KULTURELLE BILDUNG REFLEXIONEN. ARGUMENTE. IMPULSE
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strategie kulturelle vielfalt NR . 0 4 /// 2 0 0 9 /// 4 E U R O /// W W W. B K J. D E
>>> Inhalt 03 _ EDITORIAL >> Kirsten Witt, Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) 04 _ hinein denken /// Wir sind Interkultur? Diversitätsbewusstsein im Querschnitt – work in progress oder Schnee von gestern? >> Ute Handwerg, BAG Spiel & Theater 06 _ /// jugend kultur denken. Kulturelle Zugehörigkeit in der Bundesrepublik Deutschland >> Dr. Irina Schmitt, Universität Lund, Schweden 08 _ /// Wie wollen wir leben. >> Mechthild Eickhoff, Bundesverband der Jugendkunstschulen
und Kulturpädagogischen Einrichtungen (bjke)
12 _ /// Verschiedenheit in der Perspektive Kultureller Bildung – Anfragen an den pädagogischen Umgang mit Kultur und Geschlecht >> Dr. Astrid Messerschmidt, Pädagogische Hochschule Karlsruhe 15 _ /// „Kulturelle Vielfalt“ zwischen Politik und Pädagogik: Das Übereinkommen über Schutz und Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen >> Prof. Dr. Max Fuchs, Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) 17 _ kennen lernen /// Sich anderen Dingen öffnen lernen – das Projekt FIES am Überseemuseeum Bremen >> Birte Stüve, Überseemuseum Bremen 19_ /// Geschichten verbinden. „2x10 erste Bücher“ >> Dr. Edda Eska, Friedrich-Bödecker-Kreis Brandenburg e.V. 20 _ /// HAJUSOM – Ein politischer Ort der Kunst, Freiheit und Vielfalt. >> Interview mit Ella Huck, Künstlerische Leitung HAJUSOM, Hamburg 22_ /// Eine Herausforderung: Kulturelle Vielfalt in internationalen Jugend-Kultur-Begegnungen >> Rolf Witte, Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) 24 _ /// „Was hörst du?“ Zum Verhältnis von Musik und kultureller Identität bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund
>> Dr. Dorothee Barth, Arbeitskreis für Schulmusik (AfS)
26 _ /// Streaming Cultural Diversity – das Modellprojekt ROOTS&ROUTES TV >> Lisette Reuter, jfc Medienzentrum, Köln 27 _ tiefer blicken /// Durch verschiedene Brillen gleichzeitig schauen. Zur Implementierung einer diversitätsbewussten Perspektive
>> Anne Sophie Winkelmann, Dipl. Interkulturelle Pädagogin
28 _ /// „Kunst und Kultur haben zentrale Bedeutung“ >> Interview mit Ali Dogan, Bund der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland e.V. 30 _ /// Migrantenorganisationen als Partner der kulturellen Bildungslandschaft in Deutschland >> Olaf Zimmermann, Deutscher Kulturrat 31 _ /// „Wir wollen den Migrantenjugendlichen eine Stimme geben“ >> Interview mit Çigdem Ronaesin, DIDF-Jugend 32_ /// Kultursensitivität in der Bildungspraxis. Kulturspezifität der Bildung >> Anna Dintsioudi, nifbe – Niedersächsisches Institut für frühkindliche Bildung und Erziehung 34 _ /// Internationaler Jugendkulturaustausch – für alle zugänglich? >> Judith Dubiski, Soziologin M.A. 36 _ hin gehen /// Tagen und Fortbilden 37 _ nach schauen /// Hören und Lesen 40 _ weiter gehen /// Kontakte und Links 42 _ Das Bild zum THema /// „Aha!“ von Sophie Barahona 43_ Impressum 43 _ KULTURELLE BILDUNG IM ABONNEMENT
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EDITORIAL Kennen Sie diese Discounter, wo die Kassierer/innen so schnell sind, dass man mit dem Einpacken kaum nachkommt? So sehr man sich auch müht, im Handumdrehen hat sich ein Toastbrot-, Müsli- und Salatstau gebildet, nur weil man die Waschmittelpackung nicht auf die Erdbeeren legen wollte. Neulich traf ich im Supermarkt eine Mutter, die ich aus dem Kindergarten meiner Tochter kenne. Sie befand sich in genau dieser Stress-Situation, obwohl ihre ältere Tochter ihr fleißig half. Dennoch wendete sie sich kurz zu mir um und begrüßte mich mit einem freundlichen Hallo. (Wir hatten uns länger nicht gesehen, die Kinder gehen mittlerweile in verschiedene Schulen.) Als sie sich wieder umdrehte, hatte sich der unvermeidliche Turm gebildet und die Kassiererin türmte gnadenlos weiter. Um die Situation aufzulockern, sagte meine Bekannte versöhnlich: Sie sind aber schnell! – Da polterte die Frau hinter ihr in der Schlange auch schon los: Nee! Sie sind langsam! Andere wollen auch noch einkaufen! Sprach's und schob die zierliche Albanerin brutal zur Seite. Ich werde nie erfahren, ob die ungeduldige Kundin mit einer Deutschen in dieser Situation genauso umgegangen wäre. Aber ich bezweifele es ehrlich. Nach wie vor sind Menschen, denen man ihre Einwandererbiografie ansieht oder -hört im Alltag kleinen und größeren Unfreundlichkeiten, Ungerechtigkeiten und Aggressionen ausgesetzt. In unserer Euphorie für Vielfalt und den Reichtum der Diversität blenden wir alltägliche Ungleichheit vor unserer Nase gerne aus. Sie passt nicht in das fröhlich-bunte Bild des „Karnevals der Kulturen“, das wir gerne sehen wollen. Vielleicht sind gar nicht Menschen wie die drängelnde Kundin das zentrale Problem, sondern Menschen wie wir, die Verantwortung übernommen haben für Bildungsgelegenheiten und damit Lebenschancen junger Menschen. Anstatt uns arrogant über solchen Alltagsrassismus zu stellen (während wir unsere Kinder dann doch lieber auf die Schule im anderen Stadtteil schicken), sollten wir uns fragen, wo wir mit unseren Strukturen, unseren Angeboten und vor allem mit unserer inneren Haltung Ausgrenzung betreiben, Zugänge verbauen, Ungleichheiten verstärken. Es gibt kaum ein gesellschaftspolitisches Thema, das in den letzten Jahren so intensiv – gerade auch in Kultur- und Bildungszusammenhängen – diskutiert wurde. Dieser hohe Stellenwert ist richtig; wir müssen es als Gesellschaft schaffen, Vielfalt und Unterschiede zu beschützen und gleichberechtigt zusammenzuleben. Was aber alarmieren muss: Das Thema scheint derzeit „durch“ zu sein: Wir sind Interkultur-müde, insbesondere in unserem Praxisfeld, der Kulturellen Bildung. Die ist ja per se integrierend und interkulturell. „Wir arbeiten seit Jahren mit heterogenen Gruppen, alles klappt wunderbar.“ Deutschland ist Einwanderungsland; der Nationale Integrationsplan integriert, die Islamkonferenz konferiert – alles in Butter?! Die Autor/innen dieser Ausgabe der KULTURELLEN BILDUNG sind anderer Meinung. Sie stellen unangenehme Fragen und zeigen Handlungsbedarfe auf. Interkulturelles Lernen – oder zeitgemäßer: kulturelle Vielfalt leben zu lernen, ist eine Aufgabe, die jede/n betrifft – insbesondere die Angehörigen der so genannten „Mehrheitsgesellschaft“. Im Übrigen fassen wir in diesem Heft „Kulturelle Vielfalt“ weiter: es geht um Unterschiedlichkeit auf verschiedenen Ebenen, von denen Migrationsgeschichte oder ethnische Herkunft ein Merkmal unter vielen ist. Mit unserer Praxis gestalten wir Bildungsgelegenheiten und schaffen Erfahrungs-Räume, die wertvoll sind. Sie erweitern die formalen Bildungsangebote um eine dringend notwendige Dimension: das freie, selbstbestimmte, gestaltende Lernen im Sinne von Welt-Aneignung, notenfrei und fehlerfreundlich, stärkenorientiert und partizipativ. Kulturelle Bildung als Lebens-Kunst-Lernen ist Allgemeinbildung. Es ist unsere Aufgabe, sie so zu gestalten, dass sie für alle zugänglich ist, niemanden ausschließt oder benachteiligt und dass sich ihr Potenzial für Kulturelle Vielfalt entfalten kann. Beim Rausgehen erzählte mir meine Bekannte dann, sie habe ihre Tochter (2. Schuljahr) zur Nachhilfe angemeldet. Die Lehrerin mache Druck, schaue nur auf die Schwächen, nicht auf die Stärken der Kinder, „besonders bei uns Ausländern...“
Kirsten Witt Grundsatzreferentin der BKJ
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WIR SIND INTERKULTUR!?
DIVERSITÄTSBEWUSSTSEIN IM QUERSCHNITT – WORK IN PROGRESS ODER SCHNEE VON GESTERN? UTE HANDWERG
Es hat, wie wir alle wissen, lange gedauert, bis die Politik in Deutschland anerkannt hat, dass die Bundesrepublik ein Einwanderungsland ist und das seit langer Zeit. Zwischen dem Abschluss des ersten Anwerbeabkommens mit Italien im Jahre 1955, dem bis zum Ende der 1960er Jahre ein halbes Dutzend weitere folgen, und einer sichtbaren Anerkennung der Einwanderungsrealität in Politik und Gesetz liegen immerhin 50 Jahre. Dieses Zeitfenster ist signifikant und ein wesentlicher Grund für vielschichtige Auswirkungen auf das Zusammenleben der Menschen in Deutschland, insbesondere mit Blick auf Partizipation, Zugehörigkeit und Chancengleichheit. Hinweisen muss man in diesem Zusammenhang auf die zivilgesellschaftlichen Strukturen in Deutschland mit ihren vielen Akteuren, die, unabhängig von politischer Maßgabe, schon seit vielen Jahrzehnten mit unterschiedlichen Initiativen und Projekten einen wesentlichen Beitrag für das Zusammenleben aller Menschen in Deutschland einbringen. Die aktuelle Debatte um Migration und Integration, die gekennzeichnet ist von vielfältigen Erregungszuständen, hat während der vergangenen Jahre Fahrt aufgenommen. Hinweise für ein Umdenken in der Politik auf Bundesebene sind z. B. der Nationale Integrationsplan, die Integrationsgipfel unter Federführung des Kanzleramtes, die IslamKonferenz, einberufen vom Innenminister, die Ernennung einer Bundesbeauftragten für Integration u. a. m. Das Thema Bildung nimmt heute bei allen Integrationskonzepten eine zentrale Stellung ein. Ob mit den Initiativen auf regionaler, Landes- und Bundesebene die hoch angesetzten Ziele der Integrationspolitik umgesetzt werden können, wird ganz wesentlich von der Schaffung grundlegender Rahmenbedingungen in den Bereichen Politik, Gesetz und Finanzen abhängen. Fatal für unsere gesellschaftliche Entwicklung wäre das Verebben der politischen Bemühungen in einer Symbolpolitik. (Die Selbstverpflichtungen, auf die der Nationale Integrationsplan ganz wesentlich setzt, sind beispielsweise nicht frei von diesem Verdacht.) Das Wissen darüber, wie die Menschen unterschiedlicher Herkunft in Deutschland zusammenleben, wächst. In jüngerer Zeit wurden dazu verschiedene Studien vorgelegt, die aus unterschiedlicher Perspektive migrations- bzw. integrationsrelevante Fragestellungen in den Blick genommen haben. Ein Beispiel ist die 2007 vorgelegte sogenannte Sinus- bzw. Milieu-Studie (Sinus Sociovision 2007). Diese
kann als kleiner Meilenstein in der hiesigen Debatte um Migration und Integration bezeichnet werden. Die Kernaussage der Untersuchung lautet: Zuwanderungsgeschichte, ethnische Zugehörigkeit und Religion wirken sich auf die Kultur im Alltag aus, sind aber nicht die milieuprägenden und identitätsbildenden Kräfte. Diese wichtige Erkenntnis steht Grundannahmen gegenüber, die sich in der Auseinandersetzung etabliert haben, und sie eröffnet neue Stränge in der Diskussion. Auch im Bereich der kulturellen Kinder- und Jugendbildung sind unter den Stichworten Interkultur und Partizipation von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund Erhebungen bzw. Feldanalysen vorgenommen worden. Zu nennen sind stellvertretend der „Kunst-Code“, ein Projekt zum interkulturellen Dialog an den Jugendkunstschulen (durchgeführt vom Bundesverband der Jugendkunstschulen und Kulturpädagogischen Einrichtungen), und die bundesweite Bestandsaufnahme zur Theaterarbeit von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund (durchgeführt von der Bundesarbeitsgemeinschaft Spiel & Theater). Zu beiden Projekten liegen Dokumentationen vor (bjke 2008 und Hoffmann/Klose 2008). Für die neu gewonnenen Erkenntnisse die richtigen und der Dynamik des Feldes angemessenen Begriffskategorien bzw. Definitionen zu finden, erweist sich als schwierig. Hat man sich einer Begrifflichkeit inhaltlich angenähert, steht die nächste im Raum und nimmt für sich in Anspruch, die komplexen Zusammenhänge von Migration und Gesellschaft in passender Weise, allen Dimensionen gerecht werdend und selbstverständlich politisch korrekt zu beschreiben. Ob interkulturell, plurikulturell oder transkulturell, diversitätssensibel oder kultursensitiv, migrantisch oder postmigrantisch – das Unbehagen, definitorisch den Anschluss verpasst zu haben, und die Gefahr des Miteinander im Missverständnis (unabhängig davon, ob bei den Beteiligten ein Migrationshintergrund vorliegt oder nicht) sind ständige Begleiter der fachlichen und gesellschaftlichen Debatte. Sind die Themen Migration und Integration in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung insgesamt überbewertet, vielleicht sogar abgeschlossen, weil alles Notwendige, jetzt auch auf politischer Ebene, auf den Weg gebracht wurde und die Zivilgesellschaft ohnehin schon seit Jahr-
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zehnten aktiver Mitgestalter des Zusammenlebens der Menschen in Deutschland ist? Die Antwort kann nur Nein lauten, aber Ermüdungserscheinungen kreisen um die Thematik, so nehme ich es wahr. Und gibt es nicht auch gute Gründe, die Debatte als nahezu erledigt zu den Akten zu legen? Im Auftrag der Bertelsmann Stiftung hat das Institut für Demoskopie Allensbach eine repräsentative Befragung von Menschen mit Migrationshintergrund durchgeführt, deren Ergebnisse seit Mitte dieses Jahres vorliegen. Interviewt wurden 1.581 Menschen mit Migrationshintergrund. Die zentralen Ergebnisse der Auswertung lauten: Zwei Drittel der Zuwanderer fühlen sich integriert. 58% der Zuwanderer fühlen sich überwiegend als Teil der deutschen Gesellschaft. Über 80% der Zuwanderer sind mit dem Leben zufrieden. Identitätskonflikte bei Zuwanderern sind eher selten (Institut für Demoskopie Allensbach 2009). Sind wir mit dieser weitgehend positiven Bilanz aus der Diskussion um Migration und Integration zu entlassen, da alles auf einem guten Weg scheint? Die Antwort kann auch an dieser Stelle nur Nein lauten. Was aber hat das nun alles mit uns, den Akteuren der kulturellen Kinder- und Jugendbildung und ihren Fachstrukturen zu tun? Jede Menge, behaupte ich. Ich möchte vier mir wichtige Punkte skizzieren. 1. Interkultur ist kein Sonderbereich der Kulturellen Bildung, der für eine „besondere“ Gruppe von Kindern und Jugendlichen eingerichtet und methodisch entwickelt werden muss. Die Konzeptionen der Kulturellen Bildung sind vor dieser Folie und unter Berücksichtigung der aktuellen Forschung kritisch auf ihre Ansatzpunkte zu prüfen. Dazu haben sich Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe des BKJ-Magazins in ihren Beiträgen Gedanken gemacht und Vorschläge entwickelt. In diesem Zusammenhang lohnt sich auch der Blick auf verschiedene Förderprogramme für Kultur und Bildung auf regionaler, Länder- und Bundesebene. Interkulturelle Projekte werden zumeist aus „Extratöpfen“ für Interkultur gefördert. Das Thema Interkultur er-
hält mit dieser Förderpraxis einen Sonderstatus und macht ethnische Zugehörigkeit zum Aufhänger der Förderung. Der politisch eingeforderte Querschnittscharakter fällt dabei unter den Tisch. Das Thema Förderung muss uns auch aus anderer Perspektive interessieren: Inwieweit partizipieren Migrantenorganisationen auf allen Ebenen an der Förderung durch die öffentliche Hand? Ist die Praxis der „Extratöpfe“ für Interkultur notwendig, um eine Teilhabe aller zu ermöglichen? 2. Die Frage danach, wie sich in einer multiethnischen Gesellschaft der Bereich der Aus-, Fort- und Weiterbildung aufstellen muss, steht nach meiner Einschätzung an zentraler Stelle. Neben der Weiterentwicklung von Methoden, die den Anspruch eines kontrollierten und vorgegebenen Verstehens des „Fremden“ überwinden müssen, muss die wissenschaftliche und politische Reflexion des Themas Migration selbstverständlicher Bestandteil des Bereiches sein. 3. Es geht um nicht weniger als die Entwicklung einer diversitätsbewussten Grundhaltung eines jeden Einzelnen in unserer Gesellschaft. Der gesellschaftliche Wert unserer Arbeit im Bereich der Kulturellen Bildung hängt nach meiner festen Überzeugung von den Werten ab, von denen wir uns bei unserem Tun leiten lassen. Eine Formel, aus der sich eine diversitätsbewusste Grundhaltung ableiten ließe, haben wir noch nicht gefunden. Elementare Bestandteile sind nach meiner Einschätzung: kritisches Reflektieren der eigenen Arbeit vor der Folie von Migration und Integration; die Wahrnehmung, selbst Teil einer multikulturellen, sich dynamisch entwickelnden Gesellschaft zu sein; die eigene Sensibilisierung für die komplexen Zusammenhänge von Migration und Gesellschaft; die Befähigung zum interkulturellen Dialog auf Augenhöhe; der Mut, Gutes und Gutgemeintes voneinander zu unterscheiden und für diese Erkenntnis auch den Umweg über den einen oder anderen Fettnapf nicht zu scheuen. Wie bei allen Formeln gilt: Auf die Mischung kommt es an!
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4. Wie eingangs angeführt, ist die Schaffung basaler Rahmenbedingungen in den Bereichen Gesetz, Politik und Finanzen Voraussetzung für das Gelingen einer nachhaltigen Integrationspolitik in Deutschland. Kulturelle Bildung, die auf Grund ihrer unbestrittenen Potenziale und ihrer langjährigen Erfahrung – auch im interkulturellen Kontext – einen wichtigen Beitrag bei der Gestaltung einer multikulturellen Gesellschaft zu leisten vermag, kann nicht für die Überwindung der Folgen einer über Jahrzehnte fehlenden nachhaltigen Integrationspolitik herangezogen werden. Gesetzliche und ökonomische Probleme lassen sich durch Kulturelle Bildung nicht „wegpädagogisieren“. Die hier angerissenen Punkte sind nur Teile der Diskussion und lassen sich um weitere Aspekte, wie z. B. die notwendige interkulturelle Öffnung von Einrichtungen und Institutionen u. a., ergänzen. Die Themen Migration und Integration betreffen uns alle und wirken in alle Bereiche des Zusammenlebens hinein. Sie können nicht losgelöst und in Abgrenzung zu anderen Zusammenhängen diskutiert werden.
Literatur Sinus Sociovision (2007): Die Milieus der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland (www.interkulturpro.de/ik_pdf/ikp_Kernergebnisse_Studie_Migranten.pdf; Zugriff: 03.08.2009) Institut für Demoskopie Allensbach (2009): Zuwanderer in Deutschland. Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von Menschen mit Migrationshintergrund, (www.bertelsmann-stiftung.de, Zugriff: 15.06.2009) Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft (Hrsg.) (2008): Interkulturelle Bildung – Ein Weg zur Integration. Essen Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft (Hrsg.) (2007): Beheimatung durch Kultur. Kulturorte als Lernorte interkultureller Kompetenz. Essen Hoffmann, K., Klose, R. (Hrsg.) (2008): Theater interkulturell. Theaterarbeit mit Kindern und Jugendlichen. Milow Ute Handwerg ist Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Spiel & Theater
JUGEND KULTUR DENKEN
KULTURELLE ZUGEHÖRIGKEIT IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND IRINA SCHMITT Ich schreibe über Jugendkulturarbeit als Außenstehende, als Theoretikerin. Unter anderem erlaube ich mir, mich hier einzumischen, weil ich ein Jahr lang mit Jugendlichen geforscht habe. Diese Forschung beinhaltete Interviews – von mir gesteuerte Gespräche – aber auch unzählige Zufallsbegegnungen. Manche dieser Gespräche waren Lehrstunden für mich, die mehrheitskulturelle bürgerliche ‚Frau von der Uni‘.1 Gute Sprache, schlechte Sprache? Eine Situation ist mir lebhaft in Erinnerung: Beim ersten Interview gaben mir drei Siebtklässlerinnen ein spannendes Stück und spielten mir die dummen, fast analphabetischen Migrantinnen vor. Ich war in dieser Situation reichlich hilflos; die Schülerinnen merkten das und weideten sich an meinem Unbehagen. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie das ‚Stück‘ auflösten und mir vorführten, dass sie mich vorgeführt hatten. Warum ich diese Geschichte erzähle? Später berichtete eine der Schülerinnen, Alex, von einem Gespräch mit einer Lehrerin. Die Lehrerin sagte Alex auf den Kopf zu, dass ihr Deutsch nicht ausreichend sei und sie Förderunterricht bräuchte. Nun ist dagegen an sich nichts einzuwenden. Die Erklärung der Lehrerin war allerdings erhellend: Alex wäre nicht gut genug in Deutsch, weil sie Ausländerin sei. Alex war so irritiert, dass sie seitdem in Gegenwart dieser Lehrerin stotterte und ‚Ausländerdeutsch‘ sprach, extra cool und mit verkürzter Grammatik. Eben das sprachliche Register, das sie mir bei unserem ersten Treffen vorgeführt hatte. In der Auflösung des ‚Schau-
spiels‘ hatte Alex allerdings nicht nur gezeigt, dass sie diverse sprachliche Register beherrschte. Ich lernte auch, dass sie in ihrer Familie vier Sprachen sprach. Zusammen mit der Alltags- und Schulsprache Deutsch und der Curricularsprache Englisch brachte Alex also eine beachtliche Sprachkenntnis mit. Allerdings waren ihre Familiensprachen Sprachen, denen auf dem europäischen Bildungs- und Arbeitsmarkt relativ geringer Wert zugeschrieben wird. Auch eine weitere Siebtklässlerin, Selin, erläuterte mir, dass sie aufgrund ihrer Fähigkeit, Türkisch zu sprechen, als nicht (ganz) ‚deutsch’ angesehen würde. Ihr Plus, sowohl in der Mehrheits- als auch in der Familiensprache kompetent handeln zu können, wurde ihr zum Minus, das die volle Teilhabe in der bundesdeutschen Gesellschaft verhindert. Alex und Selin bringen scheinbar ein Zuviel an kulturellem Wissen mit; ihre Fähigkeiten schränken paradoxerweise ihre Zugehörigkeit in der Bundesrepublik ein. Ihre kulturellen Kompetenzen haben keinen oder geringen Wert in dem Teil ihres Alltags, der für ihre Zukunft maßgeblich ist. Denn auch wenn zunehmend mehrsprachige Anwältinnen und Anwälte, Ärztinnen und Ärzte, Arzthelfer*innen und Übersetzer*innen gerade aufgrund ihrer erweiterten Kenntnisse den Arbeitsmarkt erobern, muss doch die Mehrheit der Jugendlichen aus mehrsprachigen Familien (so es sich denn nicht um eine der alten europäischen Sprachen handelt), die Hürde der scheinbaren ‚Fehlsprachigkeit’ und die damit verbundenen Entwertung des eigenen Wissens überwinden.
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Die multikulturelle Realität anerkennen In der öffentlichen Debatte um Integration und Bildung stand in den letzten Jahren und vor allem seit der Veröffentlichung der PISA-Studien die Rolle der Deutschkenntnisse migrantischer Schüler*innen im Mittelpunkt. Mit Recht, wie viele sagen, da Kompetenz in der Mehrheitssprache und die Fähigkeit zur Kommunikation maßgeblich sind in der Bildungsund Dienstleistungsgesellschaft. Selbstverständlich sind Sprachförderprogramme an sich nicht verwerflich, im Gegenteil. (Und ein einfaches und kostengünstiges Projekt an einer kanadischen Schule zeigt dies: Dort wurde in jeden Schultag mit unumstößlicher Regelmäßigkeit 25 Minuten ‚Lesezeit’ eingebunden – der Notenschnitt der Schule stieg schon nach kurzer Zeit.) Doch scheint mir das Festhalten an der recht willkürlichen Unterscheidung migrantischer und nicht-migrantischer Jugendlicher unproduktiv. Alex’ und Selins Kritik zeigt, dass viele Jugendliche sich nicht mit ihrer ‚Verfremdung’ zufrieden geben wollen. Die Verantwortung für das schlechte Abschneiden der bundesdeutschen Schulen im internationalen Vergleich oder die verzweifelte Situation an manchen Schulen auf Jugendliche zu schieben, deren Familien teils seit mehreren Generationen in der Bundesrepublik leben, heißt, am Thema vorbei zu denken. Schließlich machen in bundesdeutschen Großstädten migrantische Jugendliche fast die Hälfte der Jugendlichen aus, sie sind also sicher keine Minderheit, sondern relevanter Teil der bundesdeutschen Gesellschaft. Die Mehrheitsgesellschaft tut sich keinen Gefallen, wenn sie an der vereinfachenden Unterscheidung nach ‚eigen’ und ‚fremd’ festhält. Die soziokulturellen wie ökonomischen Kosten tragen wir alle. Stattdessen sollten wir über die weitaus differenzierteren Fähigkeiten sprechen und die diversen Zugehörigkeiten, die den Alltag aller Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland ausmachen. Jugendliche haben längst Kompetenzen entwickelt, in der multikulturellen (soll heißen: von vielen kulturellen Einflüssen geprägten) Gesellschaft zu leben. Das geht nicht immer reibungslos ab; doch überwiegen die alltäglichen selbstverständlichen Erfahrungen. Was meinen wir eigentlich mit ‚Kultur’? Wenn wir bereit sind, einen erweiterten Kulturbegriff zu denken, ist es einfacher zu sehen, wie viel Unterschiedlichkeit den Alltag von Jugendlichen bestimmt. Dabei ist beispielsweise die Unterscheidung nach Geschlecht oft markanter als die Herkunft der Eltern. Mädchen, egal welcher Herkunft, werden eingeschränkt, auch wenn diese Einschränkungen damit begründet werden, dass Mädchen eben mehr geschützt werden müssen. Es wird Zeit, hier neue Wege einzuschlagen. Gleichzeitig ist ein Leben jenseits der Geschlechternormen noch immer – trotz der populärkulturellen Vermarktung und gesetzlicher Verbesserungen – ‚nicht normal’. Viele lesbische, schwule, intersexuelle, transsexuelle und transgender Jugendliche ziehen noch immer Heimlichkeit oder sogar Selbstzerstörung der oft problemreichen Vermittlung an Eltern oder Gleichaltrige vor.
