und woher kommt der Schinken eigentlich? „Die Kinder sollen hier etwas über Lebensmittel lernen, nicht nur wie sie aussehen, sondern auch wie sie riechen, schmecken und wie man damit umgeht“, erklärt Bendraoua. Mit den Fragen vermittelt sie den Kindern Grundwissen über Lebensmittel – zum Beispiel, dass Putenschinken nicht vom Schwein kommt und dass die Pilze auf der Pizza Champignons heißen. Bei den Eltern komme das Angebot positiv an, erzählt Sandra Bendraoua, „auch wenn Flecken schwer zu vermeiden sind“. jusk

Hauswirtschafterinnen haben eine Vorbildfunktion.

Foto: Martina Kostial

Nachhaltigkeit in der Hauswirtschaft in Kindertagesstätten

Sozial, gerecht – und ökonomisch sinnvoll „Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast.“ Dieser Satz aus „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry wird häufig bemüht, wenn es um das Thema Nachhaltigkeit in Kindertagesstätten geht. Wer verantwortlich für sich, andere Menschen und die Umwelt handeln will, muss dies nachhaltig tun: Eigene Bedürfnisse können und sollen befriedigt werden, ohne jedoch die Bedürfnisse anderer Menschen und nachfolgender Generationen aus den Augen zu verlieren oder gar zu gefährden. Das Thema Nachhaltigkeit will die diakonia in den von ihr betreuten Kindertagesstätten aber nicht nur auf theoretischem Weg vermitteln. Wie überall geht es um das Vorbildverhalten von Erwachsenen. Hierbei hat die Hauswirtschaft eine wichtige Funktion: Geschieht sie vor den Augen der Kinder, werden alle relevanten Bereiche der praktischen Lebensführung berührt und vorgelebt. Ein Aspekt von Nachhaltigkeit ist die soziale Gerechtigkeit, das Miteinander im beruflichen Kontext. Dem Hauswirtschaftspersonal soll eine innere Beteiligung an Aufgaben und Inhalten ermöglicht werden. Unsere Mitarbeiterinnen sind beispielsweise in die Gestaltung der Dienstpläne eingebunden, sie erhalten abwechslungsreiche Tätigkeitsbereiche. Es gibt regelmäßige Mitarbeitergespräche, Verbesserungsvorschläge und Anregungen werden aufgenommen. Kurz: Ihre Eigenverantwortung wird gestärkt.

Lebenslanges Lernen Begleitende berufliche Qualifizierung unterstützt die Bildung von Handlungskompetenz und führt zu einem Prozess von lebenslangem Lernen. Diese zwei Komponenten verbessern die soziale und berufliche Integration unserer Mitarbeiterinnen. Letztendlich kommt dies auch ihren Familien zugute. Und: Selbstbewusstes Auftreten von Hauswirtschaftspersonal, insbesondere von Reinigungskräften, vermittelt Kindern und Eltern, dass hier Arbeiten ausgeführt werden, die notwendig zu tun sind, die eine

spezifische Fachlichkeit verlangen – und von deren Ergebnis das Wohl des Großhaushaltes Kindergarten mit abhängt. Die Gemeinschaftsverpflegung ist eine der drei Säulen hauswirtschaftlichen Arbeitens. Die Aufgabe der Hauswirtschaftsleitung in diesem Bereich ist es, unter Berücksichtigung altersspezifischer und ernährungsphysiologischer Gesichtspunkte Lebensmittel in einem definierten finanziellen Rahmen einzukaufen. Eltern fordern zudem für ihre Kinder mehr und mehr den Einsatz von biologischen – also nachhaltig produzierten – Nahrungsmitteln. In manchen Einrichtungen erreichen wir einen Anteil von fast 90 Prozent biologischer Lebensmittel in der Gemeinschaftsverpflegung. Wenn die Pädagogik in den Einrichtungen dann Hand in Hand mit der Hauswirtschaft geht, kann den Kindern zusätzlich Wissen um Herkunft und Verarbeitung der Nahrungsmittel vermittelt werden, wie etwa beim Projekt „Brotzeit-Kids“ (siehe nebenstehender Artikel).

Ökologische Reinigung Neben der Gemeinschaftsverpflegung fallen in den Häusern noch Reinigung und Textilpflege als Tätigkeitsschwerpunkte an. Bei der Reinigung – egal ob von Räumen oder Wäsche – geht es neben der Beseitigung von Schmutz immer auch um Werterhaltung der Einrichtung mit ihren Möbeln, Bodenbelägen, Einrichtungsgegenständen und der großen Menge an Textilien wie Teppichen, Vorhängen, Bettbezügen und Küchenwäsche. Was gut gepflegt wird, muss weniger häufig neu gekauft werden. So wenig Chemikalien wie möglich, das spart Wasser und Geld. Waschen bei niedrigen Temperaturen, das spart Energie. Desinfektion nur dann, wenn es unbedingt notwendig ist. All das sind Beiträge zum Thema Nachhaltigkeit. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass hauswirtschaftliches Arbeiten ein Wirtschaften mit unterschiedlichsten Ressourcen ist. Nachhaltiges Wirtschaften im Sinne eines ökologischen und sozialen Ausgleichs macht sich auch ökonomisch bemerkbar. Ursula Winkler


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Interview mit Margarete Bause, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen

Umweltschutz soll Spaß machen Margarete Bause ist Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag. Sie studierte Germanistik, Politikwissenschaft und Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seit 1986 ist sie Mitglied der Grünen; von 1986 bis 1990 saß sie im Bayerischen Landtag und kehrte 2003 dorthin zurück. Von 1991 bis 1993 und von 1998 bis 2003 war sie Landesvorsitzende der Grünen in Bayern. Mit ihr sprach Isabel Hartmann.

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Umweltschutz hat in den letzten Jahren in Kirche und Diakonie verstärkt Einzug erhalten. Wie kann die Innere Mission ihr Engagement noch verbessern?

die Zutaten aus ökologischem, regionalem oder fairem Anbau kommen. Das ist nicht unbedingt kostengünstiger, aber kostenneutral. Man weiß, dass wir zu viel Fleisch essen. Das ist ein Kostenfaktor, schlecht für die CO2-Bilanz – und der Gesundheit nicht unbedingt zuträglich. Wenn man Fleisch auf den Tisch bringt, dann aus ökologischer Tierhaltung.

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Haben Sie drei Tipps, wie jeder Einzelne ökologisch bewusster leben kann? Jeder kann sich überlegen, was er zu seiner persönlichen CO2Bilanz beiträgt, zum Beispiel beim Energiesparen: Da kann ich schauen, wie hoch die Raumwärme im Büro ist, ob der PC den ganzen Tag

können. Wichtig ist, deutlich zu machen, dass es Spaß macht, auf Qualität zu achten und sich anders fortzubewegen: zum Beispiel Fahrrad zu fahren.

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Wie würden Sie das in einem Kindergarten umsetzen? Das fängt zum Beispiel beim gemeinsamen Kochen an. Ein Kräuterbeet stärkt die Erfahrung, wie Dinge riechen, schmecken und wie man sie zubereiten kann. Wenn Kinder gemeinsam einen Ökohof besuchen, sehen sie, wo das Gemüse, der Salat und die Milch herkommen. Das sind prägende und wichtige Erfahrungen, gerade für Großstadtkinder. Als Argument gegen ökologische Maßnahmen werden oft

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und der globalen Verantwortung. Im sozialen Bereich geht es darum, gerade Menschen, die Unterstützung brauchen, in ihrer Würde gerecht zu werden. Für eine Sozialeinrichtung ist es jeden Tag eine neue Herausforderung, mit begrenzten Ressourcen Zeit zu haben für Kinder, für alte und kranke Menschen. Die mangelnde Zeit ist das größte Problem. Die Mitarbeiter in den Heimen leiden darunter, dass sie auch gar keine sehr persönliche Beziehung aufbauen können, weil alles ein Kostenfaktor ist. Den Mangel an Zuwendung und Zeit finde ich die größte Verarmung.

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Und was würden Sie dagegen machen? Das ist in erster Linie eine politische Aufgabe, das kann eine Einrichtung mit begrenzten Ressourcen nicht alleine verän-

dern. Solange die Pflegekosten so bemessen sind, wie sie es jetzt sind, solange es so ein stiefmütterliches Thema in unserer Gesellschaft ist, kann ein einzelner Träger nur innerhalb des Bestehenden versuchen, das Beste daraus zu machen und Druck auf die Politik auszuüben.

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Was können wir aus der Bibel für Umweltschutz und Nachhaltigkeit lernen? Die christlichen Werte wie Gerechtigkeit, Verantwortung, Solidarität, Achtsamkeit sind Werte, denen wir uns als Grüne in unserer Politik verpflichtet fühlen. Man muss diese Werte nicht christlich begründen, aber man kann das. Auf unserem Wahlplakat von 1986 stand: „Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt.“ Das ist doch im Grunde ein christliches Motto.

Textilverwertung im WertStoff der diakonia

Zweites Leben für Klamotten

„Jeder kann sich überlegen, was er zu seiner persönlichen CO2-Bilanz beiträgt“, sagt Margarete Bause. Foto: Erol Gurian

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Ich finde es eindrucksvoll, welche Investitionen die Innere Mission gerade im Energie- und Wärmebereich tätigt. Ich denke, sie sollte überprüfen, welche Liegenschaften sich sonst noch für Solarthermie oder Photovoltaikanlagen eignen, wo man überall auf Ökostrom-Anbieter umsteigen kann. Soweit ich sehe, ist das noch nicht durchgängig der Fall. Wichtig ist, dass man Schritt für Schritt versucht, den ganzen Betrieb zu ökologisieren: Ist der Bürokaffee aus fairem Anbau, wie sieht es mit dem Papierverbrauch aus? Auch im Beschaffungswesen, bei der Ernährung oder bei der Wäscherei lohnt es sich, eine Ökobilanz zu machen und zu überlegen, was man noch verbessern kann. Wäsche ist gerade bei großen Einrichtungen ein Thema, oftmals wird diese über weite Strecken transportiert, weil das Waschen anderswo günstiger ist. Hier könnte man, zum Beispiel als Projekt für den Zweiten Arbeitsmarkt, eine ökologische Wäscherei aufziehen, die für alle Einrichtungen der Inneren Mission wäscht. Auch beim Thema Ernährung lässt sich viel bewegen. So kann man zum Beispiel in den Altenund Pflegeheimen und Kindergärten überlegen, wie man den Speiseplan umgestalten kann, sodass

laufen muss, ob Drucker oder Kopierer nachts aus sind. Im Ernährungsbereich sollte man versuchen, auf Qualität zu setzen, auf Produkte aus fairem, regionalem oder ökologischem Anbau. Thema Mobilität: Muss ich diesen Weg mit dem Auto fahren, in den Ferien eine Flugreise unternehmen, kann ich Wege zu Fuß oder mit dem Rad bewältigen und Urlaub in der Region machen?

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Was kann denn ein Sozialunternehmen wie die Innere Mission mit immerhin rund 1.500 Mitarbeitern im Mobilitätsbereich machen? Wenn es um Neuanschaffungen im eigenen Fuhrpark geht, sollte sie auf schadstoffarme Fahrzeuge setzen. Sie kann auch das persönliche ökologische Verhalten der Mitarbeiter unterstützen und belohnen, zum Beispiel mit einem Fahrtkostenzuschuss, wenn sie nicht mit dem Auto zur Arbeit kommen.

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Viele Einrichtungen der Inneren Mission arbeiten mit Kindern und Jugendlichen. Was können sie ihnen in Sachen Ökologie mit auf den Weg geben? Ganz wichtig ist die Vorbildfunktion und ein Bewusstsein zu schaffen. Kinder müssen ihre Umwelt mit all ihren Sinnen erfahren

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die Kosten genannt. Als Sozialunternehmen muss die Innere Mission auch gut wirtschaften – passen Ökologie und Ökonomie zusammen? Unbedingt, sie ergänzen sich. Gerade im Energiebereich merkt man das sofort, weil die Maßnahmen nicht nur CO2 reduzieren, sondern auch Kosten: Mit jeder Kilowattstunde, die man einspart, spart man zusätzlich Geld. Wichtig ist, auch längere Zeiträume in der internen Kostenrechnung im Blick zu haben. Weil man in manchen Bereichen erstmal investiert und zum Teil erst in fünf Jahren die Erfolge hat. Wir müssen wegkommen von diesem kurzfristigen Denken, das die Probleme den anderen aufbürdet. Nachhaltigkeit heißt ja auch, auf den langfristigen Gewinn zu achten und nicht auf den kurzfristigen Vorteil.

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Vorsichtig nimmt Nevresa Schmidtke eine Jeans aus der blauen Plastiktüte, breitet sie auf dem Tisch vor sich aus, fährt mit den Fingern über die Hosenbeine und wirft die Hose dann schwungvoll in einen grünen Drahtcontainer. „Noch gut erhalten“, verkündet sie ihr Urteil. „Ein Fall für die Hilfsgütermischung.“ Nevresa Schmidtke arbeitet im WertStoff, Sammelstelle, Sortierbetrieb und somit Herzstück des Textilbetriebes der diakonia. Zusammen mit ihren Kolleginnen prüft und sortiert sie die Kleiderspenden, die im Hinterhof der Landshuter Allee 38 abgegeben werden oder die der hauseigene Abholservice bringt. Rund eine Tonne Textilien in der Woche landen dort, schätzt Sibylle Reins, Leiterin des WertStoff. Ob Sommerkleid, Bettbezug oder Tischdecke – im WertStoff erhalten die Textilien ein zweites Leben. Der Effekt: Die Textilverwertung spart Energie sowie Rohstoffe und verringert den Abfall. Besonders schöne und gut erhaltene Kleider werden gewaschen, gebügelt und kommen dann in die Kleiderkammer und die Secondhand-Läden der diakonia. Jedes Geschäft hat seinen eigenen Stil: Das Motto vom stoffwechsel ist frech, funkig, retro, beim WertStoff#4 gibt es Streetstyle-Kleidung, das kleidsam bietet chice Mode für Frauen an, das benachbarte Kinder-kleidsam gut erhaltene Kinderkleidung und Spielzeug. Die Kleiderkammer gibt Textilien an bedürftige Menschen aus; das benachbarte Se-

condhand-Lädchen Klamotte verkauft gut erhaltene Kleidung und Accessoires. Der Erlös fließt immer in soziale Betriebe der diakonia oder der Inneren Mission. Eines haben alle Artikel gemeinsam: „Sie sind schon so oft gewaschen, dass sie keine Schadstoffe mehr enthalten“, sagt Sibylle Reins. „Sie sind viel günstiger und man kann seinen eigenen Stil tragen.“ Gut erhaltene Textilien gehen auch als Hilfsgüter in Krisengebiete. Das Zeichen FairWertung garantiert, dass die Kleidersammlung und die Verteilung in den Krisengebieten umwelt- und sozial verträglich sind. Und dass man nachvollziehen kann, wohin die Textilien gehen. Denn: „Viele kommerzielle Firmen sammeln an den Haustüren Altkleider für einen angeblich karitativen Zweck und verkaufen diese dann an Textilrecyclingfirmen“, sagt Sibylle Reins. Nachhaltigkeit hat im WertStoff viele Facetten. Dazu gehört nicht nur eine ökologische Ausrichtung, sondern auch die soziale. Denn in dem Sortierbetrieb arbeiten derzeit bis zu 20 Männer und Frauen mit Handicaps – hauptsächlich auf dem Zweiten Arbeitsmarkt. Im WertStoff – und auch in den Secondhand-Läden – finden sie eine angemessene Arbeit, Weiterbildung und oft auch den Weg zu einem neuen Job auf dem Ersten Arbeitsmarkt. www.im-spenden.de Isabel Hartmann

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Wie definieren Sie den Begriff Nachhaltigkeit für sich selber? Für mich heißt er ganz einfach, nicht das zu verfrühstücken, was die Kinder morgen brauchen.

