X-Rockz Magazin - Ausgabe 09 | Oktober 2013

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Ausgabe 08, 10/13 AT: 3,80 €

Das österreichische Kunst-, Kultur- und Kreativmagazin

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ISSN 2224-4999

Ausgabe 09, 10/13 AT: 3,80 €

Das österreichische Kunst-, Kultur- und Kreativmagazin

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ISSN 2224-4999


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Editorial

IMPRESSUM/INFO

Herausgeber/Initiator: Günther Golob Sitz/Abonnenten-Verwaltung: Moserhofgasse 54 Top 53, 8010 Graz/Styria/Austria/Europe Chefredaktion: Günther Golob Redaktion & Koordination: Günther Golob, Cornelia Schwingenschlögl, Ursula Raberger Layout/Gestaltung, Covergestaltung: Petra Höfler Cornelia Schwingenschlögl Fotografen: alpenpost.at, Decasa, Anna M. Fiala, Fritz Fitzke, Olivia Fürnschuß, Günther Golob, Theresa Hager, MCG/Illemann, Bruce Irving/flickr.com, Viktoria Kager, Jacqueline Korber, Lea Leitner, MCG/Krug, Hannes Loske, HM&ES, Open Acting Academy Wien, Barbara Palffy, Christian Plach, Sascha Pseiner, Sean Russell/flickr.com, Cornelia Schwingenschlögl, Emil Srkalovic, sxc.hu, MCG/Wiesner, Perry Zmugg Autoren: Gunter Dorner, Miriam Frühstück, Birgit Kniebeiß, Lea Leitner, Mag. Irmgard Neumann, Christian Neuwirth, Rene Oblak, Sascha Pseiner, Ursula Raberger, Anita Raidl, Stefan Rothbart, Wolfgang Schatz, Cornelia Schwingenschlögl, Tali Tormoche, MMag. Chia-Tyan Yang Lektorat: Mag. Silvia Münzer Verlag: Günther Golob – Buch-, Kunst- & Musikalienverlag Moserhofgasse 54 Top 53, 8010 Graz/Styria/Austria/Europe Country of Distribution: Austria (AUT) – ISSN: 2224-4999 Vertrieb: Valora Service Austria GmbH St. Leonharder Straße 10 5081 Anif/Salzburg Anzeigenleitung: Günther Golob Mobil: +43 650 215 0975 E-Mail: sales@x-rockz-magazin.com X-Rockz-Magazin – verantwortlich für Bild und Text: Günther Golob

Liebe Freunde, geschätzte Kollegen, werte Leser, der farbenfrohe und kulturell spannende Herbst 2013 hat nach einem heißen Sommer Einzug gehalten und wir können es kaum fassen, ein weiteres Jubiläum zu feiern: Vor genau 2 Jahren wurde das X-RockzMagazin geboren und die erste Ausgabe fand den Weg in die Öffentlichkeit! Es ist uns gelungen, ein einzigartiges, spartenreiches, österreichweit erscheinendes Art-Magazin zu erschaffen, das inspiriert, informiert und Synergien kreiert, und dies ohne jegliche Wirtschafts-, Kulturförderung oder Bankfinanzierung. An dieser Stelle möchte ich mich sehr herzlich bei unseren Investoren, Werbepartnern und Lesern, wie auch bei meinem begeisterten, großteils ehrenamtlich arbeitenden Mitarbeitern bedanken, ohne die es nicht möglich gewesen wäre. Wir sind sehr bestrebt, das X-Rockz-Magazin auf das nächste Level zu heben. Aus diesem Grund laufen bereits Verhandlungen mit einem überaus interessanten Medienhaus. Ich hoffe sehr, dass ich Euch in der Jänner-Ausgabe schon mehr erzählen kann. Drückt uns die Daumen! Weiters haben wir für Euch eine geniale X-Rockz-Magazin-App entwickeln lassen. Wir wollten Euch diese jetzt schon in voller Pracht präsentieren, wobei ein paar Features noch in Arbeit sind. Ihr könnt die App aber bereits kostenlos downloaden. Im nächsten Monat wird es dann Updates geben, die nach und nach die Funktionen erweitern. Also, holt Euch das neue App und lasst Euch überraschen! Nun wünsche ich Euch viel Spaß mit der neunten Ausgabe des X-Rockz-Magazins! Wir haben uns wieder mächtig ins Zeug gelegt, um Euch zu informieren, zu unterhalten und zu inspirieren. Ich wünsche Euch allen einen schönen Herbst und hoffe, wir sehen uns bis zur Jänner 2014 Ausgabe online!

Das Leben ist ein Theater und die Welt ist ein Zirkus!

Diversity-Magazin „ZEITUNG“ (Beilage Seite 29-40) – verantwortlich für Bild und Text: Tatjana Petrovic Mobil: +43 660 1656212 www.cuntra.at, www.kunsthure.at

Günther Golob

X-Rockz-Magazin behält sich sämtliche Rechte, Satz- und Druckfehler vor. Aus Gründen der Satzschönheit und Lesbarkeit verzichten wir auf explizites Gendern. Alle unsere Artikel sind an offene, interessierte Menschen gerichtet, und zwar unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Hautfarbe oder ihrer Lieblingsspeise.

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Foto: Anna M. Fiala

X-Rockz-Magazin web: www.x-rockz-magazin.com e-mail: redaktion@x-rockz-magazin.com fax: +43(0)316 8363 12 mobil: +43(0)650 215 0975


Inhal

29-40 „Zeitung“ – das Magazin im Magazin

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Juristisch, Wissen & Wissen-Shorts Mag. Irmgard Neumann

Urheberrecht, Mythos AGB

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1963:

Hard Rain, Twist & Shout

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Musik aus der Cloud One way ticket to mars Voice-Academy Blue Jeans – ein Klassiker Die Hollywood-Blase Der historische Roman Digital versus analog Der Körper des Menschen

Teil 2: Menschenbild in der Kunst der Antike und im Mittelalter

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Die Entstehung der Schrift

Teil 2: Die Magie der lateinischen und arabischen Schrift

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Fotografie

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Gut für die Kasse, Produktion für die Masse

Scarecrow New World Annihilation

Transgression

Als CD und Download auf Noisheadrecords.com, Amazon.de und im Handel erhältlich und als Download auch auf iTunes, Google Play und vielen mehr www.scarecrow.at www.facebook.com/ScarecrowNWA www.noiseheadrecords.com


Szene 16 Business meets Passion

Christof Strimitzer

Musik 23 Como – Music Diary

Empfehlung von Gunter Dorner

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Alltag im Stichtag

25

Sprudeln is a guats Wort

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Kunst & Design Wohnpark Graz-Gösting

Historisches, visionäres Wohnen

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Ein Pionier der Malerei

Zu Besuch in einem der ältesten Tattoo-Studios von Graz.

oder: die Kunst sich neu zu definieren – Emil Srkalovic

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Mi casa es su casa

Decasa Kreativstudio - Graz

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Bühne & Film Markus Sulzbacher

Ich spreche also bin ich

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Stunt up your life

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Ein Festival rund um Kunst, Kultur, Natur und Mensch

Literatur 55 Herr Tali sucht das Glück

Typisch Mensch

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Wolfgang Schatz

Biker-Weak

Fun/Info 66 X-Wort-Rätsel & Rebus

Joe Tödtling und Perry Zmugg

Das Spiel mit den Emotionen Die Perdekampsche Emotions-Methode, kurz P.E.M.

Von der zerstörten Hoffnung in Highheels „Erst war es leer ohne Herz, aber jetzt geht’s wieder“

achtzigzehn | Foto: www.jasminschuller.com | Bezahlte anzeige

mama, wieSo hat KunSt ein eiGeneS hauS? Kunsthaus, Festivals, Spielstätten, Museen und eine freie Kunstszene prägen auch nach 2003 unsere bunte Kulturhauptstadt Graz. www.kultur.graz.at


Recht

Mag. Irmgard Neumann R E C H T S A N W Ä LT I N M AG . I R M G A R D N E U M A N N I S T A U F W E R B E U N D W E T T B E W E R B S R E C H T, V E R A N S TA LT U N G S R E C H T, U R H E B E R - , M E D I E N - U N D I N T E R N E T R E C H T S P E Z I A L I S I E RT. Während ihrer Studienzeit hat sie mehrere Jahre Berufserfahrung in Marketing-, Marktforschungs- und Eventagenturen, wie auch beim Steirischen Presseclub, gesammelt und zahlreiche Marketing- und PR-Ausbildungen absolviert. Ihre Spezialisierung auf Rechtsgebiete dieser Branchen ermöglicht nun die umfassende und praxisorientierte Vertretung von Werbern, Veranstaltern, Medien, Verlegern, Musikern und sonstigen Kreativen.

Urheberrecht Plagiate und Coversongs, Samplen und Remixen Foto von Hannes Loske

Ein Plagiat ist ein „Diebesgut des geistigen Eigentums“, wobei die Urheberschaft eines anderen als „die eigene“ in Anspruch genommen wird. Alle Elemente, die für ein Werk charakteristisch sind, dürfen daher nicht nachgeahmt werden. Auch Be­arbeitungen eines vorhandenen Werkes durch musikalische und/oder text­ liche Änderung eines Werkes sind sohin urheberrecht­lich geschützt; dies gilt auch für Bearbeitungen von frei gewordenen Werken, die nicht mehr unter die urheberrechtliche Schutzfrist (von 70 Jahren ab dem Tod aller an der Werkschaffung beteiligten Urheber) fallen oder für kurze Musikausschnitte (mehrere Sekunden/Takte) eines Werkes. Für die Verwertung ei­ner Be­ arbeitung ist die vorherige Zustimmung des Rechteinhabers notwendig. Beim Covern ist zwischen Interpretationen und Bearbeitungen zu unterscheiden. Bei einer „Interpretation“ wird der Originalsong im Wesentlichen nicht verändert; für diese (egal ob live oder auf einem Tonträger) ist daher keine Einwilligung des Urhebers erforderlich; dieser hat aber Anspruch auf Tantiemen und es sind auch Interpretationen bei der AKM anzumelden. „Bearbeitungen” machen aus dem Original etwas Neues. Für eine Bearbeitung (Live-Auftritt oder Aufnahme) ist stets die Einwilligung des Urhebers oder Rechteinhabers erforderlich. Auch das Samplen, Remixen und Mashup gelten im Regelfall als Bearbeitung und erfordern die Einwilligung des Urhebers und des Rechteinha­ bers, zumal man dabei meist mit einem schon aufgenommenen Musikstück arbeitet.

ACHTUNG: Alle Angaben erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr; diesen kommt kein Anspruch auf Vollständigkeit zu; eine Haftung der Autorin oder der Herausgeber ist ausgeschlossen.

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Mythos “AGB” A L L G E M E I N E G E S C H Ä F T S B E D I N G U N G E N F Ü R K Ü N S T L E R U N D A N D E R E K R E AT I V E

In zahlreichen Branchen haben sich „Allgemeine Geschäftsbedingungen“ (abgekürzt AGB) in den vergangenen Jahrzehnten etabliert und machen nun auch vor Künstlern und anderen Kreativen nicht Halt. Dabei herrscht vor allem Unklarheit darüber, was AGB sind, ob es für jeden Unternehmer erforderlich ist, eigene AGB zu haben und was für jenen Fall gilt, dass beide Geschäftspartner auf ihre jeweiligen AGB verweisen.

Was sind AGB?

Allgemeine Geschäftsbedingungen sind alle – für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte – Vertragsbedingungen, die ein Vertragspartner dem anderen Vertragspartner bei Abschluss eines Vertrages stellt. Dies bedeutet, dass jeder Unternehmer die Möglichkeit hat, seine Bedingungen festzulegen, zu denen er Verträge abschließen möchte. Idealerweise sollte der andere Vertragsteil (unter)schriftlich betätigen, dass er diese AGB zur Kenntnis genommen hat und als Vertragsgrundlage akzeptiert. Anderenfalls kann es in einem Rechtsstreit schwer beweisbar sein, dass die AGB (in einer bestimmten Variante) tatsächlich Vertraginhalt geworden sind. Für internationale Geschäfte empfiehlt es sich zu vereinbaren, dass österreichisches Recht zur Anwendung gelangt und Gerichtsstand der Sitz des eigenen Unternehmens ist. Werden keine Vereinbarungen getroffen, gelten stets die gesetzlichen Bestimmungen.

Brauche ich AGB für mein Unternehmen?

Die Fachverbände der Wirtschaftskammern stellen für einzelne Branchen teilweise vorformulierte AGB zur Verfügung; für andere Branchen – insbesondere die Kreativen – existieren oft überhaupt keine AGB-Vorlagen. Allerdings ist es gerade in der Kreativbranche stark auslegungsbedürf­ tig, welche Leistungen wechselseitig geschuldet werden. Je genauer also Leistungen und Gegenleistungen formu­ liert werden, desto weniger Auslegungsspielraum bleibt in einem allfälligen Rechtsstreit. Werden auch die Konsequenzen mangelhafter oder nicht erbrachter Leistungen fest­ge­legt, können im Streitfall aufwendige Sachverständi­ gen­ gutachten erspart bleiben. Haftungsregelungen er-

möglichen die Einschränkung oder den Ausschluss der eigenen Haftung für Mängel und Schäden; andererseits kann die Haftung des Vertragspartners verschäft werden. Je konkreter sich ein Unternehmer mit den Schwierigkeiten seiner Branche auseinandersetzt und diese auch dem Er­ richter seiner AGB mitteilt, desto leichter und kostengünstiger können AGB auch für exotischere Geschäftszweige erstellt werden.

Wie umgehe ich die AGB des anderen?

Manche Unternehmer vertreten die rechtsirrige Ansicht, man könne dem Geshäftspartner seine eigenen AGB dadurch „unterjubeln“, indem man ihm diese noch knapp vor Leistungserbringung „als letzter“ übersende. Vor Gericht gilt allerdings nur das, was tatsächlich vereinbart wurde und in dieser Form auch beweisbar ist. Hat jeder Vertrags­ partner dem anderen betätigt, dass er die jeweils anderen AGB akzeptiert, so spricht man von „kreuzenden AGB“. Diese heben sich auf, wenn sie einander widersprechen. Diesfalls gelten erst wieder die gesetzlichen Bestimmungen und man ist nicht nur die AGB des anderen, sondern auch seine eigenen umgangen.

Fazit für Kreative

Auch im Kreativbereich sollten alle Leistungen, die ein Vertragspartner zu erbringen hat, so genau wie nur möglich beschrieben werden. Darüber hinaus ist festzulegen, welche Nutzungs- und Verwertungsrechte dem Vertragspartner an urheberrechtlich geschützten Werken zukommen sollen und welche Konsequenzen (Zahlungen) drohen, falls Rechte überschritten werden.

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MAG. IRMGARD NEUMANN Lippitsch.Neumann Rechtsanwälte GmbH Wastiangasse 7, 8010 Graz T +43 316 82 74 32 0 F +43 316 82 74 32 34 recht@anwaeltin-graz.at www.anwaeltin-graz.at

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WissenShorts

1963:

Hard Rain, Twist & Shout Rückblick von Christian Neuwirth

Die Welt vor 50 Jahren – Zwischen Bürgerrechtsbewegung und Kaltem Krieg entstehen Filmklassiker und legendäre Musikwerke. Am 28. August 1963 teilt Martin Luther King seinen Traum von einem besseren Amerika in einem rhetorischen Feuerwerk mit 250.000 Menschen. Es ist eine der bekanntesten Reden aller Zeiten und als Höhepunkt des March on Washington ein Schlüssel­ ereignis der Bürgerrechtsbewegung. Auch andere Konflikte rund um den Globus schlagen Funken, die die Welt für immer verändern werden. Nach der Kuba-Krise im vorangegangenen Jahr befindet sich der Kalte Krieg auf dem Höhepunkt. Es herrscht Eiszeit zwi­ schen Washington und Moskau und beide Supermächte kämpfen um politischen und wirtschaftlichen Einfluss. Die Leidtragenden dieses ideologischen Tauziehens findet man überall. Am 11. Juni 1963 schießt der Fotograf Malcolm W. Browne eines der wohl bekanntesten Pressefotos dieser Zeit: Der Mönch Thich Quang Duc verbrennt sich auf einer belebten Straße in Saigon selbst. Der Mann erträgt die Qualen regungslos und ohne einen Laut von sich zu geben, um gegen die Unterdrückung der Buddhisten in Südvietnam zu protestieren. Der von den USA unterstützte Präsident Ngo Dinh Diem will, trotz der buddhistischen Bevölkerungsmehrheit, einen christlichen Staat errichten. Das tragische Ende des Mönchs sorgt für einen internationalen Aufschrei und zwingt die KennedyAdministration, ihre Asienpolitik zu überdenken. Dennoch wird der Vietnamkrieg noch weitere 12 Jahre andauern, Millionen Leben fordern und zu einem wahren Desaster für die USA werden. Es sind harte Zeiten, der Ausblick in die Zukunft düster. „A Hard Rain‘s a-Gonna Fall“, gibt sich Bob Dylan auf seinem 1963 erschienenen Album prophetisch. Um einiges entspannter geht es da schon bei den Beatles zu, die im März dieses Jahres ihre erste Langspielplatte Please, Please Me herausbringen. Es ist ein Album

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voller Energie, das größtenteils in einer langen Session aufgenommen wurde, was deutlich an John Lennons rauer Stimme am Abschlusstrack Twist and Shout zu hören ist. Die Beach Boys sorgen mit dem Album Surfin’ USA für einen Meilenstein der Surfmusik und verbreiten mit dem gleichnamigen Song Lebensfreude und Unbeschwertheit. 1963 wird auch Kinogeschichte geschrieben: Klassiker wie Hitchcocks Die Vögel oder Fellinis 8 ½ sind gefeierte Meisterwerke. Der britische Sketch Dinner for One wird vom Norddeutschen Rundfunk aufgezeichnet und wird als Sylvester-Klassiker zu meistgezeigten Fernsehsendung der Welt werden. Der niederländische Hersteller Phillips stellt die Compact Cassette vor, die es der zukünf­ tigen Generation erlauben wird, zum ersten Mal eigene Playlists auf einem Tonträger zusammenzustellen. Die Konsumgesellschaft der westlichen Welt hat noch nie da gewesene Dimensionen angenommen, die Wirtschaft floriert und die Probleme dieser Erde verschwinden langsam hinter einem ständig wachsenden Berg von Fernsehern, Staubsaugern und anderen essentiellen Dingen. Doch dann fällt ein Schuss. John F. Kennedy wird am 22. November in Dallas, Texas erschossen. Einige Verschwörungstheorien ranken sich um das Attentat, doch gilt der überzeugte Kommunist Lee Harvey Oswald als Todes­ schütze. Der Tod des charismatischen Staatsmanns trifft viele Menschen auf der Welt schwer und rückt die Probleme und Gefahren dieser Welt wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit. Am letzten Tag des Jahres zieht ein schwerer Schneesturm über den Süden der USA. Mittlerweile ist Lyndon B. Johnson Präsident mit neuen Versprechungen für eine bessere Welt. Voller Hoffnung und Erwartungen blicken die Menschen in Richtung 1964.


WissenShorts

Musik aus der Cloud Text & Illustration von Christian Neuwirth

Die Beliebtheit von Streamingdiensten bei Musikern hält sich im All­ gemeinen in Grenzen. Black-Keys-Drummer Patrick Carney ging letztes Jahr so weit, Spotify-Vorstandsmitglied Sean Parker ein Arschloch zu nennen – was steckt dahinter? Der Verkauf von digitaler Musik über Downloads im Internet ist ein milliardenschwerer Markt und bereits seit Jahren etabliert. Auch Abos bei Streamingdiensten wie Spotify, Deezer und Rhapsody haben in den letzten Jahren deutlich Zulauf bekommen. Durch Zahlung eines monatlichen Betrags haben die Nutzer solcher Dienste unlimitierten Zugang zu einer riesigen und stetig wachsenden Musikbibliothek. Bei Marktführer Spotify bekommt man für 4,99 Euro pro Monat das Unlimited-Abo und damit Zugriff auf rund 20 Millionen Songs. Ein geniales Schnäppchen für die User, doch stellt sich die Frage: Was bleibt da eigentlich für die Künstler übrig? Gerade mal 0,003 Euro pro Stream eines Liedes, abhängig von Beliebtheit und Vertrag, verdienen Musiker auf Spotify im besten Fall. Anders ausgedrückt ist erst nach zirka 333 Plays der erste Euro erwirtschaftet. Gerade

unbekanntere Bands können aber schon froh sein, wenn ihre Songs ein paar hundert Mal pro Monat angehört werden. Sicher muss man diesen Diensten zu Gute halten, dass sie viele Internet-User mit ihren günstigen Konditionen aus der Illegalität locken, doch besteht die Gefahr, dass StreamingAbos dem Verkauf von Musik zunehmend schaden werden. Für die meisten Musiker ist es ohnehin unrealistisch, alleinig vom Verkauf ihrer Musik zu leben, doch von Spotify-Erlösen ist es schlichtweg unmöglich: Um in Österreich ein monatliches Einkommen in Höhe der Min­ destsicherung zu beziehen, wären für eine fünfköpfige Band 1.324.850 Plays notwendig. Bleibt nur zu hoffen, dass Streamingdienste mit steigenden Mitgliederzahlen auch höhere Provisionen an die Musiker auszahlen und somit einen ernstzunehmenden Beitrag zum Künstlereinkommen leisten.