Ein weiterer Aspekt von ‚Kultur’ wird gerne übersehen, und auch hier war PISA informativ. Die Bundesrepublik Deutschland reproduziert mit großem Einsatz eine Klassenkultur, die längst veraltet scheint. Unser Schulsystem sorgt dafür, dass die Kinder dahin gehen, wo die Eltern herkommen, und dass soziale Mobilität nicht selbstverständlich ist. Jugendliche leisten ‚Kulturarbeit’ Auch Jugendliche, die sich gerne vor kultureller Vielfalt verschließen, kommen nicht umhin, ‚interkulturell’ zu handeln. Und viele Jugendliche, migrantische wie nichtmigrantische, haben sich transkulturelle Kompetenzen angeeignet – leben ihren Alltag nicht im ‚entweder-oder’ und ‚dazwischen’, sondern entwickeln Gemeinsames auf der Basis der Unterschiede. Das mag romantisierend klingen. Tatsächlich ist dies (fast) unvermeidbar im gegenwärtigen Alltag Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland. Gerade ‚andere’ Jugendliche – migrantisch, lesbisch, aus ökonomisch armen Familien – leisten wichtige ‚Kulturarbeit’ in diesen alltäglichen Verhandlungen. Die bundesdeutsche Gesellschaft ist schon lange multikulturell. Gerade im Kleinen. Gleichzeitig können wir noch einiges leisten, um diese Realität auch in unserem Bild dessen, was ‚deutsch’ ist, zu verankern. Welche ‚Kultur’ vermitteln wir Jugendlichen im nicht mehr ganz neuen Jahrhundert? Was sind die historischen Referenzpunkte, die Jugendlichen ihre Welt verständlich machen? Wer die Vorbilder? Noch immer ist das Gesicht der Bundesrepublik weiß, männlich, hetero, privilegiert. Das wird sich ändern. Mit oder ohne das Zutun der Verantwortlichen. Wenn wir die Einschätzungen Jugendlicher ernst nehmen und dabei die übliche Defizitperspektive ebenso vermeiden wie romantisierende Überhöhung, können wir – Praktiker*innen, Theoretiker*innen, Politiker*innen – den Jugendlichen die Arbeit erleichtern. Dieser Text entstand auf Basis meiner Forschung, aber auch in Diskussionen mit Freund*innen und Kolleg*innen. Ich danke Sakine Subasi-Piltz für ihre Kommentare und Anregungen.
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Dr. Irina Schmitt arbeitet, zurzeit am Zentrum für Geschlechterforschung der Universität Lund in Schweden, im Bereich der Jugend-, Geschlechter- und Migrationsforschung. Sie interessiert sich sowohl für die alltäglichen Selbstpositionierungen Jugendlicher als auch für die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dieser Aushandlungsprozesse. Zurzeit untersucht sie die Rolle von Gender-Geschlecht-Sexualität in Schulgesetzen in der Bundesrepublik Deutschland, Schweden und Kanada.
Veröffentlichungen (Auswahl) Schmitt, Irina (2008): ‚wir sind halt alle anders‘ – Eine gesellschaftspolitische Analyse deutscher und kanadischer Jugendlicher zu Zugehörigkeit, Gender und Vielkulturalität. Göttingen: V+R Unipress. Schmitt, Irina (2005): Germany speaking? Rap and Kanak Attak: Dominant Discourses on Language. In: Hoerder, Dirk/Hébert, Yvonne/ Schmitt, Irina (Hrsg.): Negotiating Transcultural Lives: Belongings and Social Capital among Youth in Transnational Perspective. Göttingen: V+R Unipress, 215–236.
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WIE WOLLEN WIR LEBEN. MECHTHILD EICKHOFF
Was bedeutet es, das Thema der Inklusion und Teilhabe und des interkulturellen Dialogs im Feld der Kulturpädagogik und Künste zu verhandeln? Stellt man die „interkulturelle“ Frage im Bereich der Kulturellen Bildung, gelangt man an empfindliche Punkte der eigenen Arbeit, an denen man sich eigentlich ganz gut eingerichtet hatte mit seinen Angeboten und deren Teilnehmer/innen. Als das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt des bjke „Der Kunst-Code. Jugendkunstschulen im interkulturellen Dialog“ startete, hatte man eine klare Vorstellung dessen, was erreicht werden sollte: einfach mehr Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund durch die Angebote der Jugendkunstschulen. Erste sensible Gegenfrage der wissenschaftlichen Projektleitung Dolores Smith: Warum? Wer genau? Was ist das Ziel? Gilt es eine Quote zu erreichen oder Kinder und Jugendliche, von denen man annimmt, dass Kunst und Kultur ihre – soziale, kulturelle, gesellschaftliche – Lebensqualität steigern wird? Glaubt man durch die interkulturelle Sensibilisierung auch die Qualität der eigenen Arbeit verbessern zu können? Wendet man sich ernsthaft den insgesamt qualitativkonzeptionellen Fragen zu, sind zahlreiche Wege im Spiel mit allen Variablen zu gehen, die im Bildungsprozess wirken. Alles wirkt, jedes Element und die Kombinationen können Zugänglichkeit erleichtern oder erschweren: Orte, Methoden und Angebotsformate, Zeit, Personal und dessen innere Haltung, Themen, Sprachen und Sprachstile, künstlerisches Material, Werbung...
Teilnahme oder Teilhabe Die inter-, trans- oder sozial-kulturellen Grundsatzfragen sind: >> W ie ist meine Jugendkunstschule (Musikschule, Biblio thek, Theater- und Tanzschule usw.) strukturiert, konzipiert und nach außen dargestellt, sodass zahlreiche Jugendliche (und ihre Eltern) sie gar nicht als attraktives Angebot erkennen und wahrnehmen können? >> Welche vor allen Dingen auch inneren Perspektiven und Weltbilder verhindern geradezu das Erreichen und auch die Entfaltung von Talenten bestimmter Zielgruppen? Wenn man etwa bei der Formulierung „mit Migrations hintergrund“ das Niveau gleich eine Stufe herunterschal ten zu müssen meint, ist die allseits propagierte Augen höhe nur schwer erreichbar. >> Wo und auf welche Weise sind Einrichtungen und Ange bote der Kulturellen Bildung – wenn auch unbewusst – exklusiv? Dabei greift bei der Frage nach der Teilhabe (nicht allein Teilnahme) viel eher die Trennlinie zwischen sozialen Milieus, zwischen finanziell benachteiligten und finanziell begünstigten Kindern und Jugendlichen oder zwischen bildungsenttäuschten und bildungsbegeisterten. Unter all diesen Kindern und Jugendlichen gibt es solche ohne und solche mit Migrationshintergrund. Denn selbstverständlich sind beide Gruppen sehr heterogen, es wachsen jedoch alle Kinder und Jugendlichen unter Bedingungen der Migration, Globalisierung und Internationali-
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sierung auf. Sieht man in diesem Zusammenhang nur eine Identitätsfacette – ob dies „mit Migrationshintergrund“ oder eine andere wie etwa „arm/reich“, „behindert“, „männlich“, „weiblich“ ist – läuft man Gefahr, Personen und ihre Entfaltungsmöglichkeiten von vornherein zu beschränken, schlimmer noch: Beteiligte zu unterfordern. Kinder, die in „Heimat-Projekten“ ständig etwas über die Herkunft ihrer Großeltern repräsentieren sollen, beschneidet man in der Relevanz ihrer eigenen Lebenserkenntnisse; und man befragt nicht ihren persönlichen Beitrag zu der Gesellschaft, in der wir jetzt leben. Verunsicherungskompetenz Alle Kinder und Jugendlichen müssen sich ihrer besonderen Stärken, Ideen und Fertigkeiten bewusst sein können. Dies ist das Credo der Kulturellen Bildung. Sie müssen dies unter Bedingungen können, die mentale (!) und geografische Mobilität und Flexibilität in höchstem Maße verlangen. Eine der Schwierigkeiten: Diese Form der Beweglichkeit ist nicht nur bei vielen benachteiligten Kindern und Jugendlichen, sondern auch bei den erwachsenen und als gebildet geltenden Verantwortlichen keine Selbstverständlichkeit. Darüber hinaus stammen viele, vor allem als interkulturell geltende, Konzepte aus anderen Zeiten, sind von anderen Herausforderungen in einer anderen, weit weniger vernetzten und rasanten Gesellschaft abgeleitet. Wer jedoch weder Möglichkeiten erhält noch eine Motivation verspürt, das vertraute (Arbeits-)Terrain und gewohnte sozial-kulturelle Umfeld zu verlassen, kann keine Verhaltenssicherheit für unvertraute Situationen gewinnen. Dies gilt auch für Akademiker, die sich in den immer gleichen sozialen Kreisen bewegen, den Opern-Besuch nie gegen das Gothic-Konzert tauschen würden und auch sonst nicht herausgefordert sind, Kontakte zu anderen Szenen aufzunehmen. Verunsicherungskompetenz erscheint als eine zentrale Schlüsselkompetenz für gleichberechtigte Dialoge in einer globalisierten Gesellschaft. Zeit Eine banale, aber so eminent wichtige Erkenntnis aus dem bjke-Projekt bezieht sich auf Zeit und Aufmerksamkeit und berührt damit einen konstituierenden Eckpfeiler pädagogischer Arbeit. Gerade „schwierige“ Kinder und Jugendliche aus benachteiligenden Kontexten beanspruchen zunächst authentische Aufmerksamkeit für sich, die sie andernorts eben nicht ausreichend erhalten (quasi ein umgekehrtes Aufmerksamkeitsdefizit). Hier ist das Gespräch zwischen
Künstler und Jugendlichem vielleicht erst einmal wichtiger als das Kunstmachen. Wenn es gelingen soll, Kinder und Jugendliche, überhaupt Menschen, ohne bislang engere Berührung zu gestalterischem Tun, anzuregen oder in kulturelle Einrichtungen zu involvieren, dann braucht es vor allem Zeit. Gerade Kinder und Jugendliche, die es gewohnt sind, als besondere oder besonders schwierige Zielgruppe zu gelten, brauchen ein begreifbares und authentisches Interesse an ihnen selbst – außerhalb dieser Zuschreibungen (wozu die Kunst einen ausgezeichneten Raum bietet!). Das lässt sich nicht einfach behaupten, das muss sich mit viel Zeit und Zuwendung der erwachsenen Verantwortlichen entwickeln und beweisen. Unter der Voraussetzung, dass man Kulturpädagogik und Kulturvermittlung als Teilhabe- und nicht allein Teilnahmemöglichkeit und Kulturelle Bildung als „Lebenskunst-Lernen“ begreift, müssen neue und andere Prioritäten gesetzt werden, als es bei einem methodenbezogenen Kurs der Fall ist. Eine persönliche Bindung und individuelle Förderung, der Aufbau einer Beziehung und das Bewusstsein darüber, dass man auch Lebensorientierung gibt, dies verlangt oftmals ein neues Rollenverständnis und eine andere Angebotsplanung der Fachkräfte. In den Fokus rücken dabei auch die Zeiten kurz vor oder nach einem Kurs oder Workshop, für Gespräche außerhalb der Kunst oder auch für die Familienwelten der Teilnehmer/innen. Die Kunst und ihre VermittlungsKünstler können dann sehr starke, jeden motivierende und anrührende Kommunikationsanlässe, Ausdrucks- und Anerkennungswege schaffen. Bevor jedoch gerade sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche anderen und anderem Aufmerksamkeit widmen können, brauchen sie selbst einen selbst-versichernden Vorrat davon. Kinder und Jugendliche, vielfach auch ihre berufstätigen Eltern stehen schon unter Zeit- und Erfolgsdruck; das künstlerisch-pädagogische Personal – in Einrichtungen und Verbänden – steht dem Zeit- und Erfolgsdruck ihrer Zielgruppe (und auch deren Eltern) kaum nach oder muss ihn angesichts enger Finanzpläne und der steigenden Notwendigkeit von Finanz-Akquisition im Haushaltsjahr- und Projektrhythmus vorleben. Nicht nur differenzierte Zielgruppenangebote, sondern auch deren kontinuierliche Reflexion und Innovation brauchen eine Dauer. Wenn Kulturelle Bildung tatsächlich demokratisch wirken soll, dann braucht sie mehr – und zwar bezahlte – Zeit für das vermeintliche „Drumherum“ – nämlich für die mehr denn je heterogenen Biografien, die darin auftauchen.
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Gestaltung von Erfahrung als Kunst „Wenn nicht nur die Skulptur, sondern vor allem das zählt, was die Jugendlichen an Erfahrungen aus dem Projekt mit nach Hause nehmen, dann muss der Gestaltung der Erfahrung mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit zukommen wie der Skulptur.“ (bjke/ Smith 2008) Gelingt es, die Kinder und Jugendlichen als Experten ihrer eigenen Lebenswelt und ihrer eigenen „Fragen ans Leben“ einzubinden und auch die Gestaltung von Erfahrung als Kunst zu verstehen, wirken Kunstprojekte über den Aktionszeitraum hinaus. In zahlreichen Kunst- und Kulturprojekten mit jungen, gerade als schwierig oder benachteiligt geltenden Jugendlichen wird deutlich, dass diese sehr oft leistungsbezogen über-, aber intellektuell unterfordert sind. Gerade hier muss man fragen: Welches Weltwissen der Kinder und Jugendlichen bleibt in den klassischen Bildungsinstitutionen, aber auch in Angeboten der Kulturellen Bildung ungefragt? Wie kann dieses gerade mit den Mitteln der Künste als wertvoll sichtbar werden? Und hier gibt es sicherlich relevante Erfahrungen von jungen Menschen mit Migrationshintergrund: Umgang mit Zwei- oder Mehrsprachigkeit, sprachliche und verhaltenstechnische Übersetzungsleistungen für sich und/oder die Eltern, politischgesellschaftliches Interesse an und Wissen über andere/n Staaten, ethnisch hergeleitete Inklusions- und Exklusionserfahrung, aber auch Mangel an beruflichen Vorbildern in den Bereichen Wissenschaft, Politik, Bildung, Jugend und: Kunst und Kultur! Als Bildungsverantwortliche müssen wir bereit sein, viele Perspektiven zuzulassen und die eigene auch zu wechseln. Ein vermeintlich sicheres Wissen über so etwas wie einen für alle wichtigen Kulturbildungskanon muss man kritisch diskutie-
ren können. (Wer sitzt auf dem Olymp, auf den die Kinder klettern sollen und was ist er?) Wir müssen erkennen können, wo wir selbst Exklusion produzieren oder daran beteiligt sind. (Erweiterte) interkulturelle Dialoge zu führen oder zeitgemäßer: „Diversity-Konzepte“ umzusetzen, bedeutet daher immer auch, ein Stück Sicherheit und Macht aufzugeben – jedoch notwendige Zeitgenossenschaft und Innovation hinzuzugewinnen. Bildungs- und Kultureinrichtungen müssen nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund beteiligen, sondern sich Menschen zuwenden, für die die Auseinandersetzung mit Kultur und Kunst in der Gesellschaft eine Bedeutung gewinnen könnte. Wir sind mit verantwortlich für Antworten auf die Frage: Wie wollen wir leben? Mechthild Eickhoff ist Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Jugendkunstschulen und Kulturpädagogischen Einrichtungen (bjke).
Literatur bjke/ Smith, Dolores (Hrsg.) (2008): Der Kunst-Code. Jugendkunstschulen im interkulturellen Dialog. Arbeitshilfe für die Kulturpädagogische Praxis.
Kontakt Bundesverband der Jugendkunstschulen und Kulturpädagogischen Einrichtungen e.V. Mechthild Eickhoff Kurpark 5, 59425 Unna Fon: +49 (0)2303.25 30 20 Fax: +49 (0)2303.253 02 25 mechthild.eickhoff@bjke.de www.bjke.de
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Bundesverband der Jugendkunstschulen und Kulturpädagogischen Einrichtungen e.V. (Hrsg.) Dolores Smith:
Der Kunst-Code. Jugendkunstschulen im interkulturellen Dialog Arbeitshilfe für die Kulturpädagogische Praxis Was sind interkulturelle Potenziale des innerdeutschen Projekt-Austauschs?
Welche Zugangsbarrieren gibt es für die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund?
Wie gelingt interkulturelle Bildung in Kooperation mit Schule, Kindergarten und Migrantenorganisation?
Welche integrativen Wirkungsmöglichkeiten der Künste gibt es?
Wie können und warum sollen Kinder und Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund Angebote der kulturellen Bildung für sich
Bundesverband der Jugund dJugendkunstschulen endkunstschulen Bundesverband un Kul turp chulender und ) ädagogische.V. en Ein ndkunsts n e.V. (Hrsg. richtungen e.V. (Hrs Einrichtungen (Hrsg.) r JugeKulturpädagogischen de ge d g.) un an ht rb ic Bundesve agogischen Einr äd rp Kultu
nutzen? Wie müssen Jugendkunstschulen und Kulturpädagogische Einrichtungen ihre Angebote, ihre Teams, ihre Konzepte verändern, um interkulturelle Kulturpädagogik zu realisieren? Die Arbeitshilfe bündelt Erfahrungen, Erkenntnisse und konkrete Empfehlungen an die Praxis, Politik und Verbandsebene, um Zugangs-
Dolores Smith:
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barrieren abzubauen und neue Sichtweisen auf eine heterogene Zielgruppe zu öffnen. Ergänzt durch einen Serviceteil mit Literaturhinweisen und einer kommentierten Linkliste für das Themenfeld Interkultur, Pädagogik, Bildung und Kultur ist die Publikation ein starker Begleiter für zeitgemäße Kulturpädagogische Praxis.
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VERSCHIEDENHEIT IN DER PERSPEKTIVE KULTURELLER BILDUNG ANFRAGEN AN DEN PÄDAGOGISCHEN UMGANG MIT KULTUR UND GESCHLECHT ASTRID MESSERSCHMIDT
Pädagogische Bezugnahmen auf Verschiedenheit schwanken zwischen Begeisterung und Problemanzeigen, zwischen Skandalisierungen und Respektbekundungen. Mit der pädagogischen Problematisierung von Heterogenität sollen soziale Kategorien zusammen gedacht werden, um die Praktiken der Kategorisierung des Sozialen zu untersuchen. Dabei handelt es sich um Praktiken, die Ungleichheit herstellen. Es geht um Marginalisierung und Diskriminierung, während im Sprechen über Vielfalt und Heterogenität das Angebot gemacht wird, die Dimensionen der Ungleichheit zu unterschlagen zugunsten eines scheinbar neutralen Sprechens von Verschiedenheit. Genau dieser Mangel an Kritik im Sprechen von Heterogenität wird in der Debatte immer wieder benannt und ist Ausgangspunkt der Diskussion um die angemessenen Begriffe für das, was mit Verschiedenheit und Vielfalt angesprochen wird und zugleich unbenannt bleibt. Diversity in pädagogischer Reflexion Eine bedeutende Quelle für die deutschsprachige Diskussion um den pädagogischen Umgang mit Heterogenität bilden die im englischsprachigen Raum entstandenen diversity studies. Sie können als Akademisierung der in sozialen Bewegungen erfolgten Kämpfe um gleiche Rechte und gesellschaftliche Partizipationsmöglichkeiten betrachtet werden und nehmen daran anknüpfend vor allem die als „big eight“ bezeichneten Unterscheidungskategorien in den Blick: race, gender, ethnicity, nationality, organizational role/function, age, sexual orientation, mental/physical ability, religion. Im US-amerikanischen Kontext sind diversity-Konzepte auf die Human Rights Movements und auf den Kampf um eine Antidiskriminierungsgesetzgebung zurückzuführen, während im deutschsprachigen Raum die Rezeption dieser Ansätze entweder mit deutlichem Akzent auf Unternehmensstrategien erfolgt oder pädagogisch gewendet und als Potenzial der Bereicherung in Lernprozessen hervorgehoben wird. Doch Bereicherung kommt doppeldeutig daher. Andere bereichernd zu finden, schließt nicht aus, dass sich jemand an ihnen bereichert, ihre Ressourcen
also ausbeutet. Schwierigkeiten im Umgang mit den Kategorien der Unterscheidung kommen insbesondere zum Ausdruck, wenn Differenzen an Kultur oder an Geschlecht festgemacht werden. Kultur als Aufhänger für Verschiedenheit „Kultur“ ist zu einem heiß umkämpften Terrain geworden. Auf der globalen politischen Bühne und im nationalen Kontext wird Kultur für Identitätsmarkierungen in Stellung gebracht und zu einem Kriterium von Fremdheit und Zugehörigkeit gemacht. Gerade weil Kultur so ausgesprochen uneindeutig daherkommt, wird insbesondere im Zusammenhang transnationaler Migrationen versucht, kulturell eindeutige Identitäten zu markieren. Wenn nichts mehr sicher ist, verspricht Kultur Zuordnung und Identität. Zugleich befördert der Kulturdiskurs Imaginationen der Bedrohlichkeit gegenüber jenen, die als kulturell fremd und anders markiert werden. Kultur im Singular wird häufig auf ästhetische Zusammenhänge bezogen, die bildenden Künste, Literatur und Musik sind bevorzugte kulturelle Sphären. Wenn von Kulturen im Plural die Rede ist, kommen dagegen eher Problemanzeigen ins Spiel. In der deutschsprachigen Pädagogik hält sich trotz ausgeprägter Kritik ein ausgrenzender Umgang mit Kulturen im Plural. Dabei werden die „Herkunftskulturen von Einwanderern und ihren Kindern weitgehend als homogen konzipiert und der ebenso homogen gedachten deutschen Mehrheitskultur gegenübergestellt“ (Yildiz, S. ,2005, S. 224). Safiye Yildiz bilanziert nach einem Vergleich von Ausländerpädagogik, multikultureller und interkultureller Erziehung, „dass auch im Konzept der interkulturellen Erziehung Kulturdifferenzen als Problembeschreibung vorherrschend bleiben“ (ebd., S. 236). Karin Reindlmeier macht darauf aufmerksam, dass Kulturalisierungen in vielen Praxiskonzepten interkulturellen Lernens zur Stabilisierung sozialer Ungleichheit beitragen, weil durch die Identifikation kultureller Differenz als entscheidendem Kriterium interkultureller sozialer Beziehungen Diskurse etabliert werden, „die Rassismus ausblenden“ (Reindlmeier 2006, S. 237). Was im Zusammenhang von multikulturellen Stadtteilfesten und
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interkulturellen Wochen an kulturellen Differenzen vermittelt wird, ist Ergebnis einer Unterwerfung unter die kulturalisierenden Erwartungen, denen zu entsprechen diejenigen sich bemühen, die als ‚Andere’ in den Inszenierungen der Multikulturalität eingesetzt werden und sich einsetzen lassen. In der Feier der kulturellen Verschiedenheit steckt zugleich die Verachtung derer, die als ‚Andere’ identifiziert werden und die mit der Zurschaustellung ihrer Andersartigkeit zur Bestätigung der Bilder beitragen, die Fremdheit festschreiben. Diese Muster spiegeln sich auch in pädagogischen Konzepten für kulturelle Vielfalt wider, solange darin nicht strukturelle Ungleichheiten und Diskriminierungen reflektiert werden. Anstatt sich auf kulturelle Identitäten und deren Unterscheidungen zu beziehen, postuliert Reindlmeier einen „reflexiven Umgang mit der Kategorie ‚Kultur’“ (Reindlmeier 2006, S. 257). Es geht also nicht darum, kulturelle Dimensionen zu ignorieren, sondern die innere Heterogenität von Kulturen, ihre Dynamiken und die strukturellen Ungleichheiten im Umgang mit kulturellen Zuschreibungen zu berücksichtigen. Wenn durch Kulturalisierungen soziale Konflikte als kulturelle gedeutet werden, kommen strukturell bedingte ökonomische Ungleichheiten kaum in den Blick, was zur Stabilisierung ebendieser Ungleichheiten beiträgt. Die ungleichen sozialen Ausgangsbedingungen für den Zugang zu Bildung, zu politischer Mitbestimmung und materieller Sicherheit werden verdrängt, wenn kulturell bestimmte Differenzen in den Vordergrund gestellt werden. Geschlechterreflektierende Zugänge Die Aufmerksamkeit für Differenzen neigt dazu, Identitätsmarkierung vorzunehmen. Kulturelle Differenz steht dann für kulturelle Identitäten, und Geschlechterdifferenz bestätigt Gewissheiten über Weiblichkeit und Männlichkeit. Auf
Differenzen aufmerksam zu machen und in Bildungsprozessen für eine Sensibilität im Umgang mit Verschiedenheit einzutreten, erweist sich als ambivalent. Einerseits soll auf Unterschiede eingegangen werden, andererseits besteht die Gefahr, Identitäten festzuschreiben. Eine geschlechtersensible Bildungsarbeit sollte deshalb darauf achten, Geschlechterpositionen als relationale in einem sozialen und kulturellen Beziehungsgeflecht erkennbar zu machen. Aus der Geschlechterforschung kommen zwei Konzepte, die das Dilemma im Umgang mit Differenzen reflektieren, weil beide versuchen, Verschiedenheit und Gleichheit in einen Zusammenhang zu bringen. Gender macht Geschlecht als „strukturelle Kategorie“ gesellschaftlich sichtbar (vgl. Rendtorff/Moser 1999, S. 18) und problematisiert dabei die Ungleichheitsverhältnisse zwischen den Geschlechtern sowie deren soziale Reproduktion. Queer macht Geschlecht als politische Kategorie sichtbar und problematisiert Machtverhältnisse, die Identitäten zuordnen, anordnen und kontrollieren. Erst durch die Diskussion um die gesellschaftlich vorherrschende heteronormative Zweigeschlechtlichkeit ist die Dimension des sexuellen Begehrens und der vielfältigen Sexualitäten als gelebte Praxen ins Blickfeld der Geschlechterdebatten gerückt (vgl. Jagose 2001). In den Sozial- und Kulturwissenschaften steht queer für eine theoretische Ausrichtung, die jede Identifizierung fragwürdig werden lässt und die Beziehungen zwischen etablierten und marginalisierten Zugehörigkeiten analysiert (vgl. Hartmann 2001). Dekonstruiert werden unhinterfragte Zuschreibungen von Identitäten, um die darin wirkenden Normalisierungspraktiken sichtbar zu machen. Sowohl die Kategorie Geschlecht wie auch diejenige der Kultur werden eingesetzt, um Macht auszuüben und Homogenitätsvorstellungen zu bestätigen, während gleichzeitig von Differenzen die Rede ist. Der Versuch, Differenzen
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zu berücksichtigen, entgeht nicht dem Problem, dieselben machtvoll zu instrumentalisieren. Statt einer Verklärung von Differenz aufzusitzen, geht es darum, Differenzen auf der Folie von Herrschaftsverhältnissen sichtbar werden zu lassen. Wie werden durch das Verweisen auf Differenz soziale Verhältnisse reguliert? Welche Interessen stehen dahinter, wenn „kulturelle Differenz“ als bedeutsam angesehen wird oder wenn auf Geschlechterdifferenzen aufmerksam gemacht wird? Das Einsetzen der Differenzmarkierung kann zum Hebel für Ausgrenzungs- und Vereinnahmungsprozesse werden. Eine kritische Politik der Differenz muss also stets den Umgang mit den Unterscheidungskategorien reflektieren. Für eine geschlechter- und kultursensible Bildungsarbeit kommt es darauf an, Räume für vielfältige kulturelle und geschlechtliche Lebensformen zu eröffnen. Die pädagogisch Handelnden selbst benötigen Zugänge zur Reflexion eigener Normalitätsvorstellungen, um eigene Annahmen über heterosexuelle Zweigeschlechtlichkeit und kulturell eindeutige Zugehörigkeit in Frage stellen zu können. Kulturelle Bildung Weil die Kategorie der Kultur in einer Gesellschaft, die Verschiedenheit hierarchisch anordnet, immer wieder dazu benutzt wird, Ausgrenzung zu begründen, besteht eine wesentliche Aufgabe Kultureller Bildung heute darin, genau diese Praktiken kulturalisierender Diskriminierung sichtbar zu machen, zu analysieren und dagegen einzutreten. Eine kulturkritische Kulturelle Bildung verabschiedet sich von einem naiven Kulturbegriff und setzt sich damit auseinander, wie Kultur instrumentalisiert wird, um Strukturen von Über- und Unterlegenheit zu verfestigen. Auf dieser Grundlage wird es möglich, Kultur als Ressource globaler Beziehungen lebendig werden zu lassen. Sichtbar wird die kulturelle Produktivität der gegenwärtigen Migrationsgesellschaften insbesondere in den urbanen Räumen, wo längst vielfältige Praktiken entwickelt worden sind, um Pluralität und Gleichheit alltäglich zu leben. Im multikulturellen Alltag der Städte wird ein Umgang mit Kultur erfahrbar, der keine Identität zur Grundlage haben muss, sondern Beziehungen entstehen lässt, die weder Fremdheiten noch Differenzen überwinden müssen (vgl. Yildiz, E., 2006). Ausgehend von einem kulturkritischen Kulturbegriff können in Bildungsprozessen Zugänge entwickelt werden, die es ermöglichen, den stigmatisierenden, spaltenden und identifizierenden Gebrauch der Kulturkategorie kritisch zu reflektieren. Kultur ist in dieser Perspektive nicht mehr das Feld der unproblematischen Begegnung sondern wird zum
Zeichen einer Beunruhigung über die sozialen Verhältnisse und zum Schauplatz kritischer Artikulationen über die Dynamiken und Begrenzungen pluraler Zugehörigkeiten. Bildung als kultureller Prozess und als Auseinandersetzung mit kultureller Überlieferung ist involviert in die Gewaltsamkeit der Kultur, kann aber zugleich die Voraussetzungen schaffen, deren Gewaltsamkeit zu hinterfragen. Für diese Artikulation eine Form zu suchen, betrachte ich als Prozess Kultureller Bildung (vgl. Messerschmidt 2009, S. 109ff) – ein Prozess, der fragil bleibt, weil die Kulturkategorie sich offensichtlich bestens dazu eignet, Selbstvergewisserungen durch verachtende und diffamierende Repräsentationen anderer zu betreiben. Astrid Messerschmidt ist Erziehungswissenschaftlerin und vertrat zuletzt die Professur für Allgemeine Pädagogik an der Universität Flensburg. Ab Oktober 2009 ist sie als Professorin für Interkulturelle Pädagogik an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe tätig.