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Wie würden Sie diesen Begriff im sozialen Bereich definieren? Nachhaltigkeit umfasst die Faktoren der ökologischen Nachhaltigkeit, der sozialen Gerechtigkeit

Rund eine Tonne Textilien im Monat sortieren Nevresa Schmidtke (2.v.r.) und ihre Kollegen. Foto: Christa Habersetzer

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Biologische Produkte aus Herzogsägmühle

Die Zauberformel heißt: Regional, saisonal und sozial

Energieberatung direkt zu Hause: Ulrich Alwardt gibt Anne Haugg Tipps zum Energiesparen.

Foto: Katja Kirste

Energiespar-Projekt der Stadtwerke München und der Wohlfahrtsverbände

Kampf den Klimakillern Neugierig schaut der Junge mit den dunklen Haaren auf den älteren Mann, der zur Wohnungstür hereinkommt. Anne Haugg*, seine Mutter, begrüßt den Besucher freundlich. Es ist Ulrich Alwardt, der Energieberater, auf den die junge Frau gewartet hat. Im Auftrag der Inneren Mission und der Stadtwerke München (SWM) berät er ehrenamtlich Familien und Alleinlebende, wie sie Strom, Heizung und Wasser sparen können.

Kostenlose Beratung Auch Anne Haugg, die ihren siebenjährigen Sohn allein erzieht, hat sich für eine Beratung angemeldet. Das Projekt haben die SWM zusammen mit den Münchner Wohlfahrtsverbänden ins Leben gerufen. Im Auftrag der Inneren Mission sind derzeit 13 ehren-

amtliche Berater im Einsatz, die in einem mehrtägigen Seminar gründlich geschult wurden. Ulrich Alwardt ist einer von ihnen. Der ehemalige Siemens-Projektmanager hat schon einige Beratungen hinter sich. Anne Haugg kostet die Beratung nichts. „Gedacht ist das Projekt für Menschen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben“, sagt Alwardt. Dazu gehört, wer Arbeitslosengeld II, die Grundsicherung im Alter erhält oder über ein ähnlich niedriges Einkommen verfügt. Wer sich beraten lässt, lernt zudem auch, umweltbewusst mit Strom, Heizung und Wasser umzugehen. „Wir wollen Menschen mit geringen Einkommen finanziell entlasten, zugleich aber auch ökologisches Bewusstsein wecken und unmittelbar etwas für den Klimaschutz tun“, sagt Martin Janke, der

Fernwärme für acht Immobilien der Inneren Mission

Stromnutzer statt Stromfresser Eine moderne und umweltfreundliche Technik, mehr Komfort für die Bewohner und auf lange Sicht weniger Kosten – so sieht die Bilanz rund drei Jahre nach dem Umstieg von Nachtspeicheranlagen und Durchlauferhitzern auf Fernwärme in der Waltherstraße 13 aus. „Fernwärme ist ein Abfallprodukt der Stromerzeugung. Also mit die vernünftigste Heizenergie überhaupt“, sagt Reinhard Appler, langjähriger Leiter der Hausverwaltung der Inneren Mission. Das Prinzip: Die Abwärme, die bei der Stromerzeugung entsteht, wird durch Kraft-Wärme-KopplungsAnlagen in das Fernwärmenetz eingeleitet. In den Häusern wird sie über Wärmetauscher in Zentralheizungen und Warmwasserboiler eingespeist. In sieben weiteren Immobilien der Inneren Mission kommt Fernwärme ins Haus – auch im Evangelischen Alten- und Pflegeheim Leonhard-Henninger-Haus im Westend: Dort genügte die Erdgasheizung nicht mehr den energietechnischen Anforderungen; die

beiden Gaskessel wurden durch eine Heizzentrale, eine Warmwasseraufbereitung, Steuerung und effiziente Pumpen ersetzt. Rund 150.000 Euro kostete die neue Heizungsanlage. Das Einsparpotential: „23.600 Euro im Jahr“, schätzt Appler. red

Fernwärme aus dem Heizkraftwerk Süd beheizt auch das Wohnhaus in der Waltherstraße 13. Foto: SWM

bei den Stadtwerken für das Projekt verantwortlich ist. Schon mit einfachen Mitteln kann man viel für den Klimaschutz erreichen. Rund 280 Kilogramm CO2 weniger fallen jährlich in einem Ein-Personen-Haushalt an, wenn alle Energiespartipps beherzigt werden. 30.000 Münchner Haushalte will das Projekt erreichen. Das Einsparpotenzial ist also groß.

Ein Segen für die Umwelt Am Küchentisch von Anne Haugg, über dem eine große Lampe hängt, packt Ulrich Alwardt eine Energiesparbox aus. Dieses Geschenk bekommt jeder Haushalt, der an der Energieberatung teilnimmt. Darin enthalten sind eine schaltbare Steckerleiste, ein Kühlschrankthermometer und zwei Energiesparlampen. Auch wenn Energiesparlampen teurer sind als Glühbirnen, rechnet sich die Anschaffung. Hat eine herkömmliche Glühbirne eine durchschnittliche Lebensdauer von nur einem Jahr, so sind es bei einer Energiesparlampe sechs Jahre und mehr. Und für die Umwelt sind Energiesparlampen ohnehin ein Segen: Tauscht man sechs Glühlampen gegen die Energiesparer aus, entspricht das im Jahr einem um 115 Kilogramm geringeren CO2-Ausstoß. Stromfresser sind oft auch alte Haushaltsgeräte. Kühlschrank, Waschmaschine und Geschirrspüler von Anne Haugg haben schon einige Jahre auf dem Buckel. Ulrich Alwardt schaut sie sich genau an. Denn bei Bedarf tauschen die Stadtwerke alte Geräte kostenlos gegen neue aus. Bis zu 3.000 Kühlschränke, Kühl-Gefrier-Kombinationen, Waschmaschinen und Geschirrspüler – alle mit dem EULabel für höchste Energieeffizienz – stehen bereit. Katja Kirste *Name von der Redaktion geändert Die Anmeldung für eine kostenlose Energieberatung ist unter der Telefonnummer 089/48 08 85 51 möglich.

„Ich möchte Apfelsaft mit Möööhren“, entscheidet die fünfjährige Lena. Mindestens einmal in der Woche kommt sie mit ihrer Mama und ihrem Bruder Maximilian in den Herzogsägmühler Laden in Weilheim. „Wenn wir beim Einkaufen in der Altstadt waren, holen wir hier noch biologisches Obst und Gemüse und leisten uns einen frisch gepressten Saft oder einen Obstsalat“, erzählt die junge Mutter, die mit ihren Kindern inzwischen zu den Stammgästen im Herzog-Christoph-Haus gehört. Im März dieses Jahres hat der „Herzogsägmühler Laden“ im Herzog-Christoph-Haus in Weilheim eröffnet. Neben zahlreichen Beratungsstellen, Wohnangeboten und dem Café VerWeilheim ist er ein weiteres Angebot für die Bürgerinnen und Bürger der oberbayerischen Kreisstadt.

Biologischer Anbau Produkte aus der Werkstatt für Menschen mit Behinderung gibt es dort ebenso wie frisches Obst und Gemüse. „Natürlich alles rein biologisch angebaut“, erklärt Carmen Renschler, die für den Laden verantwortlich ist. „Sogar die Trinkbecher sind biologisch abbaubar, weil sie nicht aus Kunststoff sondern aus Zuckerrohr hergestellt wurden“, betont sie nicht ohne Stolz. Der Laden ist das sechste Geschäft, in dem Produkte aus dem zur Inneren Mission gehörenden Diakoniedorf angeboten werden:

Bereits seit einigen Jahren gibt es zwei Geschäfte in der Schongauer Altstadt, in Herzogsägmühle selbst ist es ebenfalls lange Tradition, dass Produkte, die dort hergestellt oder angebaut werden, auch an Ort und Stelle in drei Läden verkauft werden. „Regional, saisonal und sozial sind Begriffe, die uns sehr wichtig sind“, sagt Werner Deuring, Leiter der Herzogsägmühler Gärtnerei. Dass sein Team die strengen Richtlinien des Naturlandverbandes einhält, ist selbstverständlich. „Seit 1988 sind wir ein Naturlandbetrieb“, erklärt Deuring.

Erfolgreiche Ausbildung Bereits seit 1980 bildet die Herzogsägmühler Gärtnerei zudem Lehrlinge aus – mit einer 90-prozentigen Erfolgsquote. Bei den jungen Menschen mit geistiger Behinderung oder psychischer Erkrankung ist eine Ausbildung in der Gärtnerei sehr beliebt. Stolz sind sie darauf, dass sie mit ihren Produkten auch die Herzogsägmühler Gemeinschaftsküche beliefern. Mehr als 1.000 Menschen profitieren somit täglich von dem gesunden und hochwertigen Gemüse. Sabine Keyser Der Herzogsägmühler Laden in der Herzog-Christoph-Straße 3 (Weilheim Altstadt) hat geöffnet: Montag bis Freitag von 8.30 bis 13.15 Uhr und 14 bis 18 Uhr; am Samstag von 8.30 bis 13.15 Uhr. www.herzogsaegmuehle.de

Anna Deuring, Gruppenleiterin der Herzogsägmühler Werkstätten Gärtnerei, Monika Hackl und Atalay Altuntop, Mitarbeitende der Werkstatt für Menschen mit Behinderung (v.l.n.r.), bei der Radieschenernte. Foto: Werner Deuring

CO2-neutrales Erdgas und Ökostrom Ein Lichtblick für Planegg: Seit Jahresbeginn versorgt die LichtBlick AG das Alten- und Pflegeheim Planegg mit elektrischer Energie aus regenerativen Quellen wie Wasser, Wind, Solarenergie und Biomasse. 154,8 Tonnen Kohlenstoffdioxid vermeidet das Haus durch den Bezug von LichtBlick-Strom. Für einen geringeren Stromverbrauch sorgen beispielsweise auch Licht-Sparschaltungen – damit lassen sich verschiedene Helligkeitsstufen einstellen. Auf CO2-neutrales Erdgas der Erdgas Südbayern (ESB) setzt das

Alten- und Pflegeheim Ebenhausen. Das Konzept dahinter: Die CO2-Emissionen, die beim Verbrennen von Erdgas entstehen, werden durch die Unterstützung innovativer Klimaprojekte an anderer Stelle wieder eingespart. Die ESB besitzt Emissionsminderungszertifikate von Projekten, die Energie durch Biomasse (Brasilien), Geothermie (Indonesien), Biogas (Thailand) und Wind (Türkei) erzeugen. Mit dem CO2-neutralen Erdgas neutralisiert das Alten- und Pflegeheim Ebenhausen laut ESB jährlich 840 Tonnen CO2. jusk


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gramm „Palliative Praxis – Projekte für alte Menschen“ mit 20.500 Euro unterstützt, hinzu kommen 50.500 Euro aus Eigenmitteln der Inneren Mission. Unter anderem wurden Mitarbeitende auf allen Ebenen für das Thema Ethikberatung sensibilisiert, Moderatoren für Fallbesprechungen ausgebildet und ein Leitfaden für die Öffentlichkeit ausgearbeitet. Der Wiener Pastoraltheologe Stefan Dinges, der als Berater und Trainer für ethische Fragen in Kliniken und Altenheimen arbeitet, begleitet das Projekt.

Mut zum Hut

Wegweisender Ethikbeirat

Zeitschrift „Altenheim“ zeichnet Best-Practice-Projekte aus

Zukunftspreis 2010 für Ethikprojekt der Hilfe im Alter Für ihr Projekt „Ethische Entscheidungskultur am Lebensende“ hat die Hilfe im Alter einen der drei Altenheim Zukunftspreise 2010 der Fachzeitschrift „Altenheim“ erhalten. Mit diesem Managementpreis zeichnete die Redaktion der Fachzeitschrift zum zweiten Mal nachahmenswerte Initiativen und Projekte in der Altenhilfe aus. „Wir freuen uns sehr über diese Auszeichnung“, sagte Frank Kittelberger (im Bild rechts), der bei der Hilfe im Alter für die Themenbereiche Spiritualität, Palliative Care,

Ethik und Seelsorge zuständig ist. „Sie ist die Frucht von mehrjähriger Arbeit in den Bereichen Hospizarbeit und Ethikberatung in der Altenpflege.“ Im Jahr 2008 startete die Hilfe im Alter – im Anschluss an das Hospizprojekt „Leben bis zuletzt“ – das Vorhaben „Ethische Entscheidungskultur am Lebensende“, um Ethikkultur und Ethikberatung in ihren sieben Alten- und Pflegeheimen zu implementieren. Das Projekt wird von der RobertBosch-Stiftung durch das Pro-

Im Oktober 2009 richtete die Hilfe im Alter als erster AltenhilfeTräger in Bayern einen Ethik-Beirat für ihre Alten- und Pflegeheime ein. Das Gremium bearbeitet exemplarisch Fallgeschichten unter ethischen Gesichtspunkten, erarbeitet Empfehlungen für den Pflegealltag, unterstützt Fallbesprechungen in den einzelnen Einrichtungen und bildet das Personal der Alten- und Pflegeheime in ethischen Fragen fort. Der Altenheim Zukunftspreis soll das Image der Branche fördern und das Einrichtungsmarketing der Preisträger unterstützen. Den ersten Zukunftspreis erhielt das Lebenszentrum Obertraubling, ein weiterer Preis ging an die Gemeinschaft Deutsche Altenhilfe GmbH (GDA) aus Hannover. isa / Foto: Vincentz Verlag

Altenheim Ebenhausen: Waltraud Leutz macht seit fast 20 Jahren Nachtdienst

„Wenn die Leute lächeln, leiste ich gute Arbeit“ Es ist vollkommen ruhig in den schwach beleuchteten Gängen des Hauses mit den Teppichläufern und den stilvoll platzierten Sitzgruppen aus Kirschholz. Einige Fenster sind leicht geöffnet, ein warmer Wind streicht wohlig durch die Flure des Evangelischen Alten- und Pflegeheims Ebenhausen. Doch Zeit zum Durchatmen bleibt Waltraud Leutz und ihrem Kollegen in der romantischen Sommernachtsatmosphäre nicht. Emsiges Arbeiten ist vielmehr angesagt: An jeder Zimmertüre klopfen sie kurz an und schauen nach dem Rechten. Sind die Magensonden bei den Bewohnern, die künstlich ernährt werden müssen, richtig eingestellt? Welche Patienten müssen umgelagert werden?

