Ausgabe 52

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Schwerpunktthema Leben mit Demenz Kindertagesstätten Eltern geben gute Noten Migrationsdienste Mehr Betreuer für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

Die Zeitung der Inneren Mission München • Oktober 2010

Liebe Leserinnen, liebe Leser

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mmer mehr Menschen erreichen heutzutage ein immer höheres Alter – und sind dabei meist mobiler und gesünder als es noch vor Jahren der Fall war. Wir wissen: Altern ist nicht automatisch Hinfälligkeit und Pflegebedürftigkeit. Nach dem zweiundsiebzigsten Lebensjahr liegt der Anteil Pflegebedürftiger an der Gesamtbevölkerung statistisch bei fünf Prozent, erst nach dem einundachtzigsten Lebensjahr klettert der Wert auf etwa 20 Prozent. Und selbst von den über 85-Jährigen sind 70 von 100 noch in der Lage, allein und kompetent ihren Alltag zu meistern.

Ausgabe 52 • www.im-muenchen.de

Individualität und liebevolle Geborgenheit für Menschen mit Demenz stehen beim Sonnenhof im Mittelpunkt

Ein neues Haus – und 48 Konzepte Fast auf den Tag genau ein Jahr nach dem ersten Spatenstich für das neue Demenzzentrum in Ebenhausen sind die ersten Bewohner in den „Sonnenhof“ eingezogen. Das beschützende Haus, unmittelbar hinter dem bestehenden Pflegezentrum am Hang gelegen, bietet auf zwei Geschossen Platz für 48 Bewohner. Sie alle benötigen einen richterlichen Unterbringungsbeschluss aufgrund ihrer akuten Weglaufgefährdung. Im Inneren verbindet ein barrierefreier Laufweg beide Stockwerke, so dass die Bewohner ihren krankheitstypischen Bewegungsdrang ungehindert ausleben können, wie Heimleiterin Ulrike Prölß erläutert.

Relikte aus vergangener Zeit

Gerhard Prölß Geschäftsführer Hilfe im Alter gGmbH

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ollte es jedoch zu einer Pflegebedürftigkeit kommen, umfasst diese dann ein weites Spektrum. Da gibt es Menschen, die sporadisch und punktuell Hilfen benötigen – und es gibt Menschen, die an mehreren Krankheiten gleichzeitig leiden oder zum Beispiel aufgrund einer Demenzerkrankung rund um die Uhr versorgt und betreut werden müssen. Leider herrschen in der öffentlichen Wahrnehmung gerade beim Thema „Demenz“ häufig noch Vorstellungen von identitätslosen, traurigen und vielleicht sogar fixierten Pflegeheimbewohnern vor.

settenschrank, der aussieht, als sei schon der Holzwurm drinnen. Alles Spezialanfertigungen der Schreinerei Max-Einrichtungen aus Bad Rappenau, deren Produkte die Heimleiterin auf einer Altenpflegemesse entdeckt hatte. Auf Flohmärkten habe der Schreiner eigenhändig nach authentischen alten Dingen gestöbert, schwärmt Ulrike Prölß. Zudem hat er alte Fotos aus München und Oberbayern aufgetrieben; sie schmücken jetzt die Wände der beiden Marktplätze und strahlen heimelige Atmosphäre aus.

Sanfte Farben zum Wohlfühlen Auch die Heimleiterin hat bei der Innenausstattung mitgeholfen: Im Leonhard-Henninger-Haus im Westend fand sie ein paar alte Möbelstücke auf dem Speicher: „Der dortige Heimleiter war froh, dass er sie los war – und ich war froh, dass ich

sie hatte.“ Zudem ermöglichten großzügige Spenden der Dr. Adolf Rupp-Stiftung und der Alex Danhuber Stiftung weitere Anschaffungen. Auch die Ideen für das Farbkonzept im Innern des Baus stammen von Ulrike Prölß. Die Böden in den Fluren leuchten in einem warmen, marmorierten Beigeton, die Bewohnerzimmer im Erdgeschoss haben terracottafarbige Böden, im ersten Geschoss ist es ein sattes Grün geworden. Überhaupt die Farben. In den Fluren hängen Bilder der Schäftlarner Künstlerin Christel Knab, die dem Haus 31 wunderschöne Aquarelle geschenkt hat. Beide Wohlfühlbäder sollen demnächst noch eine Wandbemalung bekommen: Im Erdgeschoss werden dann Muscheln, Seesterne, ein Leuchtturm – und ein echter Strandkorb – norddeutsches Flair herbeizaubern, im Obergeschoss wünscht sich die Heimleiterin eher einen „mediter-

Individualität großgeschrieben Wichtig sei deshalb – neben einer intensiven Biographiearbeit – auch die Unterstützung durch Angehörige und Freunde. Ulrike Prölß: „Wenn sich ein Mensch nicht mehr mit Worten ausdrücken kann, bekommt man manchmal nur schwer heraus, was ihm gefällt oder auch missfällt.“ Deshalb werde man auch intensiv beobachten, „was genau die Menschen brauchen, die uns anvertraut sind“. Denn Individualität soll im Sonnenhof groß geschrieben werden: „Wir brauchen im Prinzip nicht ein Konzept für das Haus, sondern 48.“ ho

Erster Jahrgang der Fachakademie für Sozialpädagogik schließt Ausbildung erfolgreich ab