Literatur Jagose, Annamaria (2001): Queer Theory. Eine Einführung. Berlin. Hartmann, Jutta (2001): Bewegungsräume zwischen Kritischer Theorie und Poststrukturalismus. Eine Pädagogik vielfältiger Lebensweisen als Herausforderung für die Erziehungswissenschaft, in: Fritzsche, Bettina/Hartmann, Jutta/Schmidt, Andrea/Tervooren, Anja (Hrsg.): Dekonstruktive Pädagogik. Erziehungswissenschaftliche Debatten unter poststrukturalistischen Perspektiven. Opladen, S. 65–84. Messerschmidt, Astrid (2009): Weltbilder und Selbstbilder. Bildungsprozesse im Umgang mit Globalisierung, Migration und Zeitgeschichte. Frankfurt/M. Reindlmeier, Karin (2006): Alles Kultur? Der ‚kulturelle Blick’ in der internationalen Jugendarbeit. In: Elverich, Gabi/Kalpaka, Annita/Reindlmeier, Karin (Hrsg.): Spurensicherung. Reflexion von Bildungsarbeit in der Einwanderungsgesellschaft. Frankfurt/M./London, S. 235–261. Rendtorff, Barbara/Moser, Vera (1999): Geschlecht als Kategorie – soziale, strukturelle und historische Aspekte. In: dies. (Hrsg.): Geschlecht und Geschlechterverhältnisse in der Erziehungswissenschaft. Eine Einführung. Opladen, S. 11–68. Yildiz, Erol (2006): Multikulturalität und Demokratie im Zeitalter der Globalisierung. In: Butterwegge, Christoph/Hentges, Gudrun (Hrsg.): Zuwanderung im Zeichen der Globalisierung. Migrations-, Integrations- und Minderheitenpolitik. 3. aktualisierte Auflage, Wiesbaden, S. 259–276. Yildiz, Safiye (2005): Interkulturelle Erziehung im Niedergang oder Aufbruch? Ein retrospektiver Einblick in pädagogische Konzepte. In: IFADE (Hrsg.): Insider- Outsider. Bilder, ethnisierte Räume und Partizipation im Migrationsprozess. Bielefeld, S. 223–244.
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„KULTURELLE VIELFALT“ ZWISCHEN POLITIK UND PÄDAGOGIK DAS ÜBEREINKOMMEN ÜBER SCHUTZ UND FÖRDERUNG DER VIELFALT KULTURELLER AUSDRUCKSFORMEN MA X FUCHS
Die meisten Begriffe, die in der öffentlichen Diskussion eine Rolle spielen, sind ausgesprochen schillernd. Sie spielen eine Rolle, weil sie sich zum einem auf eine wahrnehmbare Realität beziehen. Sie müssen zusätzlich in der Lage sein, die Phantasie der Menschen freizusetzen. Irgendwann werden sie in der Wissenschaft – oder besser: in unterschiedlichen Wissenschaften – aufgegriffen. Manchmal geht der Weg auch von den Wissenschaften in die Alltagssprache. Solche Begriffe kann man „Leitformeln“ nennen. Der Umgang mit ihnen ist unvermeidlich, aber auch äußerst schwierig. Denn bereits die knappen einführenden Bemerkungen zeigen, dass solche Begriffe eine theoretische, eine ideologische, eine empirische und eine normative Dimension haben. Beispiele für solche Begriffe sind etwa „Emanzipation“ (in früheren Jahren), „Teilhabe“ oder „Identität“. In kurzer Zeit hat es der Begriff der „kulturellen Vielfalt“ geschafft, zu einer solchen Leitformel zu werden – mit großer Akzeptanz in der öffentlichen Kommunikation, aber auch mit einer großen Komplexität in der Verwendungsweise in den verschiedenen fachlichen und populären Diskursen. Dass „Vielfalt“ ein Charakteristikum der modernen Gesellschaft ist, liegt auf der Hand. Dass es daher zur Kompetenz jedes Einzelnen gehören müsste, mit Vielfalt bewusst umzugehen, ergibt sich hieraus. Doch gelingt es schon in der Praxis nicht immer, Vielfalt zu leben. Wir wissen um die wichtige Rolle der biologischen Vielfalt – es gibt sogar eine weitgehend akzeptierte Konvention hierzu. Und doch lassen wir es zu, dass täglich mehrere tausend biologische Arten aussterben. Wir hören ständig, dass kulturelle Vielfalt ein Reichtum ist, und doch kommen immer wieder Debatten auf, die eine deutsche Leitkultur fordern. Die Pädagogik ist dabei gerade in Deutschland gerne bereit, gesellschaftliche und politische Probleme bloß als pädagogische Probleme aufzufassen.
Dabei – so meine These – ist die pädagogische Dimension von kultureller Vielfalt nicht die wichtigste. Denn wenn Vielfalt bedeutet, die Unterschiedlichkeit menschlicher Lebensweisen nicht nur auszuhalten, sondern sogar noch zu fördern, dann braucht man hierfür rechtliche Rahmenbedingungen. Dann dürfte eine peinliche Diskussion über die Wahlberechtigung von Menschen, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben, nicht möglich sein. Vielfalt hat hier mit Grundrechten zu tun, die nicht eingehalten werden. Vielfalt muss dann in Kategorien von Ausschluss oder Teilhabe diskutiert werden. Sehr schnell ist man dann bei Fragen der Gerechtigkeit – und muss sich von den Vereinten Nationen vorhalten lassen, dass die deutschen PISA-Ergebnisse als Verstoß gegen das Menschenrecht auf Bildung gesehen werden müssen. Damit ist man auf der Ebene des Völkerrechts angelangt. In der Tat wird „kulturelle Vielfalt“ inzwischen (fast) als Menschenrecht gehandelt. Zumindest gibt es seit 2005 eine entsprechende Konvention (siehe www. unesco.de), der bis heute fast 100 Staaten beigetreten sind und die daher seit einiger Zeit in Kraft gesetzt ist. Wer diese Konvention (genau: Übereinkommen über Schutz und Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen) liest, muss beeindruckt sein von dem theoretisch-konzeptionellen Aufwand, der bei der Eingliederung dieser Konvention und damit dieses Begriffs in das System anderer völkerrechtlicher Dokumente betrieben wird. „Kulturelle Vielfalt“ wurde so zusätzlich zu den anderen genannten Bedeutungsebenen auch zu einem juristischen Begriff. Zunächst einmal sagt die Konvention, dass jedes Land auch weiterhin das Recht hat, eine eigenständige Kulturpolitik zu betreiben. Wer die Hintergründe nicht kennt, etwa die Bedrohung der Kulturpolitik durch internationale Handelsabkommen, die genau dies verbieten wollen, versteht die Behauptung
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dieser Aussage nicht. „Kulturelle Vielfalt“ hat dabei eine starke ökonomische Bedeutung. Denn auch von ihrer Genese her ist die Konvention als Schutzinstrument der kleinen vor der großen Kulturwirtschaft gedacht. Doch was hat dies alles mit Bildung zu tun? Die Konvention weiß, dass ihr Anliegen vielfältige öffentliche Unterstützung braucht, dass der Staat alleine überfordert wäre. Daher wird zum einen der Zivilgesellschaft eine große Rolle zugebilligt (Art. 11). Zudem gibt es einen eigenen Bildungsartikel (Art. 10). Doch was heißt dies für die Praxis? Bis heute ist dies noch nicht klar. Das beginnt schon bei dem Begriff der „kulturellen Vielfalt“: Ist die Vielfalt der Künste gemeint, ist es die Vielfalt der Lebensweisen (beides wird durch den Kulturbegriff der UNESCO abgedeckt)? Heißt es vielleicht sogar, dass unterentwickelte Kunstsparten (etwa Tanz) nunmehr zulasten gut entwickelter Sparten besonders gefördert werden sollen? In jedem Fall sind alle Bildungsangebote, also etwa schulische und außerschulische Angebote gemeint. Hier kann man etwa fragen, ob unsere Geschichtsbücher nicht sehr stark einen eurozentrischen Blick pflegen? Genaueres über das Verständnis einzelner Konzepte wird man erst mit der Zeit erfahren. Denn es werden im Moment in der UNESCO Umsetzungsrichtlinien erarbeitet, die allerdings bislang vor allem das Nord-Süd-Verhältnis im Kulturaustausch betreffen. Immerhin gibt es bereits Aussagen zur Rolle der Zivilgesellschaft. Es entstehen auch juristische Handbücher, die zumindest offiziöse Deutungen der zentralen Begriffe und Ideen der Konvention anbieten werden. Was können wir inzwischen tun? Es hindert uns niemand daran, uns selbst mit „kultureller Vielfalt“ auseinanderzusetzen. Allerdings ist die Zeit sehr allgemeiner Überlegungen, was alles unter Vielfalt verstanden werden
könnte, vorüber: Der Text liegt als Referenzsystem vor und schränkt allzu wild wuchernde Phantasien ein. Immerhin hat die Deutsche UNESCO-Kommission als ersten pragmatischen Schritt die Erstellung eines Weißbuches angeregt, bei dem einige Handlungsfelder identifiziert werden, für die zwei oder drei Handlungsempfehlungen erarbeitet werden sollen. Das ist gut so, weil damit transparenter wird, worum es gehen könnte. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass dieser Prozess überholt wird von der drohenden Sparwelle bei öffentlichen Haushalten. Wir werden auf alle Fälle die Konvention zu nutzen versuchen, um das Schlimmste an Kahlschlag zu verhindern. Dann muss die Konvention ihre Schutzfunktion erfüllen, wenn es etwa darum geht, eine gewachsene Infrastruktur im Bereich der Kulturellen Bildung zwar durchaus kritisch zu überprüfen, aber auch nicht wehrlos den Streichnotwendigkeiten von Kämmerern und Finanzministern preiszugeben. Hierbei muss sich die Konvention dann aber auch bewähren, will man nicht einen tiefgehenden Relevanzeinbruch riskieren. Die BKJ wird diese Debatte, an der sie seit Jahren beteiligt ist, intensivieren. Im Herbst werden erste präzisierte Überlegungen zur öffentlichen und verbandsinternen Diskussion vorgelegt. Inzwischen sollte man die Zeit für eine gründliche Lektüre nutzen. Ideen und Erträge dieser Auseinandersetzung sind willkommen. Prof. Dr. Max Fuchs ist Direktor der Akademie Remscheid, Vorsitzender der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ), des Deutschen Kulturrats und des Instituts für Bildung und Kultur (IBK). Er lehrt Kulturarbeit an den Universitäten Duisburg-Essen, Hamburg und Basel. Fuchs hat zahlreiche Schriften zur Theorie und Geschichte von Bildung und Kultur sowie zur (Theorie der) Kulturpolitik veröffentlicht.
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SICH ANDEREN DINGEN ÖFFNEN LERNEN DAS PROJEKT „FORSCHEN IN EIGENER SACHE“ AM ÜBERSEE-MUSEUM BREMEN BIRTE STÜVE
Jugendliche befinden sich in einer Lebensphase der Neuorientierung. In dieser Entwicklungsstufe sind sie hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt. Es ist die Zeit, in der sie sich vom Kinderleben verabschieden und in Abgrenzung zu Eltern und Freundeskreis eine eigene Identität suchen. Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen verändern sich. Die Fragen »Was ist wichtig für mich?« und »Wie sollen mich andere sehen?« stehen im Mittelpunkt des Erlebens. Dies ist eine besondere Herausforderung für Jugendliche, die in einer multikulturellen Gesellschaft aufwachsen, und zusätzlich für Jugendliche, die mit ihren Eltern in erster oder zweiter Generation in Deutschland leben. In dem Feld der Kulturellen Bildung kann das Museum in dieser Hinsicht geeignete Freiräume zur Orientierung, Selbstreflexion, Kompetenz- und Persönlichkeitsförderung schaffen. Interkulturalität ist ein wesentlicher Bestandteil in dem JugendProjekt des Übersee-Museums. Das ergibt sich zum einen aus dem ethnologischen Sammlungsansatz des Museums, und zum anderen aus dem Umstand, dass auch die Schulklassen, die zu uns kommen, sehr vielfältig zusammengesetzt sind. Wie fies! „Sich anderen Dingen öffnen lernen.“ So lautet das Fazit eines 14jährigen Jungen, der mit seiner Schulklasse am FIES-Projekt im Übersee-Museum Bremen teilgenommen hat. FIES bedeutet „Forschen In Eigener Sache“ und ist ein interkulturelles Projekt für Jugendliche, welches das Übersee-Museum Bremen seit August 2005 anbietet. Das Museum spricht dabei 14- bis 20jährige aus allen Schultypen und Jugendfreizeiteinrichtungen an. Die Gruppen werden in ihrem halbjährigen Projekt von Museumsfachleuten und Künstler/innen begleitet und unterstützt. In ihren Klassen und Gruppen vertiefen sich die Jugendlichen mithilfe der Arbeitsmethoden des Museums (Sammeln, Forschen und Ausstellen) in ein selbst gewähltes Thema, z. B. „Heimat“ oder „Religion“. Ausgehend von den Objekten, die sie dazu im
Museum finden, entwickeln sie eigene Fragestellungen und forschen in ihrem eigenen Lebensumfeld oder öffentlichen Einrichtungen (z. B. Familie, Stadtteil, Bibliothek). Nach der Auswertung der Forschungen setzen sie diese kreativ um und präsentieren ihre Ergebnisse in einer künstlerischen Ausdrucksform (z. B. als Theater, Buch, Film, Website, Modenschau oder Ausstellung) öffentlich vor einem Publikum. Eine Jury aus Kulturexpert/innen und Schüler/innen begutachtet die Forschungsergebnisse, Originalität und Teamarbeit der Projekte und verleiht am Ende Kulturgutscheine. Für jede Klasse gibt es einen Gutschein, den diese bei einer Kultureinrichtung ihrer Wahl einlösen kann. Das kann ein Theater, ein Museum oder eine Ausstellung sein (mit Programm), aber auch die Teilnahme an einem Workshop (Tanz, Kunst etc.). Damit ist die Idee verbunden, das (hoffentlich) gewonnene Interesse an einer Kultureinrichtung, einem Thema oder einer Kunstform weiterverfolgen zu können. Das Konzept, das dem Projekt zugrunde liegt, entspricht den Leitlinien Kultureller Bildung (vgl. Schorn 2009). Von diesen Prinzipien möchte ich einige herausstellen, die für den Umgang mit kultureller Diversität in der museumspädagogischen Bildungspraxis grundlegend sind. Dem eigenen Interesse nachspüren Das Forschen ist eine Arbeitsmethode im Museum, die auch bei FIES Anwendung findet. Was allerdings erforscht wird, richtet sich nach der Neigung der Jugendlichen. Zu Beginn des FIES-Projektes werden sie aufgefordert, über Thema und künstlerische Präsentationsform nach eigenem Interesse selbst zu entscheiden. Diese Form der Partizipation fördert die Motivation mitzuarbeiten. Im Rahmen ihres Themas bleibt den Mädchen und Jungen die Entscheidung überlassen, ob sie als Expert/in ihrer eigenen Kultur auftreten oder zur/zum Expert/in für eine andere Kultur werden. Die Jugendlichen formulieren ihre Neugier am Thema, indem sie sich in kleinen Teams eigene Fragestellungen erarbeiten
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und überlegen, wo und wie sie an die nötigen Informationen gelangen. Durch die regelmäßig wiederkehrende Ergebnissicherung in Form von kurzen Präsentationen erhalten die Jugendlichen immer wieder neue Anreize und Sichtweisen aus der Gruppe. Damit erhalten sie einen Überblick über die kulturelle Vielfältigkeit ihrer Klasse, der sie oft in Staunen versetzt. Aktiv und selbstbestimmt Nachdem die Fragenkataloge entstanden sind, geht es an die Informationsbeschaffung. Beliebt sind das selbstständige Forschen im Museum und die Interview-Methode, bei der eigene Familienmitglieder, Passanten oder Fachleute befragt werden. Bei der praktisch-kreativen Umsetzung dieser Ergebnisse ist Teamarbeit angesagt. Jede/r ist aufgefordert, sich mit seinen Stärken einzubringen. Besonders zum Ende des Projektes, wenn die Jugendlichen ihr Ergebnis vor Publikum präsentieren, zeigen sie und lassen sie spüren, dass sie sich damit identifizieren. Es ist umso authentischer und wird vor allem dann akzeptiert, je selbstbestimmter und aktiver die Jugendlichen am Prozess beteiligt waren. Sich zeigen Das Prinzip des Sich-Zeigens in der Kulturellen Bildung entspricht der Museumsaufgabe des Ausstellens bzw. Präsentierens. Zweimal im Jahr wird das Übersee-Museum zum Schauplatz der Jugendlichen. An diesen Tagen vermitteln sie dort einmal mehr die kulturelle Vielfalt unserer Gesellschaft. Die Präsentation der FIES-Projekte im Museum holt ihre Sicht auf die Dinge aus dem abgegrenzten Raum der Schule in die Öffentlichkeit. In diesem Rahmen treten sie nicht in der Rolle von Schüler/innen auf, sondern als Kultur-Expert/innen. Neben der Veranstaltung mit den Aufführungen gibt es auch eine mehrere Wochen dauernde Ausstellung. Die Gewissheit, von der Öffentlichkeit, d. h. von Publikum, Museumsbesucher/innen und Tagespresse, wahrgenommen zu werden, steigert Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl der Jugendlichen. Die Begutachtung der Arbeiten durch eine unabhängige Jury und die anschließende Laudatio derselben vermitteln das Gefühl, ernst genommen zu werden. „Der Dritte Ort“ Hinsichtlich der Kulturellen Bildung weist aber die museumspädagogische Arbeit in einem Punkt eine Besonderheit auf und bietet damit eine einzigartige Möglichkeit. Mit seinen Darstellungen und Sammlungen zum Leben in unterschiedlichsten Kulturen bietet das Übersee-Museum als „Dritter Ort“ eine Plattform für interkulturelle Auseinandersetzungen. Objekte und Themen, die in den Ausstellungen zu finden sind, bieten genügend Anlässe, um sich über Fremdes und Vertrautes auszutauschen. Das Sammeln ist eine Arbeitsmethode des Museums, die auch die Jugendlichen bei FIES anwenden. Es ermöglicht, Objekte und Informationen wertfrei und gleichberechtigt zusammenzustellen. Die Jugendlichen erfahren, wie Menschen in anderen Ländern leben, setzen dies in Beziehung zu ihrem eigenen Leben und spannen so den Bogen vom Regionalen zum Globalen. Im Vergleich mit anderen Kulturen zeigen sich Unterschiede,
aber auch manche überraschenden Gemeinsamkeiten. Die Jugendlichen können sich in Offenheit und Neugier, Toleranz und Vorurteilsfreiheit üben. Vor allem Migrant/innen, die in 2. oder schon 3. Generation in Deutschland leben, können sich mit ihrer Familiengeschichte und ‑identität auseinandersetzen. Gleichzeitig werden deutschstämmige Jugendliche dafür sensibilisiert, was es heißt, in zwei Kulturen zu leben. Jede/r steuert aus seinem eigenen Kulturkreis etwas zum Thema bei. Die Anerkennung dieser Vielfalt bereichert so das Forschungsergebnis und seine abschließende Präsentation und verändert die Selbstwahrnehmung und Wertschätzung innerhalb der Gruppe. Eine besondere Auszeichnung erfuhr das Museumsprojekt im Juni dieses Jahres: Das Übersee-Museum Bremen erhielt für die Durchführung des Projektes „FIES -Forschen in eigener Sache“ den 1. BKM-Preis für Kulturelle Bildung, verliehen durch den Staatsminister für Medien und Kultur Bernd Neumann, weil es „in vorbildlicher Weise alle Jugendgruppen für kulturelle und künstlerische Bildung und den Kontext Museum gewinnt ... und den interkulturellen Dialog fördert“. Das Projekt, an dem seit 2005 über 1000 Jugendliche teilgenommen haben, wird von der Stadt Bremen, VGH-Stiftung, ÖVB-Öffentliche Versicherungen Bremen, der Sparkasse Bremen und START-Jugendkunststiftung Bremen unterstützt. Birte Stüve ist tätig als Kulturwissenschaftlerin und Museumspädagogin. Seit 2005 ist sie am Übersee-Museum Bremen für die praktische Durchführung des FIES-Projektes verantwortlich. Sie entwickelte verschiedene Bildungsprojekte mit interkultureller Ausrichtung.