Einsamer Rekord Der kleinste Krümel im Bett kann sich fatal auswirken und an der Haut Druckstellen erzeugen, die sich im Laufe einer einzigen Nacht weiten und zu großen Wunden entwickeln könnten. Die Folgen wären schlimm: Sie könnten von einer langen Bettlägerigkeit über physisches Siechtum bis hin zum Tod reichen. Doch dem sicheren Blick der Pflegehelferin, die seit 38 Jahren in dem Haus tätig ist, entgeht nichts: „Natürlich wurden wir vor der Schicht informiert, worauf wir besonders achten müssen.“ Waltraud Leutz ist so etwas wie die gute Seele des Hauses. Nicht nur, weil sie aus dem Rheinland stammt und ihr der Frohsinn da-

mit sozusagen in die Wiege gelegt wurde. Seit knapp 20 Jahren absolviert die Pflegehelferin im Ebenhausener Pflegeheim nichts anderes als Nachtschichten – einsamer Rekord bei den Mitarbeitern. „Jeder von uns fragt sich, wie sie das schafft“, merkt ihr Kollege Raimund Ronge schmunzelnd an. Dabei hat die 58-Jährige gar kein „Geheimrezept“, nicht einmal sonderlich disziplinieren muss sie sich oder literweise Kaffee trinken, um wach zu bleiben. Die Freude, anderen Menschen helfen zu können, reicht aus, um bis in die frühen Morgenstunden putzmunter zu sein: „Es ist ein schönes Gefühl, eine Nacht mit einer guten Pflege hinter sich gebracht zu haben. Zuhause schlafe ich dann sofort ein.“ Dabei ist die Arbeit zwischen den Dämmerungen alles andere als ein

Zuckerschlecken, sondern einem strengen Regelplan unterworfen: Gegen Mitternacht steht die erste Runde in den vier Stockwerken der Pflegeeinrichtung mit ihren insgesamt 100 Bewohnern an. Viele von ihnen haben Gebrechen, die eine ständige Beaufsichtigung erforderlich machen: HerzKreislauf-Schwächen, Schlaganfall, Parkinson, Demenz – all diese Krankheiten, die sich vor allem im Alter einstellen, benötigen ein medizinisches Fachwissen und exakte Medikation. Für Leutz ist eine richtige Pflege auch eine Frage der Ehre, wie sie gesteht: „Wenn die Leute lachen oder mich freundlich anschauen, wenn ich ins Zimmer komme, dann weiß ich, dass ich eine gute Arbeit geleistet habe.“ Rafael Sala / Münchner Merkur

„Bella Rosa“, „Glücksklee“, „Tante Ullu“ und „Sonnenblume“ (v.l.n.r.) – das sind nur vier der 26 Hut-Kreationen, die Bewohnerinnen und Bewohner des Evangelischen Alten- und Pflegeheims Ebenhausen selbst entworfen und gefertigt haben. In der Beschäftigungstherapie bastelten die Teilnehmer zwischen 60 bis 103 Jahren unter Leitung von Kunsttherapeutin Edith Büchner ihre eigenen Kopfbedeckungen. Mit Hilfe von Luftballons, Pappmaché und Teppichkleister formten, bemalten und dekorierten die Frauen und Männer die Hüte liebevoll. Während sie ihre Ideen ausarbeiteten, sprachen die Hobbykünstler über ihre Erlebnisse, erzählten Anekdoten und erinnerten sich dabei an die ein oder andere Vorliebe. Diese wurden dann auch auf den Hüten sichtbar: Mit seinen vielen Farben, von gelb über rot bis lila, sticht das Modell „Regenbogen“ ins Auge. Die Kreation „Reiselust“ ist mit kleinen Lokomotiven beklebt; auf dem hellgrünen Hut „Marie“ tummeln sich kleine Marienkäfer. Ihren krönenden Abschluss fand die kreative Arbeit bei einer Modenschau im Alten- und Pflegeheim Ebenhausen. Unter den Gästen war auch die Künstlerin Ute Patel-Mißfeldt, die seit mehr als zehn Jahren die weltgrößte Hut-Modenschau „Mut zum Hut“ in Neuburg an der Donau organisiert. Sie lud die Gruppe kurzerhand ein, ihre Werke dort im September vorzuführen. Julia Kreissl / Foto: Jürgen Bollig

Brief an die Innere Mission Sehr geehrte Frau Prölß, es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen gegenüber meine Dankbarkeit zu bekunden für die stets zuverlässige und überaus hilfreiche Betreuung meiner Frau durch Ihr ambulantes Pflegeteam. Auch die oft äußerst ungünstige Wetterlage dieses Winters und personelle Probleme durch Krankheit etc. haben diese Hilfen in keiner Weise zu beeinträchtigen vermocht. Ich habe eine tiefe Bewunderung für diese Art der Sozialarbeit, die von den Schwestern geistig, seelisch und körperlich vollen Einsatz unter allen Bedingungen verlangt. Diesen Ansprüchen werden die Damen stets gerecht, besonders auch die Dienstälteste der in unserem Haus tätigen Pflegerinnen, Schwester Andrea Kirchberg. Sie tut es den Jüngeren nicht nur gleich, sondern in geradezu vorbildlicher Weise mit Humor, Gründlichkeit und einer nie nachlassenden Intensität. Ihr Pflegeteam, Frau Prölß, hat die Leitung, die es verdient. Die Führungskraft von Schwester Corinna Schober, ihre hohe Intelligenz und Art, notwendige Entscheidungen nicht nur treffsicher, sondern unverzüglich zu leisten, haben mich schon oft in Erstaunen versetzt und bedürfen wirklich hoher Anerkennung. Mit freundlichen Grüßen und den besten Wünschen für die Vollendung Ihres vielversprechenden, im Entstehen begriffenen Demenzzentrums Ebenhausen, Ihr Sven Kluwe

Impressum Diakonie-Report Zeitung der Inneren Mission München Inhaber und Verleger: Innere Mission München – Diakonie in München und Oberbayern e.V., Landshuter Allee 40, 80637 München Verantwortlicher Redakteur: Klaus Honigschnabel, Telefon: (089) 12 69 91-121

Waltraud Leutz ist seit 38 Jahren die gute Seele des Evangelischen Alten- und Pflegeheims Ebenhausen. Foto: Rafael Sala

Dr. Günther Bauer, Kurt Bauer, Jürgen Bollig, Zina Boughrara, Werner Deuring, Kristina Gottlöber, Bianca Gschwinder, Erol Gurian, Guz Gutmann, Christa Habersetzer, Isabel Hartmann, Uwe Hegeler,

Andreas Herden, Susanne Kern, Sabine Keyser, Katja Kirste, Martina Kostial, Julia Kreissl, Stefanie Otto, Dr. Roland Rausch, Doris Richter, Rafael Sala, Jürgen Sauer, Marcus Schlaf, Gerhard Seibold, Renate Sutterlitte, Cornelius Spengler, Ursula Winkler, Sandra Zeidler, Susanne Zott Satz: CreAktiv komma München GmbH, Fürstenrieder Straße 5, 80687 München Druck: Druckhaus Kastner, Wolnzach; gedruckt auf Papier mit 50 Prozent Recyclinganteil Erscheinungsweise: viermal jährlich Auflage: 9.000 Stück Einem Teil der Auflage liegen ein Überweisungsträger für Spenden sowie die Zeitung der diakonia bei.


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Alten- und Pflegeheim Planegg feierte 40. Geburtstag

„Hier arbeiten alle mit dem Herzen mit“ Mit einem Gottesdienst in der Waldkirche und einem festlichen Empfang hat das Evangelische Alten- und Pflegeheim in Planegg seinen 40. Geburtstag gefeiert. Landrätin Johanna Rumschöttel sagte, die hohen Ansprüche aus den 70er Jahren würden nach wie vor gelten: „Das Haus hat Modell- und Vorzeigecharakter.“ Viel wichtiger als eine moderne Ausstrahlung sei aber die menschliche Atmosphäre des Hauses: „So etwas lässt sich nicht so leicht herstellen.“ Annemarie Detsch, Erste Bürgermeisterin von Planegg, überbrachte die Grüße der Gemeinde und lobte ebenfalls die Arbeit des Hauses. „Man spürt den guten Geist, wenn man hier reinkommt.“ Alte Menschen fänden hier „nicht nur ein Heim, sondern auch eine Heimat“. Die Bürgermeisterin

dankte vor allem den Ehrenamtlichen für ihren Einsatz; in der Gemeinschaft zwischen ihnen und den Pflegekräften würden die Freuden und Leiden des Alters bewältigt. „Hier arbeiten alle mit dem Herzen mit.“ Der Vorstand der Inneren Mission München, Pfarrer Günther Bauer, hob das gute Verhältnis zu den politischen Stellen vor Ort hervor. „Wir sind für die finanzielle und ideelle Unterstützung von Kommune und Landkreis sehr dankbar.“ Hart ins Gericht ging Bauer aber mit den Politikern in Land und Bund. Die Pläne des Freistaats Bayern, den Zuschuss beim Schulgeld in der Pflegeausbildung auf die Hälfte zu kürzen, seien eine „Frechheit“. Durch das „Reförmchen“ in der Pflegeversicherung würden Heimbewohner

Auf den 40. Geburtstag des Alten- und Pflegeheims Planegg stießen an (v.l.n.r.): Gerhard Prölß, Johanna Rumschöttel, Ulrich Spies, Annemarie Detsch und Günther Bauer. Foto: Klaus Honigschnabel

mit finanziellen Problemen alleingelassen. Die Kosten landeten dann letztlich bei den Kommunen, die die Misere dann ausbaden müssten. „Die Politiker in Berlin und München sollten lieber weniger Worte machen, sondern eher den Geldbeutel aufmachen.“ (siehe auch Seite 1)

Vernetzte Altenpflege Gerhard Prölß, Geschäftsführer der Hilfe im Alter, die das Planegger Haus betreibt, bestätigte der Einrichtung, dass sie in den vergangenen 40 Jahren nicht an Attraktivität verloren, sondern im Gegensatz noch gewonnen habe. Dazu habe nicht zuletzt auch der Umbau beigetragen, der 2004 nach einer mehrjährigen Bauphase bei gleichzeitiger Belegung abgeschlossen wurde. Derzeit leben in dem nahe Maria Eich gelegenen Heim 158 Personen. Das Konzept, dem die Planegger Gemeinde vor mehr als vierzig Jahren zugestimmt habe, sei im Laufe der Jahre den geänderten Bedürfnissen angepasst worden. Habe man früher ein „alternatives Wohnhaus für Senioren“ angeboten, so könnten Bürger der Würmtalgemeinde heutzutage von einem vernetzten Altenpflegekonzept profitieren. Am Tag der Offenen Tür, zu dem das Heim am Vortag eingeladen hatte, waren rund 100 Besucher gekommen. Heimleiter Ulrich Spies bedankte sich ausdrücklich für die lobenden Worte beim Empfang und versprach, dass diese für ihn und die Mitarbeitenden ein Ansporn seien: „Wir werden uns auf diesem Ruhekissen nicht ausruhen.“ Klaus Honigschnabel

Evangelisches Pflegezentrum Eichenau fördert Familie und Beruf

23.000 Euro für das Familienbudget Eine Dienstvereinbarung zur Förderung von Familie und Beruf haben im April 2010 die Mitarbeitervertretung und die Heimleitung des Evangelischen Pflegezentrums Eichenau unterzeichnet. Basierend auf dieser Regelung steht für das Jahr 2010 ein Budget von etwa 23.000 Euro für familienfördernde Maßnahmen zur Verfügung. Diese Summe ergibt sich aus den Arbeitsvertragsrichtlinien des

Diakonischen Werkes in Bayern: Einrichtungen sind verpflichtet, ein Prozent der steuerpflichtigen Bruttolohnsumme ihrer Mitarbeitenden für familienfördernde Maßnahmen in Form eines Familienbudgets zur Verfügung zu stellen. „Mit dieser Dienstvereinbarung möchten wir es unseren Mitarbeitenden erleichtern, Familie und Beruf zu vereinbaren“, sagt Dirk Spohd, Leiter des Evangelischen

Familie und Beruf vereinbaren – dabei unterstützt das Pflegezentrum Eichenau seine Mitarbeitenden. Foto: Erol Gurian

Pflegezentrums Eichenau. Die Unterstützung besteht aus drei Säulen: Mitarbeitende erhalten für jedes Kind, für das sie kindergeldberechtigt sind, eine jährliche Sonderzahlung von bis zu 600 Euro. In einen Notlagenfond für familienfördernde Maßnahmen fließen 3.000 Euro. Die Restmittel aus dem Familienbudget werden in einer jährlichen Gesamtausschüttung an alle Mitarbeitenden ausbezahlt. Die Dienstvereinbarung Familienbudget des Pflegezentrums Eichenau mit rund 160 Mitarbeitern ist die dritte im Geschäftsbereich München der Inneren Mission: Die Kinder- und Jugendhilfe Feldkirchen sowie die diakonia haben für ihre Einrichtungen bereits eine Dienstvereinbarung zur Unterstützung von Familien und pflegenden Angehörigen geschlossen. Auch im Geschäftsbereich Herzogsägmühle wurde schon eine Dienstvereinbarung zum Familienbudget abgeschlossen. Besteht in einer Einrichtung keine Dienstvereinbarung zur Verwendung des Familienbudgets, wird das Geld an alle Mitarbeitenden gleichmäßig verteilt. Isabel Hartmann

ASZ-Besucherinnen spielen bei Musiktheater mit

Mit Händen und Füßen erzählen sie vom Krieg Fünf ältere Damen stellen sich in zwei Reihen hintereinander auf. Jede sucht ihren Platz, laut Regieanweisung müssen sie eng zusammenstehen, doch keine möchte der anderen auf die Füße steigen. Im Pulk sollen sie sich nun nach vorne bewegen, möglichst im Gleichschritt: Hüfte und Füße nach rechts eindrehen, den Blick aber streng nach vorne gerichtet lassen und das alles, ohne zu stolpern. „Es ist gar nicht so einfach, alles gleichzeitig zu machen“, sagt Margot Herfeldt (im Bild links). Sie ist 87 Jahre alt. „Das ist schon ganz schön anstrengend“, findet auch Wilhelmine Wolf, die zweite 87Jährige in der Gruppe. Ein gutes halbes Jahr haben die Laienschauspielerinnen für das Theaterstück „Zum Ewigen Frieden – Ein Abgesang“ geprobt, es wurde im Juni in der Black Box im Gasteig aufgeführt.