One way ticket to mars Text von Sascha Pseiner, Foto von Bruce Irving/flickr.com

Günther Golob wagt, was für viele ein Kindheitstraum ist – er meldete sich zur ersten bemannten Mission zum Mars an. Ob er einer der insgesamt vierzig Auserwählten ist, steht noch in den Sternen. Mars One ist eine Reality-TV-Show, welche die Absicht hat, die ersten Menschen 2023 am Mars anzusiedeln. Gleich in den ersten zwei Wochen der insgesamt 19-wöchigen Be­ werbungsfrist meldeten sich über 78.000, meist junge Menschen, für das riskante Projekt an. Sie alle träumen vom roten Planeten. Erster Stressfaktor: ein circa acht Monate langer Flug, in einer kleinen Raumkapsel eingesperrt. Angekommen am Mars ist schnell klar, dass es sich um einen unwirtlichen Planeten handelt: Tempe­ raturen im Bereich von zwischen minus 20°C und minus 100°C und energiegeladene Partikel aus den Tiefen des Alls befeuern die Oberfläche. Die Schwerkraft beträgt in etwa ein Drittel der

irdischen. Der Wohnort der Neu-Marsianer soll in engen Modulen stattfinden, Spaziergänge im Freien sind nur mit Raumanzügen möglich. Der Gründer von Mars One, Bas Lansdorp, ein niederländischer Ingenieur, hat eine Rückfahrt nicht vorgesehen, da diese im Moment finanziell und technisch noch nicht möglich ist. Unterstützt wird das Projekt unter anderem von der Universität in Twente und diversen Raumfahrt- und Softwarefirmen. Zudem gewann Bas Lansdorp den Physik-Nobelpreisträger Gerard t’Hooft als Projektbotschafter. Wir bleiben gespannt, was den Mars in der Zukunft erwartet. 11


WissenShorts

Voice-Academy Text & Foto von Rene Oblak

Stimmklang: Angeboren oder angeeignet? Wie gefällt Ihnen der Klang Ihrer Stimme? Eine Frage, die nur in den seltensten Fällen mit „Sehr gut“, „Wunderbar“ oder „Klasse“ beantwortet wird. Vielmehr ist diese Frage oft der Auslöser eines teilweise unangenehmen Denkprozesses, der in manchen Fällen sehr schnell mit Aussagen wie „Ich kann meine Stimme nicht hören, das ist ganz schlimm“, „Ich habe meine Mobilbox nicht besprochen, weil das ist ganz schlimm“ beantwortet wird. Egal, ob es die persönliche Präsentation bei einem Seminar, das Vorstellen in einer Gesprächsrunde oder das Sprechen vor mehreren oder/und fremden Menschen ist: Das Wissen um die Qualität der eigenen Stimme versetzt Menschen bei solchen Situationen in Stress und das manchmal bis an die Grenzen des Erträglichen. Beim Thema Singen wird es leider auch nicht besser. Unglaublich viele Menschen sind vom Gedanken, nicht singen zu können, beherrscht. „Singen zu können wäre ja wunderbar, aber leider konnte ich es nie und werde es auch nie können“ heißt es da immer wieder. Auffällig in diesem Zusammenhang ist nur, dass diese Menschen meist aufgrund von Aussagen Dritter den Entschluss gefasst haben, nicht singen bzw. sprechen zu können. Aber Moment, es kann doch nicht sein, dass so viele Menschen nicht rich-

tig singen oder sprechen können. Stimmt! Entscheidend ist, wie Stimme in ihrer Familie gelebt wurde und welche Vorbilder bzw. Lehrer man hatte. Dass die Stimme einem in die Wiege ge­ legt wird ist schon irgendwie richtig, jedoch neben dem Mythos „vererbte Stimme“ ist es wichtig zu wissen, dass wir die Stimme kopieren. Und zwar als erstes von den Eltern und im weiteren Leben von Menschen, die uns umgeben. Haben Sie schon über die Aussage nachgedacht „Am Telefon klingst du ganz wie deine Mutter/dein Vater“? Die Stimme ist ein eigenes Universum, das uns Menschen Unglaubliches zu bieten hat. Ob als Spiegel der Seele oder als kraftvolles Ausdrucksmittel unserer Wünsche und Gedanken. Stimmtipp: Setzen Sie sich mit Ihrer Stimme auseinander und beginnen Sie Ihre Stimme anzunehmen. Ihre Stimme gehört Ihnen, also stehen Sie dazu. „Love it“, und wenn´s für Sie nicht passt „Change it“ – „Leave it“ geht nicht! Nehmen Sie unterschiedliche Stimmproben mit einem technischen Hilfsmittel Ihrer Wahl auf, und beurteilen Sie danach die Qualität Ihrer Stimme.

www.voice-academy.at, office@voice-academy.at

Blue Jeans – ein Klassiker Von Christian Neuwirth, Foto von Ozan Uzel

San Francisco in den 1850ern: Es ist die Zeit des kalifornischen Goldrausches und tausende Menschen versuchen ihr Glück mit der Suche nach dem Edelmetall. Während die Meisten niemals reich wurden, inspirierte die harte Arbeit zwei Männer zur Erfindung des Hosenklassikers schlechthin. Stars wie James Dean machten die Blue Jeans vor 60 Jahren zum Symbol der Jugendkultur. Heute lässt sich der klassische Jeans­ träger nicht mehr definieren. Das Kleidungsstück durchdringt alle Altersstufen, sozialen Schichten, Geschlechter, Religionen und Staatsgrenzen. Auf 66 Milliarden US-Dollar wird der internatio­ nale Jeansmarkt aktuell geschätzt. Doch bevor die Hose als All­ tagsbekleidung ihren Weg in unsere Kleiderschränke fand, hatte sie bereits einen langen Weg hinter sich. Vor 140 Jahren verlangte der Arbeitsalltag vieler Menschen ihren Hosen einiges ab, doch kein erhältliches Modell schien den Anforderungen gerecht zu werden. Die revolutionäre Idee zur Lösung des Problems kam vom in Lettland geborenen Schneider Jacob Davis: Er verstärkte Arbeitshosen an den Taschen mit Nieten. Mangels Eigenkapitals wandte er sich an seinen Stoffhändler, den deutschstämmigen Levi Strauss, um

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mit ihm gemeinsam am 20. Mai 1873 die Urform der Jeans zum Patent anzumelden. Schnell wurde die robuste Hose bei Arbeitern sehr beliebt. Der Einsatz von strapazierfähigem Denim machte die Jeans endgültig zum Kassenschlager. Anfangs wurde der Baumwoll­ stoff mittels natürlichen Indigos gefärbt. Die Farbwahl hatte vor allem praktische Gründe: Mit damaligen Methoden war diese Art der Färbung am einfachsten, da das Gewebe den blauen Farbstoff am besten aufnahm. Zeitgleich zur Entstehung der Jeans forschten auch zwei deutsche Chemiker an der Entwicklung synthetischen Indigos, der dann im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts zum neuen Standard wurde. Mittlerweile gibt es die Kulthosen in allen erdenklichen Farben, Schnitten und Waschungen. Modetrends kommen und gehen, doch die Zeichen stehen gut, dass die klassischen Blue Jeans auch in der Zukunft noch als zeitlos gelten werden.


WissenShorts

Die Hollywood-Blase Text von Stefan Rothbart, Fotos von Sean Russell/flickr.com

Steven Spielberg und George Lucas haben neulich in einem Interview vor einer einschneidenden Veränderung in der bunten, glamourösen Filmwelt von Hollywood gewarnt. Beide gelten als absolute Branchengrößen und ihre Worte sollte man ernst nehmen. Und es kommt noch dicker. Immer mehr ihrer Kollegen melden sich ebenfalls mit kritischen Vorahnungen zu Wort. Das Fazit der Filmemacher: Hollywood geht langsam die Luft aus! Droht der Filmmetropole der finanzielle Kollaps? Schauplatzwechsel. Hongkong, die Filmmetropole Asiens, das Hollywood Chinas. Was hier gerade abgeht, stellt alles andere in den Schatten. Mit dem wirtschaftlichen Aufstieg Chinas hat auch die Unterhaltungsbranche einen unglaublichen Zuwachs vorzuweisen. Die neue chinesische Mittelschicht stürmt förmlich die Kinos. Marktpotenzial: eine Milliarde Chinesen! Um diese gigantische Nachfrage, von der jeder Hollywood­produzent nur träumen kann, zu befriedigen, wird in der chinesischen Filmstadt produziert bis zum Abwinken. Spezialisiert hat sich die Hongkong-Traumfabrik auf knallharte Genrefilme. Thriller, Historienepen und natürlich Kung-FuFilme aller Art. Anfang der 2000er Jahre waren es noch die Amerikaner, die aufgrund günstiger Produktionsbedingungen nach China kamen, um dort zu drehen. Doch die Amis sind längst wieder verschwunden. Jetzt machen die Chinesen ihr eigenes Kino und kopieren ungeniert auch zahlreiche Blockbuster wie Kill Bill oder Mission Impossible. Die Produktionskosten liegen oft bei wenigen Millionen Dollar, aber die

Gewinne sind astronomisch hoch. Dabei ist es nicht lange her, dass die chinesische Filmindustrie selbst in einer großen Krise war. In den 90ern brachen die Märkte in Ost-Asien ein und viele Studios reagierten auf die veränderte Marktsituation mit immer teureren Filmen. Erst der China-Boom zur Jahrtausendwende rettete Hongkongs Filmindustrie, die seither aus ihrer Krise gelernt hat. Zurück in Hollywood. Gerade erst vor wenigen Wochen musste der Disney-Konzern die größte Abschreibung in seiner Firmengeschichte bekannt geben. Grund dafür war der Blockbuster Lone Ranger mit Jonny Depp in der Hauptrolle, der zu einem finanziellen Desaster wurde. Der 100-Millionen Dollar-Streifen hat bisher nur magere 30 Millionen weltweit eingespielt. Die Blase platzt bereits! Um weltweit konkurrenzfähig zu bleiben, hat die US-Filmindustrie in den letzten Jahren die Budgets ihrer Filme ständig erhöht. Mit Avatar von James Cameron war vorläufig die Spitze erreicht, der sagenhafte 800 Millionen Dollar gekostet hat. Cameron hatte noch Erfolg, aber immer öfters setzen die Studios auf teure Blockbuster und immer öfters geht dabei die Rechnung nicht mehr auf. Branchen-Primus Spielberg tue sich inzwischen schwer, Filme finanziert zu bekommen, klagt er in einem Interview. Es zählt nicht mehr ein gutes Drehbuch oder der Name eines Regisseurs, sondern nur

mehr das, was die Finanzexperten sagen. Diese raten den Studios lieber auf teure Blockbuster nach Schema F zu setzen, als einen billigeren Qualitätsfilm zu machen. Marktforscher haben sogar ein Musterdrehbuch entwickelt, wo genau untersucht wurde, wie lange die Aufmerksamkeits­ spanne der Zuseher bei Dialogen ist, wie lange Actionsequenzen dauern dürfen usw. Viele Studios lassen inzwischen nur mehr nach dieser Vorlage Drehbücher schreiben. Was herauskommt, ist Einheitsbrei. Die Mechanik dahinter ist erschreckend. Finanzexperten verpassen Filmen bereits vor Drehstart ein Rating. Wenn ein Studio z.B. 300 Millionen Dollar braucht, um seine laufenden Kosten abzudecken, so ist es nach Logik der Experten viel wahrscheinlicher, dass ein 100-Millionen-Streifen das Dreifache seiner Kosten einspielt, als ein 10-Millionen-Streifen das 30fache. Ergo setzen die Studios auf immer teurere Blockbuster. In Wahrheit ist damit aber nur ein höheres Risiko gegeben, finanziell baden zu gehen, aber es zeigt, wie aufgebläht der Hollywoodtanker inzwischen ist. Zu groß, um sich noch selbst über Wasser zu halten. Steven Spielberg hat die Entwicklung anscheinend erkannt. Er sagt, der gesamte Markt werde sich in den nächsten Jahren verändern. In Zukunft wird es wieder weniger große Blockbuster und wieder mehr billigere Produktionen geben. Die Preise an der Kinokasse werden sich auch anpassen. Für teure Filme wird man auch wesentlich mehr zahlen müssen, sagt Spielberg voraus.

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WissenShorts

Der historische Roman Text von Stefan Rothbart

Man sagt ja, die Geschichte schreibt die besten Geschichten. Ob das so ist, wird wohl jeder Leser selbst beurteilen müssen, doch Tatsache ist, der historische Roman wird bei der Leserschaft immer beliebter. Auffällig ist, dass der klassische Historienroman eher selten geworden ist. Seitensprünge mit anderen Schreibgattungen lassen sich offenbar besser verkaufen und viele Verlage setzen mittlerweile verstärkt auf GenrePaarungen als auf eine ganz klassische Ausrichtung. So haben sich zahlreiche Verlage in den letzten Jahren auf historische Krimis oder historische Liebesromane spezialisiert. Auch wird im Literaturgeschäft immer mehr auf Regionalität gesetzt. So wie im Krimi-Genre, bieten auch einige Verlage, wie Gmeiner, Emons, Sutton u.a. eine große Palette an regionalen Historienromanen an. Das hat in den letzten Jahren zu einem positiven Effekt für die deutsche Literaturszene geführt, nämlich, dass Übersetzungen aus dem englischen Raum etwas zurückgegangen sind.

Digital versus analog

Da möchte man jetzt meinen, dass es als junger Autor gute Chancen gibt, sich an einen historischen Roman zu wagen, doch Vorsicht. Historische Romane erfordern neben einer guten Schreibe auch sorgfältige Recherche und gute Sachkenntnisse. Oft sitzen in den Lektoraten Geschichtsdokto­ ren, die einen Mittelalterroman, in dem plötzlich Kartoffeln oder Tomaten vorkommen, gleich mal in den Schredder werfen. Wenig bekannt ist außerdem, dass es im deutsprachigen Raum nur eine Handvoll namhafter Autoren gibt, die regelmäßig historische Romane herausbringen. Diese wenigen Schriftsteller schreiben noch dazu nicht selten unter mehreren Synonymen für verschiedene Verlage. Was also nach Vielfalt bei den Autoren aussieht, täuscht. Hinter vielen bekannten Namen steckt oft derselbe Schreiber.

Apple Quick Take 100

Info und Fotos von Sascha Pseiner

Digital oder analog? Was ist jetzt besser? Eine Frage, die schon so lange existiert wie die digitale Fotografie selbst. In meinen Augen gibt es kein Besser oder Schlechter, nur hat die digitale Fotografie den Ruf, dass sehr Vieles Bildmanipulation ist. Doch ist die Bildmanipulation schon so alt wie die Fotografie selbst. Gute Beispiele lieferte Man Ray (* 27. August 1890 in Philadelphia, Pennsylvania; † 18. November 1976 in Paris), wenn es um experimentelle Dunkelkammer und Bildmanipulation geht, genauso entwickelte er Lichtmalerei weiter oder wie er es nannte Space Writing (Lichtmalerei entsteht im Gegensatz dazu schon bei der Aufnahme). Also auch in analogen Zeiten gab es schon Retusche, Manipulation, im Nachhinein veränderte Bildaussagen und so weiter … Also nichts für ungut, es ist nicht nur Photoshop schuld! Aber warum noch analog fotografieren, wenn Digitalkameras eh schon Spitzenqualität liefern? Eines kann die Digicam nicht, und zwar das Gefühl vermitteln, die Geburt eines Fotos miterleben zu dürfen. Den Film in die Kamera einlegen, aufziehen, aufspulen, aus der Kamera nehmen, einige Zeit später den Film ent­ wickeln und dann vorsichtig aus der Spule nehmen und auf einmal hältst du

vergangene Emotionen in deinen eigenen Händen.

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Eine der ersten Digitalkameras für den Massenmarkt kam 1994 auf den Markt, die Apple Quick Take 100. Die ersten Sensoren wurden schon in den 1960er Jahren entwickelt, hauptsächlich für industrielle und wissenschaftliche Zwecke, und waren für die breite Masse kaum leistbar. Um die Fotografie wirklich zu erlernen, empfehle ich jedem, der sich ernst­haft damit auseinander setzen möchte, die ersten Schritte analog zu machen. Am besten mit einem etwas älteren Model. Und dies aus gutem Grund: Grundlegende Techniken lassen sich damit besser erlernen, da es keine digitalen Helferlein gibt. Es gilt genau zu überlegen, wann und wo ausgelöst wird, da Film und dessen Entwicklung Geld kosten. Und der wichtigste Punkt: Der Glücksmoment, wenn das erste gelungene Foto im „fotografischen Rotlichtmilieu“ das Licht der Welt erblickt. Mit dieser Weisheit und den damit verbundenen Emotionen ging ich ganz anders an die digitale Fotografie heran. Also, nochmal zum Mitschreiben: Zuerst überlegen und dann erst den Auslöser drücken, egal ob analog oder digital!


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POLONAISE CASTING

Zeigen Sie Ihr tänzerisches Können und kommen Sie zum großen Opernredoute-Polonaisecasting, um den gesellschaftlichen Höhepunkt des Jahres am 25. Jänner 2014 zu eröffnen! Eine hochkarätige Jury wählt die besten jungen Damen und Herren für die feierliche Eröffnung der Opernredoute 2014 aus. Ihre Voraussetzungen: Alter zwischen 16 und 26 Jahren, Walzerkenntnisse, überzeugendes Auftreten

17. November 2013

Choreografenteam Polonaise der Opernredoute 2014: Claudia Eichler & Werner Dietrich

11.30 Uhr, Oper Graz, Galeriefoyer

www.opernredoute.com

Meister hinter den Kulissen Produktion von Bühnenbildern ∙ Kostümbildern Individualmessebau ∙ Eventbauten Corporate Fashion ∙ Private Couture www.art-event.com 15


Szene

Business meets Passion Bericht von Lea Leitner, Fotos von MCG/Wiesner, MCG/Illemann, MCG/Krug und Cornelia Schwingenschlögl

Offenherzig, freundlich und ausgeglichen – das wären die ersten Schlagworte, die einem sofort in den Sinn kommen, wenn man Christof Strimitzer zum ersten Mal begegnet. Dass er eigentlich die Verantwortung für das gesamte Marketing der Messe Congress Graz GmbH über hat, sieht man ihm nicht einmal beim dritten Blick an. Wir vom X-Rockz-Team hatten den sympathischen Konzertfreund zu Besuch in unserer Redaktion.

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www.mcg.at/


Linkin Park, 2008

Die Fantastischen Vier, 2010

Night Of The Jumps, 2011

Kiss – Alive II – stand am Geburtstagswunschzettel des damals 8-Jährigen und das kann man durchaus als Wendepunkt in seinem Leben bezeichnen, der in ihm eine Liebe zur Musik und zum Livegeschehen erweckte, die ihn bis heute nicht mehr losließ. „Die Atmosphäre und Energie bei Konzerten hat mich schon zu Kindeszeiten sehr fasziniert“, so der 41-Jährige. Verstärkt wurde dieses Interesse zusätzlich durch regelmäßige Konzertbesuche und vor allem gelegentliche Jobs auf Konzerten – Tina Turner, Joe Cocker, Herbert Grönemeyer, Bryan Adams oder AC/DC waren u.a. jene Künstler, für die Christof als Stagehand arbeitete, wenn sie in Graz gastierten. Nach Beendigung der Schule schlug Christof jedoch eine ganz andere Richtung ein und entschied sich für das Studium der Rechts­ wissenschaften, das er 2001 abschloss. Parallel dazu war er über 13 Jahre für Herwig Straka tätig und hat in dieser Zeit zahlreiche Großprojekte wie z.B. den Tennis Davis Cup, European-Tour-GolfTurniere, Tourneen der Spanischen Hofreitschule oder auch die Eröffnung der Stadthalle abgewickelt. Nach einem zweijährigen Ausflug in die Marketingabteilung der Graz2003-Kulturhauptstadt Europas GmbH war der Wunsch nach einer weiteren Veränderung da und es ergab sich die Möglichkeit, in den Marketingbereich der Stadthalle einzusteigen. Über die vergangenen Jahre hat sich in diesem Bereich sehr viel entwickelt und es sind Standorte hinzugekommen, ebenso wurde intern neu strukturiert, sodass heute die Gesamtverantwortung im Bereich Marketing und Kommunikation für alle Standorte (Congress, Stadthalle, Messe, UPC ARENA und Eishalle) in seinen bewährten Händen liegt.

