PlusPunkt KULTUR >>> Junges Engagement in der Kultur im neuen Jahrzehnt

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Junges engagement in der kultur im neuen Jahrzehnt >>> Ergebnisse und Erfahrungen aus drei Jahren PlusPunkt KULTUR

Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e.V.


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Inhalt 1. E i n leit u n g .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. He r au s fo r d e r u n g e n de s j u n g e n E n g ag e m e n t s i m n e u e n Ja h r z e h n t .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2.1 Visionen des Engagements im digitalen Zeitalter // Franz Josef Röll. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

2.2 Die ständige Herausforderung – Partizipation von Kindern und Jugendlichen in der Jugend-(kultur-)arbeit // Matthias Laurisch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.3 Eine vertrackte Beziehung: Geld, Staat und Zivilgesellschaft – Ein Interview mit Tobias Kemnitzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 3. Plu s Pu n k t KULTUR – E i n M o d e ll z u r Fö r d e r u n g d e s j u n g e n E n g ag e m e n t s i n de r Ku lt u r .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3.1 Zentrale Elemente des PlusPunkt KULTUR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

3.2 Strukturen und Motive des jungen Engagements in der Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

3.2.1 Wen hat der PlusPunkt KULTUR erreicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

3.2.2 Orte des jungen Engagements: Wo hat das Engagement beim PlusPunkt KULTUR stattgefunden? .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 3.2.3 „Ich engagiere mich, weil ...“ – Motive und Ziele des jungen Engagements in der Kultur .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 4. M ov e! Was bewegt h e u t e j u n g e Me n s c h e n? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4.1 Junges Engagement und seine Themen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

4.2 Junges Engagement und seine Merkmale .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

5. Ge t r e a dy ! J u n g e s E n g ag e m e n t i n Zei t e n de s W e b 2 .0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5.1 „Jugend für Jugend“ als wichtiges Leit- und Lernprinzip .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

5.2 Vernetzung ausdrücklich erwünscht .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

5.3 Kultur als Event – Junges Engagement sucht die Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

6. Zie l e r r ei c h t ? Wa r u m de r Plu s Pu n k t KULTUR ei n Plu s Pu n k t fü r j u n g e s E n g ag e m e n t i s t . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6.1 PlusPunkte für die Einrichtungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

6.2 PlusPunkte für die Freiwilligen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

6.3 PlusPunkte für die Gesellschaft .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

7. J u n g e s E n g ag e m e n t au f de m W eg i n ei n e n e u e De k a d e ! .. . . . . . . . . . . . . . . . . .

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7.1 Rahmenbedingungen für junges Engagement in der Kultur .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

7.2 Kulturelle Bildung und Engagement sind Zukunft .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

7.3 Fazit: Junges Engagement für eine stärkenorientierte Gesellschaft .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

Lit e r at u r . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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d e r plu s pu n k t ku lt u r (ppk )

ist ein bundesweiter Motivations- und Auszeichnungswettbewerb, der zwischen 2008 und 2011 jährlich 30 Engagement­ projekte von jungen Menschen prämiert hat. Die projektbezogene Arbeit im Rahmen des PPK eröffnet jungen Menschen einen partizipativ-kreativen Zugang zu Kunst und Kultur und unterstützt die eigenverantwortliche Umsetzung ihrer Konzepte und Ideen. Über informelle sowie non-formale Bildungsprozesse in der Projektarbeit sowie durch fachliche Qualifizierungsmöglichkeiten unterstützt der PPK junge Menschen bei der Ausbildung wichtiger Kompetenzen, wie Eigen­v erantwortlichkeit und Selbstorganisation, sowie bei der positiven Entwicklung ihrer Persönlichkeit. Die besondere Konzeption des PPK zielt darauf ab, freiwilliges kulturelles Engagement in der Biografie junger Menschen zu verankern und Einrichtungen für das junge Engagement in der Kultur zu gewinnen.


4_ einleitung

Einleitung Eine lebendige Zivilgesellschaft ist für demokratisch verfasste Staaten ein wichtiges konstitutives Element. Demokratien brauchen das Engagement und die Beteiligung ihrer Bürgerinnen und Bürger. Sie sollten daher ein Interesse daran haben, die junge Generation an demokratischen Handlungspraxen heranzuführen und das freiwillige Engagement nachhaltig zu fördern. Das Thema „Engagement“ hatte im Jahr 2010 politisch Hochkonjunktur und hat seitdem an Bedeutung gewonnen. Von Seiten der Politik wird dem Engagement ein großes Lösungspotenzial für gesellschaftliche Problemlagen zugesprochen, etwa bei der Integration oder zu Herausforderungen des demografischen Wandels. Von Seiten der Bürgerinnen und Bürger zeichnet sich wiederum ein gesteigertes Bedürfnis nach Mitbestimmung und Teilhabe ab, das sich in ihrem Engagement – wie etwa für Stuttgart 21 – widerspiegelt. Doch trotz positiver Vorzeichen erleben wir eine Kluft zwischen (politischen) Sonntagsreden und engagementpolitischem Handeln – wie der bisher unbefriedigende Weg hin zu einer „Nationalen Engagementstrate­ gie“ der Bundesregierung für die organisierte Zivilgesellschaft zum Ausdruck gebracht hat. In der Debatte um das Thema „Engagement“ werden gern die 23 Millionen freiwillig Aktiven in Deutschland sowie die hohe Motivation junger Menschen, ihre Arbeitskraft einzubringen, aufgeführt. Engagement ist jedoch kein Selbstläufer, wie die in den vergangenen Jahren sinkende Zahl an engagierten Jugendlichen zeigt.1 Am Ende zählt das tatsächliche Engagement junger Menschen und nicht deren Bereitschaft dazu. Wie wichtig es ist, junge Menschen frühzeitig für ein Engagement zu begeistern, belegen Studien wie der Freiwilligensurvey: Wer sich in jungen Jahren nicht aktiv einbringt und positive Partizipationserfahrungen sammelt, wird später kaum für ein Engagement zu begeistern sein. Dieser Fakt gewinnt an politischer Brisanz. Denn einerseits haben wir eine alternde Gesellschaft, in der die Altersgruppe junger Menschen in absoluten Zahlen und in Relation zu älteren Altersgruppen abnimmt. Andererseits begegnet uns eine zunehmende sozial-gesellschaftliche Spaltung, bei der heute schon ca. 10 bis 15 Prozent der 14- bis 29-Jährigen sozial abgehängt und für ein Engagement kaum mehr erreichbar sind. Die Aufnahme eines Engagements unter jungen Menschen wird durch Faktoren, wie die Verkürzung der Schulzeit (G8), den Bologna-Prozess und den breitflächigen Ausbau von Gesamtschulen, zusätzlich erschwert. Junge Menschen haben ein Zeitproblem und stehen unter besonderen Leistungsanforderungen. Positiv ist, dass die Bereitschaft für ein Engagement weiterhin hoch ist. Um diese Bereitschaft in ein tatsächliches Engagement zu überführen, braucht es positive Rahmenbedingungen, Flexibilität sowie Erkenntnisse und Erfahrungswerte über die Qualitäten und Voraussetzungen des jungen Engagements im neuen Jahrzehnt, die dann von entsprechenden Förderprogrammen und -maßnahmen berücksichtigt werden sollten. Erkennbar engagieren sich junge Menschen weniger aus altruistischen Motiven heraus, sondern auf Grund eigener Interessen – allerdings mit Gemeinwohlorientierung, das heißt mit dem Ziel, für die Gesellschaft etwas zu bewegen, sich für eine konkrete Problemlage oder andere Menschen einzusetzen. Und junges Engagement ist zunehmend befristet. Der Flexibilisierungsdruck der Gesellschaft schlägt auf das junge Engagement durch! „Out“ ist zunehmend das klassische Ehrenamt; „in“– oder besser „notwendig“ und „rea­ li­sierbar“ – ist das flexible, kurzfristige Engagement, beispielsweise in Projekten.

1 Vgl. Picot 2011, S. 6ff.


einleitung _5

Bundesweite Wettbewerbe zur Förderung von Engagementprojekten – wie der in Trägerschaft der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) e.V. 2008 konzipierte und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Rahmen der Initiative ZivilEngagement „MiteinanderFüreinander“ geförderte PlusPunkt KULTUR – bieten sich hierfür als geeignete Instrumentarien an. In der Förderung des freiwilligen Engagements in der Kultur sieht die BKJ e.V. einen wichtigen „PlusPunkt“. Freiwilliges Engagement in der Kultur stärkt die Zivilgesellschaft. Kinder und Jugendliche können hier frühzeitig Schlüsselkompetenzen erwerben, die für eine erfolgreiche Teilhabe und Gestaltung unserer Gesellschaft notwendig sind. Mit den Erkenntnissen aus drei Jahren PlusPunkt KULTUR möchte die BKJ ihren über 50 Bundes- und Landesverbänden der Kulturellen Bildung, aber auch allen anderen am Engagementfeld interessierten Organisationen und Einrichtungen, die Chancen und Potenziale des jungen, kulturellen Engagements vermitteln. Die hier gewonnenen Erkenntnisse sollen gewinnbringende Impulse geben, die zu einer strukturellen und fach­lichen Weiterentwicklung der Zivilgesellschaft beitragen. PlusPunkt KULTUR steht 2011 für 90 prämierte Projekte, ein lebendiges Netzwerk und hunderte engagierte Jugendliche, die das vielfältige Engagement ihrer Generation verkörpern. In den vergangenen drei Jahren hat der Wettbewerb beispielhaft sichtbar und wahrnehmbar gemacht, was junge Menschen in ­Zeiten des Web 2.0 und neuer Engagementformen motiviert und antreibt, wie sie sich organisieren und welche ­T hemen sie bewegen. Der PlusPunkt KULTUR hat Wichtiges in Sachen Nachhaltigkeit und Förderung des jungen Engagements geleistet und – impulsgebend – relevante Themen aufgedeckt und angeschoben. Er war nicht nur der Wettbewerb für das junge Engagement in der Kultur, sondern auch der Wettbewerb für den Austausch, die Vernetzung, Förderung und das Entdecken des Engagements junger, ihre Kompetenzen einbringenden Menschen an der Schnittstelle zwischen Kunst, Kultur und Beruf. PlusPunkt KULTUR hat deutlich gemacht, wie eine junge Generation kreativ-vernetzend und verantwortungsvoll denkt, handelt und dabei unsere Gesellschaft nachhaltig mitgestaltet. PlusPunkt KULTUR kann daher auch als Gradmesser für die Bedarfe und Interessen der jungen Generation begriffen werden.

M at t h i as R I E ST E R E R

Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft sowie Kulturwissenschaften (M. A.) an der Universität Leipzig und La Laguna/Spanien. Nach seiner Tätigkeit in der Friedrich-Ebert-­ Stiftung im Bereich Medienpolitik leitete er von 2008 bis 2011 bei der Bundesver­einigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) e.V. den bundesweiten Engagementwettbewerb PlusPunkt KULTUR.


6_ Herausforderungen des jungen Engagements im neuen Jahrzehnt

2. Herausforderungen des jungen Engagements im neuen JahrzehnT 2.1 Visionen des Engagements im digitalen Zeitalter PlusPunkt KULTUR fand in den vergangenen drei Jahren vor dem Hintergrund einer tief greifenden medialen Durch­ dringung unserer Lebenswelt, insbesondere durch die hochgradig interaktiven sozialen Medien wie Facebook und Co. statt. Noch etwas unscharf, aber deutlich spürbar, sind die damit einhergehenden Veränderungsprozesse – nicht zuletzt für Selbstverständnis und Ausdrucksformen des jungen Engagements. Viele Konstanten sind in Bewegung geraten. Was wir heute durch das Internet und die sozialen Medien erleben, ist daher kein vorübergehender Wetter­ wechsel, sondern ein Klimawandel – aber eben auch keine Revolution. Die Jugendkultur hat sich verändert. Franz Josef Röll umreißt die Basis der Veränderung und weist auf die Herausforderungen und Veränderungen hin, mit denen sich die Anbieter von Engagement auseinander setzen und diese in neue Formate, Programme und Konzepte einflie­ ßen lassen sollten. In der öffentlichen Diskussion herrscht die Meinung, dass die heutige Generation von Jugendlichen im Vergleich zu früheren Kohorten ein geringeres soziales, politisches und gemeinschaftsbezogenes Engagement zeigt. ­Vermutet wird, dass die digitale Alltagskultur von Jugendlichen gesell­s chaftliches Engagement nicht begünstigt. Im Folgenden möchte ich die früheren Bedürfnisse von Jugendlichen skizzieren, um diese mit einer aktuellen Untersuchung zu vergleichen. Eine anschließende Darstellung des Wertewandels macht zudem deutlich, wie die gesellschaftlichen Verhältnisse auf die Vorstellungen von Engagement einwirken. Zum Schluss möchte ich dann beispielhaft aufzeigen, welche Visionen des Engagements bei Jugendlichen aktuell zu beobachten sind. Bedürfnisse von Jugendlichen Im Jahre 1975 konzeptionierte der Politologe und Pädagoge Diethelm Damm seinen „bedürfnisorientierten Ansatz“. Bei seinen Recherchen fand er heraus, dass Jugendliche einen starken Bedarf haben, Dinge zu machen, auf die sie Lust haben; Leute zu finden, denen man vertrauen kann und mit denen ein Zusammenhalt besteht; Probleme zu bequatschen, um sich eine Meinung bilden zu können; vor allem auch Personen des anderen Geschlechts kennen zu lernen oder einfach nur abzuschalten und ausspannen zu können. In diesen subjektiven Wünschen erkannte Diethelm Damm folgende „objektive Bedürfnisse“: Wunsch nach sozialer Anerkennung, Erlebnis und Anregung, Selbstbestimmung, Sicherheit und Solidarität, Erkenntnis und Orientierung, Selbstwirksamkeit, befriedigende Partnerbeziehungen und Sexualität, Erholung und Entspannung sowie motorisches Erleben. Im Jahr 2007 veröffentlichten Microsoft und MTV die von ihnen in Auftrag gegebene Studie mit dem Titel „Circuits of Cool“. Das Bestreben dieser Studie war, der Werbewirtschaft Informationen über Denken, Kommunikation, Handeln und Wahrnehmung von Jugendlichen zur Verfügung zu stellen,

um in der Lage zu sein, virale Marketingkonzepte zu entwickeln. Verblüffend kommt die Studie zu einem sehr ähn­ lichen Ergebnis wie seinerzeit Damm. Es haben sich nur die Methoden geändert, um diese Bedürfnisse zu befriedigen. Vor allem die Kommunikationskultur hat sich maßgeblich gewandelt. Die Studie „Circuits of Cool“ hebt folgende Bedürfnisse hervor: Erlebnisorientierung Heute steht Erlebnisorientierung mit dem Erkunden des Internets in Verbindung, ständige Erreichbarkeit, Kommunikation per Handy, Nutzen des Instant Messanger (IM). Wunsch nach Zugehörigkeit Heute haben Communities und IM eine zentrale Bedeutung. Es besteht das Bedürfnis, virtuell nie von den Freunden ­getrennt zu sein. Entwickeln einer eigenen Identität Heute wird Identität vor allem auch durch Selbstnarration bewirkt, dabei unterstützen Communities das Ausprobieren von Online-Rollen, Sozialen Netzwerken / Social Networking Services (SNS), Blogs und nutzergeneriertern Inhalten/User Generated Content (USG). Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit Heute geht es um „elternfreie Zonen“ im Internet. Suche nach Orientierung und Sicherheit Heute bieten dies das Internet, Foren, SNS, Handys. Umgang mit Sexualität Heute wird per IM geflirtet, Aufklärung gibt es im Internet. Streben nach Status Heute geschieht dies durch die Kontakte (Freunde) im Netz und/oder dadurch, coolen Content weiterzugeben.


Herausforderungen des jungen Engagements im neuen Jahrzehnt _7

Wertewandel Die Motive, sich zu engagieren, stehen im engen Kontext zu dem jeweiligen Wertesystem einer Gesellschaft. Im historischen Rückblick wird sehr deutlich erkennbar, dass es in den letzten 60 Jahren zu einem beachtlichen Wertewandel kam. In den 1950er Jahren stand Engagement in Verbindung mit traditionellen Werten. Man war einer Organisation (poli­ tisch, sozial, jugendkulturell) meist in linearer Folge von familiären Vorgaben verbunden. Soziales Engagement wurde aus Pflichtgefühl heraus aufgenommen. Aufbauen und Erhalten waren zentrale Anliegen dieser Generation. Man lebte, um zu arbeiten, war leistungswillig und richtete sich an Pflicht und Ordnung aus. In den 1960er Jahren tauchten in Folge des „Wirtschaftswunders“ materielle Werte auf. Prosperität und materieller Wohlstand wurden angestrebt. Bewahren und Haben prägten das Wertebild einer Generation im Schatten exzessiven Wirtschaftswachstums. Beim Engagement konkurrierten die traditionellen Werte mit den angestrebten materiellen Werten. Die Widersprüchlichkeit dieser Zeit kulminierte in der Studentenbewegung (1968). Diese Generation favori­ sierte politische und soziale Anliegen als Maßgabe ihrer Wertekultur und ihres Engagements. Proteste und Aktionen in der Öffentlichkeit waren gegen autoritäre Strukturen, Impe­r ialismus und Kapitalismus (Entfremdung) gerichtet. In den 1970er Jahren war dieser Impuls noch deutlich zu spüren. Gesucht wurden Alternativen zum genormten Leben, postmaterielle Motive rückten in den Vordergrund. „Sein“ wurde zur Metapher der Sinnfindung. Unabhängigkeit, alternative Lebensformen und Selbstverwirklichung

wurden gesucht. Konsumkritik prägte die innere Einstellung und engagiert wurde sich in unterschiedlichen sozialen Bewegungen, wie z. B. Friedens-, Ökologie- und der Frauenbewegung. Die 1980er Jahre sind geprägt vom Übergang von postmateriellen zu postmodernen Idealen. Die Akzeptanz von Leistungsimperativen (schneller, höher, weiter) konfli­gierte mit dem Bedürfnis nach Ich-Bezogenheit, Hedonismus, Spaß und Vergnügen. Wegen der Orientierung am ­„Genießen“ wollen, wurde dieser Generation gern unterstellt, dass sie oberflächlich agiere. Engagement stand nunmehr nicht mehr vordergründig mit politischen und sozialen Motiven in Zusammenhang. Diese Entwicklung kulminierte dann in den 1990er Jahren. Sein und Haben ergänzten das Bedürfnis nach Genießen. Beziehungen und Kommunikation waren wichtige Eckpunkte für die Orientierung, die im engen Kontext zu dem Bedürfnis nach Authentizität standen. Aber auch die Werte Prosperität und Leistung fanden Anerkennung. Der schon in den Jahren zuvor zu beobachtende Trend zum Individualismus setzte sich fort. Realismus und Beweglichkeit verwiesen auf die Notwendigkeit, mit sich veränderten gesellschaftlichen Lebenssituationen zurechtzukommen. In den ersten zehn Jahren des neuen Jahrhunderts lassen sich wiederum neue Werte konstatieren. Die Generation dieser Dekade beobachtet aufmerksam die soziale Umwelt, um mögliche Chancen aufzugreifen und Risiken zu vermindern. Wie die „Shell Jugendstudie“ von 2003 eruierte, sind drei Viertel der Jugendlichen in ihrem Umfeld sozial und gesellschaftlich aktiv, 35 Prozent regelmäßig, 41 Prozent gelegentlich, 24 Prozent tun nichts für ihre soziale Umgebung.


8_ Herausforderungen des jungen Engagements im neuen Jahrzehnt

Bei ihrem Engagement wird das Internet vielfältig genutzt. Ihr Ziel ist eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung, wobei persönliche und jugendbezogene Interessen im Vordergrund stehen. Der persönliche Nutzen und die eigenen Chancen werden mitbedacht, sie orientieren sich an konkreten praktischen Fragestellungen. Vereine, Gruppen und Familie spielen weiterhin eine ­Rolle, dagegen haben Bürgerinitiativen, Hilfsorganisationen (z. B. Greenpeace), Parteien und Gewerkschaften im Vergleich weniger Zuspruch. Weibliche Jugendliche sind ­stärker im ökologischen und sozialen Bereich aktiv; männliche Jugend­liche sind eher an einem besseren Zusammenleben im nahen Umfeld interessiert. Vier unterschiedliche Persönlichkeiten lassen sich differenzieren: 1. 2. 3. 4.

selbstbewusste Macher/-innen (Einfluss, gesellschaftliches Vorankommen), pragmatische Idealisten/-innen (Orientierung an den ideellen Aspekten des Lebens), zögerliche Unauffällige (Skepsis gegenüber der eigenen Zukunft), robuste Materialisten/-innen (bewusste Übertretung gesellschaftlicher Regeln).

Jugendliche dieser Dekade gehen davon aus, dass Erwach­ sene ihre Probleme nicht wirklich verstehen. Zugleich herrscht bei ihnen ein Gefühl der Vernachlässigung vor. Die Grammatik ihrer Lebensökonomie ist an konkreten Fragen und Problemen ausgerichtet. Ihre Einstellung ist pragmatisch, tolerant und frei von Ideologie. Genuss und Kreativität sind hoch geschätzt. Politiker/-innen und Parteien werden kein Vertrauen entgegengebracht und/oder keine Kompetenzen zugeschrieben. Auch die Glaubwürdigkeit von Regierung, Kirchen und Gewerkschaften wird nur mäßig eingeschätzt. Nur parteiunabhängige staatliche Organisa­tionen wie Justiz, Polizei, aber auch Menschenrechtsorganisationen und Umweltschutzgruppen werden als besonders vertrauenswürdig angesehen. In ihrer Freizeit interessieren sie sich für Rituale, „Inszenierungen“ ihres Lebens, soziale Events und „Erlebnis-Kicks“. Sie orientieren sich an der Konsumkultur und nutzen die neuen Kommunikationsmedien. Engagement im Web 2.0 Die aktuelle Generation ist vom Web 2.0 geprägt. Die Matrix hier lautet: gemeinsame Intention, Personenorientierung, Freiwilligkeit der Teilnahme, eine auf dem Tauschprinzip beruhende Beziehung und ein personenbezogenes Beziehungsgeflecht, von einem gemeinsamen Basisinteresse geprägt, das bei aktuellen Anlässen aktiviert wird. Beteiligung und Engagement sind somit Grundprinzipien der Kommunikationskultur im Web 2.0.