Besondere Akustik In dem Stück arrangiert der Münchner Regisseur Björn Potulski ein Treffen der Generationen auf der Bühne: 14 Kinder im Grundschulalter begegnen neun Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges. Die Besonderheit: Die Darsteller sprechen nicht, die Choreographie ist die Sprache. Für die Aufführung haben die Künstler die Bühne mit Stahlblechplatten und Tonabnehmern ausgestattet. Diese verleihen den Bewegungen eine ganz besondere Akustik. Ein Musikensemble begleitete das Bühnengeschehen. Die Vorlage für das Stück ist Immanuel Kants gleichnamige Friedensschrift aus dem 18. Jahrhundert. „Ein Abgesang ist das Stück deshalb, weil wir zeigen wollen, dass es den ,Ewigen Frieden’

nie gegeben hat und nie geben wird“, erklärt Potulski. Den Kontakt zu Margot Herfeldt und Wilhelmine Wolf fand der Regisseur über das Alten- und Service-Zentrum (ASZ) Haidhausen. Dort treffen sich die beiden Damen regelmäßig; Björn Potulski ging auf das ASZ zu, weil er „den Kontakt zur Inneren Mission gerne vertiefen“ wollte.

Erinnerungen an den Krieg Trotz Herz-, Rücken- und Hörproblemen haben Margot Herfeldt und Wilhelmine Wolf keine Probe verpasst. „Wir zwei sind guter Dinge losmarschiert und machen das jetzt bis zum Schluss“, sagt Margot Herfeldt. „Ich war sehr neugierig, wie das hinter den Kulissen von so einer Produktion läuft.“ Etwas Neues könne man hier noch erleben und auch neue Bekanntschaften schließen, findet Wilhelmine Wolf. Während der Proben kommen alte Erinnerungen hoch, Erinnerungen an Tod und Gewalt. Margot Herfeldt, die ursprünglich aus Wiesbaden stammt, erlebte den Krieg ab 1940 in München. „Ich denke wieder öfter an die Luftschutzbunker und die Angst, die wir dort hatten“, erzählt sie. Aber fast noch schlimmer sei die Nachkriegszeit gewesen, findet die gebürtige Mittelfränkin Wilhelmine Wolf. „Man kann sich das heute nicht mehr vorstellen, dass wir wirklich nichts hatten. Nur der Hunger, der war immer da.“ Von den Bildern, die sie nie mehr vergessen und ihren Erfahrungen möchten die zwei 1922 geborenen Frauen etwas weitergeben. Nicht mit Worten, aber mit Blicken, Gesten und Bewegungen. Text und Foto: Julia Kreissl


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Musikprojekt in Kindertagesstätten der Inneren Mission

Den Kindergarten zum Singen bringen

Bücherausleihen wie die Großen: In der Kinderbibliothek gibt es Ausweise und Stempel.

Foto: Stefanie Otto

Neues Angebot fördert Sprachbewusstsein, Textverständnis und die Erzählkompetenz

Kita Neuhausen eröffnet Kinderbibliothek Wenn die Mädchen und Jungen der Evangelischen Kindertagesstätte Neuhausen Bücher ausleihen möchten, dann müssen sie gar nicht weit gehen: Denn seit April haben sie eine eigene Bibliothek. Ziel des neuen Angebots ist, das Sprachbewusstsein, Textverständnis und die Erzählkompetenz altersgerecht zu fördern. Das Leiterinnenbüro wurde zur Bibliothek umfunktioniert; vor der Eröffnung gab es viel zu tun: Die Kinder kürten ihre Lieblingsbücher, Eltern spendeten Lesestoff und Materialien, Bücher mussten sortiert und inventarisiert werden. In Gesprächskreisen mit den Kindern haben die Erzieherinnen ein Ausleih-Regelwerk entwickelt: Alle Kinder bekommen einen Ausweis, mit dem sie zuerst für ihre

Gruppen Bücher ausleihen dürfen. Für die Rückgabe unbeschädigter Bücher erhalten sie einen Stempel in ihren Lesewurm. Ist der ganze Wurm vollgestempelt, kann die Ausleihe nach Hause beginnen. „Wir wollen allen Kindern einen regen Umgang mit Büchern ermöglichen“, sagt Leiterin Stefanie Otto. Die Eröffnungswoche fand im Rahmen des „Literacy-Monats“ des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit, Sozialordnung, Familie und Frauen statt. „Literacy“ bezeichnet in der Kindergartenpädagogik Fähigkeiten des Lesens und Schreibens sowie Text- und Sinnverständnis. Eineinhalb Jahre nahm die Kindertagesstätte an der Sprachberatung des Evangelischen KITA-Ver-

Besuch bei Elefantenbaby Jamuna Toni

bandes und des Staatsministeriums teil. Die Mitarbeitenden besuchten Team- und Einzelcoachings sowie Fachtage rund um das Thema Sprachförderung. Während der Fortbildungen kristallisierte sich ein Ziel für die Kita heraus: „Wir wollten ein attraktives „Literacy-Center“ schaffen und dazu unsere eigene kleine Kinderbibliothek eröffnen“, berichtet Einrichtungsleiterin Stefanie Otto. Zum Abschluss der Eröffnungswoche besuchte ein Vorleseopa die Kindertagesstätte Neuhausen, der auch in Zukunft regelmäßig zum Geschichtenvorlesen kommen wird. In der Kinderbibliothek wird es künftig Gruppenangebote, Vorlesungen, freies Lesen und Schmökern sowie den Bücherverleih geben. red

Kurz gemeldet Evangelische Kindertagesstätte Himmelfahrtskirche Pasing

Der Zahn eines Elefanten ist so groß wie der Kopf eines Kindes und bis zu 200 Kilo Gras oder Heu fressen die Dickhäuter am Tag – das und mehr erfuhren die Kinder der Kindertagesstätte der Inneren Mission am Klinikum Pasing bei einer Führung im Tierpark Hellabrunn. Der Anlass für den Zoobesuch: Die Kinder haben bei einem Malwettbewerb der Firma GoYellow zum Thema „Das Elefantenbaby Jamuna Toni“ gewonnen. Bei einer einstündigen Führung erzählte Herr Lambert, ein erfahrener Führer und Elefantenpädagoge, den „Fleißigen Handwerkern“ und „Theaterspielern“ viel Wissenswertes über die grauen Riesen und den Nachwuchs im Tierpark Hellabrunn: Weil Jamuna Toni von ihrer Mutter verstoßen wurde, kümmerten sich drei Tierpfleger rund um die Uhr um sie. Leider ist Jamuna Toni vor kurzem gestorben. Renate Sutterlitte / Foto: GoYellow

Zum 1. September 2010 wird die Innere Mission die Trägerschaft der Kindertagesstätte der Himmelfahrtskirche in Pasing übernehmen. In der Einrichtung an der Alten Allee werden zwei Gruppen mit jeweils 25 Kindern im Alter von zwei bis sechs Jahren betreut. „Wir werden alle Mitarbeiterinnen übernehmen“, sagt Rosemarie Reichelt, Abteilungsleiterin Kindertageseinrichtungen der Inneren Mission. Außerdem solle die Einrichtung ihre Arbeit nach dem bestehenden Konzept weiterführen. Aufgrund der Lage sieht Rosemarie Reichelt Kooperationsmöglichkeiten mit anderen Einrichtungen der Inneren Mission: mit der Kindertagesstätte am Krankenhaus Pasing sowie mit dem Evangelischen Jugendhilfeverbund München, der in Pasing seinen Hauptsitz hat.

„Die Nase Stups“ ist der neueste Hit in der Evangelischen Kindertagesstätte Arnulfpark. Bei dem Singspiel bewegen die Kinder sämtliche Körperteile – nur die Nase bleibt unbeweglich. Das Lied, bei dem Stimme, Mimik und Gestik geübt werden, hat Kita-Leiterin Claudia Bischof bei einem Workshop des Projekts „Singende Kindergärten“ kennen gelernt. Diese Fortbildung bietet der Drogeriemarkt dm für Erzieherinnen und Erzieher an: Musikpädagogen erarbeiten zusammen mit ihnen die Lieder und Bewegungsabläufe, um das Singen spielerisch in den Alltag der Einrichtungen zu integrieren. „Häufig wird in Familien kaum mehr gesungen“, sagt Claudia Bischof. Nur wenige Kinder verfügten noch über einen Liedschatz. „Aber auch die Mitarbeitenden sollten sich mehr trauen zu singen, da gibt es schon Hemmungen“, hat die Pädagogin festgestellt. Deshalb bewarb sie sich mit ihren Kolleginnen bei dem Projekt; mit dabei sind auch das „Bienenhaus“ Feldkirchen und die Kindertagesstätte Messestadt Ost. Jeweils zwei Mitarbeitende besuchen dabei drei externe Workshops, darüber hinaus kommt ein Musikpädagoge auch zweimal direkt in die Einrichtungen. Die Teil-

nehmerinnen und Teilnehmer bekommen nicht nur neues Liedmaterial an die Hand, sondern auch Informationen zu Stimmbildung, Artikulation, zu einer guten Atmung und dem richtigen Umgang mit der kindlichen Stimme. Und das Projekt hat mittlerweile auch die Kindertagesstätte im Arnulfpark so richtig zum Singen gebracht: „Die Kinder fragen jetzt nach, ob wir gemeinsam etwas singen können“, erzählt Claudia Bischof. Julia Kreissl

Viel Spaß beim Singen haben die Kinder der Kindertagesstätte Arnulfpark. Foto: Kita Arnulfpark

Knaxiade im „Bienenhaus“ Feldkirchen

Balancierkünstler und Ballakrobaten Dodo die Balancekünstlerin und Ambros der Ball- und Wurfkünstler waren im Mai in der Kindertagesstätte „Bienenhaus“ in Feldkirchen zu Besuch. Die Figuren sind Teil der Kindergarten-Knaxiade, einer Aktion des Bayerischen Turnverbandes und der Oberbayerischen Sparkassen. Das Ziel: „Die Kinder sollen Freude an der Bewegung haben“, erklärt Anita Genz, Erzieherin im „Bienenhaus“. Auf Fortbildungen haben die Pädagogen im Vorfeld Anregungen für die Turnstunden und Tipps für den Knaxiade-Wettbewerb bekommen: Eine Woche lang konn-

ten dann die 99 Kinder der Feldkirchener Kita an fünf Stationen im Haus ihre Beweglichkeit trainieren. Sie balancierten auf Seilen, tasteten sich durch einen Irrgarten aus Bierdeckeln und Rollen, kletterten Sprossenwände hinauf und machten beim Seilhüpfen oder Dosenwerfen mit. „Da waren auch schon unsere Krippenkinder dabei“, erzählt Anita Genz. „Der Spaß und nicht die Leistung steht bei der Aktion im Vordergrund.“ Deshalb gab es bei der Siegerehrung am Ende für alle Bewegungskünstler Medaillen und Urkunden. isa

Balancieren ohne umzufallen – der Irrgarten war eine von fünf Stationen bei der Knaxiade im „Bienenhaus“ Feldkirchen. Foto: Kita „Bienenhaus“


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Deutsche Bank-Mitarbeiterin berät Kinder und Jugendliche in Finanzfragen

Raus aus der Schuldenfalle

Nebeneffekt der ersten eigenen Wohnung: Papierkram ohne Ende. Foto: Archiv

Betreutes Wohnen: „Bella Castella“ wird 15 Jahre alt

Übergang in die Selbstständigkeit Alice* war Hildegard Haldmaiers erster „Fall“, als sie vor 13 Jahren als Sozialpädagogin bei „Bella Castella“ anfing. Aus Äthiopien war die 17-Jährige nach Deutschland geflohen, vom Mädchenheim Pasing kam sie zu „Bella Castella“ – um den Schritt in ein eigenes Leben zu machen. Das Konzept von „Bella Castella“: Junge Frauen zwischen 16 und 21 Jahren wohnen zum ersten Mal in einer eigenen Wohnung – in Einzelappartements oder zu zweit in Zwei-Zimmer-Wohnungen. Eine Pädagogin unterstützt sie auf dem Weg in die Selbstständigkeit als „Ansprechpartnerin für alles, was im Leben vorkommt“. Die Bewohnerinnen kommen direkt aus ihren Familien, aus Wohngruppen oder manchmal auch von der Straße in das Betreute Wohnen. „Bei uns sollen sie lernen, für ihre Entscheidungen Verantwortung zu übernehmen“, sagt Hildegard Haldmaier, die die Einrichtung des Evangelischen Jungendhilfeverbunds München inzwischen leitet. Seit 15 Jahren gibt es „Bella Castella“, die Idee für dieses Angebot ist aus der Arbeit im Mädchenheim Pasing entstanden: Der Schritt aus der intensiven Betreuung direkt in die totale Selbstständigkeit hat oft nicht geklappt“, erzählt Hildegard Haldmaier. „Die erste eigene Wohnung wird oft idealisiert und ist mit vielen Erwartungen verbunden.“ Dabei werden aber praktische Fragen außer acht gelassen und ganz schnell zum Problem: Wie führe ich einen Haushalt? Wie teile ich mein Geld ein? Wie funktioniert das mit der Miete?