Zusätzlich ist die Akquisition von Veranstaltungen ein wesentli­ cher Schwerpunkt seiner Tätigkeit und da zählt „gute internationale Netzwerktätigkeit zur wichtigen Basis des Erfolges“. Das ist auch mit einer guten Vermarktung der Standorte sowie der Stadt selbst verknüpft, auf die sich die Verantwortungsbereiche erweitern. „Wir bieten vollkommene räumliche Flexibilität und Full-Service für den Veranstalter. Mangels bestehender fixer Einbauten können wir die Stadthalle in allen erdenklichen Varianten anbieten und den Raum auf die jeweilige Veranstaltungsgröße anpassen. Diese breite Palette an Möglichkeiten ist auch die Herausforderung und der Reiz im Verkauf. Es macht einfach Spaß zu sehen, dass sich am Wochenende noch 10.000 Besucher von den Artisten des Cirque du Soleil verzaubern ließen, zeitgleich im Obergeschoss der Stadthalle ein Wissenschaftskongress stattfand und wenige Tage später in der gleichen Halle vielleicht ein Hallenmotocross-Rennen stattfindet. Die Zeiträume, in denen auf-, ab- oder umgebaut wird, werden immer extremer – unser Team vollbringt hier wirklich logistische Höchstleistungen, um diese Abläufe geregelt über die Bühne zu bringen, und in diesem Bereich hat sich das Haus in den vergangenen Jahren einen exzellenten Ruf erarbeitet“. Tatsächlich hat es bis dato noch keine Veranstaltung gegeben, die nicht ihren Raum in der Stadthalle hätte finden können. Selbst als 2008 die World Choir Games 20.000 Sänger nach Graz lockte, hatte die Halle genug Kapazität, um über 100.000 Menschen innerhalb von zwei Wochen unterzubringen. Nicht nur Flexibilität, sondern auch eine Vielfalt im Veranstaltungs­ programm spielt für Christof Strimitzer eine wichtige Rolle:

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Wetten dass …?, 2008

Die Toten Hosen, 2012

Cirque du Soleil, 2012

„Neben einer entsprechenden Auslastung ist es auch unser Antrieb, ein möglichst breites Programm anzubieten – und dazu gehört neben Hansi Hinterseer genauso die andere Ecke wie Linkin Park, Family Entertainment wie AFRIKA!AFRIKA, mit dem Bauernbund­ ball der größte Ball des Alpenlandes, große Messen, Tagungen, Kongresse und Firmenevents, diverse sportliche Begegnungen oder eine Samstagabend-Unterhaltungsshow wie Wetten, dass…?“ Was uns besonders interessierte, war das Besondere an Live-Übertragungen im Fernsehen. Christof bezeichnete es als eigene Welt, vor allem in Bezug auf den Raumbedarf. Er beschrieb als Beispiel die Musikshow The Dome, für die über 10 Tage hinweg vier Hallen gebraucht wurden. Täglich waren im Schnitt 250 Mitarbeiter für den Aufbau tätig, was sich steigerte, als die Proben – erst mit Doubles, dann mit den originalen Künstlern – begannen. Am Sendetag selbst waren es 700 bis 800 Leute, die hinter den Bühnen arbeiteten. Für den Silvesterstadl beispielsweise wurden sämtliche Kulissen, Veranstaltungs- und Übertragungstechnik in einem sogenannten „cross loading“ in 90 Container verpackt und per Zug angeliefert. „Es gibt vergleichsweise keine Halle, die annähernd viele TV-Produktionen beherbergt hat wie die Stadthalle Graz. Derartige Formate rücken nicht nur die Location selbst in internationales Licht, sondern bringen auch für Stadt und Land einen wichtigen touristischen Wert – am Beispiel des Silvesterstadls kann man abseits des Wertes, der durch die Reichweite erzielt wird, von etwa 10.000 zusätzlichen Nächtigungen ausgehen, die durch die Produktion generiert werden“, so Christof Strimitzer. Intern ist der Betrieb sehr straff organisiert – etwa 90 Mitarbeiter sind in den von der MCG betriebenen Venues beschäftigt. Über 400 Veranstaltungen werden im Schnitt pro Jahr abgewickelt, über 1,1 Millionen Besucher frequentierten im vergangenen Jahr die Veranstaltungen in den Räumlichkeiten der MCG. Im internatio­ nalen Bereich hat sich die Stadthalle einen guten Namen gemacht, auch der dieser Kundenstock gewinnt stetig an Größe – besonders 18

Bauernbundball 2013

deutsche Produzenten haben in den letzten Jahren ihre Liebe zu Graz entdeckt. Zwei internationale Auszeichnungen durch den EVVC (Verband der europäischen Veranstaltungszentren mit über 300 Mitgliedern, darunter so prominente Häuser wie die Olympiahalle München, Westfalenhalle Dortmund etc.) durfte das Stadthallen-Team in den letzten Jahren ebenso in Empfang neh­ men, wie mehrfach gute Platzierungen in internationalen Ran­ kings des Verbandes. Durch das hautnahe Miterleben des Live-Geschehens vor Ort bekommt Christof natürlich mit, wie diverse Stars und Künstler „ticken“ – die scheinen oft ihrem eigenen Rhythmus zu folgen: Justin Timberlake wünschte sich eine spezielle Kaugummisorte, die allerdings außerhalb Amerikas nicht zu bekommen war. Iron Maiden wollten vorab eine Info zur lokalen Gastro-Szene und machten einen Streifzug durch die Grazer Schanigärten, Die Ärzte feierten mit 80-Mann-Crew bei einem Fußballspiel im Gösser-Bräu, Linkin Park ließen sich vorab die Speisekarten aus den Restaurants in die Stadthallen-Garderobe bringen, um die Speisen für den nächtlichen Weiterflug nach Finnland zu ordern, David Copperfield schickte gleich im Vorfeld einen 36-Seiten starken Catering-Rider und auch Nicolas Cage bestand auf seine spezielle Behandlung, als er vom Flughafen aus den StadthallenCaterer Toni Legenstein anrufen ließ, um mitzuteilen, dass sein Steak nun gegrillt werden durfte. Im Rückblick kann sich Christof noch gut an seine persönlichen Highlights im Laufe seiner Tätigkeit erinnern. „Zum ersten Mal bei Linkin Park das volle Haus mit 11.000 Personen zu erleben, erzeugte unter uns allen Gänsehaut. Es ist vor allem dann immer wieder aufregend, wenn eine entsprechend lange Akquisitionszeit hinter einem Projekt steht, oder man weiß, dass auch andere Hallen sich sehr bemüht haben, die eine oder andere Veranstaltung zu bekommen. Und wenn dann auch noch die Eurovisions-Fanfare eingespielt wird und Florian Silbereisen mit dem Helikopter von


Handball-Europameisterschaft, 2010

Peter Fox, 2009

Volbeat, 2010

der UPC ARENA in die Stadthalle eingeflogen wird und das sechs Millionen Menschen im deutschsprachigen Raum live zu sehen bekommen, bringt das ein breites Lächeln auf mein Gesicht“. Besonders in Erinnerung bleiben natürlich ungeplante Einlagen der Künstler selbst. Er erinnerte sich, wie Farin Urlaub vor Beginn des Songs Unrockbar 11.000 Fans aufforderte, sich mal eben auf den Hallenboden zu setzen, um beim Refrain kollektiv in die Höhe zu springen. Seinen Ausgleich findet Christof im Privatleben: bei seiner Frau Ina, mit der er stolze 21 Jahre verheiratet ist, und seinen Kindern Moritz und Flora. „Meine Familie ist für mich wichtigster Energie-Geber und bietet mir ein gesundes Gegengewicht zu meinem Job“. Als erklärter Familienmensch versucht er auch, jede Minute seiner Freizeit derselben zu widmen. Darüber hinaus wirkt er dem „Stress“ der Arbeit mit Sport wie Badminton oder Joggen entgegen. „Ich liebe meine Arbeit und könnte mir auch nach über 20 Jahren Erfahrung nichts Aufregenderes vorstellen, als in der Live-Entertainment-Branche zu arbeiten. Zu guter Letzt wollten wir noch vorfühlen, was man in nächster Zukunft an Events in Graz erwarten darf, was bereits fix geplant ist und welche Events noch auf Christofs eigener Wunschliste stehen. „Der Konzertmarkt ist hart, der Mitbewerb hat sich in den vergangenen Jahren auch verstärkt und gut aufgestellt und die Planungs­ phasen werden immer kurzfristiger“, meint Christof. Ein paar Details dürfen allerdings schon verraten werden. Die Rückkehr der Hallenmotocross-Show Night of the Jumps Ende Jänner 2014 so­wie Gastspiele wie AFRIKA!AFRIKA! und der Sportfreunde Stiller stehen bereits am Programm. Rolando Villazon gastiert im Frühjahr 2014 im Stefaniensaal. Der Silvesterstadl wird 2014 wieder live aus der Stadthalle Graz gesendet. Im Sportbereich ist die Endrunde der American Football Europameisterschaft in der UPC Arena ein absolutes Highlight. Angesprochen auf die Veranstaltungen, die sich Christof persönlich in der Stadthalle wünschen würde, führt

Springfestival, 2011

unser Gespräch wieder zurück zum Anfang, als er meint: „KISS, AC/DC, Black Sabbath oder Metallica in der Halle zu haben, wäre ein kaum zu toppendes Ereignis“. Auch eine Open-Air-Veranstaltung steht weit oben auf der Liste. Wir wünschen Christof persönlich, dass sich diese Wünsche bald realisieren werden.

CHRISTOF STRIMITZER – SHORTFACTS Geburtsdatum: 11.08.1972 Interessen und Hobbies: Musik, Sport Was ich noch erleben möchte / Lebensziel / Wunschträume: Beruflich: Viele tolle Veranstaltungen in unseren Venues. Privat: Viele schöne Momente mit meiner Familie. Die Stadthalle bedeutet für mich: 1. Ein toller Arbeitgeber 2. Ein tolles Team 3. Eine tolle Möglichkeit für die Stadt Graz, im internationalen Rampen licht zu stehen. Über 4,5 Millionen Besucher haben in den vergangenen 10 Jahren die Stadthalle besucht. Über 1800 Veranstaltungen fanden statt – vielfach in einer Dimension, die ohne Stadthalle in Graz nicht durchführbar gewesen wäre..

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Szene

Alltag im Stichtag Bericht von Cornelia Schwingenschlögl, Fotos von Günther Golob

Zu Besuch in einem der ältesten Tattoo-Studios von Graz. Angefangen hat Stichtag 1997. Iris, Gründerin und Chefin, ist Piercerin, ihre sieben Mitarbeiter tätowieren. Zwischendurch kommen Gasttätowierer ins Haus, zum Beispiel aus Bremen. Dort und in Hamburg steht ja sozusagen die Wiege der Tattoo-Kunst: „Das europäische Tätowieren kommt ja weitgehend aus der Seemannsgeschichte.“ Bei Stichtag wird sehr wenig nach Katalog gearbeitet. Jeder der Tattoo-Artists zeichnet selbst. Auch jede Koje ist persönlich und unterschiedlich selbst gestaltet. Natürlich gäbe es Motive oder Schriften, die nicht immer wieder neu erfunden werden – aber dennoch kann man sie stets individuell umsetzen. „Eine Rose kann man immer wieder neu interpretieren“, meint Iris dazu, „Wir machen praktisch kein Tattoo zwei Mal.“ Zwei Arten von Kunden gäbe es: Jene, die sich anlassgegeben tätowieren lassen, zum Beispiel zur Erinnerung an etwas oder jemanden. Je nach Geschmack wählen diese den Ausdruck in Worten und Zahlen oder in Symbolen. Und jene, denen Körperkunst einfach gefällt. „Ich glaube nicht, dass jede Tätowierung eine Geschichte haben muss“, überlegt Iris, „man

kann sie durchaus einfach machen, weil man es schön findet.“ Ihre eigenen Tätowierungen sind für Iris vor allem die Markierungen bestimmter Punkte in ihrer Lebensgeschichte. Sehr interessant findet sie aber auch schön durchkonzipierte Bodyart, die rein dem Schmuck dient. Allerdings ist diese Form der Körperkunst noch relativ neu. Generell habe sich viel in dem Bereich getan: „Noch vor 20 Jahren war zum Beispiel der Schritt, sich als Frau den Unterarm tätowieren zu lassen, ein wesentlich größerer als heute.“ Die Tattoo-Kunst hat sich von ihrem früheren RandgruppenDasein mittlerweile weit entfernt. Sie hat viel an Protestcharakter verloren und ist gesellschaftlich wesentlich akzeptierter. Das Gleiche gilt für Piercings. „Was sich dadurch auch verändert hat, ist die Art, Schmuck zu tragen“, meint Iris. Vor 20 Jahren waren Piercings groß, brutal, dornenhaft und sollten den Eindruck von Härte vermitteln. „Heute haben sie vor allem bei jungen Mädchen mehr mit Glitzern, Gefunkel und Swarovski-Kristallen zu tun als mit ‚Ich bin DER Punk’“, lacht sie. Das Tattoo oder Piercing seiner Träume bekommt man bei Stichtag ab 18. Wohingegen aber früher

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www.stichtag.at


die meisten Kunden zwischen 18 und 30 waren, verschiebt sich die Altersgrenze gegenwärtig weiter nach oben. Auf die Frage, welche Aufträge Stichtag nicht annehmen würde, meint Iris, Gesichtstätowierungen seien grundsätzlich problematisch, da sie schwerwiegend in den Ausdruck eines Menschen eingreifen würden und man sich damit immer noch in ein gesell­ schaftliches Aus brächte. Wie sieht nun eigentlich Iris’ Berufsalltag als Tattoo-Studio-Besitzerin aus? „Eigentlich unspektakulär. Man beginnt um 11:00 Uhr zu arbeiten und geht um 19:30 oder 20:00 Uhr nachhause. Und dazwischen ist der Wahnsinn“, lacht sie. Die Familie versorgen, Büroarbeiten erledigen, einkaufen gehen, Bestellungen tätigen, sich um das Geschäft kümmern, nachhause gehen, Abendessen machen, wieder Büroarbeiten erledigen, etwas fernsehen, ab und zu ausgehen – „Eigentlich ganz, ganz bieder!“ Der verruchte Glamour, der das Tätowierer-Dasein in den Köpfen mancher umgibt, ist eher als Mythos einzustufen. In ihrer Freizeit holen sich Iris’ Mitarbeiter eher bei sportlichen Aktivitäten den nötigen Ausgleich: „Wenn du sechs bis acht Stunden hier drin sitzt und arbeitest, dann gehst du nicht heim und schaffst noch irgendwelche großen Kunstwerke.“ Dass dies vielen nicht ganz klar ist, ist vielleicht Mitgrund, dass der Beruf des Tätowierers derzeit so trendy ist. Iris erhält wöchent­lich ein bis zwei Anfragen bezüglich einer Lehrstelle. „Aber das Leben eines Tätowierers ist nicht Miami. Das Image ist so cool, so ‚Rockstar’ … Natürlich ist ein es kreativer Beruf und man hat mehr Freiheiten als in einem 9-to-5-Bürojob. Und natürlich gibt es einige wenige Tätowierer, die es geschafft haben und jetzt die fetten Autos vor der Tür stehen haben – aber das sind die wenigsten.“ Teure Anfängerkurse sieht Iris eher skeptisch. Sich von jemandem die Basics zeigen lassen und dann sehr viel üben, so entwickle man

handwerkliches Können. Sinnvoller seien Weiterbildungskurse für Leute, die bereits etwas Erfahrung haben. Tattoo-Conventions würden eher von den jüngeren Mitarbei­tern besucht: „Wenn du jung bist, hast du mehr Motivation, dich zu präsentieren und dich auch mit anderen zu messen. Wenn du 20 Jahre im Geschäft bist, weißt du, was du kannst.“ Wer sich in die Hände von Stichtag begibt, kann sicher sein, dass hier seriös und gewissenhaft gearbeitet wird: „Wir setzen keine Dinge um, von denen wir aus Erfahrung wissen, dass sie in fünf oder zehn Jahren nicht mehr gut aussehen werden. Ich mache keine Piercings, die funktionsstörend sind oder wenn es keine Chance gibt, dass sie gut verheilen werden.“ Das bedeutet, dass man hier auch ganz offen über die möglichen negativen Folgen von Körperschmuck informiert wird. „Deshalb frage ich immer so viel“, erklärt Iris, „Ich muss wissen: Was könnten die Kunden tun, das den Heilungserfolg negativ beeinflusst?“ Sollte das aufgrund beruflicher oder sportlicher Aktivitäten der Fall sein, helfen oft einfache Vorsichtsmaßnahmen. Die Fähigkeit, mit Menschen zu kommunizieren, ist in diesem Geschäft essenziell: „Das kann nur funktionieren, wenn man sich auf die Leute einlässt. Der Eigenbrötler im stillen Kämmerlein sollte lieber nur die Leinwand bemalen.“ Die Kreativität eines Tätowierers muss immer im Einklang mit dem Kundenwunsch stehen. Sie wird ihn immerhin für den Rest seines Lebens begleiten. Ein weiterer Grund für die große Bedeutung, die Tattoos für ihre Träger haben, sieht Iris gerade darin, dass sie nicht einfach völlig schmerzlos „aufschminkbar“ sind. Darin, dass man sich überwinden und sie sich sozusagen „verdienen“ muss. „Wenn man schon mehrere Motive hat, ist das vielleicht nicht mehr ganz so. Aber das erste Tattoo wird man sich erspüren“, lächelt Iris.

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Design

Wohnpark Graz-Gösting Historisches, visionäres Wohnen Text von Stefan Rothbart, Visualisierungen von Fa. Gröbl

Im Grazer Norden entsteht derzeit ein besonderes Wohnprojekt mit visionärem Charakter. Der Wohnpark Gösting, geplant und gebaut von der Gröbl Gruppe, liegt nicht nur in bester grüner Lage, sondern versprüht zudem historisches Flair, denn er wird teilweise auf einem mehr als 150 Jahre alten Weinkeller errichtet, der in würdiger Weise in die moderne Wohnanlage integriert werden soll. Im Grazer Norden entsteht derzeit ein besonderes Wohnprojekt mit visionärem Charakter. Der Wohnpark Gösting, geplant und gebaut von der Gröbl Gruppe, liegt nicht nur in bester grüner Lage, sondern versprüht zudem historisches Flair, denn er wird teilweise auf einem mehr als 150 Jahre alten Weinkeller errichtet, der in würdiger Weise in die moderne Wohnanlage integriert werden soll. In unmittelbarer Nähe zum Plabutscher Schlössl und der Pfarrkirche St. Anna sowie dem Schloss Gösting, soll im Wohnpark zudem ein Dorfcharakter mit besonderer Le­ bensqualität entstehen. Mit einem eigenen Dorfcafe, einer Fleischweihe zu Ostern und einer allgemein zugänglichen Weinlaube soll den Bewohnern die Möglichkeit zur Begegnung gegeben werden.

Das Grundstück selbst hat einen besonderen historischen Hintergrund. So befand sich hier einst die Champagnerkellerei der Gebrüder Kleinoscheg, die im Jahre 1848 gegründet wurde. Der hier gekelterte „steirische Champagner“ wurde zu einem Aushängeschild der heimischen Sektkultur und die Brüder Kleinoscheg dadurch zu k. & k.-Hoflieferanten. Im Jahre 1883 ehrte Kaiser Franz Joseph I. bei einem Besuch höchst persönlich das aufregende und anregende Getränk. Die Kelleranlage der Champagnermanu­ faktur ist heute noch erhalten und fügt sich in ehrbarer Weise in den neuen Wohnpark ein. Ein Konzept zur Erschließung und Nutzung der Kelleranlage für die Bewohner ist im 2. Bauabschnitt geplant. Durch die Integration der Geschichte in die moderne Architektur soll ein besonderes

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www.wohnpark-goesting.at

Lebens­umfeld entstehen, wie man es nur selten findet. Den Bewohnern soll nicht nur eine Mischung aus modernem und historischem Flair geboten werden, sondern auch ansprechende Wohnatmosphäre zu fairen Preisen und eine beste Anbindung an die lokale Infrastruktur. So bietet sich das „Dorf“ der Gröbl Gruppe vor allem auch für Familien an: Volksschule, Kindergarten, Nahverkehrsknoten mit geplanter Straßenbahnanbindung in die Innenstadt und Erholungsgebiet am Plabutsch befinden sich jeweils nur wenige Gehminuten vom Wohnpark entfernt. Ob Anleger- oder Vorsorgewohnung, ob 33-m2-Singlewohnung oder 130-m2Familiendomizil, der Wohnpark Gösting bietet auf jeden Fall Top-Wohnqualität für alle Bedürfnisse.


Foto: Thomas Schauer

Musik

COMO

Music Diary

Empfehlung von Gunter Dorner, Leiter Musikredaktion Steiermark und Kärnten

Como stammt aus Graz-St. Peter, hat sich nach dem Comer See in Italien benannt und schreibt keine Lieder, wie sie sagt, sondern sie passieren ihr einfach. „Ich setze mich ans Klavier und spiele, was mir in den Sinn kommt. So entsteht eine grobe Skizze, die dann reifen muss, bis sich die Lücken plötzlich wie von selbst füllen“, sagt Como, die ihre Lieder bislang für sich behielt, denn ihre Songs waren gut verborgene Eintragungen in ihr Tagebuch. Das erste Album ist sozusagen ein Auszug dieses Tagebuchs. Soweit ein Auszug aus dem Pressetext, den die Plattenfirma ausgesendet hat. Aber die Lieder von Como sind viel, viel mehr. Diese Songs sind Tagebuch, Refugium, Oase für die Seele, Auffangbecken für Gedanken und Erinnerungen an Erlebtes, das festgehalten werden soll, um nicht

verloren zu gehen. Comos Songs sind Reisen durch Stimmungen, Gefühle und Situationen, die das Leben mit Sicherheit für jeden mal bereithält. Und genau dann, aber eigentlich nicht nur dann, sollte man(n)/frau sich Musical Diary in den CD-Player legen, sich zurücklehnen und eintauchen in die wunderbare Gefühlswelt von Como. Schon das locker-flockige Poetry lässt erahnen, in welche Richtung sich das Album bewegt. Wunderschöne Balladen wie To Granny oder Mad Love wechseln sich mit klavierlastigen, getragenen Midtempo-Songs wie Suitcase oder auch Silent Girl Next Door ab. Und eines ist auch ganz klar: Es kommt ganz selten vor, dass eine Künstlerin schon mit ihrem ersten Album komplett zu überzeugen weiß!

http://www.como-music.com/

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Wir drucken unter Einhaltung strengster Auflagen kompromisslos umweltverträglich.

...weil uns unsere Umwelt am Herzen liegt!

klimaneutral

Universitätsdruckerei Klampfer GmbH Barbara Klampfer Straße 347 A-8181 St. Ruprecht / Raab Tel.: +43 (0) 3178-28 555 – 0 Fax: +43 (0) 3178-28 555 – 6 (Büro) E-Mail: office@klampfer-druck.at


Sophie Rastl und Toni Burger, Foto: Jacqueline Korber

Musik

„Sprudeln

is a guats Wort“

Ein Bericht von Anita Raidl, Fotos von Fritz Fitzke, Jacqueline Korber, alpenpost.at und HM&ES

Ü B E R D I E RU H E VO R D E M S T U R M . Ü B E R DA S A N KO M M E N U N D DA S L E B E N I M M O M E N T. A N I TA R A I D L E R I N N E RT S I C H A N „ S P RU D E L , S P RU D E L & M U S I K “ I M A U G U S T 2 0 1 3 – E I N F E S T I VA L RU N D U M K U N S T, K U LT U R , N AT U R U N D M E N S C H I N G Ö S S L A M G RU N D L S E E .