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Soziale Netzwerke, wie „SchülerVZ“, „Wer-kennt-wen“ und neuerdings „Facebook“ sind virtuelle Orte, die für Jugendliche ­eine hohe Bedeutung haben. Sie sind Teil ihrer Alltagskultur. Nach dem Motto „Broadcast yourself“ erzeugen die User/­­­-innen in diesen Netzwerken Inhalte und tauschen sie untereinander aus. Ganz wesentlich wird hier mit Hilfe der ­digitalen Medien Beziehungsarbeit geleistet. Im Web 2.0 gibt es keine Gatekeeper im Sinne der klassischen Medien mehr. Jeder kann sich beteiligen. Von Jugendlichen gedrehte Filme, die früher nur im Freundeskreis oder im Jugendzentrum gezeigt werden konnten, finden jetzt ein breites Publikum. Beispielhaft sei hier auf die Produktion „Handys gegen Rassismus“ des Medienzentrums Gallus in Frankfurt verwiesen (www.handys-gegen-rassismus.de). Jede/-r kann die ins Netz gestellten Daten kommentieren, womit eine dialogische Kommunikationskultur gefördert wird. Allerdings gibt es eine Unzahl von Filmen im Netz. Wer wahrgenommen werden will, braucht wiederum die Kompetenz, sein Anliegen so darzustellen, dass es auch Interesse auslöst. „Open Source“ nennt man eine Anwendung, bei der der Quelltext einer Software (z. B. das Betriebssystem Linux) und/ oder Inhalte von allen Interessierten verändert werden können (z. B. „Wikipedia“). Die Nutzer/-innen (ProdUser/-innen) werden zu Co-Entwicklern/-innen der Plattformen und partizipieren an der Umgebung. Open-Source-Anwendungen

und -Produkte zeichnen sich durch Unfertigkeit bzw. Vorläufigkeit aus (Beta-Versionen). Die Formung und Entwicklung geschieht durch eine wachsende Community. So entstehen in den Wikis „lebende“ oder „lernende Texte“, da sie jeweils nur den gegenwärtigen Stand eines Bearbeitungsprozesses abbilden. Beispielhaft für politische Beteiligungsformen möchte ich einige Aktivitäten im Internet erwähnen, die diesem Selbstverständnis verbunden sind. Weblogs sind vor allem virtuelle Tagebücher. Ein Trendsetter ist Jörg Kantel mit seinem Weblog „Schockwellenreiter“ (www.schockwellenreiter.de). Mitte April 2011 fand in Berlin die „re-publica“ statt, eine Konferenz über Blogs, soziale Medien und die digitale Gesellschaft (http://re-publica.de/11). Diskutiert wurde nicht nur, wie unsere Gesellschaft sich durch die digitalen Medien verändert, sondern vor allem, welche Beteiligungsmöglichkeiten sich für eine egalitäre Gesellschaft mit Hilfe von Web 2.0 ergeben. Die gleiche Intention liegt dem Konzept der Webseite „Digitale Demokratie“ zu Grunde (www.digitalegesellschaft.de). Auch hier geht es um mehr Transparenz und höhere Beteiligung. Die Stichworte „eGovernment“ und „ePartizipation“ verweisen auf Konzepte bei formellen Beteiligungsverfahren und/oder Planungsvorhaben die Bürger/-innen zu befragen. So eröffnet die Stadt Hannover ihren Bürgern-/innen ein Mitspracherecht bei Bauvorhaben. Welche vielfältigen Möglichkeiten an Beteiligung sich durch die digitalen Medien eröffnen, wird von der Initiative „Direkte Demokratie“ im Netz diskutiert (http://direkte-demokratie.de/tabelle/ foren.htm#Diskussion). Auch in der Kinder- und Jugendarbeit können durch die digitalen Medien erweiterte Beteiligungsformen erprobt und umgesetzt werden. Mit Hilfe der Plattform „mixxt“ lassen sich eigene Communities erstellen. Wikis, Weblogs und ­Foren können genutzt werden, um sich mit unterschied­ lichen Themen auseinander zu setzen, sich zu informieren oder in Kontakt zu bleiben. Jugendgruppen, Vereine oder I­ nitiativen werden Teil der Jugendserver-Community (z. B. in Niedersachsen: www.jugendserver-niedersachsen.de) und nutzen die Plattform gemeinsam mit anderen Mitgliedern. Auch in der Pädagogik und bei Tagungen lassen sich neue Beteiligungsformen beobachten. Beispielhaft sei hier auf die „Barcamps“ verwiesen, die auf dem Konzept von „Educamps“ basieren. Educamps sind offene Tagungen, deren Ablauf und Inhalte von den Teilnehmern/-innen im Tagungsverlauf selbst entwickelt werden. Erkennbar wird ein neues Verständnis politischen und gesellschaftlichen Handelns. Es geht nicht mehr um eine Auseinandersetzung mit kognitiven Zielen, wie auch das mangelnde Interesse von Jugendlichen belegt, sich für traditionelle politische Entscheidungsprozesse zu enga-


10_ Herausforderungen des jungen Engagements im neuen Jahrzehnt

gieren. Aktionsbezug (Erlebnis-/Handlungsorientierung), Wahrnehmungsdimension (bei dem der Körper und die Sinne beteiligt sind) und Virtualität (Communities, Weblogs, Mobiltelefon, E-Mail-Kettenbriefe) sind die Parameter, die bei der Web-2.0-Generation positiv besetzt sind. Will man als Institution die Web-2.0-Generation erreichen, muss man Angebote für die Identitätsentwicklung und zur Orientierung sowie Status-Demonstration machen und Angebote, die eine Zugehörigkeit begünstigen, stärken. Ebenso wichtig ist es, ihnen Möglichkeit zum Mitmachen anzubieten und damit die Erfahrung der Selbstwirksamkeit. Diese Grundbedürfnisse sind kompatibel mit den objektiven Bedürfnissen, die Damm in den 1970er Jahren herausgefunden hat. Es gibt jedoch nicht nur eine Kontinuität der Bedürfnisse, es gibt auch eine Kontinuität der Bedarfe an Beteiligung. Allerdings haben sich die Formen der Partizipation geändert. Beteiligungsbedarfe sind heute stark verknüpft mit subjektiv nachvollziehbaren Problemsitua­ tionen. Schwache Beziehungen (Freunde in den sozialen Netzwerken) sind Taktgeber für Themen, Interessensgebiete und auch Beteiligungsformen. Unumgänglich ist es daher für Institutionen, sich in die Netze als Lernende zu begeben, um direkt oder indirekt bei dem virtuellen Diskurs, der zugleich das Alltagsleben der Jugendlichen bestimmt, beteiligt zu sein. Die Voraussetzung, Jugendliche zu Enga-

gement zu motivieren wäre somit, sich selbst in ihre digitale Lebenswelt zu begeben. Nicht vernachlässigt werden darf, dass Engagement im digitalen Zeitalter eher aktionsbezogen, mit einem Inhalt, einer Idee oder einem Ziel verknüpft ist, weniger mit einem Selbstverständnis, das sich über eine Mitgliedschaft in einer Institution verkörpert. Engagement in der digitalen Gesellschaft ist vorhanden, aber es ist eine fluide Angelegenheit. Eine strategisch geschickte Antwort von Institutionen auf diese Situation wäre es, sich weit mehr als bisher zu vernetzen und in unterschiedlichen Koalitionen Anstöße zu geben und Erfahrungsräume für Beteiligungsformen zu öffnen.

Fr a nz J o s e f R ö ll

Studium der Soziologe und außer­s chu­ li­s chen Pädagogik und Erwach­s e­nen­ bildung an der ­G oethe-Universität in Frankfurt a. M. Mehrjährige Tätig­k eit bei einem Jugendverband und beim Institut für ­Medienpädagogik und Kommunikation in ­Frankfurt a. M. Seit 1999 Professur an der ­Hochschule Darmstadt, Fachbereich Gesellschafts­wissen­s chaften und soziale Arbeit, Schwerpunkt: Neue Medien und Medienpädagogik. Kontakt: www.franz-josef-roell.de


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2.2 Die ständige Herausforderung – Partizipation von Kindern und Jugendlichen in der Jugend-(kultur-)arbeit Beteiligung und Partizipation sind zentral für die Motivation junger Menschen für ihr Engagement, für nachhaltige Selbst­ wirksamkeitserfahrungen und für eine Begegnung auf Augenhöhe zwischen Engagierten und Institutionen, zwischen Alt und Jung – so die empirische Forschung. Gerade hier ist die organisierte Zivilgesellschaft gefordert, ihr partizipa­ tives Selbstverständnis immer wieder zu prüfen und weiterzuentwickeln. Das interaktive Netz kann dabei ein geeignetes ­Instrument für schlagkräftige Formen der Partizipation und Mobilisierung sein. Matthias Laurisch beschreibt in seinem Beitrag die Notwendigkeit und die Möglichkeiten der Partizipation in traditionellen Engagementstrukturen. Partizipation von jungen Menschen bewegt als zentrales Thema in der Kinder- und Jugendarbeit sowohl die Verantwortlichen als auch Kinder und Jugendliche selbst. Sie gehört zu den Grundprinzipien in der Jugendarbeit. Doch Partizipation von Kindern und Jugendlichen ist nicht selbstverständlich. Und während bereits ganz neue Facetten entstehen (Stichwort „Partizipation“), müssen partizipative Strukturen auf zahlreichen Ebenen weiterhin erst durchgesetzt und dann auch gelebt werden. So bleibt die Beteiligung junger Menschen eine ständige Herausforderung für alle Mitwirkenden. Partizipation von Kindern und Jugendlichen, das meint f­ reien Raum für Erfahrungen von Selbstwirksamkeit, Mitsprache, Gestaltung und Umsetzung eigener Ideen, Aushandlungsprozessen auf Augenhöhe und eine gleichberechtigte Beteiligung an gesellschaftlichen Vorgängen. Junge Menschen erleben in der Gesellschaft ganz unterschied­ liche Reichweiten von Beteiligung. Während sich partizipative Elemente in Schule und Politik nur sehr langsam und nur bis zu einem bestimmten Grad durchsetzen lassen, bietet das Internet mit den Prinzipien des Web 2.0 umfangreiche Möglichkeiten zur Beteiligung. Originäre Orte für Mitbestimmung sind die Einrichtungen der Jugend-(kultur-)arbeit. Kindern und Jugendlichen über ihr Hobby und das dort eingebrachte Engagement freie Räume der Mitbestimmung zu ermöglichen, sollte für alle Verantwortlichen ein Wert an sich sein. Schließlich bringt ­J ugendbeteiligung viele positive Effekte für junge Menschen und Einrichtungen hervor. Junge Menschen erfahren bei der aktiven Mitbestimmung und Mitgestaltung Handlungsspielräume, die ihnen bei der Persönlichkeitsbildung helfen. Sie erleben sozialen Zusammenhalt, persönliche Nähe im Team und formen durch gemeinsame Erfolgserlebnisse das eigene Ich. Das Erleben von Selbstwirksamkeit macht das Ehrenamt interessanter. Das Erfahren von Gestaltungsspielräumen steigert die Attraktivität der eigenen Unternehmung. So helfen partizipative Strukturen u. a. beim Aufbau von Netzwerken und können für die eigene (auch Erwerbs-)Biografie sehr nützlich sein.

Gerade auch das Erleben von Handlungsspielräumen im Web 2.0 und die daraus erwachsenen Kompetenzen und Wünsche, verstärken das Anliegen von Kindern und Jugendlichen nach Beteiligung im „analogen Leben“ und erhöhen ­damit die Anforderungen an Einrichtungen sowie ihre Fachkräfte und Projekte. Junge Menschen nutzen die neuen Freiräume und Kompetenzen. Sie bringen sich ein, auch wenn dies für Erwachsene unbequem erscheint (Stichwort „Stuttgart 21“). Die Demokratie gewinnt dadurch, auch wenn sich die Anforderungen für alle Seiten erhöhen. Für die Einrichtungen bedeutet dies in erster Linie, Einblick in die veränderten Bedarfe und Lebenssituationen von jungen Menschen zu bekommen. Einrichtungen müssen sich zukünftig noch stärker mit den Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen auseinander setzen. Sie müssen direkte Kommunikation und Aushandlungsprozesse auf Augen­höhe leben. Dazu bedarf es veränderter Konzepte und Instrumente. Denn Einrichtungen gewinnen durch Partizipation junger Menschen. Diese unterstützen laufende Prozesse mit dem eigenen Ehrenamt, bringen neue Ideen und neue Zielgruppen in die Einrichtungen, helfen bei der Erschließung neuer Themengebiete, zu denen Erwachsene unter Umständen bislang nur wenig oder keinen Zugang haben (z. B. Web 2.0). So entsteht lebenslanges Lernen auf allen Seiten und ein neues gesellschaftliches Miteinander. Jugendbeteiligung als Win-Win-Situation? Definitiv! Nur muss dies gerade von Seiten der Erwachsenen erkannt, ­gewollt und ausgehalten werden. Die Verantwortlichen in den Einrichtungen stehen zukünftig vor der Herausforderung, eher Ermöglicher als Gestalter zu sein. Das heißt, weg von einem „hier geht’s lang“ zu einem „dort ist der Freiraum, in dem ich dich begleite“. Um junge Menschen aktiv zu beteiligen und sie auf Augen­ höhe einzubinden, bedarf es einiger grundlegender Sichtweisen bei den Erwachsenen. Aktiv Freiräume zu ermöglichen, bedeutet in erster Linie die Abgabe von Macht. Erwachsene meinen in der Regel zu wissen, wie Dinge am besten laufen und begründen dies durch verschiedenste Argumente (Erfahrung, Ämter, Netzwerke etc.). Darauf auf-


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bauend halten sie die Fäden in der Hand. Junge Menschen dürfen zwar mitmachen, aber nicht (oder nur in geringem Umfang) mitentscheiden. Oftmals enden solche Versuche in einer „Partizipation light“, bei der gerade so viel Macht abgegeben wird, dass junge Menschen „an Bord“ bleiben und ihre Ehrenamtlichkeit zur Verfügung stellen. Beteiligung auf Augenhöhe meint mehr: Es bedarf gemein­ samer Informationen. Prozesse, Themenfelder und Rege­ lungen müssen für Jugendliche wie für Erwachsene transparent gestaltet werden, denn nur wer im Thema ist, kann mitreden. Informationsgewinnung soll gemeinsam erfolgen, ohne den anderen (vermeintlich schwächeren) ­P artner übervorteilen zu wollen. Eine einheitliche Informationsgrundlage macht die nachfolgenden Schritte leichter. Die Diskussion auf Augenhöhe ist der zweite Schritt. Ergebnisoffene und auf Gegenseitigkeit orientierte Analysen und Bewertungen bereiten gemeinsame Entscheidungen vor. Erwachsene haben hier oftmals Angst vor dem vermeintlichen Übermut von Jugendlichen oder deren Unzugänglichkeit für ihre rationalen Argumente (z. B. Förderricht­ linien, satzungsgemäße Abläufe etc.). Es wird aber schnell deutlich, dass diese Ängste meist unbegründet sind und Jugendliche rationale Argumente durchaus akzeptieren. Gleichzeitig entlarven diese sehr schnell vorgeschobene Argumente („Das hat so noch nie funktioniert!“) oder das Festhalten an einer Machtposition („Das haben wir doch schon immer so gemacht!“). Entscheidungen auf Augen­ höhe werden gemeinsam gefällt und getragen. Dabei bedarf es fortlaufender Aushandlungsprozesse, die nach oben ­genannten Prinzipien zu führen sind.

Um diesen partizipativen Prozess nachhaltig zu gestalten und alle Seiten in ihrer täglichen (meist ehrenamtlichen) Arbeit nicht zu überfordern, bedarf es der Schaffung entsprechender Strukturen. Die gleichberechtigte Einbindung von jungen Menschen kann über die verschiedensten Wege geschehen. In Musikvereinen kennen wir das selbst organisierte Jugendorchester, in anderen Bereichen Jugendvorstände, Jugendvertreter/-innen im Vereinsvorstand, Jugendprojektteams u. ä. Partizipation soll in Einrichtungen sowohl in laufenden Prozessen als auch in neuen (Jugend-)Projekten geschehen. Laufende Prozesse für junge Menschen zu öffnen, heißt zuzulassen, dass neue Ideen einfließen, dass Kritik an der bisherigen Arbeit Gehör findet und dass gegangene Wege unter Umständen verlassen werden könnten. Dies gilt es, für die Einrichtungen, zum gegenseitigen Vorteil auszuhalten. Jugendliche können sich mit eigenen, für die Einrichtung vielleicht ganz neuen, Kompetenzen einbringen oder bestehende Strukturen mit ihrem Know-how unterstützen. Für junge Menschen sind aber vor allem neue, eigene Projekte spannend. Hier kann Kreativität und Engagement aus­gelebt werden, Einrichtungen bekommen neue Facetten der eigenen Arbeit aufgezeigt. Neue Projekte von Jugendlichen sind in Einrichtungen oftmals leichter möglich als ohne ­A nbindung an diese. Eine Räumlichkeit, der Erfahrungsschatz der Erwachsenen als Unterstützung, Ressourcen der Einrichtung als Arbeitsgrundlage und der doppelte ­Boden einer soliden (meist Vereins-)Arbeit bereiten zusammen mit einem partizipativen Klima den Boden für erfolg­ reiche Jugendprojekte.


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Projekte junger Menschen in der eigenen Einrichtung zu unterstützen, muss auf verschiedenen Ebenen erfolgen. Zum einen braucht es neben der guten Idee Know-how in Sachen Projektmanagement, das junge Menschen oft noch nicht haben (können). Hier gilt es, zu unterstützen oder Bildungsangebote zu schaffen. Zudem bedarf es finanzieller Grundlagen, über die Kinder und Jugendliche selten verfügen. Der Vereinsstatus der Einrichtung öffnet Wege zu Fördergeldern, die jungen Menschen sonst verwehrt blieben. Zudem gilt es, den Projekten mit Rat und Tat zur Seite zu stehen – beratend, nicht belehrend.

dafür stark machen müssen, dass Förderrichtlinien dehnbar sind und Regelungen im öffentlichen Raum sich an der Realität der Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen orientieren. Gemeinsam aber auch, weil Politik und Verwaltung einen moralischen Spielraum brauchen, um Jugendprojekte zu unterstützen. Ein Festhalten an starren Vorgaben, gerade im Bereich der Förderung, und realitätsferne Kriterien und Fördergrundlagen schaden Jugendprojekten mehr als sie ihnen nützen. Meist lassen sie nur Experten/­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­. -innen (vorwiegend Erwachsene) partizipieren. Einrichtungen ­haben hier eine Verantwortung nach außen.

Das Projektziel und die Definition von Erfolg werden oft sehr unterschiedlich beurteilt. Jugendliche sollen ihren ­eigenen Weg finden können, auch ein Scheitern muss möglich sein. Allerdings heißt dies nicht, junge Menschen sehenden A­ uges ins offene Messer laufen zu lassen. Hilfestellungen und Anregungen werden in einem offenen Klima aufgenommen. So fühlen sich junge Menschen nicht gemaßregelt und Erwachsene nicht ausgenutzt. Wege junger Menschen sind vielfach unkonventionell und vorhandene Abläufe und Festlegungen werden in Frage gestellt. Dies kann innerhalb der Einrichtung, wenn praxisnah aufbereitet und gut durchdacht, neue, zukunftsfähige Prozesse in Gang setzen.

Partizipation von Kindern und Jugendlichen ist und bleibt eine ständige Herausforderung. Gerade in Einrichtungen der Jugend-(kultur-)arbeit gibt es große Potenziale, aber auch entsprechende Bedarfe. Es zeigen sich immense Chancen und fortwährende Aufgaben zugleich. Ganz nach dem Motto: „alltägliche Arbeit ja, Selbstläufer nein“.

Nach außen aber schafft dies oft Schwierigkeiten bei der Beantragung und Abrechnung von Fördermitteln, bei Regelungen im öffentlichen Raum oder bei Diskussionsprozessen mit Politik und Verwaltung. Hier braucht es ein gemein­ sames Auftreten und ein abgestimmtes, an den Interessen von jungen Menschen orientiertes Handeln. Gemeinsam, weil sich Einrichtungen mit ihren Kindern und Jugendlichen

M at t h i as L au r i s c h

Studium der Soziologie an der Freien Universität Berlin. Als Jugendbildungsreferent bei der Deutschen Bläser­ jugend (DBJ) in Berlin ­organisiert er ­Bildungsveranstaltungen sowie das DBJ-Jugendcamp. ­Derzeitig be­ schäftigt er sich mit den Zukunfts­auf­-. ­g aben für Musikvereine (Demogra­ fischer Wandel, Web 2.0, Projektmanagement im Musik­verein). Kontakt: www.deutsche-blaeserjugend.de


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2.3 Eine vertrackte Beziehung : Geld, Sta at und Zivilgesellschaft

Ein Interv iew mit Tobias Kemnit zer

Der Zeitraum 2008 bis 2011 war auch geprägt von der Finanz- und Wirtschaftskrise, deren Folgen für die kommunalen Haushalte und hier für die Engagement- und Kulturförderung fatal waren. Zugleich hoben die starken Entwicklungs­ prozesse im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und der Koalitionsvertrag die Förderung Kultureller Bildung und des freiwilligen Engagements explizit hervor. Im Interview mit Tobias Kemnitzer von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen (bagfa) sprechen wir über Entwicklungen und Folgen der aktuellen Situation mit Blick auf die kommenden Jahre. Nach der bisherigen Banken- und Finanzkrise, jetzt die Verlängerung in einer Währungskrise: Mehr denn je drohen Bund, Länder und Kommunen als Förderer des Engagements wegzubrechen. Insbesondere die Kommunen. Wo sehen Sie aus finanzieller Sicht die zentralen Herausforderungen in den nächsten Jahren? Grundsätzlich positiv ist festzuhalten, dass dem Engagementbereich mittlerweile politisch eine große Bedeutung zugesprochen wird. Dass es allerdings eine Kluft zwischen Reden und Handeln gibt, ist unwidersprochen.