Kritische Reflexion Erschwerend komme hinzu, dass viele schon „ein großes Packerl zu tragen haben“, wenn sie zu „Bella Castella“ kommen: Einige der jungen Frauen haben eine Odyssee durch Heime und Pflegefamilien hinter sich, andere kommen aus zerrütteten Familien. Viele seien reifeverzögert. „Im Pass steht zwar schon 19 Jahre“, sagt Hildegard Haldmaier, „aber vom Alltags-Knowhow sind sie auf dem Stand von 16-Jährigen.“ „Kritische Reflexion“ bieten die Sozialpädagoginnen den jungen Frauen an. Zwei bis dreimal in der Woche treffen sie sich: Das kann eine intensive Beratung in der

Wohnung sein oder auch mal ein Cafébesuch, um Neuigkeiten auszutauschen. Sie helfen bei Schwierigkeiten in der Schule oder Ausbildung, bei Problemen mit dem Partner oder Nachbarn oder geben Unterstützung beim Umgang mit Behörden.

Start ins eigene Leben Rund zwei Jahre dauert der Übergang in die Unabhängigkeit im Durchschnitt; 58 junge Frauen haben Hildegard Haldmaier und ihre Kolleginnen bisher begleitet. „Viele haben ihre Ausbildung während der Zeit bei „Bella Castella“ beendet, das ist ganz wichtig für den Start in ein ganz eigenständiges Leben“, sagt sie rückblickend. „So viel Zeit haben heute viele nicht mehr.“ Denn gerade bei den Angeboten für junge Erwachsene werde immer mehr gespart. Diese Entwicklung betrachtet Hildegard Haldmaier mit Sorge: „Wenn wir die jungen Erwachsenen in dieser Phase nicht begleiten können, dann werden die Probleme später nur noch größer.“ Den Erfolg von „Bella Castella“ sieht Hildegard Haldmaier, immer dann wenn sie ehemalige Bewohnerinnen wiedertrifft. So wie im Fall von Alice*: Sie hatte damals eine Ausbildung zur Arzthelferin gemacht und danach ein paar Zusatzausbildungen absolviert. Jetzt will sie sich als Kosmetikerin selbstständig machen. Eine Grundlage dafür hat sie auch bei „Bella Castella“ bekommen. *Name von der Redaktion geändert Isabel Hartmann 14 Jahre lang war „Bella Castella“ eine reine Fraueneinrichtung. Seit Mai 2009 bietet jetzt „Castello“ Betreutes Wohnen für junge Männer zwischen 16 und 21 Jahren an. „Für junge Männer gibt es in diesem Bereich einen enormen Bedarf, aber ein geringes Angebot“, hat Hildegard Haldmaier festgestellt. Das neue Angebot basiert auf einer altbewährten Kooperation: Bei der Betreuung arbeiten die Pädagoginnen und Pädagogen von „Bella Castella“ eng mit den Mitarbeitern von goja, der Fachstelle für genderorientierte Jungenarbeit, zusammen. Vier junge Männer werden bereits durch „Castello“ betreut.

Einkaufen war für Anja Schipp* das Schönste. Hier einen Pulli, da ein Paar Schuhe, eine neue Tasche, eine Kleinigkeit für die Wohnung. Die 20-Jährige kaufte nicht nur in Läden, sondern auch im Internet und über Versandhäuser. Dass sie sich die Sachen eigentlich nicht leisten konnte, war ihr lange nicht bewusst. Ihr Einkommen als Bürokauffrau reichte gerade für Miete, Essen und ein paar Extras. „Doch was macht es schon, das Konto mal ein wenig zu überziehen“, dachte sie. Die Zinsen wuchsen, ebenso der Zinseszins. Rechnungen, Mahnungen, Anwaltsschreiben: Irgendwann stand dann der Gerichtsvollzieher vor der Tür. Mit gerade mal 20 Jahren musste Anja Schipp Privatinsolvenz beantragen und alles verkaufen, was nicht lebensnotwendig ist. Sechs Jahre lang kann sie jetzt nicht selbst über ihr Einkommen verfügen. Auch wenn es nicht bei allen Jugendlichen so drastisch abläuft, kennt Alexandra Repert doch viele, die Probleme beim Umgang mit dem Geld haben. Als Bereichsleiterin und Erzieherin der Evangelischen Kinder- und Jugendhilfe Feldkirchen bekommt sie immer wieder mit, dass ein Mädchen beim Schwarzfahren in der S-Bahn erwischt wurde, weil sie kein Geld mehr für die Fahrkarte hatte.

denfalle zu tappen. Die 13- bis 16Jährigen interessierten sich besonders für den Haushaltsplan, den Astrid Scharbert mitgebracht hatte. Dieser soll ihnen beim Finanz-Check helfen: Wie viel Geld kann ich überhaupt ausgeben, was sind meine Fixkosten, was kann ich sparen?

Gefährliche EC-Karte Die 16- bis 21-Jährigen mahnte sie zum sorgsamen Umgang mit der neuen Geschäftsfreiheit ab dem 18. Geburtstag: „Man kann alles machen, was man will, aber ausschließlich man selbst ist für sich und sein Geld verantwortlich.“ Eine Gefahr bestehe darin, die EC-Karte unüberlegt einzusetzen. „Man verliert leicht den Überblick, wie viel man ausgegeben hat.“ Sei das Konto erst einmal überzogen, werde man schnell von Zinsen und Zinseszinsen überrollt. Als sie ihren jungen Zuhörern die größten Schuldenfallen aufzählte, war hier und dort ein wissendes Nicken zu sehen. Schlechte Handyverträge, Ratenkredite – also jetzt kaufen und erst später be-

zahlen –, großzügige Dispokredite oder ungeplantes Konsumverhalten können schnell in die Sackgasse führen. Eindringlich warnte sie auch vor dem Internet: „Da werden irgendwelche, angeblich günstigen Klingeltöne heruntergeladen und dabei übersieht man schnell das Kleingedruckte, das einen beispielsweise ein teures Abo abschließen lässt.“ „Die Zahl der Jugendlichen, die Schulden machen, wird immer größer“, weiß Astrid Scharbert aus ihrem Berufsalltag. Vielen fehle einfach das Verständnis für den richtigen Umgang mit Geld. Doch bei ihrem Vortrag wollte sie den Jugendlichen nicht nur Schreckgespenster vorführen. Sie spornte sie auch an, nicht „nachzusparen“, was man bei einem Kredit machen müsse, sondern „vorzusparen“. „Aus Zeit wird Geld“, so Scharbert. Wenn man über zehn Jahre jeden Monat nur 50 Euro weglege, bekomme man am Ende rund 1.300 Euro mehr heraus, als man angelegt habe. „Dafür kann man sich auch mal etwas leisten, ganz ohne schlechtes Gewissen.“ Doris Richter * Name von der Redaktion geändert

Hilfreicher Haushaltsplan Oder ein Junge hat Schulden, weil er unbedingt ein neues Handy haben wollte. „Gerade die Jugendlichen, die in unseren Wohngruppen leben, haben aber nur ein sehr begrenztes Budget“, erklärt Repert. Deshalb hat sie sich professionelle Hilfe ins Haus geholt. An zwei Abenden erklärte Astrid Scharbert von der Deutschen Bank erst den 13- bis 16-Jährigen, tags darauf den 16- bis 21-Jährigen eine Stunde lang, worauf man achten sollte, um nicht in die Schul-

Ohne Moos nix los! Ebbe im Geldbeutel muss nicht sein.

Foto: Erol Gurian

Talentwettbewerb der Evangelischen Kinder- und Jugendhilfe

Feldkirchen feiert seine Superstars FSDS – „Feldkirchen sucht den Superstar“ hieß es im Mai im Crux-Club in der Münchner Innenstadt. 14 Kandidaten aus den Wohngruppen der Evangelischen Kinder- und Jugendhilfe Feldkirchen rockten bei dem Wettbewerb das Haus. Das Showprogramm reichte von einer A-CapellaDarbietung über Fußballtricks bis hin zur Tanzperformance. Das Vorbild für FSDS war die Sendung „Deutschland sucht den Superstar“. „Mit der Talentshow wollen wir das Selbstbewusstsein unserer Jugendlichen stärken. Sie sollen sehen, dass sie zusammen etwas richtig Gutes zustande bringen“, sagt Petra Gruber, Leiterin der Wohngruppe Leuchtturm und Organisatorin des Wettbewerbs. Prominente Unterstützung bekamen die Nachwuchs-Stars von Michael Kern: Der Münchner Szene-Gastronom, der selbst einmal im Feldkirchener Kinderheim gewohnt hat, stellte den Crux-Club

mitsamt Crew und Getränken für den FSDS-Abend zur Verfügung. Drei Monate lang haben die Kandidaten vor dem Finale an Gesang, Choreographie und Outfit gefeilt – und drei Vorcastings überstanden –, um beim Finale zu punkten. Die Jury: Elisabeth Brich

und Sabine Frömel, Berufspraktikantin und Sozialpädagogin bei den Leuchttürmen und Achim Weiss, der mit seinen Sprüchen Dieter Bohlen Konkurrenz machte: „Den Stoff für die Kleider habt ihr wohl Eurer Oma geklaut“, monierte der Leiter der Kinder- und Jugendhilfe Feldkirchen zum Beispiel. „Die hat jetzt keine Gardinen mehr vor dem Fenster.“ Allzu strenge Bewertungen machte das Publikum mit Stofftierregen, minutenlangem Applaus und selbstgemalten FanPlakaten sofort wieder wett. Die Konkurrenz war groß, der Sieg war knapp. In der Gruppe der jüngeren Künstler gewannen Clara und Nicole mit „I like“ von Keri Hilson. Am Ende der Runde der älteren Kandidaten stand fest: Der Superstar ist Jana (Mitte) – mit ihrer Performance von James Morrisons „Broken Strings“ überzeugte sie Jury und Publikum. Für das nächste Jahr ist eine zweite Staffel von FSDS geplant. Text und Foto: isa


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Internationales Literaturmenü stellt in der Stadtbibliothek Giesing und im Gemeindehaus der Lutherkirche verschiedene Kulturen vor

Geschichten, Gerichte und Gesang zum Genießen „Jedes Volk hat seine Geschichten“, sagt Monika Wendel. Von einem Streit zwischen einem Kartoffelhändler und einem Gemüsehändler handelt die erste Geschichte, den der weise Onkel Salim mit einer Parabel von den hochnäsigen Pinien und den stolzen Olivenbäumen schlichtet. Geschichten und Musik aus dem Orient sowie typisch türkische Gerichte standen beim Literaturmenü auf dem Programm. Kochen, erzählen, zuhören – unter diesem Motto organisieren Sabine Schirlitz vom Fachdienst für ältere Migrantinnen und Migranten, Iris Krohn von der Migrationsberatung in Obergiesing und Gaby Dannert von der Nachbarschaftshilfe-deutsche und ausländische Familien zusammen diese Veranstaltung.

Neue Kontakte knüpfen Das Prinzip ist einfach: In der Stadtbibliothek Giesing gibt es Geschichten und Musik aus einer Region, zum Beispiel aus Russland, Griechenland oder Thailand; im Gemeindehaus der Lutherkirche kocht eine Gruppe währenddessen ein landestypisches Menü. „Wir wollten eine Veranstaltung organisieren, die Spaß macht und die Menschen zusammenbringt“, sagt Iris Krohn. „Die Teilnehmenden des Literaturmenüs lernen das Angebot der Stadtbibliothek kennen und knüpfen untereinander Kon-

takte, vielleicht entstehen ja auch Freundschaften.“ Denn dass das Zusammenleben zwischen unterschiedlichen Kulturen und Religionen nicht immer leicht ist, das zeigen die Geschichten, die Monika Wendel in der Stadtbibliothek erzählt. So wie die von den Pinien und Olivenbäumen, die sich gegenseitig nicht ausstehen, aber sich auch nicht aus dem Weg gehen können. Als ein Streichholz die Pinien verbrennen möchte, hören diese nicht auf die Warnungen des alten Olivenbaums und schließlich steht der ganze Wald in Flammen. „Geschichten sind im Orient sehr wichtig; Kinder und Erwachsene können etwas aus ihnen lernen“, sagt Sabine Schirlitz. „Die Profession des Geschichtenerzählers wird dort sehr geschätzt.“ Oft gehe es in den Texten um Lebensweisheiten, die mit viel Witz erzählt werden – zum Beispiel über Eitelkeit und um ein soziales Miteinander. Begleitet wird die Geschichtenerzählerin Monika Wendel von Ahmet Mavruk auf der Ud, einer Kurzhalslaute, und Savas Tetik mit der Darbuka, einer kelchförmigen Trommel. Währenddessen ist im Gemeindesaal Salatschnippeln und Köfteformen angesagt. Bernhard Riedmüller hat schon Gurken geschält, gehobelt und ausgepresst, jetzt rührt er in einer großen, silbernen Schüssel festen Joghurt, Salz und

Knoblauch dazu. „Das ist Cacik, das ist dem griechischen Tsatsiki ähnlich“, sagt er. Das Gericht kennt er schon von einer Reise in die Türkei. Beim Literaturmenü ist er, weil er gerne kocht und etwas mit anderen Leuten macht.