Soundritual, Foto: Fritz Fitzke

Glen Hansard, Foto: alpenpost.at

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Dani Mayu und Sebastian Rastl, Foto: alpenpost.at

„Muschel“ von Mizzi Pur, Foto: alpenpost.at

Martin Klein, Foto: Jacqueline Korber

Das Wasser sprudelt, die Gedanken sprudeln, die Worte sprudeln aus einem heraus. Es sprudelt! Sprudeln ist ein vielseitiges Wort. „Sprudeln is a guats Wort“, sagt Franz Steinegger, Veranstalter von „Sprudel, Sprudel & Musik“ und blickt auf die sommerlich blühende Wiese hinaus. In diesem Jahr zieht „das Sprudeln“, wie man das Festival hier liebevoll nennt, schon zum neunten Mal ins Land – keine Selbstverständlichkeit, denn Franz Steinegger überlegt stets aufs Neue, ob er die damit verbundenen Herausforderungen und Risiken auf sich nehmen möchte. Vielleicht ist es die Liebe zum Experiment, die ihn dann doch immer wieder dazu bewegt. Oder die Leidenschaft für die Musik und die Freude an einem kreativen, inspirierenden Miteinander. Franz Steinegger, der mit seiner Familie in einem Bauernhof im Zentrum von Gössl lebt, hat die Sache jedenfalls fest im Griff und man spürt: Das Dorf steht hinter ihm. Das Telefon klingelt, Franz muss weiter. Es gibt noch viel zu tun am Tag vor dem Tag. Sachen müssen transportiert, Wichtiges ausdiskutiert und das ganze Dorf in eine Bühne verwandelt werden. Die Scheune, der Garten, die sogenannte „Fuchskirche“, die große Wiese, wo das diesjährige Experiment, das „Soundritual“, uraufgeführt wird. Die Hauptbühne, auf der Otto Lechner & das Ziehharmonische Orchester und Oscar-Preisträger Glen Hansard auftreten werden. Alles wird zurechtgemacht, Traktoren drehen ihre Runden und die Künstler treffen ein. Man umarmt sich, man kennt sich oft schon aus vergangenen Jahren. Auch Musiker und Almhirte Toni Burger ist wieder mit von der Partie. „Ich entdecke sehr gerne Gemeinsamkeiten zwischen traditioneller und mo­ derner Musik. Wichtig dabei ist aber Liebe und Respekt zum traditionellen Gut“, lautet sein Credo, das stellvertretend auch für die gesamte Sprudel-Kultur stehen kann. Während wir miteinander Foto: alpenpost.at

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Mizzi Pur, Foto: Jacqueline Korber

sprechen, beginnt die Bildhauerin Mizzi Pur ihren „Kürbis“ aus Holz und Spiegelfedern auf einen Traktor zu laden. Im gemütlichen „Briggl“ nebenan sitzen Wolfgang Kuthan, Karl Ritter und Projektionskünstler Fritz Fitzke, sie treffen letzte Vorbereitungen für das Soundritual, das die Menschheitsgeschichte von der Schöpfung weg mit einem einzigartigen Sound vor Augen und ins Ohr führen wird. Daran beteiligt sind Künstler wie Susanna Ridler, Peter Herbert, Hans Tschiritsch, Battista Acquaviva und auch die Ausseer Soundfactory. Ich höre bei den Proben von Toni Burger, Matthias Jakisic, Sophie und Sebastian Rastl zu und merke: Hier ist es möglich, den Moment zu leben. Was danach passiert, ist eine Erinnerung der Erinnerung. Ich wache auf und weiß: Es wird ein langer Tag werden. Ich spreche mit Glen Hansard und vielen anderen, ich massiere den Rücken von Battista Acquaviva, ich esse „Hasenöhrl“ und selbstgemachtes Brot, ich versuche, meine Haut vor der Sonne zu schützen. Ich beobachte, wie Besucher durchs Dorf und in den Wald hinein mäandern, wie manche ihr Herz an Glen Hansard verlieren und erstaunt eine Butoh-Tänzerin in der „Fuchskirche“ entdecken. Ich warte. Ich versuche, alles einzufangen und aufzusaugen. Ich stehe vor der Gössler Wand, bewundere Mizzi Purs „Muschel“ im Bach und höre Jazzsängerin Susanna Ridler sagen: „Es nimmt dir den Atem, es ist wirklich beeindruckend in dieser Kulisse von purer Wildnis und Natur.“ Ich lausche den Klängen von Martin Klein, Paul Gulda & Marwan Abado, Martin Spengler und die foischn Wiener. Wörter wie „magisch“ fallen. Ich trinke mit dem „Annerl“ Sepp, dem Vater vom Franz, einen Schnaps im „Briggl“. Ich bin vom Soundritual gebannt. Ich bin bis in die Nacht hinein dabei. Die

Spontanes Jodeln, Foto: alpenpost.at

Foto: HM&ES


Thalhammer, Eidlhuber, Eder, Foto: alpenpost.at

Gespräche werden länger und zu wundersamen Geschichten über das Leben. Dann wandere ich in mein Nachtquartier, das Musikzimmer vom Franz, und ruhe mich aus. Zwischen Piano und Waschbecken. Zwischen musikalischen Nachklängen und sprudelnden Gedanken. Am Tag nach dem Tag blicke ich vom Balkon aus übers Dorf. Viele sind schon wach und klagen beim Frühstück im Garten über die kurze Nacht. Am Nachmittag schwimme ich im Grundlsee, das Wasser ist warm und der Abschied von diesem wunderbaren Ort zum Greifen nah.

Später lese ich in einem fm4-Interview, dass für Glen Hansard „Sprudel, Sprudel & Musik“ das größere Highlight war als der Auftritt seiner Band am Glastonbury Festival. Für mich war das Sprudeln sicherlich das herzlichste Kultur-Festival, das ich bis jetzt Inserat_HW_Xrockz_Layout erlebt habe. 1 30.09.13 06:21 Seite 1

Martin Spengler & die foischn Wiener, Foto: alpenpost.at

Nachsatz: Anfang 2014 erscheint eine Dokumentation (Regie: Angi Poganitsch) über das Dorf Gössl. Mit dabei: Viele Gespräche mit Künstler/innen vom diesjährigen Sprudeln. Infos: www.steineggerfilm.at Außerdem lockt im Oktober und November die „Sprudel Nachspeis“ nach Gössl: 31.10. – Streich Quartett (Toni Burger, Matthias Jakisic, Sophie Rastl, Sebastian Rastl) 09.11. – Martin Spengler & die foischn Wiener 16.11. – Der Alpenblues Mann (Franz Thalhammer, Christian Eidlhuber, Georg Eder) 22.11. – Von Bach bis Beirut (Marwan Abado und Paul Gulda) 29.11. – Martin Klein solo Mehr dazu auf www.sprudelsprudel-musik.com Anzeige

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REINHARD SCHUCH

DAS GROSSE FRESSEN arf’s ein Tatar vom Fohlen sein? Oder vielleicht ein Huhn aus der Bresse? Oder wie wär’s mit einem Beluga-Kaviar aus iranischer Zucht? Ein bisschen Dekadenz wird man sich wohl noch leisten dürfen. Darf man? In Zeiten der weltweiten Krise, der Jugendarbeitslosigkeit, der Armutszunahme und der Bürgerkriege vor den Toren Europas? Wann beginnt eigentlich Dekadenz? In einer demokratischen und globalisierten Gesellschaft kann sich doch jeder leisten, was er will. Oder nicht? Sich ein Fohlenbeiried aus Italien kommen zu lassen oder einen Kaviar aus dem Iran, das sollte zumindest als ökologisches Vergehen geahndet werden (wegen des Transports und der Luftverschmutzung). Das gilt natürlich für alle Lebensmittel, die viel zu lange Wege bis zu uns benötigen. Alle diese Lebensmittel sind in gewisser Weise „dekadent“ (spanische Erdbeeren im Winter).

DUMMHEIT FRISST

NEUESTE SCHAUMSCHLÄGEREIEN Die Hamburger „Zeit“ widmete einem Koch aus Spanien eine mehrseitige Reportage. Der gute Mann macht alles in quasi wissenschaftlichen Versuchsanordnungen zu Schaum. Entenbrustschaum an Kartoffelschaum mit zu Schaum verarbeitetem Chicoréesalat gilt als hip, der Schaummeister als gegenwärtig bester Koch der Welt. Warum nicht gleich alles zu Gasen verarbeiten, die man in kleinen Fläschchen auf den Esstisch stellt? Ein Fest für Zahnlose. Dann schon lieber richtig schlemmen wie im Film „Das große Fressen“ aus den Siebzigern. Einige Freunde treffen sich, um sich bei einem Fress- und Sexgelage bewusst ins Jenseits zu befördern. Eine schöne Veranschaulichung von echter Dekadenz. Laut Duden bedeutet diese ja Verfall/Niedergang.

DAS ALTE ROM LÄSST GRÜSSEN Immerhin hat sich in der Krise ein Hauch von Bescheidenheit und Besinnung auf Einfaches eingestellt. Ein Koch erklärt dazu, dass im Haubenlokal gegenwärtig Trüffel und Austern weniger gefragt sind. Der Konsument ist vielleicht doch lernfähig. Es muss nicht immer das Teuerste aus der am weitesten entfernten Region sein. Steaks aus Argentinien, pfui, Wachteleier aus der Normandie, pfui, Hummer aus Australien, doppelpfui. Noch lieber verzichten wir auf die hundertste Variation des Seesaiblings oder die zweihundertste Lammkeule im TV. Wenn eine Gesellschaft nur mehr frisst, nun ja ... wie war das gleich mit dem alten Rom?

Foto: Ulrike Rauch

Nun ist es so, wie es im Sprichwort heißt, dass Dummheit frisst und Intelligenz säuft. Dummheit und Dekadenz dürften miteinander verwandt sein. Dessen bedienen sich die Massenmedien: kein Fernsehsender, der nicht mindestens eine Kochshow ausstrahlt, kaum eine Zeitung, die nicht regelmäßig Restaurantkritiken auftischt oder mit Rezepten beglückt. Köche mit Ziegenbärten, Glatzköpfen und dem Charme eines Kochtopfs sind Stars wie Fußballer, Popsänger, Schauspieler. Sie werden als Künstler, Designer und kreative Köpfe gehandelt. Wenn dann Food-Journalisten schreiben, dass ein klassisches Gericht „modern und mit Witz interpretiert“ wurde, dreht sich bei mir endgültig der Magen um. Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich koche selber gern, und ein Essen mit Freunden ist eine schöne Sache. Aber die

permanente Präsenz von Degustationen in den Medien und der Hype um die Nahrungsaufnahme wirkt lähmend auf Geschmacksund sonstige Nerven. Das „Zuviel“ macht die Sache dekadent.

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MARIA MAGDALENA MÜLLER

TERROR À LA CARTE DER GENUSS KANN EINEM VERGEHEN, WENN MAN IN DEN MEDIEN TAGTÄGLICH MIT GENUSS-ANGEBOTEN BOMBARDIERT WIRD. WENN SICH ALLES NUR MEHR UM WOHLBEFINDEN, WELLNESS UND SCHMANKERLN DREHT. VERWEIGERN WIR UNS DEM GENUSS-TERROR.

FEINKOST-MILITARISMUS Beruflich habe ich bei vielen Genuss-Diktatur-Events bis dato mitgemacht. Eine fadere und leerere Gesellschaft fand ich nirgendwo. Schön angezogen und schön langweilig, aber mit soldatischer Disziplin sitzen die Damen und Herren, verkosten die Weine und Speisen und sagen ab und zu: „köstlich“, „süffig“, „feinherb“ oder „fruchtig“. Diese Wörter fallen an immer schön gedeckten, immer sehr langen Tafeln wie Schwerter. Zack! Danach passiert nichts. Kein anderes Wort, nur noch ein neuer Schluck oder Biss. Wieder mal köstlich, süffig oder feinherb. Die alten Römer haben auch Speis und Trank geliebt. Aber sie machten eine Performance daraus: Sie lagen nackt auf dem Triclinium, tranken und fraßen sich zu Tode, schauten schönen Tänzerinnen zu, hatten enorm viel Sex und starben am Ende an den Folgen des eigenen Hedonismus. Die Römer haben ohne schlechtes Gewissen genossen, ist mein Eindruck. Anders als unsere Damen und Herren an den langen Tafeln. Nach zu viel Genuss schlucken sie mit schlechtem Gewissen Iberogast-Tropfen. Wenn zu viel Speck auf den Hüften landet, fliegen sie nach Indien – mit neuem Friaul oder Steiermark Gastro Guide in der Hand – zur Ayurveda-Kur. Sie nehmen ab und fangen bei der Rückkehr wieder von vorne an. Süffig oder feinherb.

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BUSCHENSCHANK ANONYMUS Mehr Lebensfreude und Genuss finde ich in anonymen Buschenschänken, die noch nicht die Worte Werbung und Marketing kennen. Sie liegen irgendwo zwischen den Genussregionen und haben keine EU-Förderung für Omas Schlutzkrapfen bekommen. Leider gibt’s solche anonymen Genussstätten immer weniger, weil die fleißigen Anzeigenverkäuferinnen fast jede ausfindig gemacht haben. Eine gute Genuss-Story ist keine gute Genuss-Story, wenn man nicht mindestens sechs Inserate daneben platziert hat. Die Headlines dieser Inserate oder PR-Einschaltungen fangen alle gleich an: „Genießen Sie ...“ Wenn in der Headline noch das Mega-Syntagma „Steirische Schmankerln“ vorkommt, dann kann ich nicht mehr. Blättere schnell die Seite um, und schon wartet auf mich die nächste Thermenland-Genussfalle: „Wohlbefinden in Bad ...“ oder noch besser: „Spaß im Nass“.

GRANTIGER GENUSS Hier ist definitiv für mich der Spaß aus und ich träume vom Gasthaus Pijero auf der Insel Murter in Kroatien, wo der immer grantige Wirt sagt: „Bestellen Sie bitte nicht zu viel Fisch. Sie haben ohnedies schon zu viel gegessen.“ Sein Gasthaus ist immer halb leer, obwohl sein Scampirisotto und sein Oktopussalat, seine Seehundsteaks oder Scampi auf Buzara-Art traumhaft schmecken. Die paar Gäste, die bei Pijero sitzen, genießen alleine, ohne lange Tafel, ohne Werbeplakate, Sujets und Slogans wie „krönender Genuss“. Für die Wörter süffig, halbherb oder fruchtig ist hier kein Platz. Hier gibt es nur einen Wein und einen Fisch pro Person und jede Menge Meer. Wie bei Jesus und später beim vernünftigen Voltaire: „Es gibt keine wahren Genüsse ohne wahre Bedürfnisse.“

Foto: Ulrike Rauch

eden Herbst höre ich auf, die steirischen Zeitungen und Magazine zu lesen. Weil außer über Winzerköniginnen, Apfelsaftfestivitäten und Aufsteirern nicht viel zu lesen ist. Die Welt hat mit Toten in Syrien und Ägypten zu kämpfen, mit der Finanzkrise, mit immer höcherer Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen oder mit ADHS bei Kindern; wir in der Steiermark kämpfen mit der Feinkost. Nicht nur krass, sondern auch assi, würde Bushido sagen. Cicero hat schon vor zweitausend Jahren seinen Senf dazugegeben: „Die am meisten nach Genuss jagen, erlangen ihn am wenigsten.“


REINHARD SCHUCH

DRITTE TÜRKENBELAGERUNG

as hätte sich Prinz Eugen („der edle Ritter“, lernten wir in der Schule) nicht gedacht, dass neben dem türkischen Kaffee weitere türkische Leckerbissen unser Land erobern. Der Savoyer (italienisches Adelsgeschlecht) bemühte sich um 1700 redlich, die Osmanen mit kriegerischer Gewalt aus Wien und Südosteuropa zu vertreiben. Den Einzug türkischer Kulinarik konnte er (zum Glück) nicht verhindern.

beleidigen, weil sie vor dem Mittagessen einen Döner verzehrt haben. Kulturell interessant ist, dass der Döner mit Wurzeln in Südosteuropa bzw. Vorderasien sich mit dem schnellen Tempo (fast) der westlichen Kultur anpasste und McDonald‘s und anderen Burgerfabriken die Stirn bieten kann. Schnell bei der Arbeit, schnell beim Essen – das „Fast“ ist längst ein Fetisch unserer Zeit. Die ursprüngliche orientalische Gelassenheit des Döners hat im Westen kapitalistisches Tempo aufgenommen.

SALUT AUF MEHMET Es muss in den 70er-Jahren gewesen sein, als in Berlin-Kreuzberg zum ersten Mal in einen Döner gebissen wurde. Sein vermutlicher Erfinder, Mehmet Aygün, hatte die Idee, das, was bis dahin auf dem Teller serviert wurde, in ein Fladenbrot zu stecken. Das türkische Fastfood war geboren. Schon mit 16 hatte der dynamische Aygün begonnen, Döner in einem Imbiss zu verkaufen. Gleichzeitig schloss er eine Ausbildung als Fleischer ab; er wollte genau wissen, was in einen Döner reinmuss. Vor ein paar Jahren ist er im Alter von 87 Jahren in einem Berliner Altenheim verschieden. Wir verspeisen ihm zu Ehren einen Döner extra scharf. Und freuen uns über eine gelungene Integration auch im Schweinsbraten- und Backhendlland, ohne die unser Speisezettel ärmer wäre.

HAIDER OHNE CHANCE Weil nach Österreich bekanntlich alles später kommt, mussten wir bis in die späten Achtziger auf den Döner warten (historische 10-Jahres-Verspätung). Bald startete aber der Boom, die Dönerbuden schossen aus dem Boden wie die Pilze. Nicht einmal die Freiheitlichen um Jörg Haider konnten die Verbreitung von Herrn Aygüns Idee verhindern. Aygün ist nach wie vor verantwortlich, wenn Jugendliche wieder einmal Mutters Kochkünste

DÖNER, DÜRÜM, KÖFTE, BAKLAVA UND ANDERE TÜRKISCHE GERICHTE HINTERLASSEN SPUREN AUF UNSEREM SPEISEZETTEL. SO GANZ UND GAR UNBLUTIGE. POLITISCHES STATEMENT Wie man es dreht und wendet: Der Döner ist Teil unserer Kultur geworden. Die Youngsters – und nicht nur sie – kaufen ihn mit der „10 + 1 gratis”-Karte. Manche lassen sich die Döner zur Party zustellen, zusammen mit viel Cola, versteht sich (interessante Kombination). Döner schmeckt nach Fastfood und das ist er auch. Aber wenigstens mit ein paar Scheiben Tomaten, Kraut und Zwiebeln in der Joghurtsoße. Damit ist er immer noch „gesünder“ als so manches Schulbuffet. Mit dem Döner geben wir – wie auch mit dem Einkauf beim türkischen Gemüsehändler – ein kleines politisches Statement ab: Länder mit Gaumenfreuden können keine schlechten Länder sein. Nicht nur wir sind die Guten. Jedenfalls hat der Döner die Europäische Union längst erreicht, die Türkei wartet noch. Irgendwie schade.

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6 1.980

besten, sagen die Trüffel-Experten, gleich hineinbeißen. Frisch schmecken sie am besten.

9.000 Euro pro kg. Falls Sie in Piemont oder Istrien zufällig auf weiße Trüffel stoßen – am

Quellen: www.n-joy.de (Norddeutscher Rundfunk); www.luxuslebensmittel.info

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Das teuerste Wasser der Welt heißt Kona Nigari und wird vor der Küste Hawaiis aus 600 Meter Meerestiefe gepumpt. Flasche mit 0,75L kostet wohlfeile Euro.

Das teuerste Gewürz der Welt ist bekanntlich Safran und schlägt mit rund Euro pro kg zu Buche. Für ein Kilogramm benötigt man bis zu 200.000 Krokusblüten.

Weiße Trüffel kosten rund

6.000

Der Blauflossenthunfisch, eine große kulinarische Liebe der Japaner, erzielte auf einer Fisch-Auktion in Tokio Euro pro kg.

210.000

Eine Flasche „Château Lafite-Rothschild 1787“ wurde 1985 im Auktionshaus Christie’s für Euro versteigert. Prost Mahlzeit!

Der weiße Kaviar, auch „weißes Gold“ genannt, kostet rund Euro pro kg. Zu bekommen ist er nur vom Albino-Stör (ein Stör mit genetischem Defekt). Walter Grüll aus Grödig bei Salzburg hat 15 Jahre gebraucht, um diese besonderen Tiere in großem Stil zu züchten. Im Vergleich dazu sind der Almas-Kaviar (30.000 Euro pro kg) und Beluga-Kaviar (4.500–6.000 Euro pro kg) nahezu Schnäppchen.

65.000

250.000

Der „Stammzellen-Burger“ verschlang stolze Euro an Entwicklungskosten. Derzeit das wahrscheinlich teuerste Stück Essen rund um den Globus. Die Idee dahinter: weniger Tierhaltung.

DIE TEUERSTEN UND PERVERSESTEN LEBENSMITTEL DER WELT


DIE BANKROTTERKLÄRUNG UNSERER ZUVIEL ISATION.

. ger un nH 1 1 ha reich 20 t Öster nsc r richt ha mens fü Me ECD-Be aleinkom ein Laut dem O onation ckgang t ü t R u r rbt % des B as einem sti ur 0,27 eben, w n g hr e ja g r s u o en a V nd er dem lungshilfe ku gegenüb henland Entwick Se Prozent ur Griec n von 14,3 t haben e r gekürz %). All n (32 ,7 ht. Meh W Fo entspric d Spanie n e u l g l tw ev (39,3 %) eit on Für run d s M i Babys jährlich ist nd a der Tag ihr n er Ge bur t la ge zugleich der letzte Tag ihr ler Ki ut U es Lebens. n n ä hr der NIC den un un EF er an g t u Kind n er 5 unger. t g. e en an H J re hrun Mensch ns nt ahre lernä deste w ange Je de . s Ja a hr i st erben etw ck n in n min und M terben c r a s g e a erbe elt Jeden T ch st Hung . Menschen an Tägli n von Hunger. Folge iden rganisation le d n u ternährungso rung. es Jahr r Laut der Wel Mangelernäh rben jed und Menschen an folge ste Mangelionen zu lgen von ten Nat n den Fo r Verein glich. Jahren a ngen de inder tä ter fünf Schätzu 6.650 K inder un K d etwa . Das sin nährung Unterer Menschen, Weltweit hungern rund ngsländern. 852 Millionen von ihnen leben in Entwicklu In Afr ika ist die An zah l der Hungernden seit 1990 um rund 64 Millionen gestiegen und liegt nun lau t FAO bei Menschen. Kindersterblichkeit bis 2015 um zwei Das große Ziel der Weltgemeinschaft, die 4), wird deutlich verfehlt. Beim jetzigen Drittel zu senken (UN-Millenniumsziel Nr. cht – 13 Jahre zu spät. In dieser Zeit Tempo wird das Ziel erst im Jahr 2028 errei Buben unnötig sterben, wenn die werden 35 Millionen weitere Mädchen und ern Anstrengungen für das Überleben von Kind nicht drastisch verstärkt werden.

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Quellen: www.unifec.org, www.welthungerhilfe.de, www.entwicklung.at

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Foto: Ulrike Rauch

LAUT GESETZ IST DER MÜLL HERRENLOS. WIE SONNE, REGEN ODER WIND. DER MÜLL BEKOMMT ABER IMMER MEHR BESITZER. MÜLLTAUCHEN, DUMPSTERN, CONTAINERN ODER WASTE DIVING WIRD SALONFÄHIG. AUCH IN ÖSTERREICH. grund des Ablaufdatums, vor allem viele Milchprodukte. Gerade Joghurt ist noch weitaus länger genießbar. Auch eingeschweißte ganze Chips-Packungen waren dabei. Stephan: Diese vielen Milchprodukte haben mir vorübergehend eine Laktoseunverträglichkeit beschert. Wir nehmen ja auch nicht alles. Wir können da schon wählerischer sein. Ich kenne jemanden, der beim Dumpstern ein ganzes Hühnchen gefunden hat, das noch ganz heiß war. Er hat dann einfach gleich reingebissen. Es gibt ja auch die Freeganer. Verena: Die würden kein Fleisch mitnehmen und auch nicht die Milchprodukte. Ich bin bei Eiern vorsichtig. Gibt’s eine Containern-Community in Graz? Stephan: Ich hab schon davon gehört, dass es Dumpstern organisiert gibt. Wir sind allerdings privat dazu gekommen. Verena: Allerdings gehen wir nicht mehr so oft dumpstern. Immer mehr Tonnen werden abgesperrt. Gerade in der Innenstadt gibt es kaum noch unversperrte Tonnen bei den Geschäften. Am ehesten noch beim Billa. Auf unseren nächtlichen Spaziergängen haben wir auch Leute gesehen, von denen wir glauben, dass sie diese Lebensmittel wirklich gebraucht haben. Also verzichteten wir. Das Problem war nur, dass diese Leute zum Teil Spuren hinterließen. Das ist sicher auch ein Grund dafür, dass immer mehr Container zugesperrt werden. Wir hatten zum Teil mit Gummihandschuhen gesucht und auch darauf geachtet, den Ort wieder ordentlich zu hinterlassen.