Literatur www.uebersee-museum.de/fies Bolduan, Anka/von Gemmingen, Ulrike (2009): Museum und Gesellschaft: Interkulturelles Lernen im Museum. In: Kunz-Ott Hannelore / Kudorfer, Susanne / Weber, Traudel (Hrsg.): Kulturelle Bildung im Museum. Aneignungsprozesse – Vermittlungsformen – Praxisbeispiele. Bielefeld. Bolduan, Anka (2008): Forschen in eigener Sache – FIES. Ein interkulturelles Projekt für Jugendliche. In: Kulturpolitische Gesellschaft (Hrsg.): Interkulturelle Bildung – Ein Weg zur Integration. Dokumentation der Tagung vom 14. / 15. November 2007. Bonn, Essen. Bolduan, Anka (2007): Multiethnische, jugendliche Besucher – eine neue Herausforderung für die Museen. In: Grünewald-Steiger, Andreas / Klages, Rita (Hrsg.): Die Praxis der Interkultur. Dokumentation des Symposions vom 1./2. Juni 2006, Wolfenbütteler Akademie-Texte (WAT), Band 30, Wolfenbüttel. Schnaars, Kerstin (2007): Malen liebt Eyüp oder Hochzeit mit Hindernissen. In: Museumsmagazin 2007, Stuttgart. Schorn, Birgitte (2009): Prinzipien Kultureller Bildung integrieren. Praxisorientierte Anregungen für Kooperationsprojekte und kulturelle Schulentwicklung. In: Kulturelle Bildung 2009, Heft 3, Remscheid, S. 7-9. Stüve, Birte (2007): Ander(e)s sehen lernen. „Forschen In Eigener Sache“ – Ein Jugendprojekt im Überseemuseum Bremen. In: Projekt „Eine Welt in der Schule“/ Grundschulverband e.V. (Hrsg.): Eine Welt in der Schule 1/2007, Bremen. Stüve, Birte (2006): Warum kann Schule nicht FIES sein? Ein Jugendprojekt im Überseemuseum Bremen, In: Bundesverband Museumspädagogik (Hrsg.): Standbein, Spielbein 12/2006, Heft 76, Hildesheim.
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GESCHICHTEN VERBINDEN – „2 x10 ERSTE BÜCHER“ EIN DEUTSCH-POLNISCHES BEGEGNUNGSPROJEKT MIT KINDERN IM VORSCHULALTER DR. EDDA ESK A
Bereits jüngere Kinder haben Spaß an internationalen Begegnungen und sind für Literatur und Buchillustration zu begeistern. Der Friedrich-Bödecker-Kreis im Land Brandenburg e.V. organisierte 2009 mit finanzieller Unterstützung des Deutsch-Polnischen Jugendwerks erstmals eine deutsch-polnische Begegnung mit Kita-Kindern. Eine Woche lang haben Frankfurter und Slubicer Mädchen und Jungen gemeinsam ihre ersten eigenen Bücher gestaltet. In den Kunstwerken der Kinder geht beispielsweise ein deutscher Junge mit einer Taube über die Brücke nach Slubice, an einem Schild vorbei, auf dem „Skoly“ steht; oder ein polnisches Mädchen mit einem Kuckuck trifft an einer Frankfurter Schule Kinder, die ihm vor dem Nachhauseweg „Do widzenia!“ zurufen Dem Projekt lag das Bilderbuch „Bimbo und sein Vogel“ von Martin Auer (Text) und Simone Klages (Illustration) zugrunde. Die Künstlerin Simone Klages leitete die Kindergruppe an, zu dem Buch eine neue Geschichte zu erfinden und es mit eigenen Bildern zu versehen. Auf dieser Basis entstanden je eine polnische und eine deutsche Version. Die Illustrationen der Kinder sind individuell gestaltet, daher heißt das Projekt auch „2 x 10 erste Bücher“. Die von den Kindern erfundene Geschichte handelt von einem Kind und seinem Vogel, die in ein fremdes Land gehen – in der deutschen Version nach Polen und umgekehrt – und dort eine Flaschenpost mit einem Hilferuf finden: Den Schulkindern wurde ihr Schatz gestohlen. Daraufhin läuft das Kind, das mal Mädchen und mal Junge ist, mit seinem Vogel zur Schule und trifft auf einen Riesen. Das Kind verjagt den Riesen und bekommt als Dankeschön ein Buch. Das Besondere an dem Projekt war: die deutschen und polnischen Kita- und Vorschulkinder redeten miteinander, obgleich sie sich sprachlich nicht verständigen können. In ihrer kindlichen Neugier blieben Berührungsängste aus und nahmen sie Sprachbarrieren als Hindernis gar nicht wahr. Beim Zusammensein und Gestalten ihrer Bücher und dem täglichen Singen des Liedes „Bruder Jakob“ bzw. „Panie Janie“ wuchs bei vielen Kindern die Lust, Vokabeln der
jeweils anderen Sprache aufzuschnappen und zu gebrauchen. Manche/r Teilnehmer/in wünschte sich, als Schulkind demnächst Polnisch bzw. Deutsch zu lernen. Neben der Begeisterung für eine andere Sprache wurde deutlich, welche künstlerischen Fähigkeiten und interkulturellen Kompetenzen schon in den ‚Kleinsten der Kleinen’ stecken. Das Projekt mündete in zwei Ausstellungen in den Bibliotheken Frankfurt (Oder) und Slubice. Hier präsentierten die Kinder ihre Bücher in Form eines deutschpolnischen Sammelwerkes. Weitere Informationen: http://fbk-brandenburg.homepage.t-online.de/ Dr. Edda Eska ist Geschäftsführerin des Friedrich-Bödecker-Kreises im Land Brandenburg e.V. und Mitglied des Vorstandes der Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung (LKJ) Brandenburg.
Der Friedrich-Bödecker-Kreis im Land Brandenburg e.V. wurde Ende 1990 von Autor/innen, Illustrator/innen und Literaturvermittler/innen gegründet. Mitglieder sind außerdem viele Bibliotheken des Landes Brandenburg, einige Schulen, Buchhandlungen und Vereine. Der Verband hat sich zur Aufgabe gemacht, „pädagogische Arbeit im Bereich von Literatur und Medien für Kinder und Jugendliche zu leisten“. Im Mittelpunkt seines Wirkens stehen dabei die Förderung des Lesens und Vermittlung von Kinder- und Jugendliteratur. Seine Ziele realisiert der Verein in Kooperationen mit Bibliotheken und Schulen vor Ort sowie Partnern auch aus anderen (Bundes-)Ländern anhand vielfältiger Projekte. In einer Grenzregion angesiedelt, führt der FBK zudem regelmäßig literarische Projekte im Rahmen deutsch-polnischer Begegnungsmaßnahmen durch. Der FBK ist eine der ersten Organisationen, die auch internationale Begegnungen auch mit Kindern im Kita-, Vorschul- und Grundschulalter durchführen.
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HAJUSOM – EIN POLITISCHER ORT DER KUNST, FREIHEIT UND VIELFALT EIN TRANSNATIONALES THEATERPROJEKT
BIANCA FISCHER im GESPRÄCH MIT ELL A HUCK, KÜNSTLERISCHE LEITUNG
„In HAJUSOM wachsen sie ineinander, die kommen von anderen Kontinenten und treffen sich an einem Ort“ (Mamuna Kamara, Sierra Leone). HAJUSOM ist ein transnationales Theater- und Performanceprojekt in Hamburg. Das Besondere sind seine Teilnehmer/ innen: Hier treffen minderjährige, häufig von der Abschiebung bedrohte Flüchtlinge aus unterschiedlichsten Krisenund Kriegsregionen der Welt zusammen, um gemeinsam eine Inszenierung auf die Bühne zu bringen. So unterschiedlich die ethnischen, religiösen, kulturellen und sozialen Hintergründe der Jugendlichen auch sind, in einem sind sie vereint: in ihrer Rolle als Künstler/innen. Die Gruppe entwickelt in ihrer Theaterarbeit ungewöhnliche Performances, die Kunst, Alltag und wichtige politische Fragestellungen miteinander verweben. Gemeinsam verkörpern sie eine globale Utopie von einem Miteinander ohne Grenzen, von einer Welt, in der jeder seinen Platz findet und in der die Vielfalt der persönlichen Identitäten und auch Differenzen zum Reichtum der Kunst und Persönlichkeitsbildung wird. Bereits 1999 initiierten die drei Künstlerinnen Ella Huck, Dorothea Reinicke und Claude Jansen das Projekt, das sie gemeinsam leiten, und das mehr ist als nur Theater. Wie kamen Sie und Ihre Kolleginnen zur professionellen Performance-Arbeit? Ich bin ausgebildete Performerin. Nach der Ausbildung arbeitete ich als Darstellerin in verschiedenen Theater- und interdisziplinären Performance-Projekten und unterrichtete nebenbei. Dorothea Reinicke studierte Germanistik und Geschichtswissenschaften. Sie hat bei vielen gemeinsamen Projekten Konzept und Regie gemacht. Die Dritte im Bunde ist Claude Jansen. Sie hat angewandte Theaterwissenschaften in Giessen studiert und ist Gründungsmitglied der bekannten Frauenperformance-Gruppe „She She Pop“. Wir kommen also alle drei aus dem professionellen Performance-Bereich. Was heißt eigentlich HAJUSOM und wie kam es zu der Zusammenarbeit mit jugendlichen Flüchtlingen? Der Name entstand vor 10 Jahren. Er setzt sich zusammen
aus den ersten drei Silben der Namen: HAtice (Kurdin), JUSef (Afghane) und OMid (Iraner). Mit diesen drei Jugendlichen begann alles. Der Kontakt zu den Flüchtlingskindern entstand durch die Leiterin einer Hamburger Erstversorgungseinrichtung1, die uns auf unsere Arbeit angesprochen hatte. Als wir den Sozialpädagog/innen der Erstversorgungsstation gesagt haben, dass wir mit den Jugendlichen ein Theaterstück auf die Beine stellen wollen, haben sie skeptisch gesagt: „Na, eine Premiere werdet ihr wohl nicht schaffen“, weil sie aus ihrem Alltag die Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit Jugendlichen aus so vielen verschieden Kulturen kennen. Wir haben uns nicht entmutigen lassen und nur gesagt: „Na, wir werden mal sehen“. Kurz darauf haben wir mit diesen Jugendlichen unseren ersten gemeinsamen Antrag für ein dreimonatiges Projekt bei der Hamburger Kulturbehörde gestellt und brachten erfolgreich ein Stück auf die Bühne. Für uns war die Arbeit mit Jugendlichen ein Sprung ins kalte Wasser, aber nach diesen ersten drei Monaten wollten weder wir noch die Jugendlichen aufhören. Seither gibt es HAJUSOM. Wie erarbeiten Sie ein Stück und inwieweit können die Jugendlichen dabei mitwirken? Im Mittelpunkt steht das gemeinsame Erarbeiten einer professionellen Produktion, bei der die Jugendlichen nicht nur ihre eigenen Texte und Lieder einbringen, sondern auch die Stücke weitestgehend selbst entwickeln. Unterstützt werden die Jugendlichen dabei von einem professionellen Künstler/innen-Kollektiv von Choreograph/innen, Bühnenbildner/innen, Autor/innen, Musiker/innen, Dramaturg/innen. Ca. sechs bis sieben Künstler/innen arbeiten pro Produktion mit den 12 bis 18 Jugendlichen zusammen. Wichtig ist uns, dass alle den künstlerischen Prozess begreifen und mitgestalten können. Die Künstler/innen lernen hier genauso viel von den Jugendlichen wie die Jugendlichen von den Künstler/ innen. Wir zeigen den Jugendlichen nicht nur etwas, sondern wir verändern uns auch mit ihnen!
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Welche Rolle spielt es, dass die Jugendlichen unbegleitete Flüchtlinge sind? Eine sehr zentrale. Viele von ihnen haben traumatische Erlebnisse hinter sich. Die künstlerische Arbeit hilft ihnen, ein neues Selbstbewusstsein zu entwickeln und neue Talente zu entdecken. Die Gruppe bietet Jugendlichen einen Schutzraum und gibt ihnen die Möglichkeit, sich mit anderen, die ebenfalls allein ihre Heimat verlassen haben, auszutauschen. Da Theaterarbeit auch immer etwas mit Identität zu tun hat, ist es wichtig, persönliche Befindlichkeiten ebenso wie die politischen Umstände, in denen sich die Jugendlichen befinden, mit in die Arbeit einzubeziehen und zu reflektieren. So werden z. B. aktuelle Vorkommnisse der deutschen Asylpolitik diskutiert und mit einbezogen, indem etwa diejenigen, die von Abschiebung bedroht sind, durch gezielte öffentliche Aktionen unterstützt werden. Professionelle Hilfe haben wir dabei von einem Netzwerk von Jurist/innen und Psycholog/innen, mit denen wir eng zusammenarbeiten.
Existenz zu sichern und andererseits, um den politischen Grundgedanken von HAJUSOM weiter zu verbreiten. Momentan gestaltet sich dies leider aufgrund der Aufenthaltspapiere noch als schwierig. Vorrangiges Ziel ist es, künstlerische Produktionen zu initiieren und auf dem Weg dorthin geschieht: Empowerment. Wie geht es in Zukunft weiter mit HAJUSOM? Ohne Kontinuität und ein breites Netzwerk von Therapeut/ innen, Jurist/innen, Künstler/innen und anderen Unterstützer/innen wäre HAJUSOM nicht denkbar. Momentan ist unsere allergrößte Sorge, dass wir das Projekt nicht mehr finanzieren können. Viele Stiftungen wollen immer wieder etwas Neues, Einzigartiges. Nur wenige Geldgeber fördern Kontinuität, und genau diese Mischung macht HAJUSOM einzigartig: künstlerische Qualität und kontinuierliche Angebote. Wir sind daher für jede Unterstützung dankbar.
In den so genannten „Erstversorgungseinrichtungen“ werden die minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge in Obhut genommen und von sozialpädagogischen Fachkräften betreut. Dort finden sie eine erste Beratung, und Unterstützung, um die Erlebnisse in ihren Heimatländern und auf der Flucht zu verarbeiten und Hilfe um ihren Alltag in Deutschland allein zu meistern.
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Wo sehen Sie den Bildungsauftrag von HAJUSOM? Unsere Gesellschaft ist stark im Wandel begriffen. Angesichts dessen sind Jugendliche zunehmend auch mit der Frage nach ihrer eigenen Identität konfrontiert. Häufig stehen sie damit ganz alleine da. Unser Angebot ist HAJUSOM. Über die Kunst, passiert ganz viel Auseinandersetzung mit wichtigen Fragen: Liebe und Heirat, religöseund kulturelle Besonderheiten, politische Konflikte in den Heimatländern. Die Kunst sucht nach einer gemeinsamen Sprache. Wir versuchen HAJUSOM als einen Ort jenseits von Machtgefügen zu gestalten, einen Ort, an dem wir bestimmte Kommunikationsformen erarbeitet haben. Es steht dann nicht mehr die Frage: „Woher kommst du?“ im Mittelpunkt, sondern „Wie kommunizieren wir?“. Wir versuchen einen Ort zu schaffen, wo sich Nationalität und Identität im Transit befindet. Ein Mikrokosmos, der auf die ganze Welt übertragen werden müsste. Unser Ansatz ist sicher ein Modell, das auch für andere Jugendliche nützlich sein kann. Die älteren Teilnehmer/innen sollen daher so weit kommen, dass sie selbst Gruppen anleiten können. Einerseits, um damit ihre eigene
Kontakt und Information www.hajusom.de Die nächste Aufführung: Gastspiel: „Back Up Story“ am Samstag den 21. 11, 2009, 20 Uhr auf der Halepaghen-Bühne in Buxtehude. Spenden für HAJUSOM! Inhaber: HAJUSOM e.V. Verwendungszweck: Spende Kontonummer: 12 28 13 47 12 BLZ: 200 505 50 Hamburger Sparkasse
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EINE HERAUSFORDERUNG: KULTURELLE VIELFALT IN INTERNATIONALEN JUGEND-KULTUR-BEGEGNUNGEN ROLF WITTE
Begegnungen im Rahmen des internationalen Jugendkulturaustauschs bieten Jugendlichen die Chance, kulturelle Vielfalt unter spannenden Bedingungen hautnah zu erleben. 57 % der Teilnehmer/innen einer Studie zu den Langzeitwirkungen von internationalem Jugendaustausch (Thomas/ Abt/ Chang 2006) bestätigten, dass sie durch die Austauscherfahrung vertieftes Wissen über ‚andere Kulturen’ gewonnen haben. Und 51 % bestätigten, dass es ihnen durch die Begegnung heute leichter fällt, das Verhalten von Menschen aus ‚anderen Kulturen’ zu verstehen. Solche zehn Jahre später nachgewiesenen, langfristigen Wirkungen und viele andere positive Effekte von kurzzeitigen internationalen Jugendbegegnungen in Gruppen, die im Rahmen der Studie belegt werden konnten, veranlassen lokale, regionale, landes- und bundesweite Träger der Kulturellen Bildung immer wieder dazu, internationale JugendKultur-Begegnungen mit unterschiedlichsten Themen und Formen für verschiedene Zielgruppen anzubieten. Für die Beratung, Qualifizierung und Förderung dieses Jugendkultur- und Fachkräfteaustauschs ist bei der BKJ der JugendkulturService International zuständig, der mit Fördermitteln der Deutsch-Französischen und DeutschPolnischen Jugendwerke sowie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend jährlich 80 bis 90 Maßnahmen auch finanziell unterstützen kann. In Zusammenarbeit mit französischen und polnischen Partnern finden jährlich Tagungen statt, um gemeinsam mit lokalen und regionalen Trägern des Jugendkulturaustauschs deren Begegnungen auszuwerten, neueste Entwicklungen der Austauschpädagogik zu besprechen, Erfahrungen auszutauschen und die Begegnungskonzepte weiterzuentwickeln. Im Rahmen dieser Tagungen haben die kritische Beleuchtung praktizierter bi- und trinationaler Begegnungskonzepte und die Sensibilisierung für ein zeitgemäßes Verständnis von kultureller Vielfalt in der interkulturellen Begegnungssituation wesentlich an Bedeutung gewonnen. Denn ‚kulturelle Unterschiede’ zwischen Jugendlichen aus den an der Begegnung beteiligten Nationen dürfen in der Begegnungssituation auf keinen Fall überbetont und überbewertet werden. Vielmehr führt es zu spannenden Entwicklungen, jugendliche Teilnehmer/innen im Rahmen einer Begegnung zu fragen, ob sie sich überhaupt einer ‚nationalen Kultur’ als Deutscher, Französin oder Pole zugehö-
rig fühlen, oder ob andere Identifikationen für sie selbst vorrangig sind. Denn mit Sicherheit sind bei jeder Begegnung jugendliche Teilnehmer/innen dabei, die sich Lebensstilen oder Szenen zugehörig fühlen, die länderübergreifend existieren und sich nicht an Staatsgrenzen halten oder von ihnen beeinflusst werden. Das kann dazu führen, dass sie sich den gleichen Szene-Mitgliedern aus dem Partnerland vielleicht mehr verbunden fühlen als den Landsleuten, mit denen sie gemeinsam als z. B. ‚die Deutschen’ zu einer Begegnung gereist sind. Was bedeuten diese zum Teil auch durch weltweite Kommunikationsmöglichkeiten entstandenen neuen länderübergreifenden Szenen und Zugehörigkeiten für die Jugendlichen neben anderen Faktoren ihrer Persönlichkeit, wie z. B. die Geschlechterzugehörigkeit? Was bedeuten sie aber auch für Begegnungskonzeptionen und als Anknüpfungspunkte für die künstlerische Auseinandersetzung mit diesem Phänomen? Das sind Fragen, denen sich aktuell die ehren- und hauptamtlichen Künstler/innen, Kulturpädagog/innen und Mitarbeiter/innen im Jugendkulturaustausch zu stellen haben. Laufen wir vielleicht mit der altbewährten Form des internationalen Jugendkulturaustauschs Gefahr, dass wir ungewollt den Jugendlichen nationalkulturelle ‚Repräsentant/innen-Rollen’ zuschreiben, die sie vielleicht gar nicht haben wollen und die vielleicht statt des Erlebens, Verstehens und Genießens von kultureller Vielfalt in bester pädagogischer Absicht eher kulturelle Stereotypen verfestigen? Diese Frage, der sich aktuell vor allem die wenigen Jugendaustausch-Forscher/innen widmen (siehe den Beitrag von A. S. Winkelmann in diesem Magazin), muss auch in der konkreten Planung von Begegnungsprojekten mehr in den Vordergrund gerückt werden, um gemeinsam einen ersten Schritt hin zu einem zeitgemäßen, den Lebensumständen der Jugendlichen angemessenen Jugendkulturaustausch zu schaffen. Denn Jugendliche aus allen Gesellschaftsschichten haben eine große Motivation, an internationalem Jugendkulturaustausch teilzunehmen und viele Träger haben gleichzeitig die Bereitschaft, lieber heute als morgen vermehrt oder erstmals internationale Begegnungen mit ausländischen Partnereinrichtungen durchzuführen. Die sehr komplexe nichtformale Lernsituation der internationalen Jugendbegegnung stellt jedoch hohe personelle, zeitliche und organisatorische Anforderungen in der Vorbereitung und Durchführung an die
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Träger, die sie in Zeiten der akuten Sparrunden vor allem auf lokaler Ebene oftmals kaum noch bewältigen können, auch wenn sie die positiven Effekte von internationalem Austausch für ‚ihre Jugendlichen’ durchaus sehen. Hinzu kommen natürlich auch finanzielle Hürden, die es zu überwinden gilt, bevor ein internationales Vorhaben zustande kommen kann. Denn eine einwöchige Begegnung im Ausland verursacht nun mal mehr Kosten, als der einwöchige Kursbetrieb in der lokalen Jugendkultureinrichtung. Zur Lösung dieses Problems stehen meist nur geringe Fördermittel zur Verfügung, die dazu auch noch nach Richtlinien und Förderlogiken vergeben werden, die zeitgemäße Begegnungs- und Projektformen im internationalen Jugendkulturaustausch eher verhindern, statt sie zu fördern. Noch immer werden wie vor Jahrzehnten bei der Förderung von internationaler Jugendarbeit ganz generell vor allem Teilnehmer/innen-Tage gezählt und Entfernungskilometer zur Berechnungsgrundlage gemacht, was der Realität dynamischer Projektverläufe und den damit verbundenen komplexen interkulturellen Lernprozessen der Jugendlichen im Verlauf der Projekte überhaupt nicht mehr entspricht. Dies führt dazu, dass gerade beim Jugendkulturaustausch viele Kosten, die im Zusammenhang mit künstlerischen Erfordernissen oder im Zusammenhang mit vor der Begegnung stattfindenden Kommunikations- und Vorbereitungsprozessen der beteiligten Jugendlichen anfallen, überhaupt nicht bezuschusst werden können. In dieser Frage drängt die BKJ die verschiedenen Förderinstitutionen bereits seit Längerem, eine an Qualität, Aktualität und Relevanz des Begegnungsvorhabens ausgerichtete Förderpraxis zu ermöglichen. Die öffentliche Förderung des internationalen
Jugendkulturaustauschs steht vor der Herausforderung, angemessene Förderformen zu entwickeln, um vielfältige Begegnungskonzepte umsetzen zu können, die kulturelle Vielfalt wirklich nachhaltig erlebbar machen und für Jugendliche gleichzeitig motivierend und attraktiv sind. Jeder Träger aus den Reihen der 54 BKJ-Mitgliedsorganisationen wird seine eigene Antwort darauf finden müssen, wie internationale und interkulturelle Begegnungsarbeit mit dem Ziel, Jugendliche kulturelle Vielfalt als Bereicherung und nicht als Verunsicherung für den eigenen Lebensweg erfahrbar zu machen, als Baustein in das eigene lokale kulturelle BildungsKonzept integriert werden kann. Denn es gibt eine so große Vielzahl der konzeptionellen Begegnungsansätze, der künstlerischen Ausrichtung von Begegnungen, der organisatorischen Ideen für die Durchführung von Jugend-Kultur-Begegnungen und des Umgangs mit dem Potential als Lernort für kulturelle Vielfalt, dass es auch für den JugendkulturService International der BKJ immer wieder eine Herausforderung darstellt, dieser Vielfalt mit angemessener Beratung, Qualifizierung und finanzieller Förderung möglichst gerecht zu werden. Rolf Witte leitet den Bereich Kulturelle Bildung International der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung.
Literatur Alexander Thomas, Heike Abt, Celine Chang (Hrsg.): Internationale Jugendbegegnungen als Lern- und Entwicklungschance. Studien zum ForscherPraktiker-Dialog zur internationalen Jugendbegegnung, Band 4, Bensberg, 2006 (zu bestellen unter www.bkj.de)
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WAS HÖRST DU?