Vor Ort sind die Menschen die Expertinnen und Experten. Die Bürgerinnen und Bürger wissen, für welche Aufgaben der Staat weiterhin gebraucht wird und wo sie es durch ihr Engagement selbst organisieren können. Heute wollen Menschen gefragt werden und mitentscheiden können. Mit der Idee des Bürgerhaushaltes kann ich mich daher auch anfreunden. Auf einer solchen Grundlage würden politische Entscheidungen mehr Glaubwürdigkeit und Akzeptanz ­gewinnen. Der Satz vom „Kitt der Gesellschaft“ wäre dann kein Lippenbekenntnis mehr.

Eine Herausforderung wird daher sein, den Staat von ­seiner Verantwortung für ein gesellschaftspolitisch so wichtiges Feld zu überzeugen. Wir haben den Eindruck, dass sich der Staat zusehends aus der Finanzierung zurückzieht und gleichzeitig mehr Professionalisierung einfordert. Das ist ein Widerspruch. Der Staat muss sich ehrlich die Frage beantworten: Will ich aufgrund der gesellschaftlichen Bedeutung des Engagementbereichs, die ihm zugemessene Förderung zuteilwerden lassen? Eine weitere Herausforderung ist die uns bevorstehende Überzeugungsarbeit. Die Freiwilligenagenturen leisten als Infrastruktur eine sehr wichtige Arbeit für die Vermittlung und Vernetzung des bürgerschaftlichen Engagements vor Ort. Wir müssen den Geldgebern noch deutlicher machen, dass das Ehrenamt immer auch hauptamtliches Engagement braucht. Sehr wichtig und notwendig wäre eine klare und planbare Infrastrukturförderung.

Wenn sich die finanzielle Engagementförderung durch den Staat immer schwieriger gestaltet, wäre es nicht konsequent und logisch, sich Stiftungen und Unternehmen in ­Zukunft verstärkt zuzuwenden? Sicherlich sind Stiftungen und Unternehmen als Partner und finanzielle Förderer des Engagements wichtig. Und selbstverständlich arbeiten auch die Freiwilligenagenturen mit Unternehmen zusammen. Hier tun sich aber einige Probleme auf: Wir sind zum ­einen noch weit entfernt von jener Förderkultur und Spendenpraxis der angloamerikanischen Länder, als dass bei uns der Staat Aufgaben an private Förderer „abtreten“ kann – abgesehen davon, dass die Interessen der privaten ja nicht deckungsgleich mit denen des Staates sein müssen. Mir fallen zum anderen jeweils nur knapp zehn Stiftungen und Unternehmen ein, die in der Lage sind, in ähnlichem Umfang wie der Staat Geld für den Engagementbereich in die Hand zu nehmen. Das könnte dann zu einem Konkurrenzkampf, zu einem Kampf um Marktanteile unter den Engagementakteuren führen, wodurch wir am Ende auch noch den Konsens „Wir bauen Rahmenbedingungen der Zivil­gesellschaft auf“ zerstören könnten. Es ist doch sehr schade: Wie erleben aktuell einen g­ roßen Hype und eine Dynamik rund ums Ehrenamt. Das ­Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit, die Kanzlerin lädt ein; die Bedeutung des Ehrenamtes/Engagements wird allseits betont und dann bremst der Staat doch aus, indem er sich zurückzieht und sagt: „Schaut euch doch bei Stiftungen und Unternehmen um!“ Angesichts der gesellschaft­ lichen Herausforderungen muss es aber im Interesse des Staates sein, das Engagement in Zusammenarbeit mit der organisierten Zivilgesellschaft zu fördern.

Ist der Satz „Das Ehrenamt/Engagement ist der Kitt der ­Gesellschaft“ für Sie daher ein Lippenbekenntnis? Mit Blick auf die Förderpolitik empfinde ich diesen Satz durchaus als Lippenbekenntnis. Aktuell wird Engagement gefordert, weil man dem Ehrenamt/Engagement eine wichtige Funktion bei der Lösung gesamtgesellschaftlicher Problemlagen beimisst. Zugleich soll das „Mehr an Engagement“ weniger kosten. Mir geht es dabei nicht ausschließlich ums Geld. Denn es ist eine Form der Wertschätzung und Anerkennung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, wenn man ihnen sagt, dass ihr Engagement gewollt ist und ihnen hierfür mehr Infrastruktur an die Hand gibt und bürokratische Hürden beseitigt. Wenn der Staat hier nichts unternimmt, bleibt der Satz für mich ein Lippenbekenntnis. Auf das Engagement im Allgemeinen bezogen, halte ich eine stärkere Beteiligung der Menschen für wichtig.


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Was muss Ihrer Ansicht nach der Staat tun? Infrastrukturen sind ein zentraler Erfolgsfaktor für gelungenes Engagement. Ich bin überzeugt, dass die Zivilgesellschaft gemeinsam mit Bund, Ländern und Kommunen darüber nachdenken muss, wie eine Finanzierung aus­s ehen kann. Dabei geht es ausschließlich um eine Basisfinanzierung und nicht um eine Vollfinanzierung. Denkbar wäre die Gründung einer Bundesengagementstiftung. Auch das Vorhaben „Soziale Stadt“ hat beispielhaft gezeigt, wie eine koordinierte Infrastrukturförderung gelingt. Was wir brauchen, ist eine Strategie zur Förderung von Infrastrukturen vor Ort, aber auch von positiven Rahmenbedingungen des Engagements insgesamt. Was hindert, sind unbewegliche und ungeklärte Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Es geht also wieder einmal um mehr Geld? Das fehlt bekanntlich immer. Es geht mir nicht nur um mehr Geld, sondern darum, ­A nreize zu schaffen, sich vor Ort zu vernetzen und mit Partnern Projekte umzusetzen. Nehmen Sie das durchschnittliche Budget einer Freiwilligenagentur. Das sind ca. 10 000 Euro. Mit wenigen Mitteln wird viel erreicht. Wir sind überzeugt, dass durch eine geringe Basisfinanzierung eine unglaubliche Dynamik und Kreativität entfaltet werden kann, denn der bürokratische Aufwand für oftmals jährliche Projektförderungen ist immens. Fällt dieser weg, könnte noch viel mehr passieren, auch was alternative Finanzierungsstrategien angeht, und jeder reingesteckte Euro würde sich um ein Vielfaches auszahlen.

Als eine gute Grundlage für eine gemeinsame Strategieentwicklung bieten sich die Empfehlungen des Nationalen Forums für Engagement und Partizipation an. Seit der Verabschiedung der „Nationalen Engagementstrategie“ der Bundesregierung 2010 ist viel in Bewegung geraten. 2011 wurde die Leitung des Nationalen Engagementforums an den Deutschen Verein übertragen. Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung des Nationalen Engagementforums ein? Schade ist, dass eigentlich ein toller Ansatz doch zu einiger Frustration unter den Beteiligten geführt hat. Denn es wurden bisher Expertise und Ressourcen von Seiten der Zivilgesellschaft eingebracht, die jedoch kaum anerkannt und in das Ergebnis eingeflossen sind, insbesondere was die Infrastrukturfinanzierung angeht. Nichtsdestotrotz sehe ich die Neuauflage beim Deutschen Verein positiv. Zu Beginn sollte aber nochmals erklärt werden, warum die Ergebnisse des Nationalen Engagementforums bei der „Nationalen Engagementstrategie“ kaum berücksichtigt wurden. Darauf aufbauend könnte dann eine gemeinsame Basis beschrieben werden, aus der klar wird, worum es dem federführenden Ministerium geht, wo es die Unterstützung der organisierten Zivilgesellschaft braucht und ob es dabei tatsächlich um die Entwicklung einer gemeinsamen Strategie gehen soll oder um etwas anderes. Eine weitere wichtige Entwicklung für den Engagement­ bereich war der Aufbau des neuen Bundesfreiwilligendienstes (BFD) im Zuge der Abschaffung des Zivildienstes. Wie stehen Sie zum BFD, gerade mit Blick auf die Förderung der Zivilgesellschaft? Der Aufbau des BFD ist historisch. Und es ist erst einmal positiv zu bewerten, dass hier in kurzer Zeit eine rechtliche Möglichkeit geschaffen wurde, die Mittel aus dem Zivildienst für den Engagementbereich zu erhalten.


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Aufgrund der Schnelligkeit des Umbruchs ist aber ­sicherlich keine ausreichende Debatte darüber geführt worden, inwieweit das Format der BFD das entscheidende Fördertool der Zivilgesellschaft ist. Wir sollten in den nächsten ein, zwei Jahren erst einmal die Entwicklungen abwarten und sehen, was denn die Menschen an dem BFD und den anderen Freiwilligendiensten interessiert – und dann gemeinsam und im Dialog an Verbesserungen arbeiten. Ich glaube aber, dass der BFD ein wichtiges Tool ist – ­unter anderen. Unsere Welt ist zu bunt für ein Format. Was wir brauchen sind vielfältige Engagementformate: reglementierte, dauerhafte Formate, die stärker einen Dienstcharakter haben und mehr Verbindlichkeit ausstrahlen, aber genauso flexible, kurzfristige Engagementmöglichkeiten, wie sie beim PlusPunkt KULTUR gefördert wurden. Freiwilligendienste, wie beispielsweise das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) Kultur, bieten eine wertvolle Orientierung und Entfaltungsräume für junge Menschen an, die den Ökonomisierungsdruck auf ihrer Biografie spüren und von der Gesellschaft zu ­einem „Schneller, Weiter, Höher“ aufgefordert werden. Die flexiblen Formate entsprechen wiederum den Anforderungen einer mobilen Lebenswelt. Beide Engagementformate ­erachte ich für sehr wichtig sowie für anerkennungs- und förderwürdig.

Beim BFD erleben wir ein deutliches Interesse des ­Staates am Engagementbereich. Ist diese Entwicklung nicht eine Verschiebung: Mehr Staat und weniger Zivilgesellschaft? Und widerspricht dies nicht Ihrer Feststellung, der Staat ­zöge sich zurück? Grundsätzlich betrachte ich eine zu starke Orientierung an staatlichen Strukturen als kritisch. Da kann es dann schnell zu Top-down-Entscheidungen kommen, die erfolgreiche Projekte ohne mögliche Einflussnahme der Zivilgesellschaft beenden, wie etwa bei den Freiwilligendiensten aller Generationen. Auch unsere Erfahrungen beim Nationalen Engagementforum weisen in eine ähnliche Richtung. Beim BFD war natürlich die Einflussnahme des Staates deutlich spürbar. Wir hätten uns hier mehr Beteiligung der Zivilgesellschaft gewünscht. Man muss aber auch anerkennen, dass eine rechtliche Situation gefunden wurde, die das Geld des Zivildienstes im Engagementbereich hält. Grundsätzlich sollten aber die Entwicklungen beim BFD kritisch verfolgt werden. Was heißt das dann für die Zukunft zum Verhältnis von Staat und Zivilgesellschaft? Zwar gerät die Zivilgesellschaft aktuell förderpolitisch unter Druck. Staat und Zivilgesellschaft brauchen aber einander – das wissen beide. Der Staat ist sich aber meines Erachtens selbst nicht klar darüber, wo er kontrollieren will, kann bzw. wo er Kontrolle abgeben sollte. Er zieht sich also nicht konsequent raus, entbürokratisiert aber auch nicht wirklich und setzt auch keine Anreize, wie an der Fehlbedarfsfinan-


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zu ver­s tehen. Zudem würde ich mir auch mehr Diskurs und A­ ustausch wünschen, um Entwicklungen gemeinsam zu reflektieren und erfolgreich voranzutreiben. Die Anerkennung der im Engagement erworbenen Kompetenzen und Fähigkeiten von Seiten der Unternehmen wäre beispielsweise ­eine wichtige Entwicklung. Hierfür sind professionelle, nachvollziehbare Referenzen und Engagementzertifikate, wie etwa der Kompetenznachweis Kultur, und entsprechende Informationsvermittlung ein Muss. Wichtig ist: Alle Be­teiligten sollten Kritik und Widerspruch nicht als Ruhestörung verstehen, sondern als Anreiz, sich zu verbessern.

zierung deutlich wird. Klar ist – es braucht eine gemeinsame Strategie. Und eine sinnvolle Aufgabenteilung unter Anerkennung der jeweiligen Kompetenzen. Wo sehen Sie für den Engagementbereich grundsätzlichen Veränderungsbedarf? Wichtig ist mehr Offenheit in den Verwaltungen im Sinne von: „Wir wollen wissen, was ihr braucht. Wir könnten euch XY a­ nbieten.“ Es geht dabei um ein „Loslassen“, also eine Form der Kontrollabgabe und im Kern immer auch um ein Mehr an Partizipation. Es wäre doch sehr interessant, die Idee des Bürgerhaushalts auf den Engagementbereich zu übertragen, dass also Stiftungen etc. die Entscheidung an die engagierten Menschen und Organisationen abgeben, in welchen Bereichen Engagement gefördert werden sollte. ­Dafür braucht es Vertrauen in die Bürgerinnen und Bürger sowie ein gewisses Maß an Fehlertoleranz und das Inter­e sse, ­Gescheitertes darzustellen, um daraus lernen zu können. Wie können solche weit reichenden Veränderungen angestoßen werden? Ich bin überzeugt, dass es mehr Austausch und Verstän­ digung zwischen den Akteuren öffentliche Hand, Unternehmen und gemeinnütziger Sektor geben muss. Alle drei handeln nach eigenen Logiken und kennen die Interessen und Bedürfnissen der anderen nicht ausreichend. In Finanzierungsfragen scheinen die Beteiligten häufig nicht über dasselbe zu sprechen. Gerade in Sachen Fundraising ist es aber wichtig, die Sprache und Logik der anderen Seite

Wo sehen Sie in Zukunft die Zivilgesellschaft in der Bringschuld? Das Thema „Transparenz“ wird immer wichtiger. Jeder Geldgeber und Unterstützer möchte doch wissen, in welchem Umfang seine Gelder konkret in ein bestimmtes Projekt oder in die Verwaltung fließen. Hier sollte sich die organisierte Zivilgesellschaft mehr bewegen. Zur Transparenz gehört auch Qualitätssicherung und -entwicklung. Dazu haben wir ein eigenes Qualitätsmanagementsystem für Freiwilligenagenturen entwickelt. Am wichtigsten finde ich es, für unseren Bereich besser zu werben. Der PlusPunkt KULTUR hat es vorgemacht. Wir müssen damit werben, was das Engagement den Menschen bringt und ihnen die Möglichkeit zur Partizipation geben. Zu sagen: „Toll, dass ihr euch engagiert“ reicht nicht aus. Wir haben klarzustellen, wofür Bürgergesellschaft und ihre Institutionen stehen und herauszustreichen, warum Engagement hierfür wichtig ist und dass es kein Automatismus ist. Herr Kemnitzer, haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch! Das Interview führte Matthias Riesterer, Projektleiter des Wettbewerbs PlusPunkt KULTUR.

To bi as Ke m n it z e r

Studium der Geschichts- und Politikwissenschaften an den Universitäten Leipzig und Bologna, seit 2009 Geschäftsführer bei der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen (bagfa) – dem Zusammenschluss der kommunalen und regionalen Freiwilligenagenturen – mit dem Schwerpunkt Vernetzung und Corporate V­o lunteering. Zuvor arbeitete er als Referent für Demografische Entwicklung bei der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen und war Geschäftsführer bei der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen (SRzG). Kontakt: www.bagfa.de


1 8 _ P l u s P u n k t K ULTUR – E i n M o d e l l z u r F ö r d e r u n g d e s j u n g e n E n g a g e m e n t s i n d e r K u l t u r

3. PlusPunkt KULTUR – Ein Modell zur Förderung des jungen Engagements in der Kultur 3.1 Zentrale Elemente des PlusPunkt KULTUR Was? Die Ziele des PlusPunkt KULTUR Junge Menschen frühzeitig zum Engagement zu motivieren, ist eine dringliche und wichtige Aufgabe. Und viele ­junge Menschen sind bereit, sich zu engagieren. Damit aus der Bereitschaft zum Engagement auch ein tatsächliches wird, sind positive Rahmenbedingungen notwendig. Genau hier hat der PlusPunkt KULTUR mit seinen Zielen angesetzt. Diese lassen sich verschiedenen Ebenen zuordnen: 1. Auf einer allgemeinen Ebene ging es um die Anerkennung und nachhaltige Förderung des jungen, freiwilligen Engagements in der Kultur. Das junge Engagement sollte in unserer Gesellschaft kommunikativ wie ganz real sichtbar gemacht und darüber in seinem Wert anerkannt und als attraktive Teilhabemöglichkeit gefördert werden. 2. Auf der individuellen Ebene hat der PlusPunkt KULTUR junge Freiwillige fachlich und persönlich gefördert und bei ihrem Engagement sowie ihrer Lebensplanung unter­s tützt. 3. Auf institutioneller Ebene sollten mit dem Wettbewerb auch die Einrichtungen der Kulturellen Bildung und der Jugend-, Bildungs- sowie Kulturarbeit für die ­Potenziale des freiwilligen Engagements in der Kultur sensibilisiert und für eine eigene Aktivität gewonnen werden. PlusPunkt ­K ULTUR sollte für Einrichtungen ein Impulsgeber sein, der Einrichtungen für zeitgemäße Themen, Programme und mehr Partizipation gewinnt und eine organisatorische Flexibilisierung im Sinne einer Freiwilligenorientierung fördert. Klar ist: Das junge Engagement braucht die Unterstützung von vor Ort ansässigen Einrichtungen. 4. Mit Blick auf förder- und verbandspolitische Prozesse stand beim PlusPunkt KULTUR die Identifikation sowie Verbreitung und Kommunikation positiver Rahmen- und Motivationsbedingungen für das junge, kulturelle Engagement im Fokus.

Wie? Der Weg ist das Ziel! Um diesen Zielen gerecht zu werden und um das freiwillige kulturelle Engagement in der Biografie junger Menschen nachhaltiger zu verankern, hat die BKJ beim PlusPunkt KULTUR ein besonderes Wettbewerbskonzept umgesetzt. Angeleitet von einer Kultur der Anerkennung und Förderung, zeichnete sich der Wettbewerb durch ein Bündel von Maßnahmen aus. Hierzu zählen: 1) Ein Preisgeld in Höhe von 1000 Euro als Anerkennung und finanzielle Unterstützung für förderwürdige und selbstverantwortlich umgesetzte Projekte bzw. Projektideen junger Menschen, die sich mit einem von fünf gesellschaftspolitisch wichtigen Themen auseinander gesetzt haben – unabhängig davon, ob die jungen Freiwilligen mit oder ohne Anbindung an eine Einrichtungen das Projekt realisiert haben. 2) Die Teilnahme an zwei Kreativwerkstätten, die für die Verstetigung, aber auch die Anerkennung des jungen Engagements in der Kultur von Bedeutung sind. Hier drehte sich für die Preisträger/-innen alles um Qualifizierung (Workshops: Fundraising, Presse-/Öffentlichkeitsarbeit, Kultur-/Projektmanagement, erfolgreiche Gruppenkommunikation, Nutzungsmöglichkeiten von OpenSource/Creative-Commons), Vernetzung und Austausch unter Gleichgesinnten. Anerkennung haben die Prämierten zudem durch Teilnahme- und Engagementzertifikate erhalten. 3) Die Unterstützung der/des Freiwilligen und der beteiligten Einrichtungen durch die Projekte begleitende bundesweite Öffentlichkeitsarbeit von Seiten des Projektbüros. Gerade im Kulturbereich wünschen sich die Freiwilligen mehr Öffentlichkeit und dadurch mehr Anerkennung für ihr Engagement. Die Einrichtungen wiederum werden vor Ort weiter bekannt und als innovativer und qualifizierter Partner für die Weiterentwicklung von Zivilengagement vor Ort sichtbar.


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4) Eine partizipative Projektkonzeption. Die jungen Freiwilligen wurden an der konzeptionellen Ausrichtung des Wettbewerbs und der Auswahl der Gewinnerprojekte beteiligt.

eignen sie sich zudem wichtige Kompetenzen an, wie z. B. ­E igenverantwortlichkeit und Selbstorganisation, und erleben selbstwirksam, wie sie ihre Umwelt mit­ gestalten können.

5) Eine zeitgemäße Kommunikation, Organisationsbegleitung und Information in sozialen Netzwerken.

2) Für die Einrichtungen: Sie können durch die Freiwilligen und deren Projekte ebenso vielseitig profitieren. Junge Menschen bringen neue Ideen, frischen Wind aber auch Kompetenzen mit. Die Projektarbeit birgt die Chance, neue Themen, Formate und Programme zu erproben und zu entwickeln. Zudem wirken die Freiwilligen als Multiplikatoren/-innen, wodurch neue Ziel- und Besuchergruppen erschlossen und Einrichtungen vor Ort als attraktiver Kulturpartner sichtbar gemacht werden können.