Foodsharing in Graz. Schon ein Thema? Stephan: Das gibt es in Graz erst seit einigen Monaten. Es sind aber noch zu wenige dabei. Es gibt hier in der Nähe zum Beispiel Apfelbäume, von denen man ernten darf. Verena: Im Spektral wird gemeinsames Essen und Kochen in der Volxküche* organisiert. Lebensmittel, die aus Abfalltonnen vom Supermarkt kommen oder beim Bauernmarkt erfragt werden, werden mit gekauften Waren aufgestockt und verkocht. Das Essen ist vegan und jeder trägt bei, was er kann. Es funktioniert ganz gut, aber es könnte noch mehr im Bewusstsein der Menschen passieren. Statt Dumpstern werden solche Aktionen zunehmend interessant. Zum Dumpstern muss man wegen der vielen versperrten Tonnen ja schon weiter rausfahren aus der Innenstadt und dann auch gleich einen ordentlichen Rucksack vollpacken, damit es sich auszahlt. Fällt euch spontan ein Ort ein, an dem das Essen schlechter ist als das, das man sich durch Mülltauchen erbeuten kann? Verena: Bei den Geschäften selber. Ich hatte schon mal Müsli gekauft, in dem Würmer waren. Danke für das Gespräch. *Volxküche ist ein Gemeinschaftsprojekt, das Menschen mit warmem Essen erfreuen und soziale Treffpunkte schaffen will. Eine Form des kulinarischen Protests gegen die heutige Wegwerfgesellschaft, die in sozialen Zentren oder auf der Straße stattfindet.

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ELISA-MARLENE HÖRTNAGL

AUS DER TONNE AUF DEN TELLER aste Diving war eines von 17 Projekten des Kulturprojektes „Wienwoche“, das vom 12. bis 29. September stattgefunden hat. Gedumpsterte Lebensmittel aus Müllcontainern wurden vier Tage lang in einem Supermarkt zur freien Entnahme für jeden angeboten. Außerdem wurden Lebensmittel auch in einer Kochshow verkocht und ein Waste-Brunch zum Thema Supermarktfasten veranstaltet. Der Kunde bezahlt nicht nur die konsumierte Ware, sondern kommt auch für die Überproduktion auf. Die UNO schätzt: Mindestens ein Drittel der Lebensmittel wird weltweit vernichtet.

EINE SUBKULTUR WIRD SALONFÄHIG Laut jubeln die Initiatoren von wastecooking.com und sagen klar: „Wir setzen bei Bewusstseinsbildung an. Wir operieren mit einem Mix aus Information, Aktion und Provokation. Wir kombinieren das Kochformat mit dem Mülltaucher-Ansatz“. So weit, so gut. „Mülltauchen“, auch noch „Waste Diving“, „Containern“ oder „Dumpstern“ genannt, stammt aus den USA. In den Achtzigerjahren formierte sich diese Bewegung, ursprünglich auch als Protest gegen Waffenexporte, es ist eine Form der politisch motivierten Konsum-Verweigerung. „Food not bombs“ waren die ersten Aktivisten, die aus dem Zubereiten von Abfall eine öffentliche Aktion machten. Auch in Europa verstehen sich „Waste Diver“ in erster Linie als Aktivisten, die gegen Lebensmittelverschwendung protestieren und sich dabei ganz schön Geld sparen.

MÜLLTAUCHER IN GRAZ Einen Einblick in die Grazer Szene bekommt man unter containerngraz.blogspot.co.at. Nachzulesen sind dort Erfahrungsberichte von Beutezügen in Graz. Eine große Menge an Fotos mit der Ausbeute von nächtlichen Containertouren, die zum Teil

Kochbuchillustrationen um nichts nachstehen, überzeugen vom einwandfreien Zustand der Waren. Zwei Grazer Mülltaucher im Gespräch. Sie sind ein junges Paar, Anfang 30. Verena ist Künstlerin und Bühnengestalterin, Stephan studiert Sprachwissenschaft. Sie leben sehr umweltbewusst und kämpfen gegen den globalen Wegwerfwahnsinn. Auch mittels Mülltauchen. Ist das Containern bei euch eine Notlösung oder ein politisches Statement, wie etwa: Kritik an der Wegwerfgesellschaft? Verena: Man könnte es politisch betrachten. Einwandfreie Produkte, in deren Herstellung so viel Energie steckt, kosten im Geschäft so viel und sind dabei nicht einmal hochwertig. Dieser Aufwand an ökologischen und menschlichen Ressourcen soll nicht umsonst gewesen sein. Wenn man erst einmal Erfahrungen hat, wie man kostenlos Nahrungsmittel aus dem Supermarkt bekommen kann, scheint der Kauf von Supermarktware immer seltsamer. Stephan: Wir haben nicht aus der Not heraus gedumpstert. Aber wir haben uns auch viel Geld erspart, mit dem wir im Bioladen Lebensmittel de luxe kaufen konnten, die wir uns so nicht leisten hätten können. Wir haben also einfach besser gelebt. Was findet ihr alles in den Containern? Angeblich nur weil ein „Spargel abgebrochen ist, landete das ganze Gebinde im Abfall“. Stimmt das? Verena: Das mit dem Spargel stimmt schon so. Wir haben auch schon eine große Schachtel mit einwandfreiem Studentenfutter gefunden. Säckeweise findet man Brot und, wahrscheinlich auf-

Foto: Nina Friedl

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Foto: Ulrike Rauch

REDAKTION

SUPPE DER ARMEN CHRISTLICHE NÄCHSTENLIEBE IST IM MARIENSTÜBERL KEINE PHRASE, SONDERN WIRD TAGTÄGLICH PRAKTIZIERT. DAMIT UNTERSCHEIDET ES SICH VON DEN ÄUSSERUNGEN SO MANCHER BLAUER POLITIKER.

ir kommen zum Mittagessen in das Marienstüberl. Es wird gebetet, wer nicht betet, sitzt ruhig auf seinem Sessel. Schwester Elisabeth Gruber bittet nach dem Gebet die Gekommenen, morgen eine Marienstüberlkarte mitzubringen, damit sie wenigstens die Namen von allen kennt. „Wir leben vom Überfluss“, sagte sie uns. „Drei Bäckereien – Sorger, Strohmaier und Gaar – spenden uns täglich Brot. Einige Supermärkte geben Lebensmittel, die von ehrenamtlichen Mitarbeitern eingesammelt werden. Ohne die 100 ehrenamtlichen Mitarbeiter und Zivildiener gäbe es kein Marienstüberl“, betont Schwester Elisabeth, die hier im Marienstüberl sehr beliebt ist. Zu Recht: Sie kümmert sich um jeden Einzelnen ihrer Gäste, ganz selbstverständlich, als wären alle ihre Familie. Auf die Frage, wie sie es schafft, so viele Menschen täglich zu betreuen, hat sie eine schnelle Antwort: „Ich sage immer: Ich habe 100 Brüder und 1000 Kinder. Das ist mein Karma. Die Menschen brauchen nicht nur Essen, sondern auch Wärme. Es ist nicht nur der Hunger, der diese Menschen plagt.“

NOT HAT VIELE GESICHTER Die Nachfrage ist groß. Das Marienstüberl erlebte in den vergangenen Jahren kaum einen Tag, an dem es nicht bis auf den letzten Platz gefüllt war. 255 Essen wurden im Schnitt pro Tag ausgegeben, Bereits zur Vormittagsjause um 10 Uhr fanden sich meist 60 Menschen ein, in den Wintermonaten waren es bis zu 90 Personen. Die Mittagessen um 12 Uhr und um 13 Uhr wurden durchschnittlich von 170 Personen in Anspruch genommen. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr rund 1.800 Personen im Marienstüberl betreut, 25 % der Gäste waren Frauen und 75 % Männer. Finanzielle Not treibt die Menschen in das Marienstüberl, dahinter stecken familiäre Probleme, Wohnungslosigkeit oder psychische Erkrankungen. Diese Probleme können vom Marienstüberl nicht gelöst werden, aber man versorgt die Menschen mit Nahrung sowie ein wenig Wärme und Geborgenheit. Für die Zukunft würde man gern das Angebot vergrößern, um den Menschen Orientierungshilfen im Alltag und Unterstützung im Umgang mit Behörden bieten zu können. Damit die Stammklientel sich nicht laufend vergrößert.

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IMPRESSUM: Das Diversity-Magazin „ZEITUNG“ erscheint monatlich als Beilage im Magazin XRockZ., Herausgeberin: Tatjana Petrovic, „Cuntra la Kunsthure“, Jakoministraße 8, 8010 Graz, Chefredakteurin: Mag.a Lilli Schuch, Redaktion: Dr.in Alona Bakirova, Elise-Marlene Hörtnagl, Isabella Tösch, lolita de la luna, Philipp Strohmeier, Grafische Gestaltung & Illustrationen: Mag. Jörg Vogeltanz, Tomislav Bobinec, Fotos: Ulrike Rauch, Shutterstock, Nina Friedl. Alle Angaben ohne Gewähr.


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2013


Foto von Michael Saechang

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Kunst

Ein Pionier der Malerei oder: Die Kunst, sich neu zu definieren

Die Galerie ARTiS (lat. der Maler) ist definitiv anders als herkömmliche Galerien. Man kann die Räumlich­ keiten als eine Mischung aus Galerie und Atelier mit einem Hauch Wohnzimmeratmosphäre bezeichnen. Die teilweise grauen Wände bringen Wärme in den Raum; gezielt zwischen den Gemälden eingesetzte Pflanzen und Möbelstück sowie ein prächtiges Aquarium vermitteln ein Gefühl von daheim. Es spricht für die Liebe zum Detail des Besitzers. 42

Bericht: Lea Leitner Fotos: Lea Leitner, Emil Srkalovic


Kontakt: Galerie ARTiS, Jakoministraße 15, 8010 Graz Homepage: www.atelier-artis.at/galerie-artis/ www.facebook.com/GalerieARTIS

Er hat zweifellos schon Beachtliches erreicht: Maler (den Ausdruck „Künstler“ alleine versucht er aufgrund schlechter Assoziationen mit demselben zu vermeiden) Emil Srkalovic besitzt mit 30 Jahren bereits seine eigene Galerie. Aus Gründen der Effizienz dient diese zugleich auch als Atelier. Somit kann man hier nicht nur seine Werke betrachten und kaufen, sondern dem Meister auch beim Schöpfungsprozess zusehen. Als Maler ist Emil bereits genetisch „vorbelastet“: Seine Eltern Lalo und Ida Srkalovic sind selbst seit Langem in der Branche tätig. Die aus Bosnien stammende Familie zog (dank einer Vorahnung Idas) rechtzeitig vor Ausbruch des Balkankrieges nach Österreich und baute sich in Graz ein neues Leben auf. Sie verkauften Gemälde in der Herrengasse, gaben Kunstunterricht und machten sich zunehmend einen Namen als renommierte Künstlerpersönlichkeiten. Heute leben sie mit Haus und Galerie im schönen St. Leonhard am Fuße des Ruckerlbergs. Emil selbst begann schon im Kindesalter permanent zu zeichnen und zu „kritzeln“ – das legte er niemals ab. Spielzeug baute er sich meist selbst, z.B. wenn er für seine Figuren keine Gebäude in den passenden Größen hatte. Manchmal wünschte er sich auch Haustiere, die etwas schwer zu bekommen waren – wie Dinosaurier – und fand seine eigene Lösung, indem er sie kurzerhand aus Pappmaché und Küchenrolle bastelte. Emil holte sich dadurch die Welt nach Hause – der Eiffelturm, der schiefe Turm von Pisa – all dies war in verkleinerter Version bei ihm daheim zu finden. Emils Eltern hatten nicht nur genetisch einen günstigen Einfluss auf ihn: Sie unterstützten ihren Sohn, wo sie konnten, und förderten sein Talent, indem sie ihm stets alle Materialien zur Verfügung stellten. Im Teenager-Alter von 16 stellte er seine ersten Bilder in ihrer Galerie aus und auch als er 2012 seine eigene Galerie eröffnete, waren sie an seiner Seite. Doch während seine Eltern jeweils eigenen klaren Stilen folgen, weist Emils Malerei selbst noch unterschiedliche Einflüsse, wie Abstraktion, Pop Art und klassische Malerei auf. Diese Stilrichtungen verschmelzen gerade zu einer neuen Hybridform

der Malerei, die er eigens für sich entwickelt – man könnte sie schon als „Art of Emil“ oder „Emilismus“ bezeichnen. Dessen Richtlinien setzt er selbst. Unverändert bleibt nur seine Maltechnik, die logischen Gesetzmäßigkeiten folgt: Die Balance steht im Vordergrund, ein schweres Element muss mit mehreren leichteren ausgeglichen werden. Auf diese Art wirkt ein Bild „rund“ und ruft ein angenehmes Gefühl im Betrachter hervor. Die Motive inkludieren meist Tiere oder reale Personen – letztere dominieren besonders bei Portraits und Auftragsarbeiten. Werden Menschen auf Bildern verewigt, dient ein Foto als Vorlage – trotzdem möchte Emil die Modelle auch kennenlernen, um deren Charaktere in die Portraits einfließen zu lassen. Ebenso wichtig ist ihm, dass das jeweilige Werk farblich auf seinen zukünftigen Wandplatz abgestimmt ist. Die Distribution von Emils Bildern kann telefonisch oder online erfolgen, aber meist kommen seine Kunden persönlich in die Galerie, entweder, um ein Bild aus dem aktuellen Repertoire zu erstehen, oder, um ein bestimmtes Motiv in Auftrag zu geben. Oft auch verleiht er Werke an öffentliche Gebäude wie Rechtskanzleien oder Ärztepraxen, solange, bis er sie wieder abnehmen möchte. In fast allen Fällen werden die Gemälde jedoch auch gekauft. Beachtlich ist dabei das ausgezeichnete Preis-Leistungsverhältnis. Die Kosten für Emils Bilder bewegen sich in einem Bereich, der auch für den Durchschnittsbürger durchaus leistbar ist. Neben seiner Haupttätigkeit als Maler bietet Emil auch Kunstunterricht an und bereitet Bewerber diverser Kunstschulen auf deren Aufnahmeprüfungen vor, macht mit ihnen Portfolios und gestaltet Prüfungssituationen. Darüber hinaus ist er als Art Director für die Grazer Kultband Knife Fighting Monkeys tätig: Er sorgt für visuelle Untermalung ihrer Live Shows, koordinierte zuletzt den Video­ teaser für deren nächstes Konzertfestival Funk’n’Roll Circus Ende Oktober und fertigte selbst das Werbeplakat dafür an. Unterm Strich ist das Klischee des armen Künstlerdaseins bei Emil fehl am Platz. Zu Recht, er ist ja auch nicht Künstler, sondern Maler!

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Design

Mi casa es su casa Portrait von Anita Raidl, Fotos von Cornelia Schwingenschlögl, Viktoria Kager und DECASA

Seit nunmehr einem Jahr tätowieren, designen und malen sie nach Art des Hauses. Carola und Sabrina Deutsch sind Inhaberinnen von „DECASA“ in Graz und plädieren für ein schönes, selbstbestimmtes Leben. Wenn sich zwei Menschen finden, gilt hierzulande das Sprichwort „Jeder Topf findet seinen Deckel“. Gilt der Spruch auch für Geschäftsbeziehungen? Gar für Geschwisterbeziehungen? Warum eigentlich nicht. Wasser in einem Topf mit Deckel kocht schneller und das spart Energie. Wer nun Topf und wer Deckel ist, darüber kann man bei Carola und Sabrina Deutsch streiten. Das tun die beiden auch. Manchmal. Die meiste Zeit aber harmonieren sie ganz ohne Worte: Carola, die Künstlerin und Täto­ wiererin, und Sabrina, die Graphikdesignerin und Organisatorin. Seit Dezember 2012 betreiben die zwei Schwestern das Kreativ­ studio DECASA in der Grazer Innenstadt.

Die Eröffnungsvorbereitungen nahmen ein halbes Jahr in Anspruch. Die Kreativität begleitet sie schon ein Leben lang. „Als wir klein waren, haben wir alles in unserer Umgebung niedergezeichnet“, erinnert sich Carola. Klingt fast so, also wäre der Weg selbst schon ein vorgezeichneter gewesen. Und tatsächlich: Als Jugendliche besuchen Carola und Sabrina die Ortweinschule in Graz. Carola wählt den Produkt- und Sabrina den Grafik-Zweig. „Unsere Eltern haben schon damals ge­ sagt: ‚Ihr könnt einmal zusammenarbeiten. Du machst das Produkt und du die Werbung‘“, erzählt Sabrina. Damals wie heute

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www.decasa.at

können die zwei darüber schmunzeln und be­richten, dass ihr Entschluss, sich selbst­ ständig zu machen, nicht bei allen auf Zustimmung fiel. „Viele waren verwundert, wie das zusammenpassen kann“, so Carola. „Es gab viele Skeptiker“, bestätigt Sabrina, die mit ihren 26 Jahren die Ältere ist. Carola ist 23. Die beiden sind sich einig: „Für uns war das nie eine Frage. Wir passen zusammen.“ Nachdem Carola die Meisterklasse für Malerei an der Ortweinschule und die Meisterprüfung fürs Tätowieren mit Bravour bestanden hat, kündigt Sabrina ihren bisherigen Job als Art-Director. Was nun


auf das selbstbewusste Geschwisterpaar zu­ kommt, ist ein oft mühsames Zurecht­finden im Behördendschungel, das Aufspüren der passenden Location, der Umbau. Viel Warterei, viele Diskussionen. Die Eröffnung muss geplant, die Homepage gestaltet und erste Termine fixiert werden. „Da gehören viel Ehrgeiz, Selbstvertrauen und Durchhaltevermögen dazu“, resümiert Sabrina. Es hilft, einen zweiten an seiner Seite zu haben. Carola: „Du kannst deine Sorgen, vor allem auch am Anfang, miteinander teilen.“ Macht es eigentlich einen Unterschied, ob man mit der Schwester oder einer Freundin zusammenarbeitet? „Bei der Schwester weißt du genau, wie sie reagiert. Die kann nicht einfach abhauen. Man kann Sachen viel direkter und ehrlicher sagen. Mit einer Freundin ist das sicher eine kleine Herausforderung“, gibt Carola zu bedenken. Sabrina kümmert sich neben ihrer Tätigkeit als Grafikdesignerin auch um Marketing, Buchhaltung und Organisation. „Damit die Carola wirklich Zeit für ihre Talente hat. Sprich, den ganzen Tag malen, zeichnen, tätowieren.“ Die beiden lachen. Auf dem Tisch wartet ein Schachbrett, dort

hängt ein Geweih, vereinzelt liegen alte Zeitschriften, in der Ecke ist ein Grammo­ phon. Die Bilder an den Wänden geben einen Einblick in Carolas künstlerisches Schaffen. „Ich bin dann angekommen, wenn ich meine Kunst tätowieren kann. Dass das schon jetzt soweit ist, damit hätte ich nie gerechnet“. Carola zaubert mit wenigen Strichen Kunstwerke auf Haut und Papier. Ihr „Skizzenstil“ spiegelt sich zum Teil auch in ihren figurativen Bildern wider. Dazu Carola: „In jedem Gesicht kann man etwas Neues entdecken. Man ist gezeichnet vom Leben, aber auch fürs Leben.“ Carolas Seelenblicke wandern demnächst in die Räume des Wirtschaftsbundes. Was dann mit den stilvollen Altbau-Wänden im Studio passieren wird? Die nützen die jungen Frauen als Ausstellungsfläche für Künstlerkolleg/ innen. „Netzwerken ist für unser Denken wichtig. Damit man den Bezug nach außen nicht verliert“, erläutert Sabrina. Hier im Studio, das sich im 2. Stock eines Gebäudes am Franziskanerplatz befindet, steht alles an seinem Platz. Ein stimmiger Ort mit liebevollen Details und motivierten Geschäftsführerinnen. „Ich will etwas

bewegen. Und wenn ich nur einen Menschen inspirieren kann, habe ich mein Ziel schon erreicht“, beschreibt Sabrina ihren Ansporn und führt aus: „Es waren schon einige junge Menschen hier, die gesagt haben, ‘Wenn ihr das schafft, dann schaff‘ ich das auch‘“. Sind die Ziele also schon erreicht? „Wir wollen ein schönes Leben. Und einfach nach bestem Wissen und Gewissen ar­beiten“, sagt Carola. Bleibt noch, den beiden charmanten jungen Frauen alles Gute zum ersten Geburtstag zu wünschen. Und bevor wir’s vergessen. Wie kommt’s eigentlich zum Firmennamen? „Früher haben wir immer ‘mi casa es su casa’ ge­sagt“, erklärt Carola. „Wir wollen, dass sich die Kunden bei uns zu Hause fühlen“. Der kon­zeptuelle Anspruch der beiden forderte eine kleine Anpassung: DECASA. De/utsch Ca/rola Sa/brina. Besser als die Topf-DeckelGeschichte. Aber beides kochend heiß.