ZUM VERHÄLTNIS VON MUSIK UND KULTURELLER IDENTITÄT BEI KINDERN UND JUGENDLICHEN MIT MIGRATIONSHINTERGRUND DOROTHEE BARTH
1. „Ohne ausreichende Bildung ist Integration nahezu unmöglich“ ... so ein Fazit einer Berliner Studie aus dem Jahre 2009, in der das Verhältnis von Zuwanderern aus unterschiedlichen Ländern und deren Integration in die deutsche Gesellschaft untersucht wurde (Berlin Institut 2009). Sollte diese Beobachtung zutreffen, muss sich das deutsche Bildungssystem die Bildung von Kindern und Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund ernsthaft zum Programm machen, denn in dieser zweitgrößten Einwanderergruppe finden sich immer noch 30 Prozent ohne Bildungsabschluss und nur 14 Prozent mit einer Hochschulberechtigung. Zugleich sind die Jugendlichen stark überrepräsentiert in Sonder- und Hauptschulen und ebenso stark unterrepräsentiert in Gymnasien und Hochschulen, woraus eine hohe Erwerbslosigkeit resultiert. Verantwortlich für den wenig erfolgreichen Bildungsgang bei Kindern und Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund ist in hohem Maße das politische Klima und die viel zu lange vernachlässigte Integrationspolitik und interkulturelle Pädagogik. Die Kinder und Jugendlichen fühlen sich in ihrer besonderen Lage nicht angenommen, ausgegrenzt, ausgelacht, bedroht und diskriminiert.1 Über keine ZuwandererGruppe gibt es im öffentlichen Diskurs, in Talkshows oder der Tagespresse so viele kollektive Zuschreibungen und so viele Vorurteile wie die der türkischen Migranten. Vom Kopftuchzwang über Islamismus, von der Zwangsverheiratung über Messerstechereien bis zum Ehrenmord – mit diesen Attributen werden türkischstämmige Kinder und Jugendliche allzu häufig in Verbindung gebracht. Gleichzeitig werden ihre Verhaltensweisen zurückgeführt auf kulturelle, religiöse, familiäre oder nationale Traditionen, die die Familie quasi im Gepäck aus dem Herkunftsland mitgebracht hat. Das Verhalten eines Individuums wird auf diese Weise durch seine „Abstammung“ gedeutet; es gibt zu wenig Raum und ein zu geringes Interesse für individuelle Entwicklungen, Urteilsbildungen und kulturelle Verortungen. Tatsächlich aber benötigen gerade Jugendliche in der Pubertät Hilfe und Unterstützung bei der schwierigen Aufgabe einerseits herauszufinden, wer man selbst eigentlich ist (eine individuelle Identität zu entwickeln), und andererseits zu wählen, wem man sich zugehörig fühlen möchte (eine kulturelle Identität zu bilden). Um stabile Identitätsbildungen zu unterstützen, die hilfreich und nötig sind für erfolgreiche Bildungsbiografien und eine bessere Integration, müssen unsere Bildungssysteme in und außerhalb von Schule Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund in ihrer kulturellen Eigenart und Einzigartigkeit, in ihren individuellen kulturellen Verortungen versuchen zu verstehen, zu
akzeptieren und zu fördern. Bei der Lösung dieser Aufgaben können gerade in den musikpädagogischen Arbeitsfeldern große Chancen liegen. 2. Was könnte eine interkulturell orientierte Musikpädagogik zu stabilen individuellen und kulturellen Identitätsbildungen beitragen? Die interkulturell orientierte Musikpädagogik bemüht sich seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts um die Entwicklung von Konzepten und Materialien, die türkischstämmigen Kindern und Jugendlichen die Integration erleichtern sollen. Der damals innovative Ansatz, im Unterricht die Musik des Herkunftslandes, also türkische Volkslieder und Volkstänze, zu thematisieren, muss allerdings mittlerweile als überholt betrachtet werden. Auch wenn man vielleicht damals davon ausgehen konnte, dass die Kinder sich mit dieser Musik, der Volkskultur, den entsprechenden Bräuchen und Traditionen identifizieren und gerne im Unterricht davon berichten wollten, entsprechen diese von Schulbuch zu Schulbuch überlieferten Traditionen des Herkunftslandes heutzutage in der Regel kaum noch den tatsächlichen musikalisch-kulturellen Verortungen der Kinder und Jugendlichen. Denn diese sind in der Regel ebenso individuell verschiedenartig wie die ihrer deutschen Altersgenossen. Folglich sollten die Lehrenden an dieser Stelle von kollektiven ethnischen Zuschreibungen absehen. Sie sollten sich stattdessen für die jeweils individuellen musikalischen Vorlieben und Abneigungen interessieren, sie thematisieren und auch wertschätzen. Um jeweils angemessen und flexibel reagieren zu können, kann es gleichwohl für die Lehrenden hilfreich sein, sich in den musikalischen Traditionen des Herkunftslandes sowie auch der Migrantenkultur auszukennen. Wie oben bereits erwähnt, können musikpädagogische Situationen besondere Chancen bieten, weil sich Kinder und Jugendliche mit „ihrer“ Musik und auch mit deren (jugend-) kulturellen Kontexten identifizieren. Im persönlichen oder pädagogischen Gespräch über die musikalischen Vorlieben und Abneigungen lässt sich viel über ihre Einstellungen, Haltungen, Sorgen und Träume erfahren. Musikpädagogen können den Jugendlichen für ihre Identitätsentwicklung an dieser Stelle besonders wertvolle Perspektiven zeigen, indem sie zum Beispiel auf die Vorteile hinweisen, die im täglichen Leben entstehen, wenn man in mindestens zwei Kulturen heimisch ist. Denn auf zwei (oder mehr) Stühlen zu sitzen kann gerade in unserer globalisierten Welt ein Vorzug sein: „Es gibt natürlich Leute, die sind einflussreich, an der Uni, wie er hier, mein Freund Ozan Sinan, der ist super erfolgreich, der
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ist Türke, aber der sitzt halt auf beiden Stühlen. Und die meisten Türken hier sitzen halt zwischen den beiden Stühlen und wissen halt nicht, wohin sie sollen. Aber der Mittelweg, glaub ich, der beste Weg ist immer, auf zwei Stühlen zu sitzen. Da kommen sie am weitesten. Der goldene Mittelweg quasi.“ (Deniz Kumru)2 (zit. n. Schwann 2002, S 212) Lehrende können ihren Schüler/innen Mut machen, aus ihren bi- oder multikulturellen Kenntnissen und Erfahrungen „Kapital zu schlagen“. Schließlich schätzen auch erfolgreiche Musiker aus der ganzen Welt unterschiedliche musikalische Traditionen und versuchen, sie in ihrer Musik miteinander zu verbinden. Gerade in der Verbindung von Tradition und Innovation liegt ein großes kreatives Potenzial. 3. Sage mir, was du hörst ... Das Gymnasium Altona – die Schule, an der ich unterrichte – besuchen viele Schüler/innen mit Migrationshintergrund. Ich habe drei von ihnen zu ihren musikalischen Vorlieben und kulturellen Zugehörigkeitsgefühlen befragt. Obwohl diese Schüler/innen bis zu diesem Zeitpunkt gelungene Bildungsbiografien nachweisen können, ringen auch sie mit ihrer Lage als Migrant/in, kämpfen mit ähnlichen Problemen, wie die, die im Bildungssystem weniger erfolgreich sind. Ihre Äußerungen stehen exemplarisch für die Verschiedenartigkeit ihrer musikalischen Präferenzen und kulturellen Verortungen: Fatma* (11/17 Jahre): Ich habe Fatma sowohl in der 6. Klasse als auch in der 11. Klasse über ihre musikalischen Vorlieben befragt. Fatmas Mutter ist Deutsche, ihr Vater kommt aus der Türkei. In der 6. Klasse erzählte sie, dass sie früher Flöte gespielt habe, jetzt aber klassische Gitarre spiele. Sie tanze Jazz-Dance und HipHop, gerne würde sie auch Geige spielen lernen. Fatma hörte ebenso gerne türkische Popmusik wie R&B. Fünf Jahre später befindet sich Fatma in großen Konflikten mit ihrem Vater, gegen dessen autoritären Erziehungsstil sie sich auflehnt. Häufig hat sie das Gefühl, zwischen allen Stühlen zu sitzen. Sie bezeichnet sich als Weltbürgerin, die später weder in Deutschland noch in der Türkei leben möchte. Sie singt in einer Heavy Metal Band und ist verschiedenen Musikstilen gegenüber immer noch sehr offen – egal ob Soul, HipHop, Rock, türkische Arabesk-Musik, albanische, arabische oder lateinamerikanische Musik.
Er hört gerne kurdische, arabische oder türkische Instrumentalmusik – das beruhigt ihn. Gleichwohl ist er immer wieder in körperliche Auseinandersetzungen verwickelt. Basri spricht gut spanisch und möchte ein freiwilliges soziales Jahr in Costa Rica verbringen. Er sieht seine Zukunft in Deutschland, denn obwohl er das Leben in der Türkei sehr mag, wäre die Situation für ihn als Kurden dort nicht einfach. 4. Zur Inszenierung spezifischer Unterrichtssituationen Eine „Weltbürgerin“, die allen Stilen gegenüber offen ist, eine Rock-Gitarristin, die bewusst türkisch lebt, aber gerne an der Gitarre losfetzt, und ein reflektierter Kurde, der die Musik des Herkunftslandes liebt, aber in Deutschland seine Perspektive sieht – wie kann erreicht werden, dass diese jungen Menschen ihre persönlichen musikalisch-kulturellen Zugehörigkeitsgefühle im Unterricht thematisieren können, ohne die pädagogische Erwartung zu spüren, über die Musik ihres Herkunftslandes sprechen zu müssen? Gute Gelegenheiten bieten sich immer, wenn Schüler/innen Inhalte mitgestalten können; wenn sie zum Beispiel ihre sogenannten Lieblingslieder vorstellen oder wenn sie mit der Gruppe einen Tanz einüben können. Sie können sich dann entscheiden, ob sie sich einer allgemeinen Jugendkultur oder einer jugendlichen Migrantenkultur zugehörig zeigen möchten oder gar in der Herkunftskultur verwurzelt. So führten zum Beispiel bei einer solchen Gelegenheit in meiner eigenen Schule sechs türkischstämmige Mädchen mit sehr viel Selbstbewusstsein und Engagement vier türkische Volkstänze vor, zwei andere türkischstämmige Mädchen hatten sich für eine Hip-Hop-Choreographie entschieden. Transkulturalität, Kreolisierung, Hybridität, Globalisierung – diese kleine Szenerie wäre für alle großen Stichwörter interkultureller Prozesse ein anschauliches und treffendes Beispiel gewesen. Und auch wenn eine solche musikpädagogische Situation im Laufe der Identitätsfindung eines Menschen nur sehr kurz ist und wenn die Musikpädagogik für die große Aufgabe der Integration von Migranten in Deutschland nur ein kleines Mosaik-Steinchen sein kann, sollte sie dennoch sehr selbstbewusst ans Werk gehen. Denn kleine Steinchen haben schon große Lawinen ins Rollen gebracht. *Name geändert Im Juni 2009 hat das Institut für Demoskopie Allensbach zum Beispiel die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage vorgelegt, in der – im Auftrag der Bertelsmann Stiftung – insgesamt 1.581 Menschen mit Migrationshintergrund über ihre Situation in Deutschland befragt wurden. Trotz eines insgesamt positiven Trends wird deutlich, dass sich türkischstämmige Menschen und Zuwanderer aus Russland weit weniger anerkannt fühlen als Menschen aus anderen Herkunftsländern. 2 Ozan Sinan arbeitet als Physiker, Musikproduzent und ist auch als Geschäftsmann erfolgreich. 1
Derya* (14 Jahre): Derya hat türkische Eltern und ist in Deutschland geboren. Sie ist eine hervorragende Schülerin mit so hoher sozialer Kompetenz, dass sie regelmäßig zur Klassensprecherin gewählt wird. Sie hat seit drei Jahren Gitarrenunterricht und spielt in einer Band. Sie mag Musik, wenn sie etwas härter klingt, und hört gerne englische oder türkische Rockbands. Musik von deutschen Bands hört sie nicht, weil sie ihr nicht so gut gefällt. Sie sieht ihre Zukunft in Deutschland, trifft aber in ihrer Freizeit nur Mädchen, die auch „Ausländerinnen“ sind; denn sie könnte „nie so leben wie die deutschen Mädchen“. Basri* (18 Jahre): Basri ist Kurde. Seine Eltern leben – wie er sagt – „angepasst“, das heißt, sie sind in Deutschland beruflich erfolgreich und ermutigen ihre beiden Söhne zu einem selbstbewussten Leben und beruflichem Ehrgeiz. Basri spielt Gitarre und Saz; beide Instrumente lernt er in einem türkisch-kurdischen Kulturverein.
Dr. Dorothee Barth ist Lehrerin an einem multikulturellen Gymnasium in Hamburg-Altona und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Oldenburg. Sie arbeitet im Bundesvorstand des Arbeitskreises für Schulmusik, ist Dozentin in der Lehrerfortbildung und Autorin zahlreicher Artikel. Ihr wissenschaftlicher Schwerpunkt liegt in Fragen zu einer interkulturellen Orientierung in der Musikpädagogik.
Literatur Studie des Berlin-Instituts „Ungenutzte Potentenziale“, 2009 http://www.berlin‑institut.org/fileadmin/user_upload/Zuwanderung/ Integration_RZ_online.pdf Schwann, Karina: Breakdance, Beats und Bodrum. Türkische Jugendkultur, Wien 2002
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STREAMING CULTURAL DIVERSITY DAS MODELLPROJEKT „ROOTS&ROUTES TV”“ VON LISETTE REUTER Den ersten Mausklick setzen wir auf den Videobeitrag der Kölner Jugendredaktion von ROOTS&ROUTES TV. Mit Kamera und Mikrophon waren die Jugendlichen auf den Straßen Kölns unterwegs, um im Rahmen des Aktionstages „Köln stellt sich Quer“ zu zeigen, wie sich rund vierzigtausend Menschen versammelten, um gegen den rechtsextremen Kongress von Pro Köln zu demonstrieren. Der nächste Klick führt uns zum professionellen Musikvideo „Die Realität“, produziert von der Solinger Redaktion für den Musiker L-I-B feat Lil‘Rain. Ein anderer Beitrag führt in die Welt des Trickfilms. Die Bielefelder Redaktion hat zum Thema „Scham“ einen Sience Fiction hergestellt, der den Zuschauer schmunzeln lässt. Mit dem nächsten Klick befinden wir uns in Haifa (Israel) – 10 Jugendliche aus Köln, Solingen und Mettingen produzierten im März zusammen mit israelischen Jugendlichen eine circa 30minütige TV-Show, die sich mit kulturellen Unterschieden und Vorurteilen beschäftigt. Unter dem Motto „Meine Stadt. Meine Kultur. Mein Videoportal“ startete Ende 2007 das Web-TV-Portal www.rootsnroutes.tv für Jugend, Kultur, Musik, Lifestyle und Multikulturalität. Seither produzieren in Deutschland circa 80 Jugendliche unterschiedlicher Herkunft regelmäßig Dokumentationen, Trailer, Musikvideoclips, Kurzfilme, Magazinformate oder Livemitschnitte von kulturellen Events für ROOTS&ROUTES TV. Sie arbeiten dabei in Redaktionen zusammen. Ihre vielfältigen Beiträge und Perspektiven spiegeln eine lebendige kulturelle Vielfalt wider und werben für das interkulturelle Miteinander. Bei ROOTS&ROUTES TV arbeiten die Jugendlichen mit viel Professionalität und großem Engagement vor und hinter der Kamera. Zudem kooperieren die jungen Redakteure mit Jugendlichen aus zahlreichen anderen europäischen Städten, denn das Portal ist offen für Partner in anderen Ländern – zwölf EU-Länder sind bereits auf der Seite integriert. Dadurch bietet ROOTS&ROUTES TV dem Besucher einen Mix aus Produktionen und News aus dem eigenen Land sowie internationale Inhalte in zwölf verschiedenen Sprachen. Entwickelt und umgesetzt wurde die Internetplattform durch das jfc Medienzentrum Köln in Zusammenarbeit mit dem Kanal 21 Bielefeld, dem Kulturbunker Duisburg, dem Bennohaus Münster, der Jugendförderung Solingen und dem Medienprojekt Wuppertal.
Ähnlich wie bei den Plattformen YouTube, SchülerVZ oder auch MySpace bildet bei ROOTS&ROUTES TV eine Community von Mitgliedern die Basis, die die Plattform mit ihren Beiträgen „füttert“. Im Gegensatz zu den benannten Portalen ist ROOTS&ROUTES TV jedoch etwas exklusiver: Man braucht einen Benutzeraccount, den man sich über den Kontakt zur einer ROOTS&ROUTES TV Redaktion erstellen kann. Ist man einmal eingeloggt, besteht die Möglichkeit, Videos und Newstexte hochzuladen, Freundschaften zu schließen, freie Interessengruppen zu bilden, Nachrichten zu verschicken, das eigene Profil zu bearbeiten, Videos zu kommentieren, sowie Koautorenschaften zu bilden. Mit diesen Ergebnissen wurde ROOTS&ROUTES TV seither bei den Netd@ys Österreich, beim Deutschen Multimediapreis MB21 und beim Jugendkulturpreis NRW (lobende Erwähnung) ausgezeichnet; 2008 war die Website www.rootsnroutes.tv zudem für den Grimme Online Award nominiert. Die größte Anerkennungen erhielt das Projekt aber beim „World Summit Youth Award 2009“ (WSYA) in der Kategorie „Create Your Culture“. Damit gehört ROOTS&ROUTES TV als einziges deutsches Projekt zu den 15 Preisträgern dieses großen internationalen Jugendwettbewerbs. Das auf drei Jahre angelegte Modellprojekt entwickelte sich so überzeugend, weil seine virtuellen Kommunikationsforen sinnvoll mit realen Begegnungen verknüpft werden. Neben der regelmäßigen Arbeit in den Redaktionen werden in jeder Stadt Grundlagenseminare für interessierte Jugendliche angeboten, bei denen sie Kamera-, Moderations-, Beleuchtungs- und Schnittkompetenzen erwerben. Überregionale Aufbauseminare bieten den jungen Redakteur/innen Möglichkeiten, sich real zu begegnen und dabei tiefer in medientechnische und journalistische Arbeitsweisen einzutauchen. Zudem ist gewährleistet, dass auf der Projektwebseite News veröffentlicht werden, die Jugendliche interessant und nützlich finden z. B. internationale Austauschprojekte, Ausbildungsmöglichkeiten im Medienbereich, jugendkulturelle Events, Wettbewerbe etc. Spannend wird das Portal auch durch seine Einbettung in das internationale Netzwerk von ROOTS&ROUTES.
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Lisette Reuter leitet das Projekt Roots&Routes TV. Sie ist Mitarbeiterin des Fachbereichs Interkulturelle und Internationale Jugendmedienarbeit beim jfc Medienzentrum in Köln.
ROOTS&ROUTES TV wird gefördert im Rahmen des Bundesprogramms „VIELFALT TUT GUT. Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie vom Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes NRW, von der Stadt Köln und vom Fonds Soziokultur.
ROOTS&ROUTES TV ist für alle Jugendlichen offen und ein Quereinstieg in die Redaktionsgruppen ist jederzeit möglich. Interessierte Einrichtungen, die sich am Portal beteiligen wollen, können die Zentrale in Köln kontaktieren. jfc Medienzentrum – Fachbereich interkulturelle und internationale Jugendmedienarbeit/ROOTS&ROUTES TV Hansaring 84–86, 50670 Köln Fon: 0221.13 05 61 50, Lisette Reuter: lr@jfc.info www.rootsnroutes.tv, www.jfc.info
DURCH VERSCHIEDENE BRILLEN GLEICHZEITIG SCHAUEN
ÜBER DIE IMPLEMENTIERUNG EINER DIVERSITÄTSBEWUSSTEN PERSPEKTIVE ANNE SOPHIE WINKELMANN
Wenn wir heute mit einer Gruppe im Rahmen einer Veranstaltung Kultureller Bildung arbeiten und danach fragen, wer einen deutschen Pass hat, sind es vielleicht manchmal alle. Wenn wir danach fragen, wer in Deutschland geboren ist, auch. Wenn wir aber nach dem Geburtsort der Großeltern, dem Geschlecht, der Anzahl der bisherigen Umzüge, der Wohnsituation, der finanziellen Lage, der Familie oder vorhandener Mehrsprachigkeit fragen, wird die Diversität einer jeden Gruppe und Person deutlich und es kommen Machtverhältnisse, subjektive Bedeutsamkeiten und neue Gemeinsamkeiten ans Licht. Wie kann es uns gelingen, diese vielfältigen Aspekte und komplexen Zusammenhänge als selbstverständlich anzuerkennen und sichtbar zu machen, ohne in die – durchaus verführerische – Falle der Eindimensionalität zu geraten, Zugehörigkeiten zuzuschreiben und herrschende Verhältnisse zu reproduzieren? Raum und Bewegung Kulturelle Bildung verbinde ich mit Raum und Bewegung. Genau das ist die Basis für die Implementierung einer diversitätsbewussten Perspektive in kleinen Schritten. Dann kann es unter anderem darum gehen >> einen Raum zu eröffnen, der Platz lässt für die subjek tiven Zugehörigkeiten und Positionierungen junger Menschen, >> Fragen zu stellen, die Platz lassen für die eigenen Antworten, >> Gruppendynamiken und Lernformen zuzulassen, die
Lust machen über die eigenen Erfahrungen, Erklärungen und Selbstverständnisse zu sprechen, >> eine wertschätzende Haltung einzunehmen, die Mut macht, eine kritische Stimme einzubringen. Hilfreiche Fragen für die Evaluation und Weiterentwicklung der eigenen Praxis können etwa sein: >> Werden Kulturalisierungen und andere Essentia- lisierungen vermieden bzw. problematisiert? >> Werden die vielfältigen Unterschiede innerhalb vermeintlich homogener Gruppen wahrgenom- men, aufgegriffen, zum Thema gemacht? >> Gelingt es, vorherrschende Norm(alitäts) vorstellungen zu hinterfragen? >> Gelingt es, Sortierungen entgegenzuwirken und einen Umgang mit Komplexität, Irritationen und Unsicherheit zu fördern? >> Werden gesellschaftliche Machtverhältnisse im Blick behalten und ggf. angemessen zum Thema gemacht? >> Ist eine Positionierung und aktive Haltung gegen Diskriminierung Ausgangspunkt und Ziel der Arbeit?
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Bei uns selbst beginnen Kulturelle Bildung ist nicht nur Bewegung sondern auch in Bewegung. Insbesondere dort, wo sich Menschen aus unterschiedlichen Sparten und Einrichtungen austauschen, vernetzen und eine gemeinsame Basis finden möchten für ihre Arbeit und ihre Vision. Diese Art von Energie wurde etwa auf der Tagung „Kulturelle Bildung stärken – Fachstrukturen vernetzen“– der Gründungsveranstaltung der Landesvereinigung Kulturelle Bildung Hessen im Juni diesen Jahres deutlich. Das Anliegen vieler – vielleicht sogar aller Foren war es unter anderem, über den Tellerrand zu schauen, zu fragen, welche neuen Lernorte sich in der Kooperation mit Schule schaffen lassen, wie wir ein Mehr an Teilhabe aller jungen Menschen ermöglichen können und wie der Umgang mit (kultureller) Vielfalt sich in Struktur und Praxis der Kulturarbeit widerspiegeln kann. Und mehr noch; wenn das Anliegen ‚Öffnung’ heißt und das Ziel die Entwicklung neuer Konzepte, Praxen und Selbstverständlichkeiten, dann geht es auch darum, unser ‚Wir’ und unser ‚Normal’ an sich zu hinterfragen und damit jeweils bei uns selbst zu beginnen.
Anne Sophie Winkelmann ist Dipl. Interkulturelle Pädagogin, freiberufliche Bildungsreferentin und Wissenschaftlerin mit den Schwerpunkten Antidiskriminierungsarbeit mit dem Anti-Bias-Ansatz, diversitätsbewusste internationale Jugendarbeit und Erwachsenenbildung.
Literatur Eisele, Elli/Scharathow, Wiebke/Winkelmann, Anne Sophie (2008): Ver-vielfältig-ungen. Diversitätsbewusste Perspektiven für Theorie und Praxis der internationalen Jugendarbeit. Jena. Zu beziehen unter www.ejbweimar.de Leiprecht, Rudolf (2004): Kultur – was ist das eigentlich? Universität Oldenburg: Arbeitspapiere des IBKM. Oldenburg. http://www.staff.uni‑ oldenburg.de/rudolf.leiprecht/20012.html Winkelmann, Anne (2006): Internationale Jugendarbeit in der Einwanderungsgesellschaft. Auf dem Weg zu einer theoretischen Fundierung. Schwalbach/Ts.
Kontakt a.winkelmann@vervielfaeltigungen.de www.vervielfaeltigungen.de www.anti-bias-werkstatt.de
„KUNST UND KULTUR HABEN ZENTRALE BEDEUTUNG“
INTERVIEW MIT ALI DOGAN, BUNDESVORSITZENDER DER ALEVITISCHEN JUGENDLICHEN IN DEUTSCHLAND (AAGB) Was ist die Aufgabe des AAGB? Der AAGB ist die Selbstorganisation der alevitischen Jugendlichen in Deutschland. Der Mutterverband des AAGB ist die Alevitische Gemeinde in Deutschland mit Sitz in Köln. Das Alevitentum ist ein Glaube bzw. eine Glaubensrichtung. Für manche ist das Alevitentum eine sehr liberale Konfession des Islam. Andere sehen es aufgrund teilweise diametral unterschiedlicher Lebensweisen als einen eigenständigen synkretistischen Glauben an, der von vielen Religionen Bestandteile in sich aufgenommen hat. Typische Merkmale des Alevitentums sind der stark ausgeprägte Humanismus, die Gleichstellung der Geschlechter, die Nächstenliebe und die starke Naturverbundenheit.