6) Die fachliche Beratung und Einbindung in das BKJ-Netzwerk. Warum? PlusPunkt KULTUR – ein PlusPunkt für alle Beteiligten! Das freiwillige Engagement, insbesondere das kulturelle Projektengagement, wie es der PlusPunkt KULTUR prämiert, bietet zahlreiche Chancen und Potenziale, von denen alle Beteiligten profitieren: 1) Für junge Menschen: Kulturelle, selbstverantwortliche Projektarbeit ist für junge Menschen ein attraktives Betätigungsfeld. Sie entspricht zunehmend der zeitlich verdichteten Lebenswelt junger Menschen, sich themenfokussiert und zeitlich befristet, für eine Sache zu engagieren. In Projekten können junge Menschen eigene Konzepte und Ideen realisieren und darüber kreativ-partizipative Zugänge zu Kunst und Kultur finden. Durch informelle und non-formale Bildungsprozesse

3) Für die Gesellschaft: Das Engagement beim PlusPunkt KULTUR weist durch Projekte, die gesellschaftspolitisch wichtige Themen bearbeiten, und durch die starke Rolle der Freiwilligen eine politische Dimension auf. Das junge Engagement ist gesellschaftlich kontextualisiert und stellt sichtbaren Bezug zwischen Engagement, Kultur und gesellschaftlich drängenden Themen her. Selbstverantwortlich tätige Freiwillige setzen hier wichtige Impulse, bieten Lösungsansätze an und wirken als Multiplikatoren/-innen auf unsere Gesellschaft mit Ideen und Kritik ein. Sie sind nicht nur Vorbild und inte-


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grativer sowie integrierender Teil unserer Gesellschaft, der konkret an der Ausgestaltung der gesellschaftlichen Lebenswirklichkeit partizipiert: Das junge Engagement ist vielmehr der lebendige Ausdruck langjähriger Partizipationsforderungen als eine der Voraussetzungen für eine sozial gerechte, integrative Teilhabegesellschaft. Womit? Projekte mit gesellschaftspolitischem Bezug PlusPunkt KULTUR richtete sich an junge Menschen im ­A lter von 14 bis 30 Jahren, aber auch an Einrichtungen der Kulturellen Bildung und der Jugend-, Bildungs- sowie Kulturarbeit, die gemeinsam mit jungen Menschen auf Augenhöhe ein Engagementprojekt umgesetzt oder gemeinsam an einer Idee gearbeitet haben. Aus der Bewerbung der Einrichtungen sollte für die Jury ersichtlich sein, dass die Freiwilligen im Projekt eine selbstverantwortliche Rolle einnehmen. Eingereicht werden konnten ausschließlich nicht abgeschlossene Projekte bzw. Projektkonzepte/-ideen, die sich mit einem Thema gesellschaftspolitischer Relevanz auseinander setzen. Zu diesen gesellschaftspolitischen Themenschwerpunkten gehörten beim PlusPunkt KULTUR: 1) InterKultur Kulturen bereichern einander, Kulturen leben vonein­ ander – sie haben aber auch ein Eigenleben. Beim PlusPunkt-Themenschwerpunkt „InterKultur“ wurden Projekte unterstützt, die die Chancen und Herausforderungen der kulturellen Vielfalt thematisieren und reflektieren. 2) Kultur von Jung und Alt Der generationsübergreifende Dialog birgt große Chancen für eine alternde Gesellschaft. Zu diesem Themenschwerpunkt sollten Projekte eingereicht werden, die gezielt kulturelle Engagementprojekte für die Genera­ tion 60+, die Begegnungen, Verständigungen und Betei­ ligungen von Jung und Alt entwickeln und fördern. 3) Kultur im Brennpunkt Soziale Brennpunkte sind lokale Ausgrenzungszentren, die als gesellschaftliches Phänomen frappierender Unterschiede in den Einkommens-, Teilhabe- und Bildungschancen in der Gesellschaft zu begreifen sind. Bei „Kultur im Brennpunkt“ wurden Projekte gefördert, die die kulturellen Beteiligungs-, Engagement- und Bildungsmöglichkeiten in sozialen Brennpunkten erhöhen und zu einer differenzierteren Wahrnehmung des Lebens in den Brennpunkten beitragen.

4) Mehr Kultur an Schulen In den vergangenen Jahren wurden die Bedeutung sowie die Chancen Kultureller Bildung im Kontext der Schule entdeckt und diskutiert. Projekte, Konzepte und Methoden der Kulturellen Bildung konnten zwar erfolgreich, aber in zu geringem Maße an Schulen und in Kooperatio­ nen mit außerschulischen Bildungsträgern umgesetzt werden. Zu diesem Themenschwerpunkt unterstützte der Wettbewerb daher Projekte, die a) die lokale Zusammenarbeit zwischen ­beispielsweise außerschulischen Bildungsträgern, Lehrer- und Eltern­initiativen etc. und den Schulen verbessern; b) zum Aufbau von Organisations- und Angebotsstrukturen für ein „Mehr Kultur an Schulen“ und damit für „mehr kulturelle Bildungsmöglichkeiten an Schulen“ motivieren sollten. Die vier vorgegebenen Themenschwerpunkte wurden ab dem zweiten Wettbewerbsdurchgang durch einen fünften – den so genannten Partizipations-Themenschwerpunkt – ergänzt. Aus den von den Preisträgern/-innen des Vorjahres vorgeschlagenen Themen wählten die Bewerber/-innen der laufenden Wettbewerbsrunde ihr favorisiertes Thema aus. Beim zweiten Wettbewerbsdurchgang lautete der 5. Parti­ zipations-Themenschwerpunkt: Kultur und globale Verantwortung „Act lokal – think global!“ Die Einsicht in lokal-globale Handlungszusammenhänge sowie die Bereitschaft, für einen globalen Kooperationskontext Verantwortung zu übernehmen, sind wichtige Voraussetzungen, um die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern. Beim PlusPunkt „Globale Verantwortung“ wurden kulturelle Projekte gefördert, die lokal-globale Zusammenhänge thematisieren, reflektieren und für eine globale Verantwortlichkeit sowie Kooperationsbereitschaft der Menschen aktivieren bzw. sensibilisieren. Beim dritten PlusPunkt KULTUR war es das Thema: Kultur und neue Medien/Social Media Neue Medien/Social Media sind im Alltag junger Menschen angekommen. Sie stehen für veränderte Interaktionsformen im Web 2.0, das allmählich sein gesellschaftliches P­ otenzial im Sinne von mehr Partizipation, Vernetzung und Offenheit entfaltet. Im Rahmen des PlusPunkt KULTUR wurden Projekte gefördert, die die Potenziale des Web 2.0 nutzen und in einen (Lern- bzw. Partizipations-)Prozess überführen, der sich in der non-virtuellen Realität wiederfindet.


P l u s P u n k t K ULTUR – E i n M o d e l l z u r F ö r d e r u n g d e s j u n g e n E n g a g e m e n t s i n d e r K u l t u r _ 2 1

Wofür? Ergebnissicherung Die im Folgenden präsentierten Ergebnisse und Schlussfolgerungen gründen sich im Wesentlichen auf zwei zentralen Erkenntnisquellen: Es umfasst einerseits die Evaluationen, die Helle Becker (Expertise & Kommunikation, Essen) im Auftrag der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) während der ersten beiden Wettbewerbsdurchgänge durchführte (vgl. BKJ 2011). Diese wurden als qualitativer und quantitativer Methodenmix angelegt, bei dem die Freiwilligen in einer Vorher-Nachher-Erhebung und die beteiligten Einrichtungen einmal befragt und deren Aussagen ausgewertet wurden.

Andererseits ergänzten Erhebungen des BKJ-Projektbüros die Ergebnisse der Evaluation. Hierzu zählen Interviews und Gespräche mit den Freiwilligen und beteiligten Einrichtungsvertretern/-innen, Projektbesuche, Kreativwerkstätten, eine quantitative Auswertung aller eingereichten Projekte sowie eine inhaltliche Auswertung der prämierten Projekte.


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3.2 Strukturen und Motive des jungen Engagements in der Kultur 3.2.1 Wen hat der PlusPunkt KULTUR erreicht? Bei dem Wettbewerb waren junge Menschen im Alter zwischen 14 und 30 Jahren aufgerufen, sich mit eigenen, selbstverantwortlich umgesetzten Projekten zu bewerben. Es konnten aber auch Projekte von Einrichtungen eingereicht werden, sofern diese das Projekt mit jungen Menschen gemeinsam geplant, umgesetzt oder konzeptioniert haben und deren selbstverantwortliche Rolle deutlich erkennbar blieb. Typisierung der Freiwilligen Junges Engagement beim PlusPunkt KULTUR ist das der 19und 20-Jährigen – so zeigte die Auswertung (siehe Abb. A). Die Evaluation, die auf der Befragung der prämierten Freiwilligen der beiden ersten Wettbewerbsdurchgänge gründet, kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Auch unter den Prämierten sind entsprechend in der Gruppe der 19- und 20-Jähri­ gen überwiegend Gymnasiasten/-innen bzw. Abiturienten/. -innen besonders stark vertreten.2 Dies kann mit der besonderen Situation der ab 19-Jährigen erklärt werden, die mit einem Engagement die Orientierungsphase nach dem Schulabschluss häufig überbrücken. Ein weiterer Grund könnte das hohe Maß an Selbstverantwortlichkeit – und damit auch Reife – sein, das beim Plus-

35

PPK 1

PPK 2

PPK 3

gesamt

Punkt KULTUR – anders als bei stärker vorstrukturierten und an Einrichtungen/Verbände gebundenen Engagementmöglichkeiten – eingefordert wurde. Teilnahmevoraussetzungen für die Freiwilligen am Wettbewerb war die Beteiligung an der Konzeption, Planung bzw. Umsetzung des eingereichten Projektes (im Sinne einer Projektleitung). Ein solches selbstverantwortliches Engagement setzt ein erhöhtes Maß an Kompetenz und Engagementerfahrungen voraus, wie auch die Evaluation bestätigt. Denn fast alle Freiwilligen waren im Vorfeld bereits engagiert – und das mehrheitlich in der Kultur.3 Die Auswertung der Geschlechterverteilung ist überraschend. Unter den Prämierten des ersten und zweiten Wettbewerbsdurchgangs sind 56 Prozent Frauen und 42 Prozent Männer (2 Prozent machen keine Angaben). Dies entspricht dem üblichen Verhältnis im FSJ Kultur 4 , das aber bereits mehr männliche Freiwillige aufweist als ­andere FSJ-Felder.5 Zugleich widerspricht diese Verteilung dem aktu­ellen Freiwilligensurvey, der ein deutlich höheres Enga­gement von Männern konstatiert.6 Noch ungewöhnlicher ist die Verteilung aller Bewerber/-innen innerhalb der drei Wettbewerbsdurchgänge. Hier hält sich die Geschlechterverteilung exakt die Waage, demnach 50 Prozent männliche und 50 Prozent weibliche Freiwillige.

70

30

60

25

50

20

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15

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10

20

5

10

Männer

Frauen

61 56

56 49

43

50

43

38

0

14–16

17–18

19–20

21–22

23–24

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27–28

Abb. A: Durchschnittliches Alter der Wettbewerbsteilnehmer/-innen (Quelle: BKJ 2011, S. 11)

29–30

0

PPK 1

PPK 2

PPK 3

Gesamt

Abb. B: Verteilung nach Geschlecht PlusPunkt KULTUR 1 bis 3 (Quelle: BKJ-Statistik)

2 Vgl. BKJ 2011, S. 11. 3 Vgl. ebd., S. 13f. 4 Das FSJ Kultur (Freiwilliges Soziales Jahr in der Kultur): Was zunächst in sozialen Einrichtungen unter dem diakonischen Gedanken begann und sich später auf den ökologischen Bereich (FÖJ) ausdehnte, ist seit 2001 auch in den unterschiedlichen kulturellen Einrichtungen möglich: ein identitätsstiftendes und gemeinschaftsförderndes Bildungs- und Engagementangebot für junge Menschen zwischen 16 und 26 Jahren. 12 Monate arbeiten sie freiwillig in kulturellen Einrichtungen, Initiativen und Projekten mit. Mit dem FSJ Kultur wurde durch die BKJ und ihren Kooperationspartnern im Trägerverbund 2001 erstmals ein gesetzlicher Freiwilligendienst im kulturellen Bereich realisiert. Weitere Informationen unter: www.fsjkultur.de. 5 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2006, S. 129f. 6 Vgl. Gensicke/Geiss 2010, S. 169.


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In Bezug auf das Bildungsniveau sind beim PlusPunkt ­K ULTUR keine Überraschungen festzustellen. Engagement ist auch in diesem Wettbewerbsformat eine Frage der Bildung. Wie bei anderen Untersuchungen zum freiwilligen Engagement weisen die Prämierten ein relativ hohes Bildungsniveau auf. Der Großteil der Befragten (81 Prozent) sind Schüler/-innen oder Studenten/-innen; 64 Prozent der Befragten Abiturienten/-innen. Im Vergleich zum FSJ allgemein finden sich unter den Preisträgern/-innen vergleichsweise mehr Abiturienten/-innen (und daher weniger Hauptschüler/-innen)7, im Vergleich zum FSJ Kultur weniger Abiturienten/-innen und mehr Hauptschüler/-innen. Als Erfolg kann der hohe Anteil von jungen Menschen mit Migrationskontext festgehalten werden, zeichnet doch der Wettbewerb PlusPunkt KULTUR überdurchschnittlich viele junge Menschen mit Migrationshintergrund aus und macht dadurch ihr Engagement sichtbar. Unter den 53 Freiwilligen, die auf die Befragung der Evaluation geantwortet haben, sind nach der Definition des Statistischen Bundesamtes 23 Prozent als junge „Menschen mit Migrationshintergrund“ zu bezeichnen. PlusPunkt KULTUR hat demnach mehr junge Menschen mit Migrationshintergrund erreicht als es ihrem Anteil in der Gesamtbevölkerung entspricht und deutlich mehr als im FSJ bzw. FÖJ.8 Typisierung der Einrichtungen Einrichtungen der Kulturellen Bildung sowie der Jugend-, Bildungs- und Kulturarbeit waren beim PlusPunkt KULTUR weitere wichtige Adressaten. Wie die Evaluation zeigt, ist die Bandbreite der Einrichtungen und Organisation beim PlusPunkt KULTUR groß und vielfältig. Entsprechend facettenreich sind auch die Arbeitsbedingungen (Personalausstattung, Ausbildung/Qualifizierung der Fachkräfte, Größe und Ausstattung der Einrichtungen/Organisationen).

Vornehmlich finden sich unter den Bewerbungen Einrich­ tungen und Organisationen der Kulturellen Bildung (18) – wie etwa Jugendkunstschulen, Zirkusschulen, Kreismusik­schulen – und (reine) Kultureinrichtungen und -organisa­tionen (14) – Theater, Musikvereine, Galerien, Kurzfilmagenturen. Weiter konnten 7 Träger der freien und öffentlichen Jugendhilfe (Kinder- und Jugendzentrum, Jugend­f reizeiteinrichtung, Jugendverband, Jugendbildungswerk), je 5 Einrichtungen und Organisationen der Sozialen Arbeit (Wohlfahrtsverbände, Nachbarschaftsbüro, Integrationsvereine) und Einrichtungen formaler Bildung (Schulen, Universitäten) sowie 4 der politischen Bildung (Junge Presse, Netzwerk für Demokratische Kultur e.V., Zentrum für politische Schönheit) kategorisiert werden. Die Größe der Einrichtungen variiert stark. Unter den Einrichtungen finden sich überwiegend kleine Organisationen mit bis zu 5 Mitarbeiter/-innen. 7 von 29 Trägern haben n­ eben einem überschaubaren festen Mitarbeiterstab von 5 Personen, zahlreiche freie Mitarbeiter/-innen (bis zu 50). 5 Träger geben 30 bis 164 fest angestellte Beschäftigte an. 16 14 12

15 13 12 11

10 8 6

7 6

4 2

2

2

0

n in er -in in / d-/ /- i r /nd r og e en n er/ ler ne che nage ag gog Jug inne ns tl itt n d i ä m ä da a ü / F r / p r K m r n ur ä e en t ve hr he l tu r p t og ns L e r isc Kul Ku ul tu ag Ku K äd tle p s l n zia kü So

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Abb. C: Qualifikationen der Mitarbeiter/-innen in den Einrichtungen (Quelle: BKJ 2011, S. 24)

7 Vgl. BKJ 2011, S. 12. 8 Vgl. ebd., S. 13.

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Das Personal und dessen Qualifizierung in den Einrichtungen rekrutiert sich überwiegend aus Kulturpädagogen/-innen (44,8 Prozent), gefolgt von Jugend- bzw. Sozialpädagogen/. -innen (41,3 Prozent) und Künstlern/-innen (37,9 Prozent). (Siehe Abb. C, N = 27, Mehrfachnennungen möglich)9. Für jegliche Arbeit ist die Frage nach deren Finanzierung entscheidend. Die Evaluation dokumentiert, wie wichtig die öffentliche Hand für das freiwillige Engagement in der Kultur ist. So finanzieren sich die beteiligten Einrichtungen beim PlusPunkt KULTUR zu über 55 Prozent über kommunale Haushalte und zu annähernd 50 Prozent über die Landesebene.10

90 80

mit Einrichtung

ohne Einrichtung

84 73

70

77

73

60 50 40 30 26

20

22

15

10 0

26

PPK 1

PPK 2

PPK 3

Gesamt

Abb. E: Verteilung der Bewerberinnen und Bewerber mit/ohne institutionelle Anbindung in Prozent (Quelle: BKJ 2011, S. 41)

20 15

16 14

10

11 7

5

1

2

0

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Abb. D: Finanzierungsquellen der Einrichtungen (Quelle: BKJ 2011, S. 25)

3.2.2 Orte des jungen Engagements: Wo hat das Engage ment beim PlusPunkt KULTUR stattgefunden?

Wie bedeutend Einrichtungen für das junge Projektengagement sind, wird bei den besonders jungen Engagierten des PlusPunkt KULTUR deutlich. Nur ein Zehntel der 14bis 16-Jährigen haben sich ohne Einrichtungen beworben (­siehe Abb. F). Der Anteil der 14-bis 16-Jährigen ohne institutionelle Anbindung macht unter allen Bewerberinnen und Bewerbern weniger als 1 Prozent aus!11

mit Einrichtung

ohne Einrichtung

gesamt

20 18

Freiwilliges Engagement, insbesondere von Jugendlichen, ist zunehmend kurzfristig. Interessant ist daher, ob Organisationen und Einrichtungen auf diese Herausforderungen reagieren und entsprechende Möglichkeiten für kurzfristiges, projektbezogenes Engagement anbieten. Die Auswertung aller PlusPunkt KULTUR-Bewerber/-innen, differenziert nach Projekteinreichungen mit bzw. ohne institutionelle Anbindung/Unterstützung, kann hier wichtige Hinweise zur Relevanz von Einrichtungen als Orte des jungen Engagements geben.

16 14 12 10 8 6 4 2

Das Ergebnis ist eindeutig: Einrichtungen sind immer noch die Orte für junges, kulturelles Engagement, ist deren Bedeutung für das Zustandekommen von freiwilliger Aktivität überhaupt grundlegend. 77 Prozent aller eingereichten Projekte werden an bzw. mit Einrichtungen umgesetzt (siehe Abb. E). Offenkundig bieten die im kulturellen Engagementbereich aktiven Einrichtungen immer noch attraktive Engagementangebote an und werden als entsprechende Partner und Orte wahrgenommen.

9 Vgl. ebd., S. 24. 10 Vgl. ebd.. 11 Vgl. BKJ-Statistik.

0

14–16

17–18

19–20

21–22

23–24

25–26

27–28

29–30

Abb. F: Verteilung nach Alter aller Bewerberinnen und Bewerber mit und ohne institutionelle Anbindung in Prozent (Quelle: BKJ 2011, S. 42)


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Augenfällig ist, dass gerade von den befragten Freiwilligen die Bedeutung von Einrichtungen für das junge Engagement geringer eingeschätzt wird. So sind 54 Prozent der befragten Freiwilligen der Meinung, dass sie auch ohne Einrichtung eine Bewerbung eingereicht hätten. Dies steht in Gegensatz zu dem letztendlich hohen Anteil von an/mit Einrichtungen umgesetzten Projekten (77 Prozent).12 Gespräche mit prämierten Freiwilligen im Rahmen von Krea­ tivwerkstätten und Projektbesuchen verweisen zudem auf einen weiteren Aspekt, der die große Bedeutung von Einrichtungen unterstreicht: Junge Menschen, die ein selbstverantwortliches Engagement umsetzen, haben mehrheitlich über Einrichtungen den ersten Zugang dazu gefunden. Einrichtungen sind demnach für den ersten Zugang zum Engagement von größter Bedeutung. Hier wird offenkundig die Grundlage für das zukünftige selbstverantwortliche Engagement gelegt. Dieses setzt ein gewisses Maß an Kompetenz und Erfahrungen voraus, wie die Evaluation bestätigt: Die beim PlusPunkt KULTUR prämierten Freiwilligen waren mehrheitlich bereits engagiert – und das größtenteils in der Kultur.13 Das bedeutet: Ohne Einrichtungen kaum Zugang zum Engagement. Ohne Einrichtungen kaum selbstverantwortliches Projektengagement.