TIPP: Ausstellung „Gezeichnet fürs Leben“ von Carola Deutsch, zu sehen bis Dezember 2013. Wirtschaftsbund Steiermark, Zusertalgasse 2, 8010 Graz

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Ich spreche,

also bin ich

Portrait von Anita Raidl, Fotos von Jacqueline Korber und Theresa Hager

„Salzige Gewässer“ sind hierzulande selten. Der Sprecher Markus Sulzbacher ist eines davon: leidenschaftlich, sprachgewaltig und entdeckungsfreudig. Ein charmanter, fescher Mann mit tiefer Stimme. So könnte man Markus Sulzbacher im Vorbeigehen beschreiben, flüchtig und momentbezogen, aber im nächsten Moment: Da bleiben wir stehen, um unter die erste Wahrnehmungsschicht zu tauchen, die sich bei mir aus Begrüßungen, E-Mail-Verkehr, Sprachaufnahmen sowie fragwürdiger Recherche zusammensetzt. Nomen est omen? Sulzbacher. Sulz und Bach. Das Wort „Sulz“ war ein im Mittelalter gebräuchlicher Begriff für Salzwasser, weiß Wikipedia. Sulzbach, ein Bach mit dem gewissen Etwas also. Sulzbacher und ich treffen uns kurz vor Mitternacht in der Grazer Innenstadt und eröffnen den Redefluss. Markus zündet sich eine Zigarette an. Ob das Rauchen denn gut für seine Stimme sei, frage ich ihn. Markus antwortet, dass es sicher nicht gut sei, aber „eine Rebellion gegen eine Gesellschaft, die versucht, uns möglichst clean und klein zu halten“. Die Tür ins Sulzbachersche Universum, das sich beruflich über den ganzen deutschsprachigen Raum und privat hauptsächlich über Berlin erstreckt, steht nun offen. Es ist ein Universum, das sich vor fünf Jahren durch den Entschluss, professioneller Sprecher werden zu wollen, aufgetan hat. Kein plötz­ licher Götterfunke, sondern ein jahrelanger Prozess, getragen von 46

der Auseinandersetzung mit Stimme, Ton und Musik, war der Anlass dafür. So war Markus – geboren 1978 – mitunter Frontman der Falco Revival Formation und umtriebiger Tontechniker. Ab dem Jahr 2005 arbeitete er als Producer bei einem österreichischen Radiosender, wo er auch als Sprecher eingesetzt wurde. „Ich bin da reingerutscht, hab dann eine Sprechausbildung gemacht und in der täglichen Arbeit gemerkt, dass mir das unglaublichen Spaß macht“, erinnert sich Markus, den gut synchronisierte Filme und charismatisch gesprochene Dokumentationen schon immer fasziniert haben. Im Jänner 2012 siedelte er nach Berlin, „dorthin, wo in der Sprecher-Szene am meisten lost ist“, es war eine „Flucht nach vorne“, wie er sagt. Um in der Berliner Sprecherszene als Synchronsprecher akzeptiert zu werden, startete er eine Schauspielausbildung. Markus dreht sich die nächste Zigarette (Filter: Gizeh, Papers: OCB Blau, Tabak: American Spirit) und erklärt, dass Sprecher und Schauspieler sehr nahe beieinander liegen, denn beide müssen unterschiedlichste Texte und Themen möglichst authentisch transportieren. In der Schauspielausbildung lernt er, sich mit dem, was zwischen den Zeilen steht, auseinanderzusetzen. „Das klingt dann

www.markussulzbacher.com

Foto: Jacqueline Korber

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Foto: Jacqueline Korber

plötzlich anders. Es verändert die Stimme und für den Zuhörer ist es natürlich wesentlich spannender“, führt er an. Mit Schauspiellehrer Johannes Hitzblech hat Markus einen Mentor gefunden – zumindest einmal die Woche nimmt er bei ihm Impro-TheaterUnterricht, besucht aber auch Workshops wie „Stimm-Toning“ oder macht Schauspiel nach der „Meisner Technik“. Abseits vom Schauspiel hält er sich mit Laufen und der Kampfkunstart Kara Ho fit und entspannt. „Ich hab‘ immer versucht, eine Szene so gut wie möglich runter zu spielen“, fasst Markus seinen anfänglichen Zugang zum Schauspiel in Worte und verrät sein neues Credo: „Erlebe es so, als würdest du es zum ersten Mal erleben“. Aktuell versucht er diesen Leitsatz, den ihm sein Mentor gelehrt hat, in seinem ersten SchauspielEngagement als Pizza-Bote Eddie in der Komödie Pizza Man umzusetzen. „Du gehst an dein Innerstes und du kehrst dein Innerstes nach außen“, sagt er und bestätigt mir, dass das natürlich auch ein gewisser Kick sein kann. Ob eine Schauspielkarriere für ihn eine Option ist? Er möchte das nicht ausschließen, betont aber, dass der Markt unfassbar überschwemmt sei. „Ich möchte an mir arbeiten. Nicht nur für mein Sprecher-Sein und als Schauspieler, sondern als Gesamtformung des Lebens.“

Foto: Jacqueline Korber

Markus spricht ruhig und oft in Bildern. Es ist schon weit nach Mitternacht und der Kellner ruft die letzte Runde aus. Nach und nach spricht Markus manche Wörter „österreichischer“ aus als zu Beginn und wir gelangen zu seinen Wurzeln, die in Bad Aussee liegen. Er erzählt vom Aufwachsen im Salzkammergut, das schön war, seiner vergeblichen Suche nach einem Platz in der Gesellschaft und davon, dass er sich in seiner Heimatstadt manchmal wie ein Beobachter gefühlt habe. „Das Beobachten ist natürlich in einer Stadt wie Berlin viel spannender“, gibt er schmunzelnd zu bedenken und beschreibt Berlin als „unfertige, kontrastreiche Stadt“, als eine Stadt, in der er sich daheim fühlt und die für ihn zur Inspirationsquelle geworden ist. Eine weitere Inspirationsquelle ist wohl auch seine Großmutter, die zu Lebzeiten leidenschaftliche Sängerin, Schauspielerin und Sennerin war. Als die Großmutter ihren Leidenschaften nicht mehr nachgehen konnte, ging ihre Lebensenergie verloren. „Das war für mich eine so große Erfahrung, dass jemand für etwas so viel Leidenschaft aufbringen kann, dass, wenn’s einem weggenommen wird, das Leben keinen Sinn mehr macht.“ Ich denke, „leidenschaftlich sein“ ist etwas, das auch Markus auszeichnet (und dem Bach sein Salz gibt). Es geht darum, Neues zu entdecken, sich aus der Komfortzone zu bewegen und ein Risiko einzugehen, um die Lebensqualität zu verbessern, aber auch, um seine Ziele zu erreichen. Die da wären? Zum Beispiel Sprecherrollen für Animationsfilme und Dokumentationen. Der letzte Schluck ist getrunken, das letzte Wort aber noch lange nicht gesprochen. Wir ziehen weiter. 47 Foto: Theresa Hager


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Stunt up your life Bericht von Stefan Rothbart, Fotos von Christian Plach und Perry Zmugg

Wenn sich im Film Autos überschlagen, Häuser in Flammen aufgehen und Kugeln durch die Gegend zischen, dann sind sie nicht weit – die Männer und Frauen des Stuntgeschäfts. Nach Hollywood muss man dabei schon längst nicht mehr auswandern, um in der Branche Fuß zu fassen. Die beiden Steirer Joe und Perry sind aus jenem Holz geschnitzt, das in der Traumfabrik seit Jahrzehnten für feurige Action sorgt. Ein Portrait über eine knallharte Branche. Joe Tödtling und Perry Zmugg sind zwei Kerle für das Grobe, zumindest beim Film. Während Schauspieler den Ruhm ernten, machen beide die Knochenarbeit auf einem Filmset, nämlich Stunts. Ob Schwertkampf, Kung-Fu-Fight oder Explosionen jeder Art. Was schwer nach zwei abgebrühten Stuntprofis aus Hollywood klingt, sind eigentlich zwei ganz normale Typen aus der Steiermark. Der eine wohnt in Passail, der andere in Stattegg bei Graz. Beide haben Familie und führen auf den ersten Blick ein mehr oder weniger gewöhnliches Leben. Joe arbeitet bei der Bundesbahn und steuert regelmäßig Züge durch die Gegend. Anders als im Film explodiert dabei hoffentlich nichts. Perry ist Kampfsportler und betreibt eine Kampfsportschule in Graz. Doch ganz normal sind die beiden dann doch nicht, was einem sofort klar wird, wenn man sie genauer kennenlernt, denn sie lassen es im Film und Fernsehen regelmäßig krachen. Ihre Lebensgeschichten und Werdegänge lassen dann doch einen Hauch von Hollywood aufkommen. Joe, der Experte für alles, was brennen und explodieren kann

(manch­mal auch er selber), machte ursprünglich Karriere als Pilot beim österreichischen Bundesheer. Nach seinem Ausscheiden kam ihm die Idee, er könne ja Stuntman werden. Nicht mit Gottes, sondern mit Googles Hilfe fand er eine Stuntschule in Florida und ging bei Kim Kahana, dem ehemaligen Stunt-Double von Charles Branson quasi in die Lehre. Seine Bundesheerausbildung kam Joe natürlich sehr zugute, denn viele Grundlagen, wie Abseilen, Abrollen oder Nahkampf beherrschte er bereits. Viel wichtiger waren die filmtechnischen Basics, durch die Joe den Einstieg in die harte Branche schaffte. Doch bis er seinen ersten Stuntjob an Land zog, sollten weitere sechs Jahre vergehen. Eine andere Geschichte hat Perry zu erzählen. Aufgewachsen bei Pflegeeltern, schlich er sich als Teenager anfangs heimlich zum Hap-Ki-Do-Training, bis seine Eltern sein Talent erkannten und ihn zu fördern begannen. Mit dem Kampfsport scheint er seitdem seinen Lebensmittelpunkt gefunden zu haben. 1995 entschloss er sich schließlich, professionell ins Geschäft einzusteigen, er­

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www.joetoedtling.com, www.centerzmugg.com


lernte neben Hap-Ki-Do mehrere weitere Kampfsportarten, begründete sogar seinen eigenen, weltweit anerkannten Stil und eröffnete schließlich im Jahr 2000 seine Kampfsportschule in Graz. Ungefähr zur selben Zeit begann auch seine Stuntkarriere. Zunächst allerdings hauptsächlich mit Shows und Vorführungen. Über einen sei­ ner damaligen Schüler lernte er schließlich Joe kennen, der ihn auch ins Filmgeschäft brachte. Zusammen haben sie neben heimischen Projekten auch schon für Hollywood und Bollywood gearbeitet. Dem Kampfsport ist Perry jedoch immer treu geblieben. Neben zahlreichen WMund EM-Medaillen und anderen Wettkämpfen, hält er auch den Weltrekord im Essstäbchen-Zerbrechen. 42 Stäbchen in 55 Sekunden schafft Perry. Diese bricht er aber keineswegs mit der bloßen Hand – das kann ja jeder. Nein, er bricht sie mit seinem Gaumen. Joe hingegen hat in der Zwischenzeit auch einige Auszeichnungen und Rekorde aufzuweisen, z.B. den für die längste Selbstentzündung. Unlängst wurde er so­ gar für den besten Stunt in einem Film in Deutschland ausgezeichnet. Doch wie ist das Leben als Stuntman eigentlich so? Nicht besonders lustig, kommentiert Joe mit einem Lachen. Zunächst einmal sehr viel harte Arbeit, wie Joe und Perry gleichermaßen zu berichten wissen. Neben seinem durchaus auch gefährlichen Handwerk muss Joe zudem auch Geschäftsmann sein, sich verkaufen und regelmäßig zu Castings fahren. Wichtig ist es, stetig gute Kontakte zu unterhalten und sich ein Netzwerk aufzubauen. Vor allem am Anfang ist Durchhaltevermögen gefragt. „Man muss sich eben auch in der Branche ein bisschen einen Namen machen und Aufmerksamkeit erregen, bis einen die Leute von selbst anrufen“, erzählt Joe. „Stuntgeschäft ist auch viel Vertrauenssache. Die Produzenten müssen einem auch vertrauen

können, dass man einen Stunt wirklich machen kann“. Dafür muss man schon mal weit durch die Gegend fahren und den direkten Kontakt zu den Regisseuren oder Produzen­ ten suchen. Daneben ist auch stetiges Training nötig, wie Joe und Perry gleichermaßen bezeugen können. „Körperliche Fitness ist das Wichtigste“, erklärt Joe. „Man muss einen Stunt ja oft nicht nur einmal durchhalten können, sondern um sechs Uhr abends immer noch gleich frisch aussehen, wie um sechs Uhr morgens. So ist nun mal das Filmgeschäft.“ Um so ein hartes Arbeitsprogramm durchzuhalten, braucht es eisernen Willen und Ausdauer. Für Perry ist dabei die Kampfkunst die beste Schule. „In keinem Sport lernt man mehr Disziplin und Körperbeherrschung als im Kampfsport“, ist Perry überzeugt. „Berühmt wird man als Stuntman sowieso nicht“, fügt Joe hinzu, „ es geht um den Spaß und ums Geld.“ Für das Stuntgeschäft muss man zudem sehr flexibel sein. Die meisten Aufträge kommen aus dem Ausland, in Österreich gibt es nur sehr wenige Stuntleute, weil der heimische Markt einfach zu klein dafür ist. Hierzulande sind auch die Budgets zu niedrig, als dass sich jemand einen anständigen Stunt leisten könnte. Joe und Perry zieht es daher beruflich immer wieder ins Ausland. Dennoch kommen beide auch gerne wieder in die Heimat zurück und genießen dann nach all der Action zum Ausgleich das ruhige und gemütliche Leben. Obwohl schon längst Hollywood und Co. bei Joe angeklopft haben und Perry im internationalen Kampfsport eine fixe Größe geworden ist, haben sie nach wie vor ein Herz für heimische Filmemacher und un-

terstützen hierzulande auch immer wieder Nachwuchsprojekte mit ihrem Know-how. In Zukunft wollen sich beide noch mehr spezialisieren. Joe auf Stuntkoordination und Perry auf Kampfchoreographie. Allen Nachwuchsstuntleuten raten die beiden, zunächst eine gute Ausbildung zu machen und durchzuhalten. „Halbe G’schichten gibt’s in Österreich genug. Wichtig ist, dass man die Dinge auch durchzieht. Joe war einer, der nicht nur geredet hat, sondern auch getan hat“, weiß Perry über seinen Kollegen zu berichten. Von den heimischen Filmemachern wünschen sich beide allerdings etwas mehr Mut. Es gibt in den modernen Hollywoodfilmen nichts mehr, was man nicht auch in Österreich machen kann. Gute Leute gibt’s auch hier. Die Zeiten eines Jacky Chans, wo die Stuntleute noch wirklich körperlichen Einsatz leisten mussten, sind aufgrund der technischen Entwicklung beim Film ohnehin vorbei. Laut Joe und Perry hat Österreich im Filmbereich sowieso noch viel ungenütztes Potenzial. Wer die beiden einmal in Action erleben will, hat demnächst wieder Gelegenheit dazu. Joe wird im kommenden Film The Monuments Men mit George Clooney zu sehen sein und Perry startet im Herbst mit neuen Kursen und Workshops in seiner Kampfsportschule.

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Bühne & Film

Das Spiel mit den

Emotionen Interview: Ursula Raberger Fotos: Open Acting Academy Wien, sxc.hu

Lautes Schreien. Das Getrampel von schwer auftretenden Füßen ober mir. Und wieder Gebrüll. Marcus Josef Weiss – der Direktor der Open Acting Academy Wien – schließt die Fenster und lächelt entschuldigend. „Es wird bei uns sehr stark mit der Stimme gearbeitet.“ Besser kann ein Interview über eine neue Schauspielmethode nicht beginnen. Genauer gesagt handelt es sich um die Perdekampsche EmotionsMethode, kurz P.E.M., die an Schauspielschulen in Hamburg und Wien gelehrt wird und deren Workshops mittlerweile weltweit angeboten werden. Entwickelt wurde dieser Stil seit 1991 vom Schauspieler und Regisseur Stephan Perdekamp mit­ hilfe eines ganzheitlichen Analyseansatzes der physio-psychischen Vorgänge bei emotionalen Zuständen. Emotionen stehen bei der P.E.M. im Vordergrund. Ihr Erforschen, ihr Erfühlen und letztendlich das Akzeptieren aller Gefühlslagen. Dem zugrunde liegt die perdekampsche Definition von Emotionen als angeborene, körperliche Handlungsmuster, welche sich nach Nutzen und Richtung unterscheiden. Gearbeitet wird an der Open Acting Academy mit den sechs Basisemotionen: Aggression, Angst, Trauer, Glück, Lust und Ekel. Im Grundlagenfach „Emotionales Basistraining“ – dem Herzstück der P.E.M. – werden archetypische Zustände von Emotionalität trainiert. Wie sieht es aus, wenn ein Mensch zu 100% aggressiv ist? Nur eine der Fragen, die sich angehende Schauspieler an der Open Acting Academy stellen müssen. Das Training zielt darauf ab, energetische und seelische Prozesse einer Figur offen zu legen. Alles was auf der Bühne passiert, die Chemie zwischen den Figuren, sollen bei der P.E.M. künstlerische Entscheidungen sein und nicht von der persönlichen Vergangenheit beeinflusst werden. 50

„Ein Offenlegen von Lust oder etwa Ekel ist oft mit großer Scham verbunden. Jeder Mensch hat schlechte Erfahrungen mit diesem oder jenem Gefühl gemacht. Im Training soll der Schauspieler lernen, ein wertfreies Verhältnis zu den Emotionen aufzubauen. Wie ein Musiker und seine Noten oder ein Maler und die Farben,“ erklärt Weiss. „Die Methode basiert auf Sensibilisierung des eigenen Körpers,“ so Marcus Josef Weiss. Die Stimme wird entdeckt, das Gesicht in all seinen Facetten erforscht – in einer Intensität, die den Blick auf sich selbst und Gewohnheiten verändern kann. „Es kommt zu Veränderungen des Ichs, weil ich die eigenen Emotionen erschlossen habe. Und das kommt ausschließlich aus mir und nicht von außen.“

Laien willkommen Der Umgang mit seinen Emotionen und die Fähigkeit, diese künst­lerisch abrufen zu können, erlernt man nicht von heute auf morgen. Einem Prozess, der nicht nur körperlich sondern auch seelisch einiges in Bewegung bringt, will Zeit eingeräumt werden. Ein intensives Training der Pederkampschen Emotions-Methode wird nicht unter drei bis vier Jahren angeraten. Danach steht einem professionellen Einsatz auf den Bühnen der Welt nichts mehr


im Wege. Was die Open Acting Aca­demy aber auch für Laien interessant macht, ist das Workshop-Programm, das sich an Semiprofessionelle und auch Kinder und Jugendliche wendet. Das Kennenlernen der Emotionen geht einher mit einem Kennenlernen eines anderen, oder bis dato verborgenen Ichs. „Lust. Aggression. Angst. Das hat alles einen evolutionären-biologischen Sinn. So als wären das biologische Imperative.“ Marcus Josef Weiss erzählt auch stolz von Kursteilnehmern, die bereits nach einem intensiven Workshop spürbare Effekte bemerkten. „Viele Menschen mit etablierten Berufen kommen zu uns. Da gibt es Anwälte, die jahrelang in einer Kanzlei gearbeitet haben, jetzt aber ihren Jugendtraum leben wollen.“ Dass das mit einem Vollzeitstudium nicht möglich ist, liegt auf der Hand. Die Open Acting Academy bietet hier ein „Berufsbegleitendes Zweitstudium“ an, das genau auf Semiprofessionelle abzielt, die etwa schon mitten im Berufsleben stehen oder eine Familie haben. Alle Kurse können jedoch auch einzeln absolviert werden, etwa wenn man ein professionelles Stimmtraining absolvieren möchte. Auch in Resozialisierungsprojekten für Jugendliche – etwa in Linz – wird die Pederkamp’sche Emotions-Methode eingesetzt – und das mit großem Erfolg. In London hat die P.E.M. bei dem Workshopteilnehmer Brian, der mit dem AspergerSyndrom, einer Form des Autismus, diagnostiziert wurde, eine positive Veränderung bewirkt.. Die Schwierigkeiten im Einordnen von Gefühlen oder im Eingehen von Beziehungen konnten hier nachweislich gemildert werden. „Mir wurde aus meinem Kopf in meinen Körper geholfen – und so habe ich einen Zugang zu meinen Emotionen gefunden,“ bestätigt Brian. Die mehrjährige Ausbildung an der Open Acting Academy zielt klar auf den professionellen Schauspielmarkt ab. Dass Lehrjahre auch hier keine Herrenjahre sind, wird schon bei der Aufnahmeprüfung deutlich. Abgeschlossen wird das Studium mit einer Diplomprüfung. Absolventen konnten sich bis jetzt über Engagements an renommierten Bühnen und in Film und Fernsehen freuen. „Eine Kollegin hatte gerade eine schöne Rolle in einer Götz Spielmann-Produktion und wird nun von Michael Haneke gecasted,“ so Weiss sichtlich stolz.

„Mir wurde aus meinem Kopf in meinen Körper geholfen – und so habe ich einen Zugang zu meinen Emotionen gefunden“ Brian, Workshopteilnehmer

P.E.M. oder Method Acting?

Skepsis vs. Wissenschaft

Die Perdekampsche Emotions-Methode wurde in Abgrenzung zum Method Acting begründet. „Die P.E.M. verfolgt bei der Zugänglichkeit zu authentischen und verlässlichen Emotionen einen anderen Weg als die Method. Es geht um die körperlichen Ursprünge der Emotion, die körperlichen Handlungsmuster, die die Emotion auslöst bis hin zu Details wie Gesichtsmuskulatur und den gesamten physischen Abläufe und inneren energetischen Zuständen,“ erklärt

Anfänglich gab es der P.E.M. gegenüber eine große Skepsis. Ein neuer Schauspielstil – braucht die Welt das? Nach und nach bahnte sich dieser Stil aber seinen Weg und aktuell werden Workshops etwa in Miami, Los Angeles, New York und verschieden Städten in Großbritannien abgehalten. Wo Skepsis gegenüber einer Kunstform besteht, hilft oft nur die kühle Wissenschaft. „Jeder spürt den Effekt von P.E.M. Alle sagen, es verändert einen – aber wie

Marcus Josef Weiss, der seine Schauspiel­ ausbildung an der Open Acting Academy in Hamburg abgeschlossen hat. Die P.E.M. zielt auf eine ganzheitliche Ausbildung ab – nicht nur der Blick von der Bühne in den Zuschauerraum, sondern auch der Blick hinter den Vorhang wird gelehrt. „Work creates work. Unsere Studenten lernen die Grundlagen der Lichttechnik, schieben hier selbst die Regler. Wie wird ein Film geschnitten? Wie funktioniert die Maske? Das sind Dinge, die zum eigentlichen Erlernen der Schauspielerei hinzukommen – wir vertreten hier ein ganzheitliches Prinzip,“ erzählt der Direktor der Open Acting Academy Wien.

kann ich das wissenschaftlich belegen? Wie misst man eine emotionale Zustandsveränderung?“ Diese Frage stellte sich nicht nur Marcus Josef Weiss. Momentan wird an einer wissenschaftlichen Studie in Zusammenarbeit mit der FH St. Pölten gearbei­ tet, die genau diese Zustandsveränderung belegen soll. Auch das Wissenschaftsministerium scheint an dieser Forschung höchst interessiert und unterstützt dieses Vorhaben.