Gutes und deftiges Essen

M „Etwas mehr Joghurt und dann fest rühren“, erklärt ihm Saadet Güc, die Küchenchefin für die rund 15 Hobby-Köche. Die ausgebildete Erzieherin hat ihre Kochfertigkeiten von ihrer Mutter gelernt. „Essen hat in der Türkei einen anderen Stellenwert“, erzählt sie. So wie in ihrem Heimatdorf: „Dort nehmen sich die Leute viel Zeit zum Essen, sie essen fünfmal am Tag und zwar richtig gut und deftig.“ Eine Auswahl von typisch türkischen Gerichten steht nach zwei Stunden Kochen auf dem Buffet für die rund 60 Teilnehmenden des Literaturmenüs: Salat mit Schafskäse, Bulgur mit Köfte, Auberginenmus und als Nachspeise Kadayif, ein Sirup mit Teigfäden. Und das Ende der Geschichte von den Pinien und Olivenbäumen? Die haben ein Miteinander gefunden: Seit dem großen Brand hören alle Pinien der Welt die Berichte der Olivenbäume über das, was auf dem Boden geschieht. Und die Olivenbäume lauschen aufmerksam dem, was die Pinien von der Ferne erzählen. isa

Kurz gemeldet Sozialdienst für Flüchtlinge und Asylbewerber

Lesung über das Leben jugoslawischer Gastarbeiter

„39 Jahre zum Nachdenken“ Das Schuften in der Fabrik, die ersten selbstverdienten DM, die seltenen Besuche in der Heimat – Geschichten, Gedichte und Gedanken über Leben und Arbeit der Gastarbeiter aus dem ehemaligen Jugoslawien standen bei einer interkulturellen Lesung im Karl-Buchrucker-Saal im Mittelpunkt: Jasmina Baric´, Bratislav Rakic´, Margarete Löwensprung und Mira Baric´ (v.r.n.l.) trugen die Texte auf Deutsch, Serbisch und Kroatisch vor. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand das Buch „39 Jahre zum Nachdenken“, das Bratislav Rakic´ zusammen mit Margot Marquardt herausgegeben hat. Mehr als zehn Jahre lang hat er Erzählungen, Gedichte, Briefe und Photos jugoslawischer Migranten

in Deutschland zusammengetragen. Sie erzählen von Erwartungen und Enttäuschungen, Hoffnungen und Heimweh, Fremde und Familie. „Das Buch zeigt die innere Spannung, die das Leben in zwei Kulturen hervorruft. Das ist gleichzeitig eine Belastung und eine Bereicherung“, sagte Laudatorin Milica Klose (links im Bild) von den Migrationsdiensten der Inneren Mission, die die Veranstaltung zusammen mit dem Serbisch-Deutschen Kulturverein „OKO“ aus Augsburg organisiert hat. Erinnerungen an die alte Heimat weckten auch eine Vernissage, die Musiker Milena Jovanovic´ (Harfe), Marko Jovanovic´ (Tamburica) und Sasˇa Mihailovic´ (Gitarre) sowie die Folkloregruppe „Jelek“. Text und Foto: Isabel Hartmann

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Im April hat der Sozialdienst für Flüchtlinge und Asylbewerber das Projekt „Dublintoo“ gestartet: Drei Sozialpädagogen beraten und betreuen Asylbewerber in der Erstaufnahmeeinrichtung in der Baierbrunner Straße, die vom „Dublin II-Verfahren“ betroffen sind. Auf Basis der EU-Verordnung „Dublin II“ werden Asylsuchende, die über ein sogenanntes sicheres Drittland nach Deutschland gekommen sind, wieder in dieses abgeschoben. „Das ist bei ungefähr der Hälfte der Asylsuchenden der Fall“, schätzt Elisabeth Ramzews, Leiterin des Sozialdienstes für Flüchtlinge und Asylbewerber. Die Rückführung erlebten die Betroffenen oft als sehr plötzlich und traumatisch. „Wir möchten ihnen den Schrecken nehmen, indem wir sie über das Verfahren informieren und Kontakte zu sozialen Organisationen im Zielland knüpfen.“ Zudem sei die Abschiebung in einigen Fällen nicht gerechtfertigt, zum Beispiel, wenn ein Asylbewerber Familie in Deutschland habe oder an einer schweren Krankheit leide. Das Projekt, das durch den Europäischen Flüchtlingsfonds und Eigenmittel der Inneren Mission finanziert wird, läuft bis Ende Dezember 2010.

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b b Noch etwas Salz kommt in den Salat, den Saadet Güc (r.) und Inge Bürger für das Literaturmenü zubereiten. Foto: Isabel Hartmann

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IJZ Haidhausen: Angebot für zukünftige Autofahrer

Frühjahrsputz für Autos Pimp my Car – oder zu Deutsch „das Auto auffrischen“ – hieß es im Mai im Internationalen Jugendzentrum (IJZ) in Haidhausen. Das Objekt des Frühjahrsputzes: ein fast 20 Jahre altes Mazda-Cabrio mit stumpfem Lack, einigen Dellen und vergilbtem Verdeck. „Das wird nix mehr“, konstatierten die Jugendlichen des IJZ. „Wie sollen wir aus der Karre wieder ein tipptopp Auto machen?“ Es war harte Arbeit: Politur auftragen und polieren, staubsaugen, Kunststoffreiniger gezielt einsetzen

und kräftig schrubben. Nach einer Woche kräftigen Werkelns war es geschafft – das Cabrio erstrahlte in neuem Glanz. Warum das Ganze? Die Jugendlichen aus dem IJZ stehen kurz vor dem Führerschein und sollen so lernen, die Schwachstellen zu erkennen, wenn sie einen Gebrauchtwagen kaufen wollen. Pflegetipps und technische Hinweise gibt es noch dazu – und die machen sich für die angehenden Autofahrer bestimmt bezahlt. Uwe Hegeler

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Vorbereitung für den Führerschein: Großreinemachen im Internationalen Jugendzentrum (IJZ) Haidhausen. Foto: Uwe Hegeler


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Interkulturelle Akademie bietet Führungen durch das Bahnhofsviertel an

Beruf und Bildung unterstützt griechische Schüler

Kurz-Trip durch den Münchner Orient Wege zum Traumberuf Tor des Münchner Orients – so heißt die Bayerstraße umgangssprachlich. Denn wer durch sie oder eine der belebten Seitenstraßen schlendert, der stößt auf türkische Gemüsegeschäfte, persische Restaurants und arabische Goldhändler. Eine Kurzreise durch den Münchner Orient bietet die Interkulturelle Akademie der Inneren Mission an: Die promovierte Islamwissenschaftlerin und Ethnologin Elisabeth Siedel zeigt auf ihrer zweistündigen Führung „Zwischen Moscheen und Basaren“ das unbekannte Münchner Bahnhofsviertel. Dabei gibt es viel zu entdecken: das Gleis 11, an dem in den 50er Jahren die ersten Gastarbeiter in München ankamen, Moscheen, die man nur durch eine Plakette an der Hauswand erkennt, Kulturvereine, die sich in Hinterhöfen verbergen. Und zahlreiche Geschichten, die von den Menschen in diesem Viertel erzählen.

Internationale Geschäfte Zum Beispiel von Tahir Minareci: In der Bayerstraße 37, in einem hässlichen Betonklotz, hat er vor gut dreißig Jahren mit einem Videohandel für Türken in Deutschland begonnen. Das Angebot reichte von Heimatschnulzen bis hin zu religiösen Videos. Produziert wurden die Filme in Istanbul, vertrieben in Deutschland, die Geschäftsbeziehungen reichten bis nach Australien. Daraus entwickelte sich mit der Zeit ein Import-Export-Geschäft, das immer noch im Besitz der Familie ist: In dem Laden, heute von einem Trachten-Outlet und einem Dönerladen flankiert, stapeln sich CDs, Wasserpfeifen und Modeschmuck, davor hängen rosa Rüschenkleider für Babys und Bauchtanzgürtel in Hellblau, Gelb und Orange.

Orient trifft Okzident Die Gegend rund um den Hauptbahnhof wurde ursprünglich als großbürgerliches Viertel konzipiert; nach dem Zweiten Weltkrieg ist es zur Heimat vieler Nationen geworden. „Viele Ausländer zogen hierher, weil die Mieten niedrig waren“, erzählt Elisabeth Siedel. „Erst in den 90er Jahren haben sich auch mehr und mehr multikulturelle Geschäfte und Unternehmen angesiedelt.“ Und deren Angebot richtet sich Die Interkulturelle Akademie (IKA) bietet seit April 2009 Fort- und Weiterbildungen sowie Diskussionsforen und Seminare zu den Themen Interreligiöser und Interkultureller Dialog, Integration und Migration an. Sie stellt anderen Abteilungen und Einrichtungen interkulturelles Fachwissen zur Verfügung. Für 2010 sind unter anderem Veranstaltungen zum Buddhismus, muslimischen Frauenund Männerbild und zur liberalen jüdischen Gemeinde München geplant. Nächster Termin: 7.- 8. Juli, Exkursion zum tibetischen Kloster „Tashi Rabten“ in Feldkirch (Österreich).

Als großbürgerliches Viertel wurde die Gegend um den Hauptbahnhof ursprünglich konzipiert, in den vergangenen Jahrzehnten haben sich dort viele multikulturelle Geschäfte angesiedelt. Fotos: Erol Gurian ganz nach dem Bedarf der Anwohner: Es gibt islamische Beerdigungsinstitute, Supermärkte mit Lebensmitteln, die „halal“ sind, also den Vorgaben des Korans entsprechen, Boutiquen, die das passende Outfit für islamische Festlichkeiten anbieten. „Mittlerweile ist das Viertel unter den verschiedenen Nationen aufgeteilt“, erklärt die Stadtführerin. Persische Läden konzentrierten sich jenseits der Arnulfstraße rund um die Karlstraße, arabische Restaurants und Geschäfte hätten sich eher in der Schillerstraße angesiedelt, die Landwehr- und die Goethestraße seien fest in türkischer Hand. Dort steht auch das Hotel Goethe. Der Besitzer Mahir Zeytinog ˇ lu kam in den 70er Jahren nach

München, arbeitete in der Stadtgärtnerei und eröffnete einen Import-Export-Laden, bevor er ins Hotelgewerbe wechselte. Als Mitglied des Münchner Ausländerbeirats engagierte er sich für das Miteinander von Türken und Deutschen. Und das ist auch in seinem Hotel sichtbar: Im Eingangsbereich stehen Lederfauteuils und Wasserpfeifen, an der Wand hängt ein Porträt von Atatürk – neben dem von Goethe. Orient und Okzident im Münchner Bahnhofsviertel. Die nächste Führung „Zwischen Moscheen und Basaren“ findet am 22. September um 16.30 Uhr statt; die Anmeldung ist unter ika@im-muenchen.de möglich. www.interkulturelle-akademie.de Isabel Hartmann

Pixida heißt ein neues Projekt der Beruf und Bildung und das hat einen guten Grund. Denn Pixida, auf Deutsch Kompass, soll Jugendlichen an den griechischen Schulen in München Orientierung auf dem Weg ins Berufsleben geben: zum Beispiel bei der Suche nach dem Traumberuf helfen, die Alternativen und Anforderungen des Studien- und Arbeitsmarktes in Deutschland und in Griechenland aufzeigen und so den Übergang von Schule zu Beruf oder Studium erleichtern. Seit diesem Jahr unterstützen die Sozialpädagogen der Beruf und Bildung im Rahmen der Projekte Pixida und Kompass Jugendliche an den griechischen Schulen am Schatzbogen und in der Schleißheimer Straße direkt vor Ort. „Damit haben wir ganz andere Möglichkeiten“, sagt Joachim Berg, Leiter der beiden Projekte. „Wir freuen uns, dass unsere Arbeit bei den Schülern gut ankommt.“ Bedarf dafür ist auf jeden Fall da: Denn die griechischen Privatschulen, die vom Bayerischen Kultusministerium und vom griechischen Staat gefördert werden, bereiten eher auf ein Studium in Griechenland vor. Um dort – oder in Deutschland – studieren zu können, müssen die Jugendlichen die panhellenischen Prüfungen, die Aufnahmeprüfungen für die griechischen Hochschulen, bestehen. „Das schafft etwa nur die Hälfte“, schätzt Joachim Berg. „Und viele stehen dann ganz ohne Abschluss da.“ Denn der Abschluss der dreistufigen Schule wird in Bayern nicht anerkannt, den Qualifizierten Hauptschulabschluss

(Quali) und die Mittlere Reife können die Schüler nur extern ablegen. Diese Lücke soll das dreijährige Projekt Pixida, das von der EU und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert wird, schließen: Dazu gehören Mathe- und Deutschförderkurse und – damit die Jugendlichen einen deutschen Abschluss in der Tasche haben – Vorbereitungskurse für den Quali. Geplant sind außerdem Sozialkompetenztrainings, Seminare zur Berufsorientierung, Betriebsbesichtigungen, Bewerbungstrainings und Interkulturelle Projekttage. Dabei baut Pixida auf dem Projekt Kompass auf. Seit 2008 sind die Berater der Beruf und Bildung mit Unterstützung der EU, des Bayerischen Kultusministeriums und der Agentur für Arbeit in Sachen Berufsorientierung aktiv. Sie sprechen in Schulklassen über die Anforderungen der verschiedenen Berufe, bereiten die Schüler auf Bewerbungsgespräche vor und helfen bei der Suche nach einem Praktikum: Einen Platz als Comiczeichner haben sie schon vermittelt, einen als Modedesigner und als Radio-Redakteur. Ein zentraler Punkt ist für Joachim Berg dabei die Elternarbeit: „Die Eltern und die Selbstorganisation der Eltern in den Elternvereinen spielen eine wesentliche Rolle bei der Berufsorientierung der griechischen Schüler“, sagt er. „Deshalb wollen wir ihnen zeigen, welche Alternativen zum Studium in Griechenland für ihre Kinder in Deutschland bestehen.“ www.projekt-pixida.eu Isabel Hartmann

Sprechstunde für Arbeitsrecht

Eine Sprechstunde für Arbeitsrecht gibt es seit Mai immer mittwochs im Münchner Arbeitslosenzentrum (MALZ). Fachanwälte für Arbeitsrecht vom Münchener AnwaltVerein beraten dort Bürger, die arbeitsrechtliche Fragen haben. „Viele Menschen suchen einen Anwalt zu spät oder auch gar nicht auf“, sagt Petra Heinicke, die Erste Vorsitzende des Münchener AnwaltVereins (im Bild rechts mit Bettina Gütschow, Beraterin im MALZ, und Michael Dudek, Geschäftsführer des Münchener AnwaltVereins). „Schlecht informiert verzichten manche von ihnen auf ihre Rechte im Arbeitsleben.“ Dass der Bedarf an arbeitsrechtlicher Beratung groß ist, hat auch Bettina Gütschow, Beraterin im MALZ, bei ihrer Arbeit festgestellt: „Immer wieder kommen Menschen zu mir, die die Frist für eine Kündigungsschutzklage verpasst haben, weil sie nicht informiert waren.“ Eine Rechtsberatung sei zum Beispiel auch sinnvoll, wenn Mitarbeiter nicht wahrheitsgemäße oder nicht angemessene Abmahnungen erhalten. Die Sprechstunde für Arbeitsrecht findet jeden Mittwoch ab 17 Uhr im Münchner Arbeitslosenzentrum in der Seidlstraße 4 statt. Die Beratung kostet zehn Euro und ist pro Person einmal im Jahr möglich. Voraussetzung ist, dass noch kein Anwalt eingeschaltet wurde. Weitere Informationen gibt es unter der Telefonnummer 12 15 95 - 23 oder der E-Mail malz@diakonia.de. www.malz-muenchen.de Isabel Hartmann / Foto: Gerhard Seibold


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SPDi Ebersberg: Aktivierungsgruppe für psychisch kranke ältere Menschen

„Um nichts in der Welt möchte ich diese Stunden verpassen“

Großer Auftritt beim Ökumenischen Kirchentag: die Trommler von „Hakuna Matata“ mit ihrer Show „Epilepi, aber Happy“. Ganz links Petra Haug. Foto: Guz Gutmann

Seit zehn Jahren gibt es in Ramersdorf eine WG für Menschen mit Epilepsie

Im Rhythmus eines neuen Lebens Das Klavier ist nicht zu sehen, aber es muss ganz in der Nähe sein. Leise, suchende Töne, die Melodie baut sich nur zögerlich auf. Immer wieder das gleiche Stück, die gleichen schwierigen Stellen, der Spieler wird stetig besser. Nur nicht aufgeben. Der Klavierspieler sitzt in einem großen alten Haus in Ramersdorf. Früher hatte hier eine einzelne Familie sehr viel Platz; für die acht Bewohner, die es heute hat, ist es etwas eng. Es gibt einen großen Garten mit einer Laube – von den Bewohnern selbst gebaut –, viele Bäder, ein Wohnzimmer mit Videobeamer und eine große Wohnküche. Eine typische WG eben, so sieht es aus – dabei ist diese Einrichtung einzigartig in München. Denn hier leben keine Studenten, sondern Menschen mit Epilepsie.