12 Vgl. ebd. 13 Vgl. ebd., S. 13f. 14 Vgl. ebd., S. 15f.

3.2.3 „Ich engagiere mich, weil ...“ – Motive und Ziele des jungen Engagements in der Kultur Die Motivlage ist eindeutig: Junge Menschen engagieren sich, weil sie das Thema des Projektes persönlich interessiert (92,3 Prozent) und für wichtig (76,9 Prozent) halten. Fast alle Freiwilligen wünschen sich einen erfolgreichen Projektabschluss, einen weiter gehenden Nutzen (für die Einrichtung und die Zielgruppe) und eine größere Verbreitung der Projektidee. Die Freiwilligen sind motiviert, „Verantwortung übernehmen zu wollen“ bzw. „etwas auf die Beine zu stellen“ (61,6 Prozent) und bringen damit eine Schlüssel­k ompetenz für freiwilliges Engagement in der Kultur zum Ausdruck. Die Motive für ein Engagement sind demnach nicht altruistisch, sondern orientieren sich durchaus an den Interessen der Freiwilligen. Befragt nach den Zielen ihres Projektengagements, wird ein wichtiger Aspekt sichtbar: Motive und Ziele des Engagements sind nicht deckungsgleich. Das heißt, die Freiwilligen wollen mit ihrem Engagement ihr eigenes Interesse befriedigen/bedienen, das Ziel ihres Projektes und ihres Engagements ist aber auf andere hin und stark gemeinwohlorientiert ausgerichtet. Durch ihre Projekte wollen die Freiwilligen vornehmlich zeigen, „dass es anders geht“, auf ein Anliegen öffentlich aufmerksam machen, Lösungsansätze für identifizierte Probleme – häufig vor Ort – aufzeigen und dadurch beispielsweise die Situation anderer Menschen verbessern. Erst dann wird die Verwirklichung der eigenen Idee, des eigenen Interesses genannt.14


2 6 _ P l u s P u n k t K ULTUR – E i n M o d e l l z u r F ö r d e r u n g d e s j u n g e n E n g a g e m e n t s i n d e r K u l t u r

Konkret zur Teilnahme beim PlusPunkt KULTUR befragt, sind für die Freiwilligen die Motive „etwas gewinnen“ und „mehr Anerkennung“ sowie „mehr Öffentlichkeit“ für das Projekt von zentraler Bedeutung. Von ihrer Teilnahme erwarten sie in besonderem Maße, „neue, andere Ideen kennen zu lernen und Einblick in andere Konzepte zu erhalten“.15 Qualifizierung scheint für die Freiwilligen beim PlusPunkt KULTUR keine so dominante Rolle zu haben, wie dies im „Monitor Engagement“ 16 festgestellt worden ist.Vielmehr ist unter den Prämierten der Wunsch nach Vernetzung, neuen Kontakten und dem Austausch unter Gleichgesinnten sehr ausgeprägt.17 Eine mögliche Erklärung könnten die bei vielen Freiwilligen bereits vorhandenen Kompetenzen und Engagementerfahrungen sein: Junge, dynamische Projektemacher/-innen sehen in der Vernetzung und dem Austausch unter ihresgleichen möglicherweise einen größeren Nutzen und Vorteil als in Qualifizierungsmaßnahmen. Einrichtungen möchten durch ihre Beteiligung am PlusPunkt KULTUR das Engagement junger Menschen im Allgemeinen und konkret die/den jungen Freiwillige/-n in ihrem/ seinem Engagement fördern. Ein weiteres wichtiges Motiv für die Teilnahme beim PlusPunkt KULTUR für Einrichtungen ist „mehr Öffentlichkeit“ – und damit verbunden die Erwar-

15 16 17 18

Vgl. ebd., S. 49. Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2010, S. 30. Vgl. BKJ 2011, S. 49. Vgl. ebd., S. 27f.

tung und Hoffnung auf mehr Bekanntheit, Sichtbarkeit und Anerkennung des Engagements. Fraglos ist auch die finanzielle Unterstützung des Projektes durch das Preisgeld ein weiterer Beweggrund, wenn auch nicht der zentrale. Neben der allgemeinen Förderung freiwilligen Engagements in der Kultur sehen Einrichtungen aber auch den Wert und die Bedeutung für ihre eigene individuelle Situation und Arbeit. So sind Freiwillige besonders für Einrichtungen aus dem sozialen Bereich eine Stütze und wichtig für das Programm­ angebot der Einrichtung. Das heißt, hier steht das Motiv „Rekrutierung des eigenen Nachwuchses“ im Vordergrund. Kultureinrichtungen hingegen sehen vor allem im Bereich des Audience Development einen Vorteil. Einrichtungen versuchen über die Freiwilligen, deren Familien, Freundes- und Bekanntenkreise neue Besucher- und Zielgruppen für das eigene Programmangebot anzusprechen und zu gewinnen. Von jungen Menschen versprechen sich Einrichtungen aber auch frischen Wind. In ihrem Engagement, ihren Ideen und Kompetenzen sehen sie das Potenzial, überhaupt erst neue Formate entwickeln zu können.18


M o v e ! W a s b e w e g t h e u t e j u n g e M e n s ch e n ? _ 2 7

4. Move! Was bewegt heute junge Menschen? 4.1 Junges Engagement und seine Themen

Die aktuelle Lebenssituation junger Menschen zeichnet sich durch zahlreiche Herausforderungen, aber auch Chancen aus – sozial-gesellschaftlich, demografisch, ökologisch. Vieles ist in unserer Gesellschaft in Bewegung geraten und engagierte, kompetente Menschen bahnen sich ihren Weg. Ähnlich verhält es sich für die klassische Anbieterseite, die sich in Zeiten des Umbruchs mit attraktiven, zeitgemäßen und ggf. modifizierten Angeboten aufstellen muss. Wichtig und interessant ist es hierfür, jene Themen und Bedarfe zu identifizieren, die junge Menschen heute bewegen und für ein Engagement motivieren.

35 30

Wie oben schon erwähnt, standen beim PlusPunkt KULTUR vier vorgegebene Themenschwerpunkte („InterKultur“, „Mehr Kultur an Schulen“, „Kultur im Brennpunkt“, „Kultur von Jung und Alt“) zur Auswahl, die ab dem zweiten PlusPunkt KULTUR um einen fünften, den Partizipations-Themenschwerpunkt („Kultur und globale Verantwortung“ und „Kultur und Neue Medien/Social Media“), ergänzt wurden.19 Die Auswertung aller eingereichten Projekte nach Themenschwerpunkten20 kommt zu folgendem Ergebnis: Das Thema der interkulturellen Verständigung „InterKultur“ (IK) war für alle Bewerber/-innen der beiden letzten Wettbewerbsdurchgänge das populärste, gefolgt von den Themen „Mehr Kultur an Schulen“ (KaS) und „Partizipation“ (Pz). Die Themen „Kultur im Brennpunkt“ (KiB) und „Kultur von Jung und Alt (J+A) folgen mit etwas Abstand auf Platz vier und fünf (siehe Abb. G). In den vergangenen Jahren spielten die Themen „Interkulturelle Verständigung“, „Ausbau von Gesamtschulen“ und die „Förderung kultureller Bildungsangebote an Schulen im

19 20 21

ohne Einrichtung

gesamt

20 24

21

25 17

20

18

15 10 5 0

Einige Hinweise hierzu bieten a) die Auswertung der eingereichten Projekten nach gewählten Themenschwerpunkten und b) die inhaltliche Auswertung der prämierten Projekte aus drei Jahren PlusPunkt KULTUR.

mit Einrichtung

PZ

J+A

KaS

KiB

IK

Abb. G: Themenschwerpunkte im PlusPunkt KULTUR (Quelle: BKJ-Statistik)21

öffentlichen und politischen Diskurs“ eine wichtige Rolle und haben sich in entsprechenden Förderprogrammen niedergeschlagen. Nicht verwunderlich daher, dass Einrichtungen, aber auch Projektemacher/-innen auf die öffentlichen Fördervorgaben mit entsprechenden Projekten antworten. Es ist außerdem sehr wahrscheinlich, dass die Themen auch in der Lebenswelt der Freiwilligen eine wichtige Rolle spielen. Bei dieser Auswertung wurde nicht zwischen Projekten unterschieden, die von Freiwilligen mit Unterstützung von Einrichtungen (siehe Abb. H) oder völlig selbstständig (Abb. I) umgesetzt wurden. Werden die eingereichten Projekte nach dieser Differenzierung ausgewertet, erhält man ein deutlich anderes Ergebnis – bezogen auf die Verteilung der bearbeiteten Themen. Die Ergebnisse in der Zusammenfassung: Grundsätzlich ist festzustellen, dass das Verhältnis der gewählten Themenschwerpunkte in der Gesamtschau relativ ausgeglichen ist, während es bei der Gruppe „Projekte ohne

Der fünfte Themenschwerpunkt wurde von den Prämierten vorschlagen und von allen Bewerbern/-innen durch Stimmabgabe ausgewählt. Um eine bessere Auswertung der fünf Themenschwerpunkte zu ermöglichen, sind nur die Jahrgänge mit fünf Themenschwerpunkten, also die Wettbewerbsdurchgänge zwei und drei, in die Bewertung eingeflossen. Die Angaben beziehen sich auf die prozentuale Verteilung innerhalb der jeweiligen Bewerbergruppe (a) Projekte ohne Einrichtungen (b) Projekte mit Einrichtungen. Die in den folgenden Abbildungen verwendeten Abkürzungen für die PlusPunkt KULTUR-Themenschwerpunkte bedeuten: Pz = Themenschwerpunkt Partizipation; J+A = Themenschwerpunkt „Kultur von Jung und Alt“; KaS = Themenschwerpunkt „Mehr Kultur an Schule“; KiB = Themenschwerpunkt „Kultur im Brennpunkt“; IK = Themenschwerpunkt „InterKultur“.


2 8 _ d i e 9 0 p r ä m i e r t e n p l u s p u n k t k u l t u r -p r o j e k t e

Die 90 prämierten PlusPunkt KULTUR-Projekte (inter-)kulturelles Ferienlager // Sophia Rohde (17), Sachsen-Anhalt „Zwischen_Welten“ – eine Opernwerkstatt der Generationen // Nele Tast (16), Plattenburg OT Klein Leppin/Brandenburg 99 days to berlin // Caroline Priese (20), Berlin AAA – Activity Acting Academy // Fabian Oehl (19), Vechta/Niedersachsen AG open computer kids 2010 // Benjamin Knofe (24), Leipzig/Sachsen Als das Wasser kam // Philipp Amelungsen (22), Dresden/Sachsen Another Brick in the Wall // Stefan Krause (20), Wurzen/Sachsen Art is Masturbation // Roman Hagenbrock (21), Dortmund/Nordrhein-Westfalen Auf dem Hexenbesen ins Zauberreich // Anna ­S ophie Speck (20), Bruchsal/­. Baden-Württemberg Backdoor/move@moor // Paula Keller (19), ­H amburg Benefiz-Zirkusfestival // Irina Herb (17), ­W interberg/Baden-Württemberg Chor jazzt! // Dajana Puschmann (20), Jena/ Thüringen Club der jungen Dichter // Nadia Alhassan (16), Bremen Comic-Stadtführer // Anke Dregnat (18), Rostock/Mecklenburg-Vorpommern Common Place – Vertrauter Ort in Hamburg // Liev Fanke (16), Hamburg Communauten Braunschweig // Kai Müller (23), Braunschweig/Niedersachsen Cooltour 2008 // Jaqueline Benecken (14), Bremen Das bunte Leben am Fischmarkt // Anne­ ­B oschek(24), Hamburg Das offene Wohnzimmer // Thomas Blank (19), Großzimmern/Hessen Demokratie! Auf! Die Ohren // Fabian Albrecht (23), Essen/Nordrhein-Westfalen Der unbekannte Krieg // Christoph Schnaß (27), Boppard/Rheinland-Pfalz Die andere Playstation // Anton Matzke (19), Hamburg Die Sintiforscher –eine Fotoinstallation // Simon Kuhl (17), Bremen Die Stimme der Stadt // Isabel Eisfeld (25), ­D resden/Sachsen Ensemblemusik in Köpenick // Antonia Papenthin (18), Berlin f13/zukunft ist jetzt // Kim-Fabian von Dall’Armi (19), Hamburg Filmfest Annaberg // Florian Müller (19), A­ nnaberg/ Sachsen Filmprojekt von/mit Förderklasse // Joshua ­C onens (23), Bochum/Nordrhein-Westfalen Freilichtspiel // Lea Mönninghoff (19), Freiburg/ Baden-Württemberg

Freitag ist „Dienst-Tag“ // Pascal Meißner (18), Offenbach/Hessen Gib ein Zeichen // Stella Oppelland (28), Bremen Graue Verpackung – bunter Inhalt // Johannes Schalygin (23), Berlin Guerilla Gardening Total // Jan Hahndorf (22), ­H annover/ Niedersachsen Gut Tun – Schüler helfen Senioren // Marlene ­B eyerle (17), Weyhe/Niedersachen Haftnotizen – Lyrik aus der JVA // Benjamin Bosch (24), Hildesheim/Niedersachsen Havelsoundz // Sonja Swierkowski (23), Nauen/Brandenburg Heb’ Deine Hand für Courage // Katja Hüttig (20), Magdeburg/Sachsen-Anhalt HIV – jeder kann es bekommen, also schütze dich // Susan Strebe (22), Dresden/Sachsen How to make some action // Marcus Rüssel (25), Erfurt/Thüringen Ich will jetzt gleich König sein // Thomas ­B ernecker (19), Hürtgenwald/. Nordrhein-Westfalen Im Osten gibt’s keine Bananen ... // Alina ­D armstadt (20), Potsdam/Brandenburg Improtheater für Schüler // Luisa Winkler, ­W ürzburg/Bayern In den Osterferien nach Afrika // Anna Maria Maier (23), Berlin Independent Music Vibes // Puyan Ataherian (19), Köln/Nordrhein-Westfalen Industriebrachenumgestaltung (IBUg) // Thomas Dietze (26), Leipzig/Sachsen Internationales BodenseeCamp // Hannah Rex (22), Konstanz/Baden-Württemberg Internationales Skizzenfestival // Melanie ­N aumann (17), Stralsund/. Mecklenburg-­Vorpommern JLG – Filmfest // Fritz Schumann (20), Berlin Jugendkulturen in Bergisch Gladbach // Dorothea Kimmerle (20), Bergisch Gladbach/ Nordrhein-Westfalen JugendMedienCamp // Falk-Martin Drescher (18), Braunschweig/ Niedersachsen JugendtheaterBüro // Asma Zaher (20), Berlin Junge Feuilletonisten // Michael Kranixfeld (20), Berlin Kinder- und Jugenzeitung Sprachrohr // Sebastian Ammer (22), München/Bayern Klassenfeindin – Klassenfreundin // Svenja Schön (14), Berlin Klimatisiert // Ulrike Trenz (26), Potsdam /­ Brandenburg Kultur Kids Nordstadt // Dilara Aydin (25), Kassel/Hessen KulturbotschafterInnen – Kultur entdecken. ­Gemeinschaft erleben // Anton Georg Gölle (19), Müllheim an der Ruhr/Nordrhein-Westfalen Kulturfestival „plattform.“ // Tammo Kasper (21), Wilhelmshaven/Niedersachsen

Kultürklinke // Matthias Meister (23), Chemnitz/Sachsen KUNSTSPLITTER // Mira Müller (23), Wiesbaden/Hessen Lübecker Jugendbuchtage // Matthias Sören (15), Lübeck/Schleswig-Holstein Momentos de mi vida // Kathrin Dommel (20), E­ rfurt/Thüringen Museumskoffer für Senioren // Melanie Jepsen (24), Jever/Niedersachsen Musik.Box // Rebecca Thuns (21), Magdeburg/Sachsen-Anhalt Offenes Sonntagsangebot // Viktoria Pozoga (18), Belm/Niedersachsen Papergirl Festival // Aisha Ronniger (27), Berlin play(a)live // Johanna Dyckerhoff (28), Hamburg Poesieläufer // Lene Albrecht (23), Berlin Poetry Slam „Fulda Poeground – Ohne Zucker“ // Flora Kofink (21), Fulda/Hessen Riddims for education // Florian-Felix Müller (25), Freiburg/Baden-Württemberg Seerosen für Afrika // Philipp Ruch (28), Berlin Social Scouts // Marie-Ann Marshall (25), ­O snabrück/Niedersachen Stadt als Bühne // Marianne Cebulla (28), W ­ ittenberge/Brandenburg Stadt – Land – Fluss // Marcus Müller (21), Riesa/Sachsen START-Programm – Kulturbotschafter // Sigita R ­ akauskaite (19), Köln/Nordrhein-Westfalen Tanzen verbindet // Semira Dur (18), Delmenhorst/Niedersachsen Tanzprojekt an Schulen „im Abseits“ // Ada Lena Schaff (14), Halle an der Saale/Sachsen-Anhalt TanzTheater der Generationen // Amelie Buchinger (20), Greifswald/Mecklenburg-Vorpommern The Cultural Cookery // Frithjof Wodarg (24), Berlin Theater der Schatten // Ingrid Ulrich (16), ­D ortmund/Nordrhein-Westfalen Trommeln ist Klasse // Sarah Machon (18), Halle/Sachsen-Anhalt unARTich // Kai Jakowski (24), Potsdam/­B randenburg Was kommt – was bleibt ... ein Dialog // M ­ arie-Charlotte Deyda (20), Berlin We play and you learn // Thérèse Lindemann (19), Rostock/Mecklenburg-Vorpommern Wilde-Style: Rap-Poeten // Jonas Schönleber (19), Hildesheim/Niedersachsen WildwuX – Die Betablockade // Miriam Gieseking (24), Leipzig/Sachsen YOUNG GENERATION Wedding // ­ Franziska Letschkowski (24), Berlin Zirkusstück „Ein Tag in Hamburg“ // Neelke Janssen (20), Hamburg Zungenspitzer // Michael Feindler (20), Bad Oeynhausen/Nordrhein-Westfalen Zwergenaufstand – Wege in eine Stadt // Daniel Fricke (15), Bremerhaven


d i e 9 0 p r ä m i e r t e n p l u s p u n k t k u l t u r -p r o j e k t e _ 2 9

Stralsund   Rostock

Lübeck Jever  Wilhelmshaven

Bremerhaven

Hamburg

Bremen   Weyhe

Delmenhorst

Wittenberge   Klein-Leppin

Vechta   Belm Osnabrück  Bad Oeynhausen

Mülheim /Ruhr

Nauen    Braunschweig   Magdeburg   Hildesheim

Kassel

Winterberg

Berlin

Potsdam

Hannover

Dortmund   Bochum   Essen

Greifswald

Bergisch Gladbach   Köln

Halle/Saale  Leipzig    Erfurt

Jena

Wurzen

Riesa   Dresden

Chemnitz

Hürtgenwald   Fulda   Boppard Wiesbaden

Annaberg

Offenbach

Groß-Zimmern

Würzburg

Bruchsal

Winterberg (Braunsbach)

München   Freiburg im Breisgau   Konstanz


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institutionelle Anbindung“ sehr deutliche themenspezifische Unterschiede gibt. Junge Menschen, die ihr Projekt allein umgesetzt haben, wählen andere Themen und setzen damit thematisch andere Schwerpunkte als jene Freiwillige, die zusammen oder mit Hilfe einer Einrichtung ihr Projekt umgesetzt haben. Junge, institutionell ungebundene Menschen setzen sich bevorzugt mit Themen auseinander, die von der eige­ nen Peergroup gesetzt wurden. Deutlich sichtbar wird das beim Themenschwerpunkt „Partizipation“, das Thema Nummer eins für die institutionell ungebundenen Freiwilligen war, während es in der Gruppe der Freiwilligen mit institu­ tioneller Anbindung mit dem Thema „Kultur von Jung und Alt“ das Schlusslicht in der Popularitätsskala bildete (siehe Abb. H und I). Die Auswahl des Themenschwerpunkts hängt wahrscheinlich mit der Anbindung an und der Unterstützung von einer Einrichtung ab. Besonders deutlich wird dies an der Diskrepanz zwischen unabhängig umgesetzten Projekten und mit institutioneller Anbindung beim Thema „Mehr Kultur an Schule“. War der Themenschwerpunkt für Freiwillige mit institutioneller Anbindung der populärste, rangiert er für junge, institutionell ungebundene Projektemacher/-innen mit deutlichem Abstand auf dem letzten Platz (siehe Abb. H und I). 30 25 20 15 10 5 0 KaS

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Abb. H: Prozentuale Themenverteilung des Engagements mit institutioneller Anbindung 2008 bis 2010 (Quelle: BKJ 2011) 35 30 25 20 15 10 5 0 KaS

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Abb. I: Prozentuale Themenverteilung des Engagements ohne institutionelle Anbindung 2008 bis 2010 (Quelle: BKJ 2011)

Diese Ergebnisse lassen sicherlich keine wissenschaftlich fundierte Aussage zu, können aber ein Fingerzeig darauf sein, dass Einrichtungen, und daran gekoppelt entsprechende Förderprogramme, auf die Bearbeitung eines bestimmten Themas Einfluss haben. Offenkundig bearbeiten junge Menschen ohne Bindung an Einrichtungen gerade ­jene Themen aus, die von ihrer Peergroup vorgeschlagen und bestimmt wurden. Eine mögliche Schlussfolgerung wäre: Partizipativ erstellte Angebote sind populär, werden von jungen Menschen akzeptiert und bieten die Chance, bislang kaum erreichte Freiwillige für ein Engagement zu gewinnen. Einrichtungen, die attraktive und von jungen Menschen akzeptierte Angebote anbieten, sollten die Zielgruppe bei der Themenfindung und Programmplanung stärker beteiligen und mitentscheiden lassen. Dass gerade institutionell ungebundene Freiwillige mit den partizipativ erarbeiteten Themen erreicht wurden, verweist auch auf die Chance, gerade jene Freiwilligen zu erreichen und für ein Engagement zu motivieren, die bislang von den institutionellen Kommunikationskanälen und Netzwerken kaum erreicht wurden. Neben dieser sehr groben thematischen Auswertung hat das Projektbüro die 90 prämierten Projekte der drei Wettbewerbsrunden inhaltlich ausgewertet und zentrale Aspekte dessen, was junge Engagierte bewegt und was junges Engagement beim PlusPunkt KULTUR charakterisiert, zusammengetragen.