Margaretenstraße 70, Stiege 4 1050 Wien http://www.schauspielschule.at

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Bühne & Film

Von der

zerstörten Hoffnung in Highheels Bericht von Ursula Raberger, Fotos von Barbara Palffy

„Love for sale“ – dieser Jazzstandard von Cole Porter erklingt mehrmals an diesem Theaterabend in der Drachengasse. Das sich aufdrängende Sing-along bleibt einem aber im Hals stecken, geht es doch in „Erst war es leer ohne Herz, aber jetzt geht’s wieder“ um ein nicht ganz alltägliches Bühnenthema: Frauenhandel und Zwangsprostitution. Mutig!

2013

5. DEZ. BIS 12. DEZ. GARTENBAU

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TOPKINO

SCHIKANEDER

FILMCASINO


Die drei Protagonistinnen räkeln sich auf plüschbezogenen Podien, lassen tief blicken. Sie beherrschen die Körpersprache, die Männer auf der Suche nach käuflicher Liebe anspricht. Der ein oder andere Herr im Publikum wurde bei der Premiere des Stücks Erst war es leer ohne Herz, aber jetzt geht’s wieder von Lucy Kirkwood etwas unruhig. Kein Wunder, wird einem doch in der zwischen Revue und roughen Punk oszillierenden Inszenierung von Alex. Riener die Ausbeutung von Zwangs­ prostituierten vor Augen ge­führt. Und das auf beeindruckend ungewohnte Weise. Die Körper von Franziska Singer, Sonja Pikart und Prisca Schweiger verbiegen sich zu unnatürlichen Posen, preisen sich an. Nichts wirkt lieblich, die Spuren von unerreichtem Glamour sind jedoch wahrnehmbar: Spitzendeckchen, billige Highheels in Glitzeroptik und übergroße Gürtel mit Glassteinen versuchen über die Trostlosigkeit unerfüllter Hoffnungen hinwegzutäuschen. Dijana (hervorragend: Franziska Singer) klammert sich trotz allem an ihre Zukunft. Vorgestellt hat sie sich die allerdings etwas anders. Von ihrem Freund und Vater ihres Kindes in ein fremdes Land gebracht, landet sie bald auf dem harten Boden der Realität – und der ist schmutzig. Ihres Reise­ passes entledigt und schwanger wird sie bald zum Anschaffen gezwungen. Gehandelt als billige Ware zum Dumpingpreis fristet sie ihr Dasein in einem schmuddeligen Bordell – und träumt dennoch vom Ende ihres Martyriums. „Ich weiß genau, wie viel ich wert bin – ungefähr zweieinhalb iPhones,“ sagt Dijana da etwa – mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Das wahnhafte Festklammern

an Materiellem – „L’Orèal – weil ICH es mir wert bin“ – und die Bekundungen wie gerne Dijana doch Sex hat, sind ein Versuch der Selbsttäuschung. Jeder Freier bringt sie näher zum erhofften „Pommesessen in Brighton“ mit ihrer Tochter. Dass dies jedoch nur einer verkrampften Fantasie ent­ springt zeigt sich bald. Die Inszenierung des vermeintlich letzten Akts mit einem Freier geht unter die Haut – und das ohne Selbige bei der Protagonistin zu zeigen. Alex. Riener hat sich hier übertroffen und den Drahtseilakt zwischen bloßer Befriedigung von Voyeurismus und dem Aufzeigen der schwer zu verkrafteten Realität einer Prostituierten mit Leichtigkeit genommen. „Es passiert mir nicht oft, dass ich ein Stück in die Hand nehme, und es erst wie­der los­ lasse, nachdem ich es fertig gelesen habe. Es wollte kein Mitleid von mir, und das hat mich neugierig gemacht,“ so Alex. Riener, die seit 2008 als Regisseurin unter anderem Stücke in Wien, New York oder etwa Dortmund inszeniert. „Ich wollte diese Thema der Zwangsprostitution unbedingt auf die Bühne bringen – ich wollte den Blick dort­ hin lenken, wo oftmals weggeschaut wird.“ Das junge Darstellerinnentrio hilft der Regisseurin dabei. Sonja Pikart fällt vor allem in der Gefängnisszene auf – ihr intensives Spiel als Zellengenossin von Dijana übertrifft ihre Darstellung als Prostituierte Gloria. Sie geht in einer Mischung aus Aggressivität und verzweifelter Suche nach Nähe auf. Prisca Schweiger überzeugt auch mit stimmlicher Professionalität – strictly no playback! Das Geschehen findet bei Erst war es leer ohne Herz, aber jetzt geht’s wieder auf zwei Ebenen statt. Zum einen auf der

Bühne, die mit Spitzendeckchen, Nippes und kuscheligen Hauspatschen wohlige Häuslichkeit darstellen soll – zum anderen im schmalen Gang zwischen Zuschauerraum und Wand: Eine räumliche Enge, die den Zustand des Weggesperrtseins im Bordell mit siffigen Plüschhockern, Einweghandschuhen und den Kassen mit den Einnahmen von den Freiern förmlich spürbar macht. Die Spiegel an der Wand lassen das Publikum die eigenen im Gesicht abgezeichneten Emotionen beim intensiven Spiel der drei Darstellerinnen beobachten – ein kluger Einfall. Was der Inszenierung zusätzlichen Drive gibt, ist die musikali­ sche Begleitung von Birgit Michlmayr, die einigen ZuseherInnen von der Band First Fatal Kiss bekannt sein wird. Ihr Einsatz am Schlagzeug, das zwischen sanften und harten Riffs wechselnde Gitarrenspiel und der punktgenaue Einsatz des Keyboards verleihen dem Abend nochmals eine ausgefallene Note. Sehr eingängig ist der Gänsehaut erzeugende, im Kanon vorgetragene Gesang aller Beteiligten, in dem die Me­ tapher des Vogels, des erträumten Wegfliegens schnell wieder auf die schmutzigen Gegebenheiten trifft. Die Reaktionen nach der Premiere machen klar: Alex. Riener ist eine fantastische Inszenierung zu einem Thema gelungen, die aufrüttelt. Mutig auch der teils revue­ artige Einsatz der Musik und Stimmen, das plakative Aufzeigen der kaum erträglichen Realität des Frauenhandels und der Zwangs­prostitution. Ein Abend mit einem jungen Ensemble, das es schafft, beim Publikum einen bitteren Nachgeschmack zurückzulassen. Und das ist gut so! Absolute Empfehlung!

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Literatur

Typisch Mensch Eine kurze Geschichte darüber, wie das Prinzip Liebe unsere Chance ist, wenn die Menschlichkeit abhanden kommt. Darüber, wie eine Zugfahrt von Wien nach Graz klar machte, dass ich sie sehr vermisse und wie ein Hamburger Pfarrer mir neue Hoffnung gab. Und als ich die erste Träne spürte, schaute ich aus dem Fenster des fahrenden Zuges. Vielleicht, weil ich mich schämte, dass ich weinte. Mit Sicherheit aber, weil ich weinte, da ich mich schämte und draußen nach Antworten Ausschau hielt, die im Zug nicht zu finden waren. Mir war die Menschlichkeit abhanden gekommen, wie vielen – zu vielen – anderen auch. Den Erste-Welt-Menschen, den Westeuropäern im Speziellen und den EU-Bürgern im Besonderen. Ich kann da nicht anders. Wenn so ein derart starkes Gefühl mein kleines Herz in seine übergroßen Hände nimmt, rührt mich diese Berührung zu Tränen. Diesmal waren es Scham und Bedauern und Hilflosigkeit und Ohnmacht und Wut, ausgelöst durch einen Artikel von Evelyn Finger in Die Zeit. Ich glaube es war an folgender Stelle, als mein Verstand meine Emotionen nicht mehr im Zaum halten konnte: [...] Warum er die Entscheidung traf, zu helfen, wo seit 2011, seit der Landung dieser Kriegsopfer an der Küste unseres Kontinents, niemand geholfen hatte, das erzählt er nicht als dramatische Geschichte. Es habe halt angefangen zu regnen. „Da habe ich ihnen die Tür aufgeschlossen, und dann kamen schon Nachbarn und brachten Decken.“[...] Beim Weiterlesen verzogen sich meine Mundwinkel, Gesichtsmuskeln begannen ganz leicht zu

zittern, ich spürte es, versuchte es zu verbergen, kämpfte dagegen an, doch die Augen kniffen sich selbsttätig zusammen und füllten sich mit Tränen, ohne dass ich es verhindern konnte. Dann stand dort: „[...]Zivilcourage erfordert anscheinend gar nicht viel Mut. Und Mitleid ist ansteckend, wenn sich erst mal einer traut [...]“ Und die Dämme meiner Lider brachen. Warum nur trauten sich nur so wenige? Warum bin ich nicht einer von ihnen, sondern einer von den anderen? Selbstzweifel übermannten mich – irgendwo zwischen Wien und Graz. Ich blickte aus dem Fenster; wieso nur ist die Masse so abgestumpft, erkennt das Leid und Unrecht nicht, selbst wenn sie mit der Nase darauf gestoßen wird1? Doch nicht, damit Menschen wie Pfarrer Siegfried Wilm, der im Artikel zitiert wird, aus ihr herausstechen. In diesem Moment liebte ich diesen Mann. Ihn, der seine Kirche in der Hamburger Gemeinde Sankt Pauli für lybische Flüchtlinge öffnete, die in der Hansestadt gestrandet waren. 80 westafrikanische Gastarbeiter, die nach dem Umsturz in Lybien wegen ihrer schwarzen Hautfarbe automatisch für Gaddafis Söldner gehalten wurden, verfolgt wurden und flüchten mussten. Pastor Wilm gab ihnen Obdach und schenkte ihnen Hoffnung und mir ein Vorbild. Ich blickte also aus dem Fenster, auf meinen Wangen salzige Spuren der Enttäuschung über den Verlust der Menschlichkeit in unserer Gesellschaft; in der sich keiner vorstellen kann, wie das Gefühl ist, das die Autorin im Text als doppelte Ohnmachtserfahrung beschreibt: „Erst verfolgt zu werden und dann unerwünscht zu sein.“ Ich konnte es mir aber vorstellen. Ich danke Gott, dass ich wenigstens zum Fühlen fähig bin, wenngleich das Handeln zu wünschen übrig lässt. Denn: Jeder kann etwas tun, und wenn er nur Decken in eine Kirche bringt, in der Flüchtlinge Obdach gefunden haben. So war ich sehr traurig, als ich den Semmering überquerte; und als ich bei der Betrachtung der vorbeiziehenden Wälder auch keine Antworten fand, trocknete ich meine Tränen und schöpfte Hoffnung durch meinen Helden, Pastor Wilm, der sagt: „Wir handeln, ohne zu wissen, ob es gut ausgeht. Aber wir hoffen darauf. Das ist das Prinzip Liebe. Das ist typisch Mensch.“ Vielleicht bringt uns dieses Prinzip die Menschlichkeit zurück und die Nächstenliebe. Vielleicht vertreibt es die Scham, wegen derer ich weinte, zwischen Wien und Graz, wo es keine Antworten gibt. Anlehnung an „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ von Gottfried Keller 1)


Literatur

Biker-Weak Philosophische Betrachtung von Wolfgang Schatz, Foto von Olivia Fürnschuß

Als einer der vier Protagonisten von „noispois“ hatte ich dieses Jahr Gelegenheit, die Biker-Week am Faaker-See erste Reihe fußfrei mitzuerleben. Resümee: Mumienschaulaufen mit Einbahnregelung im Klischee-Ambiente uniformierter Individualisten. Seit 1998 treffen sich Harley-Benützer­ Innen (gegenderte Schreibweise liest sich wie ein Sack Erdäpfel, der über die Kellerstiege geschüttet wird) am Faaker-See. Dass Weite und Freiheit im dünn besiedelten Mittelwesten Amerikas – in Sachen motorisierter Mobilität – zu erfahren ist, liegt in der Natur der Selbstverständlichkeit von den „brave and the free“. Was aber bei diesem Event abläuft, ähnelt einem Fisch im Eimer, der seine Runden dreht. Zugegeben, mir ist das Erlebnis auf zwei Rädern fremd und Biker können mich durchaus zu Recht einen ahnungslosen Vollkoffer nennen – im Gegensatz zu Keith Richards und Franz Klammer, die dürfen sagen, was sie wollen, das haben sie sich verdient. Sollte jedoch diese Veranstaltung repräsentativ für die Zunft sein, bin ich gerne ein solcher. Natürlich gibt es auch solche, die auf ihrer – sehr unbequem aussehenden – Chopper (fahrbar nur mit gefärbten Achselhaaren), acht und mehr Stunden Anreise hinter sich haben. Aber eine beträchtliche Anzahl lässt sich den Reitwagen per Sattelschlepper ankarren oder zieht ihn im Anhänger hinter einem Vierrad her – selbst gesehen. Wie auch immer. Anfang September rotten sich Zweirad-Fetischisten um den Faaker-See zusammen und zelebrieren die Freiheit. Verkehrsgeregelt von unterbezahlter Pubertäts-Security, die in ihrer orangen Aufmachung aussieht wie der Kanalreinigungsdienst. Die Kapplständer, am Straßenrand, halten sich dezent im Hintergrund und tun was sie am besten können. Das Village selbst, praktischerweise mit Holz-Hackschnitzel gepflastert, umrahmt von Ständen Gewerbetreibender (schwarze T-Shirts oder ungesundes Essen

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verkaufend), bietet umfangreiche Ab­ wechslung: Kaufen, Essen, Trinken und „Born To Be Wild“, als auch abgehalfterte Acts aus hinteren Reihen auf diversen Bühnen. Das Ganze garniert mit überteuerten Preisen sowie weiblichem Verkaufsper­ so­ nal, die so tun müssen, als wären sie heiße Bräute. Im Allgemeinen abgerundet mit belederjackter Coolness und kumpelhafter Arroganz. Mann ist unter sich, Mann genießt es. Besonders Interessierte sitzen am Straßenrand. Beobachten – Abgasen und Feinstaub Verachtung entgegen schleudernd – den stetigen Fluss an Töpfen, die ihre Runden um den See drehen und applaudieren den todesmutigen Radfahrern (entweder sind die geisteskrank oder nur Fetzenschädel – das mit Wuffe ist eine andere Geschichte), die sich auf dem Highway (aber bitte nicht zu schnell) vereinzelt unter das fahrende Volk mischen. Weiters sind Ausfahrten in die nähere und ferne Umgebung sehr beliebt, wobei diverse Lebensmittelketten heimgesucht werden, um den gesamten Bestand an abgepacktem Toastschinken (200g um € 1,89) aufzukaufen. Sollte man so einem Rudel begegnen, ist es am besten, man fährt an den Straßenrand und wartet, bis es vorbei ist. Denn eine beträchtliche Anzahl jener tut 1/52stel des Jahres Motorradfahren-Spielen (es gilt die Formel: Grauheit der Behaarung mal Umfang des Bauches ist gleich Verkehrs­unsicherheit zum Quadrat). Einen 62Jährigen hat es heuer erschlagen, weil er, nachdem er einen Traktor überholt hat, auf das rechte Bankett gekommen ist. Seine Braut auf der Sissy-Bar (Geburtsjahr wahrscheinlich dem der gleichnamigen Kaiserin nicht unähnlich) wurde schwer verletzt. Es gilt die Unschuldsvermutung.


www.devilsheaven.at - info@devilsheaven.at - Grazer Straße 16 - A-8101 Gratkorn - +43 664 750 127 26

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Dr. Kristian Stuhl malt die Welt (aus dem aktuellen Bildband „Das Klo spült alles fort“) http://kriskind.info/


Wissen

Der Körper des Menschen Teil 2: Menschenbild in der Kunst der Antike und im Mittelalter Bericht von Miriam Frühstück

Der Mensch ist nicht erst seit gestern Gegenstand der Kunst. Schon in den Höhlenmalereien, den Grabmalereien sowie Bildhauereien der Ägypter und auch in den Bronze- und Steinskulpturen und Vasen aus frühester Zeit und vor allem aus dem asiatischen Bereich findet seit jeher eine Ausei­ nandersetzung mit dem Mensch und seiner ihn umgebenden Umwelt statt. Dabei ging es oft nicht nur um einen bloß künstlerischästhetischen Ausdruck, sondern um den Versuch, die eigene Wahrnehmung realitätsgetreu zu dokumentieren und seine Identität in Beziehung zu sich und anderen zu kommunizieren. Durch dieses Vermittlungsbedürfnis entwickelten sich Formen der künstlerischen Darstellung, die sich im Laufe der Jahrhunderte und bis heute herausbilden. Jede Epoche weist dabei ihre je spezifischen Auseinandersetzungen und ästhetischen Resultate auf, die für die heutige Kunst Wegbereitung und Inspiration sind. So verhält es sich auch mit den künstlerischen Schöpfungen der Antike und des Mittelalters.

Das antike Ideal Durch das im 5. Jh. v. Chr. gewonnene Selbstvertrauen durch den Sieg nach langem Kampf gegen die Perser und der folgenden Stärkung der eigenen Gemeinschaft unter anderem durch die Schaffung der Demokratie, konnte die Kunst in Griechenland nun eine Blütezeit erleben, wodurch die Antike künstlerische und architektonische Maßstäbe setzt. Das eigene Selbstverständnis und die Auseinandersetzung mit der Leiblichkeit manifestierten sich nicht nur in der Philosophie und Literatur, sondern wohl in der Perfektion der Darstellung in Form von Statuen. Vor allem die – vornehmlich – männliche Statue ist wohl die wesentlichste Bildschöpfung der griechischen Antike. Bei ihr fließen Konzepte von Männlichkeit und das Ideal eines männlichen Körpers zusammen und sie ist somit Ausdruck griechischer Wesensart. Am Anfang dieser Perfektion menschlicher Darstellung stehen die schon seit dem 7.Jh.v.Chr. bekannten Kuroi (kouros): in Jugendlichkeit und Nacktheit dargestellte Körper, die als Denkmäler über dem Grab errichtet, aber auch als Votivstatuen in Heiligtümern gestiftet wurden. Der kouros (Abb. 1; griech.: junger Mann) leitet sich in Grundform und seinen Proportionen von der in der ägyptischen Bildhauerei entwickelten pharaonischen Großplastik ab 58

Abb. 1, Kouros

und ist die früheste lebens- oder überlebensgroße Statuenform in Griechenland. Charakteristisch ist bei dieser Statue, dass sie starr, symmetrisch und streng frontal ausgerichtet ist. Die Arme liegen seitlich am Körper an, das jugendliche Gesicht ist von langem Haar gerahmt und auf den Lippen liegt ein Lächeln, das durch die arete (griech.: Vortrefflichkeit) entstandene Zufriedenheit. Der kouros transportiert somit bewusst ideelle Werte, wie eben der arete, die für die jungen Männer der herrschenden Klasse eng mit der Ehre verbunden ist. Zudem repräsentiert er durch langes Haar und gesunden, trainierten Körperbau den aristokratischen Lebensstil. Mit Ende des Krieges und dem Aufschwung in Kunst und Kultur wandte man sich auch neuen Möglichkeiten in der Darstellung zu. Balance, Rhythmus, Proportion, Harmonie und Symmetrie waren nicht nur Schlagworte der ganzheitlichen Medizin, die in Griechenland im Vormarsch war, sondern auch der bildenden Kunst. Die Darstellung des männlichen Körpers wurde dynamischer, plötzlich wirkten die Statuen durch ein angedeutetes Gehen, einen bevorstehenden Diskuswurfes oder einen in Händen gehaltenen Speer lebendig (Abb. 2). Der Mann wurde hierbei in all seiner Pracht – als Krieger und Athlet – gezeigt. Dass der Körperkult in der Antike sehr groß war, zeigt sich in der dargestellten Nacktheit. Sowohl männliche als auch weibliche Körper repräsentierten in ihrem Nacktsein heldenhafte Eroberung und persönliche Fruchtbarkeit. Eine Besonderheit in der Darstellung männlicher Nacktheit ist die geringe Größe der Geschlechtsteile. Dies soll nicht als reales Ab-


Abb. 2 Myrons Diskuswerfer

bild verstanden werden, sondern als Metapher für das nicht vorhandene sexuelle Bewusstsein in Situationen, in welchen ein erregter Zustand unangemessen ist und gesellschaftlich als unanständig gilt. Bei der Darstellung der Frau verhält es sich dann umgekehrt. Die dargestellte nackte Frau ist im höchsten Maße sexuell konnotiert und diente nicht selten dazu, erotische Gefühle zu wecken. Dem weiblichen Körper blieben Bezugnahmen zu Aristokratie und Ideal versagt und dies spiegelt somit auch ein Stück weit die Stellung der Frau in der Antike wider.

Der mittelalterliche Mensch und das Überirdische Schon in der Antike findet in der bildenden Kunst religiöser Kult und Darstellung des Göttlichen sowie gesellschaftlichpolitisches Bewusstsein ihren Ausdruck. Ähnlich und doch anders verhält es sich im Mittelalter. Weniger plastisch, dafür in ausgeprägter malerischer Form wurde in dieser Zeit das Verhältnis zwischen Gott, Mensch und Welt (unter anderem im politischen Sinne) dargestellt. Die mittelalterliche Kunst ist vor allem eine christlich geprägte Kunst und dokumen­ tiert, was mit dem Christentum und dessen geschichtlicher Entwicklung in Zusammenhang steht. So wurde Kunst nicht unbedingt ihretwillen produziert, sondern war mehr Mittel zum Zweck. Zu Beginn war man in der Darstellung des Menschen zurückhaltend und beschränkte sich auf die Darstellung der Passion Christi oder aber auch der Maria Mutter Gottes. Es ging nicht unbedingt um die Darstellung eines Individuums, sondern um die einer Idee, welche formelhaft, fixiert und schematisiert eingesetzt wurde. Erst langsam wur-

den bestimmte Menschentypen herausgebildet und an passender Stelle eingesetzt – wie in der Darstellung eines Hirten, Soldaten oder des Pöbels. Grundsätzlich jedoch – auch wenn die Physiognomie des Menschen immer mehr Einkehr in die künstlerische Darstellung gefunden hat und wenn es sich nicht gerade um Portraits handelt – bleibt eine gewisse Schematisierung in der Darstellung, nicht zuletzt durch beigefügte Attribute wie den Heiligenschein oder aber auch der tieferen Bedeutung der Farben, wie z. B. Gelb, das für Eifersucht und Verrat steht und somit auch schon Judas in der einen oder anderen Darstellung ausweist. Eine Besonderheit, die sich in der mittel­ alterlichen Kunst findet, ist die Darstellung von Kosmos und Körper. Das Kosmosverständnis des Mittelalters bestand im Fundament aus Versatzstücken antiker Naturphilosophie. Die Welt besteht demnach aus vier Elementen, die sich in je unterschiedlicher Weise mit vier verschiedenen Eigenschaften verbinden. Das Gleichgewicht der Welt fußt auf der instabilen Ba­ lance dieser Komponenten. Dies gilt nicht nur für den Kosmos und kommt in den vier Himmelsrichtungen und dem Ablauf des Jahres in Form der vier Jahres-zeiten zum Ausdruck, sondern auch für den Menschen.