Seit 1. September arbeiten sie in Kindertagesstätten, Horten sowie in Einrichtungen der Jugend- und der Behindertenhilfe: Alle 15 Studierenden des ersten Jahrgangs an der Evangelischen Fachakademie für Sozialpädagogik haben im Juli erfolgreich ihre schulische Ausbildung abgeschlossen. Nach bestandener Prüfung starteten die Absolventen der vor zwei Jahren eröffneten Ausbildungsstätte der Inneren Mission München in der Landshuter Allee 14 in das berufliche Anerkennungsjahr für Erzieherinnen und Erzieher. Vorstand Günther Bauer wünschte den Absolventinnen – unter ihnen war lediglich ein Mann – für ihren künftigen Berufs-

weg alles Gute. Mit dem Abschluss der schulischen Ausbildung sei „ein wesentlicher Schritt“ auf dem Weg zum staatlich anerkannten Erzieherberuf geschafft. Bauer wörtlich: „Mit dieser Ausbildung sorgt die Innere Mission für die notwendige Qualität in ihren Kindertagesstätten und Jugendhilfeeinrichtungen.“ Die Türen des Diakonie-Unternehmens stünden für die weitere berufliche Karriere weit offen; Erzieherinnen seien derzeit sehr gesucht. Die Akademie werde ihre begonnene Arbeit fortsetzen, auch wenn man als Träger dafür erhebliche finanzielle Mittel bereitstellen müsse. Akademieleiterin Bärbel Mätzler überreichte die Zeugnisse

und wies voller Stolz darauf hin, dass alle Studierenden die Prüfung bestanden hätten. Dies sei keinesfalls üblich und zeuge von hoher Leistungsbereitschaft. „Mit dem, was Sie hier in den vergangenen zwei Jahren gelernt haben, sind Sie für die Zukunft gut gerüstet.“ Denn auch während der theoretischen Ausbildungsteile habe man immer sehr viel Wert auf einen größtmöglichen Praxisbezug gelegt. Klassensprecherin Sandra Scielzi lobte vor allem das herausragende Engagement der Lehrkräfte: „Alle waren immer für uns da und haben sich viel Zeit genommen – auch wenn es mal um andere Themen ging.“ Klaus Honigschnabel

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Bestens gerüstet für die Praxis

Hilfe im Leben

as entspricht heutzutage Gott sei Dank in den wenigsten Fällen der Realität. Wer beispielsweise als Gast bei einer der vielen Veranstaltungen in unseren Häusern in die Gesichter dieser Personen blickt, kann durchaus Freude, Spaß und Teilhabe am Leben entdecken. Zudem ist unser Angebot vielfältig, vernetzt und auf die einzelnen Personen mit ihren individuellen Biographien zugeschnitten. Ziel unserer ambulanten und stationären Einrichtungen in der Altenhilfe ist es, Lebensqualität auch in schwierigen Lebensabschnitten bis hin zum Sterben zu erhalten. Die Beiträge des Schwerpunktthemas in diesem Heft vermitteln Ihnen einen anschaulichen Eindruck davon. Eine gewinnbringende Lektüre wünscht Ihnen

Die Besucherinnen sind ganz begeistert vom gemütlichen Ambiente des Sonnenhofs in Ebenhausen. Foto: Klaus Tönnies

+++ Menschen helfen +++ Netze knüpfen +++

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Überhaupt ist das ganze Haus mit viel Liebe zum Detail ausgestattet und an vielen Stellen bewusst auf Alt getrimmt: In den Marktplätzen – den Treffpunkten auf den Etagen zum Essen und Beisammensein – gibt es zahlreiche Relikte aus vergangener Zeit: Leiterwagen aus Holz, Milchkannen, alte Straßenschilder und Bilder schaffen ein gemütliches Ambiente. Der PVC-Boden im Stammtischbereich und dem „Heiligen Eck“ ist einem alten Holzboden nachempfunden und sieht aus, als ob er schon seit zig Jahren hier liegen würde. Heimleiterin Ulrike Prölß: „Damit möchten wir eine Art Wiedererkennungseffekt bei den alten Menschen erreichen und ihnen Sicherheit und Geborgenheit vermitteln.“ Auch die Einrichtung in den Zimmern ist nach diesem Prinzip gestaltet: Tische und Stühle mit geschwungenen Beinen und gelbem Samtbezug, eine halbhohe Kommode und ein dunkelbrauner Kas-

ranen Eindruck“. So richtig zum Wohlfühlen eben. Die Besuchergruppe, die sie an diesem Vormittag durchs Haus führt, findet denn auch nur lobende Worte für den Neubau: „Herrlich“, „Wunderschön“, „Toll“ – die 13 Damen würden am liebsten gleich einziehen. Inge Fessler beispielsweise ist ganz begeistert: „Es ist bemerkenswert! Wer sich so etwas ausgedacht hat?!“ Auch die Tochter der 98-Jährigen ist voll des Lobes: „Phantastisch! Und die milden Farben machen alles so fröhlich!“ Bei der Belegung des Hauses möchte sich Heimleiterin Ulrike Prölß jetzt erst mal Zeit lassen. Die Klientel mit ihrem dementiellen Krankheitsbild werde „eine Herausforderung für das Pflegeteam“ sein, vermutet sie. Geborgenheit und Sicherheit seien die beiden wichtigsten Dinge, die altersverwirrte Menschen brauchen, weiß sie. „Liebevolle Wahrnehmung und ritualisierte Begegnungen kosten einfach Zeit – und die wollen wir uns für unsere neuen Bewohner ganz bewusst nehmen.“


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