Der AAGB wurde 1993 gegründet und hat heute circa 25.000 Mitglieder im Alter von 16 bis 27 Jahren. Der AAGB ist in allen alten Bundesländern und Berlin vertreten und hat über 100 Ortsvereine. Er ist Anschlussverband im Deutschen Bundesjugendring, Mitglied im IDA e.V., beim VIA e.V. und in zahlreichen anderen Organisationen. In Deutschland leben schätzungsweise 600.000–800.000 Aleviten. Welche Aktivitäten im Bereich der Kulturellen Bildung gibt es im AAGB? In kultureller Hinsicht geht es in den Ortsvereinen des AAGB primär um anatolische Volkstänze und Folklore. Daneben hat die „Saz“, eine Langhalslaute, eine hervorgehobene
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Stellung. Es gibt fast in jedem Ortsverein Kurse zu diesem Instrument. Die Teilnehmerzahlen schwanken von fünf bis teilweise über 100 Teilnehmer in größeren Städten wie Berlin, Hamburg, Stuttgart usw. Weniger verbreitet, aber doch vorhanden sind Amateurtheatergruppen; in manchen Gegenden gibt es auch Chorgruppen. Es finden auch Schreibwerkstätten, Mal- und Zeichen-, Töpfer- und Bastelkurse statt. Alle Kurse haben gemeinsam, dass es sich um selbstorganisierte Gruppen handelt, die auch selbstständig finanziert und durchgeführt werden. Die Lehrer sind dabei teilweise professionell und haben vereinzelt sogar ihr Fach an türkischen Hochschulen studiert. Welche Bedeutung haben kulturelle/künstlerische Aktivitäten in Ihrem Verband? Kunst und Kultur haben bei den Aleviten eine hervorgehobene, ja fast schon zentrale Bedeutung. Ein Beleg dafür sind die bereits verbreiteten, selbstorganisierten Kursangebote. Hintergrund für diese Affinität zu Kunst und Kultur ist der alevitische Glaube selbst. Die Aleviten als hochmoderne, demokratisch und westlich geprägte Minderheit in Anatolien wurden im osmanischen Reich verfolgt und ermordet. Noch heute gibt es eine starke Ungleichbehandlung gegenüber den circa 20 Millionen Aleviten in der Türkei. Eine Hauptfolge der Verfolgung im osmanischen Reich war die Vernichtung jeglicher alevitischer Literatur und Kunstgegenstände. Der Glaube konnte sich daher über die Jahrhunderte nur mündlich tradieren. Er wurde – ähnlich wie in der Aufklärung – über Dichtkunst, Musik und Geschichten am Leben gehalten. So wird das Instrument „Saz“ auch „Der Koran mit Saiten“ genannt, weil es den eigentlichen Glauben überall hin transportiert. Inwiefern wünscht sich der AAGB eine stärkere Kooperation/ einen stärkeren Austausch mit den Fachverbänden und den Einrichtungen der Kulturellen Bildung und der Jugendkulturarbeit? Der AAGB wünscht sich insbesondere in den Bereichen, in denen unsere Ortsvereine Aktivitäten anbieten, einen stärkeren Austausch auf lokaler Ebene. Hier wären TandemPartnerschaften und bipolare Projekte denkbar, von denen beide Seiten profitieren könnten. Viele Studien belegen zudem, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund in vielen Bereichen Nachholbedarf haben
und immer noch strukturell benachteiligt werden. Eine interkulturelle Öffnung ist deshalb Ziel unserer Verbandsarbeit. Wo sehen Sie Entwicklungsbedarf? Unsere Aktivitäten sind meist auf einem amateurhaften Niveau. Da ist sicherlich noch viel Nachholbedarf vorhanden und wir könnten von erfahreneren Partnern profitieren. Andererseits haben wir eine sehr aktive und zahlenmäßig starke Basis, die für Neuerungen offen ist. Es wäre wichtig, diese Ressourcen zu bündeln und Synergien zu generieren. Es ist bereits in einigen Ortsvereinen Know-how vorhanden, welches nur noch verbreitet werden muss. Schaut man sich die jungen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte insgesamt an, so stellt man fest, dass keine heterogene Kunst- und Kulturaffinität vorhanden ist. Die vorherrschende Monokultur hat zwar viele Ursachen – genannt seien nur die sozialen Probleme, die Bildungsferne, die vernachlässigte Inklusion in die Gesellschaft – sie muss jedoch mit progressiven Mitteln angegangen werden. Integration oder, was mir besser gefällt, Partizipation und Inklusion, müssen ganzheitlich verstanden werden. Die kultursensiblen Bereiche gehören definitiv dazu. Welche Rahmenbedingungen wünscht sich der AAGB für seine Aktivitäten im Bereich der Kulturarbeit? Zunächst einmal mehr Professionalität, darüber hinaus sicherlich eine flächendeckende Arbeitsweise. Aber dies alles funktioniert in einem ehrenamtlich strukturierten Verband nicht ohne finanzielle Ressourcen. Da beginnt man schnell mit dem altbekannten Problem der Infrastrukturförderung von Migrantenjugendselbstorganisationen. Daran kommt man jedoch wohl oder übel nicht vorbei, denn die Jugend mit Migrationshintergrund wird eben nicht von den alteingesessenen Organisationen so stark angesprochen, wie von uns. Es sind die fehlende Inklusion und die versteckten Assimilationsmechanismen, die sie abschrecken. Daher muss man die integrativen, kommunikativen und offenen Migrantenjugendselbstorganisationen auch in ihrem kulturspezifischen Bemühen fördern. Ali Dogan ist Bundesvorsitzender des Bundes der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland e.V. und Vorsitzender eines Alevitischen Kulturzentrums. Nach einem Studium der Rechtswissenschaften in Bielefeld ist er derzeit als Rechtsreferendar am Landgericht Bielefeld tätig
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MIGRANTENORGANISATIONEN ALS PARTNER DER KULTURELLEN BILDUNGSLANDSCHAFT IN DEUTSCHLAND OL AF ZIMMERMANN Nicht erst seit Einführung des Nationalen Integrationsplans kümmern sich viele Kulturverbände um die interkulturelle Bildung und unterbreiten in diesem Zusammenhang für Kinder und Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund zahlreiche Angebote in den Bereichen Theater, Tanz, Musik, Film und Literatur u. ä.. Hinsichtlich der Angebote werden Migrantinnen und Migranten verstärkt angesprochen. Allerdings stellt sich die Frage, wie Migrantinnen und Migranten auch in den politischen Gremien der Kulturverbände eingebunden sind, um ihrerseits Interessen und Schwerpunkte in die kulturelle Kinder- und Jugendarbeit einzubringen. Hier besteht Nachholbedarf. Im Juni letzen Jahres startete der Deutsche Kulturrat ein Projekt, um gemeinsam mit einer Reihe von Migrantenorganisationen Strukturbedingungen für eine nachhaltige interkulturelle Bildung zu identifizieren. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist die gleichberechtigte und vor allem auf Augenhöhe verlaufende Diskussion, bei der am Ende nicht nur im Rahmen dieses Projektes eine Zusammenarbeit stattfinden sollte, sondern im Idealfall ein regelmäßiger Austausch mit den Migrantenorganisationen. Im Vorfeld des Projektes hat der Deutsche Kulturrat bereits mit einer Reihe von Migrantenorganisationen Kontakt aufgenommen, um mit ihnen gemeinsam das Themenfeld (inter)kulturelle Bildung zu erörtern. Während die „deutschen“ Verbände themenspezifisch relativ leicht zu identifizieren sind, sieht es bei den Migrantenorganisationen auf den ersten Blick anders aus. Viele politisch agierende Migrantenorganisationen haben sich bereits gegründet. Dazu zählen u. a. das Forum der Migrantinnen und Migranten des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, der Bundesverband der Immigrantenverbände oder auch das Netzwerk türkeistämmiger Mandatsträger/innen. Auch wenn es vielleicht nicht so scheinen mag: viele der bundesweiten Vereine und Verbände kümmern sich in erster Linie um Bildungsfragen und in diesem Zusammenhang auch um die Kulturelle Bildung. Schaut man sich die Satzungen vieler Migrantenorganisationen an, so stellt man fest, dass die Vermittlung von Kunst und Kultur für viele ein wichtiges Aufgabenfeld ist. So heißt
es in der Satzung der Deutschen Jugend aus Russland: „Ein wichtiges Anliegen ist die kulturelle Kinder- und Jugendarbeit.“ Die Türkische Gemeinde Deutschland erklärt in § 2 ihrer Satzung, dass Ziel und Zweck ihres Vereins die Durchführung von Bildungs-, Kultur- und Diskussionsveranstaltungen ist sowie Ausstellungen und musikalische Aufführungen mit dem Ziel durchzuführen, unterschiedliche Kulturen einander näher zu bringen. Und der Afrika-Rat, Dachverband Afrikanischer Vereine und Initiativen Berlin-Brandenburg, möchte neben der Förderung der Bildungs- und Jugendarbeit auch über die Afrikanische Kultur aufklären. Dies sind nur einige Beispiele unter vielen. Zu nennen ist auch die vorbildliche Arbeit des Bundes Spanischer Elternvereine oder des CGil Bildungswerks. Ein weiteres Beispiel ist der Bundesverband der Migrantinnen, der sich 2005 gegründet hat. Er arbeitet in zahlreichen Stadtteilen mit Frauen, Müttern, Berufstätigen und Pensionärinnen zusammen. Ihre Arbeit ist nationalitäten- und religionsübergreifend. Zu ihnen kommen Frauen aus den Stadtteilen, egal ob sie in der Türkei, Russland oder Algerien geboren wurden. Was dort gemacht wird, ist Kulturelle Bildung: Das gemeinsame Singen oder Tanzen, Lesen oder Malen hat einen hohen Stellenwert vor Ort. Die Frauen und Mütter sind daran interessiert, sich kulturell zu betätigen, auch jenseits von kultureller Folklore. Migrantenorganisationen sind wichtige Akteure im Feld der Kulturellen Bildung. Nicht nur, weil sie eine Reihe von Angeboten unterbreiten, sondern auch, weil sie neue Impulse für die Kulturelle Bildungsarbeit setzen können. Daher sollten die deutschen Kulturverbände, -vereinigungen und -einrichtungen verstärkt die Zusammenarbeit und Vernetzung mit den Migrantenorganisationen vor Ort suchen. Der Deutsche Kulturrat hat deshalb einen Runden Tisch eingerichtet, dessen Arbeit – da bin ich sicher – nicht nur den Kulturrat deutlich verändern wird. Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Herausgeber der Zeitung des Deutschen Kulturrates „politik und kultur“ und Vorstandsmitglied der Initiative Hören e.V.. In der 15. und 16. Legislaturperiode (2003–2006 / 2006–2007) war er Mitglied der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages.
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„WIR WOLLEN den MIGRANTENJUGENDLICHEN EINE STIMME GEBEN“ ÇIGDEM RONAESIN, VORSITZENDE DER DIDF-JUGEND IM INTERVIEW
Die DIDF-Jugend ist eine bundesweit tätige Migrantenselbstorganisation, deren Schwerpunkte in der Antirassismusund Kulturarbeit liegen. Sie erreicht mit ihren 30 Mitgliedsvereinen und -gruppen türkisch- und kurdischstämmige Jugendliche der zweiten und dritten Migrantengeneration, die Deutschland als ihre Heimat ansehen und sich in die hiesige Zivilgesellschaft einbringen möchten. Als gesellschaftspolitisch orientierter Verband arbeitet sie eng mit anderen Jugendverbänden, Schüler/innenvertretungen und Asten (Allgemeine Studierenden Ausschüsse) zusammen. Seit einigen Jahren ist die DIDF-Jugend bemüht, die Zusammenarbeit mit etablierten Verbänden und Institutionen weiter zu stärken. So ist ihr die Mitgliedschaft in kommunalen und Landesjugendringen sehr wichtig. Welche kulturellen Aktivitäten für Jugendliche finden in der DIDF-Jugend statt? Die Mitgliedsvereine und -gruppen bieten sehr unterschiedliche kulturelle Aktivitäten an. Auf der einen Seite existieren Kulturangebote wie Folklore- oder Sazkurse, die noch stark türkeiorientiert sind; auf der anderen Seite gibt es ein großes (und weiter wachsendes) Angebot an kulturellen Aktivitäten, die nichts mit dem Herkunftsland der Jugendlichen zu tun haben. Zu diesen gehören Theaterworkshops, international ausgerichtete Musikangebote und Medienprojekte. Insbesondere Aktivitäten mit einem Medienschwerpunkt gewinnen innerhalb der DIDF-Jugend an Bedeutung. Ein Beispiel: Die Krefelder DIDF-Jugend hat im vergangenen Jahr mit ihrem Kurzfilm “Vorurteile, das wahre Leben der jungen Migranten in Krefeld” den Sonderpreis beim Wettbewerb “Die gelbe Hand” gewonnen. Schirmherr des Wettbewerbs war der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann. Das größte Medienprojekt der DIDF-Jugend ist die Verbandszeitschrift „Junge Stimme“. Mit ihrer inzwischen elfjährigen Tradition ist die Junge Stimme die älteste deutsch-türkische Jugendzeitschrift. Welche Bedeutung hat Kulturelle Bildungin Ihrem Verband? Der Name unserer Jugendzeitschrift deutet schon darauf hin: Wir wollen den Migrantenjugendlichen eine Stimme geben. Als Verband erreichen wir auffällig viele benachteiligte Jugendliche, die nach geeigneten Ausdrucksmöglichkeiten suchen. Mit unseren Kulturangeboten möchten wir das Selbstbewusstsein der Jugendlichen stärken und
auch sprachunabhängige Ausdrucksmöglichkeiten bieten. Natürlich spielt auch der besondere kulturelle Hintergrund der Jugendlichen eine Rolle. Obwohl die meisten Mitglieder der DIDF-Jugend stark deutschlandorientiert sind und das Herkunftsland ihrer Eltern nur noch als Urlaubsland kennen, spielt die Türkei in mancherlei Hinsicht noch eine Rolle im Leben der jungen Menschen. Dies müssen die Kulturangebote der DIDF-Jugend beachten. Die Lebenssituation der Migrantenjugendlichen entspricht weder denen der Jugendlichen in der Türkei noch denen der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Findet Zusammenarbeit zwischen Ihren Akteuren und Einrichtungen bzw. Fachverbänden der Kulturellen Bildung statt? Leider gibt es nur eine punktuelle Zusammenarbeit mit Musikschulen. Zu Jugendkunstschulen, Theaterclubs oder Medienwerkstätten haben wir praktisch keinen Kontakt. Das müssen wir selbstkritisch feststellen. In anderen Bereichen, wie der Jugendpolitik, klappt die Kooperation dort am besten, wo etablierte Einrichtungen auf die Migrantenorganisationen aktiv zugehen. Den Migrantenverbänden fehlen oft die Kenntnisse und die Ressourcen, um gezielt Kooperationen zu suchen. Inwiefern wünschen Sie sich eine stärkere Kooperation/einen stärken Austausch? Die DIDF-Jugend wünscht sich generell eine stärkere Kooperation mit anderen Verbänden. In vielen Bereichen ist es ihr auch gelungen, den Austausch zu stärken. Im Kulturbereich haben wir Nachholbedarf. Kooperationen auf lokaler Ebene mit Kulturpädagogen entstehen oft zufällig und über persönliche Kontakte. Was sich dabei entwickeln kann, ist durchaus beachtlich: Wir haben bereits mit den Schauspielern Rolf Becker und Demir Gökgöl, dem Regisseur Tonguc Baykurt und der Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar zusammengearbeitet. Vieles muss aber koordiniert und unabhängig von Einzelpersonen erfolgen. Dazu gehört der stärkere Austausch mit Fachverbänden. Wo sehen Sie Entwicklungsbedarf? Innerhalb der DIDF-Jugend gibt es viele Anknüpfungspunkte für Entwicklungen. Obwohl die Arbeit rein ehrenamtlich getragen und manchmal zu wenig reflektiert wird, haben sich eine große Vielfalt an Angeboten und gute Kontakte zu
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Kunstschaffenden entwickelt. Sehr viele unserer Mitglieder sind kulturinteressiert. Teilweise gilt es, Grundlagenarbeit zu machen. Wer sind die richtigen Ansprechpartner vor Ort? An wen kann ich mich mit meiner Projektidee wenden? Wer kann mich finanziell unterstützen? Viele Fragen werden sich sicherlich ergeben, wenn man in einen Austausch tritt. Welche Rahmenbedingungen wünscht sich die DIDF-Jugend für ihre Aktivitäten im Bereich der Kulturarbeit? Wie in anderen Bereichen wollen wir in der Kulturarbeit eine Professionalisierung erreichen. Eine größere Kontinuität der Arbeit kann erreicht werden, wenn die Beratung und finanzielle Ausstattung verbessert wird. Vor Ort werden wir häufig gut von Kulturämtern unterstützt. Aber auf Bundesebene haben wir noch Probleme. Für unsere jährlichen bundesweiten Jugendkulturfestivals oder für unsere Oster- und
Sommercamps, die auch einen großen kulturellen Schwerpunkt haben, erhalten wir leider keine Unterstützung. Unsere bundesweiten Aktivitäten passen wegen ihrer Größe selten in Förderrichtlinien. Hier wünschen wir uns mehr Flexibilität bei der Unterstützung. Çigdem Ronaesin ist Mitglied des Vorstands der DIDF-Jugend.
Informationen www.didf-jugend.de „Junge Stimme“, Verbandszeitschrift der DIDF-Jugend: www.didf-jugend.de/?cat=5 Broschüre “Interkulturelle Öffnung” der DIDF-Jugend mit Übersicht über die Aktivitäten der Landesverbände und Ortsgruppen sowie Ansprechpartner: www.didf-jugend.de/wp-content/uploads/interkulturelle-offnung.pdf
KULTURSENSITIVITÄT IN DER BILDUNGSPRAXIS KULTURSPEZIFITÄT DER BILDUNG ANNA DINTSIOUDI Die optimale Gestaltung und Förderung der ersten Lebensjahre von Kindern ist eine zentrale und sehr bedeutsame Aufgabe. Wichtig dabei zu berücksichtigen ist, dass sowohl innerhalb von Gesellschaften als auch erst recht im Vergleich zwischen verschiedenen Gesellschaften sehr unterschiedliche Konzepte und Schwerpunkte in der Bildungspraxis vorliegen können. Der kulturelle Kontext, in dem ein Mensch aufwächst und lebt, lenkt sein Verhalten und seine kognitiven Prozesse von Anfang an. Entwicklungsaufgaben sind dabei zwar als universell anzusehen, der Umgang mit diesen Aufgaben ist allerdings ein über die Menschheitsgeschichte gewachsener Prozess, der je nach kulturellem Kontext zu unterschiedlichen adaptiven Lösungen für lokal definierte kulturspezifische Kompetenzen geführt hat. Der kulturelle Kontext ist bestimmt durch soziodemographische Merkmale, wie z. B. die ökonomische Situation, den formalen Bildungsgrad, bestimmte Familienmuster und ein eher städtisches oder ländliches Umfeld (Keller 2007).
Spricht man also von essentiellen Bildungszielen wie Selbstverantwortung, Aktivität und Selbstbestimmtheit, kann dies nicht bedeuten, dass diese Werte für alle Menschen gleichermaßen gelten (nifbe 2008). Bildungspraktiken sind somit als Lehrprozesse zu verstehen, die kulturell geprägte Praktiken, Interpretationen und Bedeutungssysteme übermitteln (Keller 2007a). Dies geschieht durch Eltern, Peers oder soziale Institution, wie z. B. die Schule. Der kulturelle Kontext bestimmt daher die Art kultureller Lerngelegenheiten des Kindes (Maynard 2005, S.3). Menschenbilder in unterschiedlichen kulturellen Kontexten – Kulturelles Lernen und das Selbst Als zentrale kulturelle Modelle des Selbst, die das Lernen und Lehren formen, können die der Independenz und Interdependenz angesehen werden (Markus/Kitayama 1991). In einer eher independenten Gesellschaft weisen Personen einen hohen Grad an persönlicher Autonomie und
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Abgrenzung von anderen auf. Die Verfolgung individueller Ziele steht im Vordergrund und es wird kontextunspezifisches Verhalten präferiert und gefördert. Eltern erwarten, dass Kinder selbstbewusst ihre Ziele verfolgen, die Interessen des Kindes stehen im Vordergrund. Die Eltern-KindBeziehung folgt einem „quasi“ partnerschaftlichen Modell, welches Autonomieförderung in den Mittelpunkt stellt und mit viel Lob untermauert wird. Interdependente Gesellschaften fördern dagegen eher Heteronomie und Bezogenheit. Die Ziele der „in-Group“ haben Priorität, rollenbasierte Autoritäten werden akzeptiert und kontextspezifisches Verhalten mit einem hohen Grad an Respekt für Ältere erwartet, welches Kindern durch die Eltern über eine „Experten-Novizen“-artige Beziehung vermittelt wird. Kindliche Bedürfnisse sind nicht prioritär, Tadel gilt als Methode des Lernens von Normen, die der Gruppe zuträglich sind. Das Kind wird „trainiert“ in die kulturelle Gruppe hineinzuwachsen. Die kulturellen Kontexte, in denen die beiden kulturellen Modelle prototypisch vorkommen, lassen sich wie folgt beschreiben: independente Personen findet man in westlichen urbanen Kontexten, sie besitzen meist ein hohes bis sehr hohes Ausbildungsniveau, ein gutes Einkommen, sie gründen eher spät Familien, die Fertilitätsrate ist meist gering. Interdependente Personen sind kennzeichnend für ländliche nichtwestliche Kontexte, die formale Bildung ist eher gering, das Einkommen ist niedrig, die Familiengründung findet meist früh statt und die Familien haben eher viele Kinder. Betont werden muss, dass beide Modelle sich in allen kulturellen Kontexten wiederfinden lassen, allerdings in unterschiedlicher Gewichtung und „Mischung“. Missverständnisse im Migrationskontext Beide kulturellen Modelle sind in den ihnen zugrundeliegenden kulturellen Kontexten als adaptiv und funktional anzusehen, wobei die beschriebenen Verhaltensregeln im jeweils anderen kulturellen Kontext oftmals als nicht adäquat, wenn nicht sogar als pathologisch angesehen werden, wie folgende Beispiele aus dem Projekt „Familienmigration und ihr Einfluss auf Sozialisationsziele“ des nifbe (2008) zeigen. Eine russisch-jüdische Migrantenmutter (M) (Kind: 3 J.) berichtet dem Interviewer (I) entrüstet von einer Konfliktsituation in der Kita: „[...] M: Als ich einfach in den Kindergarten gekommen, [...] habe versucht mit der Leiterin zu sprechen. Ich sage, ich sehe einfach, dass die anderen Kinder mit irgendetwas beschäftigt sind, ihre Erzieher beschäftigen sie mit irgendetwas I: ja M: ich sage, aber kann man irgendwie mein Kind mit einbeziehen, weil, sage ich, er selbstständig nicht zu Ihnen kommen wird, sage ich, man muss ihn irgendwie I: natürlich, besonders... M: ja, anstoßen dazu. Sie sagte mir, was hat sie denn gesagt „sind Sie verrückt, sagt sie, Ihr Kind ist klein, ja, irgendwie so ganz, was wollen Sie“ I: wenn er groß wird, wird sich selbst festlegen
M: ja, ja, ja, ja. Und darum ich habe das irgendwie so verstanden, dass, wenn ich ihm es nicht gebe, nicht mit ihm irgendwelche zusätzlichen Kurse besuchen werde, dann er wird wachsen und er wird sich selbst nicht festlegen.“ Enttäuschung bzgl. der Güte des deutschen Bildungssystems schwingt in ihrer Aussage mit. Für die Mutter hat autonomes, zielgerichtetes Verhalten des Kindes einen geringeren Stellenwert, die Erzieherin soll ihr Kind fordern/fördern, während die Erzieherin davon ausgeht, dass das Kind, wenn es soweit ist, autonom entscheiden wird, was es tun möchte. Diese Einstellung ist für die Mutter inakzeptabel und sie schickt ihr Kind in „Extrakurse“, um das heranrückende „Lerndefizit“ aus dem „Kita- bzw. Schulalltag“ zu kompensieren. Eine andere Mutter (Kinder: 12 J. und 6 J.) ist ähnlich empört: „[...] M: Und die Lehrerin sagt zu ihr: „Also, die Drei ist eine gute Note.“ Und Ich meine, dass es die ganz und gar NICHT GUTE Note für mein Töchterchen ist. I: Mhm M: und deshalb, es entspannt sie, solche Position und sie strebt nach einer Eins nicht. (...) I: D.h. die Lehrer sind für die Erfolge der Kinder nicht interessiert. M: Nein, ich kann sie sogar nicht beschuldigen, dass sie nicht interessiert sind. Sie haben einfach einen anderen Standpunkt. ***. Man muss sich nicht zu sehr anstrengen, wenn es dir gefällt, dann kannst du es so machen und es ist gut so.“ Die Lehrerin hat versucht, durch ihre Aussage die Schülerin nicht zu demotivieren, bei der Mutter allerdings den Eindruck erweckt, die Leistungsmotivation so erst recht zu hemmen. Nach Ansicht der Mutter sei das den „deutschen“ Lehrern eigen, aber für sie nicht zu akzeptieren. Dies sind nur zwei von vielen Beispielen zu unterschiedlichen Ansichten von Individuen verschiedener kultureller Kontexte, wie sie in Projekten unter der Leitung von Frau Prof. Heidi Keller am nifbe und an der Universität Osnabrück untersucht werden. Implikationen für die Bildungspraxis Wie versucht wurde klarzustellen, beeinflussen kulturelle Modelle des Selbst die Art des Denkens und Handels, sowie auch die geltende Bildungspraxis in einer Gesellschaft. Um nun eine effiziente diversitätsbewusste kulturelle Bildungspraxis zu erreichen, sind kultursensitive Programme erforderlich, welche die Wertvorstellungen und kulturellen Praktiken der jeweiligen Zielgruppe respektieren und berücksichtigen. Ein solches stellt z. B. das „Bridging Cultures“ Programm von Trumbull/Rothstein-Fisch/ Greenfield/Quiroz (2001) dar. Dipl. Psych. Anna Dintsioudi ist seit April 2008 am nifbe als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig und für das Projekt “Familienmigration und ihr Einfluss auf Sozialisationsziele” zuständig. Bei Fragen zum Projekt: adintsio@uos.de Prof. Dr. Heidi Keller ist Leiterin der Forschungsstelle Entwicklung, Lernen und Kultur des nifbe. Sie steht dem Fachgebiet Entwicklung und Kultur am Institut für Psychologie der Universität Osnabrück vor und ist zur Zeit Präsidentin des IACCP (International Association for Cross Cultural Psychology).