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4.2 Junges Engagement und seine Merkmale Junge Engagierte in der Kultur haben ein weites Kunstverständnis Kunst ist den jungen PlusPunkt-KULTUR-Preisträgern überaus wichtig. Sie greifen dabei alle Sparten auf und nutzen unterschiedliche Aspekte des Kunstschaffens und -rezipierens. Die Projekte spiegeln ein breites Kunstverständnis und insgesamt einen offenen Kulturbegriff wider, der so genannte Hoch- und Breiten- ebenso wie Jugendkultur einschließt. Jugendkultur – und hier vor allem in den Spielarten Tanz und Musik – spielt dabei eine herausgehobene Rolle. Die Verbreitung von Kultur, um deren gesellschaftliche Bedeutung hervorzuheben, ist einigen Projektleitern/-innen besonders wichtig.

Projektbeispiele

// Das bunte Leben am Fischmarkt: Schulkinder erkunden, entdecken ihr eigenes Quartier – den Hamburger Fischmarkt – und widmen sich dabei den Menschen und ihren vielfältigen kulturellen Hintergründen. Aus den gesammelten und dokumentierten Erfahrungen haben die Schulkinder ein eigenes Schulbuch erstellt. // Zwergenaufstand – Wege in eine Stadt: Eine Invasion von 500 Gartenzwergen findet als Kunstinstallation mit anschließenden Stadtteilkonzerten in einem Viertel Bremerhavens statt. Ziel ist es, das Viertel mit besonderem Entwicklungsbedarf „kulturell aufzuwecken“.

Ausgewählte Sparten sind für bestimmte Themenschwerpunkte und Anliegen besonders interessant Die darstellenden Künste Theater und Tanz stehen häufig im Mittelpunkt bei Projekten zur Förderung des interkulturellen Dialogs – auch im Brennpunkt – und in Verbindung mit Musik für generationsübergreifende Begegnungen (Themenschwerpunkte „InterKultur“, „Kultur im Brennpunkt“, „Jung und Alt“). Die Spielarten Tanz und Musik dominieren vor allem in der Jugendkultur; Bildende Kunst wiederum ist besonders relevant im Einsatz in den brennpunkt- bzw. stadtteilbezogenen und urbanen Projekten. (Neue) Medien sind in besonderem Maße für den Bereich Schule und Jugendkultur/Jugendarbeit interessant. Zahlreiche Projekte nutzen Medien, um in Schulen bzw. mit Schülern/-innen ihr Projekt umzusetzen.22

// Communauten Braunschweig: Gemeinsam mit 50 Kindern und Jugendlichen werden performativ gestaltete Stadtführungen erarbeitet, die von den „Peripherien“ in die Innenstadt, das „Zentrum“ Braunschweigs führen.

In der Kultur Engagierte sind „am Ort aktiv“ und erobern/gestalten urbane Räume mit Kunst und Kultur Durch Kunst und Kultur erschließen sich auffällig viele junge Menschen einerseits das eigene Lebensumfeld (Stichwort: „Entdecken“). Mit Kunst wird andererseits eine Position bezogen, Stadt gestaltet, die Bevölkerung aufgeweckt (hier ist das Stichwort: „aufmerksam machen!“). Dabei sind bei vielen Projekten der eigene Stadtteil Ausgangs- und Zielpunkt der kulturellen und künstlerischen Aktivitäten zugleich. Mehrheitlich finden die Projekte im urbanen, großstädtischen Zentrum statt und setzen sich dabei überwiegend mit dem Themenschwerpunkt „Kultur im Brennpunkt“ auseinander.

// POESIEläufer: Jugendliche erkunden mit Fotografie und Texten Berliner Stadtteile und nehmen an Workshops teil. Am Ende steht eine selbst konzipierte und öffentliche Ausstellung.

// Industriebrachenumgestaltung (IBUg) ist ein urbaner Kulturevent. In Meerane/Sachsen werden hierzu alte Industriebrachen künstlerisch zu neuem Leben erweckt. Kultur, Kunst und Architektur fungieren als Medien zur Förderung des Kunstverständnisses junger Menschen. // Das offene Wohnzimmer: Das soziokulturelle Projekt findet in der Stadt und den darin vorhandenen Räumen statt; im Mittelpunkt steht die Eroberung leer stehender Wohnungen und ihre „Rekultivierung“ zu alter­nativen Kommunikations- und Kulturzentren.

Junge Menschen greifen persönliche Themen auf und setzen sie in Bezug zur Gesellschaft Junge Menschen wissen, welche Themen nicht nur für sie selbst, sondern von grundsätzlicher und gesellschaftlicher Bedeutung sind. a) Generationsübergreifende Verständigung Die Verbindung zwischen persönlichen und gesellschaft­ lichen Themen scheint in besonderem Maße für die ­P rojekte zu gelten, die das Thema der generationsübergreifenden Verständigung (Schwerpunkt „Kultur von Jung und Alt“) bearbeiten. Bei vielen der prämierten Projekte wird dabei

22 Die aktuelle Studie der BITKOM (2011) bestätigt den Wunsch vieler junger Menschen (84 Prozent), Medien verstärkt in Schulen einzusetzen.


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über die inhaltliche Auseinandersetzung zu allgemeinen Themen bzw. Fragestellungen, die Kommunikation und die gegenseitige Verständigung zwischen Jung und Alt gefördert und ermöglicht. Projektbeispiele

// Als das Wasser kam ist eine Hörspielwerkstatt, in der Jugendliche und Senioren/-innen ins Gespräch über ihre stark vom Kohlebergbau geprägte und damit auch über ihre sich in Transformation befindliche Heimat kommen. // Was kommt – was bleibt ... ein Dialog ist ein foto­ literarischer Wettbewerb, bei dem sich Jugendliche und ältere Menschen mit dem Zukunft auseinander setzen. Eine abschließende Ausstellung hat dem generationsübergreifenden Dialog zusätzlichen Raum gegeben. // Tanztheater der Generationen ist ein Schauspiel, das von Jung und Alt entwickelt wurde und die gegenseitige Wahrnehmung der Generationen zum Thema hatte. Über das Tanzstück entwickelte sich ein generationsübergreifender Austausch, der auf der Bühne mit dem Leben der Teilnehmer/-innen große Ähnlichkeiten aufweist.

b) Klima/Umweltschutz Das Thema „Klimaschutz/Umwelt“ erlebt beim PlusPunkt KULTUR eine Renaissance und wirkt in neuer Form und Gestalt. Zwar finden sich unter den 90 prämierten Projekten insgesamt nur die beiden unten aufgeführten mit konkretem Umweltbezug, was an der vermeintlichen Ferne zwischen den Themen „Ökologie und Kultur“ liegen mag. Tendenziell wurden in der zweiten und dritten Runde des Wettbewerbs mehr Projekte mit einem Umweltbezug eingereicht. Die beiden beim PlusPunkt KULTUR prämierten Projekte zeichnen sich einerseits durch ein ausgefeiltes, kreatives und hoch ambitioniertes Ausstellungskonzept sowie andererseits durch eine moderne, gleichwohl dezentrale und dem Guerilla-Marketing nahe liegende Form der Umsetzung und Ausbreitung aus.

Projektbeispiele

// Klimatisiert, ein Projekt von Studenten/-innen der Fachhochschule Potsdam, macht auf die Möglichkeiten des Umweltschutzes und Vorbilder vor Ort, mittels einer künstlerisch hochwertigen Ausstellung aufmerksam. // Guerilla Gardening Total: „Grüne Saatbomben“ kommen ungefragt auf Brachflächen zum Einsatz und zielen auf die grüne, städtische Rückeroberung, bei der es auch um die Frage und Auseinandersetzung nach der Nutzung öffent­licher Brachen geht. Das Projekt ist Ausdruck einer neuen Bewegung, die die Lust an der Naturbegegnung im Sinne des „Think global – act local“ im urbanen Raum lebt.

c) Medienkompetenz Junge Menschen wachsen in einer medialisierten Welt auf, in der sich non-virtuelle und virtuelle Realität verbinden und ein dichotomes Weltbild obsolet machten. Fraglos hat dies Auswirkungen auf die Bedürfnisse, aber auch Formen von und Zugänge zu Kommunikation, Information, Wissen und Bildung. Offenkundig haben Einrichtungen und Schulen Nachholbedarf, wenn es um die Einbindung von Medien in deren Angebote und den Arbeitsalltag geht. Die Freiwilligen beim PlusPunkt KULTUR haben ein klares Signal gesendet: Ihnen sind Medien als Thema wie auch als Medium der Vermittlung von großer Bedeutung. Entsprechend haben die Freiwilligen den Schwerpunkt „Kultur und neue Medien/ Social Media“ als Partizipations-Thema für die dritte Wettbewerbsrunde gewählt. Ebenso finden sich beim PlusPunkt KULTUR zahlreiche medienbezogene Projekte an Schulen, die sehr häufig den Aspekt der Multiplikation aufgreifen. Ein weiterer Hinweis, dass das Thema eine größere Beachtung finden sollte, ist die hohe Popularität unter den institutionell ungebundenen Freiwilligen. Neben der allgemeinen Einbindung von Medien für die Projekt- und Öffentlichkeitsarbeit zieht sich der Aspekt „Vermittlung von Medienkompetenz“ wie ein roter Faden durch zahlreiche medienbezogene Projekte. Projektbeispiele

// Bei AG Computer Kids wird der datenschutzbewusste Umgang mit frei zugänglicher Software und Hardware vermittelt. Die jungen Projektmacher/-innen sehen in der gemeinsamen, kollaborativen Projektarbeit junger Menschen aus unterschiedlichen sozialen Milieus einen Schlüssel für mehr Innovation und Unternehmergeist in der Wissensgesellschaft. // Gut tun macht Schule greift die generationsübergreifende Arbeit im Rahmen von Schule auf und setzt sie mit dem Thema „Medien“ in Verbindung. Nach dem Motto „Jung hilft Alt“ und umgekehrt bieten Jugend­ liche Computerkurse für Senioren/-innen an, während die ältere Generation die jungen Menschen beim Lernen unterstützt. // Jugendmediencamp NordWest: Rund 100 Jugend­ liche werden jährlich in verschiedenen Workshops in die Kunst der Medien und des Journalismus eingeführt. // Filmprojekt Förderklasse und Ich will jetzt gleich König sein: In beiden Projekten werden Schüler/-innen von den Freiwilligen in die Planung und Techniken des Filmemachens eingewiesen. Unter Anleitung drehen die Schüler/. -innen in Eigenregie einen Kurzfilm/ein Musikvideo etc. Junges Engagement in der Kultur deckt gesellschaftliche Problemzonen auf und ist politisch! Das junge Engagement beim PlusPunkt KULTUR ist politisch. Die Freiwilligen mischen sich mit ihren Projekten ein, posi­ tionieren sich und möchten etwas bewegen und verändern.


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Die prämierten Projekte zeugen von einem Engagement, dem ein vitales Demokratieverständnis zu Grunde liegt und das grundsätzliche Demokratiefragen aufwirft. Besonders populäre Themen sind: a) Gegen Rechtsradikalismus Projektbeispiele

// Bei dem Projekt Demokratie! Auf! Die Ohren engagieren sich junge Freiwillige mit Konzerten und der Produktion einer Schulhof-CD gegen Rechtsradikalismus. Auch bei dem Projekt Havelsoundz steht die Produktion einer CD gegen Rechts im Fokus. // Stadt-Land-Fluss ist ein Musikfestival, mit dem sich die Freiwilligen zwar nicht unmittelbar gegen Rechts­ radikalismus richten, sie unterstützen aber das Anlie­ gen mittelbar, indem die Festivalerlöse regionalen Projekten gegen Rechtsradikalismus zu Gute kommen. // Das Musikfestival Heb’ deine Hand für Courage richtete sich ursprünglich gegen eine rechtsradikale Alltagskultur in Magdeburg. Heute wird das Projekt etwas breiter gefasst, indem es das Thema „Zivilcourage“ in den Vordergrund hebt. // f13 – Zukunft ist jetzt verfolgt das Ziel, junge M ­ enschen zur aktiven Gesellschaftsgestaltung zu befähigen. Das gesellschaftliche Raumlabor von f13 in Hamburg bot Infra­s truktur und inhaltliche ­S tarthilfe zugleich für gesellschafts­politische Aktivitäten mit viel Engagement.

b) Mobbing/Inklusion/Integration/Ausgrenzung Ein weiteres Themenfeld ist unter „Konfliktort Schule“ zusammenzufassen. Hierzu finden sich Projekte, die mehrheitlich dem Themenschwerpunkt „Mehr Kultur an Schule“ zuzuordnen sind und sich mit den Themen „Mobbing“ und „Ausgrenzung“ beschäftigen. Augenfällig häufig finden sich hierzu Projekte von Mädchen und jungen Frauen, die zudem einen weiteren Aspekt gemein haben: Das Kunsterlebnis wird mit einem daran anschließenden Dialog mit dem Publikum verbunden.

Projektbeispiele

// Im Abseits ist ein von jungen Schülern/-innen selbst g­ eschriebenes Tanztheaterstück, das sich dem Thema „Mobbing in Schulklassen“ annimmt und an verschiedenen Schulen aufgeführt wird. // Klassenfreundin – Klassenfeindin ist ebenso ein Tanztheaterstück, bei dem die unterschiedlichen Rollen der Jugendlichen in der Schule dargestellt und problematisiert werden (von der Anführerin bis zur Außenseiterin).

// Bei Freitag ist „Dienst-Tag“ gestalten die jungen Macher/-innen gemeinsam mit Schülern/-innen über das Theaterspiel eine Situation, die es ihnen ermöglicht, Konfliktsituationen aufzudecken, zu diskutieren und zu lösen. Weitere populäre Projektthemen, besonders zum Themenschwerpunkt „InterKultur“, knüpfen an problembehaftete Diskussionen im politischen Raum an, beispielsweise zum Thema „Integration und Ausgrenzung“. Die jungen Freiwilligen widmen sich dabei kunstvoll nicht nur der interkulturellen Verständigung größerer Kulturkreise, sondern auch der „rein innerdeutschen“ Ost-West-Vorurteilsproblematik. // KulturKids Nordstadt: Studierende der Universität Kassel begleiten als Mentoren und Paten junge Menschen mit Migrationshintergrund. Sie unternehmen mit ihnen kulturelle, soziale und sportliche Freizeitaktivitäten. // Theater der Schatten: Nach dem Motto „Wenn du über deinen Schatten springst, springst du immer ins Licht“ wird jungen Kontingentflüchtlingen über das Theatermachen eine Stimme gegeben und eine Form des sich Ausdrückens ermöglicht. // Graue Verpackung – bunter Inhalt: Schüler/-innen aus Grundschulen und einer Jugendfreizeiteinrichtung, die ­ihre ausländische Herkunft eint und zugleich trennt – kommen sie doch aus ganz unterschiedlichen Ländern – haben unter­s chiedliche Lebensbedingungen. Daraus ergeben sich ­g egenseitige Vorurteile, altersbedingte Konflikte und unterschiedliche Interessenslagen. Mit dem Medium Fotografie soll das alltägliche Leben im Kiez reflektiert und Einstellungen verändert werden. // (Inter-)kulturelles Ferienlager. Street-Art- und Theater-Werkstätten eröffnen den Teilnehmern/-innen Möglichkeiten, sich künstlerisch bildend mit Themen auseinander zu setzen, die ihre eigene Lebenswelt widerspiegeln: Identität, Perspektiven, Ausgrenzung oder Mitbestimmung. // Im Osten gibt’s keine Bananen: Zwei Schulklassen (aus Ost und West) begegnen sich und erhalten die Chance, mit Vorurteilen und Klischees zwischen Ost und West aufzu­r äumen.

c) Kommunikation und Begegnung mit, durch und über Kunst- und Kulturprojekte Kultur wohnt Kommunikation inne. Diesen Aspekt nutzen die jungen Preisträger/-innen häufig bewusst und spielerisch für ihre Projekte – unabhängig vom Themenschwerpunkt. Im Fokus steht weniger die Kommunikation über oder in der Begegnung mit Kultur als vielmehr die Vermittlung, beispielsweise der Lebenssituation und -einstellungen anderer Menschen über die persönliche Begegnung. Ausgangspunkt ist dabei immer, ein gemeinsames Projektziel zu entwickeln und es unter gemeinsamer Anstrengung zu


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erreichen. Dies schließt den Aspekt der „Begegnung“ ein, was bedeutet: Unterschiede aufzudecken und wertzuschätzen, aber auch Gemeinsamkeiten und Bindendes zu identifizieren. Durch das Kennenlernen wird Fremdheit überwunden, gegenseitige Akzeptanz sowie Integration gefördert. Beim Schwerpunkt „Interkultur“ findet der Austausch von Erfahrungen, im Speziellen von Kulturprägungen, statt. Zu nennen sind hier:

Projektbeispiele

Zu nennen sind hier das bereits beschriebene Projekt TanzTheater der Generationen oder Dorf macht Oper/ ZwischenWelten, eine Opernwerkstatt der Generationen. Alt und Jung treffen aufeinander, tauschen sich aus und beschäftigen sich mit den Grundthemen der Oper „Orpheus und Eury­dike“. Laien und Profis arbeiten unter dem Motto „Dorf macht Oper!“ zusammen.

Projektbeispiele

// Die Kulturbotschafter möchten jungen Menschen über Workshops und Seminare Hintergründe zu verschiedenen Kulturthemen und Kulturinstitutionen vermitteln und sie zu Kulturbotschaftern/-innen ausbilden. // Zirkusstück „Ein Tag in Hamburg“: Dieses Projekt ermöglicht den Erfahrungsaustausch junger Künstler/­ -innen, die unterschiedlichste Kulturen und Kunstrichtungen ­r epräsentieren. // Kultürklinke: Jugendliche „tauschen“ für ein Wochenende ihre Familien, die aus verschiedenen Kulturen und Milieus stammen. // riddims for education: Das binationale Musikprojekt vertieft den Austausch zwischen Jugendlichen in den Projektländern, die sich gegenseitig über Musik und Film kennen lernen. Dabei ist die Musik das Medium, verschiedene soziale und ethnische Herkünfte miteinander zu verbinden. // We play and you learn: Dieses Projekt setzt die Idee um, dass Musik Brücken baut zwischen den unterschiedlichsten Musikrichtungen wie Electro und Metal, Folk und Pop, HipHop. Im Schwerpunkt „Kultur im Brennpunkt“ werden die kulturellen Ausdrucksweisen der jeweiligen Teilnehmer/. -innen zu Kommunikation und Verständigung genutzt, z. B.: Offenes Sonntagsangebot im Belmer Integrationsclub: In der Stadt werden über Jugendkulturangebote (Breakdance, HipHop) Kontakte zwischen Einheimischen und Einwan­ derern geknüpft. Tanzen verbindet: Ethnische Gruppen bleiben, trotz ge­mein­s amer Wohnsituation „im Brennpunkt“, unter sich. Häufig grenzen sie sich gegenseitig aus, diskriminieren sich aufgrund anderer Lebensverhältnisse, Traditionen und Sprachen. Ihnen gemeinsam ist der Tanz (z. B. Kurdische Folklore-Gruppe, Griechische Tanzgruppe, HipHop-Gruppe), sodass dieses Mittel der Verständigung aktiviert wird. Im Schwerpunkt „Jung und Alt“ findet Kommunikation auffällig oft über das gemeinsame Kunstmachen statt, wobei das musikalische Element offensichtlich genera­ tionsübergreifendes Interesse widerspiegelt und zu einem die Genera­tionen verbindenden Ansatz wird. Vielfach thematisieren generationsübergreifende Projekte auch den Schwerpunkt „Generationen“.

Kulturengagement für Schule entsteht meist aus Schule heraus „Mehr Kultur an Schule“: Die zu diesem Themenschwerpunkt eingereichten Projekte zeigen, dass kulturelles Engagement häufig aus der Schule selbst heraus entsteht: Schüler/­ -innen bzw. ehemalige Schüler/-innen werden – unabhängig von Schularten und Altersklassen – aktiv, um mit anderen an ihrer Schule kulturelle Vorhaben umzusetzen. Beim dritten Wettbewerbsdurchgang zeigte sich die Tendenz, dass viele Projekte an Schulen durch außerschulische Initiativen und somit über eine Kooperation zustande kommen. Im Allgemeinen regen die Projekte die teilnehmenden Schüler/-innen an, einen eigenen künstlerischen Ausdruck für bestimmte Themen zu finden und den Schulalltag mitzugestalten. Auffallend ist, dass Engagementprojekte an Schulen häufig Medien zur kreativen Gestaltung und Vermittlung nutzen und zugleich als Multiplikations- bzw. Bildungsprojekte angelegt sind. Projektbeispiele

// Comic-Stadtführer: Schulklassen der 7. und 8. Jahrgangsstufe erstellen im Rahmen eines Comic- und Mangakurses einen Comicstadtführer. // Club der Jungen Dichter ist ein literarisches Work­ shop­angebot für Schüler/-innen in Brennpunktschulen. // Backdoor/move@moor ist ein themenbezogenes und mit Schülerproduktionen bestücktes Kurzfilmfestival und Schulkino. // Bei Activity Acting Academy bringen im Schauspiel erfahrene Schüler/-innen den an Theater interessierten Schüler/-innen der Klassen 7 bis 9 die Schauspielkunst nahe. // Stimmen der Stadt ist ein Audio-Kunst-Projekt, bei dem Schüler/-innen in Kleingruppen Audiobeiträge mit dem Bezugspunkt Stadt entwickeln. // Junge Feuilletonisten ist ein Projekt, das sich dezi­d iert ohne Kooperation mit einer Schule von „von außen“ an Schülern/-innen richtet. Hier werden Schülerzeitungsredakteure/-innen in Workshops fortgebildet und dazu motiviert, sich stärker in ihren Schulzeitungen mit Kunst und Kultur zu beschäftigen.