Dieses Verhältnis wurde schon in karolin­ gischer Zeit in als Figura bezeichneten Darstellungen ausgestaltet. Diese waren jedoch noch sehr abstrakt und geometrisch. Mit der Zeit wurden die Darstellungen jedoch mit antiken Personifikationen angereichert, um so die Potenz unsichtbarer Naturkräfte – wie den Wind – zu veranschaulichen. Erst ab dem 12. Jahrhundert trat der Körper des Menschen bildlich in das kosmische Gefüge ein, wodurch die bekannten Darstellungen des nackten Menschen umgeben von kosmischen Kräften entstanden. Der Mensch wird zum Angelpunkt der Schöpfung, da er an Geist und Materie Teilhabe besitzt. Mit dem Körper ist er Teil der Natur und somit Prozess und Verfall dieser unterworfen. Mit Geist und Seele hat er jedoch Teilhabe an der göttlichen Freiheit. Trotz der zentralen Stellung des Menschen wird durch die doppelte Teilhabe jedoch deutlich, dass der Mensch die Hierarchie nicht bestimmt, sondern Teil dieser ist. Sowohl in der Antike als auch im Mittelalter zeichnet sich deutlich ab, dass obschon der Mensch zentrales Thema der Kunst ist, dieser in Beziehung gesetzt dargestellt wird. Über die Jahrhunderte hinweg findet sich dieser Ansatz auch noch in der heutigen Kunst, auch wenn diese mittlerweile verstärkt auch ihretwillen gemacht wird.

Die mittelalterliche Kunst ist vor allem eine christlich geprägte Kunst.

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Die Entstehung der Schrift | Teil 2

Die Magie

der lateinischen und arabischen Schrift Serie von MMag. Chia-Tyan Yang, Foto von Cornelia Schwingenschlögl

… weil dort der Herr die Sprache aller Erdbewohner verwirrt hatte. Die sogenannte Babylonische Sprachverwirrung wurde einst als Gottesstrafe an der Menschheit interpretiert. Tatsächlich haben die Erdbewohner eine Menge an labyrinthartigen Sprach- und Schriftsystemen entwickelt, allerdings haben sie sich auch schon früh die Fähigkeit angeeignet, völlig unterschiedliche Sprachen und Schriften zu erlernen. Das Alphabet folgt der Religion Der renommierte Linguist David Diringer stellte seinerseits eine für die Forschung der Schriftgeschichte wichtige These auf, die besagt, dass „das Alphabet der Religion folgt“. Er meint, dass die Weltreligionen mit der Entwicklung der großen Schriftsysteme eng zusammenhängen, auch wenn die Verschriftungen der Sprachen älter als die Weltreligionen sind: In den katholisch und evangelisch beeinflussten Regionen dominiert die lateinische Schrift, in Ge­ bieten der christlich orthodoxen Religion wird die kyrillische oder griechische und in islamischen Regionen die arabische Schrift angewendet. Das indische Schriftsystem wiederum kam mit dem Buddhismus in den Fernen Osten und die chinesischen Schriftzeichen über die Mönche nach Japan, Korea usw. Schriftsprache? Schrifttyp? Schriftart? Schriftsystem? Häh? Eins nach dem anderen: Unter dem Schriftsystem versteht man die einzelsprachliche Verschriftung. Eine Sprache, die über ein Schriftsystem verfügt, nennt man Schriftsprache. Grundsätzlich

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gehören alle Schriftsprachen zu einem bestimmten Schrifttyp und einer bestimmten Schriftart. Die deutsche Sprache z.B. verfügt über ein Schriftsystem, ist also eine Schriftsprache. Zudem gehört sie zum alphabetischen Schrifttyp und zur lateinischen Schriftart. Die Regeln, die ein Schriftsystem konstituieren, werden in der Orthographie der jeweiligen Sprache festgelegt (Wir erinnern uns an die sich immer wieder reformierende Rechtschreibreform). Jede einzelne Schriftsprache tritt auf der Erscheinungsebene – also in laufenden Texten – als Ausdruck eines spezifischen und einzig für diese Sprache charakteristischen Schriftsystems auf (Lasst euch doch diesen für die deutsche Sprache so typischen, unendlich langen Satz ruhig noch einmal auf der Zunge zergehen, bevor ihr weiterlest). Die Spezifika können z.B. in dem erweiterten Alphabet (deutsches ß, schwedisches ø, französisches ç) liegen. Die am weitesten verbreitete Schrift der Welt In engerem Sinn meint die Lateinschrift die römische Alphabetschrift, die aus der griechisch-beeinflussten etruskischen Schrift


wort: Kalligrafie oder Schönschriftkunst). Hierbei wurde immer mehr Gewicht auf die künstlerische Weiterentwicklung der Schrift gelegt und es bildete sich im arabischen Sprachraum zunehmend eine anspruchsvolle Kalligrafie, die heute noch immer praktiziert wird und wir auch in den (historischen) Gebäuden, Büchern, Kunsthandwerken etc. bestaunen können.

MMAG. CHIA-TYAN YANG IST MUSIKERIN, BLOGGERIN UND SPRICHT MEHRERE SPRACHEN. IN DER NÄCHSTEN AUSGABE WIRD SIE UNS IN IHRE MUTTERSPRACHE – CHINESISCH – EINFÜHREN.

abgeleitet und seit dem 6. Jh. v. Chr. nachzuweisen ist. Anfangs umfasste das Alphabet 21 Buchstaben und drei griechische Zahlzeichen. Die Schreibung erfolgte zunächst ohne Worttrennung (Leerstelle), die chinesische Schrift kennt z.B. heute noch immer keine Leerstellen. Die Rechtsläufigkeit setzt sich bald durch, obwohl ursprünglich boustrophedon geschrieben wurde, d.h. eine Schreibweise mit zeilenweise abwechselnder Schreibrichtung von links nach rechts und von rechts nach links. Um ca. 300 n. Chr. liegen die Buchstaben in ihren Grundformen fest, in der Folgezeit gibt es nur mehr schreibtechnisch bedingte Veränderungen. Insgesamt „teilen“ sich romanische, germanische, slawische, finno-ugrische und weitere Sprachen das lateinische Alphabet, somit ist es das am weitesten verbreitete Alphabet der Welt. Eine Schrift für die Schönschreibkunst Die arabische Schrift ist eine linksläufige Alphabetschrift, d.h. man schreibt von rechts nach links. Sie ist hauptsächlich phonographisch (= Laute repräsentierend) orientiert und keine Konsonantenschrift, auch wenn der Vokalismus nur teilweise repräsentiert wird. Mit der Ausbreitung des Islams wurde die arabische Schrift auch zur Schreibung anderer Sprachen wie Persisch, Urdu, der Berbersprachen, Malaiisch, Hausa, Swahili und Türkisch (bis zu den türkischen Schriftreformen der 1920er Jahre) u. a. übertragen. Der Ornamentik und der arabischen Schrift kommt aufgrund des Bildverbots in der islamischen Kunst große Bedeutung zu (Stich-

Lateinisch vs. Arabisch Sprachen wie die malaiische, das Swahili, zum Teil auch schon die Hausa-Sprache, die früher mit den arabischen Schriftzeichen geschrieben wurden, werden heute fast nur noch mit der lateinischen Schrift wiedergegeben. Auch bei den osmanischen Türken wurde die arabische durch die lateinische Schrift von Atatürk ersetzt. Oftmals war die Abschaffung der arabischen Schrift ein Instrument, die entsprechenden Bevölkerungsschichten dem kulturellen Einfluss des Islams zu entziehen. So diente erklärtermaßen der Übergang der meisten Turksprachen zum lateinischen (oder kyrillischen) Alphabet diesem Zweck. In der Türkei wurde das lateinische Alphabet im Zuge der Säkularisierung nach europäi­ schem Vorbild durchgesetzt. Zudem wurde auf dem Turkologi­ schen Kongress von 1926 in Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans, der Beschluss gefasst, in allen Schulen und im Schrifttum der Türken und Tataren das lateinische Alphabet zu verwenden. Dies wurde 1928 nur zum Teil verwirklicht, denn die zentralasiati­schen Turksprachen wurden zur Sowjetzeit kyrillisch geschrieben. Diese sind heute aber teilweise nach dem Vorbild des türkei-türki­ schen zum lateinischen Alphabet (mit einigen neuen Zeichen) übergegangen. Einzig Uighurisch (Uighuren bilden die größte turksprachige Ethnie im uigurischen autonomen Gebiet Xinjiang/ Westchina) benutzt offiziell arabische Schriftzeichen und ist als anerkannte Schriftsprache z.B. auch auf den chinesischen Banknoten zu sehen. Auch wenn die lateinische Schrift ihren Siegeszug gerade im Internetzeitalter genießt, soll man nicht vergessen, wie sehr sie einst durch die arabische Sprache bereichert wurde: ein Admiral, ein Koffer samt Mütze, Jacke, Joppe und Gamaschen, eine Tasse Bohnenkaffee mit Kandiszucker in einer Konditorei, eine Ka­raffe voll Limonade … diese Wörter sind alle arabischen Ursprungs und haben sich auf dem Umweg meistens über die romanischen Sprachen auch im Deutschen eingebürgert. Die scheinbar so mitteleuropäische Lärche, selbst das nur vermeintlich alpenländische Tarock, ebenso Sandel- und Ebenholz, entspringen dem Arabi­ schen. Auch wenn die babylonische Sprachverwirrung uns vermeintlich zu trennen versuchte, sind wir heute durch die jahrhundertelange Verwobenheit der Sprachen mehr miteinander verbunden denn je. Diesen Artikel möchte ich mit einem Gedicht von Goethe abschließen, das bis heute seine Gültigkeit nicht verloren hat: Wer sich selbst und andere kennt Wird auch hier erkennen: Orient und Okzident Sind nicht mehr zu trennen

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Gut für die Kasse, Produktion für die Masse Zeitreise von Birgit Kniebeiß

Bis jetzt war es in der Geschichte der Fotografie noch immer so, dass Abbilder von sich, Freunden und Verwandten etwas Besonderes und eher den betuchteren Bürgern vorbehalten waren – und gerade dies sollte sich nun ändern. 1854 ließ sich André Adolphe-Eugène Disdéri, ein Pariser Fotograf, eine spezielle Anwendung des Kollodiumverfahrens patentieren, die Carte-de-visite, das Visitenkartenportrait. Mit einer von ihm entwickelten, speziellen Kamera, welche anstelle des einen üblichen Objektivs vier Objektive und eine verschiebbare Rückplatte besaß, konnte Disdéri anstatt wie sonst üblich, mit einer Platte eine große Aufnahme zu machen, nun mit einer Platte acht kleinere, aber natürlich preiswertere Bilder produzieren. Den Namen Visitenkartenportrait verdankt die Aufnahme ihrem Format von 6x9cm, das in etwa dem Format der damals üblichen Visitenkarten entsprach. Damals trugen die Visitenkarten Namen, Adresse und zuweilen den Titel der Personen, welche sie vorstellten. Manch findiger Besitzer eines Kleinportraits mag sich wohl gefragt haben, weshalb nicht den Namen durch das Bildnis ersetzen, aber dieser Trend hat sich nicht weiter durchgesetzt. Was sich aller­ dings wie ein Lauffeuer um die ganze Welt verbreitete, waren die kleinen Bildchen. Dies geschah vor allem dadurch, dass Disdéri selbst einen sehr guten Sinn für Reklame hatte. Der Trend startete von Frankreich aus, wo Disdéri sein Fotostudio hatte. Um schneller arbeiten zu können, stellte er ungelernte Arbeitskräfte ein – der Kameraoperateur kümmerte sich nur noch um das Einrichten der Modelle. So konnte er die Produktion rapide steigern. Zu seinen Höchstzeiten soll sein Fotostudio täglich Bilder im Wert von 3000–4000 Franc produziert haben. Disdéri, über dessen Vermögen viele Vermutungen angestellt wurden, starb allerdings als verarmter Mann. Die Einfachheit seines Verfahrens dürfte ihm das Bein gestellt haben, denn es war zu leicht zu kopieren und die Konkurrenz stieg extrem schnell an. Von Frankreich aus verbreitete es sich um die ganze Welt und so mancher alteingesessene Daguerretypist, wie zum Beispiel der New Yorker Abraham Bogardus, standen dem neuem Format etwas skeptisch gegenüber – wie er sich erinnert: „Das kleine Ding: ein Mann an einer kannelierten Säule stehend, in ganzer Figur, sein Kopf etwa zweimal so groß wie ein Stecknadelkopf. Ich lachte darüber und ahnte nicht, dass ich selbst eines nicht zu fernen Tages tausend Stück davon am Tag machen würde.“ Dieses Zitat beschreibt eigentlich sehr gut, wie man sich eine CDV (Kf. f. Carte-de-visite) vorstellen sollte. Es war immer eine Ganzkörperaufnahme mit geringem ästhetischem Wert. Da die Produktion in Massen vonstattenging, blieb keine Zeit für Individualität 64

Carte-de-visite (Visitenkartenportrait) oder Charakterdarstellungen. Auf Gesichtsausdrücke wurde auch kein Wert gelegt, da die Bilder zu klein waren, um die Züge im Gesicht genauer studieren zu können. Die Beleuchtung wurde nur einmal am Tag eingestellt und blieb dann für alle Kunden gleich. Aus all den genannten Gründen sind heute die Visitenkartenportraits weniger interessant für Kunsthistoriker als für Soziologen. Sie sind mehr Zeitdokumente als eine Darstellung von schöpferischer Kraft.


Nadar, Tausendsassa und Pionier der Fotografie

Nichtsdestotrotz stürzten sich die Menschen auf die angebotenen Kleinportraits – jeder wollte eines haben und zwischen 1861 und 1867 wurden allein in England zwischen 300 und 400 Millionen der kleinen Bildchen jährlich verkauft. Dies lag vor allem daran, dass sie günstig und für jedermann erschwinglich waren. Um 1880 entsprach der Preis von 2,50 Mark für sechs Abzüge nur noch dem Tageslohn eines Arbeiters. Dies ist auch die Zeit, in der die ersten Fotoalben entstanden – Sie waren schwere Bücher mit samtenem Einband und vorgeschnittenen Einschiebemöglichkeiten für die Visitenkartenportraits. Solch ein Familienalbum wurde bald zum Standard einer jeden bürgerlichen Familie im viktorianischen Zeitalter. Gesammelt wurden nicht nur Bilder von Familienangehörigen und Freunden, auch Prominente wurden in diesen Büchern verewigt. Es brach eine regelrechte Kartomanie aus. Nach dem Tod des britischen Prinzgemahls sollen 70.000 Porträts mit seinem Abbild verkauft worden sein. In Amerika wurden von Major Robert Anderson, dem Helden von Ford Summer, pro Tag 1000 Abzüge verkauft. Die Rückseite der CDV erwies sich als wandlungsfähiger als die Vorderseite. Auch wenn sich die Posen, die Abmessungen und die Beleuchtung auf der Frontseite über rund 50 Jahre, in denen die CDVs produziert wurden, kaum veränderten, kann man auf der Rückseite deutliche Unterschiede wahrnehmen. Auf der Hinterseite präsentierte sich traditionellerweise das Atelier, welches das Portrait produzierte. Die Werbung ist der Mode der Zeit stärker unterlegen, sodass man im Nachhinein an der Gestaltung der Rückseite die CDV noch recht gut datieren kann. Zu Beginn (um 1860) war die Gestaltung einfach gehalten: nur Schriftzeichen, welche über die Produktionsstätte Auskunft gaben. Ab 1870 schlängeln sich Ornamente um die Schrift, ab 1880 wird die komplette Rückseite bis zum Rand hin ausgestaltet, 1890 ist es beliebt, den Ateliernamen in großem, oft diagonalem Schriftzug anzubringen und ab 1900 ziehen florale Muster ein.

„Ernsthafte“ Fotografen arbeiten mit größeren Formaten

auch das erste Fotointerview ist ihm zuzuschreiben.

Diese Art der Carte-de-visite zu fotografieren machte aus Fotografen kaum mehr als Handwerker. Doch nicht alle Fotostudios machten ausschließlich die Kleinportraits, es gab zu dieser Zeit auch „ernsthafte“ Fotografen, die sich auch als Künstler begriffen und das Potenzial, welches dieses Medium hat und hatte, erkannten und ausnutzten. Der nennenswerteste Europäer dieser Epoche war vermutlich Nadar, der sich zu der „Kartomanie“ der damaligen Zeit wie folgt äußerte: „Die Photographie ist eine wunderbare Entdeckung, eine Wissenschaft, welche die größten Geister angezogen hat, eine Kunst, welche die klügsten Denker angeregt – und doch von jedem Dummkopf betrieben werden kann.“

In Amerika ist das Fotostudio Brady nennenswert: Sie schufen das wohl bis heute noch bekannteste Portrait, welches zumindest jedem Amerikaner geläufig sein sollte. Die Rede ist von dem Abbild Abraham Lincolns, welches heute noch auf der Fünf-Dollar-Note verwendet wird. Lincoln soll einmal gesagt haben, dass seine Rede im New Yorker Cooper Union-College und Bradys Fotografien ihn ins Weiße Haus gebracht hätten. Bemerkenswert ist auch die Dokumentation des Amerikanischen Bürgerkrieges. Das gesamte Fotostudio zog auf das Schlachtfeld und schuf Brady so einen sicheren Platz in den Geschichtsbüchern.

Nadar, der mit bürgerlichem Namen eigentlich Gaspar Félix Tournachon hieß, war ein richtiger Tausendsassa und Pionier der Fotografie. Zu Beginn seiner künstlerischen Karriere arbeitete er als Zeichner und Karikaturist. 1854 eignete er sich das Fotografieren an und eröffnete noch im selben Jahr sein Fotostudio. Seine Portraits waren individuell und erfassten mit einer besonderen Natürlichkeit den Charakter des Portraitierten. Dennoch sind nicht nur seine Portrait-Aufnahmen hervorzuheben. Nadar, der sich auch für die Luftfahrt interessierte, schuf die ersten Luftbildaufnahmen aus einem Heißluftballon heraus. Auch war er der Erste, der mit künstlichem Licht arbeitete (Magnesium), und somit auch die ersten unterirdischen Fotos von den Pariser Katakomben schaffen konnte,

Der Einzug der Eitelkeit in das Medium, das sich rühmte, die Natur originalgetreu abzubilden – die Rede ist vom Beginn der Bildbearbeitung

Von einigen Fotografen, wie zum Beispiel Nadar, komplett abgelehnt, von den Kunden jedoch vehement gefordert. Kleine Unreinheiten im Gesicht oder Altersfalten sollten beseitigt werden. Dies geschah entweder durch Retusche mit Hilfe von Pinseln direkt am Negativ oder danach am ausgearbeiteten Bild. Das Verlangen danach war so groß, dass fast jedes große Atelier Künstler zur Retusche und als Koloristen beschäftigte. Und obwohl Bildretusche uns schon so lange bekannt ist, sind wir immer noch versucht, einem Foto zu glauben, dass es die Wirklichkeit so abbildet, wie sie ist. 65


X-Wort-Rätsel Senkrecht:

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2. Seit 1994 wohl schwerst bewaffnete Schatz­ jägerin. 3. Ausdruck einer fröhlichen Emotion, die auf Befehl nicht durchführbar ist. 4. Alternative Schreibweise für die Droge Extasy. 5. Eine schiefe Studie. 6. Darauf spricht man nach dem Piieep. 7. Kleine einseitig bemalte Holztäfelchen mit vorgedruckten Bildern, die man bei fast jedem buddhistischen Tempel kaufen kann. 8. Wiggum, ihm reichts. 10. Sagen Sie niemals Ouzo zu ihm. 11. Verbindung zweier Menschen. 13. Obere Extremität. 14. Bekanntester Loser. 15. Wenn Paul vorhat eine Pizzeria zu eröffnen, wird er sie „…s Pizza“ nennen. 18. Diese Pflanze sollte man nicht mit einer hawaiianischen Grußform verwechseln. 19. Eine der BouvierSchwestern. 22. Laut der EAV hat uns Ibrahim verlassen, weil der gesuchte Spieß ihm das Licht aus­blies. 24. „if god was one of …“ 28. Damit man die Dinge daran nennen kann. 29. Für manche eine Beleidigung, für andere ein Nachname. 30. Französisch für mögen 1P.s. 34. Ausdruck des Bedauerns. 37. Top-LevelDomain von Deutschland. 38. Des Chirurgen Arbeitsplatz.

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von Birgit Kniebeiß 4

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Waagrecht:

1. Durch das Prinzip der Materie-Antimaterie-Reaktion ist das Schiff schneller als das Licht. 9. Widersacher Supermans. 12. Abschiedsgruß. 16. Johnny hatte wohl immer Bargeld dabei. 17. Beim gemütlichen Bier braucht man dort nicht den Druck zu messen. 20. Der bunte Vogel heißt wie er klingt. 21. Dieses Milcherzeugnis ist nicht für jedermanns Nase. 23. Anfängliches A. 25. Kf. für einen Bereich des Online-Marketings. 26. Französisches Männermagazin. 27. Ist nicht weit, ist gleich ums … 31. Insel, auf der ein kolossales Weltwunder zu betrachten war. 32. Spielt eine tragende Rolle in der Architektur. 33. Japanisches Brettspiel. 35. Ein Begriff aus der Seemannsprache, dem Wind abgewandt. 36. Organische chemische Verbindung. 39. Geräusch beim Tragen von nur einer Sommerlatsche. 40. Dieser Simpson ist nicht gelb. 41. Reinhard Fendrich sang: „Ich bin ein Negarant …“ 42. Ausdruck der Empörung oder Verwunderung, wird vorwiegend im Internet verwendet, hat in der gesprochenen Sprache eher keine Verwendung. 43. Gesündest ernährter Seemann. 44. Kf. f. eine Blues-Rock-Band aus Berlin.

Ausgabe 8, Juli 2013

X-Wort-Rätsel T

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b = p, + „er“

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X S

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+

S

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Der gesuchte Begriff ist der Name eines Gewässers.

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von Birgit Kniebeiß

O

Rebus

Lösungen

Gesucht wurde der Begriff „POSAUNIST“ 66

Lösungen siehe: http://www.x-rockz-magazin.com


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