Weg in eigenständiges Leben Jeder meint, Epilepsie zu kennen und will doch nicht allzu viel von den Krampfanfällen wissen. Epileptische Anfälle entstehen durch eine Übererregung im Gehirn; die Nervenzellen entladen sich und schaukeln sich gegenseitig hoch. „Die Krankheit hat neben der neurologischen aber auch eine psychische Ebene“, sagt Alexander Thomas, der Leiter der Einrichtung. „Bei einigen Betroffenen funktioniert die Teilhabe am normalen Leben nicht mehr.“ Deshalb brauchen sie Hilfe. Und Sozialpädagoge Alexander Thomas bietet mit seinem Team genau diese Hilfe an. Thomas ist ein freundlicher Mann, er lächelt viel und spricht mit leichtem Singsang in der Stimme. Er erzählt: „Vor über 15 Jahren hat die Innere Mission die Trägerschaft für eine Beratungsstelle für Epilepsiekranke übernommen.

Dort hat man sich gedacht, dass es auch ein spezifisches Angebot im Bereich Wohnen braucht.“ Und so wurde vor zehn Jahren die WG gegründet. Seit drei Jahren gibt es auch Angebote für Menschen mit Epilepsie, die in ihrem eigenen Zuhause wohnen. Und seit diesem Jahr unterstützen die Betreuer auch Menschen mit anderen neurologischen Erkrankungen, etwa Schädel-Hirn-Verletzungen oder Multipler Sklerose. Das Ziel in der WG: Wieder herauswachsen, draußen ein eigenständiges Leben führen. Petra Haug hat das geschafft. Die 33Jährige kam 2002 nach einer langen Leidensgeschichte nach Ramersdorf: Die ersten epileptischen Anfälle hatte sie mit 14, zuerst nur nachts. Mit der Augenoptikerlehre war sie fast fertig, aber dann bekam sie auch tagsüber Anfälle und niemand wollte sie mehr nehmen. „Was sollen wir mit einer Epileptikerin“, haben die Leute gesagt. Hinzu kamen Probleme in der Familie. Mit 25 konnte sie nicht mehr. Sechs Wochen in einer speziellen Klinik und ein paar Jahre in der WG haben Petra Haug ins Leben zurückgebracht. „Ich wollte doch wieder raus, in eine eigene Wohnung“, erzählt sie. „Also habe ich meine alten Hobbys wieder angefangen.“ Und dazu gehörte auch Musik.

Mannschaftssport Trommeln Seit fünf Jahren gibt es in der WG verschiedene Projektgruppen, an denen die Bewohner nach Lust und Laune teilnehmen können: Einen „Bautrupp“, eine Kreativgruppe und eben die Musik. Für die ist Alexander Tchelebi zuständig. Der Heilpädagoge und Musiktherapeut war selbst epilepsiekrank, heute betreut er zwei Trommelgruppen

mit aktuellen und ehemaligen WG-Bewohnern. „Trommeln ist musikalischer Mannschaftssport“, erklärt Tchelebi. „Die Gruppe wächst zusammen, neurologisch wird viel angeregt.“ Jeder kann das trainieren, was er braucht: die Motorik der Hand nach einer Halbseitenlähmung „oder auch, seinen Platz in einer Gruppe zu finden“. Die Gruppen heißen „Hakuna Matata“ – das heißt „mach’ dir keine Sorgen“ – und „Munix HamptiDampti“.

„Was ist das?“ fragt Luzia WelderKisters. Aufmerksam schauen sechs Frauen auf die rote Pflanze in ihrer Hand. „Eine Tulpe“, sagt Hilde Meyer*. „Das sieht ein bisschen aus wie eine rote Paprika“, findet Erna Widenmayer* und kichert. Das Thema Blumen steht an diesem Freitagvormittag im Mittelpunkt der Aktivierungsgruppe, die die Sozialpsychiatrischen Dienste (SPDi) Ebersberg seit einem guten halben Jahr jede Woche anbieten. „Wir möchten damit ermöglichen, dass sich psychisch kranke ältere Menschen treffen und aktiv ihre Lebensqualität verbessern können“, sagt Martina Kasper, gerontopsychiatrische Fachkraft bei den SPDi Ebersberg. Die Fähigkeiten der Besucher zu erhalten und eventuell auch zu reaktivieren – das ist ein Ziel der Aktivierungsgruppe, sei es beim gemeinsamen Frühstück, beim Turnen im Stuhlkreis, beim Gedächtnistraining oder eben beim Blumenbestimmen. Wichtig ist für Leiterin Luzia Welder-Kisters, die individuellen seelischen und körperlichen Bedürfnisse der Besucher zu berücksichtigen. Dafür sorgen auch die geschulten Helferinnen Ilinka LozancicHamedani, Sabine Bettinger-Hans und Ingrid von Eichborn. Vier Stunden verbringen sie mit den

fünf Teilnehmern der Gruppe, sie kochen gemeinsam, spielen oder ratschen ganz einfach – über selbstgemachte Marmelade, den letzten Arztbesuch oder den eigenen Garten. Zusammen mit den rüstigeren Besuchern besorgen die Helferinnen im Supermarkt die Zutaten für das gemeinsame Mittagessen, die anderen drehen in der Zwischenzeit eine Runde um den Block. Martina Kasper hat die Gruppe ins Leben gerufen, weil sie bei ihrer Arbeit festgestellt hat, dass ein Angebot für ältere psychisch kranke Patienten bisher gefehlt hat. Die Aktivierungsgruppe ist für diese Zielgruppe maßgeschneidert: Ein ehrenamtlicher Fahrdienst holt die Besucher ab, die Kosten für die Teilnahme übernimmt bei Personen mit einem erhöhten Betreuungsbedarf die Pflegeversicherung. Ein weiterer Effekt: Auch die pflegenden Angehörigen werden durch die Aktivierungsgruppe entlastet und bekommen hier praktische Hilfe. Die gute Gesellschaft ist das Beste an der Gruppe, da sind sich die Besucher und die Helferinnen einig. Oder wie Hilde Meyer es ausdrückt: „Um nichts in der Welt möchte ich diese Stunden verpassen.“ *Namen von der Redaktion geändert Isabel Hartmann

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Beim Klettern das Selbstvertrauen stärken

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Auftritt beim Kirchentag Beide laufen prächtig, viele Bewohner spielen bei beiden Combos mit. Tchelebi unterstützt die Trommler auch mit seiner eigenen Band „Stravanza“. Ihr größter Erfolg: Ein Auftritt beim Ökumenischen Kirchentag im Mai in München – nicht auf irgendeiner winzigen Bühne, sondern auf dem Marienhof. „Alles ist gut gegangen, Hut ab vor den Teilnehmern“, sagt Tchelebi. Und Petra Haug, die auch dabei war, grinst stolz: „Früher haben sie Applaus bekommen, weil sie eine Behinderung haben. Heute kriegen sie Applaus, weil sie so gute Rhythmen spielen.“ Am 2. Juli, beim Jubiläum der Wohngemeinschaft für Menschen mit Epilepsie, waren sie alle dabei: „Hakuna Matata“, „Munix Hampti-Dampti“, „Stravanza“ und der einarmige Saxophonist Stefan Tiefenbacher. Auch Petra Haug trommelt immer noch mit, obwohl sie nicht mehr in der WG wohnt. Sie hat Aussicht auf einen Umschulungsplatz zur Zweiradmechanikerin beim „Dynamo Fahrradservice“, bei dem sie seit einiger Zeit arbeitet. Sie sagt: „Mir macht das Leben jetzt total viel Spaß.“ Susanne Zott

Wo sind meine Grenzen? Wie überwinde ich sie? Kann ich mich auf andere Menschen verlassen? Antworten auf diese Fragen bekommen Besucher der Psychiatrischen Tagesstätte Sonnenhaus in Bogenhausen an einem ungewöhnlichen Ort: beim Klettern im Heaven’s Gate – zu Deutsch Himmelspforte. Zusammen mit Klettertrainerin und Erlebnispädagogin Ulli Dietrich lernen psychisch kranke Menschen zwischen 40 und 55 Jahren Sicherungs- und Abseiltechniken, die richtigen Tritte und Handgriffe und die Zusammenarbeit mit den Kletterpartnern. Auf die Idee mit der Klettergruppe ist Stephanie Richardi-Schippling, Leiterin der Tagesstätte, durch einen Zeitungsartikel gekommen: „Das ist eine ideale Aktivität für psychisch kranke Menschen“, sagt sie. Viele Erfahrungen, die man dabei mache, ließen sich auch im Alltagsleben anwenden: Beim Klettern lernten die Klienten der Tagesstätte ihre Ängste zu überwinden sowie Vertrauen zu sich und anderen Menschen aufzubauen. Zehn Mal geht es zum Klettern; das Angebot wird von der Franz-BeckenbauerStiftung finanziert. „Es war eine tolle Erfahrung für alle“, resümierte Richardi-Schippling nach der ersten Stunde: Etwas nervös seien die Teilnehmerinnen am Anfang gewesen. Aber sobald es die Wände hochging, habe sich „die Skepsis in Begeisterung gewandelt“. Isabel Hartmann / Foto: Julia Kreissl

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Die Beratungsstelle für anschaffende Frauen Mimikry wird 20 Jahre alt

„Du arbeitest mit Prostituierten?!“ Am 2. Juni ist internationaler Hurentag. Kaum einer kennt diesen Tag, auch die nicht, denen er gewidmet ist. „Wir hatten für jede Frau eine Blume dabei und haben

ersten zehn Jahren von Mimikry bei rund 1.000, jetzt leben rund doppelt so viele Frauen in der Landeshauptstadt vom „ältesten Gewerbe der Welt“.

nen geschrieben hat. Das Prostitutionsgesetz von 2002 ist ein Schritt auf diesem Weg. Seitdem ist Prostitution nicht mehr sittenwidrig, es kann einen Arbeitsvertrag zwischen Frau und Bordellbesitzer geben. Dieser würde auch die soziale Absicherung ermöglichen, zum Beispiel durch eine Kranken- und Rentenversicherung.

Flyer in zehn Sprachen

Zweierlei Arbeit im Rotlichtviertel: Die Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle Mimikry betreuen Frauen, die hier anschaffen. Foto: Kristina Gottlöber ihr diese überreicht“, erzählt Sabine Skutella, Sozialpädagogin und stellvertretende Leiterin der Beratungsstelle Mimikry. An diesem Tag hat sie als Streetworkerin mit einer Kollegin Prostituierte an ihrem Arbeitsplatz besucht, die Überraschung dort war groß, wusste doch keine von der Besetzung einer Kirche in Lyon durch 100 Kolleginnen am 2. Juni 1975. Damals wollten die anschaffenden Frauen auf ihre schlechte Situation aufmerksam machen – und heute?

Viele Veränderungen „Es hat sich viel verändert in den 20 Jahren, die ich bei Mimikry arbeite“, sagt Skutella. Mimikry ist eine Beratungsstelle des Evangelischen Hilfswerks München für Prostituierte. Ihren Ursprung hat die Anlaufstelle, die sich heute in der Dreimühlenstraße befindet, in der „Mitternachtsmission“, die 1935 Wilhelm Knappe, Pfarrer an der Matthäuskirche, gegründet hatte. Bis 1989 betreuten Schwestern die Frauen, dann kam mit dem sozialpädagogischen Fachpersonal auch die Umbenennung der sozialen Einrichtung in Mimikry. Seitdem hat Mimikry viele Veränderungen durchlaufen. In den Anfangsjahren gab es ein Café und Betreutes Wohnen, heute bietet das Team in erster Linie Beratung und Unterstützung in allen Lebenslagen. Seit 1994 gibt es im gleichen Haus auch die Anlaufstelle Marikas für anschaffende junge Männer. Die Zahl der anschaffenden Frauen in München lag in den

„Früher gab es kaum Ausländerinnen, die anschaffen gingen“, erinnert sich Skutella, die in ihrer Anfangszeit als Streetworkerin hauptsächlich auf dem Straßenstrich unterwegs war. „In München gab es 1990 schon Sperrbezirke, die die Prostitution an den Rand gedrängt haben.“ Und das hat vielfältige Folgen für die Sexarbeiterinnen: So ist auf dem Straßenstrich an der Ingolstädter Straße seit dieser Zeit nur noch die „Anbahnung“, nicht mehr aber die „Ausübung“ gestattet, wie es im Beamtendeutsch heißt. Für die Prostituierten bedeutet das entweder, mit dem Freier in eine von ihnen bezahlte Absteige fahren zu müssen, oder illegal im Auto zu arbeiten, wollen sie den Kunden nicht verlieren. Auch die Klagen von Anwohnern in Pasing im Jahr 2004, erinnert sich Skutella, hätten viele Prostituierte die Existenz gekostet: Denn ein Haus, in dem Prostituierte arbeiteten, wurde kurzerhand in den Sperrbezirk aufgenommen. Die Frauen hatten langfristig Geld in ihre Räume investiert, das nun verloren war.