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5. Get ready! Junges Engagement in Zeiten des Web 2.0 Die rasante Entwicklung digitaler Medien führt zu einer tief greifenden Veränderung der gesellschaftlichen Lebens­ welten. Das Web 2.0, das Internet und all seine Spielarten sind längst im Alltag junger Menschen angekommen. Hier entstehen neue Räume und Formen der Selbstorganisation, der Kommunikation, der Bildung und des informellen, non-formalen und formalen Lernens. Eine Vorstellung – hier die reale, dort die virtuelle Welt – ist obsolet. Wir erleben die Verquickung von non-virtueller und virtueller Realität. Das junge Engagement beim PlusPunkt KULTUR hat gezeigt, dass junge Menschen diese Realitäten leben und mit den Handlungs- und Interaktionsweisen der digitalen Welt vertraut sind. Ihnen liegen Prinzipien zu ­Grunde, wie Offenheit, Vernetzung, Kooperation, Kommunikation auf Augenhöhe und Möglichkeit zur Partizipation. Die ­Evaluationsergebnisse sowie die Erfahrungsberichte der jungen Menschen wiesen hierzu Parallelen auf.

5.1 „Jugend für Jugend“ als wichtiges Leit- und Lernprinzip Was das „Peer-to-Peer“ virtueller Tauschbörsen ist, ist „Jugend für Jugend“ im jungen Engagement. Unabhängig von den gewählten Themenschwerpunkten richten sich die meisten Projekte an die junge Zielgruppe, die eigene Peergroup. Der entscheidende Impuls, dass sich junge Menschen von ihresgleichen ansprechen und motivieren lassen, ist die Identifikation mit der eigenen (Jugend-)Kultur bzw. dem Ausleben ähnlicher Talente in der Peergroup. Dies trifft in besonderem Maße auf die Kunstsparten Musik, Medien, Tanz und Graffiti zu.

„Jugend für Jugend“ ist demnach ein zentrales Leit- und Lernprinzip der PlusPunkt-KULTUR-Preisträger. Diese Form des jungen Engagements schließt höchst mögliche Partizipation, professionell-authentische Anleitung und eine Begegnung auf Augenhöhe mit viel Offenheit für die Bedürfnisse und Interessen der Projektteilnehmer/-innen ein. Die Projekte gehen häufig darüber hinaus und setzen auf Multi­ plikation und Mentoring. Das heißt, viele Engagierte beim PlusPunkt KULTUR möchten ihrer Peergroup Wissen vermitteln, damit sie ähnliche Projekte in Eigenregie planen und durchführen kann.


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Zentrale Voraussetzung hierfür ist ein hohes Maß an Kompetenzen auf Seiten der jungen Freiwilligen: von den konkreten künstlerischen Fähigkeiten über Vermittlungsfertigkeiten, Organisations- und Kommunikationskompetenzen bis hin zu der Frage, wie sie andere Jugendliche motivieren und begeistern können. Für diese Transfer- und Vermittlungsarbeit braucht es Kompetenzen in der Anleitung und Führung von Gruppen. Die große Popularität des Workshops „Erfolgreiche Gruppenkommunikation“ im Rahmen der Kreativwerkstätten unterstreicht, dass entsprechende Bedarfe gegeben sind und eine partizipative Einbindung von Freiwilligen lohnenswert ist. „Erfolgreiche Gruppenkommunikation“ wurde auf expliziten Wunsch der Freiwilligen in das Programm aufgenommen. Auffallend ist zudem: Zahlreiche ­Multiplikationsprojekte setzen bei der Umsetzung auf (neue) Medien. Projektbeispiele

// Bei Demokratie! Auf! Die Ohren (Musik) engagieren sich junge Freiwillige mit Konzerten und der Produktion einer Schulhof-CD gegen Rechtsradikalismus. // Poeground – ohne Zucker! (Poetry Slam) fordert die junge Slam-Szene in Fulda zu verbaler Wortakrobatik und wage­mutiger Performance heraus und bietet ihr hierfür ­eine Plattform. // Independent Music Vibes (Gesang, Rap, Tanz, Graffiti und Multiplikation) ist unter dem Motto [connects!] ein ­Talent-Förder-Projekt für Jugendliche und junge E­ rwachsene in den Sparten Musik, Rap, Gesang, Graffiti.

// Zirkusstück „Ein Tag in Hamburg“ (Zirkus/HipHop): Junge Menschen lernen, Artistik und Rap zu verbinden, um ein selbstgeschriebenes Zirkus-Stück aufzuführen. // YOUNG GENERATION Wedding (Streetdance, Oriental ­HipHop, Breakdance): Mit dem „Kultur-Pass für Weddinger Kids“ qualifizierte junge Freiwillige des Berliner Brennpunktkiezes geben als Trainer/-innen ihre TanzErfahrungen in schulischen wie außerschulischen Kursangeboten an ­ihre Peergroup weiter. // Social Scouts (Mentoring): Über ein Jahr begleiten Studenten/-innen als Social Scouts in wöchentlichen Treffen ein Kind der 5. oder 6. Schulklasse. // Jugendmediencamp Nordwest (Medien + Multiplikation): Rund 100 Jugendliche werden jährlich in verschiedenen Workshops in den künstlerischen Umgang mit Medien oder das Handwerk des Journalismus eingeführt. // KulturKids Nordstadt (Mentoring): Studierende der Universität Kassel begleiten als Mentoren / Paten ­junge Menschen mit Migrationshintergrund. Sie unternehmen mit ihnen kulturelle, soziale und sportliche Freizeitaktivitäten. // Junge Feuilletonisten (Medien und Multiplikation): J­ unge Schülerzeitungsredakteure/-innen werden im Bereich Feuilleton von jungen Freiwilligen fortgebildet, um sie für eine verstärkte Beschäftigung mit Kunst und Kultur in ihren Schulzeitungen zu motivieren und zu qualifizieren.


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5.2 vernetzung ausdrücklich erwünscht Netzwerke in all ihren Ausprägungen – seien es soziale, berufliche oder auch kommunikative – haben für uns alle an Bedeutung gewonnen, auch für den Engagementbereich. Zwar ist die Anbindung an Einrichtungen weiterhin relevant, hat aber in Form des klassischen Ehrenamts oder der Mitgliedschaft an Attraktivität verloren. Junge Menschen müssen heute mobil und flexibel sein. Entsprechend flexibel, fluktuativ und kurzfristig ist das junge Engagement in der Kultur. Unter diesen Voraussetzungen gewinnt für junge Menschen die Netzwerkbildung an Bedeutung. Gut vernetzte Freiwillige können – ortsunabhängig und zeitnah – auf Informationen, Wissensgrundlagen sowie Mobilisierungs- und Resonanzerzeugungsinstrumente kostengünstig zurückgreifen und für ihr Engagement einsetzen. Tatsächlich ist unter den Freiwilligen des PlusPunkt ­K ULTUR ein ausgesprochen vitales Vernetzungsinteresse festzustellen. So wurden von der Organisation des PlusPunkt ­K ULTUR explizit Vernetzungs- und Austauschmöglichkeiten eingefordert. Entsprechend offen, kooperativ und aktiv ­haben die Freiwilligen die Vernetzung untereinander und mit dem Projektbüro gesucht. Mit Erfolg: Die in Kreativwerkstätten entstandenen Kontakte haben zu weiteren Projekten und zur Fortführung des Engagements geführt. Reale Kontakt- und Austauschmöglichkeiten sind notwendig Auf den ersten Blick bieten sich soziale Netzwerke wie Face­ book, Twitter oder StudiVZ als ideale Instrumente dieser notwendigen Vernetzung an. Die Erfahrungen des PlusPunkt KULTUR zeigen jedoch: Eine dauerhafte und schlagkräftige Vernetzung sowie ein sich daraus entwickelndes Engagement sind ohne reale Kontakt- und Bezugsmöglichkeiten äußerst unwahrscheinlich. Vernetzung, vor allem die digitale Vernetzung, braucht meist eine persönliche Beziehungsebene zwischen den Akteuren. Gerade die Kreativwerkstätten haben hierfür Elementares geleistet. Dort konnte jene Kontaktqualität zwischen den Prämierten aufgebaut werden, die für weitere Austausch- und Vernetzungsprozesse notwendig waren. Vernetzung und Kommunikation über soziale Netzwerke sind Pflicht und nicht Kür Trotz der Bedeutung einer realen Bezugskomponente, sind soziale Netzwerke ungemein wichtig. Die aktuellen Zahlen verschiedener Studien belegen den hohen Nutzungsgrad sozialer Netzwerke der Zielgruppe.23 Hier hält sich die junge

Generation auf, tauscht sich aus, informiert sich und entwickelt ihre eigene (Jugend-)Kultur mit. Wer daher junge Menschen verstehen und mit ihnen auf Augenhöhe in Austausch treten möchte, muss dort präsent sein und die Kultur der sozialen Netzwerke verstehen lernen. Soziale Netzwerke sind aber auch für die professionelle Arbeitswelt von großem Nutzen. Hier ist der regelmäßige Austausch mit und der Erstkontakt zu bis dato unbekannten Personen möglich, was u. a. die Ansprache und Zusammenarbeit in der Realität deutlich erleichtert. Durch die virtuellen „Vorkommunikationen“ setzt man bei seinem real unbekannten Gegenüber nicht bei null an. PlusPunkt KULTUR hat folgende Erfahrungen mit sozialen Netzwerken – und konkret mit Twitter, SchülerVZ, Facebook und einer eigenen Mixxt-Community – gesammelt: Fischen, wo die Fische sind! Angesichts der Versprechungen sozialer Netzwerke liegt der Gedanke, eine eigene Community aufzubauen, nahe. Die meisten der 16- bis 29-Jährigen verfügen bereits über einen Account bei Facebook oder anderen Netzwerken. Die Chancen für die Etablierung einer eigenen Community sind bei gleichzeitig erheblichem zeitlichen und finanziellen Aufwand eher gering. Eine eigens erstellte Mixxt-Community für die PlusPunkt KULTUR-Interessierten wurde daher wieder geschlossen. Es ist daher ratsam, dort zu fischen, wo die Fische schon sind – beispielsweise bei Facebook – immer auch im vollen Bewusstsein über die damit eingehenden Datenschutzproblematiken. Bei Facebook sind mittlerweile zahlreiche Verbände und Einrichtungen aus dem kulturellen Sektor vertreten und ermöglichen eine vielversprechende Vernetzung. Twitter und Facebook In der Praxis haben sich besonders Twitter und Facebook bewährt. Twitter eignete sich primär für den Informationsaustausch mit der Fachwelt. Prämierte des PlusPunkt ­K ULTUR waren dort hingegen kaum aktiv. Facebook bot gerade für die Kommunikation und Zusammenarbeit der Freiwilligen eine wichtige Plattform. Hilfreich waren hier die Möglichkeiten des Feedbacks, der Beobachtung und des Informa­ tionsaustausches. Sichtbar wurde daher, wie geschickt und ausgiebig die junge Generation die Kommunikation 2.0 in den sozialen Medien nutzt, um beispielsweise ihr Projekt bekannt zu machen.

23 Studien untersuchen das Mediennutzungsverhalten von Kindern bzw. Jugendlichen und stellen bei diesen einen hohen Nutzungsgrad von Online Communities fest: vgl. JIM- und KIM-Studie 2010, Busemann/Gscheidle 2010, van Eimeren/Frees 2010.


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5.3 Kultur als Event – junges Engagement sucht die Öffentlichkeit Preisträger/-innen suchen über ihre Projekte gezielt die Ö ­ ffentlichkeit und wollen ein breites Publikumsspektrum erreichen. Angestrebt werden zumeist Events (wie Festivals und Konzerte), in Teilen aber auch dauerhafte Präsentationen. Das Anliegen, eine möglichst große Öffentlichkeit zu gewinnen, korreliert mit den in der Evaluation genannten Zielen der Freiwilligen: Wer auf eine Sache aufmerksam machen, etwas bewegen und verändern möchte, braucht Öffentlichkeit und öffentliche Aufmerksamkeit. Aber auch die Einrichtungen haben ein großes Interesse an mehr Öffentlichkeit. Diese steht für positive Effekte, wie mehr Anerkennung, Wertschätzung, die Erschließung neuer Besucher- und Zielgruppen und eine leichtere Rekrutierung des Nachwuchses. Nicht verwunderlich ist, dass die jungen Freiwilligen auch dazu besonders intensiv die neuen Medien nutzen. Das Web 2.0 erlaubt nicht nur eine kostengünstige und über soziale Netzwerke direkte Informationsverbreitung mit hoher Resonanzfähigkeit, sondern auch die Möglichkeit, selbstbestimmt Beziehungen und ein eigenes Image über digitale Kommunikation und Vernetzung aufzubauen. Projekte wie die eben beschriebenen Festivals „plattform“ oder Papergirl haben darüber sehr erfolgreich und kostengünstig ihren Weg in die Öffentlichkeit und die Netzwerke gefunden.

Projektbeispiele

// Kulturfestival „plattform“ – vereint im zweitgrößten Leerstand der Stadt Wilhelmshaven Musik, Kunst, Theater, Film und Literatur, um einen gemeinsamen Spielraum für neue Ideen und Projekte zu verwirklichen und geht der Frage nach: Was ist denn eigentlich möglich an einem Ort, von dem sonst nichts zu erwarten ist? // Das Papergirl Festival ist ein Kunstprojekt mit Aus­stellung, Workshop, Camp/Symposium und ­Verteil­-. aktion, das kreativen Austausch, Diskurs und Vernetzung fördern soll. Kunstwerke als „Zeitungsrollen“ verschnürt, werden von Fahrrädern aus an Passanten/­ -innen in Berliner Brennpunkt-Kiezen willkürlich verschenkt. Auch hier wird Kunst auf andere Weise als ü­ blich in die Öffentlichkeit gebracht: Menschen werden überrascht und in ihrem Alltag mit Kunst in Kontakt ­gebracht. // Stadt, Land, Fluss – ein Musikfestival, aus dessen Erlös Bildungsprojekte in der direkten Umgebung gefördert werden sollen. // unARTich aus Potsdam bietet Künstlern/-innen eine Möglichkeit, ihre Kunst der Öffentlichkeit zu präsen­ tieren und Netzwerke aufzubauen. // Wilde Style ist ein Musik- und Tanzprojekt, das RapPoeten und Bewegungsakrobaten zusammenführt und in einem integrativen Festival gipfelt.


Z i e l e r r e i ch t ? W a r u m d e r P l u s P u n k t K ULTUR e i n P l u s P u n k t f ü r j u n g e s E n g a g e m e n t i s t _ 3 9

6. Ziel erreicht ? Warum der PlusPunkt KULTUR ein PlusPunkt für junges Engagement ist Die Frage kann schnell beantwortet werden: Ja, in den meisten Fällen wurden die Ziele und Erwartungen sogar über­ troffen. Die Zusammenarbeit von Einrichtungen und Freiwilligen, aber auch die Teilnahme am Wettbewerb war für alle Beteiligten förderlich.

6.1 PlusPunkte für die Einrichtungen Die Einrichtungen haben durch Projekte und die Freiwilligen neue Zielgruppen und Besuchergruppen ansprechen und gewinnen können. Sie haben eine positivere Außenwahrnehmung erreicht, wodurch sie sich in ihren Zielen gestärkt sehen. Der Impuls und Ideenreichtum der Freiwilligen bei der Entwicklung neuer Projekte hat zudem das Angebotsspektrum der Einrichtungen erweitert, was wiederum deren Attraktivität vor Ort gesteigert hat. Nicht zuletzt haben die Einrichtungen und das Personal vom Know-how und der Innova-

24 Vgl. BKJ 2011, S. 36ff.

tionskraft der Freiwilligen profitiert. Der Erfahrungs- und Wissenstransfer verlief daher nicht einseitig von den Einrichtungen zu den Freiwilligen, sondern auch umgekehrt.24 Für einzelne Einrichtungen wirkte die PlusPunkt-KULTURAuszeichnung als Türöffner in die städtischen Verwaltungen und erleichterte den Aufbau neuer Kontakte und ­Kooperationen vor Ort.


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6.2 PlusPunkte für die Freiwilligen Die Freiwilligen haben von ihrem Engagement und der Auszeichnung vielseitig profitiert. In den Einrichtungen standen ihnen die Infrastruktur, fachliche Begleitung und Know-how, Netzwerke, Raum und Personal zur Umsetzung ihrer Projekte zur Verfügung. Die Einrichtungen waren für die Freiwilligen wichtige „Letztinstanz“ im Sinne eines Ratgebers und Motivators, was nicht selten wesentlich zum Erfolg des Projektes beitrug. Besonders positiv heben die Freiwilligen die fachliche Expertise und Ansprechbarkeit der Einrichtungsvertreter/-innen hervor. („Sie war immer ansprechbar, wenn ich sie brauchte“, sagen 69,5 Prozent der Jugendlichen). Der Erfahrungshintergrund von Einrichtungen und die Unterstützung der Freiwilligen durch das hauptamtliche Personal sind daher ein wichtiger Bestandteil des gelungenen Engagements. Persönlich war auch für die Freiwilligen die Beteiligung am Wettbewerb ein Gewinn. Die durch ihr Engagement gewonnenen Kompetenzen und Erfahrungen sind umfassend. Genannt werden Fachwissen, Durchsetzungskraft, Erlernen von Organisationsabläufen, Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen, Zielstrebigkeit, konzentriertes Arbeiten und Fähigkeit zur Koordination etc. als wichtige „PlusPunkte“ ihres Engagements. Überdeutlich ist die Freude an der Erfahrung

25 Vgl. ebd., S. 33ff.

und der Selbstwirksamkeit, wenn das Projekt gelungen ist und von der Öffentlichkeit, der Zielgruppe und der Einrichtung anerkannt wurde.25 Für die Freiwilligen sind die Auszeichnung und die damit verbundenen Erfahrungen, Kontakte und Kompetenzgewinne eine besondere Form der Anerkennung. Das Preisgeld hat die Umsetzung einiger Projekte überhaupt erst ermöglicht, insgesamt aber immer erleichtert und Spielraum für mehr Kreativität und Qualität eröffnet. Im Rahmen der Kreativwerkstätten wurden den Freiwilligen wiederum wichtige Fachkompetenzen zur erfolgreichen Projektumsetzung an die Hand gegeben und die Vernetzung zu Gleichgesinnten ermöglicht, aus denen die Freiwilligen weiteren Nutzen für ihre Projekte und darüber hinausgehende Aktivitäten gezogen haben. Die Auszeichnung des PlusPunkt KULTUR war ­damit in der fachlichen wie auch der persönlich-vernetzenden Dimension für die Verstetigung des jungen Engagements in der Kultur von Bedeutung.


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6.3 PlusPunkte für die Gesellschaft Auch die Gesellschaft profitiert von den gesammelten Erfahrungen. Das Engagement geht weiter. So haben über 40 Prozent der befragten Jugendlichen nach Projektabschluss angekündigt, dass es ein Nachfolgeprojekt geben wird. Über 70 Prozent wollen sich auch weiterhin in anderer Form engagieren. Dies unterstreicht die Erkenntnis aus anderen Studien, dass erfolgreiches, selbstwirksames Engagement selbst verstärkend wirkt und die Bereitschaft zu einem weiteren Engagement steigt. Ein weiterer Hinweis auf die potenzielle Verstetigung des Engagements ist der hohe Anteil von Freiwilligen (87 Prozent), die noch drei Monate nach Beendigung des Projektes in Kontakt mit den Einrichtungen stehen. Die Zahlen verweisen also darauf, dass unsere Gesellschaft vom Engagement potenziell profitiert und die Ideen, Lösungsansätze und Vorstellungen der Freiwilligen in die Gesellschaft ausstrahlen und auf sie einwirken. PlusPunkt KULTUR hat sich als zukunftsfähiges und überzeugendes Förderkonzept für die zeitgemäße Förderung und Verstetigung des jungen Engagements erwiesen. Es

ist gerade die Kombination aus Preisgeld, Qualifizierung, Vernetzung, Begleitung und Kommunikation, die von den jungen Menschen als glaubwürdige Form der Anerkennung wahrgenommen und akzeptiert wurde. Wettbewerbe wie der PlusPunkt KULTUR können daher auch als Gradmesser für die Bedürfnisse und die Interessen junger Menschen betrachtet werden, deren Potenzial für eine alternde Gesellschaft nicht verschenkt werden darf. Sie sind wichtige Wegweiser der Jugendpolitik und zeigen auf, wohin junges Engagement führen kann, wo abgesichert und wo unterstützt werden muss. Junges Engagement beim PlusPunkt KULTUR lebt der Gesell­ schaft eine kreative, selbstorganisierte, integrierende und vernetzte Denk- und Handlungsweise mit viel Innovationspotenzial vor. Das junge Engagement zeigt der Gesellschaft ihre Problemfelder auf und bietet Bewältigungs- bzw. Lösungsstrategien an. Von den Ideen, dem Wissen und den ­Erfahrungen kann unsere Gesellschaft nur profitieren.