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Literatur Keller, H. (2007): Cultures of infancy. Mahwah, NJ. Keller, H. (2007a): Kulturunterschiede in der Entwicklung. In: Hasselhorn, M. & Schneider, K. (Eds.): Handbuch der Entwicklungspsychologie. Göttingen, S. 429–442. Maynard, A. E. (2005): Introduction: Cultural learning in context. In: Maynard, A. E. & Martini, M. I. (Eds.): Learning in cultural context: Family, peers and school. New York, S.1–7. Markus, H. R., Kitayama, S. (1991): Culture and the self: Implications for Cognition, Emotion and Motivation. In: Psychological Review, 98/1991, Heft 2, S. 224–253. Nifbe (2008): Auf die ersten Jahre kommt es an. Einführung. [http://nifbe.de/pages/das-institut/einfuehrung.php]. Trumbull, E., Rothstein-Fisch, C., Greenfield, P. M., & Quiroz, B. (2001): Bridging cultures between home and school: a guide for teachers: with special focus on immigrant Latino families. Mahwah, NJ.
Das “Niedersächsische Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung” (nifbe) Das “Niedersächsische Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung” (nifbe) erforscht die frühe Kindheit interdisziplinär und vernetzt die Akteure im Bereich der frühkindlichen Bildung und Entwicklung landesweit. Der Ergebnis-Transfer zwischen Forschung und Praxis spielt dabei ein große Rolle. Neben dem Haupsitz in Osnabrück gibt es noch fünf regionale Netzwerke. Das Land Niedersachsen fördert das nifbe. Weitere Informationen unter www.nifbe.de
INTERNATIONALER JUGENDKULTURAUSTAUSCH – FÜR ALLE ZUGÄNGLICH? ERGEBNISSE EINER STUDIE ZUR FRAGE DES AUSSCHLUSSES VON DER INTERNATIONALEN JUGENDARBEIT JUDITH DUBISKI Die Mehrheit der deutschen Teilnehmenden an internationalen Jugendbegegnungen ist weiblichen Geschlechts, wurde in Deutschland geboren und besucht ein Gymnasium; in den meisten Fällen sind auch beide Elternteile hier aufgewachsen und haben einen eher höheren Bildungsabschluss (vgl. Statistisches Bundesamt 2005 u. Thimmel 2001). Wie kommt es dazu? – Mit dieser Frage beschäftigte ich mich im Rahmen meiner Magisterarbeit. Dabei sollte die Erklärung für ungleiche Beteiligung an internationaler Jugendarbeit und speziell am internationalen Jugendkulturaustausch aber nicht – wie so oft – ausschließlich bei den Jugendlichen und ihren Eltern gesucht werden, die „kein Interesse“ haben oder „den Sinn internationaler Erfahrungen nicht sehen“. Stattdessen ging es um die Strukturen des internationalen Jugendkulturaustauschs, um Handlungsmechanismen und Routinen, die ihrem Ziel nach zwar niemanden benachteiligen sollen, möglicherweise aber dennoch bestimmte Zielgruppen bevorzugen und andere ausschließen. Aus den Ergebnissen der im Rahmen der Studie durchgeführten Interviews mit (nicht repräsentativ ausgewähl-
ten) Trägern des internationalen Jugendkulturaustauschs lassen sich beispielhaft zwei konkrete Mechanismen möglicher Benachteiligung bestimmter Gruppen herausgreifen, die erste spannende Hinweise und Denkanstöße geben: Finanzieller Aspekt: Für alle befragten Träger ist es eine Selbstverständlichkeit, Jugendlichen aus finanziell schlechter gestellten Familien so weit entgegenzukommen, dass auch sie sich eine Teilnahme leisten können. Vor dem Hintergrund der ohnehin knappen Budgets der Einrichtungen ist nachvollziehbar, dass sie aber mit entsprechenden Möglichkeiten keine „Werbung“ machen, um möglichst jede Form von „Missbrauch“ zu vermeiden. Nur einer der befragten Träger weist auf seiner Homepage auf bestehende Unterstützungsmöglichkeiten hin. Es ist jedoch anzunehmen, dass der finanzielle Beitrag für viele Jugendliche und ihre Familien doch ein Hindernis darstellt, das sie aber von sich aus nicht unbedingt ansprechen, sodass die Träger nichts von der Problematik erfahren und die Angebote zur Abhilfe gar nicht greifen können.
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Erwartungen an die Teilnehmenden: In den Informationsund Anmeldematerialien zu internationalen Projekten wird meistens genannt, welche Sprachen innerhalb der Begegnung Verkehrssprachen sein werden; fast immer werden dabei Englischkenntnisse erwartet, die es erlauben, sich mit den Jugendlichen aus den anderen Ländern zu verständigen. Einige der im Rahmen dieser Untersuchung befragten Träger weisen darauf hin, dass mit einer gewissen Offenheit, mit Händen und Füßen und mit der „Sprache der Kunst“ Verständigung auch ohne oder mit nur geringen Fremdsprachenkenntnissen möglich sei. Zudem wird berichtet, dass die Englischkenntnisse der Teilnehmenden aus Deutschland in der Regel ausreichend sind und kein Problem darstellen. Damit wird gerechtfertigt, dass Sprachkenntnisse nicht als möglicher Hinderungsgrund für eine Teilnahme mancher Jugendlicher thematisiert werden. Beide Argumente haben jedoch einen Schwachpunkt: Dass Verständigung beim künstlerischen Arbeiten auch ohne Sprachkenntnisse möglich ist, mag den Mitarbeiter/innen bewusst sein – es ist aber nicht davon auszugehen, dass Jugendliche, die noch keine Erfahrungen mit dieser Art des Arbeitens und des Austauschs haben und für die Sprache ohnehin eine Hemmschwelle darstellt, diese Vorstellung in ihre Entscheidung für oder gegen ein internationales Projekt einbeziehen können. Ebenso ist die Tatsache, dass die teilnehmenden Jugendlichen über ausreichende Englischkenntnisse verfügen, kein Hinweis darauf, dass Sprache nicht als Problem anzusehen ist, oder dass deutsche Schüler/innen besonders sprachbegabt sind – sondern eher auf einen hoch wirksamen Selektionsmechanismus, der diejenigen von vornherein ausschließt, die es sich nicht zutrauen, sich mit anderssprachigen Jugendlichen zu verständigen. Aber auch eine nicht geäußerte und gerade darum möglicherweise bestehende und von Jugendlichen auch vermutete Erwartung an die Teilnehmenden kann selektiv wirken. So ist der Eindruck, dass beispielsweise in Bezug
auf Sprachkenntnisse eine gewisse Erwartungshaltung seitens der Träger besteht, möglicherweise umso stärker, wenn derartige Anforderungen nicht expliziert werden, sondern vielleicht als selbstverständlich gelten. Auch in Bezug auf Vorerfahrungen in der künstlerischen Sparte werden zwar meist keine Erwartungen ausgedrückt, von potenziellen Teilnehmenden aber möglicherweise gerade deshalb angenommen, da eben auch nicht formuliert wird, dass keine Vorerfahrungen nötig sind. Es muss also bewusst versucht werden, durch klare und offene Formulierungen in der Ansprache von Jugendlichen und Familien ungewollten Ausschluss zu verhindern. Diese Beispiele verdeutlichen, dass Benachteiligung auf sehr unterschiedlichen Ebenen zu analysieren und zu verhindern ist: Zum einen auf einer organisatorischen und praktischen Ebene des alltäglichen Handelns, das durch äußere Bedingungen wie finanzielle und personelle Ressourcen geprägt ist, zum zweiten auf der Ebene der nachträglichen Begründung und Rechtfertigung von Mechanismen und Routinen der eigenen Arbeit, sowie drittens auf der Ebene des gesellschaftlichen Diskurses, in den die internationale Jugendarbeit eingebunden ist. Judith Dubiski Soziologin M.A., ist Mitarbeiterin im Projekt „Evaluation Internationaler Jugendbegegnungen”, Münster.
Literatur Statistisches Bundesamt (2005): Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe. Maßnahmen der Jugendarbeit im Rahmen der Jugendhilfe 2004 Thimmel, Andreas (2001): Pädagogik der internationalen Jugendarbeit. Geschichte, Praxis und Konzepte des Interkulturellen Lernens. Schwalbach; Thomas, Alexander et al. (Hrsg.): Internationale Jugendbegegnungen als Lern- und Entwicklungschance. Erkenntnisse und Empfehlungen aus der Studie „Langzeitwirkungen der Teilnahme an internationalen Jugendaustauschprogrammen auf die Persönlichkeitsentwicklung“.
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>> HIN GEHEN FACHTAGUNG: DAS LEBEN IST KEIN PONYHOF. GENDERFRAGEN IN DER THEATERPÄDAGOGIK 8. BIS 9. OKTOBER 2009 // WOLFENBÜTTEL
PRA XISWERKSTATT: FORSCHUNG MEETS PRA XIS – DIVERSITÄTSBEWUSSTE INTERNATIONALE JUGENDARBEIT 27. BIS 29. NOVEMBER 2009 // WEIMAR
Liegt die Ursache dafür, dass so wenig Jungen theaterpädagogische Angebote wahrnehmen vielleicht im „Angebot“? Dieser Frage nachzugehen ist die Aufgabe des Fachtreffens. Jungenspezifische Aspekte der Theaterpädagogik als ästhetische Herausforderung zu suchen, muss Ziel sein, wenn man Jungen beteiligt sehen will. Beispiele aus der theaterpädagogischen Praxis werden Alternativen aufzeigen.
Die Werkstatt richtet sich an Multiplikator_innen der internationalen Jugendarbeit, die Praxiserfahrungen in diesem Bereich mitbringen und Interesse an der Weiterentwicklung einer diversitätsbewussten Praxis haben sowie an Forscher_innen und Wissenschaftler_innen in diesem konkreten Themenfeld. Anliegen ist es, damit einen Raum zu eröffnen für die (kritische) Diskussion und Weiterentwicklung einer diversitätsbewussten Perspektive in der internationalen Jugendarbeit. Im Rahmen der Werkstatt werden vorläufige Ergebnisse und Eindrücke aus der Forschung vorgestellt und Entwicklungen und Schlussfolgerungen diskutiert.
KONTAKT // Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel, www.bundesakademie.de
WETTBEWERB: „PLUSPUNKT KULTUR“ – WETTBEWERB FÜR JUNGES ENGAGEMENT IN DER KULTUR NOCH BIS ZUM 1. NOVEMBER 2009 // BUNDESWEIT Bewerben können sich Jugendliche und junge Erwachsene mit eigenen Projektideen oder laufenden Projekten, die für ein Engagement in der Kultur nachhaltig begeistern. „Motor und Initiator kultureller Angebote zu sein, zeigt jungen Menschen, dass sie Einfluss nehmen und unsere Gesellschaft mitgestalten können“, so Tayfun Bademsoy, Botschafter des PlusPunkt KULTUR. Es sind Projekte und Konzepte gefragt, die wichtige gesellschaftspolitische Themen, wie z. B. „Interkultur“ mittels Kunst und Kultur thematisieren. Die 30 Gewinner/innen erwarten professionelle Qualifizierungsmaßnahmen, etwa im Bereich Projektmanagement oder Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie ein Preisgeld in Höhe von je 1000 Euro. Mit dem jährlich ausgeschriebenen PlusPunkt KULTUR-Preis fördert die BKJ das freiwillige, junge Engagement in der Kultur. Schirmherrin ist Bundesministerin Ursula von der Leyen. KONTAKT // Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung, www.plus-punkt-kultur.de
SYMPOSIUM: DAS EIGENE UND DAS FREMDE. MUSEEN UND INTEGRATION 15. BIS 17. NOVEMBER 2009 // KÖLN Älter, bunter, weniger - der demographische Wandel lässt sich in drei knappen Begriffen zusammenfassen. Die Lösungen sind leider nicht so einfach. Eine der größten Herausforderungen ist es, mit der „Buntheit“ umzugehen. Museen könnten wegen ihrer vergleichsweise einfachen Zugänglichkeit dabei eine Vorreiterrolle spielen. KONTAKT // Bundesverband Museumspädagogik/Museumsdienst Köln, www.museenkoeln.de/museumsdienst
KONTAKT // Anne Sophie Winkelmann a.winkelmann@vervielfaeltigungen.de
WORKSHOPREIHE: KULTURKOMPETENZ 50+ OKTOBER BIS NOVEMBER 2009 // KÖLN, DUISBURG, DÜSSELDORF Konzertpädagogik 50+: Experimente – Erinnerungen – Improvisation, 2. Oktober 2009, Alte Feuerwache Köln Museumsführungen für Menschen mit Demenz, 26. Oktober 2009, Wilhelm Lehmbruck Museum Duisburg Das Publikum gewinnen: Strategien des Audience Development, 28. Oktober 2009, Alte Feuerwache Köln Keywork - Zugänglichkeit durch freiwilliges Engagement, 17. November 2009, Stadtmuseum Düsseldorf KONTAKT // KUBIA – Europäisches Zentrum für Kultur und Bildung im Alter, www.ibk-kubia.de
WERKSTATT-TAGUNG: VIELFALT SICHTBAR MACHEN. „POLNISCH? DEUTSCH? – ICH! & DU!“ 4. BIS 6. DEZEMBER // WERFTPFUHL Nationale und internationale Kinder- und JugendKULTURarbeit in Deutschland und Polen sowie in anderen europäischen Ländern ist zunehmend herausgefordert, in ihrer Praxis der Diversität und Verschiedenheit ihrer Teilnehmer/innen und deren vielfältigen Identitäten gerecht zu werden. Dabei ist die Bewusstmachung von nationalen und anderen Stereotypen wichtiger denn je. Die deutsch-polnische Werkstatt-Tagung möchte die Fachkräfte des internationalen JugendKULTURaustauschs für eine diversitätsbewusste Praxis sensibilisieren sowie konkrete Praxisbausteine entwickeln und erproben. KONTAKT // Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung, www.bkj.de
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>> NACH SCHAUEN BÜCHER, AUFSÄTZE Cultural Studies und Pädagogik herausgegeben von Paul Mecheril und Monika Witsch Das Buch untersucht, inwiefern das erkenntnispolitische Projekt der Cultural Studies zur Erhellung pädagogisch relevanter Felder und Sachverhalte, aber auch zur Profilierung einer spezifischen pädagogischen Ausrichtung beitragen kann. ISBN 978-3-89942-366-2 (2006) 28,80€ Ethnizität und Migration RELOADED. Kulturelle Identität, Differenz und Hybridität im postkolonialen Diskurs von Kien Nghi Ha Der Autor analysiert die deutsche Migrationspolitik sowie die differenten Erfahrungen marginalisierter Einwander/innen von einer postkolonialen Perspektive aus. Das Buch führt in Ansätze postkolonialer Kritik ein, indem zentrale Begriffe wie kulturelle Identität, Differenz und Hybridität zunächst im Kontext lokaler migrantischer Subjekterfahrungen entwickelt werden. ISBN 3-86573-009-4 (2004) 24,90€ Hype um Hybridität. Kultureller Differenzkonsum und postmoderne Verwertungstechniken im Spätkapitalismus von Kien Nghi Ha Ha analysiert den aktuellen Diskurs über Hybridität von zwei Seiten her: Einerseits werden die historischen Bedeutungsschichten des Begriffs kulturgeschichtlich rekonstruiert; andererseits wird der grundlegende Bedeutungswandel in der Postmoderne untersucht. Die Aufwertung des Hybriden wird als eine spätkapitalistische Warenform betrachtet, die neue Formen des kulturellen Konsums des Anderen ermöglicht und paradoxerweise mit Essentialisierungen und Ausschließungen verbunden ist. ISBN 978-3-89942-309-9 (2005) 15,80€ Zur Unüberwindbarkeit kultureller Differenz herausgegeben von Jochen Dreher und Peter Stegmaier Was ist darunter zu verstehen, wenn von einem Aufeinandertreffen der Kulturen die Rede ist? Was genau wird postuliert, wenn von »Kosmopolitisierung«, »Amalgamierung« oder »Hybridisierung« der Kulturen die Rede ist? Das Problem der kulturellen Differenz wird von der Konstitution des subjektiven Bewusstseins und den praktischen Problemen intersubjektiven Verstehens her aufgerollt. ISBN 978-3-89942-477-5 (2007) 28,80€ Vom hegemonialen zu einem diversitätsbewussten Blick auf die Einwanderungsgesellschaft von Erol Yildiz Obwohl Migrationsprozesse zur Alltagsrealität gehören, ist der öffentliche Diskurs darüber von einer Defizitperspektive geprägt. Erst seit einigen Jahren gibt es zumindest im akademischen Diskurs punktuell einen Perspektivwechsel, markiert von Aspekten wie Öffnung von Institutionen, transkulturelle Kompetenzen, hybride Lebenswelten als Lernvoraussetzungen und Alltagsweltorientierung in der Bildungsarbeit. Der Autor beleuchtet die Diskrepanz zwischen öffentlichem Diskurs und alltäglicher Praxis, diskutiert die Relevanz eines diversitätsbewussten Blickes und rückt die Potenziale dieser Perspektive in den Mittelpunkt. Download: www.migration-boell.de/web/diversity/48_2212.asp
Abschied von der Interkulturellen Pädagogik – Plädoyer für einen Wandel sozialpädagogischer Konzepte von Franz Hamburger Das Gesellschaftsbild in Deutschland muss sich ändern, denn der Staat ist nicht mehr der des deutschen Volkes, sondern aller Menschen, die dauerhaft hier leben, so das Credo des Autors. Der erforderliche Perspektivwechsel hin zu Pluralität und Mehrsprachigkeit kommt aber nur langsam in Gang. Die Annahme, dass vor allem die großen kulturellen Unterschiede zwischen den Menschen Konflikte hervorrufen, ist zumindest teilweise überholt. Stattdessen sind Armut und fehlende Gleichberechtigung wichtige Faktoren, was viele Grundannahmen der Interkulturellen Pädagogik in Frage stellt. ISBN 3779912295 (2009) 19,50€ Interkulturelle Bildung – Ein Weg zur Integration herausgegeben von der Kulturpolitischen Gesellschaft Der Band stellt praktische Erfahrungen, theoretische Erklärungen und politische Anforderungen aus dem Themenfeld Kulturelle Bildung und interkulturelle Arbeit vor. Dabei kommen sowohl Wissenschaftler/innen, Politiker/innen und Praktiker/innen zu Wort, als auch Kinder und Jugendliche »als Experten in eigener Sache«. ISBN 978-3-8375-0074-5 (2008) 15,00€ Ethnie, Bildung oder Bedeutung? – Zum Kulturbegriff in der interkulturell orientierten Musikpädagogik von Dorothee Barth Die Autorin geht den Verwendungsweisen des Kulturbegriffs in Theorie und Praxis interkulturell orientierter Musikpädagogik nach. Sie ordnet die jeweiligen Implikationen und Traditionslinien in historische Kontexte ein, zieht Verbindungen zu zahlreichen anderen Wissenschaftsdisziplinen und analysiert vorhandene Unterrichtsmaterialien. Um Problemen einer unscharfen und mehrdeutigen Verwendungsweise des Kulturbegriffs in der interkulturell orientierten Musikpädagogik zu begegnen, entfaltet die Autorin einen „bedeutungsorientierten“ Kulturbegriff. ISBN 978-3-89639-625-9 (2007) 25,00€
PRAXISHILFEN Kulturelle Vielfalt erleben: Internationale Jugend-KulturBegegnungen – 21 Beispiele aus der Praxis herausgegeben von der BKJ Interkulturelles Lernen hat die Bedeutung des internationalen Jugendkulturaustauschs in den letzten Jahren deutlich zunehmen lassen. Die Projektsammlung präsentiert eine Vielzahl konzeptioneller Begegnungsansätze, künstlerischer Ausrichtung und organisatorischer Ideen für die Durchführung von JugendKultur-Begegnungen. Bestellung: www.bkj.de; 5,00€ Der Kunst-Code herausgegeben vom bjke und Dolores Smith Wie müssen Kulturpädagogische Einrichtungen ihre Angebote, ihre Teams, ihre Konzepte verändern, um interkulturelle Kulturpädagogik zu realisieren? Wie können und warum sollen vor allem benachteiligte Kinder und Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund Angebote der Kulturellen Bildung für sich nutzen?