Kampf um Akzeptanz „Ich wünsche mir, dass Prostitution endlich als das wahrgenommen wird, was es ist: ein Stück Normalität“, sagt die Sozialpädagogin. Eine Prostituierte sei nicht gleichzusetzen mit einem „Opfer“ – und ein Kunde sei nicht automatisch ein „Gewalttäter“. Die gesellschaftliche Akzeptanz von anschaffenden Frauen ist ein Ziel, das sich Mimikry auf die Fah-

„Ich habe allerdings noch keine Frau mit Arbeitsvertrag getroffen“, sagt Sabine Skutella. Viele Prostituierte fürchten um ihre Unabhängigkeit und die Bordellbesitzer scheuen die Lohnnebenkosten. So arbeiten die meisten Frauen selbstständig und zahlen freiwillig in die Krankenversicherung ein. Mittlerweile sind 70 Prozent der Frauen, die in München als Prostituierte arbeiten, Migrantinnen. Seit der EU-Osterweiterung kamen etwa Polinnen, Ungarinnen, Tschechinnen nach München. Die Sozialpädagoginnen von Mimikry besuchen die Frauen an ihren Arbeitsplätzen und haben Flyer in zehn Sprachen dabei – auch einen auf Thailändisch. Unter den Migrantinnen machen sie als einzelne Gruppe den größten Prozentsatz aus. Deswegen hat Mimikry auch eine kulturelle Mediatorin, die aus Thailand kommt. „Als sie mich das erste Mal bei der Streetwork begleitet hat, war das wie eine Offenbarung für mich“, erzählt Skutella lachend. „Die haben gleich miteinander geschnattert und wir durften sogar reinkommen!“ Ohne die thailändische Mitarbeiterin wäre so ein intensiver Kontakt nicht möglich gewesen, zu groß sind die kulturellen Unterschiede.

Moralische Vorbehalte Mimikry bietet Beratung und Information an. Das kann eine Antwort auf die Frage sein, ob eine bestimmte Straße zum Sperrbezirk gehört, das kann aber auch eine langjährige Begleitung sein – auch über die Zeit als Prostituierte hinaus. Sabine Skutella und ihre Kolleginnen helfen beim Ausfüllen von Hartz IV-Anträgen, sprechen über die Probleme mit dem drogensüchtigen Sohn und fahren mit zum Gerichtstermin. „Wir verteilen unsere Flyer und ermutigen die Frauen, dass sie bei Bedarf Kontakt zu uns aufnehmen. Es ist schon ein Erfolg, wenn die Frauen das annehmen und sich vielleicht irgendwann an uns wenden“, so Skutella. Auch nach 20 Jahren macht sie ihre Arbeit noch gerne, denn die Sozialpädagogin glaubt an die Veränderung. „Wir sind in der sozialen Arbeit immer noch ein exotischer Bereich. Ich habe schon oft hören müssen: ‚Was, du arbeitest mit Prostituierten?!‘ Die moralischen Vorbehalte sitzen tief.“ Im Moment sind sie bei Mimikry froh, dass sie ihr Angebot aufrechterhalten können. Sabine Skutella und ihre Kolleginnen werden weiter an die Türen von Bordellen und Laufhäusern klopfen. Und am 2. Juni wieder Blumen verteilen. Sandra Zeidler

Persönlich Ein Novum bei der Inneren Mission ist die Stelle, die Günter Grünzner seit 1. März innehat: Jeweils zur Hälfte seiner Arbeitszeit ist der Diplom-Betriebswirt Assistent von Verwaltungsleiter Roland Rausch und von Gordon Bürk, Geschäftsführer des Evangelischen Hilfswerks. In beiden Bereichen kümmert er sich um die Finanzierung laufender und geplanter Projekte. Der 54-Jährige war zuvor 17 Jahre in der Behindertenarbeit des Heilpädagogischen Centrum Augustinum tätig, zuletzt als Verwaltungsleiter. Besonders die Vielfalt der Hilfeangebote der Inneren Mission

und ihrer Tochterunternehmen beeindrucken Günter Grünzner: „Es freut mich, dass ich hier viel Neues kennenlernen kann.“ Bärbel Mätzler ist seit Anfang April Leiterin der Fachakademie für Sozialpädagogik. Davor war die Gymnasiallehrerin für Deutsch und Sozialkunde viele Jahre in der Erwachsenenbildung und im Bildungsmanagement tätig: Sie hat Schulungen im EDV-Bereich gegeben, zwei Geschäftsstellen für einen Bildungsträger aufgebaut und in Österreich ein Schulungszentrum für Kleinkindbetreuung geleitet. Für die Zukunft der Fachakademie hat sich die 50-Jährige

viel vorgenommen: Sie möchte einen berufsbegleitenden Lehrgang und Angebote zur Weiterbildung für Erzieherinnen und Erzieher ins Leben rufen. Seit 1. März ist Andreas Herden Assistent des Vorstands der Inneren Mission. Der 42-Jährige studierte Philosophie und Theologie, bevor er beschloss, Pfarrer zu werden und im sozialen Bereich zu arbeiten. Andreas Herden war neun Jahre Gemeindepfarrer, davon fünf im oberbayerischen Trost-

berg. Als Pfarrer sei er direkt bei den Menschen gewesen, sagt er. An der Arbeit in der Diakonie

reize ihn, „dass ich mehr in der Rolle desjenigen bin, der soziale Unterstützung ermöglicht“. Als Assistent ist Andreas Herden für das diakonische „KomPass-Jahr“ und andere Projekte zuständig. Derzeit studiert Andreas Herden berufsbegleitend Organisationsentwicklung an der Evangelischen Fachhochschule in Ludwigsburg – ein Studiengang, der auf Leitung und Beratung in sozialen Einrichtungen ausgerichtet ist. Seit April leitet Robert Zickmantel die Abteilung Immobilienbetreuung der Inneren Mission. Der Bauingenieur ist seit rund 15 Jahren in dieser Branche tätig, er arbeitete unter

anderem bei einer Versicherung, bei der Unternehmensgruppe Schörghuber und zuletzt als Leiter der Liegenschaften des Medien- und Gewerbeparkes der AGROB Immobilien AG. Bei der Inneren Mission kümmert er sich um die kaufmännische und technische Betreuung der bestehenden Liegenschaften sowie um neue Bauvorhaben. Die Bandbreite der Immobilien – von Wohnhäusern bis hin zu Gebäuden mit besonderer Nutzung wie Alten- und Pflegeheimen – reizt den 44-Jährigen besonders an seinen neuen Aufgaben. Nach vierzehnjähriger Tätigkeit als Leiter der Hausverwaltung der Inneren Mission ist Reinhard Appler zum 1. Juli in den Ruhestand getreten. Bei seiner Verabschiedung würdigte ihn Verwaltungsleiter Roland Rausch als „hochkompetenten Fachmann in einem expandierenden Arbeitsfeld“. Es sei sein Verdienst, dass sowohl die Immobilien des Vereins als auch die Dienststellen in einem „TopZustand“ sind. Die Einnahmen bei der Wohnungsvermietung seien ein wichtiger Rückhalt für die inhaltliche Arbeit.


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Theaterstück erzählt von der Ankunft der Gastarbeiter am Gleis 11

Innere Mission bietet Alternative zu Zivildienst und FSJ an

Erinnerungen an eine andere Zeit

KomPass-Jahr – na klar!

900 Quadratmeter, tiefe Decken, dumpfe Luft, grelle Neonröhren, nackte Betonwände und ein paar unbequeme Bänke zum Sitzen – für viele Gastarbeiter war das der erste Eindruck von München. Denn 1960 wurde der Luftschutzbunker unter dem Hauptbahnhof zur Zwischenunterkunft für „ausländische Arbeitskräfte“ umfunktioniert. Bis zu 1.000 von ihnen kamen täglich in Sonderzügen aus der Türkei, Italien oder Jugoslawien am Gleis 11 an. Eine Ziffer auf ihrem Arbeitsvertrag entschied darüber, wohin die Reise weiterging: nach Berlin, Braunschweig oder Oberhausen. Ihre Geschichte, ihre Gefühle und Gedanken stellte im Juni die Regisseurin Christine Umpfenbach bei der Aktion „Munich Central“ der Münchner Kammerspiele in dem Stück „Gleis 11“ an zehn Stationen im Luftschutzbunker nach. Zeitzeugen erzählten dort von ihren Erlebnissen und spielten die Abläufe von damals nach. Die vielen Erinnerungen der Zeitzeugen verdichteten sich zu einem eindrucksvollen Bild von da-

Das KomPass-Jahr der Inneren Mission München ist ein Freiwilliges Soziales Jahr im neuen Stil und eine Alternative zum Zivildienst. Im Herbst dieses Jahres starten die ersten beiden Gruppen. Für junge Frauen und Männer zwischen 18 und 27 Jahren gibt es derzeit noch wenige freie Plätze. Für eine Gruppe sind vier Stellen im Bereich des Evangelischen Hilfswerks vorgesehen: bei der Bahnhofsmission, der Teestube „komm“, beim Frauenobdach „Karla 51“ und im Männer-Wohnheim „Bodelschwingh-Haus“. Für die andere Gruppe stehen im Altenhilfe-Bereich maximal sechs Stellen in den Alten- und Pflegeheimen in Planegg, im Westend und in Dachau zur Verfügung. Im Frühjahr 2011 wird dann eine dritte Gruppe starten; der Einsatz wird hier schwerpunktmäßig im Bereich der Jugendhilfe sein. Die Gruppen leben in Wohngemeinschaften zusammen; Münchner Heimschläfer können als Externe dazukommen. Begleitet werden sie von einem Tutorium ehemaliger Freiwilliger und Jugendlei-

Milica Stjepanovic (l.) und Mongia Müller erzählten bei „Gleis 11“ ihre Erinnerungen – beide sind Besucherinnen des ASZ Haidhausen. Foto: Zina Boughrara mals: Milica Stjepanovic kam mit 24 Jahren nach München. Sie war verwitwet, ihre drei Kinder blieben bei den Großeltern in Jugoslawien. Sie arbeitete bei Telefunken. In einem Schloss war ihre erste Unterkunft. Mongia Müller aus Tunesien erinnerte sich an ihre Zeit bei Siemens, wo sie Speicherkerne aus haarfeinen Drähten zusammen-

setzte. Und an den Polizisten, der sie damals anhielt, als sie bei Rot über die Straße ging. Sie lebt seit fast vierzig Jahren mit ihm zusammen. Georgios Metallinos erzählte von seiner Arbeit als Sozialberater bei der Inneren Mission, von den Problemen der Gastarbeiter und ihrer ewigen Zerrissenheit zwischen zwei Ländern. isa

Fast ein Vierteljahrhundert Mitglied im Hauptausschuss

ter aus der kirchlichen Jugendarbeit unter der Leitung von Pfarrer Andreas Herden. Alle Freiwilligen, die das KomPass-Jahr absolvieren, arbeiten 40 Stunden pro Woche. Die Zeiten variieren je nach Dienstplan; Nachtschichten sind nicht erlaubt. Für ihren Einsatz bekommen sie 410 Euro als Taschen- und Verpflegungsgeld pro Monat. Die berufliche und persönliche Orientierung im KomPass-Jahr wird gefördert durch Kurse und Schulungen an der PflegeAkademie und von 2011 an auch an der Fachakademie für Sozialpädagogik. Zudem besteht die Möglichkeit, für sechs Wochen bei einer anderen Dienststelle zu arbeiten und/oder für jeweils eine Woche bei anderen Kompassanten zu hospitieren. Andreas Herden

Anmeldung und weitere Informationen bei Andreas Herden, Telefon 089 / 12 69 91-114, oder per E-Mail an aherden@ im-muenchen.de.

ÖKT-Splitter: Tanz der Drumtromms

Goldenes Kronenkreuz für Johannes Geiger Der langjährige stellvertretende Vorsitzende der Inneren Mission, Johannes Geiger (im Bild rechts), erhielt für sein ehrenamtliches Engagement von Vorstand Günther Bauer das Goldene Kronenkreuz. Bereits 1986 war der Architekt Johannes Geiger als erster Baufachmann in den Hauptausschuss berufen worden. Bis 2009 gehörte er diesem Gremium ununterbrochen an. 1999 übernahm er zudem ehrenamtlich den stellvertretenden Vorsitz des Vereins. Wegen seiner vielfältigen Kontakte sei Johannes Geiger fast ein Vierteljahrhundert lang eine „wertvolle Stütze“ bei sämtlichen Bauvorhaben des Vereins gewesen, lobte Günther Bauer in seiner Lau-

datio. Er wirkte beratend mit, etwa bei der Renovierung der Pflegezentren in Dachau und Planegg oder der Errichtung von Neubauten. Johannes Geigers Zuverlässigkeit hob Günther Bauer besonders hervor: „Der Handschlag galt, das gegenseitige Vertrauen als Grundlage des Miteinander war immer belastbar, auch wenn es galt, schwierige Wegstrecken zu bewältigen“, betonte Günther Bauer. Als bewährter Partner in strittigen Fragen sei Geiger auch in den Satzungsausschuss berufen worden, „der die Weichen für die Verfassung unserer Unternehmensgruppe zukunftsweisend gestellt hat“, sagte Bauer weiter. Julia Kreissl / Foto: Kurt Bauer

Ihren ersten Auftritt hatte die Trommelgruppe „Trofaksime“ auf der Caritas-Diakonie-Bühne beim Ökumenischen Kirchentag (ÖKT). Die Musiker sind neun Schülerinnen und Schüler der Fachakademie für Sozialpädagogik. Im Fach Musikerziehung stellten sie ihre Instrumente aus Pappe und Kleister selbst her, bemalten sie in leuchtenden Farben und übten eine Schrittchoreographie ein. jusk / Foto: Erol Gurian

Für einige Angebote der Ferienerholung des Evangelischen Jugendhilfeverbundes München gibt es noch freie Plätze: Sechs- bis Zehnjährige können vom 28. August bis zum 4. September mit zur NaturPhantasie-Woche in ein Selbstversorgerhaus nach Frasdorf. Auch für die zweiwöchigen Camps der Stadtranderholung vom 16. bis 27. August und vom 30. August bis 10. September können Eltern ihre Kinder noch anmelden. Auf Bewegungsfans zwischen 7 und 12 Jahren wartet der Kletter-Workshop vom 2. bis 5. November. www.ferienerholung-muenchen.de

T E R M I N E Sommerflohmarkt in der Kleiderkammer; 23. Juli, 9 – 15 Uhr, Landshuter Allee 38 3. Herzogsägmühler Nacht der Kultur; 29. Juli, Herzogsägmühle Marionettentheater „Der gestiefelte Kater“; 12. August, 14.45 Uhr, Alten- und Pflegeheim Ebenhausen, Gerhart-Hauptmann-Weg 10

Biographiewerkstatt; 16./23. August, 14 Uhr, Alten- und Servicezentrum Haidhausen, Wolfgangstraße 18 Herbstflohmarkt; 25. September, 7 – 18 Uhr, und 26. September, 10 – 18 Uhr, Herzogsägmühle Weitere Veranstaltungen finden Sie unter www.im-muenchen.de

Keine Sorge: Bei uns gibts heute nichts auf die Mütze.

Günther Bauer, falsch zitiert von Klaus Honigschnabel.

Freie Plätze bei der Ferienerholung

Foto: Erol Gurian

Und jetzt das Letzte…


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