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7. Junges Engagement auf dem Weg in eine neue Dekade ! 7.1 Rahmenbedingungen für junges Engagement in der Kultur Aus den Ergebnissen der Evaluation und der Erhebungen durch das BKJ-Projektbüro lassen sich folgende zentrale Rahmenbedingungen für gelingendes und erfolgreiches Projektengagement ableiten: 1. Einrichtungen ... sind für die Nachhaltigkeit des jungen Engagements in der Kultur von zentraler Bedeutung. Hier werden die Ressourcen für ein erfolgreiches Engagement vorgehalten wie: Infrastruktur, Fach- und Personalressourcen, Raum, Zeit und Netzwerke. Einrichtungen sind elementare Letztin­-. ­s ­tanz und doppelter Boden für junge engagierte Menschen. Einrichtungen sind aber auch für den Erstzugang zum Engagement von größter Bedeutung. Fast jede/-r Preisträger/-in beim PlusPunkt KULTUR knüpft an Erfahrungen aus einem, meist nicht-selbstverantwortlichen Vorengagement in Vereinen, Einrichtungen etc. an. Das heißt: Ohne Einrichtungen – kaum Vorengagementerfahrungen – kaum selbstverantwortliches Engagement. 2. Persönliche Begleitung Junges Engagement ist häufig selbstorganisiert und wird eigenverantwortlich durchgeführt. Dennoch braucht es zur Letztabsicherung kompetente Ansprechpartner/-innen, sei es das Personal in Einrichtungen oder auch das persönliche Netzwerk, das die jungen Menschen bei ihrem Projektengagement begleitet. Wie wichtig die Betreuung und Ansprechbarkeit durch „Beratende“ für die Freiwilligen sind, hat die Evaluation festgestellt. Kompetentes Personal ist aus einem anderen Grund noch wichtig: Es wirkt entscheidend auf die persönlichen Erfahrungen und den Kompetenz­gewinn der Freiwilligen ein und nimmt damit Einfluss auf den Zugewinn an (Fach-)Kompetenzen sowie die Qualität der Anerkennung und das Gefühl der Selbstwirksamkeit unter den Freiwilligen. Kompetentes Personal ist daher ein Basisfaktor für erfolgreiches Projektengagement. 3. Auszeichnungen/Preisgelder sind wichtig für Anerkennung, Qualität und Freiräume Ein Preisgeld ist willkommen, in manchen Fällen sogar notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche Projektumsetzung. Für einige Projekte war das Preisgeld der Kickstart,

für andere eröffnete es notwendige Spielräume für mehr Qualität und Kreativität. Auszeichnungen, gerade in der Kombination aus Preisgeld, zeitgemäßer Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit, Beratung und Möglichkeiten der Qualifizierung, Vernetzung und Partizipation, sind für Freiwillige eine besondere Form der Anerkennung und steigern deren Motivation und Kompetenz für ein weiteres Engagement. 4. Partizipation und Vernetzung = Motivation und Nachhaltigkeit Möglichkeiten zur Partizipation und Vernetzung motivieren und zeigen Bedarfe auf. Beim PlusPunkt KULTUR finden sich zahlreiche Hinweise26 darauf, dass sich junge Menschen beides wünschen, einfordern und leben. Partizipation und Vernetzung verweisen dabei auf wichtige Prinzipien des Web 2.0, die junge Menschen in ihrer real-virtuell vernetzten Lebenswelt selbstwirksam erleben. Diese sollten in ihrer Relevanz von der klassischen Anbieterseite erkannt und entsprechend gefördert werden. Echte Partizipation und Vernetzung – seit vielen Jahren eine Forderung der institutionalisierten Interessensvertreter von Kindern und Jugendlichen – müssen heute im Kontext von Anerkennung, Nachhaltigkeit und Verstetigung begriffen und in den Einrichtungen nachhaltig verankert werden. 5. Zeitgemäße Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit Für zahlreiche Freiwillige und Einrichtungen ist die erfolgreiche Herstellung von Öffentlichkeit bzw. öffentlicher Aufmerksamkeit mehr wert als die Tatsache Preisträger/-in zu sein. „Öffentlichkeit“ ist in mehrfachen Sinn wichtig: Sie lenkt Aufmerksamkeit auf das Projekt und damit potenziell auch mehr Besucher/-innen, Zuschauer/-innen oder Teilnehmer/­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­. -innen zum Projekt – sie erleichtert die zunehmend wichtiger werdende Suche nach Sponsoren oder anderen Förde­ rern und Geldgebern. Mehr Öffentlichkeit macht aber auch das Anliegen oder den Modellcharakter des Projektes bekannt, was ein besonderes Anliegen der Preisträger/-innen war und für die Freiwilligen zugleich mit mehr (öffentlicher) Anerkennung und dem Gefühl der Selbstwirksamkeit verbunden ist. Entsprechend öffentlichkeitswirksam und eventorientiert sollte das Engagement konzeptioniert und

26 Hinweise sind: Die Popularität der Partizipations-Themenschwerpunkte, das positive Feedback auf die Möglichkeit, konzeptionell Einfluss beim PlusPunkt KULTUR nehmen zu können, der hohe Anteil partizipativ angelegter Engagementprojekte, die das Leit- und Lernprinzip „Jugend für Jugend/ Multiplikation“ verfolgen, der große Wunsch nach Vernetzung und Austausch.


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umgesetzt werden. Neben der klassischen Öffentlichkeitsarbeit haben vor allem interaktive Social-Media-Netzwerke an Bedeutung gewonnen. Hier passiert weit mehr als nur Informationsaustausch. Es geht um eine Begegnung auf Augenhöhe, um das Verstehen und Mitleben der medialisierten Kommunikations- und Lebenswelt und nicht zuletzt geht es auch um Identität, Beziehungs- und Imagepflege sowie Bedeutungszuweisungen in der heutigen Welt – digital-real.

Der Schlüssel des Erfolgs und der Wirkung ist dabei zunehmend von der Fähigkeit zum Aufbau und von der Einbettung in resonanzstarke (Social-Media-)Netzwerke abhängig. Eine zeitgemäße Kommunikation ist daher, gerade für Projekte mit einer jungen Zielgruppe, ein wichtiger Öffentlichkeits- und damit Erfolgsfaktor. Web 2.0 ist nicht Kür, sondern Pflicht.

7.2 Kulturelle Bildung und Engagement sind Zukunft Eine Gesellschaft im Jahr 2020 ist ohne Kultur und Engagement als zentrales, gesellschaftsintegrierendes Moment nicht denkbar. Zu groß sind die anstehenden Herausforderungen, denen wir uns als Gesellschaft stellen und auf die wir junge Menschen vorbereiten müssen. Kulturelle Bildung und Engagement haben das Potenzial, die Forderungen genauso wie die Wünsche und Bedürfnisse von Jung und Alt, von Gesellschaft im Allgemeinen und von Politik, Einrichtungen und Organisationen, aber auch von privatwirtschaftlichen Unternehmen im Besonderen einer konsens- und unterstützungsfähigen Lösungsperspektive zuzuführen. Sie bieten wichtige Freiräume des persönlichen Ausdrucks und der kreativen Gestaltung und geben Impulse für eine selbstbewusste und selbstbestimmte Lebensgestaltung. Für viele Menschen bieten Kulturelle Bildung und Engagement attraktive Betätigungs- und Erfahrungsfelder. Hier bringen sie sich gesellschaftlich und gesellschaftspolitisch ein. Sie übernehmen Verantwortung, geben Impulse, fördern den Wissenstransfer, vernetzen sich und kooperieren miteinander und identifizieren letztendlich aktuelle wie zukünftige Problemlagen der Gesellschaft an deren Lösung sie sich proaktiv beteiligen. Fraglos eignen sich dabei zentrale Kompetenzen wie Selbstverantwortlichkeit und Eigeninitiative an und erleben in hohem Maße das Gefühl von Selbstwirksamkeit. Wie PlusPunkt KULTUR gezeigt hat, werden Jung und Alt genauso wie Menschen mit und ohne Migrationshintergrund integriert, für Neues motiviert und gemeinschaftliches Handeln erfahrbar gemacht. Kulturelle Bildung und Engagement leisten damit einen wichtigen Beitrag für mehr Bildungsgerechtigkeit und soziale Integration sowie Offenheit und Toleranz. Dies sind wichtige „Zutaten“ für die Förderung und Entwicklung kultureller Vielfalt und Identität. Engagement in der Kultur leistet somit Außerordentliches, werden doch persönliche, partikulare und gesamtgesellschaftliche Interessenslagen miteinander gewinnbringend verbunden. Und hier, an den zahlreichen Orten der Kulturellen Bildung und des Engagements, ist der breitenwirksame Aufbau jenes individuellen sozial-gesellschaftlichen Kapi-

tals möglich, das den Boden bereitet für eine sozial-inte­ grative, gerechte Chancen- und Wissensgesellschaft 2020, mit einer starken Zivilgesellschaft. Eine nachhaltig gestaltende Politik wird daher die Zukunftspotenziale der Kulturellen Bildung und des Engagements fördern. Aus den Erfahrungen des PlusPunkt KULTUR lassen sich dabei folgende Forderungen für das kulturelle Engagement ableiten: 1. Einrichtungen sind eine zentrale Voraussetzung für junges Engagement und eine politische Pflichtaufgabe! Egal, ob das kurzfristige, projektbezogene Engagement beim PlusPunkt KULTUR oder das verbindlichere Engagement im Rahmen eines FSJ Kultur: Den Rahmen von Kultureller Bildung und Engagement bilden die Infrastrukturen; es sind die Einrichtungen der Kulturellen Bildung und der ­J ugend-, Bildungs- sowie Kulturarbeit vor Ort. Sie haben ­eine Vitalfunktion. Eine nachhaltige und zukunftsorientierte Politik muss diese Infrastrukturen als eine zentrale Voraussetzung für Engagement anerkennen und fördern. 2. Kurzfristige Engagementangebote weiter ausbauen! Angesichts der gesellschaftlichen Flexibilisierungs- und Mobilitätsanforderungen, die Engagement zusehends erschweren, braucht es flexible und vielfältige Engagementformate und -angebote. Hierfür sind Geldgeber und Einrichtungen zu gewinnen! Engagementwettbewerbe in der Konzeption des PlusPunkt KULTUR sind für den Bund wirkungsvolle Instrumente für eine zeitgemäße Engagementförderung, bei der Nachhaltigkeit und Innovation kein Widerspruch sind. Gerade mit Blick auf eine starke Jugendarbeit ermöglichen sie dem Bund wichtige Themen und Handlungsfelder, wie etwa den demografischen Wandel, den hohen Engagementbedarf sowie Wege zu mehr Partizipation, mit einem hohen Bezug zur medialisierten Lebenswelt der jungen Generation zu bearbeiten. Engagementwettbewerbe wie der PlusPunkt KULTUR motivieren zudem Einrichtungen und Freiwillige gleichermaßen für projektorientiertes Engagement und setzen eine Kultur der Anerkennung glaubhaft um. Die Förderung kurzfristiger


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Engagementformate darf jedoch nicht auf Kosten der Förderung bestehender Infrastrukturen gehen, sondern muss diese ergänzen. Denn Innovationen brauchen Strukturen – und umgekehrt! Eine nachhaltig angelegte Förderpolitik auf Ebene von Bund, Ländern und Kommunen eröffnet den zentralen ­Orten für Engagement – Einrichtungen der Kulturellen Bildung ­sowie der Jugend-, Bildungs- und Kulturarbeit – flexible Fördermittel und Gestaltungsspielräume, die eine zeitgemäße Format- und Programmentwicklung ermöglichen. 3. Anerkennung im neuen Jahrzehnt ist mehrdimensional und reduziert sich nicht auf ein Preisgeld! Eine lebendige und glaubwürde Anerkennungskultur muss weiterhin zentraler Bestandteil der Förderung des freiwilligen Engagements sein. Im neuen Jahrzehnt ist eine Kultur der Anerkennung mit Blick auf Nachhaltigkeit und Kurzfristigkeit eine Kombination aus finanzieller Unterstützung, Qualifizierung/Fortbildung, Austausch- und Vernetzung, Partizipation, zeitgemäßer Kommunikation und fachkompetenter Begleitung. Geldgeber wie Anbieter sind gleichermaßen aufgefordert, entsprechende Konzepte, Projekte und Formate zu entwickeln, zu fördern und sich für eine professionalisierte Anerkennungskultur einzusetzen. 4. Partner und Vermittler werden in einem Gestaltungsprozess! Junge Menschen für sich und die eigenen Angebote zu gewinnen heißt heute, mehr Möglichkeiten zur Partizipation und Vernetzung zuzulassen. Hier besteht Bedarf und sollte im Sinne der Jugendlichen, aber auch im Sinne einer nachhaltigen Engagementförderung aktiv unterstützt werden. Organisationen und Einrichtungen sollten sich verstärkt mit dem Sinn und den Möglichkeiten partizipativer und vernetzender Elemente in Programmen, Konzepten, aber auch der eigenen Arbeitsstruktur auseinander setzen. Partizipation und Vernetzung heißt, eine Begegnung auf Augenhöhe zu ermöglichen und junge Menschen als Partner in einem Gestaltungsprozess anzuerkennen. Dabei wird die Abgabe von Kontrolle teilweise nötig sein und sollte bei Organisationen und Einrichtungen mit zu einem neuen Rollenverständnis führen. Einrichtungen finden sich darin weniger als Macher und eher als Ermöglicher und Vermittler wieder! Auf der Habenseite werden stehen: Glaubwürdigkeit, hohe Akzeptanz, attraktive Angebote, größeres Netzwerk, Kompetenzgewinn, Innovationen und Nachhaltigkeit. Im neuen Jahrzehnt sind daher Vernetzung und Partizipation wichtige Katalysatoren für den Aufbau zukunftsfähiger Kapitalien von Organisationen und Einrichtungen. Hierzu zählen: Netzwerke, Kooperationen, Kontakte, Erfahrungen, Wissen und Räume für kreative Entfaltung und Freiheit. Eine nachhaltige Engagementförderung ist sich dieser Herausforderungen und Chancen bewusst. Geldgeber der öffentlichen genauso wie der privaten Hand machen sich

diese zu Eigen, indem sie Verbände und Einrichtungen der Kulturellen Bildung sowie der Jugend-, Bildungs- und Kulturarbeit bei der notwendigen strukturellen und konzeptionellen Anpassung fördern und partizipative und damit ergebnisoffene Konzepte akzeptieren. 5. Web 2.0/ Neue Medien: Kultureller Klimawandel und Querschnittsaufgabe! Die Auswirkungen des Web 2.0 /Neuer Medien sind kein kurzfristiges „Wetterphänomen“, sondern Teil eines „kulturellen Klimawandels“, der die Alltagskultur und Lebenswelt unserer Gesellschaft tief greifend verändert. Verbände und Einrichtungen haben bisweilen nur ungenügend auf diesen Wandel reagiert. Der „Alibi-Account“ bei Facebook reicht nicht aus. Die Herausforderungen der digitalen Welt sind als Querschnittsaufgabe in Programmen, Konzepten und Projekten zu verankern und die Chancen und Risiken zu reflektieren. Hierzu braucht es Qualifizierung, Kompetenz und Offenheit. 6. Unterstützer und Freiwillige qualifizieren und fördern! Die Begleitung und Motivation von Freiwilligen durch kompetentes Personal in Einrichtungen ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für eine nachhaltige Engagementförderung. Systematisierte und flächendeckende Bildungs- und Quali­ fizierungsmöglichkeiten für die Unterstützer sollten ­weiter ausgebaut werden. Wünschenswert ist eine qualitativ hoch­ wertige und vergleichbare Qualifizierung der hauptamtlich Tätigen. Besonderer Qualifizierungsbedarf ist dabei in folgenden Bereichen auszumachen: a) Netzwerkkompetenz – Austausch und Vernetzung zwischen den Anbietern aber auch mit der Zielgruppe, b) Medienkompetenz – Web 2.0 ist Pflicht und nicht Kür, c) Freiwilligenmanagement.


Junges Engagement auf dem Weg in eine neue Dek ade! _45

7.3 Fazit: Junges Engagement für eine stärkenorientierte Gesellschaft Angesichts der vieldimensionalen Herausforderungen, mit denen Politik und Zivilgesellschaft gerade im Engagementund Kulturbereich konfrontiert werden, wird deutlich: Es braucht eine Strategie zur Förderung von Kultureller Bildung und Engagement, die gemeinsam von Staat, Zivil­ gesellschaft und Wirtschaft entwickelt werden muss. Ein solches Unterfangen wird dann besonders erfolgreich sein, wenn eine von Bund, Ländern und Kommunen koordinierte finanzielle Absicherung der Infrastrukturen Kultureller Bildung und Engagement geschaffen wird, die mehr Flexibilität durch weniger Bürokratie und günstige steuer­ rechtliche Rahmenbedingungen für die Förderung und Entwicklung unterschiedlicher Bildungs- und Engagement­ formate ermöglicht. Ein besonderer Auftrag ergibt sich daraus auch für die Einrichtungen der Kulturarbeit und Kulturellen Bildung. Freiwilliges Engagement ist kein Selbstläufer und auch nicht „umsonst“ zu haben. Sich des zivilgesellschaftlichen Auftrages anzunehmen bedeutet für Kultureinrichtungen, eine engagementfördernde Umgebung zu schaffen, welche die oben genannten Punkte beachtet und vom Mut geprägt ist, unge­ wöhnliche, kreative und individuelle Lösungen zu finden.

Alle Beteiligten werden dabei nicht umhin kommen, mehr Partizipation auf unterschiedlichen Ebenen zuzulassen und die Bürger/-innen als Partner/-innen eines gesellschaft­ lichen Gestaltungsprozesses zu begreifen und einzubinden. Dafür braucht es ein positives und stärkenorientiertes Bild einer selbstbewussten und verantwortungsvollen jungen Generation. Die Erfahrungen des PlusPunkt KULTUR sind ermutigend, denn sie zeigen sowohl der Politik als auch der organisierten Zivilgesellschaft, dass sie jungen Menschen mehr zu- und vertrauen können und auf eine verantwortlich denkende und handelnde Generation bauen können. Es gilt daher, positive Rahmenbedingungen zu schaffen – im Sinne von Räumen der Freiheit und Verantwortung durch und mit Kultureller Bildung und Engagement. Diese sind wichtige Voraussetzungen für das, was sich die BKJ von einer zukunftsfähigen, demokratischen Gesellschaft wünscht: Möglichkeiten für Kulturelle Bildung, Kulturerlebnisse, Bildung, Integration, Vernetzung, Kooperation, Kommunikation und Partizipation. Staat und Zivilgesellschaft sind daher dazu aufgerufen, g­ emeinsam mit jungen Menschen für Räume der Freiheit und Verantwortung durch Freiwilligkeit und Selbstorga­ni­ sation zu arbeiten.


46_ literatur

literatur BKJ (Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugend­ bildung) (2011): PlusPunkt KULTUR. Wettbewerb für junges Engagement in der Kultur. Man lernt Dinge, die man nirgendwo lernt. Endbericht zur Evaluation, durchgeführt durch Helle Becker. Stand: 02.02. 2011. R ­ emscheid/Essen. Bitkom (2011): Bildung 2.0 – Digitale Medien in Schulen. [www.bitkom.org/files/documents/BITKOM-Studie_ Bildung_2.0.pdf, 15.03.2011]. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2010): Monitor Engagement. Ausgabe Nr. 2. F­ reiwilliges Engagement in Deutschland 1999–2004– 2009. Kurzbericht des dritten Freiwilligensurveys. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.) (2006): Ergebnisse der Evaluation des FSJ und FÖJ. Abschlussbericht des Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik e.V. Systematische Evaluation der Erfahrungen mit den neuen Gesetzen zur „Förderung von einem freiwilligen sozialen Jahr bzw. ­einem freiwilligen ökologischen Jahr“ (FSJ-/FÖJ-­ Gesetze) im Auftrag des BMFSFJ. Köln/Berlin.

Busemann, Katrin/Gscheidle, Christoph (2010): „Web 2.0: Nutzung steigt – Interesse an aktiver Teilhabe sinkt“. In: Media Perspektiven 7– 8/2010, S. 359ff. Gensicke, Thomas/Geiss, Sabine (2010): Hauptbericht des Freiwilligensurvey 2009. Zivilgesellschaft, soziales Kapital und freiwilliges Engagement in Deutschland 1999 –2004 –2009. München. JIM-Studie (2010): Jugend, Information, (Multi-)Media. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest. Stuttgart 2010. [www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf10/ JIM2010.pdf, 15.04.2011]. KIM-Studie (2011): Kinder + Medien, Computer + Internet. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest. Stuttgart. Picot, Sibylle (2011): Jugend in der Zivilgesellschaft. F­ reiwilliges Engagement Jugendlicher von 1999 bis 2009. Im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Gütersloh. van Eimeren, Birgit/Frees, Beate (2010): „Fast 50 ­Millionen Deutsche online – Multimedia für alle?“ In: ­Media Perspektiven 7– 8/2010, S. 334ff.


PlusPunkt

Kultur

Herausgeber Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) e. V. Küppelstein 34 , 42857 Remscheid, Fon 02191 .79 43 98, Fax 02191 .79 43 89 info@bkj.de, www.bkj.de Büro Freiwilliges Engagement Mühlendamm 3, 10178 Berlin, Fon 030.24 78 11 11, Fax 030.24 78 11 13 buero-berlin@bkj.de, www.plus-punkt-kultur.de

Autor/Redaktion: Matthias Riesterer Gastautoren: Tobias Kemnitzer, Matthias Laurisch, Franz Josef Röll Mitarbeit: Kerstin Hübner Lektorat/Korrektorat: Helga Bergers, Redaktionsdepot, Köln Gestaltung: Maya Hässig, Sandra Brand, luxsiebenzwoplus, Köln Druck: Siebengebirgs-Druck GmbH & Co. KG, Bad Honnef Persönlichkeits- und Bildrechte: Matthias Riesterer, Franz Josef Röll, Matthias Laurisch, Tobias Kemnitzer © privat; S. 2, 7, 12, 19, 39, 41, 44, 45 © BKJ; S. 8, 38 © Just/Just.Ekosystem.org; S. 10, 30 © Nihad Nino Pusija; S. 13, 23 © Photocase; S. 15 © Maya Hässig; S. 16 © Conny Heimer; S. 21 © Anett Kunstmann; S. 25 © Susanne Carstensen; S. 26 © Benjamin Knofe; S. 35, 40 © BKJ/Internationales JugendKunst- und Kulturhaus Schlesische27; S. 36 © Philipp Herzer; S. 46 © Jörg Sobeck ISBN 078-3-924407-94-0, Remscheid/Berlin 2011

gefördert vom:

Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e.V.



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