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>> NACH SCHAUEN Diesen Fragen ist das bundesweite Projekt „Der Kunst-Code. Jugendkunstschulen im interkulturellen Dialog“ nachgegangen. Die Arbeitshilfe bündelt Erfahrungen, Erkenntnisse und konkrete Handlungsempfehlungen für die interkulturell sensible ästhetische Bildung sowie für die Verbands- und die politische Ebene. ISBN 3-931949-43-5 (2008) 10,00€ Theater interkulturell – Theaterarbeit mit Kindern und Jugendlichen herausgegeben von Klaus Hoffman und Rainer Klose Theaterarbeit mit Kindern und Jugendlichen ist heute auch Theaterarbeit mit Kindern und Jugendlichen aus Migrantenfamilien. Das Buch will einen Anstoß geben, die längst überfällige Auseinandersetzung mit der Interkulturalität in der Theaterpädagogik zu verstärken. Auf der Basis einer bundesweiten Bestandsaufnahme gibt es Empfehlungen für die konkrete Arbeit. ISBN 3937895795 (2008), 5,00€ Kulturelle Vielfalt leben lernen – 21 Praxisbeispiele herausgegeben von der BKJ Die Broschüre liefert exemplarische Einblicke in die Vielfalt kulturpädagogischer Arbeitsformen zu interkulturellen Themen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen. Bestellung: www.bkj.de; 5,00€ Interkulturelle Kompetenz herausgegeben von Juliana Roth und Christoph Köck Das Lehrbuch enthält zahlreiche Arbeitsanregungen zum aktiven Üben und Anwenden. Es wendet sich u. a. an Personal aus den Bereichen Sozialpädagogik und Bildung sowie an alle, die sich persönlich in diesem Feld fortbilden möchten. ISBN 3867182000 (2004) 19,95€ Lernmaterialien zu interkulturellen Radioprojekten Im Rahmen des Projektes „Interaudio VI“ sind illustrierte Lernmaterialien zu zentralen Radio-Techniken entstanden: Interview, Sprechen im Radio, Magazinsendung und Moderation, Hörspiel, Radiomontage, Musik im Radio. Die Lernmaterialien richten sich an alle, die in einem interkulturellen Umfeld Radiomachen lernen wollen. http://interaudio.org Kunst verbindet Menschen. Interkulturelle Konzepte für eine Gesellschaft im Wandel herausgegeben von Tina Jerman Wie lassen sich die Brücken zwischen der zugewanderten und einheimischen Kulturszene ausbauen? Wie kann man den Zugang zu Kultureinrichtungen, Veranstaltungen und Förderprogrammen erleichtern? Wie kann man den Zugang zu den kulturellen Szenen der Zugewanderten für die Mehrheitsgesellschaft öffnen? Das Buch stellt Konzepte und Projekte vor, die institutionelle und freie Kultureinrichtungen und -verwaltungen sowie Künstler/innen mit Migrationshintergrund in ihrer Arbeit vor Ort unterstützen. ISBN 978-3-89942-862-9 (2007) 23,80€
Praxishandbuch für sozialraumorientierte interkulturelle Arbeit von Gaby Straßburger und Stefan Bestmann Soziale Arbeit muss auf ethnische, kulturelle und religiöse Vielfalt reagieren, wenn sie dazu beitragen will, dass auch Bürger/innen mit Migrationshintergrund gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben können. In diesem Praxishandbuch erläutern die Autor/ innen, wie Angebote so gestaltet werden können, dass Migrantenfamilien sie als attraktiv und hilfreich erachten und nutzen. ISBN 978-3-928053-95-2 (2008) 10,00€ Baustein zur nicht-rassistischen Bildungsarbeit herausgegeben vom DGB-Bildungswerk Thüringen Die Website bietet eine Fundgrube für erfahrene und neue Fachkräfte, experimentierfreudige Lehrer/innen, neugierige Kongressorganisator/innen, aktionsorientierte Initiativen und andere Interessierte: Methoden, Hintergrundmaterial, Praxistipps. http://baustein.dgb-bwt.de/A/UnserKonzept.html
STUDIEN Die Milieus der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland Die Studie untersuchte die Lebenswelten und Lebensstile von Menschen mit unterschiedlichem Migrationshintergrund mit dem gesellschaftswissenschaftlichen Ansatz der Sinus-Milieus. Sie belegt: Die Migranten-Milieus unterscheiden sich weniger nach ethnischer Herkunft und sozialer Lage als nach ihren Wertvorstellungen, Lebensstilen und ästhetischen Vorlieben. Download: www.sociovision.de/uploads/tx_mpdownloadcenter/ Zentrale_Ergebnisse_16102007.pdf Ungenutzte Potenziale. Zur Lage der Integration in Deutschland herausgegeben vom Berlin-Institut Das Berlin-Institut hat erstmals einen Index zur Messung von Integration (IMI) entwickelt, der den Integrationserfolg acht verschiedener Herkunftsgruppen untersucht. Zusätzlich wurden die Integrationserfolge regional – nach Bundesländern und größeren Städten – differenziert. Dadurch lässt sich mehr über den Einfluss von regionalen wirtschaftlichen und politischen Strukturen auf die Integration erfahren. Bestellung oder download unter: www.berlin-institut.org Interkulturelle Kompetenz durch internationale Kinderbegegnung von Barbara Rink, Adel Altenähr Das Deutsche Jugendinstitut hat das Feld der Internationalen Kinderbegegnung im Rahmen der Vorstudie „Interkulturelle Kompetenz durch internationale Kinderbegegnung“ genauer unter die Lupe genommen und eine erste Bestandsaufnahme der in Deutschland bestehenden Angebote durchgeführt. Download unter: www.dji.de/bibs/Interkulturelle_Kompetenz_durch_ internationale_Kinderbegegnung_Ergebnisbericht_Vorstudie.pdf
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>> NACH SCHAUEN ZEITSCHRIFTEN, WEB-TV
DOKUMENTE, POSITIONEN, ERKLÄRUNGEN
inter I kultur. Beilage zu politik & kultur, Zeitschrift des Deutschen Kulturrats Bis Ende des Jahres 2011 erscheinen pro Jahr drei Ausgaben der Beilage „Interkultur“ zur Zeitung politik und kultur. In den Beilagen kommen Vertreter von Verbänden, Künstler und Projektverantwortliche zu Wort. Download: www.kulturrat.de/text.php?rubrik=88
Pluralität ist Normalität für Kinder und Jugendliche. Stellungnahme des Bundesjugendkuratoriums Das Bundesjugendkuratorium weist auf vernachlässigte Aspekte in der Diskussion hin und kritisiert falsche Akzentsetzungen. Die Stellungnahme soll einen Beitrag leisten zum Wandel der Perspektive, wie die Einwanderersituation gestaltet werden soll. Dabei geht es vor allem darum, Kinder und Jugendliche als individuelle Persönlichkeiten zu betrachten, die viele Eigenschaften und verschiedene Zugehörigkeiten haben. Download unter: www.bundesjugendkuratorium.de
Kulturelle Vielfalt und der Dialog der Kulturen (musikforum, 2/2008) In der Zeitschrift des Deutschen Musikrates beziehen die Fraktionsvorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien aus unterschiedlichen Blickrichtungen Position zum Thema. Weitere Artikel beleuchten das Thema aus dem Blickwinkel der Rundfunkanstalten, der Musikpädagogik oder der Kulturpolitik. Bestellung: www.musik-forum-online.de ROOTS&ROUTES TV ist das Web-TV-Portal für Jugend, Kultur, Musik, Lifestyle und Multikulturalität mit Jugendredaktionen in 6 Städten in NRW und in ganz Europa. Jugendliche und junge Erwachsene mit unterschiedlichen kulturellen Roots kommen in Workshops und Redaktionsgruppen zusammen, produzieren im interkulturellen Dialog kreative Produkte und ein regelmäßig erscheinendes WebTV-Magazin über Jugendkultur und den interkulturellen Alltag in ihren Städten. www.rootsnroutes.tv „Jugendstil“ ist das interkulturelle Kulturmagazin für Magdeburg und ganz Sachsen-Anhalt: 30 Minuten im TV oder im Internet. Jugendstil ist ein Projekt des Offenen Kanal Magdeburg, unterstützt und gefördert von der lkj.) u.a.www.jugendstil-magazin.de Viele Welten leben. Konzepte interkultureller Bildung (infodienst 07/2006) Das Themenheft geht der Frage nach, ob und wenn ja, wie kulturelle Kinder- und Jugendarbeit ihrer Rolle in der interkulturellen Bildung gerecht wird. Bestellung unter www.bjke.de
UNESCO Konvention Kulturelle Vielfalt Download auf deutsch: www.unesco.de/konvention_kulturelle_vielfalt.html?&L=0 Diversity als Chance – Die Charta der Vielfalt der Unternehmen in Deutschland Die Grundidee der Initiative kommt aus Frankreich. Dort haben inzwischen mehr als 2.250 Firmen die „Charte de la diversité“ unterschrieben. In Deutschland wurde die Idee im Dezember 2006 aufgenommen. Mit ihrer Unterschrift verpflichteten sich die Unterzeichner, Vielfalt anzuerkennen und wertzuschätzen sowie ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das frei von Vorurteilen ist. Download: www.charta-der-vielfalt.de Intercultural cities: governance and policies for diverse communities. As communities across Europe grow increasingly diverse, the way they perceive and manage diversity – as an asset or as a threat – becomes a key challenge for the future. Successful cities and societies of the future will be intercultural: they will be capable to manage and explore the potential of their cultural diversity to stimulate creativity and innovation and thus generate economic prosperity and a better quality of life. Introductory document: www.coe.int/t/dg4/cultureheritage/Policies/Cities/concept%20paper.pdf
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>> WEITER GEHEN Die BKJ und ihre Mitglieder agieren in einem komplexen Netzwerk verschiedenster Partner und Akteure. Auf diesen Seiten finden Sie eine Auswahl von Adressen für Ihre weiteren Recherchen zum Thema Kulturelle Bildung & Kulturelle Vielfalt. Die Kontaktinformationen zu den BKJ Mitgliedsorganisationen, die die ganze Bandbreite der Angebotsformen und Sparten Kultureller Bildung vertreten, finden Sie auf: www.bkj.de
MIGRANTEN-SELBSTORGANISATIONEN DEUTSCHE JUGEND AUS RUSSLAND (DJR) Der Bundesverband und die Landesverbände der DJR sind in verschiedenen Sparten Kultureller Bildung aktiv. Es gibt z. B. eine Sommerakademie für Kinder und Jugendliche, Kunstprojekte zu Lebensrealitäten jugendlicher Spätaussiedler, ein internationales „Dance-Atelier“ und das Zeitungsprojekt „Futura“: http://www.djrbund.de/regional.php FÖDERATION TÜRKISCHER ELTERNVEREINE Sie koordiniert die Zusammenarbeit zwischen Elternvereinen untereinander, mit anderen Vereinen sowie mit Ministerien und Schulen, damit Kinder mit Migrationshintergrund eine angemessene schulische und außerschulische Förderung erhalten. Die NRW-Föderation bietet u. a. eine „Elternakademie“ an: die Teilnehmer/innen werden, als Expert/innen für Erziehungs- und Bildungsfragen gewonnen: http://turk-egitim.de TÜRKISCHE GEMEINDE IN DEUTSCHLAND (TGD) Die Türkische Gemeinde in Deutschland engagiert sich in vielen gesellschaftspolitischen Feldern. Beispiele sind die Projekte „Integration plus Lotsen“ und „Youngsters for best Practice“ sowie eine Bildungskampagne: http://veli.tgd.de/ BUND DER SPANISCHEN ELTERNVEREINE Der Verband vernetzt 120 Vereine und kooperiert mit Bildungseinrichtungen, Verbänden und Behörden. Im Fokus steht die Unterstützung jugendlicher Migrant/innen im Sinne von mehr Teilhabe am öffentlichen Leben. Angeboten werden Seminare für Frauen, Erwachsene, Eltern, Senioren und Jugendliche sowie bundesweite Kinder- und Jugendwettbewerbe: aef-confederacion@t-online.de SPANISCHE WEITERBILDUNGSAKADEMIE – ACADEMIA ESPAÑOLA DE FORMACIÓN - AEF Die AEF führt interkulturelle Bildungsangebote in NRW durch. Als ein gemeinsam von Spaniern und Deutschen gegründetes Bildungswerk bietet sie ihre Maßnahmen entsprechend den speziellen Bedürfnissen der Migrant/innen und ihrer Familien an. Sie arbeitet dabei eng mit verschiedenen Partnern und Selbstorganisationen wie z. B. Elternvereinen, zusammen. Zu den Aktivitäten gehören auch musisch-kreative und künstlerische Angebote, Lesungen und Ausstellungen: www.altanto.de/aef/ KANAK ATTAK ist der selbstgewählte Zusammenschluss verschiedener Menschen über die Grenzen zugeschriebener, quasi mit in die Wiege gelegter „Identitäten“ hinweg. Kanak Attak fragt nicht nach dem Pass oder nach der Herkunft, sondern wendet sich gegen die Frage nach dem Pass und der Herkunft. „Unser kleinster gemein-
samer Nenner besteht darin, die Kanakisierung bestimmter Gruppen von Menschen durch rassistische Zuschreibungen mit allen ihren sozialen, rechtlichen und politischen Folgen anzugreifen.“ www.kanak-attak.de DIE UNMÜNDIGEN ist eine Selbstorganisation von Angehörigen der zweiten und dritten Generation von Arbeitsmigrant/innen. Ihr Hauptanliegen ist die Thematisierung und das Entlarven von Rassismus. Dabei sind neben inhaltlich-sachlicher Beschäftigung vor allem satirische und provokative Verfahren die Form der Unmündigen, mit Rassismus umzugehen. „Wir sind weder „Gäste“, „Fremde“ noch „Ausländer“. Auch der kaschierende Ausdruck „ausländische Mitbürger“ kann nicht zur Genüge verschleiern, dass wir politisch unmündig gehaltene Bürger dieses Landes sind.“ www.die-unmuendigen.de
FORUM DER KULTUREN STUTTGART Als Dachverband von Migrantenvereinen und interkulturellen Einrichtungen steht das Forum der Kulturen heute im Zentrum eines breit angelegten Netzwerkes interkultureller und migrantischer Vereine und Institutionen. Aus einer anfänglich eher geduldeten Außenseiterrolle heraus hat zu einem wichtigen Partner im Kulturleben der Region entwickelt – mit zunehmender Bedeutung auch bundesweit: www.forum-der-kulturen.de Zahlreiche weitere Adressen von Migrantenselbstorganisationen, Vereinen und Institutionen nach Ländern sortiert finden Sie bei www.laenderkontakte.de
PRAXIS: KUNST UND KULTURELLE BILDUNG ORFIDE/„VIELFALT TUT GUT“– LKJ SACHSEN-ANHALT ORFIDE entwickelt und koordiniert Angebote für Jugendliche und Multiplikator/innen in den Bereichen der politisch-historischen sowie der interkulturellen/interreligiösen Bildung. Im Rahmen des FSJ Kultur sind zwölf Freiwillige vorwiegend in historischen Projekten und Gedenkstätten aktiv. Forschendes Lernen, Open Space, historische und künstlerische Projektarbeit kommen zum Einsatz: http://www.orfide.de/homes.html MUS-E/ YEHUDI MENUHIN STIFTUNG MUS-E ist ein europaweites künstlerisches Programm für Schulen. Einmal pro Woche bestreiten Künstler/innen aus Theater, Tanz, Musik und bildender Kunst zwei Schulstunden im Kernbereich des Unterrichts unter Mitwirkung der Lehrer/innen. Dies eröffnet insbesondere Kindern in sozial benachteiligten Stadtteilen den Zugang zu Kunst und macht erfahrbar, dass Vielfalt von Individualität und kultureller Herkunft jede Gemeinschaft bereichert: http://www.ymsd.de/mus-e.html BUNDESINITIATIVE INTEGRATION UND FERNSEHEN Zentrale Ziele sind die nachhaltige Verankerung der Themen Migration und Integration im öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehen. Die Lebenswelt der Migrant/innen ist für Film- und Fernsehprojekte bislang nur sehr gering erschlossen worden. Die reflektierte Darstellung von Milieus, Lebensstilen, Lebensgeschichten und nicht zuletzt von Charakteren verspricht ei-
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>> WEITER GEHEN nen erheblichen Gewinn für das Programm. Auch Autoren und Künstlerinnen mit Migrationshintergrund sollen stärker in die Konzeption und Produktion einbezogen werden. Partner der Initiative ist u. a. Tayfun Bademsoy, Botschafter des BKJ-Wettbewerbes „PlusPunktKultur“: www.bundesinitiative.org LIZ MOHN KULTUR- UND MUSIKSTIFTUNG Die Stiftung setzt sich „für das Miteinander von Kindern und Jugendlichen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund“ ein. Die Homepage dokumentiert die anregenden Praxisprojekte: www.kultur-und-musikstiftung.de INTERKULTURELLE THEATERPÄDAGOGIK AM BADISCHEN STAATSTHEATER KARLSRUHE Das Theater hat Mitglieder aus rund 40 Nationen und kooperiert intensiv mit Migrant/innen-Vereinen, internationalen freien Gruppen und mit Schulen. Vielfältige Projekte und Kooperationen machen den Austausch zwischen Karlsruher/innen unterschiedlicher Herkunft und dem Theater zu einem festen Bestandteil des kulturellen Lebens. Unter den „Spielclubs“ haben sich drei interkulturelle Kinder- und Jugendclubs etabliert. Ansprechpartner ist Rusen Kartaloglu: rusen@staatstheater-karlsruhe.de VIELFALT! MITMACH-AUSSTELLUNG Acht unterschiedlich gestaltete Räume fordern Kinder auf, den Wert von Vielfalt zwischen Menschen, in der Natur und bei den Dingen zu erforschen. Jeder Mensch ist anders und hat ein Recht auf eine Entwicklung, die seiner Persönlichkeit entspricht – dies zeigt der Raum „Vielfalt der Entwicklung“. Im Kindergarten-Modellraum finden sich zahlreiche Anregungen, wie die Vielfalt von Kinderpersönlichkeiten in den Kindergartenalltag einbezogen werden kann. Die Ausstellung wurde von Pädagogen, Künstlern, Designern und Kindern gestaltet: www.vielfalt-ausstellung.de AGE-CULTURE.NET Das Europäische Netzwerk für Kultur und Alter unterstützt die kulturelle Teilhabe und Bildung älterer Menschen: www.age-culture.net
FORSCHUNGSSTELLEN UND INFORMATIONSPLATTFORMEN MIGRATION-BOELL.DE präsentiert ein vielfältiges Angebot an Informationen, Analysen und Meinungen zu den großen Themenfeldern Zuwanderung, soziale und politische Integration sowie zu einem produktiven
Umgang mit kultureller Vielfalt in Institutionen. Selbstverständlich kommen Migrant/innen selbst zu Wort: www.migration-boell.de NETZWERK MIGRATION IN EUROPA Ziel des Netzwerks ist es, die Themenfelder (Zwangs-)Migration, Menschenrechte, Minderheiten und Entwicklung in ihrem europäischen, transnationalen und globalen Zusammenhang zu stärken. Gemeinsam mit Organisationen aus Zivilgesellschaft, Bildung, Kultur und Wissenschaft engagiert sich das Netzwerk für den Transfer von Lernansätzen und Handlungsmodellen. Die Arbeit des Netzwerks umfasst die Kompetenzfelder Wissensvermittlung und Vernetzung, Bildung und Kultur sowie wissenschaftlichen Dialog: www.network-migration.org EXPERTENDATENBANK MIGRATION In diesem Angebot der Bundeszentrale für Politische Bildung können Sie zielgerichtet nach Themen und Stichworten Expert/innen für Ihre Veranstaltungen, Schulungen und Tagungen suchen. Die Expertendatenbank enthält Informationen über Expert/innen aus staatlichen und nicht-staatlichen Organisationen, Universitäten und Forschungseinrichtungen: www.bpb.de/expertendatenbank-migration SACHVERSTÄNDIGENRAT DEUTSCHER STIFTUNGEN FÜR INTEGRATION UND MIGRATION Zentrale Aufgaben sind Bestandsaufnahmen, Entwicklungsanalysen, kritische Politikbegleitung und die Information der Öffentlichkeit in den Bereichen Integration und Migration. Ein Integrationsbarometer „misst“ die Wirkung und Akzeptanz integrationspolitischer Maßnahmen mittels repräsentativer Befragung. Da Integration auf Gegenseitigkeit beruht, werden Menschen mit und ohne Migrationshintergrund interviewt. Das erste Integrationsbarometer wird im Frühjahr 2010 vorgelegt: www.svr-migration.de Eine hilfreiche Zusammenstellung von Adressen zur Migrationsforschung, von Informationsplattformen, Organisationen, Stiftungen und Projekten, Regierungsstellen und Behörden bietet die Seite des Rates für Migration: http://rat-fuer-migration.de/links.html Der Bildungsserver bietet einen Überblick über Akteure im Bereich Interkulturelle Bildung: http://bildungsserver.de/zeigen.html?seite=789
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>> Das Bild zum Thema „Aha!“ interview mit Sophie Barahona-L ams (25), Solingen Sophie Barahona hat im Juli 2009 ihre Diplomarbeit im Fach Kommunikationsdesign an der Fachhochschule Düsseldorf zum Thema Integration gemacht. Was ist „Aha!“ ? Für Menschen, die noch nicht lange in Deutschland leben ist dieses Land nicht einfach zu verstehen. Es gibt unzählige Situationen im Alltag, die nicht selbstverständlichen Regeln folgen und nicht selbsterklärend sind. Wie komplex sich der Alltag gestaltet, wenn er fremd ist, ist sogar den Deutschen oft nicht bewusst. Ich hatte die Idee, genau diese schwierigen Situationen zu sammeln und sie allen, die sie benötigen zur Verfügung zu stellen. Das Ergebnis ist „Aha!“. Aha ist ein Zeichensystem, das überall dort auftaucht, wo es Hilfe leisten kann: Im Supermarkt, in der Behörde, in öffentlichen Verkehrsmitteln – überall im Alltag. Mit Hilfe der Zeichen soll man lernen zu verstehen, wieso sich Deutsche hier so verhalten. Die Leute sollen am Ende sagen: »Aha! Ich verstehe!«. Ganz wichtig war mir, dass jeder selbst entscheiden soll, wie er mit den Informationen, die „Aha!“ vermittelt, umgeht. „Aha!“ soll niemandem vorschreiben, wie er sich zu verhalten hat oder etwas zu unterlassen. Im Gegenteil, „Aha!“ erklärt die Dinge freundlich und mit einer gewissen Portion Humor. Wie funktioniert „Aha!“ ? Für „Aha!“ habe ich über 70 Piktogramme entwickelt, die in Form von Aufklebern überall dort auftauchen sollen, wo erklärungsbedürftige Situationen entstehen können. Zu zweit oder zu dritt kombiniert sollen die Aufkleber eine Idee geben, worum es in der jeweiligen Situation geht. Für eine detaillierte Erklärung klebt eine Codenummer bei den Aufklebern. Diese kann man man im Aha-Handbuch oder im Internet (www.aha-deutschland.de) nachschlagen.
Ich habe bis jetzt 64 Alltags-Situationen aus allen Bereichen des Lebens gesammelt und beschrieben. „Aha!“ soll aber wachsend sein und immer weiter ergänzt werden. Denn das habe ich während meiner Recherchen herausgefunden: Fast jeder kennt ein Beispiel.
Codenummer: 055 Die Deutschen lieben ihre Autos. Ihre Autos haben keine Beulen oder Kratzer, weil sie so gepflegt werden, dass sie auch noch nach einigen Jahren aussehen wie neu gekauft. Beim Einparken werden andere Autos niemals touchiert. Viele Menschen reagieren sehr empfindlich, wenn es um ihr Auto geht. Aus Angst vor Kratzern kann es vorkommen, dass der Besitzer das Gefährt penibel nach Kratzern absucht, wenn er jemanden dabei erwischt, der sein Auto auch nur berührt hat, geschweige denn, sich dagegen gelehnt hat. Widersprüchlich kommt einem da die Neigung vor, sein Auto mit allerlei Aufklebern zu bestücken. Alle Autos in Deutschland müssen mit einer Haftpflichtversicherung versichert sein und eine KFZ-Steuer wird erhoben. Viele Millionen Deutsche sind zusätzlich Mitglied beim ADAC (Allgemeiner Deutscher Auto Club), die „Gelben Engel“ bieten viele nützliche zusätzliche Versicherungsleistungen zum kleinen Preis an.
IMPRESSUM
Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) e. V. Küppelstein 34, 42857 Remscheid, Fon 02191.79 43 90, Fax 02191.79 43 89 info@bkj.de, www.bkj.de BKJ Projektbüro Berlin – Freiwilliges Engagement Mühlendamm 3, 10178 Berlin, Fon 030.24 78 11 11, Fax 030.24 78 11 13 fsjkultur@bkj.de, www.fsjkultur.de, www.plus-punkt-kultur.de V.i.S.d.P.: Prof. Dr. Max Fuchs Redaktion: Kirsten Witt Mitarbeit: Mechthild Eickhoff, Bianca Fischer, Ute Handwerg, Rolf Witte Autor/innen dieser Ausgabe: Sophie Barahona, Dorothee Barth, Ali Dogan, Anna Dintsioudi, Judith Dubiski, Mechthild Eickhoff, Edda Eska, Bianca Fischer, Max Fuchs, Ute Handwerg, Ella Huck, Heidi Keller, Astrid Messerschmidt, Lisette Reuter, Çigdem Ronaesin, Irina Schmitt, Birte Stüve, Anne Sophie Winkelmann, Kirsten Witt, Rolf Witte, Olaf Zimmermann Fotografie: Sophie Barahona, Michael Bause, BKJ, Bund der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland e.V., Jeannette Corneille, Deutsche Chorjugend, DIDF-Jugend, Maya Hässig, jfc Medienzentrum Köln, Simone Klages, Kulturwerkstatt Altenberge, Kunstschule Filderstadt, Migrantas, PA Spielkultur, photocase.de: bi.it (Titelbild), Anne Schäflein, Schlesische 27, Ali Schüler, Christoph Seelbach, Übersee-Museum Bremen Gestaltung: Maya Hässig, Jeannette Corneille, luxsiebenzwo Druck: Druckhaus Süd, Köln Bankverbindung: Sparkasse Remscheid, Konto-Nr.: 30 46, BLZ: 340 500 00 ISSN: 1866-8178 3. Jg., Heft 4-2009 Copyright 2009 für alle gestalteten Anzeigen, Beiträge und Entwürfe sowie der gesamten grafischen Gestaltung liegt bei der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) e.V. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Aufnahme in OnlineDienste und Internet, Vervielfältigung auf Datenträger wie CD-ROM etc., auch auszugsweise, nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung der Herausgeberin. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich Kürzungen eingereichter Beiträge vor. Es gelten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Gerichtsstand ist Remscheid. KULTURELLE BILDUNG erscheint zweimal jährlich und kann zu einem Preis von 4 Euro (Einzelheft), im Abonnement für 7,20 Euro (jährlich, 2 Ausgaben) über die BKJ bezogen werden. Thema der nächsten Ausgabe: Kulturelle Bildung zwischen Kunst und Pädagogik
KULTURELLE BILDUNG IM ABONNEMENT Einzelheft /// 4,00 € Privat-Abo /// 2 Hefte/Jahr, Preis: 7,20 €, inkl. Porto und Versand* Geschäfts-Abo /// 5 Hefte/Ausgabe bzw. 10 Hefte/Jahr, Preis: 36,00 €, inkl. Porto und Versand* * bei Versand ins Ausland zzgl. Versandkosten
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Bestellungen von Abos und Einzelheften: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) e. V. Küppelstein 34, 42857 Remscheid Fon 02191.794-380, Fax 02191.794-389 www.bkj.de, info@bkj.de
gefördert vom:
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Kulturelle Bildung – Schriftenreihe der BKJ Die Reihe will dazu beitragen, Theorie und Praxis Kultureller Bildung zu qualifizieren und zu professionalisieren: Handlungsfelder, Arbeitsformen, Inhalte, Didaktik und Methodik, Geschichte und aktuelle Entwicklungen. Die Reihe bietet dazu die Bearbeitung akzentuierter Themen der ästhetischen Bildung, der Kulturvermittlung, der Kinder- und Jugendkulturarbeit und der Kulturpädagogik, mit der Vielfalt ihrer Teildisziplinen.
Jens Maedler (Hrsg.) TeilHabeNichtse Chancengerechtigkeit und Kulturelle Bildung Mit ihren subjektorientierten Aktivitäten bieten die Akteure der Kulturvermittlung Kindern und Jugendlichen ein weites Feld für Persönlichkeitsentwicklung und Selbstwertstärkung. Doch mit ihren Angeboten erreichen die Pädagogen/innen in Kulturzentren und Kunstschulen, Theatern und Musikverbänden maximal noch die Mittelschicht und längst nicht alle Teile der Gesellschaft gleichermaßen. Wie die Potenziale kultureller Bildung breitenwirksamer zugänglich zu machen sind, in welcher gesellschaftlichen Verantwortung Kulturarbeit steht, ob sich strukturelle und inhaltliche Defizite aufheben lassen und wie Kulturelle Bildung Partizipation und Chancengerechtigkeit erreichbar macht, sind die zentralen Fragen, denen die Autoren/innen in ihren Beiträgen nachgehen. Jens Maedler (Hrsg.) TeilHabeNichtse Chancengerechtigkeit und Kulturelle Bildung Schriftenreihe Kulturelle Bildung der BKJ, vol. 4 Kopaed: München 2008. ISBN 978-3-86736-034-0, 14,80 Euro
Max Fuchs (Hrsg.) Kultur – Teilhabe – Bildung Reflexionen und Impulse aus 20 Jahren Max Fuchs, Professor für Kulturarbeit und langjähriger Vorsitzender der BKJ und des Deutschen Kulturrates, reflektiert in dieser Publikation Grundlagen, Arbeitsfelder und Politik Kultureller Bildung. Seine Analysen nehmen Bezug auf Wissenschaftsdiskurse in der Kunstund Bildungstheorie, der Anthropologie und Soziologie. 39 Beiträge aus 20 Jahren sind ein Angebot, über Qualität und Professionalität in der heutigen Kulturellen Bildung, über Fragen des Konzepts von Kultur, von Kunst, von Pädagogik und Bildung, von Gesellschaft und Politik, von Subjektivität und menschlicher Zukunftsgestaltung nachzudenken. Im Kern geht es um die professionelle Reflexion der Künste, ihre Wirkungsmöglichkeiten in den verschiedenen Kontexten kultureller Bildungsarbeit und um die Anforderungen an eine kulturpädagogische und kulturpolitische Fachlichkeit. Max Fuchs regt an, Theorie und Praxis Kultureller Bildung vor dem Hintergrund der realen gesellschaftlichen Entwicklungen und in der Verknüpfung von künstlerischen und gesellschaftlichen Themen weiterzuentwickeln. Geht es um „Kultur – Teilhabe – Bildung“, dann stehen Fragen der kulturellen Schulentwicklung, der Medienbildung und der interkulturellen Kulturarbeit, der Modernisierung von Orten Kultureller Bildung und der Kulturpolitik in Europa ebenso auf der Agenda wie ästhetische und ethische Fragen. Max Fuchs (Hrsg.) Kultur – Teilhabe – Bildung Reflexionen und Impulse aus 20 Jahren Schriftenreihe Kulturelle Bildung der BKJ, vol. 9 Kopaed: München 2008 ISBN 978-3-86736-039-5, 22,80 Euro